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{"created":"2022-01-31T15:33:55.997984+00:00","id":"lit31015","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stumpf, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 47-99","fulltext":[{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\nVon\nC. Stumpf.\n\u00a7 1. Gleichsetzung von Gem\u00fcthsbewegung und\nAffect.\nIm gew\u00f6hnlichen Leben, vielfach auch im wissenschaftlichen und juristischen Gebrauch, wird unter Affect eine starke Gem\u00fcthsbewegung verstanden, die mit augenf\u00e4lligen Aeufserungen und mit einer gewissen Beeintr\u00e4chtigung der Urteilsf\u00e4higkeit verbunden ist Diese Sonderung der Affecte von den \u00fcbrigen Gem\u00fctsbewegungen ist nicht ganz zu entbehren, hat aber doch nur ungef\u00e4hr denselben Wert wie die Unterscheidung der B\u00e4ume von den Str\u00e4uchern. Wie dem Landschaftsg\u00e4rtner, dem Pionier, dem Fufswanderer diese Unterscheidung immer wesentlich bleibt, so jene dem Juristen, dem P\u00e4dagogen, dem Seelenarzt. Aber f\u00fcr die wissenschaftliche Psychologie erscheint sie nebens\u00e4chlich, ja unzweckm\u00e4fsig, da hiernach solche Gem\u00fctsbewegungen, die nicht mit lebhaften k\u00f6rperlichen Aeufserungen oder mit St\u00f6rungen der Geistesth\u00e4tigkeit verkn\u00fcpft sind, wenn sie auch sonst innerlich noch so sehr den Affecten gleichen und nur geringere St\u00e4rke besitzen, als eine besondere Classe davon getrennt werden m\u00fcfsten. Es l\u00e4uft gegen die Interessen der wissenschaftlichen Classenbildung, das qualitativ Gleichartige und nur graduell Verschiedene auseinanderzureifsen. Wohl k\u00f6nnen in gewissen F\u00e4llen blofse Intensit\u00e4tsunterschiede als Artmerkmale dienen; wenn z. B., wie es f\u00fcr die Empfindungen gegen\u00fcber den Phantasievorstellungen vielfach angenommen wird, zwei Intensit\u00e4tszonen existiren, die gemeinhin durch eine weite unausgef\u00fcllte Kluft von einander geschieden sind; oder wenn von einem gewissen St\u00e4rkegrad an bestimmte Merkmale hinzukommen, die dann das eigentliche Charakteristikum der neuen Classe bilden.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nC. Stumpf.\nDiese zweite Voraussetzung liegt dem engeren Affectbegriff zu Grunde. Nun aber sind die k\u00f6rperlichen Aeufserungen selbst aller m\u00f6glichen Grade f\u00e4hig ; und was die Tr\u00fcbung des Urtheils betrifft, so giebt es sehr intensive Gem\u00fcthsbewegungen, die vielmehr umgekehrt mit einer Steigerung, Erweiterung und Sch\u00e4rfung der Verstandesth\u00e4tigkeit verkn\u00fcpft sind. Wer hat nicht Stunden und Tage furchtbarer innerer Ersch\u00fctterung erlebt, in denen er gleichwohl mit voller Klarheit des Denkens alles \u00fcberschaute, und an deren Einzelheiten er sich bis in sp\u00e4te Zeiten erinnert.\nWir subsumiren also die Gem\u00fcthsaufregungen unter die Gem\u00fcthsbewegungen \u00fcberhaupt und gebrauchen den bequemen Ausdruck \u201eAffect\u201c in diesem weiteren Sinne. Wer indessen den engeren Gebrauch auch f\u00fcr die Psychologie vorzieht, der braucht nur in allem Folgenden \u201eAffect\u201c zu streichen und \u201eGem\u00fcthsbewegung\u201c daf\u00fcr zu setzen. Uebrigens findet man doch auch schon im Lateinischen Affectus sowohl im engeren als weiteren Sinne.\nDie Frage, welche Merkmale die ungeheure Mannigfaltigkeit dieser Zust\u00e4nde unter sich verbinde und von den sonstigen psychischen Zust\u00e4nden unterscheide, ist bekanntlich durch W. James und C. Lange zu einer brennenden geworden. Haupts\u00e4chlich handelt es sich darum, ob und wie sie von den rein sinnlichen Gef\u00fchlen der Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit unterschieden werden k\u00f6nnen. Andererseits kann auch die Abgrenzung gegen\u00fcber den Strebungen und Begehrungen in Frage kommen. Dafs kaum ein Fall in Wirklichkeit eintritt, worin nicht mehrere Saiten unseres Gef\u00fchlslebens zugleich ansprechen, ist ohne Weiteres klar. Aber dies darf uns nicht hindern, durch Vergleichung der F\u00e4lle, in denen bald die eine bald die andere mehr hervortritt, den vollen Klang theoretisch in seine Com-ponenten zu zerlegen.\n\u00a7 2. Unterscheidung der Affecte von den sonstigen\nGef\u00fchlen.\nDie Sprache hat der Psychologie vorgearbeitet. Bei allen Gef\u00fchlszust\u00e4nden, die zweifellos und im eigentlichsten Sinne zu den Affecten gez\u00e4hlt werden, sagen wir, dafs sie sich auf einen Sachverhalt beziehen, \u00fcber den wir uns freuen, \u00e4rgern, erz\u00fcrnen, vor dem wir uns f\u00fcrchten u. s. w. Das heifst: der","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"lieber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n49\nAffect gr\u00fcndet sich auf ein Urtheil. Die sinnliche Annehmlichkeit einer Farbe, eines Geschmackes dagegen wird direct durch den Sinneseindruck hervorgerufen.\nBeim Erwachsenen kn\u00fcpfen sich bekanntlich an Sinnesempfindungen allerlei Vorstellungen und Auffassungen, also Urtheilsth\u00e4tigkeiten, und so geht leicht die blos sinnliche Annehmlichkeit in einen Affect \u00fcber (wenn auch nicht nothwendig, da nicht jedes beliebige Urtheil einen Affect bedingt). Die schwarze Nacht erweckt Todesgedanken, das spriefsende Gr\u00fcn und der Vogelgesang Gedanken des Lebens, der Freiheit, der Verwandtschaft aller Wesen u. dgl. Diese Vorstellungen und Auffassungen brauchen nicht innerlich in Worte gekleidet zu sein, sie k\u00f6nnen \u00fcberhaupt sehr schwach und unbestimmt im Bewufstsein auftreten. Doch wird man sie sich bei darauf gerichteter Reflexion in den meisten F\u00e4llen zum deutlicheren Bewufstsein bringen k\u00f6nnen.\nSie k\u00f6nnen aber auch, nachdem sie fr\u00fcher \u00f6fters da waren und wirkten, sp\u00e4ter g\u00e4nzlich ausfallen und nur in ihren Nachwirkungen fortbestehen. Es kann sich an eine sinnliche Erscheinung beim Erwachsenen direct ein affect\u00e4hnliches Gef\u00fchl, eine freudige oder traurige Wirkung kn\u00fcpfen, die weder in der sinnlichen Erscheinung als solcher, noch in augenblicklich actuell vorhandenen Vorstellungen und Urtheilen wurzelt. Schwarz kann f\u00fcr den erwachsenen Menschen etwas Trauriges haben, auch ohne dafs er schwarze Gedanken damit verbindet In anderen F\u00e4llen ist wenigstens die Intensit\u00e4t der augenblicklichen Gef\u00fchlswirkung aufser Proportion zu dem Bestand an Vorstellungen und Gedanken, es sind vielleicht nur ganz unbestimmte schattenhafte Vorstellungen da, w\u00e4hrend das Gef\u00fchl stark entwickelt auftritt.\nAber das Gef\u00fchl ist in solchen F\u00e4llen auch nicht ganz von derselben Art wie bei den eigentlichen Affecten. Es n\u00e4hert sich dem, was die Sprache als \u201eStimmungen\u201c bezeichnet Die im pr\u00e4gnanten Sinn sogenannten Stimmungen sind Gef\u00fchlszust\u00e4nde von l\u00e4ngerer Dauer, die theils in bestimmten mit Bewufstsein erlebten aber bald wieder vergessenen Anl\u00e4ssen, theils in den Empfindungen der vegetativen Organe wurzeln, und die aus beiden Gr\u00fcnden der willk\u00fcrlichen Beherrschung nur unvollkommen unterworfen sind. Wir k\u00f6nnen sie noch mit zu den Affecten im weiteren Sinn rechnen, weil trotz der starken Be-\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XXI.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"60\nC. Stumpf.\ntheiligung der k\u00f6rperlichen Gemeingef\u00fchle doch allerlei Vorstellungsgebilde , bald unruhig fluctuirende, bald tr\u00e4ge verharrende , und nicht minder auch Urtheilsth\u00e4tigkeiten einen wesentlichen Bestandtheil des Bewufstseinszustandes ausmachen. Die Urtheilsth\u00e4tigkeiten, die Auffassungen des Erlebten, der umgebenden Verh\u00e4ltnisse und Personen, stehen mit den Stimmungen in Wechselwirkung, sie verhalten sich dazu sowohl als Ursache wie als Wirkung. Dem Verdriefslichen erscheint alles in ver-driefslichem Licht, und weil es ihm so erscheint, ist er erst recht verdriefslich.\nDiesen Gef\u00fchlszust\u00e4nden also n\u00e4hern sich die vorhererw\u00e4hnten Gef\u00fchle, die ein Sinneseindruck, der fr\u00fcher in Folge hinzukommender Beurtheilung einen Affect erregte, jetzt ohne solche Beurtheilung erregt. Eine harmlose Farbe, der Ton eines Instrumentes, ein Geruch kann eine Art Stimmung erwecken, die nicht wie die eben geschilderten Stimmungen lange zu verharren braucht, sondern mit dem Sinneseindruck vor\u00fcbergehen kann, einen \u201eNachklang froh- und tr\u00fcber Zeit\u201c, der aber dem Gef\u00fchlscharakter nach mit jenen dauernden Stimmungen verwandt ist.\nOb man nun die Stimmungen und die auf vergessenen Associationen ruhenden Gef\u00fchlszust\u00e4nde mit zu den Affecten rechnet oder davon ausschliefst, ist Sache der willk\u00fcrlichen Festsetzung. Sie sind eben Grenzf\u00e4lle. Man kann die einen mit R\u00fccksicht auf die bei ihnen doch niemals ganz fehlenden in-telleetuellen Bestandteile, die anderen mit R\u00fccksicht auf ihre Herkunft aus fr\u00fcheren intellectuellen Th\u00e4tigkeiten (oder, wenn man will, vermittelst des H\u00fclfsbegriffes unbewufster Vorstellungen und Urtheile) unter den obigen Begriff des Affectes subsumiren. Man kann aber auch eine eigene Classe von Gef\u00fchlen daraus bilden. Das erstere scheint mir rationeller, da die Grenze doch nur eine fliefsende ist und die Qualit\u00e4t dieser Gef\u00fchle den gew\u00f6hnlich so genannten Affecten immer noch verwandt genug erscheint.\nAber unsere Betrachtungen erstrecken sich zweckm\u00e4fsiger Weise zun\u00e4chst nur auf diese eigentlichen Affecte, wie Freude und Leid, Jubel und Aerger, Hoffnung und Furcht, Bewunderung und Verachtung und dergleichen Gef\u00fchle, \u00fcber deren Zugeh\u00f6rigkeit zum Begriff des Affects kein Streit sein kann.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"lieber den Begriff der Gevn\u00fcthsbewegung.\n51\nHalten wir uns an das Merkmal, das wir dem Wink der Sprache folgend als wesentlich erachteten, so k\u00f6nnen wir nicht mit Wundt bereits den eben Geborenen Affecte zuerkennen1, sondern m\u00fcssen f\u00fcr das Zustandekommen eines Affects im eigentlichen Sinne eine gewisse geistige Entwickelung voraussetzen. Doch k\u00f6nnen selbstverst\u00e4ndlich schon nach kurzer Lebenszeit durch einen Sinneseindruck Ged\u00e4chtnifsbilder vorangegangener Eindr\u00fccke erweckt werden und es k\u00f6nnen auch elementare Urtheilsth\u00e4tig-keiten auftreten. Unter \u201eUrtheil\u201c mufs man ja hier nicht das verstehen, was man im Sinne hat, wenn man Jemand ein Urtheil \u00fcber Kunstsachen oder politische Ereignisse zuerkennt, oder auch nur das, was die Logik kategorische oder hypothetische Urtheile nennt, sondern schon die allerersten Anf\u00e4nge unwillk\u00fcrlicher Auffassung und Deutung von Sinneseindr\u00fccken. Die Psychologie wird kaum ohne diese Verallgemeinerung auskommen, mag man auch \u00fcber den besten Ausdruck streiten. Die r\u00e4umliche Orientirung, die Unterscheidung des eigenen von fremden K\u00f6rpern, das Wiedererkennen von Gegenst\u00e4nden, die Auffassung von Aehnlichkeiten und Unterschieden, die Erwartung \u00e4hnlicher F\u00e4lle auf Grund fr\u00fcherer \u2014 alles dies involvirt bereits elementare Urtheilsth\u00e4tigkeit. Sie beginnt also, sobald durch die Sinnesempfindungen die Maschine des geistigen Lebens \u00fcberhaupt in Gang gesetzt ist. Aber Sinnesempfindungen und die von ihnen unzertrennlichen sinnlichen Gef\u00fchle m\u00fcssen eben doch schon da sein, ehe jene beginnen. Sonach werden rein sinnliche Gef\u00fchle auch den Affecten vorangehen.\nRlbot betont neuerdings mit Nachdruck die Priorit\u00e4t der Gem\u00fcthsbewegungen vor aller intellectuellen Th\u00e4tigkeit, da doch alles psychische Leben aus Trieben entspringe.1 Aber was man\n1 Wundt, Vorlesungen \u00fcber die Menschen- und Thierseele *, S. 444.\nDas wesentliche Merkmal des Affects gegen\u00fcber dem blofsen Gef\u00fchl findet Wundt (ib. S. 426, Grundrifs d. Psychol. \u00a7 13) darin, dafs der Affect eine zusammenh\u00e4ngende Reihe von Gef\u00fchlen (Anfangsgef\u00fchl, Ver\u00e4nderung im Vorstellungsverlauf mit Modification des Gef\u00fchls, Endgef\u00fchl) darstellt und intensiv auf das Vorstellungsleben wirkt. Ich w\u00fcfste nicht, wiefern ein Schrecken, der in einer Secunde vorbei sein kann, verschiedene Stadien unterscheiden liefse, vorausgesetzt, dafs wir nur das Psychische daran ins Auge fassen. Andererseits m\u00fcfste ein Zahnschmerz zu den Affecten gez\u00e4hlt werden. Doch will ich ein Mifsverst\u00e4ndnifs meinerseits gern zugeben ; Andere finden sich vielleicht besser in Wundt\u2019s Definitionen zurecht.\n- Th. Ribot, Psychologie des Sentiments, 1896, S. 8f.\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nC. Stumpf.\nTrieb nennt ist zweierlei. Wenn wir Erwachsenen Efstrieb versp\u00fcren, so denken wir dabei etwas. Wir denken ans Essen, meist auch an die Mittel und Wege, dazu zu kommen. F\u00fcr die Anf\u00e4nge des psychischen Lebens k\u00f6nnen wir ein solches Denken und Wissen nicht annehmen, wenn wir nicht mit angeborenen Ideen operiren wollen. Aber wir brauchen es auch nicht anzunehmen. Der sogenannte Nahrungstrieb wird hier nichts weiter sein als ein Unlustgef\u00fchl, an welches bestimmte Bewegungen durch angeborenen physiologischen Mechanismus gekn\u00fcpft sind. Kurz gesagt, der S\u00e4ugling f\u00fchlt nicht Nahrungstrieb sondern Hunger. Wenn wirs Nahrungstrieb nennen, thun wir dies in Folge eines \u201epsychologischen Fehlschlusses\u201c, weil wir wissen, dafs dieses Gef\u00fchl auch beim Kinde zu \u00e4hnlichen Bewegungen und zur S\u00e4ttigung hinf\u00fchrt, wie der Efstrieb, der sich daraus unter Mitwirkung der Erfahrung bei uns entwickelt hat. In sich selbst braucht das Gef\u00fchl nicht wesentlich von dem rein passiven Unlustgef\u00fchl bei einem kalten Bad unterschieden zu sein, auf welches das Kind nur durch Schreien und Strampeln, nicht durch eine dem Sinneseindruck speciell angepafste Bewegungsform reagirt. Also nur die oft beklagte Mehrdeutigkeit des Ausdruckes \u201eTrieb\u201c kann hier irref\u00fchrend wirken. Mit Bewegungen verkn\u00fcpfte sinnliche Unlustgef\u00fchle sind etwas Urspr\u00fcngliches, von allem Anfang an Vorhandenes, Affecte und Begehrungen aber sind etwas Erworbenes.\nPbeyer statuirt eine erbliche Furchtsamkeit und ist \u00fcberzeugt, dafs bei vielen Kindern bestimmte Eindr\u00fccke (Hunde, Katzen, Dunkelheit u. s. f.) Furcht erwecken, ehe Vorstellungen der Gef\u00e4hrlichkeit sich damit verbinden. Noch ausgepr\u00e4gter finde sieh dieser Zug bei Thieren.1 Es mag mit den Erscheinungen seine Richtigkeit haben. Aber beweisen sie das Vorhandensein dessen, was wir Furcht nennen? Giebt es eine Furcht ohne die geringste Idee einer Gefahr? Wird es sich nicht einfach um angeborene Reflexmechanismen handeln, die durch bestimmte Sinneseindr\u00fccke ausgel\u00f6st werden, ohne Dazwischenkunft irgend eines Affectes? Den Thieren sind solche Reflexe in grofser Zahl angeboren, den Menschen auch nicht wenige ; und es k\u00f6nnen dabei aufser denen, die allen Individuen einer Art eignen, auch\n1 Preyer, Seele des Kindes *, 6. Cap., S. 127 f. Vgl. \u00fcber die Furcht junger Thiere Mosso, Die Furcht, S. 204.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"\u00fceher den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n53\nindividuelle Besonderheiten Vorkommen, namentlich aber starke graduelle Unterschiede. So d\u00fcrften Bewegungen, die sich in fr\u00fcheren Generationen an wirklich schreckenerregende Gegenst\u00e4nde kn\u00fcpften, bis zu einem gewissen Grade reflexartig und erblich geworden sein; weshalb es auch vorkommt, dafs wir zusammenfahren, ehe wir noch eigentlich erschrecken. Auch die Bewegungen, aus denen Preyer auf ein \u201eErstaunen\u201c in fr\u00fchester Kindheitszeit schliefst, sind wohl als eine abgeschw\u00e4chte Form derselben Reflexe aufzufassen.1\nAus der Beobachtung, dafs junge Jagdhunde, die nie vorher einen Flintenschufs geh\u00f6rt, beim ersten Mal losst\u00fcrzen, um die Beute zu apportiren, auch wenn sie keine fallen sahen, hat Exner geschlossen, dafs seit der Erfindung des Schiefspulvers \u201edas Ged\u00e4chtnifsbild des Schusses und seiner Folgen\u201c in das Jagdhundegehim erblich \u00fcbergegangen sei.2 Und warum dann nicht auch der Affect der Jagdlust ? \u2014 Aber gewifs meint Exner selbst nicht, dafs der Hund Lautvorstellungen vor allem H\u00f6ren besitze, sondern nur, dafs, wenn bestimmte Lauteindr\u00fccke das Gehirn treffen, sie daselbst Reflexbahnen zu bestimmten motorischen Centren hin vorfinden. Und dazu ist dann auch die Da-zwischenkunft eines Urtheils und eines Affects nicht n\u00f6thig. Nur directe rein sinnliche Lustgef\u00fchle m\u00f6gen sich an die Bewegungen kn\u00fcpfen. Erst sp\u00e4ter wird der Affect in gleichem Falle hinzutreten und aus der Lust eine Begierde werden.\nWir haben zun\u00e4chst von Affecten gesprochen, denen Sinneseindr\u00fccke unter Vermittelung intellectueller Th\u00e4tigkeiten zu Grunde hegen oder die sich auf Gegenst\u00e4nde der Wahrnehmung beziehen. Selbstverst\u00e4ndlich werden aufser den Sinnesempfindungen allm\u00e4hlich auch blofse Vorstellungsinhalte Gegenstand von Affecten. Der Tr\u00e4umende leidet und freut sich, hofft und z\u00fcrnt, und der Wachende thut es ohne Zusammenhang mit den augenblicklichen Sinneswahrnehmungen, wenn entsprechende Vorstellungen durch den Lauf der Associationen herbeigef\u00fchrt werden.\n1 Material und Betrachtungen \u00dcber die bez\u00fcglichen Erscheinungen bei Sully, Untersuchungen \u00fcber die Kindheit, deutsch 1897, S. 178 f. Auch 8\u00fclly lftfst eine eigentliche Furcht nur auf Grund gewisser intellectueller Bethfttigungen entstehen.\n* Exweb in Herbcann\u2019s Handbuch der Physiologie II, 2, S. 282.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nC. Stumpf.\nWir haben ferner zun\u00e4chst nur im Allgemeinen Urtheile als wesentliche Voraussetzungen und Bestandtheile des Affectzu-standes bezeichnet und die Art dieser Urtheile absichtlich unbestimmt gelassen. Sie ver\u00e4ndert sich denn auch im Laufe des Lebens und mit ihr die Beschaffenheit der Affecte. Anf\u00e4nglich ist nat\u00fcrlich nur die f\u00f6rderliche oder sch\u00e4dliche Beziehung zu den eigenen (vorsichtiger gesagt, zu den dem Kind allein bekannten) Lebensth\u00e4tigkeiten Gegenstand der Auffassung und des Affects, und zwar nur die Beziehung zu den gegenw\u00e4rtigen Lebensth\u00e4tigkeiten. Allm\u00e4hlich tritt Vergangenheit und Zukunft in die Sph\u00e4re der Auffassung, es bilden sich Erwartungen, Erinnerungen, und damit erweitert sich entsprechend die Sph\u00e4re der Gem\u00fcthsbewegungen. Aufser den Beziehungen der Gegenst\u00e4nde zum eigenen Leben werden dann auch die zum fremdem Leben in den Gef\u00fchlskreis aufgenommen. Soviel diese sympathischen Affecte sonst zu denken geben, bieten sie doch f\u00fcr die Definition des Affects keine weitere Schwierigkeit.\nWir wollen dahingestellt lassen, ob die Entwickelung des psychischen Lebens auch zu Affecten f\u00fchren kann, deren Gegenstand ohne jede Beziehung weder zum eigenen noch zum fremden Leben vorgestellt wird. Der Sublimationsprocefs mag vielleicht auch soweit gehen. Immer ist doch das Gemeinschaftliche, dafs eine gegenw\u00e4rtige, vergangene oder k\u00fcnftige Thatsache als solche erkannt oder vorgestellt sein mufs, wenn ein Affect entstehen soll, und dafs die Beschaffenheit des Affects von der Art, wie unserem Denken diese Thatsache erscheint, in erster Linie abh\u00e4ngt.\nNicht sofort ordnen sich die \u00e4sthetischen Affecte unter den angegebenen Gesichtspunkt Soviel ist zwar einleuchtend und zugestanden, dafs Empfindungen abgesehen von allen assoeiirten Vorstellungen und Gedanken nicht \u00e4sthetisch wirken. Erst wenn Empfindungen und namentlich Combinationen von Empfindungen von einem sei es noch so wenig entwickelten \u201ebeziehenden Denken\u201c umsponnen werden, beginnt auch das \u00e4sthetische F\u00fchlen. Aber l\u00e4fst sich behaupten, dafs ein \u00e4sthetischer Affect die Beurtheilung irgend eines Sachverhalts, einer Thatsache voraussetze?\nWenn man den Kunstgenufs als eine Art Hypnotisirung beschreibt, wenn man verlangt, dafs der Geniefsende die dargestellten Begebenheiten f\u00fcr wirklich nehme, seine Pers\u00f6nlichkeit","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n55\nzeitweilig mit derjenigen der bandelnden oder gemalten Individuen vertausche \u2014 dann freilich 1 Aber eben diese Ansicht vom Wesen des Kunstgenusses w\u00fcrde ich als eine total verkehrte betrachten* Mit einem solchen Grade der Illusion h\u00f6rt die Kunst auf und beginnt die Geisteskrankheit\nZwei Quellen haupts\u00e4chlich sind an \u00e4sthetischen Gem\u00fctsbewegungen betheiligt : die unersch\u00f6pfliche F\u00fclle der dem wahren Kunstwerk innewohnenden formellen Beziehungen aller Theile aufeinander, die unsere geistigen Kr\u00e4fte in intensiver und doch m\u00fcheloser Weise besch\u00e4ftigen, und die Eigenschaften des dargestellten Sachverhaltes. Das aus der leichten Bet\u00e4tigung unserer intellectuellen Kr\u00e4fte fliefsende Lustgef\u00fchl w\u00fcrde ich nicht schon als einen Affect bezeichnen, da es eben so unmittelbar an diese Bet\u00e4tigung gekn\u00fcpft ist wie die sinnliche Annehmlichkeit an die sinnlichen Empfindungen. Aber es geht sogleich in einen Affect, in das Entz\u00fccken \u00fcber das Kunstwerk \u00fcber, sobald die empfangene F\u00f6rderung unserer geistigen Lebens-th\u00e4tigkeit (oder, was dasselbe ist, die Mannigfaltigkeit der nunmehr einheitlich \u00fcberschauten Beziehungen) Gegenstand des Be-wufstseins wird. Und dieser Affect ordnet sich offenbar unter den aufgestellten allgemeinen Begriff. Was aber die aus der inhaltlichen Seite des Kunstwerkes fliefsenden Gem\u00fctsbewegungen angeht, so l\u00e4fst sich ein dargestellter Sachverhalt in Worten allerdings nur bei den redenden und bildenden K\u00fcnsten, und da nicht immer, angeben. Die von der absoluten Musik in uns angeregten Vorstellungen in Bezug auf die Verkn\u00fcpfung und Aufeinanderfolge von Ereignissen \u00fcberhaupt lassen sich nicht mit Bestimmtheit in Worte \u00fcbersetzen. Dennoch ist der Unterschied nur graduell, und die Frage bleibt nur, wiefern sich sagen l\u00e4fst, dafs die mit den assoeiirten Vorstellungen verbundenen Gem\u00fctsbewegungen auf einer Erkenntnifs oder Beurteilung ruhen. Die Antwort wird sein, dafs wir den dargestellten Sachverhalt zwar nicht als einen momentan wirklichen aber als einen m\u00f6glichen, im Bereich des menschlichen Erlebens liegenden erkennen. Bei den fabelhaftesten Erfindungen der Phantasie m\u00fcssen wenigstens gewisse Z\u00fcge charakteristisch an Erfahrungen anklingen. Je weniger dies der Fall ist, um so weniger werden sie uns packen. Wenn wir Wahrheit in der Wissenschaft, im Leben, in der Kunst verlangen, ist es zwar Wahrheit in nicht genau gleichem Sinn; aber in allen F\u00e4llen liegt darin der Hin-","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"66\nC. Stumpf.\nweis auf die Beth\u00e4tigung unseres Urtheilsverm\u00f6gens ausgesprochen. Dies mag einstweilen gen\u00fcgen, da uns polemische Auseinandersetzungen doch noch einmal auf die Kunstgef\u00fchle zur\u00fcckf\u00fchren werden.\nVon den Begehrungen scheiden wir die Affecte dadurch, dafs diese auf ein Seiendes (bez. Gewesenes, K\u00fcnftiges), jene auf ein Seinsollendes gehen \u2014 diesen Ausdruck nicht blos im engeren ethischen sondern im allgemeinsten Sinne verstanden. Auch ein Affect, der auf Zuk\u00fcnftiges gerichtet ist, wie die Hoffnung, ist noch nicht ein Begehren. Dem \u201eEs wird sein\u201c und dem \u201eEs soll sein\u201c entspricht ein verschiedener Gem\u00fcths-zustand. Ob man freilich das Seinsollende selbst anders als dadurch definiren kann, dafs es der Inhalt eines Begehrens ist, kann wohl gefragt werden. Es d\u00fcrfte hier ein letzter Unterschied vorliegen, den wir nur beobachten und dann durch den einen wie den anderen Ausdruck gleich gut bezeichnen k\u00f6nnen. Schon bei Aristoteles wird man bald \u00e0ya&6v durch \u00f4\u00e7exz\u00f4v, bald umgekehrt \u00e0\u00e7ext6v durch \u00e0yad-\u00e0v erkl\u00e4rt finden, ohne dafs doch eine Cirkeldefinition hierin zu erblicken ist.\nWollen wir also die Abgrenzung der Affecte von den Begehrungen mit in der Definition ber\u00fccksichtigen, so werden wir Bagen, der Affect sei ein passiver Gef\u00fchlszustand, der sich auf einen beurtheilten Sachverhalt bezieht. Passiv nat\u00fcrlich nicht in dem Sinn, dafs er keine physische oder psychische Wirkung h\u00e4tte, sondern als Bezeichnung f\u00fcr die nicht weiter beschreibliche Eigenth\u00fcmlichkeit, dafs er auf Seiendes (ev. Gewesenes, K\u00fcnftiges), nicht aber auf Seinsollendes gerichtet ist\nUebrigens kommt die Unterscheidung der Affecte von den Begehrungen f\u00fcr das Folgende nicht wesentlich in Betracht; wir wollen nicht dagegen streiten, wenn einer in dieser Beziehung nur eine fliefsende oder gar keine Abgrenzung zugiebt, und werden gelegentlich selbst auch Beispiele aus dem Gebiet des Begehrens heranziehen, schon darum weil die zu behandelnden Fragen in gleicher Weise auch f\u00fcr Begebrungen gelten. Die Hauptfrage betrifft vorl\u00e4ufig die Abgrenzung nach der Seite der rein sinnlichen Gef\u00fchle der Annehmlichkeit und Unannehmlichkeit.\nDer Begriff der Leidenschaft endlich scheidet sich von den bisherigen dadurch, dafs es sich um habituelle Zust\u00e4nde","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"(Jeher den Begriff der Gem\u00fctJisbetoegung.\n57\nhandelt, um erworbene Dispositionen des F\u00fchlens oder Begehrens nach einer bestimmten Seite hin. Meistens sind es habituelle Richtungen des Begehrens, die man so nennt, doch auch Neigungen zu passiven Gef\u00fchlsaufregungen der sog. stheni-schen Art (wie Zorn). Die Neigung zu asthenischen Affecten (wie Furcht) oder zu Affecten geringer Intensit\u00e4t pflegt man allerdings nicht als Leidenschaft zu bezeichnen, obschon die Disposition als solche auch in letzterem Fall stark, d. h. mit unfehlbarer Sicherheit wirksam sein kann ; wie bei Idiosynkrasien. Der Sprachgebrauch ist eben hier wieder mehr praktischen als wissenschaftlichen Bed\u00fcrfnissen angepafst. Wir m\u00fcssen aber irgend eine bestimmtere Formulirung vornehmen, wenn ein wissenschaftlicher Begriff herauskommen soll; und da scheint mir die obige Fassung immer noch die zweckm\u00e4fsigste.\nDie hier \u00fcber den Affectbegriff gegebenen Bestimmungen machen \u00fcberhaupt keinen Anspruch auf Neuheit, decken sich vielmehr im Wesentlichen mit der gew\u00f6hnlichen Anschauung von der Sache, wenn man auch \u00fcber die genauesten Ausdr\u00fccke zur Formulirung des Begriffs verschieden denken kann. Die gebr\u00e4uchlichen Untereintheilungen des so umschriebenen Affect-begriffs beruhen ebenfalls fast allgemein auf der Durchf\u00fchrung des Hauptmerkmals: man unterscheidet Affecte, die auf Gegen* w\u00e4rtiges, Vergangenes, K\u00fcnftiges, auf F\u00f6rderliches, Sch\u00e4dliches, auf Eigenes, Fremdes gehen u. s. f. Aufserdem wird allerdings noch die St\u00e4rke des Gef\u00fchls, die begleitenden k\u00f6rperlichen Erscheinungen und anderes herangezogen, wie denn nat\u00fcrliche Classificationen auch sonst niemals mit einer einzigen Kategorie von Merkmalen bestritten werden.\nDie eigenth\u00fcmliche Qualit\u00e4t eines bestimmten Affects, das was f\u00fcr unser Bewufstsein sein innerstes Wesen ausmacht, l\u00e4fst sich \u00fcberhaupt nicht definiren. Die exakteste und vollst\u00e4ndigste Definition kann nur gewisse regelm\u00e4fsig damit verkn\u00fcpfte Kennzeichen angeben, aber sie kann nicht einem, der den Zustand niemals erlebt h\u00e4tte, deutlich machen, was unter den angegebenen Umst\u00e4nden durch das Labyrinth seiner Brust wandeln w\u00fcrde. Und dies gilt nicht blos von den einzelnen Affecten sondern nat\u00fcrlich ebenso von der allgemeinen Definition des Affects \u00fcberhaupt.\nWir w\u00fcrden deshalb nichts Wesentliches einzuwenden haben, wenn man das angegebene Merkmal, welches Affectgef\u00fchle von","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nC. Stumpf.\nsinnlichen Gef\u00fchlen scheidet, nur als ein \u00e4ufserliches Merkmal gelten liefse, das nichts von der dem Affect eigenth\u00fcmlichen W\u00e4rme und Farbe erkennen l\u00e4fst Wir w\u00fcrden h\u00f6chstens erwidern, dafs ein inneres Merkmal, das solches leistete, \u00fcberhaupt nicht in Worten angebbar, sondern nur erlebbar ist. Wer so definiren will, kann nur sagen: Neid ist Neid und Wohlwollen ist Wohlwollen, schaut in Euch!\nDagegen w\u00fcrde ich nicht zugeben, dafs die intellectuellen Functionen nur zu den Entstehungsbedingungen der Affecte geh\u00f6ren, ohne diesen selbst immanent zu sein. Der Neid schliefst die Vorstellung und Beurtheilung des bez\u00fcglichen Gutes als eines dem Nebenmenschen geh\u00f6rigen in sich ein und besteht nur solange diese intellectuellen Elemente bestehen; sie geh\u00f6ren zu seiner Substanz. F\u00e4llt die Vorstellung hinweg oder \u00e4ndert sich die Beurtheilung, so f\u00e4llt der Affect oder \u00e4ndert sich, m\u00f6gen auch Nachwirkungen und sinnliche Nachempfindungen in vielen F\u00e4llen Zur\u00fcckbleiben.\n\u00a7 3. Sensualistische Auffassung Ribot\u2019s.\nDie zuletzt erw\u00e4hnten Bed\u00fcrfnisse, die innere Natur des Affects greifbarer als bisher zu bezeichnen, waren es wohl, welche in neuerer Zeit sensualistischen Theorien Anklang verschafften. Wenn wir h\u00f6ren, dafs die Freude in einem Gef\u00fchl lebhafterer Blutcirculation, der Neid in einem gewissen sinnlichen Jammergef\u00fchl , der Zorn in allgemeinem Aufruhr der inneren und \u00e4ufseren Organe bestehe, so glauben wir bei solchen Definitionen viel lebendiger die Affecte in uns zu versp\u00fcren, als wenn wir sie noch so umst\u00e4ndlich durch ihre intellectuellen Grundlagen definiren : \u2014 freilich nur, nachdem wir die Bedeutung jener Ausdr\u00fccke schon genugsam aus dem Leben kennen und nun die erw\u00e4hnten sinnlichen Merkmale noch dazu denken. Aber auch das allgemeine wissenschaftliche Bed\u00fcrfnifs m\u00f6glichster Reduction der specifischen Verschiedenheiten dr\u00e4ngt immer wieder dahin, statt mehrerer Classen von qualitativ verschiedenen Gef\u00fchlen nur eine einzige zu statuiren, also Affecte und sinnliche Gef\u00fchle unter Einen Gesichtspunkt zu bringen.\nDer n\u00e4chstliegende Versuch in dieser Hinsicht w\u00fcrde der sein, alle Affecte als Arten von Lust und Schmerz zu erkl\u00e4ren und alle Arten von Lust und Schmerz auf die sinnlichen Gef\u00fchle gleichen Namens zur\u00fcckzuf\u00fchren.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"lieber den Begriff der Gemiithebeicegung.\n59\nDiese Auffassung hat neuerdings besonders an Ribot in seiner umfassenden Gef\u00fchlslehre einen gewandten Vertheidiger gefunden. Er unterscheidet die Affecte (\u00e9motions) nur als com-plicirtere Zust\u00e4nde von den sinnlichen Gef\u00fchlen. Als Theil-zust\u00e4nde, die in den Complex eines Affectes eingehen, f\u00fchrt er auf: Bewegungen, organische Ver\u00e4nderungen (in der Blut-circulation etc.), und einen angenehmen, unangenehmen oder gemischten Be wufstseinszustand, der je nach der Beschaffenheit der Emotion verschieden ist.1 Bewegungen und organische Ver\u00e4nderungen kn\u00fcpfen sich nun auch an sinnliche Schmerzen und L\u00fcste : insoweit kann also der Unterschied nur graduell sein, etwa nach Intensit\u00e4t, Ausbreitung, Mannigfaltigkeit der Reactionen. Und was den dritten Theil, den Bewufstseinszustand angeht, so betont Ribot hier selbst mit Nachdruck die Wesensgleichheit, indem er auf die Ueberg\u00e4nge zwischen den direct sinnlichen und den subtilsten, scheinbar ganz vergeistigten Gef\u00fchlen hinweist (S. 43 f., 55 f.). Ein sinnlicher Schmerz, dessen wir uns nur erinnern, n\u00e4hert sich schon dem Affect. Stellen wir ihn als k\u00fcnftig vor, erwarten wir ihn, so unterscheidet sich diese Erwartung eines unangenehmen Gef\u00fchls, wenn sie einigermaafsen lebendig wird, kaum mehr von der Furcht, die ein Affect im eigentlichen Sinn ist.\nNun ist unbestreitbar, dafs durch fortgesetzte Ver\u00e4nderung der intellectuellen Grundlagen (Empfindung, Vorstellung, Urtheil) auch die Gef\u00fchle in einander \u00fcbergehen, dafs aus dem Zahnweh Furcht vor dem Zahnweh entsteht, sobald man die Wiederholung des Falles als -wahrscheinlich erkennt. Die Frage ist nur, ob der Uebergang ein ganz stetiger ist, und ob man die Abstufungen als unwesentliche Ver\u00e4nderungen ansehen kann.\nEs ist die n\u00e4mliche Frage wie bei den intellectuellen Ver\u00e4nderungen selbst, auf denen die Gef\u00fchlsver\u00e4nderungen ruhen. Bekanntlich ist \u00fcber die Wesensgleichheit der Empfindungen und der blofsen Vorstellungen noch Streit. Und was das Urtheil betrifft, so stimmen wohl die meisten gegenw\u00e4rtigen Psychologen darin \u00fcberein, dafs es nicht in blofse Vorstellungen aufl\u00f6sbar ist. Dennoch leugnet Niemand, dafs Vorstellungen aus Empfindungen und Urtheile auf Grund von Vorstellungen entstehen, und dafs alle zusammen noch genug Verwandtschaft zeigen, um sie\n1 Th. Bibot, Psychologie des Sentiments, 1896, 8. 12, 92 f.","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nC. Stumpf.\netwa unter dem Namen der intellectuellen Zust\u00e4nde zusammenzufassen.\nNicht anders scheint es mir hinsichtlich der Gef\u00fchlszust\u00e4nde zu stehen, die sich an diese intellectuellen Zust\u00e4nde kn\u00fcpfen. Das Zahnw eh und der Aerger \u00fcber dasselbe oder die Furcht vor seiner Wiederkehr sind nicht verschiedener, aber doch eben so sicher von einander zu unterscheiden, wie die Anschauung zweier Bewegungen und das Urtheil, dafs die erste schneller als die zweite oder die Ursache der zweiten ist.\nEin in der Erinnerung wiederkehrendes Zahnweh w\u00fcrde ich allerdings unter einer bestimmten Voraussetzung f\u00fcr wesensgleich mit einem augenblicklichen Originalzahnweh halten: dann n\u00e4mlich, wenn sich die Erinnerung nicht auf blos \u00e4ufserliche Merkmale beschr\u00e4nkte, sondern einen leisen Anfang des wirklichen Schmerzes, eine keimende Hallucination enthielte. Sobald aber unwillk\u00fcrliche Reflexionen sich dazu gesellen, \u2014 was bei dem erwachsenen Menschen immer der Fall sein wird, wenn das erinnerte Gef\u00fchl einigermaafsen sein Bewufstsein in Anspruch nimmt \u2014, dann kommt auch sofort zu dem blos sinnlichen Gef\u00fchl der Affect hinzu.\nSo mag auch die Furcht eine Hallucination erzeugen; aber man wird daraus nicht schliefsen d\u00fcrfen, dafs die Furcht vor Zahnschmerz nur eine schw\u00e4chere Form des Zahnschmerzes ist, ebensowenig als man die Hoffnung, dafs er nicht wiederkehre, nur als eine schw\u00e4chere Form des angenehmen Gef\u00fchls beim Gebrauch gesunder Kauwerkzeuge definiren kann.\nWenn die Sprache den Ausdruck \u201eSchmerz\u201c f\u00fcr sinnliche und geistige Schmerzen gebraucht, so ist damit die qualitative Gleichheit der Zust\u00e4nde ebensowenig bewiesen, wie wenn wir mit \u201eGeschmack\u201c einerseits die F\u00e4higkeit, S\u00fcfs und Sauer zu unterscheiden, andererseits die F\u00e4higkeit des Kunsturtheils bezeichnen. Die Sprache wird auch durch blofs Analogien zu gleichen Ausdr\u00fccken gef\u00fchrt.\nDie Aussicht auf definitive Verst\u00e4ndigung ist in diesen Dingen der inneren Beobachtung allerdings nicht allzugrofs. Man m\u00f6chte es fast als eine Sache des wissenschaftlichen Temperaments ansehen, ob einer bei solchen Vergleichungen mehr auf die Aehnlichkeiten oder mehr auf die Unterschiede Gewicht legt. Etwas derartiges spielt gewifs bei dem Gegensatz der nati-vistischen und empiristischen Richtung in der Psychologie immer","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fcthsbeicegung.\n61\nmit Dennoch sind auch methodologische Verschiedenheiten in der Richtung der Untersuchungen beiderseits im Spiele, die man recht wohl objectiv gegen einander ab w\u00e4gen kann. Bei der entwickelungsgeschichtlichen Forschung kommt es auf die Aehnlichkeiten, bei der descriptiven auf die Unterschiede vor allen Dingen an. Deswegen darf uns, wenn es sich um die Definition des Affectes handelt, der Hinweis auf Aehnlichkeiten, Analogien, Verkn\u00fcpfungen, Entwickelungen nicht bestechen. Alle beschreibende und analysirende Psychologie w\u00fcrde sonst unm\u00f6glich werden. Und sie ist und bleibt doch auch die Voraussetzung der genetischen.\nWenn wir nun nicht einmal in Hinsicht solcher Affecte, die sich direct auf sinnliche Lust und Unlust beziehen, die Wesensgleichheit mit dieser selbst zugeben k\u00f6nnen, so k\u00f6nnen wir es um so weniger bei den sonstigen Affecten. Wir wollen hier auf Ribot\u2019s ausf\u00fchrliche Analyse der einzelnen Gem\u00fcthsbewegungen, zumal der intellectuellen, religi\u00f6sen, \u00e4sthetischen, nicht ebenso ausf\u00fchrlich erwidern. Sie enth\u00e4lt sehr viel Zutreffendes, aber auch starke Einseitigkeiten, auf die wir sp\u00e4ter zur\u00fcckkommen. Hier sei nur hingewiesen auf eine Verlegung des Schwerpunkts der Theorie, die dabei stattfindet.\nEs ist klar, dafs die \u201eSublimation\u201c der Affecte, wie sie Ribot hier beschreibt, keineswegs nothwendig eine Schw\u00e4chung involvirt Die Lebhaftigkeit der sinnlichen Vorstellungen und demgem\u00e4fs auch der sinnlichen Gef\u00fchle mag schw\u00e4cher und schw\u00e4cher werden mit der Zunahme der intellectuellen Elemente : aber der Affect wird dabei nicht nothwendig schw\u00e4cher. Man kann sich h\u00f6chst intensiv \u00fcber die Bekehrung eines S\u00fcnders, \u00fcber einen guten Richterspruch, \u00fcber einen Sieg der heimischen Waffen, \u00fcber die Entdeckung eines allgemeinen Naturgesetzes oder einer alten Handschrift freuen, ohne dafs die Erscheinungen, die einem dabei vorschwTeben, von heftiger sinnlicher Annehmlichkeit begleitet w\u00e4ren. Dies versteht sich nat\u00fcrlich auch f\u00fcr Ribot. Von solcher Art sind aber f\u00fcr den cultivirten Menschen weitaus die meisten Gem\u00fcthsbe-wegungen; w\u00e4hrend diejenigen, deren Gegenstand selbst ein sinnliches Gef\u00fchl ist, nur eine vereinzelte Classe darstellen.\nHier steht nun ein anderer Weg f\u00fcr die sensualistische Theorie offen, welchen denn auch Ribot beschreitet, ohne aber, wie mir scheint, den Richtungswechsel in der Erkl\u00e4rungsweise","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nC. Stumpf.\ngen\u00fcgend zu betonen. Man wird nicht auf die blassen und fragw\u00fcrdigen Ueberreste vergangener sinnlicher Gef\u00fchle Gewicht legen, sondern auf die kr\u00e4ftigen Organgef\u00fchle, die in Folge der augenblicklich stattfindenden sogenannten Begleiterscheinungen des Affectes gegeben sind. Die wohlthuende Wirkung eines alten Pergaments auf das Auge ist sehr geringf\u00fcgig, und somit auch die Gef\u00fchlswirkung, die mit der optischen Phantasievorstellung davon verkn\u00fcpft ist; ebenso ist auch alles was sich sonst an diese Vorstellung kn\u00fcpft, der Gedanke an neue Lesarten, an die Entscheidung \u00fcber eine aufgestellte Conjectur, \u00fcber eine literarische Fehde \u2014 das ist alles nicht in sich selbst sinnlicher Art. Aber es kann Herzklopfen erregen, und in diesem Herzklopfen kann hier das Wesen der Freude gesucht werden.\nDann m\u00fcssen wir consequent auch die Furcht vor Zahnweh nicht definiren als ein dem Zahnweh wesensgleiches, nur schw\u00e4cheres Gef\u00fchl, sondern vielmehr als das Gef\u00fchl des Zitterns, der Abgeschlagenheit u. dgl., welches in voller urspr\u00fcnglicher Intensit\u00e4t augenblicklich vorhanden sein kann, w\u00e4hrend das Zahnwehgef\u00fchl nur in der Erinnerung gegeben ist. Das zweite hat mit dem ersten keine Verwandtschaft, kann dagegen in gleicher Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t vorhanden sein bei der Furcht vor irgendwelchen sonstigen Gegenst\u00e4nden und Ereignissen.\nAffecte unterscheiden sich dann also nicht so von sinnlichen Gef\u00fchlen wie Vorstellungsgef\u00fchle von Empfindungsgef\u00fchlen, und sind nicht blofse Nachbilder oder Nachwirkungen der letzteren, sondern sie sind selbst Empfindungsgef\u00fchle, und zwar diejenigen, die an die Th\u00e4tigkeit der inneren Organe und etwa auch der Muskulatur gekn\u00fcpft sind. Indem Ei bot bei der Analyse der Gem\u00fcthsbewegungen auf diesen Factor, der auch in seiner obigen Definition des Affects bereits vorgesehen ist, das entscheidende Gewicht legt, lenkt er in die Bahnen von James und Lange und vers\u00e4umt nicht, dies selbst hervorzuheben. Wir d\u00fcrfen aber nicht vergessen, dafs die vorher besprochene Beweisf\u00fchrung f\u00fcr die sensualistische Lehre aus den allm\u00e4hlichen Ueberg\u00e4ngen zwischen einem wirklichen Schmerz und der Furcht vor seiner Wiederkehr mit dieser Form der sensualistischen Lehre nichts zu thun hat, dafs die Lehre in dieser Form durch jenen Gedankengang, wenn er richtig w\u00e4re, nicht bewiesen, aber auch nicht, wenn er falsch ist, durch den Nachweis seiner Falschheit widerlegt w\u00e4re. Sie bedarf einer selbst\u00e4ndigen Erw\u00e4gung.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"lieber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n63\n\u00a7 4. Die sensualistische Theorie von James und\nLange.1\nDer Kern dieser Lehre ist einfach genug: Das Wesen des Affects besteht in den peripherischen k\u00f6rperlichen Vorg\u00e4ngen, die man sonst als Ausdrucksbewegungen, Reactionen, Begleiterscheinungen auffafste ; genauer gesprochen (da der Affect doch etwas Psychisches ist) in den Sinnesempfindungen und sinnlichen Gef\u00fchlen, die wir von diesen peripherischen k\u00f6rperlichen Vorg\u00e4ngen haben. Das Zusammenfahren ist der Schrecken, das Weinen der Kummer, das Err\u00f6then die Scham ; genauer wiederum : die Empfindung des Zusammenfahrens und aller sonst damit verkn\u00fcpften Ver\u00e4nderungen in den Blutgef\u00e4fsen, Athmungs- und Herzbewegungen u. s. f. ist der Schrecken ; die Empfindung des Thr\u00e4nenflusses, der Appetitlosigkeit u. s. f. ist der Kummer ; das Gef\u00fchl heifser Wangen, niedergeschlagener Augen u. s. f. ist die Scham.\nUm die These weniger paradox erscheinen zu lassen, wird daran erinnert, dafs die gew\u00f6hnlich aufgez\u00e4hlten augenf\u00e4lligen Ver\u00e4nderungen nur die gr\u00f6bsten Erscheinungen umfassen, w\u00e4hrend sich damit noch eine Mannigfaltigkeit innerer peripherischer Ver\u00e4nderungen verbindet (peripherisch im Gegensatz zu den Gehirnvorg\u00e4ngen), die selbst dem Physiologen noch lange nicht alle genauer bekannt sind, deren Summe sich aber doch in der Form des sog. Gemeingef\u00fchls unserem Bewufstsein merklich macht 0. Lange fafst die vasomotorischen Th\u00e4tigkeiten als die wesentlichsten f\u00fcr die Definition und Beschreibung der Affecte, James dagegen die vegetativen Processe der inneren Organe und die ihnen entspringenden \u201evisceral sensations\u201c (Empfindungen der Athmungs-, Herz-, Magen-, Darmth\u00e4tigkeit u. dgl.).\nMacht man bei diesen Organempfindungen noch einen Unterschied zwischen der Empfindung selbst und ihrem \u201eGef\u00fchlston\u201c, z. B. der Hungerempfindung und der Unannehmlichkeit dieser Empfindung, so versteht es sich wohl von selbst und ist von James zuletzt auch noch besonders hervorgehoben, dafs f\u00fcr die Natur des Affects der Gef\u00fchlston das Ausschlaggebende ist.\n1 W. James, What is an emotion? Mind 1884. Principles of Psychology II, 442 f. (1890). The physical basis of emotion, Psychological Review I (1894), S. 516 f. C. Lange, Ueber Gem\u00fcthsbewegungen 1885 (deutsch zuerst 1887).","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nC. Stumpf.\nAber dieses Gef\u00fchl ist eben ein durchaus sinnliches \u2014 darauf kommt es an.\nWenn ein \u00e4ufserer Eindruck, eine Nachricht, ein gesehener Gegenstand in uns R\u00fchrung oder Freude erweckt, so sind hiernach im Bewufstsein gegeben: 1. die Empfindungen der Augen oder Ohren (nennen wir sie \u00e4ufsere Empfindungen, Ea) und die daran durch Association gekn\u00fcpften Vorstellungen (F)1, 2. die Organempfindungen (E0). Diese letzteren s i n d der Affect, w\u00e4hrend sie ihn nach der \u00e4lteren Auffassung nur begleiten.\nCausal w\u00e4re der Hergang dieser: 1. wird vom Sinnesorgan (SO) aus das Centrum des bez\u00fcglichen Sinnes und die erworbenen Associationsmechanismen (SC + VC) in Th\u00e4tigkeit versetzt;\n2.\twird die Erregung durch theils angeborene theils erworbene Verbindungen zu den Centren der vegetativen Organe geleitet, welche Centren haupts\u00e4chlich im verl\u00e4ngerten Mark liegen (OC);\n3.\twerden hierdurch die vegetativen Organe selbst (FO) in ihrer Th\u00e4tigkeit beeinflufst ; 4. gehen von da wieder durch centripetale Leitung sensible Nervenprocesse ins Centrum, und wir wollen der Einfachheit halber uns vorstellen, dafs sie auf gleichem Wege zu dem gleichen Centralorgan zur\u00fcckgehen und dortselbst die Processe hervorrufen, die den Organempfindungen zu Grunde liegen. Richtig ist dies schwerlich, wenn anders nur die Gro\u00dfhirnrinde Empfindungen vermittelt ; aber da wir \u00fcber die Centren der Organempfindungen vorl\u00e4ufig nichts N\u00e4heres wissen, sei die Vereinfachung gestattet. Folgendes Schema dient hiernach zur Versinnlichung :\n1 Diese associirten Vorstellungen hatte James zuerst anscheinend ignorirt und mufste sich in Folge dessen die st\u00e4rksten Unm\u00f6glichkeiten Vorhalten lassen, w\u00e4hrend Lange sogleich darauf R\u00fccksicht nahm. Es ist indessen wohl selbstverst\u00e4ndlich, dafs auch James seine eigne Lehre niemals anders auffafste und sich nur etwas sorglos ausgedr\u00fcckt hatte.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Heber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n65\nDas Verh\u00e4ltnifs der centralen Processe zu den daran gekn\u00fcpften Empfindungen und Vorstellungen kann man sich dabei dualistisch oder monistisch vorstellen, wie man will. Im ersten Falle m\u00fcfste eben eine Spaltung der Gesammtwirkung nach der einen und anderen Seite angenommen werden. Im zweiten Falle kann man im psychischen Gebiete eipe rein innere Causalit\u00e4t statuiren oder die psychischen Zust\u00e4nde einander nur wie Spiegelbilder ohne jeden Causalzusammenhang folgen lassen. Das alles ist hier irrelevant.\nVergegenw\u00e4rtigen wir uns demgegen\u00fcber den Causal-zusammenhang nach der bisherigen, nicht-sensualistischen Lehre (ich vermeide absichtlich eine positive Bezeichnung, da sich an eine jede Mifsverst\u00e4ndnisse kn\u00fcpfen k\u00f6nnten). Wenn man sich an die hergebrachte Ausdrucksweise h\u00e4lt, w\u00fcrde sich wohl folgendes Schema ergeben:\ny.o.\nso.\nFig. 2.\nDer Zusammenhang zwischen allen verbundenen Gliedern w\u00e4re dann ein durchweg causaler, auch zwischen Physischem und Psychischem. Aber es steht uns frei, und die Meisten werden es heute vorziehen, folgendes Schema anzunehmen, das den Grunds\u00e4tzen der modernen Physiologie besser entspricht:\n^Ftct fo\ns.o.\nY.O.\nFig. 3.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XXI.\n5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nC. Stumpf.\nDer Unterschied gegen\u00fcber der sensualistischen Theorie w\u00fcrde also dann nur der sein, dafs ein eigener Affectprocefs im Gehirn eingeschoben wird. Wir haben ihn hier r\u00e4umlich eingeschoben, ohne aber damit sagen zu wollen, dafs er sein eigenes Centrum h\u00e4tte. Er kann auch beispielsweise nur in einer an die Vor-stellungsprocesse gekn\u00fcpften Modification der, Gehimerregung bestehen und in den Vorstellungscentren selbst stattfinden. Ueber-haupt k\u00f6nnte man statt der Centren, wenn man der Localisation ungl\u00e4ubig gegen\u00fcberst\u00e4nde, \u00fcberall nur verschiedene Arten von physiologischen Processen einsetzen. Alles dies w\u00fcrde hier keinen Unterschied machen.\nDer Affectprocefs braucht auch nicht gerade das Zwischenglied zwischen den Processen im Sinnes- und Vorstellungscentrum und denen im Organcentrum zu sein; man kann sich auch denken, dafs er gleichzeitig mit den letzteren oder sogar nach ihnen entsteht und dafs das Organcentrum direct vom Sinnes-und Vorstellungscentrum aus erregt wird. Dadurch w\u00fcrde eine weitere Ann\u00e4herung an das Schema der sensualistischen Theorie gegeben sein.1\nEndlich kann das Verh\u00e4ltnis zwischen Physischem und Psychischem und die Frage nach der immanenten Causalit\u00e4t des\n1 Auch die Vorstellung, die sich A. E. Wright (Brain Bd. 18, 1895, S. 217 f.) gebildet hat, w\u00fcrde ich nur als eine besondere Form der alten Lehre, nicht, wie er selbst, als Ausf\u00fchrung der jAUEs\u2019schen Lehre betrachten. Er meint, wenn man ein K\u00e4tzchen einem Hunde gegen\u00fcberstelle, lasse sich unterscheiden: 1) ein Zustand \u00e4ufserster Nervenspannung \u2014 neural tension \u2014 im Reflexcentrum, 2) Ausstr\u00f6men von Nervenerregungen in die unwillk\u00fcrliche halbwillk\u00fcrliche und zuletzt in die willk\u00fcrliche Muskulatur. Aber die Reflexe seien nicht das Wesen der Emotion; dieses liege vielmehr in der hohen Nervenspannung im Reflexcentrum selbst, die den peripherischen Aeufserungen vorausgehe.\nWrioht bemerkt nicht, dafs er mit diesem Zusatz das Princip von J\u00e4hes vollst\u00e4ndig aufgiebt. Nach diesem entsteht der Affect erst, wenn von den peripherischen Aeufserungen durch centripetale R\u00fcckleitungen zum Gehirn Empfindungen zu Stande kommen. Jene \u201enerv\u00f6se Spannung im Reflexcentrum\u201c, die der Aeufserung vorausgeht, w\u00e4re nichts Anderes als der obenerw\u00e4hnte Affectprocefs, nur mit bestimmterer Formulirung in Hinsicht seiner Localisation.\nAehnlich wie hier geht es so oft, beispielsweise auch in der Raum-theorie, wo Viele sich mit Emphase zur empiristischen Lehre bekennen, ohne damit etwas anderes sagen zu wollen, als dafs sie auf die Erfahrung grofses Gewicht legen, w\u00e4hrend sie im Grunde ehrliche Nativisten sind.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"ZJeber den Begriff der Gem\u00fctfisbewegung.\n67\nPsychischen auch nach diesem Schema dahingestellt bleiben. Man kann die punktirten Linien monistisch oder dualistisch auflassen. Man kann auch zwischen den psychischen Gebilden Linien ziehen. Man kann als Dualist den Affect nur durch den physiologischen Procefs oder durch physiologische und psychische Factoren zusammen bedingt sein lassen u. s. f.\nGleichwohl sind dies alles immer noch sehr schablonenhafte Constructionen, und es ist nicht ausgeschlossen, dafs der Causal-nexus allgemein oder in bestimmten F\u00e4llen noch in anderen Formen auftr\u00e4te. Wir kommen unten gelegentlich auf solche F\u00e4lle. Das Ebengesagte sollte nur die Theorien, wie sie sich auf Grund der beiden streitenden Auffassungen vom Wesen des Affects darbieten, n\u00e4her erl\u00e4utern. Im Uebrigen wollen wir fest-halten, dafs uns hier nicht in erster Linie die Frage nach den Entstehungsbedingungen von Affecten, sondern nur die nach ihrer Definition besch\u00e4ftigt. Wir gehen daher auf die erstere nur insoweit ein, als es die Definitionsfrage selbst mit sich bringt\n\u00a7 5. Stand der Discussion \u00fcber diese Theorie.\nDer Grundgedanke der neuen Theorie ist nicht so neu* wie er zuerst Manchem schien. Selbst an breiteren Ausf\u00fchrungen hat es fr\u00fcher nicht gefehlt. Doch kann ein Zusammentreffen mit fr\u00fcheren Versuchen den Urhebern nur erw\u00fcnscht sein. Denn absolute Originalit\u00e4t w\u00e4re in Angelegenheiten, die der Selbstbeobachtung zu aller Zeit offen lagen, zwar eine Empfehlung f\u00fcr den Erfindungsgeist des Schriftstellers, aber nicht f\u00fcr seine Sache. Und eine Angelegenheit der Selbstbeobachtung wird die Definition der Gem\u00fcthsbewegung trotz aller objectiven und physiologischen Psychologie auch k\u00fcnftig im Wesentlichen bleiben m\u00fcssen. Darin ist wenigstens James nach ausdr\u00fccklicher Versicherung1 mit seinen Gegnern einverstanden.\nDer Gegner sind es freilich nach Verflufs von 15 Jahren immer noch mehr als der Anh\u00e4nger; und ihre Einwendungen scheinen zum Theil kr\u00e4ftig genug.2 James fand sich aber nicht\n1 8. Psychology II, 452; Mind 1884, 8. 523.\n8 Eine gute Uebersicht des Streites giebt Gardiner, Philosophical Review V (1896), S. 102 f. Die bedeutendste unter den gegnerischen Abhandlungen ist wohl die von Irons, Mind 1894, wenn auch der spiritualistische Standpunkt darin unn\u00f6thigerweise eingemengt wird. Die trefflichen Ab-\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nC. Stumpf.\n\u00fcberzeugt und antwortete mit ebensoviel Gewandtheit als Zutrauen zum Sieg seiner Sache.1\nEin psychologischer Bundesgenosse erstand ihm, wie wir h\u00f6rten, in Ribot, ein physiologischer in Sergi. Nicht unbedingt zustimmend, aber in der Hauptsache \u00fcbereinstimmend tr\u00e4gt Baldwin die Affectenlehre vor.9 F\u00fcr Mediziner und Physiologen wird die Auffassung immer etwas Ansprechendes haben; wie denn auch wohl der erste, der sie in unserem Jahrhundert mit Betonung vorgetragen hat, der Anatom Hknle gewesen ist\u00ae\nhandlungen desselben Verfassers Philos. Review VI (1897), 242 f., 471 f., 626f. sind mir erst nachtr\u00e4glich bekannt geworden. Manches ber\u00fchrt sich darin mit meinen Ausf\u00fchrungen, in vielen Punkten werden sich beide Darlegungen erg\u00e4nzen.\nUnter den deutschen Psychologen hat die Theorie bis jetzt meines Wissens nur Ablehnung gefunden. Bemhke kommt ihr allerdings sehr nahe (Zur Lehre vom Gem\u00fcth, 1898). Treffende Bemerkungen insbesondere bei Lepps, G\u00f6ttingische Gel. Anzeigen 1894, 8. 98 f.\n1 The physical basis of emotion, 1. c.\nDie Modificationen, mit denen J\u00e4hes hier seine Lehre gegen\u00fcber der ersten Fassung vortr\u00e4gt, kann ich nicht wie einige seiner Gegner als ein Aufgeben des Princips oder auch nur als wirkliche Aenderungen betrachten. 8. o. 8. 63 u. 64.\n* J. M. Baldwin, Die Entwickelung des Geistes beim Kinde und bei der Basse, deutsch (schlecht I) von Ortmann, 1898, Cap. 8, \u00a7 2. Die Erscheinungen, die f\u00fcr Baldwin\u2019s Zustimmung entscheidend sind (S. 211 f.), haben wir oben 8. 52 f. besprochen. Uebrigens betrachtet er die Affecte mit Herbert Spencer, abweichend von den meisten bisherigen Darstellungen, durchaus nach entwdckelungsgeschichtlichen Gesichtspunkten und Grunds\u00e4tzen. Die Wichtigkeit und Nothwendigkeit dieser Betrachtungsweise verkenne ich nicht und glaube selbst, dafs die letzten Aufkl\u00e4rungen uns erst daher kommen werden und viele Anregungen jetzt schon daher gekommen sind. Aber sie scheint mir noch allzuviel Hypothetisches einzuschliefsen, um an die Spitze zu treten. Es d\u00fcrfte immer noch leichter sein, sich \u00fcber die richtige Beschreibung der gegebenen Erscheinungen zu verst\u00e4ndigen, wie sie Jedem die Selbstbeobachtung darbietet.\n\u2019 Henle, Handbuch d. rationellen Pathologie, 1846, S. 257: \u201eVorstellungen in Verbindung mit den durch sie erregten k\u00f6rperlichen Ver\u00e4nderungen, die sich dem Bewufstsein wieder theils als Sensationen, theils als Stimmungen des Muskelsystems zu erkennen geben, heifsen Affecte.\u201c K\u00fcrzer nennt er in dem Vortrag \u00fcber Physiologie des Affects (Anthropologische Vortr\u00e4ge I. Heft, 1876, S. 64) den Affect ein \u201eVorstellen mit Nerven-sympathien\u201c ; wobei unter letzteren die organischen Empfindungen verstanden werden.","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Oemiithsbewegung.\n69\nSo ist es wohl nicht \u00fcberfl\u00fcssig, die Frage noch einmal zu verhandeln und die Fragepunkte einzeln mit besonderer R\u00fccksicht auf das Methodische daran zu durchgehen. Denn es steht nun so, dafs es sich weniger um neues ^tats\u00e4chliches Material als um die Beweiskraft der Schl\u00fcsse handelt. In dieser Hinsicht kann eine Wissenschaft, die es mit so complicirten Erscheinungen zu thun hat, gar nicht streng genug auf Erf\u00fcllung aller Forderungen dringen, wenn nicht endloser Streit sich anh\u00e4ufen soll.\nWas aber das Thats\u00e4chliche anlangt, zumal das der inneren Beobachtung zu entnehmende, so werde ich es ebensowenig als einen Tadel empfinden, dafs Manches von dem, was ich sagen werde, schon \u00e4hnlich gesagt ist, als es f\u00fcr James ein Vorwurf sein kann, dafs seine ganze Lehre nicht neu ist. Solange ein Psychologe so hohen Ranges, der in anderen F\u00e4llen ein nach-ahmenswerthes Beispiel unbefangener Selbstkritik gegeben, in diesem Punkt in unvers\u00f6hntem Gegensatz zu den meisten Fachgenossen steht, mufs immer von Neuem das Feste, das Jeder in seinem Bewufstsein und seinen logischen Ueberlegungen vorfindet, ins Feld gef\u00fchrt werden.\nDer Beweis nun, dafs die sensualistische Auffassung der Affecte im Recht sei, wird wesentlich auf zwei Erw\u00e4gungen gest\u00fctzt :\n1)\tDafs, wenn man alle sog. Begleiterscheinungen eines Affectes und die entsprechenden E0 hinwegdenkt, auch vom Affect selbst nichts \u00fcbrig bleibt, und dafs in F\u00e4llen wirklicher An\u00e4sthesie mit den E0 in gleichem Maafse auch die Affecte schwinden ;\n2)\tDafs Affecte durch rein physische Mittel, wie Alcoholica, oder durch krankhafte Zust\u00e4nde, wie Herzleiden oder transitorische Tobsucht, erzeugt werden, wobei also Objectvorstellungen, das Hauptmerkmal der \u00e4lteren Definition, g\u00e4nzlich fehlen.\nWir wollen diese Argumentationen n\u00e4her zergliedern.\n\u00a7 6. Kritik des ersten Arguments.\nDen ersten Punkt betreffend ist es zwar richtig : wir k\u00f6nnen uns einen Erschreckenden nicht anders als zusammenfahrend,\nSehr nahe kommt auch Lotze, Medicinische Psychologie (1851), S. 518 an die Darstellung von J\u00e4hes und Ribot heran.\nS. Exner scheint in seinem \u201eEntwurf zu einer physiologischen Erkl\u00e4rung der psychischen Erscheinungen\u201c I (1894), S. 202 f., bes. 207, durchaus die gleiche Auffassung wie James zu vertreten.","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nC. Stumpf.\n\u00a9inen Zornigen nicht anders als mit ger\u00f6thetem oder erbleichendem Gesicht denken. Aber, abgesehen davon, dafs nicht bei allen Affecten die physischen Erscheinungen so sehr f\u00fcr unsere Vorstellung in den Vordergrund treten wie bei diesen heftigen: dem Schl\u00fcsse fehlt \u00fcberhaupt die logisch zwingende Kraft Was wir nicht ohne einander vorstellen k\u00f6nnen, braucht darum noch nicht identisch zu sein. Auch eine ausnahmslos eintretende Wirkung oder Begleiterscheinung kann f\u00fcr unsere Phantasie so eng mit der Vorstellung des Affects verwachsen, dafs wir sie nur schwer oder gar nicht davon zu trennen verm\u00f6gen.\nMan kann sogar zugeben, dafs bei der blofsen Vorstellung (dem Ged\u00e4chtnifsbild) eines Affects der Regel nach wirklich nur solches im Bewufstsein ist, was die \u00e4ltere Lehre als Begleiterscheinung auffafst. Aber dann handelt es sich eben um ein symbolisches Vorstellen, \u00e4hnlich wie wenn wir einen bestimmten Ton unter dem Symbol a3 oder dem des Notenzeichens vorstellen, ohne ihn selbst als Ton innerlich zu h\u00f6ren. Ebenso sprechen wir oft genug von Kopfschmerzen ohne sie zu f\u00fchlen und wissen doch was das Wort bedeutet. Das sind die Schmerzen von denen man mit Lotze sagen kann : blos vorgestellte Schmerzen thun nicht weh. Und so ist auch ein blos vorgestellter Zorn eigentlich kein Zorn. Nur bei st\u00e4rkster Vertiefung in die Erinnerung kann die Wirklichkeit an die Steile des Symbols treten: Ingentem regina jubes renovare dolorem.1 *\nUeberdies spielen bei der blofsen Vorstellung eines Affects auch die Organempfindungen wohl kaum eine grofse Rolle. Es ist das Gesichtsbild des Zusammenfahrens, der R\u00f6the oder Bl\u00e4sse der Wangen, das unserem Bewufstsein vorschwebt. Dieses Bild dient, etwa noch verbunden mit der Vorstellung eines \u00e4ufseren Anlasses, als Surrogat f\u00fcr die eigentliche Bedeutung des Wortes \u201eSchreck\u201c, \u201eZorn\u201c. In keiner Weise also scheint mir die Analyse dieser Thatsachen des Bewufstseins auf die gew\u00fcnschten Folgerungen zu f\u00fchren.\nEtwas anderes w\u00e4re es, wenn der Affect wirklich, nicht blos f\u00fcr unser Denken, mit dem Hinwegfallen von Organempfindungen hinwegfiele, w\u00e4hrend zugleich die intellectuelle Verfassung die n\u00e4mliche bliebe.\n1 Ueber individuelle Unterschiede hierin vgl. Ribot\u2019s Psych, des Senti-\nments, S. 140 f.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fctksbewegung.\n71\nAuch dies wird behauptet. Wir werden zun\u00e4chst auf die Thatsache verwiesen, dafs man vielfach durch D\u00e4mpfung der Aeufserungen den Affect selbst d\u00e4mpfen kann; dafs z. B. der Zorn sich mildert, wenn es gelingt, den Zornigen auf einen Stuhl zu setzen und ihm eine gute Cigarre anzuz\u00fcnden.\nHieraus wird man in der That sch\u00fcefsen m\u00fcssen, dafs an solchen Affecten bei solchen Individuen, die diesem Kunstgriff unterliegen, Organempfindungen ihren betr\u00e4chtlichen Antheil haben. Aber man kann nicht auf alle Affecte unter allen Umst\u00e4nden bei allen Individuen schliefsen. Auch ist dem Zorn in solchen F\u00e4llen die Wurzel nicht ausgerissen; das innere Feuer brennt gleichzeitig mit der Cigarre weiter, solang es nicht gelingt, dem Zornigen den Sachverhalt in anderem Lichte darzustellen. Hierf\u00fcr ist es nun wieder g\u00fcnstig, dafs durch die behagliche Situation und die Liebensw\u00fcrdigkeit des Wirthes Gegenaffecte eingef\u00fchrt sind, und dafs unsere Beurtheilung einer Thatsache doch auch von solchen nebens\u00e4chlichen Momenten gar sehr beeinflufst wird. Man sieht, wie sich dies alles ohne Schwierigkeit in die \u00e4ltere Theorie einreiht, die die Wurzel des Affects in den Vorstellungen und Urtheilen erblickt.\nJames glaubt nun aber in gewissen pathologischen F\u00e4llen noch entscheidendere Belege zu finden. Er verweist namentlich auf die mit R\u00fccksicht auf die vorliegende Alternative angestellten Beobachtungen und Versuche von P. Sollier, wonach An\u00e4sthesie, speciell solche der inneren Organe, thats\u00e4chlich Apathie herbeif\u00fchre.1 Die F\u00e4lle betreffen einen Neuropathiker mit spontan entstandener Empfindungslosigkeit und zwei \u201egrandes hyst\u00e9riques\u201c, bei denen Solliee die Empfindungslosigkeit durch Suggestion in der Hypnose erzeugte.\nNehmen wir vorl\u00e4ufig die Aussagen dieser Individuen, auch der hypnotisirten Hysterischen, f\u00fcr vollg\u00fcltige Zeugnisse einer correcten Selbstbeobachtung, so mufs man allerdings daraus schliefsen, dafs ihre Affecte aufserordenthch reducirt waren. Verschwunden waren sie nicht Denn der Patient erz\u00e4hlt z. B., dafs ihm die Idee komme, es sei ihm ein grofses Ungl\u00fcck zuge-stofsen, und dafs er Angst habe; ferner, dafs er \u00f6fters f\u00fcrchte, seine Tochter sei gestorben, und dafs er glaube, dies nicht \u00fcber-\n* P. Sollies, De la sensibilit\u00e9 et de l\u2019\u00e9motion. Revue philos. XXXVII (1894), S. 241.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nC. Stumpf.\nleben zu k\u00f6nnen. Die eine der Hysterischen f\u00fchlte sich \u201egeschmeichelt\u201c durch die Mittheilung, dafs ihr Geliebter sie anbete, wenn sie auch behauptete, kein Vergn\u00fcgen darob zu empfinden.\nWas aber dem Beweis sogleich alle Kraft raubt, ist der Umstand, dafs mit der An\u00e4sthesie, besonders wenn sie auch die inneren Organe betrifft, nothwendig eine enorme St\u00f6rung und Herabsetzung der intellectuellen Functionen verbunden ist. Ein Mensch, der nichts mehr von seinem eigenen K\u00f6rper sp\u00fcrt, nicht Ber\u00fchrung, nicht Bewegung der Glieder, nichts von der gesammten Muskulatur, von Athmung, Verdauung, Hunger und Durst, auch nichts von Geschmack und Geruch, Essen und Trinken (wie dies Alles hier ausdr\u00fccklich berichtet wird): ein solcher mufs ja auch an seinem Verh\u00e4ltnis-zur Aufsenwelt v\u00f6llig irre werden. Fast alle Unterscheidungsmerkmale zwischen den fremden und dem eigenen K\u00f6rper sind getilgt \u2014 und damit die Anhaltspunkte zur Bildung der Urtheile, auf denen Affecte beruhen. Es ist also auch nach der alten Lehre den Affecten der Boden entzogen. Nur vielleicht ein dumpfes Gef\u00fchl des Ungl\u00fccks und der Verlassenheit mag Zur\u00fcckbleiben, das sich mit der von Sollies, gebrauchten Bezeichnung \u201eApathie\u201c recht wohl vertr\u00e4gt, auch ausdr\u00fccklich vom Patienten beschrieben wird; dies ist aber immerhin mehr als der blofse Mangel eines Affects, es ist ein Affect, eine Stimmung besonderer Art. Auch solche Affecte k\u00f6nnen noch auftauchen, die nicht auf Wahmehraungsurtheilen, sondern auf Erinnerungen und Einbildungen beruhen, soweit es eben die allgemeine D\u00e9cadence zul\u00e4fst: und hierher geh\u00f6rt die Angst bei dem Gedanken, die Tochter sei gestorben. Wo bleibt aber hier die sensualistische Erkl\u00e4rung? Vielleicht weist man darauf hin, dafs die Organempfindungen nicht ganz und gar verschwunden waren. Aber warum kam gerade dieses, anscheinend sogar starke, Angstgef\u00fchl zu Stande, sonst keines? Warum nicht vielmehr eine allgemeine gleichm\u00e4fsige Abschw\u00e4chung der Gef\u00fchle? Die neue Theorie wird hier doch eine Anleihe bei der alten machen m\u00fcssen, damit aber ihre Pointe preisgeben.\nEine Best\u00e4tigung dieser Erkl\u00e4rungsweise liefern die Aussagen des Patienten \u00fcber seinen intellectuellen Zustand : er denke fast an nichts; er sei niemals \u00fcber irgend etwas sicher. Seine Gesichtsvorstellungen waren fast gleich Null, selbst seine Frau konnte er sich nicht vorstellen, auch das wirkliche Sehen war","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fctfisbewegung.\n73\nsehr geschw\u00e4cht, nur das Geh\u00f6r erhalten; aber was er h\u00f6rte, resonirte, wie er sich ausdr\u00fcckte, nur in seinem Ohr, nicht in seinem Kopfe.\nNiemals hat ein Anh\u00e4nger der \u00e4lteren Lehre angenommen, dafs man in solchem Zustand, fast ohne Empfindung, Vorstellen und Denken eine Mannigfaltigkeit von Gem\u00fcthsbewegungen haben k\u00f6nne; jeder w\u00fcrde den negativen Erfolg vorausgesagt haben. Wie kann man nun in einem Ergebnifs, das nach beiden Theorien nothwendig war, logischerweise ein experimentum crucis zu Gunsten der einen von ihnen erblicken?\nBei den Hypnotisirten glaubt Sollier den Versuch noch reiner gemacht zu haben, da man ja hier durch ein Wort Alles was man will hinwegsuggeriren kann, also die inneren Sinnesempfindungen so radical beseitigen konnte, als es nur immer ohne Lebensgefahr m\u00f6glich war, w\u00e4hrend die \u00e4ufseren (Gesicht, Geh\u00f6r etc.) unangetastet blieben. Ich will hier nicht dar\u00fcber streiten, wieweit man die wirkliche Vernichtung absuggerirter Empfindungen anzunehmen berechtigt ist. Aber soviel ist gewifs : auch diese Personen sagten selbst wiederholt aus, dafs sie nicht mehr viel oder gar nichts mehr d\u00e4chten, dafs das was sie h\u00f6rten \u201enicht in ihren Kopf komme\u201c. Eine sagte nach dem Erwachen aus der Hypnose auf die Frage, warum ihr eine angenehme Nachricht keinen Eindruck gemacht habe: \u201eIch dachte nicht; ich konnte nicht wissen, ob das angenehm war.\u201c Sie giebt also den Grund ihrer Gef\u00fchllosigkeit ganz correct \u2014 nach der alten Anschauung an. Um sich zu freuen, mufs man eben denken k\u00f6nnen.\nDieser Weg, eine Entscheidung herbeizuf\u00fchren, d\u00fcrfte daher \u00fcberhaupt ungangbar sein.\nEigent\u00fcmlich ber\u00fchrt auch die bei den Antworten stereotyp wiederkehrende Wendung \u201epuisque je ne sens plus\u201c, \u201epuisque je ne sens rien\u201c, womit die beiden Personen ihre Affectlosigkeit begr\u00fcnden, und die von dem Berichterstatter selbst vielfach durch Cursivdruck hervorgehoben wird (S. 250 bis 260 fast auf jeder Seite ein oder mehrere Male). Wozu brauchten sie diese regelmftfsige Rechtfertigung ?\u2022 Scheint die Wendung nicht anzudeuten, dafs sie der Meinung waren, der erhaltene Befehl, nichts zu \u201ef\u00fchlen\u201c (sentir), beziehe sich auch auf das Sentir in dem Sinne, wie man vom \u201eSentir de la joie\u201c spricht? (S. 263 gebraucht auch der Verfasser selbst diese Wendung.) Psychologisch Ungebildete pflegen ja so feine Unterschiede nicht zu machen. Wenn die eine Person sagte, sie habe bei einer unangenehmen Nachricht Schmerz empfunden, wie bei einem Stofs gegen den Kopf, und dann auf die weitere Frage, ob das ein phy-","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nC. Stumpf.\nBischer oder moralischer Schmerz gewesen, antwortet : \u201ePas morale, puisque je ne sens plus\u201c: so mufs hier in der That sentir im 8inn von Affect-gef\u00fchl verstanden werden, denn physisches Schmerzgef\u00fchl hatte sie ja gerade.\nIch m\u00f6chte daher vermuthen, dafs diese immer wiederkehrende Rechtfertigung den Zweck hatte, dem Hypnotiseur zu zeigen, dafs man des erhaltenen allgemeinen Befehls, kein Gef\u00fchl mehr zu haben, eingedenk sei, und dafs man hierunter gerade haupts\u00e4chlich die Affecte verstand. Ist diese Auslegung aber richtig, dann ist nat\u00fcrlich mit den Ergebnissen \u00fcberhaupt nichts zu machen, dann wurde eben der Erfolg des Versuches mit-8uggerirt.\nDoch will ich mich hier\u00fcber gern eines Besseren belehren lassen. Es fehlt eben zur genauen Beurtheilung der Ergebnisse, wie in solchen F\u00e4llen meistens, noch Manches an der Information \u00fcber die Versuchsumst\u00e4nde, hier namentlich \u00fcber die Einzelheiten der ertheilten Befehle. Dafs die beiden Subjecte gewohnt waren, hypnotisirt zu werden und den Suggestionen in der Hypnose in extremer Weise zug\u00e4nglich waren, sagt uns Sollieb selbst. In solchem Fall kann aber auch der kleinste Unterschied in der Wahl der Worte und in sonstigen Umst\u00e4nden den gr\u00f6fsten Ausschlag geben. Wenn man nun auch einem so ge\u00fcbten Hypnotiseur hierin alle m\u00f6gliche Vorsicht Zutrauen und zugleich einr\u00e4umen mufs, dafs nicht alles, was geschieht, in den Bericht aufgenommen werden kann, so w\u00e4re es doch sehr erw\u00fcnscht, zu wissen, ob und wie Sollieb seinen Sub-jecten den Unterschied zwischen Empfinden und F\u00fchlen klargemacht und die unwillk\u00fcrliche Ausdehnung des Befehls vom ersten auf das zweite verhindert hat, ohne doch zugleich einen Gegenbefehl zu suggeriren.\nWarum ist \u00fcbrigens nicht auch der Versuch gemacht worden, alle Empfindungen, \u00e4ufsere wie innere, unangetastet zu lassen und dagegen die Gem\u00fctsbewegungen abzusuggeriren? Wahrscheinlich w\u00fcrde auch dieser Versuch gelungen sein!\n\u00a7 7. Kritik des zweiten Arguments.\nDie zweite Beweisreihe st\u00fctzt sich auf die angeblich rein physiologische Erzeugung von Affecten ohne Vermittelung von Vorstellungen und Urtheilen.\nMan wird die Thatsache genauer besehen kaum zugeben k\u00f6nnen. Das Gef\u00fchl der Beklemmung, der Athemnoth, des Herzklopfens u. dgl. ist f\u00fcr sich allein noch keine Angst, so wenig als Kolik und Migr\u00e4ne Gem\u00fcthsbewegungen sind. Aber es kann leicht zur Angst f\u00fchren, da dem Herzkranken der Todesgedanke nahe genug liegt. Erst dieser oder \u00e4hnliche Gedanken \u2014 sie brauchen nicht v\u00f6llig bestimmt zu sein \u2014 f\u00fchren zur wirklichen Gem\u00fcthsbewegung. Herzkranke, die erkannt haben, dafs ihr Leiden nur nerv\u00f6ser Art ist, k\u00f6nnen sich daher von der","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n75\nAngst befreien, w\u00e4hrend die organischen Sinnesempfindungen noch ebenso vorhanden sind. Ebenso erzeugt Alkohol f\u00fcr sich allein nicht Muth noch Fr\u00f6hlichkeit, sondern lebhaftere Blut-circulation, behagliche W\u00e4rme, gesteigerte Activit\u00e4t der Muskeln u. dgl. Aber unter dem Einflufs des ver\u00e4nderten K\u00f6rpergef\u00fchls erfahren die vorhandenen Vorstellungen und die neu auftauchenden Sinneseindr\u00fccke eine ver\u00e4nderte Beurtheilung ; auch wird der Lauf der Vorstellungen nach bekannten Gesetzen dadurch modificirt, manche verschwinden, andere treten hervor, und dadurch allein entsteht der Affect. Ebenso ist anzunehmen, dafs der Fliegenpilz Tapferkeit und Berserkerwuth nicht direct durch die Ver\u00e4nderung der vasomotorischen Functionen erzeugt, sondern nur indem das vermehrte Kraftgef\u00fchl, der durch die Blutzufuhr gesteigerte Actionsdrang sich mit der Erinnerung an Erlittenes Unbill oder mit der Vorstellung zu erringender Siege verkn\u00fcpft und die Gefahren geringer erscheinen l\u00e4fst.\nDie Erscheinungen best\u00e4tigen also nur wieder, dafs wirkliche Affecte sich stets auf irgendeinen dem Bewufstsein vorschwebenden Sachverhalt beziehen, mag er nun richtig oder falsch be-urtheilt werden. Wenn man die k\u00f6rperlichen Gemeingef\u00fchle, die zur Angst, zum Muth disponiren, selbst bereits als Angst, als Muth bezeichnet, so mag diese Ungenauigkeit im gew\u00f6hnlichen Leben hingehen, den Psychologen sollte sie nicht irre machen.\nC. Lange hat eine solche Erwiderung auf seine Beweisf\u00fchrung vorausgesehen, wirft ihr aber \u201elogische Schw\u00e4che\u201c vor, da die Unterscheidung einer wirklichen und einer scheinbaren Wuth nur eine willk\u00fcrliche petitio principii sei, eigens dazu gemacht, um der Schwierigkeit zu entgehen. Indessen wenn man sich erinnert, dafs es Kranke giebt, die lachen, ohne im Geringsten fr\u00f6hlich zu sein, und die weinen, ohne traurig zu sein, so wird man auch den Unterschied zwischen dem Toben und der Wuth, dem Dreinschlagen und der Tapferkeit nicht so unlogisch finden. Ich m\u00f6chte \u00fcbrigens keineswegs eine v\u00f6llige Unvergleichbarkeit des wirklichen und des Pseudo-Affects behaupten, schon darum nicht, weil die organischen Gef\u00fchle hier nicht nur dem Affect vorausgehen, sondern auch als Theilinhalte in den Affect eingehen. Der Fall scheint mir etwa vergleichbar \u2014 ohne dafs man aus dem Vergleich Folgerungen ziehen d\u00fcrfte \u2014 dem Verh\u00e4ltnis zwischen den Farbenklecksen auf der Palette und","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nC. Stumpf.\ndem gemalten Bild, oder zwischen dem Stimmen und Durcheinanderspielen der Instrumente vor dem St\u00fcck und dem St\u00fcck selbst; insbesondere wenn wir uns vorstellen, dafs das Durcheinander ohne zwischenliegende Pause stetig in das St\u00fcck \u00fcberginge. Auch in unseren F\u00e4llen mufs sich der Uebergang sowohl f\u00fcr den unbetheiligten Zuschauer als f\u00fcr den Bethe\u00fcigten selbst unmerklich vollziehen. F\u00fcr den ersten, weil er eben nur das Aeufsere beobachtet ; f\u00fcr den letzten, weil ein solcher im gegebenen Fall sich nicht selbst zu beobachten f\u00e4hig ist und sich sp\u00e4ter nur unvollkommen daran erinnert. Immerhin d\u00fcrfte das, woran man sich von \u00e4hnlichen fr\u00fcheren Erlebnissen her noch erinnert, gen\u00fcgen, um die behauptete Unterscheidung nicht als eine willk\u00fcrliche erscheinen zu lassen.\nAufser den pathologischen Zust\u00e4nden und den Giften giebt es noch so viele \u00e4ufserliehe Mittel, Affecte zu erzeugen. Wer zur Lustigkeit neigt, kann sich auch durch Pfeifen in diese Stimmung versetzen, wer zur Fr\u00f6mmigkeit neigt, kann durch H\u00e4ndefalten und Augenaufschlagen zur wirklichen Andacht kommen. Hypnotisirte Personen fallen auch wohl, wenn ihnen die H\u00e4nde gefaltet werden, von selbst auf die Kniee, oder sie nehmen, wenn ihnen die Faust geballt wird, alle weiteren Attit\u00fcden des Zornes an, wahrscheinlich weil schon die erste Bewegung die bez\u00fcgliche Stimmung anregt, die dann das Weitere nach sich zieht So wird auch Mancher, wenn einmal eine Thr\u00e4ne geflossen ist, immer ger\u00fchrter, indem er sich gleichsam hinein weint und \u00fcber die eigene R\u00fchrung ger\u00fchrt ist, ebenso wie der W\u00fcthende durch Umsichschlagen immer mehr in Wuth ger\u00e4th. Im Traum kann Magendr\u00fccken oder W\u00e4rme allerlei Affecte hervorrufen. Aber immer geht der Weg durch das Vorstellungsleben hindurch. Ich brauche kaum anzudeuten, wie alle diese Erscheinungen (gleich den umgekehrten der D\u00e4mpfung von Affecten durch D\u00e4mpfung der Aeufserungen) vermittelst der gew\u00f6hnlichen Associationsgesetze vollkommen mit der hergebrachten Auffassung des Affect-begriffes in Einklang zu bringen sind.\n\u00a7 8. Die allgemeineren Grundlagen der sensualistischen Theorie. Ideomotorisches Gesetz.\nAufser den eigentlichen Beweisgr\u00fcnden dienen den Urhebern der neueren sensualistischen Lehre gewisse allgemeine Anschauungen zur St\u00fctze des Geb\u00e4udes, die darum gleichfalls noch","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Heber den Begriff der Gemiithsbewegung.\n77\nsoweit als n\u00f6thig hier ber\u00fchrt werden sollen. Und zwar zeigt sich das Seltsame : den Physiologen Lange scheint haupts\u00e4chlich eine philosophische Anschauung, den Philosophen James aber vorwiegend ein physiologisches Gesetz in seiner Meinung zu best\u00e4rken.\nDer rein seelische Affect, meint Lange (S. 51), ist eine Hypothese, und kann als solche nur gerechtfertigt werden durch Erkl\u00e4rung der Erscheinungen. Nun aber ist es unm\u00f6glich, die k\u00f6rperlichen Aeufserungen, das Erzittern, Erblassen, aus rein seelischen Affecten zu begreifen. Also n\u00fctzt die Hypothese nichts.\nWir vernehmen hier Ankl\u00e4nge theils des vulg\u00e4ren, im Grunde doch heute \u00fcberwundenen, Materialismus, theils des moderneren Monismus. Das Psychische als solches, wie es unserem Bewufst-sein gegenw\u00e4rtig ist, ist nat\u00fcrlich keine Hypothese, sondern die sicherste und die einzig unmittelbar gegebene unter allen Thatsachen. Seine reelle Verschiedenheit vom K\u00f6rperlichen und die Annahme einer blofsen Wechselwirkung zwischen Beidem ist eine Hypothese, ebenso wie die monistische Auffassung des Verh\u00e4ltnisses eine Hypothese ist. Aber aus keiner dieser beiden Hypothesen folgt etwas \u00fcber die Definition des Affects. Wenn psychische Zust\u00e4nde nichts anderes als die innere Seite physiologischer Vorg\u00e4nge sind, so ist damit noch lange nicht gesagt, dafs sie s\u00e4mmtlich in Sinnesempfindungen bestehen. Sie k\u00f6nnen immer noch unter sich sehr verschiedenartig, ja heterogen sein. Sind doch schon die Sinnesempfindungen unter sich heterogen, wie Farben und T\u00f6ne oder Ger\u00fcche. Die Affecte k\u00f6nnen die Innenseite gewisser intracentral erregter Processe sein, w\u00e4hrend die Sinnesempfindungen die Innenseite centripetal erregter Processe darstellen w\u00fcrden (oder, wie bei den Hallucinationen, intracentraler Processe von gleicher Art mit den centripetalen). Wie aber diese Innenseiten aussehen, ob sie \u00fcberall gleichartig sind oder nicht, das kann eben nur die innere Beobachtung selbst lehren. Es braucht also auch nach dieser metaphysischen Vorstellungsweise der Affect keineswegs restlos in Sinnesempfindungen aufl\u00f6sbar zu sein.\nDafs andererseits nach dualistischer Vorstellungsweise der Affect nicht etwas von directen k\u00f6rperlichen Bedingungen Unabh\u00e4ngiges zu sein braucht, versteht sich ; wir haben oben die bestimmteren Annahmen skizzirt, die man \u00fcber seine Stellung zu dem Nexus der k\u00f6rperlichen Vorg\u00e4nge machen kann.","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nC. Stumpf.\nOb also der Affect etwas \u201erein Seelisches\u201c ist oder nicht \u2014 und was man auch unter einem rein Seelischen verstehen mag-\u2014: etwas Seelisches ist er in jedem Fall, und in keinem Fall f\u00fchrt aus einer jener Annahmen eine Br\u00fccke zur Entscheidung der Frage, ob er in Sinnesempfindungen oder in seelischen Zust\u00e4nden besonderer Art besteht. \u2014\nJames geht beim Aufbau seiner Affectenlehre ebenso wie seiner Willenslehre von dem Grundgesetz aus, dafs jede Empfindung und jede Vorstellung (bez. die entsprechenden centralen Gehirnvorg\u00e4nge) in irgend einer Weise die peripherischen Vorg\u00e4nge des K\u00f6rpers beeinflusse (Ideomotorisches Grundgesetz, Gesetz der Dynamogenie).\nEs scheint mir zwar, dafs seine Affectenlehre nicht integrirend mit diesem Gesetz verkn\u00fcpft ist. Aber thats\u00e4chlich ist es der Ausgangspunkt seiner Darstellung, wird sehr in den Vordergrund gestellt und dient ihm dazu, die Vorstellung von der Beeinflussung unserer Organ empfindungen durch Eindr\u00fccke der Aufsen-welt aufserordentlich zu steigern und damit die Theorie zu st\u00fctzen.\nAllein dieses Gesetz, das auch von vielen Anderen wie eine bewiesene Sache hingestellt wird, d\u00fcrfte doch vorl\u00e4ufig nur auf einer unberechtigten Verallgemeinerung beruhen. Es l\u00e4fst die Thatsache der Schwelle aufser Acht, die sonst im organischen Leben allenthalben eine so grofse Rolle spielt, dafs man deductiv fast mit Sicherheit das Umgekehrte erschliefsen m\u00f6chte, n\u00e4mlich : \u201eEs bedarf einer gewissen St\u00e4rke der Empfindung oder Vorstellung oder des damit verkn\u00fcpften Gef\u00fchls (bez. der entsprechenden cerebralen Processe), damit periphere Reactionen entstehen.\u201c1 * *\nDafs die gew\u00f6hnliche Erfahrung nur diese eingeschr\u00e4nkte Regel best\u00e4tigt, wollen wir nicht zu sehr urgiren. Denn die graphische Technik der Physiologie hat uns allerdings mit feinen Ver\u00e4nderungen des Pulses, der Blutvertheilung u. s. w. bekannt gemacht, die den gr\u00f6beren Beobachtungsmethoden entgehen.\n1 Physiologisch gesprochen ist dies ein besonderer Fall des allgemeinen Verhaltens, das Goldscheider neuerdings als \u201eNeuronschwelle\u201c be-\nzeichnet hat. Er versteht darunter \u201ediejenige H\u00f6he der Erregung eines\nNeurons, welche eben hinreicht, um im Contact-Neuron eine Erfolgs-\nerregung (zur Empfindung, Bewegung etc. f\u00fchrende) hervorzurufen4*. (Goldscheider, Die Bedeutung der Reize f\u00fcr Pathologie und Therapie im Lichte der Neuronenlehre, 1898.J","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fcthsbeicegung.\n79\nAber andererseits steht es doch auch durchaus nicht so, dafs man bei beliebigen Eindr\u00fccken unter allen Umst\u00e4nden dergleichen Ver\u00e4nderungen nach weisen k\u00f6nnte; sondern beim normalen Menschen bedarf es eines merklich starken oder eines merklich angenehmen oder unangenehmen oder wenigstens eines interessanten Eindrucks, um deutliche Ausschl\u00e4ge am Sphygmographen, Pneumographen u. s. f. zu erzielen. Die sch\u00f6nen und \u00fcberraschenden Beobachtungen Mosso\u2019s und alle weiteren, die sich daran schlossen, f\u00fchren in Hinsicht der peripheren Reactionen nicht principiell \u00fcber diesen Standpunkt hinaus, sie machen uns nur genauer mit der Beschaffenheit der Reactionen bekannt.\nCh. F\u00e9r\u00e9 freilich glaubt an hysterischen Personen das Gesetz der Dynamogenie auch f\u00fcr schwache und anscheinend gleich-g\u00fcltige Reize erwiesen zu haben.1 Jede der Regenbogenfarben bewirkte eine bestimmte Erh\u00f6hung der Muskelkraft, gemessen am Dynamometer, und zwar nahm die Wirkung mit zunehmender Wellenl\u00e4nge der Farbe zu, und dies so genau, dafs die Ordnung schon eine Ausnahme erlitt, wenn statt der spektralen Farbe farbige Gl\u00e4ser genommen wurden, die nicht v\u00f6llig homogenes Licht lieferten. Die Blutf\u00fclle des Vorderarms, gemessen durch den Plethysmographen, stieg ebenfalls beim Roth am meisten, beim Violett am wenigsten. Bei T\u00f6nen machte nicht blos die Intensit\u00e4t sondern wiederum auch die Schwingungszahl Unterschiede, und wieder so fein abgestufte, dafs bei Stimmgabelt\u00f6nen innerhalb einer Octave (c \u2014 c1) die dynamometrische Leistung mit jedem Ton der Leiter wuchs und zuletzt bei der Octave nahezu das Doppelte erreichte. Wurde aber die Gabel auf den Kopf gesetzt, also der Geh\u00f6rnerv durch Knochenleitung gereizt, so ging umgekehrt bei der aufsteigenden Scala\n1 Ch. F\u00e9b\u00e9, Sensation et Mouvement, 1887.\nBez\u00fcglich der Affecte selbst steht F\u00e9r\u00e9 \u00fcbrigens nicht auf dem Standpunkt von James. Wohl ist er geneigt, die Affecte aus sinnlicher Lust-und Unlustempfindung herzuleiten (S. 67: le plai\u00dfir et la douleur constituent le fond de tous les faits psychiques d\u00e9sign\u00e9s sous le nom de senti ments, d\u2019affections etc.), und definirt sinnliche Lust und Unlust selbst als Gef\u00fchl der Kraft und der Schw\u00e4che, der Vermehrung und Verminderung der potentiellen Energie des Nervensystems. Aber nicht die Entladung dieser Energie oder die dadurch entstehenden peripheren Empfindungen sind ihm das Wesentliche, sondern das Gef\u00fchl der Energie selbst, so lange sie noch ein centraler Zustand ist. Dieselbe Auffassung liegt seiner grofsen \u201ePathologie des Emotions\u201c, 1892, zu Grunde (vgl. Vorrede und S. 471).","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nC. Stumpf.\ndie Leistung successive bis zur H\u00e4lfte herab (p. 39). Das n\u00e4mliche Verhalten und die n\u00e4mlichen Unterschiede je nach der Luft-oder Knochenleitung zeigten sich bei der plethysmographischen Untersuchung der Tonwirkungen auf den Vorderarm.\nDiese Ergebnisse m\u00fcssen Jeden, der an den Anblick psychophysischer Tabellen gew\u00f6hnt ist, durch ihre enorme Regelm\u00e4fsig-keit in Erstaunen setzen. Wenn F\u00e9r\u00e9 einmal die Hysterischen als die Fr\u00f6sche der Psychologie bezeichnet hat, so ist doch der Unterschied, dafs jene sch\u00e4tzbaren Versuchsthiere sich nicht interessant machen wollen, ebensowenig aber auch durch zuf\u00e4llig fallende Aeufserungen oder andere Suggestionsursachen, die in der ganzen Versuchseinrichtung liegen k\u00f6nnen, unwillk\u00fcrlich in ihren Reactionen beeinflufst werden. Es ist nicht so sehr der erste Umstand als der zweite, der mancherlei Zweifel \u00fcber die Zuverl\u00e4ssigkeit der erw\u00e4hnten Versuche gestattet; doch ist die Grenze zwischen beiden Factoren keine vollkommen scharfe. Obschon F\u00e9r\u00e9 nat\u00fcrlich wie jeder Andere diese Fehlerquellen kennt, so erweckt doch sein Bericht nicht die Ueberzeugung, dafs es ihm gelungen sei, sie hier hinreichend auszuschliefsen. Mancherlei ist denkbar. Aber wir m\u00fcfsten, um bestimmtere Vermuthungen auszusprechen, wiederum wie bei Sollier\u2019s Versuchen viel genauer \u00fcber die Umst\u00e4nde unterrichtet sein. Wurden z. B. die T\u00f6ne nur in der Reihenfolge der Tonleiter angegeben, oder auch durch einander, ferner nur aufw\u00e4rts oder auch abw\u00e4rts? In welchem Zeitabstand von einander? Wurde gelegentlich auch ein einzelner Ton f\u00fcr sich vorgelegt und gab er dann dasselbe Resultat wie innerhalb der Reihe? Wie oft wurden die Versuche wiederholt und mit welchen Schwankungen des Ergebnisses? Waren die Personen vorher schon zu psychophysischen Versuchen ben\u00fctzt worden, z. B. zu Reactionszeitmessungen ? Was wufsten sie von der Einrichtung und dem Zweck der Versuche, was konnten sie wenigstens errathen?\nNehmen wir an, was wahrscheinlich ist, dafs die T\u00f6ne nur in der Folge der Leiter gegeben wurden und dafs die Person, was ebenfalls wahrscheinlich ist, beim ersten Versuch nicht sogleich das \u00e4ufserste Maximum der Muskelkraft anwandte, endlich dafs die Pausen nicht sehr lang waren : so w\u00e4re es leicht begreiflich, dafs sie sich versucht f\u00fchlte, mit dem Aufsteigen der T\u00f6ne auch die Leistung noch mehr zu steigern. Schon die gew\u00f6hnlichsten Associationen, wie sie die Sprache durch das Wort \u201eLeiter\u201c ausdr\u00fcckt,","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"TJeher den Begriff der Gemiithsbewegung.\n8i\nk\u00f6nnen dahin wirken. Ebenso bei den Farben, wenn von Violett allm\u00e4hlich zu Roth \u00fcbergegangen wurde, da die gelben und rothen Farben gegen\u00fcber den blauen und violetten in der That wie h\u00f6here T\u00f6ne gegen\u00fcber tieferen auf unser Gem\u00fcth wirken. Ist nun einer \u00fcberhaupt durch die Versuchsumst\u00e4nde veran-lafst, den Gef\u00fchlseindruck eines Reizes \u00e4ufserlich kundzugeben, so wird dies in dem genannten Sinn geschehen. Bei den plethysmographischen Versuchen ist zwar kein direkter Wissens-einflufs m\u00f6glich, aber ein indirecter durch willk\u00fcrliche Steigerung des Affects scheint mir nicht ausgeschlossen, wie ja Manche auch ihre Thr\u00e4nendr\u00fcsen und ihre Herzbewegung durch Vermittelung des Vorstellungslebens willk\u00fcrlich beeinflussen k\u00f6nnen. Dies Alles konnte ohne eigentlich betr\u00fcgerische Absicht geschehen.\nIch kann also vorl\u00e4ufig diesen ber\u00fchmten Versuchen nicht ein so scrupelloses Vertrauen entgegenbringen, wie die Anh\u00e4nger des ideomotorischen Grundgesetzes es thun.\nIm Berliner psychologischen Seminar sind sie k\u00fcrzlich durch Hm. Dr. med. Hibschlaee an einer von ihm hypnotisirten Hysterischen wiederholt worden. Aber es hat sich keine auffallende Regelm\u00e4fsigkeit gezeigt, aufser dafs starke und unangenehme Reize die dynamometrische Leistung verringerten. Bei einunddemselben Reiz zeigten sich in Wiederholungsf\u00e4llen bedeutende Schwankungen.\nAber selbst wenn F\u00e9b\u00e9 jede erdenkliche Vorsicht beobachtet, jede Fehlerquelle ausgeschlossen h\u00e4tte, und wenn, was meines Wissens bisher nicht geschehen ist, analoge Leistungen bei hysterischen Personen auch sonst h\u00e4ufig beobachtet worden w\u00e4ren : so w\u00fcrde immer nur die aufserordentlich gesteigerte Sensibilit\u00e4t und Motilit\u00e4t solcher Individuen durch neue Belege erh\u00e4rtet sein. Daraus aber zu schliefsen, dafs beim gew\u00f6hnlichen Menschen, weil er weniger empfindlich ist, \u00e4hnliche Reactionen, nur in geringerem Grade, auftreten m\u00fcssen : dies w\u00fcrde aus dem schon erw\u00e4hnten Grund immer noch ein Fehlsehlufs bleiben. Wenn vier Pferde einen Wagen von der Stelle bringen, kann man nicht schliefsen, dafs ein einzelnes ihn ebenfalls, nur langsamer, von der Stelle bringen wird. Es kann eine Schwelle f\u00fcr den Eintritt der Reactionen geben.\nDer von R. Sommer k\u00fcrzlich construirte Apparat zur Messung feinster unwillk\u00fcrlicher Bewegungen (Psychograph)1 zeigt doch\n1 R. Sommer, Dreidimensionale Analyse von Ausdrucksbewegungen, Zeitschr. f. Psychol XVI, 1898, S. 275.\nAf\u00ab Llnaiatl. a1\nWT\n\u00df","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nC. Stumpf.\nauch nur, soweit Sommer\u2019s eigene Versuche reichen, dafs auf gewisse Eindr\u00fccke, die man sich vorher gemerkt hat, durch Bewegungen reagirt wird, wenn sie dann innerhalb einer Reihe Vorkommen ; aber nicht, dafs auf alle Eindr\u00fccke mehr oder minder reagirt w\u00fcrde. Wenn bei einer Farbenserie allerdings fast auf alle Farben reagirt wurde, so kommt aufser der individuellen Eigent\u00fcmlichkeit des Beobachters, auf die Sommer hin weist, in Betracht, dafs die gespannte Aufmerksamkeit des Beobachters eben jeder neuen Farbenerscheinung zugewandt wurde. Das sind immer noch andere Umst\u00e4nde als sie im gew\u00f6hnlichen Leben stattfinden. Im Uebrigen lehrt uns Sommer\u2019s Abhandlung sehr eindringlich, wie viele Nebenumst\u00e4nde hierbei mitspielen und dafs, wie dieser vorsichtige Forscher selbst hervorhebt, \u201eim einzelnen Fall die Deutung der Curve grofse M\u00fche verursacht und nur nach einem sehr sorgf\u00e4ltigen Studium der normalen Haltung (der spontanen Bewegungen des Fingers) gelingen kann.\u201c\nDiesen Erw\u00e4gungen zu Folge kann das Gesetz der Dynamogenie vorl\u00e4ufig f\u00fcr nichts weniger als bewiesen gelten. Das Gehirn ist ja nicht wie eine R\u00f6hre, durch die jeder Reiztropfen sogleich nach der Peripherie abfliefst. Es ist eher wie ein Sammelbassin, und zwar nicht blos f\u00fcr kinetische, sondern auch, und ganz wesentlich, f\u00fcr potentielle Energie. Wenn James unseren ganzen Organismus mit einem Conductor vergleicht, auf dessen Oberfl\u00e4che die elektrische Spannung sofort an jedem Punkt ge\u00e4ndert wird, sobald sie auch nur an einem Punkt eine Aenderung erf\u00e4hrt, wenn er in den st\u00e4rksten Ausdr\u00fccken betont, dafs jede m\u00f6gliche Empfindung den gesammten Organismus in allen seinen Theilen afficire1, so kann ich dies nur f\u00fcr eine gewaltige Ueber-\n1 Every possible feeling produces a movement, and the movement is a movement of the entire organism, and of each and all its parts. Psych. II, 372. A process set up anywhere in the centres reverberates everywhere, and in some way or other affects the organism throughout. Ib. II, 381. Cf. 379.\nAn sp\u00e4teren Stellen (526, 635) f\u00fcgt \u00fcbrigens J\u00e4hes selbst die Clausel bei, dafs eine gewisse St\u00e4rke der Reize erforderlich sei, damit die Impulsivit\u00e4t des Bewufstseins wirksam werde, da die motorischen Processe wie alle Naturdinge eine gewisse Tr\u00e4gheit h\u00e4tten, die auch individuell variire. Diese Einschr\u00e4nkung \u00e4ndere aber nichts Wesentliches an dem Gesetz. Ich d\u00e4chte doch, dafs man es dann \u00fcberhaupt nicht so wie vorher geschehen aussprechen d\u00fcrfte (denn Ausdr\u00fccke wie \u201ejede m\u00f6gliche Empfindung\u201c schliefsen Einschr\u00e4nkungen in aller Form aus), und dafs es","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Oem\u00fcthsbewegung.\n88\ntreibung ansehen. Und es ist ein Gl\u00fcck, dafs wir nicht so empfindlich reagiren. Die Empfindungen und Vorstellungen, bez. die mit ihnen gleichzeitigen centralen Processe k\u00f6nnen, statt sich in die Peripherie zu entladen, ganz oder theilweise auf die Leitungen innerhalb des Gehirns \u00fcbergehen und schliefslich irgendwo in der Form von Spannkr\u00e4ften hegen bleiben, gelegentlicher Ausl\u00f6sung durch neue \u00e4ufsere oder innere Reize harrend. Mit dieser doch sonst allgemein geltenden Vorstellungsweise steht das ideomotorische Gesetz, wie es ausgesprochen zu werden pflegt, in unl\u00f6slichem Widerspruch. Beide zusammen k\u00f6nnen nicht wahr sein; die Wahrscheinlichkeit ist aber zun\u00e4chst ganz bei der fr\u00fcheren Vorstellungsweise.\nEndlich: wir wollen einmal annehmen, es sei so, wie verlangt wird, also jede, auch die schw\u00e4chste, Empfindung und Vorstellung ziehe den ganzen Organismus in allen seinen Theilen in Mitleidenschaft: so w\u00fcrde damit immer noch nicht gegeben sein, dafs wir nun alle diese Ver\u00e4nderungen auch wieder empfinden. Vielmehr giebt es bekanntlich eine Schwelle auch in dieser Beziehung. All die feinen organischen Reactionen auf \u00e4ufsere Eindr\u00fccke, die wir an den Apparaten nachweisen k\u00f6nnen, beweisen daher f\u00fcr unsere Frage noch gar nichts. Sie m\u00fcssen von dem Reagirenden selbst empfunden werden, wenn sie f\u00fcr die psychologische Definition seines Affects fruchtbar gemacht werden sollen. Gerade der Umstand, dafs wir uns so sehr verwundern \u00fcber diese kleinen Zuckungen, Volumver\u00e4nderungen, Pulskr\u00e4uselungen, die sich auf der berufsten Trommel aufzeichnen, lehrt deutlich genug, dafs wir sie eben gr\u00f6fstentheils nicht empfinden. Nun kann man vielleicht noch sagen, sie w\u00fcrden in ihrer Gesammtheit empfunden, aber nicht jede f\u00fcr sich. Immerhin, eine Schwelle d\u00fcrfte es doch auch daf\u00fcr geben ; jedenfalls fehlt hier wieder ein Glied in der Beweisf\u00fchrung.\nJa, wenn es Innervationsempfindungen im alten Sinne des Wortes g\u00e4be! Wenn unseren Bewegungen Bewegungsempfindungen vorausgingen, und wenn solche Empfindungen vorhanden sein k\u00f6nnten, selbst ohne dafs die Bewegung wirklich eintritt ! Dann w\u00fcrden diese centralen Empfindungen einen unsch\u00e4tzbaren Grundstock f\u00fcr alle Affecte abgeben k\u00f6nnen, auch\ndann auch f\u00fcr die sensualistische Affectenlehre keinen so g\u00fcnstigen Boden mehr darstellte.\n6*","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nC. Stumpf\nda wo objectiv nicht die geringste Ver\u00e4nderung nachweisbar w\u00e4re. Dann liefse sich alles Deficit der Theorie durch Anleihen bei dieser Centralbank decken. Aber sie hat Bankerott gemacht ; und Niemand hat schlagender ihre Zahlungsunf\u00e4higkeit erwiesen als gerade James. Er betont daher nachdr\u00fccklich, dafs aus-schliefslich solche Empfindungen, die von den K\u00f6rpertheilen durch centripetale Nervenleitung, afferent currents, hervorgebracht werden, den Affect ausmachen. Aber es ist nicht der Schatten eines Beweises erbracht, dafs jede Empfindung der objectiven Sinne (Auge, Ohr, Tastsinn etc.) oder gar jede blolse Vorstellung noth wendig mit einer Modification dieser centripetal erregten Organempfindungen verkn\u00fcpft w\u00e4re.\n\u00a7 9. Beweisgr\u00fcnde gegen die sensualistische\nDefinition.\nAber nicht blos bleibt die sensualistische Affectenlehre hinsichtlich ihrer thats\u00e4chlichen St\u00fctzen und ihrer allgemeineren theoretischen Grundlagen \u00fcberall den Beweis schuldig: sie steht auch direct mit den Thatsachen im Widerspruch.\nVor Allem mufs eine Definition umkehrbar sein. Sind die Affecte Organempfindungen, und zwar ohne specifisches Unterscheidungsmerkmal, so sind auch die Organempfindungen Affecte. Man sieht dann nicht ein, warum wir Magendr\u00fccken, Hunger und S\u00e4ttigungsgef\u00fchl, Hitzegef\u00fchl und Fr\u00f6steln in einzelnen K\u00f6rpertheilen oder im ganzen K\u00f6rper nicht unter den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung subsumiren sollen. Warum entschliefst man sich nicht zu der Verallgemeinerung? Weil uns eben zu deutlich das Bewufstsein sagt, dafs zwischen den sonst so genannten Gem\u00fcthsbewegungen und jenen blofsen Organempfindungen ein Wesensunterschied besteht. Oder sollen wir nur eine besondere Classe oder nur besondere Combinationen von Organempfindungen Affecte nennen? Wie man\u2019s auch anfange, die Schwierigkeit kehrt wieder: man wird dann eben fragen, wie diese besondere Classe oder Combination dazu gekommen ist, von jeher als besondere abgetrennt und mit einem ganz anderen Namen belegt zu werden; und man m\u00fcfste, nachdem dies als unberechtigt erkannt w\u00e4re, auch den Namen der Gem\u00fcthsbewegungen in Zukunft auf alle Classen und Combinationen ausdehnen.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fctksbewegung.\n85\nMan k\u00f6nnte entgegnen: \u201eDen Magenschmerz nennen wir nicht eine Gem\u00fcthsbewegung, aber er ist der wesentlichste Tb eil einer solchen, und zum Ganzen fehlt nichts als die Vorstellung eines \u00e4ufseren Ereignisses, das in gewissem Zusammenhang damit steht. Diese hinzukommende Vorstellung ist aber etwas rein Intellectuelles. Das Emotionelle an der Gem\u00fcthsbe-wegung ist doch mit dem Magenschmerz gegeben.\u201c\nErinnern wir uns aber, dafs nach der ausdr\u00fccklich anerkannten Consequenz der Lehre das Intellectuelle auch fehlen kann, ohne dafs der Affect aufh\u00f6rte ein Affect zu sein oder auch nur -seine Beschaffenheit zu ver\u00e4ndern ; erinnern wir uns, dafs die blofse Ver\u00e4nderung des k\u00f6rperlichen Gemeingef\u00fchls durch den Alkohol schon als eine wahre und vollg\u00fcltige Gem\u00fcths-bewegung in Anspruch genommen wird: so f\u00e4llt in der That jeder Grund hinweg, nicht auch jedes beliebige Bauch- und Zahnweh als solches dem Begriff der Gem\u00fcthsbewegung unterzuordnen.\nVielleicht geht man nun so weit, diese Consequenz anzuerkennen und diese Ausdehnung des Begriffs zu verlangen. Wir wollen daher versuchen, die Incongruenz der Lehre mit den Bewufstseinsthatsachen noch auf andere Weise zu verdeutlichen.\nEs ist zwar nicht m\u00f6glich, Affecte ohne jede Anwesenheit von Organempfindungen zu erzeugen, da wir ein psychisches Leben ohne solche \u00fcberhaupt nicht kennen. Aber w\u00e4re die Theorie richtig, dann m\u00fcfsten die Affecte nach Intensit\u00e4t, Qualit\u00e4t und zeitlichem Verlauf mit den Empfindungen, durch die sie definirt werden, zusammenfallen. Nichts von alledem ist der Fall.\na) Der tiefen R\u00fchrung \u00fcber einen grofsen und edlen Charakterzug, der Ergriffenheit eines k\u00fcnstlerisch veranlagten Menschen y or einem Bildwerk ersten Ranges oder bei einer Beethoven sehen Symphonie entspricht keineswegs die verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig \u00e4ufserst geringf\u00fcgige Pulsbeschleunigung, Erweiterung der Blut-gef\u00e4fse und Vermehrung des W\u00e4rmegef\u00fchls, die erh\u00f6hte Spannung der Augen- und Ohrmuskeln und was man sonst noch an empfindbaren Ver\u00e4nderungen auftreiben mag. Jenen \u201esubtler emotions\u201c ist James sicherlich nicht gerecht geworden. Er gesteht hier wohl rein cerebrale Affecte ohne merkliche periphere Begleiterscheinungen zu; aber sie seien, auch danach, \u201ed\u00fcnn","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nC. Stumpf.\nund blafs\u201c, und m\u00fcfsten eigentlich vielmehr zu den intellee-tuellen als den emotionellen Zust\u00e4nden gerechnet werden.\nBereits mehrfach haben Kritiker James entgegengehalten, dafs es eine offenbare Inconsequenz sei, emotions \u00fcberhaupt als Organempfindungen zu definiren und gleichwohl einer Classe der emotions dieses Merkmal abzusprechen. Formell liefee sich nun in der von James selbst angedeuteten Weise abhelfen, indem man eben die \u00e4sthetischen Erregungen gar nicht mehr mit dem Namen der \u201eemotions\u201c bezeichnete. Schwieriger m\u00f6chte es schon sein, auch all die einzelnen Ausdr\u00fccke : Mitleid, Furcht, Bewunderung, Liebe, Melancholie, Freude, Entz\u00fccken u. s. f. f\u00fcr das, was wir beim Genufs von Kunstwerken ruhig dasitzend f\u00fchlen, zu verbannen, sie durch Ausdr\u00fccke aus dem intellec-tuellen Gebiet zu ersetzen, und dann noch eine Psychologie der Kunst zu schreiben. Und gel\u00e4nge es auch: die Terminologie w\u00fcrde wiederum nichts an der Sache selbst \u00e4ndern. Freud und Leid ist in der Kunst nicht etwas wesentlich Anderes als im Leben, und die Sprache hat Recht, die qualitative Gleichartigkeit der Gem\u00fcthsbewegungen hier und dort in ihren Ausdr\u00fccken festzuhalten.\nJames selbst, indem er coarser und subtler emotions unterscheidet, deutet durch diese Comparative an, dafs es sich nur um graduelle Unterschiede handle. Nehmen wir dies an, so w\u00e4re es doch allein correct, das Gemeinschaftliche beider Classen als definirendes Merkmal der emotions anzusehen, die Eigent\u00fcmlichkeiten der gr\u00f6beren Affecte aber, die k\u00f6rperlichen Aeufserungen und organischen Empfindungen, eben nur als ein hinzukommendes besonderes Merkmal dieser einen Classe.\nAm wenigsten aber kann ich dem grofsen Psychologen zugestehen , dafs es sich bei den \u00e4sthetischen und ethischen Emotionen um d\u00fcnne, blasse, farblose Gem\u00fctszust\u00e4nde handle. Eine Gem\u00fctsbewegung kann sehr subtil sein (diesen Ausdruck m\u00f6gen wir gern acceptiren) und doch zugleich sehr intensiv; w'ie ein feines Gewebe st\u00e4rker sein kann als ein grobes.\nAuch den Ausweg, die \u00e4sthetischen Erregungen ihrem Kern nach auf die rein sinnliche Annehmlichkeit der Farben und T\u00f6ne zur\u00fcckzuf\u00fchren, mufs ich f\u00fcr ganz verfehlt ansehen. Von den redenden und bildenden K\u00fcnsten, die durchaus auf die associirten Vorstellungen angewiesen sind, nicht zu sprechen: selbst in der","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Ueher den Begriff der Gem\u00fcthsbetcegung.\n87\nMusik sind die tieferen Wirkungen auf intellectuelle Beth\u00e4tigung gegr\u00fcndet, wenn auch der Inhalt nicht mit den Ziffern und Pfennigen der Verkehrssprache auf den Tisch gez\u00e4hlt werden kann. Die so entstehenden Wirkungen sind nicht secund\u00e4re, unwesentliche, unk\u00fcnstlerische, sondern die prim\u00e4ren, besten und eigentlichsten der Kunst, auf denen ihr Rang und ihre Bedeutung f\u00fcr unser ganzes Leben beruht. Man komme hier nicht mit den Wirkungen der Musik auf die Marschf\u00e4higkeit der Kameele und Soldaten, oder mit den Zahnschmerzen und dem Unterleibskitzel bei schrillen T\u00f6nen, oder mit den m\u00fchsam und unsicher ermittelten Puls- und Athemver\u00e4nderungen, durch welche Sergi diese L\u00fccke bei James ausf\u00fcllen will.1 Athemver\u00e4nderungen treten ebenso ein beim trockensten Nachdenken, und Niemand wird uns glauben machen, dafs die Ersch\u00fctterungen und Seligkeiten, die wir empfunden haben, ausschliefslich in den Kr\u00e4uselungen der Pulscurve bestehen, die wir nicht empfunden haben.\nDa Ribot gerade die Musik, die \u201eKunst des Gef\u00fchls\u201c, zum Hauptbeweise f\u00fcr die rein physiologische Wirkung der Kunst heranzieht und seine Schlufsfolgerung : \u201eKurz, die Musik wirkt wie eine Brandwunde\u201c auch auf eine von mir erhaltene briefliche Aeufserung st\u00fctzt2, so mufs ich zur Aufkl\u00e4rung Folgendes bemerken. Ribot f\u00fchrt aus meinem Schreiben nur den Satz an : \u201eDer Grund hiervon d\u00fcrfte ein rein physiologischer sein.\u201c Aber seine Anfrage bezog sich auf das Musikgef\u00fchl der Thiere, und der Anfang meines Briefes, worin jener Satz vorkommt, lautete vollst\u00e4ndig so: \u201eNat\u00fcrlich kommt es bei dieser Frage darauf an, was man unter Musik versteht, wie man die Grenze zwischen Musik und nichtmusikalischen Ton- oder Schalleindr\u00fccken ziehen will; ob man z. B. schon die rhythmische Wiederholung einunddesselben Ger\u00e4usches, wie beim Trommeln, zur Musik rechnet Es scheint, dafs solche rhythmische Schalleindr\u00fccke auf einige h\u00f6here Thiere insofern wirken, als sie dadurch zu frischer Bewegung angetrieben werden, ganz ebenso wie wir es an uns selbst erleben. Der Grund hiervon d\u00fcrfte ein rein physiologischer sein, und wenn die Thiere sich dabei zugleich angenehm angeregt f\u00fchlen, so d\u00fcrfte daran nicht sowohl die intellectuelle Erfassung des Rhythmus als das durch rein physiologische\n1 S. den Bericht \u00fcber den dritten internationalen Congrefs f\u00fcr Psychologie 1896 (M\u00fcnchen 1897), S. 76.\n* Ribot, Psych, des Sentim., S. 104 f.","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nC. Stumpf.\nVer\u00e4nderungen, durch Belebung der Activit\u00e4t, herbeigef\u00fchrte Gemeingef\u00fchl Schuld sein ; w\u00e4hrend beim Menschen auch ein durch die Wahrnehmung der regelm\u00e4fsigen Intensit&ts- und Zeitverh\u00e4ltnisse und die daran gekn\u00fcpften Associationen bedingtes intellectuelles Element vorhanden ist. F\u00fcr die physiologische Theorie d\u00fcrfte von Wichtigkeit sein, dafs jene unmittelbar belebende Wirkung nur an rhythmische Eindr\u00fccke des Geh\u00f6rs gekn\u00fcpft ist (w\u00e4hrend doch rhythmische Eindr\u00fccke auch bei anderen Sinnen erzeugt werden k\u00f6nnen), und dafs wir unwillk\u00fcrlich die eigenen Bewegungen in Uebereinstimmung mit dem geh\u00f6rten Rhythmus zu bringen suchen, weil sie uns dann leichter werden.1 \u2014 Wenden wir uns nun zur tonalen Seite................\u201c\nEs folgten Er\u00f6rterungen \u00fcber die Empf\u00e4nglichkeit der Thiere f\u00fcr einzelne T\u00f6ne und f\u00fcr Intervalle, wobei ich die Vermuthung \u00e4ufserte, dafs das eigentliche Intervallbewufstsein, die Haupt-grundlage unseres Musikgef\u00fchls, den Thieren abgehe.2\nIch mufs mich also dagegen verwahren, als Zeuge f\u00fcr die rein physiologische Wirkung der Musik auf den Menschen und speciell den entwickelten Culturmenschen aufgerufen zu werden. Was man bei den Thieren von Musik und musikalischer Empf\u00e4nglichkeit finden will, mag zum gr\u00f6fsten Theil darauf zur\u00fcckgef\u00fchrt werden: die Wirkung eines Palestrina, Bach und Beethoven auf gebildete H\u00f6rer aber nur zum allerkleinsten Theil.\nBestreiten wir sonach die direct-physiologische Erkl\u00e4rung \u00e4sthetischer Wirkungen und finden wir ihre Intensit\u00e4t in keinem Verh\u00e4ltnifs zu den Ver\u00e4nderungen des k\u00f6rperlichen Gemeingef\u00fchls, so soll doch keineswegs in Abrede gestellt werden, dafs auch in solchen F\u00e4llen die mit der Gem\u00fcthsbewegung verkn\u00fcpfte G e h i r n erregung an Intensit\u00e4t dem psychischen Zustand proportional d. h. in ihrer Art von gleicher relativer St\u00e4rke sei. Was man bestimmt leugnen mufs, ist nur, dafs die peripheren Ver\u00e4nderungen und die organischen Sinnesempfindungen an Intensit\u00e4t auch nur von ferne sich mit der Gem\u00fcthsbewegung vergleichen lassen.\nWir haben \u00fcbrigens die k\u00fcnstlerischen Affecte hier nur als ein Beispiel angef\u00fchrt Auch im Leben giebt es allenthalben F\u00e4lle des intensivsten innerlichen Ergriffenseins ohne augenblick-\n1 Vgl. nunmehr B\u00fccheb, Arbeit und Rhythmus, Abh. d.s\u00e4chs. Gesellsch. d. Wiss. Ph\u00fcol.-hist. Cl. XVII (1896).\n* Vgl. in der Vierteljahrsschrift f. Musikwissenschaft I (188\u00f6), S. 312.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fct h\u00fcbe weg un g.\n89\nlieh gleichstarke Organempfindungen. Es ist wahr, dafs die Unterdr\u00fcckung der nat\u00fcrlichen Entladung heftiger Affecte dauernde Sch\u00e4digung des Nervensystems bewirken kann. Aber dies beweist eben nur wieder cerebrale Wirkungen; und gerade dafs diese eintreten, ist ein Zeichen, dafs der Affect trotz des Fehlens der peripherischen Reactionen intensiv vorhanden war.\nb) Auch in qualitativer Hinsicht treffen die Consequenzen der Lehre nicht durchgehends mit den Thatsachen zusammen. Bei Affeeten, die einander \u00e4hnlich sind, m\u00fcfsten sich hiernach \u00e4hnliche k\u00f6rperliche Ver\u00e4nderungen und Organempfindungen zeigen, bei un\u00e4hnlichen un\u00e4hnliche. Nun ist zwar beispielsweise die stille und die laute Freude, die des Kindes und die des Erwachsenen, auch psychologisch nicht die n\u00e4mliche Freude, aber sie sind sich doch relativ \u00e4hnlich gegen\u00fcber dem Unterschied des ganzen k\u00f6rperlichen Gehabens, in welchem das Gemeinsame gegen\u00fcber dem Verschiedenen bedeutend zur\u00fccktritt. Umgekehrt ist die Freude des Feinschmeckers, der eine gute Sorte entdeckt hat, und die des feinen Stilisten, dem ein sch\u00f6ner Satz gelungen, eine qualitativ verschiedene Freude, w\u00e4hrend die k\u00f6rperlichen Erscheinungen und selbst das Mienenspiel kaum zu unterscheiden sind. Jedenfalls sind eine intensive Freude und ein heftiger Zorn, wie schon mehrfach erinnert wurde, einander psychologisch so un\u00e4hnlich wie m\u00f6glich, die eine ein positives, der andere ein negatives, unlustiges Gef\u00fchl, w\u00e4hrend die peripheren Erscheinungen (abgesehen vom Mienenspiel) und die entsprechenden Organempfindungen starke Aehnlichkeit zeigen: heftige Bewegungen, Gef\u00e4fserweiterung, Herzklopfen, Blutandrang zum Kopf u. s. f. Deshalb steht denn auch C. Lange folgerichtig in seiner Affecten-tabelle (S. 40) diese beiden Affecte unmittelbar zusammen und l\u00e4fst den Unterschied nur darin bestehen, dafs beim Zorn incoordinirte, bei der Freude coordinirte Bewegungen auftreten. Er corrigirt ausdr\u00fccklich die gew\u00f6hnliche Anschauung und die KANT\u2019sche Definition, wonach der Zorn ein n\u00e4herer Verwandter der Sorge und des Schreckens als der Freude w\u00e4re, w\u00e4hrend doch eine physiologische Untersuchung lehre, dafs das Gegentheil der Fall sei (S. 9). Dieses Beispiel soll nach seiner Meinung deutlich zeigen, dafs wir bisher \u201enicht einen Schatten von Einsicht darein haben, was die einzelnen Affecte sind\u201c. Aber das Beispiel zeigt doch nur, wie alte Mifsverst\u00e4ndnisse immer wiederkehren. F\u00fcr die Vergleichung von Bewufstseinsgegenst\u00e4nden untereinander","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nC. Stumpf.\nmufs das Bewufstsein selbst und die Psychologie, die nur dessen Interpretin sein will, erste und letzte Instanz bleiben. Dar\u00fcber brauchen wir wohl hier kein Wort zu verlieren. W\u00e4hrend \u00fcbrigens Lange gegen den wirklichen und wesentlichen Unterschied der beiden Gem\u00fcthsbewegungen die Augen verschliefst, ist gerade der einzige Unterschied, den er noch \u00fcbrig l\u00e4fst, illusorisch: denn ausgelassene Freude kann sich gleichfalls in sinnlos-ungeordneten Bewegungen kundgeben (Freudentaumel), wenigstens beim Naturmenschen, dem einzigen, der auch seinem Zorn in solcher Weise den Lauf l\u00e4fst. Es w\u00e4re sonach von seinem Standpunkt thats\u00e4chlich kein Grund, die Begriffe Freude und Zorn noch auseinanderzuhalten.\nMan hat ferner darauf hingewiesen, dafs alle Affecte in ihren h\u00f6chsten Stadien \u00e4hnliche Ausdrucksbewegungen zeigen, indem dann eben der ganze K\u00f6rper in allen seinen Organen in Mitleidenschaft gezogen wird.1 Wenn dies auch so allgemein nicht zutreffen d\u00fcrfte [vgl. a)], so gilt es doch in weitem Umfang. James erwidert hierauf, dafs nach seiner Beobachtung auch psychologisch in gleichem Maafse die Unterschiede der Affecte verschw\u00e4nden. Dies ist nun freilich eine quaestio facti, \u00fcber die man Zeugen verh\u00f6ren und eine Abstimmung herbeif\u00fchren mufs. Ich stimme dagegen.\nAllerdings mufs ich der Ehrlichkeit halber gleichzeitig auch einen Zeugen f\u00fcr James stellen, und keinen geringeren als Lotze.2 Aber das Gewicht seiner Aussage wird dadurch beein-\n1 Vgl. hier\u00fcber die Betrachtungen Henle\u2019s, zuerst in seiner Allgemeinen Anatomie 1841, S. 758, zuletzt in seinen Anthropologischen Vortr\u00e4gen I, 1876. S. 66. Ferner Harless in Wagner\u2019s Handw\u00f6rterb. d. Physiol. Ill, 1 (1846), S. 560ff. ; wozu Lotze, Medic. Psychol. S. 526 f.\nDieser Umstand liefse sich vielleicht auch f\u00fcr die Entstehungsgeschichte der Ausdrucksbewegungen verwerthen. Man k\u00f6nnte sogar, wenn auch als ein \u201egewagtes Abenteuer der Vernunft\u201c, die Annahme versuchen, dafs urspr\u00fcnglich im Thierreich alle Affecte, auch bei schw\u00e4cheren Graden, mit den gleichen k\u00f6rperlichen Reactionen verkn\u00fcpft waren und nur die Intensit\u00e4t Unterschiede machte ; dafs dann, nicht ohne den Einflufs absichtlicher Kundgebung der inneren Zust\u00e4nde, eine allgemeine Aussonderung erfolgte, wobei unter diesem Vorrath die brauchbarsten haupts\u00e4chlich unter dem Gesichtspunkt der Symbolisirung ausgew\u00e4hlt wurden. Wenigstens ist kein Grund, den Einflufs der Absicht hier g\u00e4nzlich auszuschliefsen, ebenso wie beim Ursprung der Sprache, wo dies Marty mit Recht betont hat.\n* Lotze, Medicin. Psychol., 8. 520, 528. Vgl. Kleine Schriften II, 466.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"lieber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n91\ntr\u00e4chtigt, dafs er den Begriff des Affects aufserordentlich verengt, indem er nur die pl\u00f6tzlichen Ersch\u00fctterungen des Gem\u00fcths dazu rechnet und alle \u00fcbrigen Gef\u00fchle (die \u201echronischen\u201c) als Stimmungen bezeichnet. Er betont nun, dafs bei jenen acuten Affectionen in h\u00f6chster Steigerung eine momentane Stockung des Vorstellungslaufes, ja geradezu v\u00f6llige Bewufstlosigkeit eintrete, \u2014 in welchem geistigen Nullzustand sie dann freilich, als geistige Zust\u00e4nde genommen, einander sehr \u00e4hnlich sein m\u00fcssen.\nc) Was endlich den zeitlichen Verlauf betrifft, so wechseln doch oft in rascher Folge die verschiedensten Affecte, w\u00e4hrend die Organempfindungen so gut wie unver\u00e4ndert bleiben. Wem w\u00e4re es nicht begegnet, dafs er in bequemer R\u00fcckenlage ohne irgend merklichen Wechsel weder der \u00e4ufseren Eindr\u00fccke noch der vegetativen Functionen, nur seinen Vorstellungen, Erinnerungen, Phantasien hingegeben, Kummer, Sehnsucht, Freude, Dankbarkeit, Reue, Mitleid, Indignation, Begeisterung empfand? Wo bleiben die m\u00e4chtigen Umschw\u00fcnge der peripherischen Ver\u00e4nderungen? Aber pl\u00f6tzlich schl\u00e4gt die Uhr: man erschrickt nicht, aber man ist an die Berufsgesch\u00e4fte erinnert, springt auf, die ganze Muskulatur ist th\u00e4tig, das Herz und die Lungen m\u00fcssen momentan rascher arbeiten, die Organempfindungen sind wesentlich ver\u00e4ndert \u2014 und gerade jetzt ist das Spiel der Affecte dem ledernsten Amtsbewufstsein gewichen.\nAber auch wenn wir den zeitlichen Verlauf eines einzelnen Affects ins Auge fassen, will die Theorie nicht damit stimmen. Denken wir nur daran, dafs das Zittern, das Herzklopfen und die sp\u00fcrbaren Wirkungen auf die Eingeweide oft betr\u00e4chtlich l\u00e4nger dauern als die Furcht. Diese ist vorbei, sobald die Gefahr als illusorisch oder als vergangen erkannt ist. Oft genug ist wenigstens die Culmination eines Affects vor\u00fcber, sobald die peripheren Symptome auftreten; wir empfinden diese als Entladung , Erleichterung. Man k\u00f6nnte statt des ber\u00fchmten Paradoxons von James: \u201eWir sind traurig, weil wir weinen\u201c oft genug vielmehr sagen, dafs wir nicht mehr traurig sind, wenn wir weinen. Das eine wie das andere besagt unter Umst\u00e4nden etwas Richtiges, aber nicht ein allgemeing\u00fcltiges Verhalten.\nBeim Schrecken scheint in der That das Zusammenfahren vielfach dem Affect vorauszugehen. F\u00e4lle dieser Art benutzt James zum Beweis oder zur Erl\u00e4uterung seiner Lehre; aber genau","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nC. Stumpf.\ngenommen sprechen sie doch dagegen, denn nach ihr m\u00fcfste eben Gleichzeitigkeit bestehen. Nach der \u00e4lteren Auffassung hingegen ist es sehr wohl m\u00f6glich, dafs die sogenannten Ausdrucksbewegungen gelegentlich fr\u00fcher auftreten als der Affect selbst. Zwischen gewissen Sinnesprocessen und bestimmten Muskelgruppen k\u00f6nnen in den Centren Reflexverbindungen entstehen, welche ohne Zuthun unserer Vorstellungen und Ueberlegungen wirksam werden. Dies bestreitet Niemand, mag er \u00fcber die Affecte denken wie er will. An die n\u00e4mlichen Sinneseindr\u00fccke sind aber auch Vorstellungen, Erinnerungen gekn\u00fcpft. Und es ist nun sehr wohl denkbar, dafs die Reproduction dieser Erinnerungsbilder und die bewufste Vergegenw\u00e4rtigung der Gefahr l\u00e4ngere Zeit braucht als die Ausl\u00f6sung jener Bewegungen. Daher kommt in solchen F\u00e4llen der Affect nach der Bewegung.\nWir k\u00f6nnen hier gerade mit der urspr\u00fcnglichen Darstellung von James, die den Kritikern besonders anst\u00f6fsig war, insofern darin die Bedeutung der associirten Vorstellungen f\u00fcr die Reactionen kaum ber\u00fchrt wurde (s. o. S. 64), eine F\u00fchlung gewinnen. Nicht blos bei starken Eindr\u00fccken kann das Zusammenfahren direct durch den Sinnesreiz ausgel\u00f6st werden, sondern auch bei solchen, die fr\u00fcher durch Vermittelung von associirten Vorstellungen diese Wirkung \u00fcbten. Es kann sich im individuellen und im generellen Leben eine verk\u00fcrzte Bahn gebildet haben. Namentlich tritt die directe Wirkung ein bei reizbarer Verfassung des Nervensystems.1\n1 Man kann hierbei sogar zuweilen den Eindruck haben, als ob die Bewegung nicht blos vor dem Affect, Bondern sogar vor der Sinnes-empfindung eingetreten w\u00e4re, was dann nat\u00fcrlich auf einer T\u00e4uschung beruht. So erz\u00e4hlt Lichtenberg (Vermischte Schriften I, 18): \u201eWenn ich bisweilen viel Kaffee getrunken hatte und daher \u00fcber Alles erschrack, so konnte ich ganz genau merken, dafs ich eher erschrack, ehe ich den Krach h\u00f6rte.\u201c Tiedemann sagt (Handb. d. Psychologie, 1804, S. 30), dafs er Aehn-liches mehrmals auf der Jagd beobachtet habe, indem er fr\u00fcher zusammenfuhr und zum Gewehr griff, als er das herzulaufende oder fliegende Wild eigentlich gesehen hatte. Analoges hat auch Mach wiederholt beobachtet: \u201eIch safs in die Arbeit vertieft in meinem Zimmer, w\u00e4hrend im Nebenzimmer Versuche \u00fcber Explosionen angestellt wurden. Regelm\u00e4fsig geschah es nun, dafs ich zuerst erschreckt zusammenzuckte und nachher erst den Knall h\u00f6rte\u201c (Beitr\u00e4ge zur Analyse der Empfindungen, 1886, S. 107).\nLichtenbebq\u2019s Folgerung : \u201eWir h\u00f6ren also gleichsam noch mit anderen Werkzeugen als mit den Ohren\u201c scheint anzudeuten, dafs er an eine Geh\u00f6rs-Vorstellung oder -Hallucination denkt, die der Empfindung vorauseilte.","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fc thsbeweg ung.\n93\nJa es kann die Bewegung eintreten und der Affect aus-bleiben, weil wir eben sogleich das Nichtvorhandensein einer Gefahr erkennen. Wenn man, wie es freilich im Leben oft geschieht, auch in solchem Falle sagt, man sei erschrocken, statt zu sagen, man sei zusammengefahren, so wird man aus dieser \u00fcbertragenen Ausdrucksweise in exceptionellen F\u00e4llen keinen Beweis schmieden d\u00fcrfen, zumal da doch meistens auch schon die nachtr\u00e4gliche blofse Vorstellung von der M\u00f6glichkeit des Ereignisses einen Anfang des wirklichen Affectes aufkommen l\u00e4fst.\nEs ist ein Mifsverst\u00e4ndnifs, wenn die \u00e4ltere Lehre so aufge-fafst wird, als ob Ausdrucksbewegungen stets nur die Wirkungen der Affecte w\u00e4ren. Sie k\u00f6nnen ihre Wirkung sein, oder wenigstens ihnen zeitlich folgen. Aber sie k\u00f6nnen auch gleichzeitige Begleiterscheinungen sein, oder sie k\u00f6nnen den Affecten unmittelbar vorausgehen. Ausdrucksbewegungen sind eben diejenigen \u00e4ufseren Erscheinungen, aus denen ein Anderer die Anwesenheit eines Affectes erschliefst. Sie m\u00fcssen daher eine hinreichend regelm\u00e4fsige zeitliche Verkn\u00fcpfung mit den bez\u00fcglichen Affecten besitzen. Aber das genauere Zeitverh\u00e4ltnifs kann dabei ein verschiedenes sein.\nSo l\u00e4fst die \u00e4ltere Lehre, richtig verstanden (ich will nicht sagen, dafs sie von allen ihren Anh\u00e4ngern so verstanden w\u00e4re), die n\u00f6thigen Modificationen zu, um sich den Thatsachen der inneren und \u00e4ufseren Wahrnehmung ungezwungen anzupassen, w\u00e4hrend die neuere hier wieder zu Incongruenzen f\u00fchrt.\n\u00a7 10. Richtiges in der sensualistischen Lehre.\nNach Allem k\u00f6nnen wir also die sensualistische Auffassung nicht als eine principielle Verbesserung des bisherigen Standpunktes ansehen. Sie ist nur eine einseitige Uebertreibung von Merkmalen, auf welche fr\u00fchere Beschreibungen des psychischen Sachverhaltes h\u00e4ufig \u2014 nicht immer \u2014 zu wenig geachtet hatten. Indem wir aber diese Unvollst\u00e4ndigkeit vieler fr\u00fcheren \"Darstellungen anerkennen, l\u00e4fst sich vielleicht eine Verst\u00e4ndigung erzielen.\nGilt es, nicht blos das Minimum wesentlicher Merkmale anzugeben, die den Begriff des Affects \u00fcberhaupt und der\nAber schon Tiedemann interpretirt richtiger: \u201eDas Bewusstsein erfordert einige Zeit, um ganz vollst\u00e4ndig oder klar zu werden.\u201c Die Apperceptions-zeit ist hier l\u00e4nger als die Reactionszeit.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nC. Stumpf.\neinzelnen Affecte ausmachen, sondern eine einigermaafsen ausgiebige Beschreibung des Gesammtzustandes zu liefen*, welchem so inhaltschwere W\u00f6rtchen wie Zorn, Gram, Liebe entsprechen : dann freilich werden die Organempfindungen mehr als bisher in den Vordergrund treten m\u00fcssen. Romanschreiber sind uns hierin vorausgeeilt. Der Ton, die Farbe, die Temperatur des Affects ist durch solche Empfindungen sicherlich mitbedingt Wir werden dann auch in jenen durch blos physiologische Zust\u00e4nde oder Medicament\u00a9 erzeugten Pseudo-Affecten (Angst, Muth) nicht blos Dispositionen zu wirklichen Affecten, sondern zugleich Theilinhalte von solchen erblicken. Wie viel freilich im einzelnen Fall auf Rechnung des sinnlichen Antheils kommt \u2014 wer wollte dies sagen! Es giebt keine Retorte zur Gef\u00fchlsverdampfung und keine Waage zur Bestimmung der Erdenreste. Soviel scheint aber klar, dafs der sinnliche Antheil verschieden ist nach der Art des Affectes und nach den Individuen.\nSo schliefst der gemeine Zorn gewifs starke Bewegungs- und Circulationsempfindungen in sich, und besteht das Vergn\u00fcgen am Niedrig-Komischen nicht zum geringsten Theil in einer Art von Massage durch die angenehmen Ersch\u00fctterungen des Lachens. Besonders aber enthalten die \u201eStimmungen\u201c: Depression, Melancholie, Heiterkeit, Exaltation u. s. w. solche Elemente. Hier d\u00fcrften, zumal bei Geisteskranken, Grenzf\u00e4lle Vorkommen, in denen die Auffassung von James in ihr Recht tritt, wenn auch gewisse unbestimmtere Vorstellungen und Urtheilsth\u00e4tigkeiten niemals fehlen werden. Selbst gleichnamige Affecte weisen in Hinsicht der betheiligten Organempfindungen ungeheure Unterschiede auf. Was nennen wir Alles \u201eErwartung\u201c ! Einmal einen rein theoretischen Zustand, ein anderes Mal das Zittern und Gl\u00fchen, wie es Schiller unter diesem Titel besungen. Dazwischen unz\u00e4hlige Ueberg\u00e4nge. Und so auch zwischen der ganz platonischen und der ganz unplatonischen \u201eLiebe\u201c.\nUnter gleichen Umst\u00e4nden endlich besitzt der gleichnamige Affect in Verschiedenen verschiedene Form. \u201eQuilibet uniuscujusque individui affectus ab affectu alterius tantum discrepat, quantum essentia unius ab essentia alterius differt\u201c (Spinoza, Eth. HI, prop. 57). Die Freude des Verschlossenen und des Offenen, des Theoretischen und des Praktischen, des Sanguinikers und des Phlegmatikers kann intensiv vielleicht gleich grofs sein, sie ist qualitativ verschieden. Und hier ist gewifs nicht blos der","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n95\nGrad der Betheiligung von Organempfindungen, sondern auch die Art der betheiligten Empfindungen eine verschiedene. Die Unterschiede der motorischen und sensorischen Naturen, die auf dem Gebiete der Intelligenzth\u00e4tigkeiten der neueren Psychologie gel\u00e4ufig sind, werden sich hier nicht minder geltend machen; und wie wir dort unter den sensorischen Individuen wieder besonders Gesichts- und Geh\u00f6rsmenschen unterscheiden, so d\u00fcrften hier die Affecte beim Einen mehr durch die Empfindungen der Magen- und Darmfunctionen, beim Anderen durch die der Athmungs- und Herzth\u00e4tigkeit oder der Dr\u00fcsenfunctionen ihr Localcolorit empfangen. Vielleicht lassen sich auch selbst aus dem Unterschied der Brust- und der Zwerchfellathmung noch Unterschiede in der Beschaffenheit der Affecte ableiten.\nWenn wir uns erinnern, dafs der Anatom Stkickeb, der alle Ton- und Sprachvorstellungen auf Muskelempfindungen reduciren \u25a0wollte, sich nur eben als ein besonders ausgepr\u00e4gtes motorisches Individuum erwies, das mit Unrecht seine Eigenth\u00fcmlichkeit verallgemeinerte, so ist am Ende die Vermuthung nicht zu k\u00fchn, dafs Lange zu den Vasomotorikern geh\u00f6re, w\u00e4hrend bei James mehr die visceral sensations vorherrschen m\u00f6gen.\nDoch nicht blos bei der Beschreibung im Einzelnen, sondern auch bei einer allgemeinen Classification der Affecte m\u00f6gen solche Merkmale k\u00fcnftig wohl mehr als fr\u00fcher zu Unterein-theilungen benutzt werden. Nur davon kann ich mich nicht \u00fcberzeugen, dafs es zweckm\u00e4fsig w\u00e4re, sie an die Stelle der alten Merkmale zu setzen, die sich haupts\u00e4chlich auf die Unterschiede der dem Affect zu Grunde liegenden Vorstellungen und Urtheile, secund\u00e4r auf die der Zeitdauer, der Intensit\u00e4t, der Art des psychischen Verlaufes u. dgl. bezogen. Die hiernach gebildeten Classen stimmen leidlich gut mit der Anwendung der Ausdr\u00fccke im gew\u00f6hnlichen Leben \u00fcberein. Bei einer Classification hingegen, wie sie James vorschwebt, w\u00fcrde dies kaum mehr der Fall sein und eine neue Nomenclatur erforderlich werden. Es d\u00fcrfte gute Weile haben, bis man damit so feinen Unterschieden gerecht werden kann, wie sie z. B. zwischen Aerger, Kummer, Besorgnifs, Entsagung, Niedergeschlagenheit, Sehnsucht, Bitterkeit, Verdrossenheit, Weltschmerz, Mifstrauen, Verachtung, Hafs, Neid, Reue, Mitleid u. dgl. bestehen und nach der bisherigen Methode ziemlich gut charakterisirt werden k\u00f6nnen. Und ob man schliefslich die Eintheilung der Gem\u00fcthsbewegungen","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nC. Stumpf.\nnach Muskel-, Athmungs-, Herz-, Unterleibsempfindungen u. dgL kurzweiliger finden wird, als die der alten psychologischen Lehrb\u00fccher, \u00fcber die sich James so bitter beklagt, das wird wohl Sache des Geschmackes bleiben. Wir pflegen uns heute \u00fcberhaupt nicht so lange bei diesen Classificationen aufzuhalten wie die M\u00f6nche des Mittelalters oder die philosophischen M\u00f6nche Cartesius und Spinoza. Denn unleugbar hat es etwas Pedantisches und Widerstrebendes, die ewig bewegten Quellen und Str\u00f6me, die alles Gl\u00fcck und alle Noth des Lebens in sich schliefsen, sauber geordnet an den Fingern herzuz\u00e4hlen. Aber wenn und soweit einmal eine Classification gegeben werden soll, wtifste ich hier principiell nicht anders zu verfahren, als es von jeher geschehen ist.\n\u00a7 11. Einiges \u00fcber die Entstehungsbedingungen der Affecte und \u00fcber Apathie.\nViel fruchtbarere Erweiterungen der Theorie d\u00fcrften dagegen in Hinsicht der Entstehungsbedingungen der Affecte bevorstehen, die wir hier nur streifen konnten. Namentlich die F\u00e4lle der Apathie k\u00f6nnen daf\u00fcr lehrreich werden, und man mufs es James Dank wissen, dafs er das Nachdenken darauf hingelenkt hat Doch werden hier mehr als jene seltenen und k\u00fcnstlichen F\u00e4lle, die wir oben einer kritischen Zergliederung unterzogen, die zahlreichen Erscheinungen in Betracht kommen, wie sie das Leben und die gew\u00f6hnlichen Erfahrungen der Aerzte bieten: Apathie bei Blutarmuth, Ersch\u00f6pfung, Todesn\u00e4he, bei Krankheiten der Unterleibsorgane und Gehirnkrankheiten.1 Sie zeigen u. A., dafs die Vorstellungen und Urtheile, vermittelst deren ein Affect nach der alten hier vertheidigten Auffassung definirt wird, doch keineswegs die vollst\u00e4ndigen Bedingungen seines Auftretens darstellen. Denn sie k\u00f6nnen, scheint es, in aller Klarheit vorhanden sein, ohne dafs der Affect in merklichem Maafse sich einstellt.\nHieraus darf man nicht etwa schliefsen, dafs auch der alten Definition die Umkehrbarkeit abgehe. Der Affect ist ja nicht definirt als eine Summe von Vorstellungen und Urtheilen, sondern\n1 Erw\u00fcnscht w\u00e4re eine Sammlung und Discussion von Beobachtungen \u00fcber Apathie, wie wir solche \u00fcber die verwandten Erscheinungen der Abulie besitzen. Zwei sehr ausgepr\u00e4gte F\u00e4lle bei Lebererkrankung bespricht Ribot, Psych, des Sentiments S. 54. Zwei F\u00e4lle bei Ersch\u00f6pfung s. u.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Ueher den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung.\n97\nals das auf solche gegr\u00fcndete Gef\u00fchl. Die qualitative Eigenart dieses Gef\u00fchls h\u00e4ngt, so nehmen wir an, in erster Linie an dieser immanenten psychischen Grundlage. Aber dafs es \u00fcberhaupt auftritt und in welcher St\u00e4rke, dies ist von aufserbewufsten physiologischen Umst\u00e4nden mitbedingt. Man kann sich dies, wenn man will, auch in die Sprache des Monismus \u00fcbersetzen.\nDie Thatsachen selbst betreffend, so bedeutet das Wort Apathie allerdings auch in diesen F\u00e4llen, wie in den oben besprochenen, zun\u00e4chst nicht das wirkliche Fehlen aller Gem\u00fcths-bewegung, sondern das Vorhandensein einer bestimmten Art von Gem\u00fcthsbewegung, n\u00e4mlich einer tiefen und anhaltenden Depression. Aber eine solche mufs in mehrfacher Weise allm\u00e4hlich doch eine fortschreitende Abschw\u00e4chung des Gef\u00fchlslebens herbeif\u00fchren : einmal indem sie hemmend, nivellirend auf den Vorstellungsverlauf und die intellectuellen Th\u00e4tigkeiten wirkt und damit dem Gef\u00fchlsleben seine psychische Basis entzieht, sodann indem direct das Vorhandensein einer solchen vorherrschenden Gem\u00fcthsbewegung das Auftreten anderer, namentlich positiver Affecte verhindert, auch wenn die dazu geh\u00f6rigen Vorstellungen und Urtheile sich einfinden. Findet aber kein Wechsel der Gem\u00fcthsbewegung mehr statt, so wird auch die Eine \u00fcbriggebliebene an Intensit\u00e4t abnehmen, dem Gesetz des Contrastes entsprechend, das alles Gef\u00fchlsleben beherrscht\nDer Ausgangspunkt dieses Processes aber, das Vorhandensein einer tiefen und anhaltenden Depression, kann seinerseits nicht immer aus den psychologischen Vorbedingungen hergeleitet werden. Ist einer in Lebensumst\u00e4nde gerathen, die ihm jede Quelle der Freude und der Hoffnung abschneiden, so ist Alles wohl begreiflich. In pathologischen F\u00e4llen aber k\u00f6nnen rein physiologische St\u00f6rungen, die sich auf psychischer Seite nur etwa in K\u00f6rperempfindungen, nicht in Vorstellungen und Ur-theilen, geltend machen, dieselbe Wirkung haben. Und hierbei d\u00fcrften die St\u00f6rungen der Blutversorgung und des Blutkreislaufes, auf die Lange allgemein das entscheidende Gewicht legt, in der That die erste Rolle spielen.\nEine Dame, die nach einem heftigen Typhus solcher Schw\u00e4che verfiel, dafs sie auf gegeben war, lieferte mir nach der Erinnerung eine Beschreibung ihres Zustandes, aus der hervorgeht, dafs sie Alles um sich beobachtete, auch die Aethereinspritzung, den Geschmack im Munde, \u00fcber Alles klar reflectirte, daraus schlofs,\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XXI.\t7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nC. Stumpf.\ndafs es zu Ende gehe, aber ohne sich irgendwie dar\u00fcber aufzuregen. Auch zu jeder anderen Gef\u00fchlsregung war sie unf\u00e4hig. Ihren sonst \u00fcber Alles gebebten Mann sah sie mit verweinten Augen vor sich stehen, aber er war ihr auch fast nur ein Object der Beobachtung. Man bot ihr an, ihr das S\u00f6hnchen zu zeigen, wenn sie ruhig bliebe. \u201eWarum soll ich nicht ruhig bleiben \u2014 dachte sie \u2014, warum das Kind, warum die Feierlichkeit?\u201c Auch ihre eigene innere Oede und Leere bildete nur einen Gegenstand der Beobachtung und etwa noch einer gewissen theoretischen Verwunderung. Furchtbare Magenschmerzen und Schlaflosigkeit mochten hier wohl zu einem Gem\u00fcthszustand beigetragen haben, in welchem das erwartete Ende als einziger Gegenstand eines Wunsches \u00fcbrig blieb, aber die Hauptursache der Apathie lag gewifs in der allgemeinen Schw\u00e4che, die auch den Wegfall der cerebralen Bedingungen intensiver Affecte in sich schlofs.1\nEine \u00e4hnliche Selbstbeschreibung liefert der bekannte Alpinist Theodor Wundt.2 Bei einer Hochgebirgstour im Winter war er gegen Abend in eine verzweifelte Lage g\u00e8rathen, hatte \u00fcberm\u00e4fsige Muskelarbeit zu leisten und seit der Fr\u00fche nichts gegessen. Endlich blieb er liegen. \u201eEine grofse Ver\u00e4nderung war in mir vorgegangen. W\u00e4hrend mich Anfangs die Furcht, liegen zu bleiben, vorw\u00e4rts getrieben hatte, so hatte dieser Gedanke jetzt geradezu etwas anheimelndes f\u00fcr mich .... Ein Gef\u00fchl v\u00f6lliger Gleichg\u00fcltigkeit war \u00fcber mich gekommen. Dafs das Liegenbleiben mir zum Verderben werden mufste, war mir klar, aber ich war durchaus apathisch gegen diesen Gedanken.\u201c Nach etwa einer halben Stunde sp\u00fcrte er Durst und verschluckte etwas Schnee, f\u00fchlte sich sofort aufs er ordentlich belebt, afs noch mehr davon, und nun waren die Gedanken an Liegenbleiben verschwunden und Muth und Entschlufs wiedergefunden.\nSollen wir nun aus solchen Beschreibungen, die sehliefslich auch nur extreme F\u00e4lle dessen bieten, was man allezeit im Kleinen erlebt, etwa schliefsen, dafs die Empfindung eines wohlversorgten\n1 Vgl. hierzu die Schilderung vom Zustande des sterbenden F\u00fcrsten Alexei in Tolstoi\u2019s \u201eKrieg und Frieden\u201c, die so auffallend hiermit \u00fcbereinstimmt (aufser dafs das S\u00f6hnchen als Erregungsmittel herbeigebracht wird), dafB ich eine Frage an die Dame f\u00fcr n\u00f6thig hielt, ob nicht etwa die Lect\u00fcre dieses Buches einen Einflufs auf ihre Erinnerung gehabt. Aber es ist dies vollkommen ausgeschlossen und die Coincidenz nur ein Zeugnifs f\u00fcr die Naturwahrheit des Romans.\n* Zeit8chr. des deutschen u. \u00f6sterr. Alpenvereins Bd. 23, S. 304. 1892.","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"lieber den Begriff der Gem\u00fc thsbewegung.\n99\nMagens ein integrirender Bestandtheil aller Gem\u00fcthsbe-wegungen sei und dafs darum ein leerer Magen Apathie erzeuge? Gewifs w\u00e4re dies ein Fehlschlufs. Aber zu den Vorbedingungen f\u00fcr die Entstehung kr\u00e4ftiger und mannigfaltiger Affecte geh\u00f6rt offenbar eine normale Blutbildung. Und zu den Aufgaben einer physiologisch erkl\u00e4renden Psychologie geh\u00f6rt die n\u00e4here Erforschung der Gehimprocesse, welche den Zusammenhang vermitteln.\nM\u00f6glicherweise werden auch die Untersuchungen \u00fcber Gehirnlocalisation dazu beitragen. Nach den Angaben von Goltz u. A. k\u00f6nnen bei Abtragung der Stimlappen oder Scheitellappen (die Angaben stimmen nicht genau \u00fcberein) Charakterver\u00e4nderungen erfolgen, insbesondere aus gutartigen boshafte und gewaltth\u00e4tige Thiere werden1 ; und es sind auch aus pathologischen Beobachtungen am Menschen \u00e4hnliche Schl\u00fcsse gezogen worden.2 * * * * * Manche bringen diese Ver\u00e4nderungen mit Ausfallserscheinungen in Hinsicht der Empfindungs- und Vor-stellungsth\u00e4tigkeit, mit einer Art von Disgregation der Seele in Zusammenhang.8 In keinem Fall w\u00fcrde man die Annahme selbst\u00e4ndiger charakterbildender Factoren im Gehirn gutheifsen k\u00f6nnen. An eine Localisation der Charaktere und Temperamente h la Gall denkt ohnedies Niemand mehr. Es wird sich vor Allem noch um Vermehrung, Best\u00e4tigung und Specificirung der Thatsachen handeln.\nVon dieser Seite also, durch Untersuchungen \u00fcber die Bedingungen der Apathie und der Allopathie (wenn der Ausdruck hier erlaubt ist) wird die medicinische, psychiatrische, experimentellphysiologische Forschung der Affectlehre noch grofse Dienste leisten, nicht aber durch umst\u00fcrzende Definitionen der Affecte selbst.\n1 Goltz, Pfl\u00fcgbk\u2019s Archiv f. d. ges. Physiol. Bd. 28 (1882), S. 580; Bd. 34\n(1884), 8. 477 f., 500 f. Fermer und Yeo, Philos. Transact. Bd. 175 (1884),\nS. 480\u2014483, 522\u2014532. Luciani, Brain Bd. 7 (1885), S. 160. Blanchi, daselbst\nBd. 18 (1895), bes. S. 515 f.\n8 L. Welt, Ueber Charakterver\u00e4nderungen des Menschen in Folge von\nX&sionen des Stimhirns. Deutsches Archiv f. klin. Medicin Bd. 42 (1888), 8. 339 f.\n8 So namentlich Luciani und Blanchi (1. c. 521 f.).\nH. Munk, dem ich obige Hinweise verdanke, hat bei Exstirpationen im Vorderhirn nur St\u00f6rungen gewisser Muskelgruppen (R\u00fcckenmuskeln) \"beobachtet und ist geneigt, die Verstimmung der Thiere, die ihm \u00fcbrigens nicht in erheblichem Maafse aufgefallen ist, darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren.\n{Eingegangen am 12. Mai 1899.)\n7*","page":99}],"identifier":"lit31015","issued":"1899","language":"de","pages":"47-99","startpages":"47","title":"Ueber den Begriff der Gem\u00fcthsbewegung","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:33:55.997990+00:00"}