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{"created":"2022-01-31T15:01:00.450780+00:00","id":"lit30937","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler, M.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 13: 353-354","fulltext":[{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"l\u00c0tteraturbericht.\n353\nwas man von den k\u00f6rperlichen und geistigen Eigenschaften des Kindes weifs und erforschen kann, zu einer besonderen Wissenschaft vom Kinde, die der Verfasser Paidologie zu nennen vorschl\u00e4gt und als ein Zentrum oder Repertorium angesehen wissen will, in welches alle bisher zerstreuten Untersuchungen \u00fcber das leibliche und seelische Verhalten des Kindes konvergieren sollen. Dieser neue Teil der Biologie oder der Anthropologie \u201ewird das Material schaffen, worauf die P\u00e4dagogik sicher bauen und sich zu der Stellung, die sie einnehmen sollte, erheben kann.\u201c\nDa in keinem Lebensalter das somatische und psychische Wachstum des Menschen so grolse und so schnelle Ver\u00e4nderungen mit sich f\u00fchrt, wie in der Kindheit, so steht die Ermittelung des Gfesetzm\u00e4fsigen in diesem Wandel obenan, d. h. die somatogenetische und psychogenetische Entwickelung des Kindes. Aber der Verfasser betont mit Recht die Bedeutung der rein deskriptiven, der historischen und der vergleichend morphologischen Arbeiten, ohne welche die normalen Ver\u00e4nderungen des Kindes, w\u00e4hrend es heranw\u00e4chst, ebensowenig wie die krankhaften in der k\u00fcnftigen Entwickelungslehre den ihnen zukommenden Rang und Platz finden k\u00f6nnen.\nDer vom Verfasser bef\u00fcrwortete Entwurf eines Systems der Paidologie soll (und kann auch) nur als ein vorl\u00e4ufiger Versuch gelten, das vorhandene Material einigermafsen \u00fcbersichtlich zu gruppieren. Denn dieses System besteht nur aus den folgenden drei Teilen: I. Das Kind in der Geschichte; II. Das Kind in der Gegenwart; III. Ein p\u00e4dagogischer Laboratoriumskurs. Im II. Teil wird das Kind betrachtet: 1. Unter unzivilisierten und halbzivilisierten; 2. unter zivilisierten V\u00f6lkern, und zwar hier sowohl das normale als auch das abnorme Kind. Im Laboratorium handelt es sich um eine grofse Anzahl von Beobachtungen und einfachen Versuchen, namentlich Messungen, z. B. der K\u00f6rperteile, der Muskelkraft, der Sinnessch\u00e4rfe, der vitalen Kapazit\u00e4t. Der Verfasser macht hier, wie im Verlaufe der ganzen ungemein fleifsigen, mit grofsem Eifer, sogar mit einer in Dissertationen sehr seltenen Begeisterung geschriebenen Abhandlung, eine nicht geringe Anzahl von praktischen Vorschl\u00e4gen zur Anwendung von physiologischen und anthropometrischen Methoden auf das Kind.\nEine 517 K\u00fcmmern umfassende Bibliographie bildet den Schlufs der verdienstvollen Arbeit und verleiht ihr einen besonderen Wert.\nW. P\u00dfEYEB, (Wiesbaden).\nP. Lombroso. L\u2019instinct de la conservation chez les enfants. Rev. philos. Bd. 42. S. 379-390. 1896. No. 10.\nDie sehr ansprechend geschriebene Abhandlung sucht nachzuweisen, dafs das Gesetz der kleinsten Anstrengung, welches alle \u00c4ufserungen der Soziologie und Psychologie beherrscht, auch f\u00fcr das Leben des Kindes gilt.\nDer Instinkt der Selbsterhaltung zeigt sich zun\u00e4chst darin, dafs beim Kinde Atmung, Kreislauf und der Austausch des K\u00f6rpers beschleunigter sind. Ebenso essen sie im Verh\u00e4ltnis zu ihrem K\u00f6rper zwei Mal mehr als die Erwachsenen. Ihre Gewebe ersetzen sich rascher.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XIII.\n23","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nLitteraturbericht.\nSie sind unempfindlicher gegen den physischen Schmerz. Im Alter von 2 oder 3 Jahren verm\u00f6gen sie die Schmerzempfindung nicht einmal zu lokalisieren.\nNicht allein in ihrem physiologischen, sondern auch in ihrem intellektuellen, affektiven und moralischen Lehen streben die Kinder nach Erhaltung des eigenen Ich und darum auch nach gr\u00f6lstm\u00f6glicher Sparsamkeit. In intellektueller Beziehung giebt sich dies schon in der Sprache des Kindes kund. Das kleine Kind dr\u00fcckt sich vor allem durch Gesten und durch entsprechende Schreie aus. Verneinung, Bejahung durch Gesten, Zeigen mit den Fingern, Angabe der Gr\u00f6fsenverh\u00e4ltnisse durch Handbewegungen spielen bei ihm eine grofse Bolle. Auch in der Erfindung der onomatopoetischen Sprache, in der Bezeichnung der Objekt\u00a9 durch T\u00f6ne, welche man an ihnen wahrgenommen hat, sowie in der erweiterten Beziehung dieser Nachahmungslaute auch auf Assoziationen der urspr\u00fcnglichen Vorstellung zeigt sich das Streben, m\u00f6glichst wenig Kraft anzuwenden. \u00dcberhaupt ist das Kind abstrakten Ideen abhold, es bewegt sich ausschliefslich oder vorherrschend in konkreten Vorstellungen. Neuen Vorstellungen widerstrebt es. Es gef\u00e4llt ihm nicht in unbekannten B\u00e4umen, es will eine Geschichte immer in derselben Weise wieder erz\u00e4hlt wissen. \u2014 Nicht allein intellektuelle Ausgaben scheut das Kind, auch solche der Affektivit\u00e4t. Das Kind strebt danach, aus allem Vergn\u00fcgen zu ziehen, seine Vergn\u00fcgungen nanh M\u00f6glichkeit zu ver-gr\u00f6fsern. Der kleinste Winkel wird f\u00fcr ihn zu einer Welt. Ebenso wie die Kinder das Freudige ausnutzen, so vermeiden sie das Traurige. Sie nehmen nur mechanisch am Schmerze eines Anderen Teil. Sie weinen, weil sie weinen h\u00f6ren. Die Affektivit\u00e4t des Kindes ist derartig, dafs sie ihm nicht schadet. Es liebt eine Person, eine Sache nur insoweit, als Freude und Nutzen daraus zu ziehen ist. Selbst die Eifersucht, welche als wirkliche Zuneigung aufgefafst werden k\u00f6nnte, entspringt nur aus dem Wunsche, eine Person oder Sache ausschliefslich f\u00fcr sich selbst zu haben. \u2014 Auch das moralische Leben des Kindes ist dem Gesetze der geringsten Anstrengung unterworfen. Es spielt immer mit dem K\u00f6nige und der K\u00f6nigin. Niemand vermag seiner Ansicht nach das, was es selbst thut, so gut auszuf\u00fchren. Es r\u00fchmt seine Beicht\u00fcmer. Es ver-^ sucht, sich alles anzueignen, was es sieht. Es will nicht teilen, es behauptet seinen Platz so breit als m\u00f6glich. Es l\u00fcgt zu seinen Gunsten-Erst allm\u00e4hlich giebt es seine egoistische Moral auf und nimmt die Moral der Erwachsenen an.\tM. Giessler (Erfurt).\nB. M\u00fcnz. La logique de l\u2019enfant. Bev. philos. Bd. 41. S. 46\u201454. 1896.\nNo. 7.\nEs ist ein Vorurteil, dafs es kein Denken ohne Sprache giebt, das Kind verbindet schon logisch Ideen, bevor es \u00fcberhaupt ein Wort aus^-sprechen kann, man kann die Kausalit\u00e4tsfunktion bei ihm in Th\u00e4tigkeit sehen, bevor es Worte bildet. Diese lernt es dann nicht durch Nachahmung, sondern es mufs sich zun\u00e4chst selbst eine Sprache schaffen. Kann man denn dem Kinde \u00fcberhaupt zeigen, wie es zu sprechen hat, da doch die Bewegungen des Kehlkopfes unsichtbar bleiben? Es ahmt gewisse","page":354}],"identifier":"lit30937","issued":"1897","language":"de","pages":"353-354","startpages":"353","title":"P. Lombroso: L'instinct de la conservation chez les enfants. Rev. philos. Bd. 42. S. 379-390. 1896. No. 10","type":"Journal Article","volume":"13"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:01:00.450786+00:00"}