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{"created":"2022-01-31T13:37:06.349267+00:00","id":"lit31016","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stumpf, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 100-121","fulltext":[{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber\nDoppelth\u00f6ren.\nVon\nC. Stumpf.\n\u201eDie subjectiven Geh\u00f6rsempfindungen erwarten einen treuen Selbstbeobaehter, wie es Goethe und Purkinje f\u00fcr die subjectiven Gesichtserscheinungen gewesen sind.\u201c So sagte 1826 Johannes M\u00fcller in seiner Vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes. Bis heute hat aber dieses Desiderat noch nicht in irgend gr\u00f6fserem Maafse Erf\u00fcllung gefunden. Es sind in der Literatur fast nur die Aussagen der Patienten von Ohren\u00e4rzten verzeichnet, und diese enthalten zwar Vieles \u00fcber subjective Ger\u00e4usche, aber \u00e4ufserst Weniges \u00fcber T\u00f6ne im musikalischen Sinne, die doch f\u00fcr die Theorie des H\u00f6rens ungleich wichtiger w\u00e4ren.1\n1 Die einzige Abhandlung, worin mehr als zwei bis drei Angaben \u00fcber T\u00f6ne von bestimmter H\u00f6he verzeichnet sind: J. J. Oppel, Ueber den Ton des Obrenklingens, Poggend. Ann. d. Phys. 144 (1872), 476, ist in der ohren\u00e4rztlichen Literatur anscheinend g\u00e4nzlich ignorirt worden. S. dar\u00fcber unten.\nEinzelne T\u00f6ne sind namhaft gemacht im Archiv f\u00fcr Ohrenheilkunde 4, 39 (/\u20198)f 94 (d8 l\u00e4ngere Zeit), 19, 43 (c1 l\u00e4nger); Monatsschrift f. Ohrenheilk. 1886, 109\u2014ill (/\"*, a*f h*); Zeitschrift f. Ohrenheilk. 34, 46 (c5 * * mehrere Tage, dann hl -j- * /*2) ; Virchow\u2019s Arch. f. pathol. Anat. 39, 289 (c8-J-e8, g -\\-h*), 41, 299 (eis2), 46, 509 (e1). Ferner bei Lucae, Entstehung u. Behandl. d. subjectiven Geh\u00f6rsempfindungen, 1884, S. 3 (A8, c*, e1). K\u00fclpe, Grundrifs der Psychologie, 1893, S. 111 (gis8, eis4, gis1). In der Zeitschr. f. Ohrenheilk. 8,\n187\u20148 giebt Brunner nach eigenen Beobachtungen an, dafs die subjectiven\nT\u00f6ne stets in den mittleren und oberen Lagen des Claviers liegen. Goldscheider berichtet (Lehre v. d. specif. Energien, 1881, Gesammelte Abhdl. I,\nS. 14), dafs er jederzeit bei Aufmerksamkeit und \u00e4ufserer Stille in beiden\nOhren ein sich gleichbleibendes Klingen von mittlerer H\u00f6he vernimmt,\nund bezeichnet mir jetzt die H\u00f6he n\u00e4her als \u201ebald a2, bald a8\u201c.\nDas ist Alles, was ich finden konnte.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n101\nIm Folgenden m\u00f6chte ich versuchen, in die L\u00fccke nach bestem Verm\u00f6gen einzutreten, da ich im Laufe der Jahre nur zu ausgiebige Gelegenheit zu dergleichen Selbstbeobachtungen hatte.\nI. Ein constanter Ton.1\nSeit 1875 h\u00f6re ich im rechten Ohr einen der H\u00f6he nach gleichbleibenden, der Intensit\u00e4t nach wechselnden, auch zeitweise unmerklichen, aber immer wiederkehrenden Ton, \u00e4hnlich etwa dem \u201eSingenu einer Gasflamme. Es ist ein etwas hoch zu nehmendes fis* * * * 8 9.\nDiesen Ton kann ich, wenn er gut merklich ist, willk\u00fcrlich verst\u00e4rken und schw\u00e4chen. Er wird geschw\u00e4cht durch eine Muskelaction, die ich zuerst f\u00fcr die Contraction des Tensor tympani hielt, die aber nach Politzer als Bewegung des weichen Gaumens und der EusTACnischen R\u00f6hre anzusehen ist, wenn auch das begleitende Knacken im Ohr localisirt wird.3 Auch Ausstofsung von Luft aus der Nase bei offenen oder geschlossenen Nasenl\u00f6chern wirkt schw\u00e4chend.9 Endlich wirkte in gleicher Weise ein Druck auf die Carotis, wenn der Ton gerade stark erklang. In allen diesen F\u00e4llen hatte ich zugleich das Gef\u00fchl der Erleichterung im Ohr. Nachher kehrte der Ton allerdings zur vorherigen St\u00e4rke zur\u00fcck, doch konnte ich durch fortgesetzte Anwendung dieser Mittel auch eine l\u00e4nger dauernde Erleichterung erzielen.\nVerst\u00e4rkt wird der Ton durch Einziehen von Luft bei geschlossenen Nasenl\u00f6chern oder durch Schlingen unter gleichen Umst\u00e4nden, auch durch Eindr\u00fccken des Fingers in den \u00e4ufseren Geh\u00f6rgang. Doch gelingt Verst\u00e4rkung nur dann, wenn er nicht bereits sehr stark ist und doch eine Disposition dazu (s. u.) vorhanden ist Auf diese Art konnte ich den Ton vielfach wie eine innere Stimmgabel ben\u00fctzen, um danach die absolute Tonh\u00f6he objectiver oder subjectiver T\u00f6ne zu bestimmen.\n1 Einiges hier\u00fcber erw\u00e4hnte ich bereits in meiner Tonpsychologie.\n8. den Index im II. Bd. unter \u201eSubj. T\u00f6ne\u201c.\n* Vgl. Tonpsychol. II, 296. Daselbst auch \u00fcber die Untersuchung\nmeines Ohres durch Zaufal.\n8 Gleichzeitige Schluckbewegung (VALSALVA\u2019scher Versuch) war hierbei nicht erforderlich. Lucab giebt a. a. O. S. 6 an, dafs es ihm in der Regel\ngelinge, einen subjectiven Ton analoger Art durch den VALSALVA\u2019schen Verwich zu beseitigen.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nC. Stumpf.\nDurch die Schw\u00e4chung wird der Ton zugleich ein wenig vertieft, durch die Verst\u00e4rkung bis zu fast einer Halbtonstufe h\u00f6her, so dafs er einerseits auf fis8 in gew\u00f6hnlicher Stimmung herabgeht, andererseits auf g8 hinauf geht\nHat der Ton eine erhebliche St\u00e4rke, so ist gleichzeitig die \u00e4ufsere H\u00f6rsch\u00e4rfe dieses Ohrs beeintr\u00e4chtigt, und sie wird dann bei k\u00fcnstlicher Schw\u00e4chung des Tones wieder hergestellt In Zeiten, wo er stark war, konnte ich so z. B. bei Zuhalten des linken Ohres das Ger\u00e4usch des Regens willk\u00fcrlich bald h\u00f6rbar, bald unh\u00f6rbar machen.\nEine ausschwingende Stimmgabel, vor das rechte Ohr gehalten, wurde durch Verst\u00e4rkung des subjectiven Tones vollends ausgel\u00f6scht, durch Schw\u00e4chung wieder h\u00f6rbar gemacht\nIn schlimmer Zeit machte es auch einen wesentlichen Unterschied, ob ich im Bette auf der rechten oder linken Seite lag. Lag ich links und vermied jede Bewegung, hielt auch wohl den Athem an, so wuchs der Ton zu grofser St\u00e4rke. Das tiefe Brausen des Meeres, an welchem ich mich damals sechs Wochen aufhielt, h\u00f6rte vollst\u00e4ndig auf, nur ein Zischen blieb \u00fcbrig. Legte ich mich aber auf das rechte (kranke) Ohr, so wurde der Ton schw\u00e4cher, wahrscheinlich durch den Druck auf die Carotis, und das objective Ger\u00e4usch behielt seine St\u00e4rke.\nUeber den Einflufs des Pulses s. u. IH.\nIn gew\u00f6hnlichen Zeiten ist das objective H\u00f6ren durch den subjectiven Ton nicht merklich beeintr\u00e4chtigt, und beim Musikh\u00f6ren habe ich kaum jemals eine St\u00f6rung dadurch empfunden. Er wird eben doch von einem relativ leisen objectiven Schall bereits \u00fcbert\u00f6nt; nur in Ausnahmef\u00e4llen war er auch w\u00e4hrend eines m\u00e4fsigen Ger\u00e4usches noch h\u00f6rbar.\nWie man sich nun diesen Ton zu erkl\u00e4ren habe, dar\u00fcber will ich keine bestimmtere Meinung \u00e4ufsem, da ich mich nicht im Besitz einer solchen befinde. Man k\u00f6nnte mit Lucae, der an sich selbst h\u00e4ufig l\u00e4ngere Zeit A8, c4 und eA beobachtete, an einen Krampf des Tensor tympani denken, durch welchen das Trommelfell nach innen gezogen und der Druck im Mittelohr erh\u00f6ht wird. Aber von da bis zur Herleitung dieses bestimmten Tones ist doch noch weit.1\n1 Lucas glaubte (a. a. O. S. 3f.), dafs das Trommelfell durch den Tensorkrampf in dauernde Schwingungen versetzt und stehende Luftwellen im Geh\u00f6rgang erzeugt w\u00fcrden. Er wies darauf hin, dafs die Tonh\u00f6he mit","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n10S\nNicht ohne Bedeutung f\u00fcr die Aetiologie scheinen mir Beobachtungen, die ich beim G\u00e4hnen gemacht habe. Hierbei setzt der Ton sehr h\u00e4ufig stark ein und bleibt in dieser St\u00e4rke, solange die Action dauert. Aber es tritt dabei auch im linken Ohr mit grofser Regelm\u00e4fsigkeit, sobald nur eine Disposition f\u00fcr subjective T\u00f6ne vorhanden ist, ein um eine Ganztonstufe tieferer Ton, e8, auf. Oft h\u00f6re ich nur den einen, oft nur den anderen, \u00f6fters auch beide zugleich. Spontan tritt dieser Ton des linken Ohres nicht auf.\nMan k\u00f6nnte hier nun wohl annehmen, dafs durch das G\u00e4hnen eine Mitbewegung des Tensor bewirkt w\u00fcrde. Man k\u00f6nnte aber auch die pl\u00f6tzliche Druckverminderung im Mittelohr f\u00fcr den Ton verantwortlich machen.\nJedenfalls d\u00fcrfte die Entstehung des fis* nicht erst im Labyrinth oder im Gehirn, sondern im Mittelohr stattfinden.\nAls Veranlassung dieses Leidens mufs wohl in erster Linie eine durch Ueberarbeitung entstandene starke Nervosit\u00e4t gelten, die sich auch in anderen Sinnesgebieten \u00e4ufserte. Ich konnte die augenblickliche St\u00e4rke des Tons als Gradmesser des Nerven-zustandes betrachten. W\u00e4hrend der Culminationszeit (Anfangs der 80 er Jahre) war ich gegen \u00e4ufsere Ger\u00e4usche \u00e4ufserst empfindlich und solchen zugleich am meisten ausgesetzt* 1 Es wird aber wohl auch die specielle Anstrengung des Geh\u00f6rs durch akustische Versuche beigetragen haben, besonders Beobachtungen \u00fcber Differenz- und Summationst\u00f6ne am Harmonium, die ich\ndem Eigenton des Geh\u00f6rgangs ann\u00e4hernd \u00fcbereinstimme. Doch h\u00e4lt er gegenw\u00e4rtig selbst diese Meinung nicht mehr unbedingt aufrecht. Es ist auch klonischer Krampf des Tensor ohne Ohrenklingen beobachtet. Zeitschrift f. Ohrenheilkunde 13, 261.\n1 Ich wohnte in Prag-Smichow an einem Platz, der den gr\u00f6fsten Theil der w\u00e4rmeren Jahreszeit von Schaubuden besetzt war, die durch Leierk\u00e4sten in den allersch\u00e4rfsten Klangfarben, oft f\u00fcnf bis sechs zu gleicher Zeit, das Publikum anlockten. Auch der \u00dftrafsenl\u00e4rm der b\u00f6hmischen Hauptstadt war arg genug. Am schlimmsten wirkten auf mich Locomotiv-pfiffe. Ich h\u00f6rte dabei damals auch immer ein dumpfes Ger\u00e4usch nachher und f\u00fchlte Schmerzen im Ohr, ja im ganzen Kopf. Leider hat der alte Kampf der Ohren\u00e4rzte gegen diese Locomotivenpraxis noch immer nicht viel geholfen.\nAls ich einmal in der N\u00e4he eines Bahnhofs \u00fcbernachtete, beobachtete ich auch, dafs der subjective Ton durch den Pfiff der Rangirlocomotive an* geregt oder verst\u00e4rkt wurde. Das N\u00e4mliche bemerkte ich auch gelegentlich","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nC. Stumpf.\nmanchmal halbe Tage lang fortgesetzt hatte. Von Einflufs zeigten sich jedesmal auch Erk\u00e4ltungen. Der Anfang scheint eingetreten zu sein, als ich w\u00e4hrend eines angestrengten Semesters kalte Flufsb\u00e4der genommen und viel untergetaucht hatte. Damals entstand zun\u00e4chst ein l\u00e4stiges zwitscherndes Ger\u00e4usch im Ohr, das sp\u00e4ter dem Ton Platz machte.1 Als der Ton in Bl\u00fcthe stand, war es ein hartn\u00e4ckiger chronischer Schnupfen (1 ;t/4 Jahre), der direct und indirect, durch Schlafst\u00f6rung, das Uebel steigerte. Endlich sei noch ein l\u00e4nger fortgesetzter Gebrauch von Chinin als einer der Umst\u00e4nde erw\u00e4hnt, die beigetragen haben k\u00f6nnten.\nBei wiederholter Untersuchung durch Ohren\u00e4rzte (v. Tb\u00f6ltsch, Zaufal, He88ler, Bezold) fand sich nichts Ungew\u00f6hnliches. Elektrisiren wie Katheterisiren half nicht, unmittelbar nach letzterem war der Ton nur st\u00e4rker. Nur zu gut best\u00e4tigte sich die Prognose Lucae\u2019s bei zuf\u00e4lliger Begegnung vor 18 Jahren: dafs ich den Ton wohl nie wieder ganz los werden w\u00fcrde.\nEhe ich zu den variablen T\u00f6nen \u00fcbergehe, sei noch erw\u00e4hnt, dafs ich einmal w\u00e4hrend f\u00fcnf Tagen (Februar 1894) im rechten Ohr ein d3 h\u00f6rte, das, wenn auch zwischendurch schwach oder verschwindend, doch namentlich bei einer pl\u00f6tzlichen Bewegung oder Aufregung wiederkam; ganz so wie sonst fis3. Einmal wurde es durch ein d2 von ausserordentlicher St\u00e4rke und etwa 10 Secunden langer Dauer abgel\u00f6st (eine Octavenverwechselung war ausgeschlossen). Das gew\u00f6hnliche fis3 fehlte auch in diesen Tagen nicht ganz, ich glaubte es sogar auf kurze Zeit gelegentlich zugleich mit d8 schwach zu h\u00f6ren ; gew\u00f6hnlich aber war es durch dieses verdr\u00e4ngt. Beim G\u00e4hnen h\u00f6rte ich in diesen Tagen gleichfalls rechts d3 statt fis3, links wie gew\u00f6hnlich eAufser\nbeim Kr\u00e4hen eines Hahnes, wobei aber der Ton zugleich in eigenth\u00fcmlicher Weise modificirt wurde, etwa so\n8va'\nDies trat etwa BO mal ein, jedesmal wenn der Hahn kr\u00e4hte.\nEinmal habe ich den subjectiven Ton auch durch einen starken Pfiff mit dem Munde zur Erscheinung gebracht.\n1 Doch vernahm ich auch sp\u00e4ter noch zuweilen, zusammenh\u00e4ngend mit unwillk\u00fcrlichen oder willk\u00fcrlichen Gaumenbewegungen, ein glucksen-des Ger\u00e4usch von einer Tonh\u00f6he zwischen f und c1, oder ein Schl\u00fcrfen, beides wohl als Folge der Oeffnung der Tuba.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n105\neinem leichten Halskatarrh war nichts Besonderes zu registriren, das den Wechsel bedingt haben k\u00f6nnte.\nIL Variable T\u00f6ne.\nDafs die kurz auftauchenden subjectiven T\u00f6ne Vielen aus Erfahrung bekannt sind, bezeugt die Redewendung, einem m\u00fcsse \u201edas Ohr geklungen haben\u201c, wenn in der Feme gut von ihm gesprochen wurde, und noch so manche Deutung, die sich im Volksmund an das innere \u201eGlockenl\u00e4uten\u201c kn\u00fcpft K\u00f6nnte man sich nur auf das Sprichwort verlassen! \u2014 denn solche T\u00f6ne h\u00f6re ich \u00e4ufserst h\u00e4ufig. 17 Jahre lang (1881\u20141898) habe ich dar\u00fcber Buch gef\u00fchrt, da sie mir im Zusammenhang mit den akustischen Studien nach verschiedenen Seiten interessant schienen. Durch ein gutes absolutes Geh\u00f6r, in Zweifelsf\u00e4llen mit H\u00fclfe des Claviers oder eines Stimmpfeifchens oder des constanten subjectiven fis8 liefe sich die absolute Tonh\u00f6he in den meisten F\u00e4llen trotz der kurzen Dauer feststellen. Man hat ja den Ton auch noch etliche Secunden genau in der Erinnerung. Nur die Octavenlage war bei denjenigen, die \u00fcber die 5-ge-strichene Octave hinauslagen, vielfach zweifelhaft. Die Tonh\u00f6he eines solchen Tones war in sich selbst fast durchg\u00e4ngig eine vollkommen feste und deutliche, ohne Schwankung w\u00e4hrend seiner Dauer; ausgenommen dafs hier und da einer beim Ausklingen ein wenig tiefer zu werden schien. Ich konnte genau sagen, ob z. B. der Ton eine reine oder eine etwas vergr\u00f6fserte oder verkleinerte Quint zu einer Stimmgabel bildete, \u2014 so genau als h\u00e4tte ich ihn objectiv geh\u00f6rt. Aufser denen, die sich noch als c, e u. s. f., wenn auch bez\u00fcglich der Octavenlage nicht mehr sicher, bestimmen liefsen, erschienen auch noch viele T\u00f6ne, \u00fcber die ich schlechterdings nichts notiren konnte, da sie keine musikalische Qualit\u00e4t mehr besafsen sondern nur durch das ungeheuer Feine, Spitze sich von den musikalisch bestimmbaren sowie untereinander unterschieden. Oft waren sie auch, wenngleich noch deutlich vernehmbar, doch von solcher Schw\u00e4che, dafs ich den sinnlichen Eindruck des Unendlichkleinen im Tongebiete zu haben glaubte.\nIch habe die T\u00f6ne nat\u00fcrlich nur nach der Bezeichnung der temperirt-chromatischen Skala notirt, wie sie am Clavier vorliegt. Vielfach lag ein Ton zwischen zwei Stufen dieser Leiter, sodafs er z. B. ebensowohl als f wie als fis {ges) notirt werden konnte,","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nC. Stumpf.\nzumal mit R\u00fccksicht darauf, dafs auch die H\u00f6he der musikalischen Stimmung nicht unver\u00e4nderlich ist. In manchen F\u00e4hen, besonders solchen aus den hohen Regionen, k\u00f6nnte die Bestimmung, wenn sie nach dem blofsen Geh\u00f6r erfolgte, auch wohl um einen Halbton, in seltenen F\u00e4llen um einen Ganzton geirrt haben. Im Ganzen darf ich f\u00fcr die Aufzeichnungen Genauigkeit in Anspruch nehmen.\nDiejenigen T\u00f6ne oberhalb der 4-gestrichenen Octave, die ich ihrem musikalischen Charakter nach (ob c, e, f etc.) noch richtig zu erkennen glaubte, habe ich in der zun\u00e4chst folgenden Tabelle nur unter der Rubrik \u201edar\u00fcber\u201c angef\u00fchrt Ich hatte sie fr\u00fcher bestimmter der 5-, 6-, ja 7- oder 8-gestrichenen Octave zugerechnet , da ich die allgemeine Meinung theilte, dafs die AmJNN\u2019sche Gabelserie, nach der ich mir die Erinnerungsbilder so hoher T\u00f6ne eingepr\u00e4gt hatte, bis in die 8-gestrichene Octave reiche. Dies hat sich aber als falsch herausgestellt *, und die bez\u00fcglichen subjectiven T\u00f6ne d\u00fcrften daher, soweit sie noch einen einigermaafsen musikalischen Charakter trugen, wohl alle der \u00f6-gestrichenen Octave angeh\u00f6rt haben. Selbst hier aber sind T\u00e4uschungen in Bezug auf die Bestimmung durch das blofse Geh\u00f6r leicht m\u00f6glich. Ich habe daher in der zweiten Tabelle, worin es auf solche Bestimmungen ankommt, die T\u00f6ne jenseits der 4-gestrichenen Octave ganz weggelassen.\nDie Gesammtzahl der notirten T\u00f6ne betr\u00e4gt 580. In den ersten Jahren stieg die j\u00e4hrliche Anzahl und erreichte mit 72 einen H\u00f6hepunkt, sp\u00e4ter variirte sie zwischen den Grenzen 26 und 59.\nVon Interesse ist zun\u00e4chst die Vertheilung der T\u00f6ne auf die verschiedenen Octaven, wie sie aus folgender Tabelle hervorgeht :\nKleine Octave\t5\n1-gestrichene Octave\t62\n2- \u201e \u201e\t157\nn\t\u00bb 1\t167\n4- ^\til\t148\nDar\u00fcber\t41\n1 S. die Verhandlungen dar\u00fcber in Wiedemann's Annalen der Physik 51, 52, 01, \u00ab4, 05, 07, 68.","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n107\nId der kleinen Octave traten die T\u00f6ne erst von gis an auf und waren schwach. Nur einmal notirte ich c, mit der Bemerkung: \u201ebestimmt in dieser Tiefe, aufserordentlich mild, aber deutlich und kr\u00e4ftig.\u201c Trotzdem m\u00f6chte ich nachtr\u00e4glich zweifeln, ob es nicht c* 1 war, da sonst nicht ein einziger Ton unterhalb gut vorkam. Es sind zuweilen wohl Empfindungen von tieferem Charakter aufgetaucht, aber so \u00e4ufserst schwach, dafs sie nur wie ein Hauch des Mundes schienen und eine H\u00f6henbestimmung nicht erlaubten, w\u00e4hrend von gis an deutliche und zuweilen recht kr\u00e4ftige T\u00f6ne auftraten.\nBetrachtet man obige Vertheilung auf die verschiedenen Octaven, so zeigt sich Zunahme bis zur 3-gestrichenen Octave, dann wieder Abnahme. Dies scheint in Zusammenhang mit einer besonderen Empfindlichkeit unseres Geh\u00f6rorgans auch f\u00fcr objective T\u00f6ne der 3-gestrichenen Octave zu stehen.\nEine Tabelle, in der f\u00fcr jeden Ton der chromatischen Leiter die Anzahl der subjectiven Empfindungen verzeichnet ist, zeigt keinen hervorstechenden Zug. Dagegen scheint ein bemerkens-werthes Ergebnifs herauszukommen, wenn man die T\u00f6ne zonenweise zusammennimmt, so n\u00e4mlich, dafs jede Octave in die drei Zonen C bis D/s, E bis G, Gis bis H zerlegt wird, von denen jede vier chromatische Tonstufen umfafst. Wir erhalten dann (mit Weglassung der obersten Octaven) folgende Uebersicht:\n\tC \u2014 Dis\tE \u2014 G\tGis \u2014 H\nKleine Octave\tim\t0\t4\n1 - gestrichene Octave\t13\t22\t27\n2 * \u00bb \u00bb\t58\t55\t44\n3 -\t\u00bb\t\u00bb\t53\t63\t51\n4- \u2019\t99\t9$\t59\t52\t37\nHier sind Maxima im ersten (und zweiten) Drittel der 2-ge-8trichenen, im zweiten der 3-gestrichenen und im ersten der 4-gestrichenen Octave. Dies scheint mir wieder mit den Zonen verst\u00e4rkter Empfindlichkeit f\u00fcr objective T\u00f6ne beim normalen H\u00f6ren zu stimmen.1\n1 Vgl. Hblmholtz' Tonempfindungen 4, S. 187, und m. Tonpsychol.\nI, 370.","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"108\nC. Stumpf.\nBei Oppel 1 vertheilten sich die T\u00f6ne so :\nC \u2014 Dis E \u2014 G Gis \u2014 H\nKleine Octave 1 - gestrichene Octave\n0\n1\n5\n4\n0\n1\n4\n3\n0\n2\n3\n2\nWie man sieht, ist selbst bei dieser kleinen Anzahl von F\u00e4llen (die den Zeitraum von vier Jahren umfassen) eine \u00e4hnliche Vertheilung zu bemerken; auffallend nur, dafs Oppel keine T\u00f6ne jenseits der 3-gestrichenen Octave angiebt. Vielleicht schien ihm hier die Bestimmung nicht mehr sicher genug. Einmal erw\u00e4hnt er ein \u201e\u00fcberaus hohes Zischen, schwer bestimmbar\u201c.\nDie Klangfarbe dieser subjectiven T\u00f6ne war, ebenso wie die des constanten /\u00ees:\u00ee, durchaus die einfacher T\u00f6ne, wie sie von schwach t\u00f6nenden Stimmgabeln auf Resonanzk\u00e4sten erzeugt werden; also aufserordentlich mild. Dies gab besonders den tieferen T\u00f6nen, denen der 1-gestrichenen Octave, etwas Ungew\u00f6hnliches, Ueberraschendes. Oefters habe ich hier beigeschrieben: \u201eWundervoll sch\u00f6ner, voller, reiner, weicher Ton\u201c u. dgl. Auch ein starkes r/2 ist mehrmals als \u201esch\u00f6n, prachtvoll\u201c bezeichnet Ein a1 klang so weich, obgleich es sehr stark war, dafs es dem a1 der Violine oder des Claviers ganz un\u00e4hnlich schien und leicht f\u00fcr a (eine Octave tiefer) h\u00e4tte gesch\u00e4tzt werden k\u00f6nnen. Es ist, ehe man hierin Uebung hat, durchaus n\u00f6thig, sich mit H\u00fclfe objectiver Klangquellen und besonders Stimmgabeln \u00fcber die wirkliche Octavenlage zu vergewissern, um nicht T\u00e4uschungen zu unterliegen. Ich sch\u00e4tzte sogar das constante fis3 anf\u00e4nglich lange als /?s2.\nDie St\u00e4rke der T\u00f6ne war sehr verschieden, manche nur wie ein ebenmerklicher Hauch, andere so kr\u00e4ftig, dafs sie sich inmitten eines erheblichen Ger\u00e4usches, w\u00e4hrend des Strafsen-l\u00e4rms, im Tramwaywagen oder der Eisenbahn, w\u00e4hrend der lauten Conversation bei einem Diner geltend machten. Der Ton\n1 Vgl. die oben S. 100 Anm. erw\u00e4hnte Abhandlung. Nr. I, 6 und n, 7 seiner\nTabelle sind gem\u00e4fs O.\u2019s Erl\u00e4uterung dazu hier nur als Ein Fall gez\u00e4hlt.","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n109\nsetzt jedesmal mit dem Maximum seiner St\u00e4rke ein und verklingt dann stetig.\nDie Localisation war bei allen T\u00f6nen von der 1-gestriche-nen Octave an stets eine vollkommen deutliche: es war nicht einen Moment zweifelhaft, ob ein Ton dem rechten oder dem linken Ohr angeh\u00f6rte. Die T\u00f6ne erschienen bald im einen bald im anderen Ohr, ungef\u00e4hr gleich oft in jedem. Oefters folgten sich mehrere auf derselben Seite, so dafs eine zeitweilig gr\u00f6fsere Disposition dort vorhanden schien; aber im Ganzen verhielten sich die beiden Ohren hierin gleichm\u00e4fsig.\nAls Kennzeichen f\u00fcr die Localisirung (Localzeichen) konnte in manchen F\u00e4llen ein mit dem Ton verbundenes eigent\u00fcmliches Gef\u00fchl der V\u00f6lle angesehen werden, oder das nachher zu erw\u00e4hnende dem Ton vorausgehende Gef\u00fchl : aber es liegt auf der Hand, dafs solche Gef\u00fchle auch zuerst localisirt sein mufsten, um als Kennzeichen zu dienen. Aufserdem war das Gef\u00fchl der V\u00f6lle zumeist kaum merklich. Der Ton erschien eben \u00f6rtlich ebenso bestimmt, wie er eine bestimmte H\u00f6he und St\u00e4rke hatte.\nNur bei den tiefsten unter den geh\u00f6rten T\u00f6nen, denen aus der kleinen Octave, auch schon bei den untersten aus der 1-ge-strichenen, war die Localisation minder ausgesprochen. Sie hatten etwas Zerflossenes, schienen nicht ausschliefslich in einem Ohr, sondern in einem gr\u00f6fseren Theile des Sch\u00e4dels localisirt, in einer mehr unbestimmten Ausdehnung, aber doch vorwiegend der einen Seite zugeh\u00f6rig und zugleich mehr nach dem hinteren Theil des Sch\u00e4dels liegend. Einmal habe ich auch bei d- noch bemerkt, dafs es mehr im rechten Schl\u00e4fenlappen als im rechten Ohr localisirt scheine.\nAuch bei den allerh\u00f6chsten, musikalisch nicht mehr bestimmbaren, T\u00f6nen glaubte ich \u00f6fters zu beobachten, dafs sie nicht so deutlich localisirt schienen, obschon sie einen \u00e4ufserst spitzen Charakter trugen.1\n1 Oppbl konnte nur in Einem Falle, bei einem etwas vertieften gi, nicht entscheiden, welchem Ohr es angeh\u00f6rte. \u201eEs schien genau mitten im Kopfe zu erklingen, hielt dabei ausnahmsweise volle 7 Minuten an und wiederholte sich eine gute Viertelstunde sp\u00e4ter in ganz gleicher Weise und Tonh\u00f6he mit einer Dauer von fast 5 Minuten. An demselben Abend, wiederum */4 Stunden sp\u00e4ter, erklang dann, entschieden im linken Ohr, das . . . ganz reine g*f etwa eine Minute anhaltend.\u201c\nOppkl h\u00f6rte ungef\u00e4hr doppelt soviel T\u00f6ne links als rechts. Doch h\u00e4tte sich dieser Unterschied vielleicht bei l\u00e4nger fortgesetzter Beobachtung ausgeglichen.","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nC. Stumpf.\nAus der bestimmten Localisirung der subjectiven T\u00f6ne im Organ kann man nat\u00fcrlich nicht ohne Weiteres schliefsen, dafe dort der Ursprung lag. Auch wenn sie durch Reizungen im H\u00f6rcentrum des Gehirns entstanden, w\u00fcrde die Verlegung ins Ohr psychologisch m\u00f6glich bleiben.\nWas die zeitlichen Verh\u00e4ltnisse betrifft, so wechselte die Dauer von weniger als einer Secunde bis zu mehreren Minuten, ganz ausnahmsweise sogar einer Stunde. Gew\u00f6hnlich w\u00e4hrte der Ton nicht l\u00e4nger als 2\u20144 Secunden.\nDafs zwei variable T\u00f6ne in einunddemselben Ohr zugleich auftraten, habe ich niemals beobachtet H\u00e4ufig aber, dafs ein Ton im linken Ohr mit dem constanten /\u00eess des rechten zugleich erklang, wenn letzterer gerade merklich genug war oder k\u00fcnstlich zur Merklichkeit erhoben wurde. Seltener h\u00f6rte ich auch im rechten Ohr gleichzeitig mit dem constanten Ton einen variablen (z. B. d2, h*). Manchmal schien vielmehr der constante durch einen im gleichen Ohr auftretenden variablen Ton (z. B. fis2, dis*) unterdr\u00fcckt zu werden, w\u00e4hrend er vorher und nachher merklich war. Einmal h\u00f6rte ich ungew\u00f6hnlich lang und stark rechts dis* und war fis* zun\u00e4chst unh\u00f6rbar, trat aber beim Ausklingen von dis* hervor, wobei dann noch einige Zeit beide gleichzeitig zu h\u00f6ren waren.\nIn wenigen F\u00e4llen folgte auf einen Ton unmittelbar oder mit sehr kurzer Pause ein anderer in demselben Ohr. So einmal rechts auf ein starkes d* ein schw\u00e4cheres c4, durch ein kurzes fis3 (den constanten, zur Bestimmung von d* willk\u00fcrlich verst\u00e4rkten Ton) von d* getrennt. Ein anderes Mal auf ein dis* ein e*, nur durch das unten zu erw\u00e4hnende Signalgef\u00fchl getrennt Beide Male also musikalisch benachbarte T\u00f6ne, aber doch ohne jeden stetigen Uebergang und von festgegebener gleichbleibender Abstimmung.\tf\nZiemlich h\u00e4ufig war es der Fall, dafs ein Ton w\u00e4hrend eines oder zweier Tage mehrmals in gleicher H\u00f6he wiederkehrte; was mir nicht unwichtig scheint1 Bei der Statistik habe ich den Ton in solchen F\u00e4llen nur als Einen gez\u00e4hlt Die F\u00e4lle betrafen\n1 Auch Oppel hat, wie oben erw\u00e4hnt, einmal eine doppelte Wiederkehr eines Tons mit Pausen von und * 4 Stunden beobachtet. Ein anderes\nMal nahm er mehrere Abende hinter einander links den Ton wahr. In\nF\u00e4llen letzterer Art, wenn ein ganzer Tag dazwischen lag, habe ich zwei\nselbst\u00e4ndige F\u00e4lle notirt.","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n111\nmeistens T\u00f6ne der 4-gestrichenen Octave, doch auch einige Male solche der 2-gestrichenen.\nMusikalische Beobachtungen. In den sehr zahlreichen F\u00e4llen, wo ein variabler Ton mit dem constanten zugleich geh\u00f6rt wurde, hatte ich den vollen Eindruck des bez\u00fcglichen musikalischen Intervalls, des Quinte, Octave, Secunde etc. Auch der Gef\u00fchlscharakter des Intervalls war vollkommen so ausgepr\u00e4gt, wie bei objectiven T\u00f6nen. Das Intervallurtheil war so leicht und sicher, dafs ich trotz der K\u00fcrze und relativ geringen St\u00e4rke der T\u00f6ne sehr wohl unreine von reinen Quinten u. s. 1 unterscheiden konnte. In einigen F\u00e4llen gelang es auch, noch w\u00e4hrend des Erklingens eines variablen Tons eine Stimmgabel an das Ohr zu halten, und das Intervall wurde sofort als \u201ezu tiefe Quinte\u201c u. dgl. erkannt.1 * Ich hebe dies besonders hervor, weil es zeigt, dafs das Wesen eines Intervalls und der Consonanz und Dissonanz nicht durch Obert\u00f6ne bestimmt ist.\nBei den Dissonanzen, kleiner oder grofser Secunde, Tritonus u. s. f. h\u00f6rte ich niemals eine Spur von Schwebungen. Und diese Beobachtungen waren besonders h\u00e4ufig zu machen, da die variablen T\u00f6ne vielfach in der N\u00e4he des constanten lagen und kleine oder grofse Secunden mit ihm bildeten. Auch dies ist bemerkenswerth, da es zeigt, erstlich dafs Dissonanz nicht in Schwebungen besteht, zweitens dafs Schwebungen nur zu Stande kommen, wenn mehrere objective Tonwellen (von nicht zu verschiedener Wellenl\u00e4nge) auf einund dasselbe Ohr einwirken. W\u00e4ren insbesondere \u201ecentrale Schwebungen\u201c m\u00f6glich, wie sie nach einigen neueren Autoren bei gleichzeitiger Erregung des rechten und des linken Ohres im Gehirn entstehen sollen, so w\u00fcrden sie auch in den ziemlich zahlreichen F\u00e4llen eingetreten sein, wo ich z. B. links e8 und gleichzeitig das constante fiss des rechten Ohres h\u00f6rte. Ich habe besonders auf solche F\u00e4lle geachtet, aber nie, auch in stillster. Nacht nicht, das Geringste von Rauhigkeit bemerkt, wie deutlich auch der Eindruck der Dissonanz war.\n1 Eine T\u00e4uschung, die ebenfalls ihre Analogien bei objectiven T\u00f6nen\nhat, begegnete mir einmal, als d3 * * * rechts gleichzeitig mit dem constanten\nfis* erklang: ich hielt den Ton zuerst f\u00fcr a\\ indem ich eine (erweiterte)\ngrofse Sexte zu h\u00f6ren glaubte. Intervalle von gleichem Verschmelzungsgrad\nund Gef\u00fchlscharakter k\u00f6nnen unter schwierigeren Umst\u00e4nden verwechselt\nwerden, trotz der grofsen Ungleichheit der Tonabst\u00e4nde.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nC. Stumpf\nEinmal, bei einem starken Hals- und Nasenkatarrh, den ich mit Alaungurgeln behandelte, h\u00f6rte ich in n\u00e4chtlicher Stille folgende Musik:\nDie Sext a1\u2014fis* war aber unrein, bedeutend zu scharf. Die T\u00f6ne d2, e*, fis2 folgten einander ohne Zwischenpause. Alles sehr leise, nur mit den angegebenen relativen St\u00e4rkeschattirungen. Sehr deutlich markirt waren die kurzen Noten. Doch hatte ich in diesem Moment nicht den Eindruck des Dreiklangs, die anderen T\u00f6ne m\u00f6gen f\u00fcr die Aufmerksamkeit oder die Empfindung momentan verschwunden gewesen sein. Die absolute Tonh\u00f6he ist durch k\u00fcnstliche Verst\u00e4rkung des fisa w\u00e4hrend der Erscheinung bestimmt.\nDies grenzt nun schon an Hallucination. Aber es trug Alles genau den Charakter der subjectiven T\u00f6ne wie sonst und ich war in der n\u00fcchternsten Beobachterstimmung. Verwechselung mit etwaigen fernen objectiven T\u00f6nen ist mit Sicherheit ausgeschlossen.\nBegleitende Umst\u00e4nde und Veranlassungen. Mit grofser Regelm\u00e4fsigkeit ging einem Ton unmittelbar voraus ein","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n113\nschwer beschreibbares Gef\u00fchl im Obre, das ich, medicinisch gesprochen, eine Aura des Ohres nennen m\u00f6chte. Ich merkte stimmt, dafs etwas im Ohr vorgehe, und hatte zugleich den Eindruck absoluter Stille in diesem Ohr, \u00e4hnlich wie wenn ein gleichm\u00e4\u00dfiges Ger\u00e4usch f\u00fcr einige Secunden aussetzt. Vielleicht setzt in der That das constante, uns unmerkliche innere Ger\u00e4usch w\u00e4hrenddessen aus und wird der Unterschied dadurch f\u00fchlbar. Dieses Gef\u00fchl diente mir als untr\u00fcgliches Signal f\u00fcr das Auftreten eines subjectiven Tones. Nicht gerade immer ging es voraus, aber wenn ich es bemerkte, war ich sicher, dafs nun ein Ton erscheinen werde. In manchen F\u00e4llen, wo dieser \u00e4ufserst schwach war, w\u00e4re er mir ohne das Signal sicherlich entgangen.\nDie T\u00f6ne traten vorwiegend auf in Zust\u00e4nden der An\u00e4mie, Nervosit\u00e4t, Abspannung, nach schlechten N\u00e4chten, deren Zahl Legion war, ferner bei katarrhalischen Affectionen des Halses oder Erk\u00e4ltung des Kopfes, nach dem Genufs starker alkoholischer Getr\u00e4nke, nach angreifenden B\u00e4dern. Sehr h\u00e4ufig, wenn eine Disposition durch eine der genannten Ursachen gegeben war, wurde ein Ton ausgel\u00f6st durch rasche, kr\u00e4ftige Bewegung, B\u00fccken, Turnen, Ausrecken oder auch nur Umdrehen im Bette, Aufstehen vom Stuhl, Treppensteigen, durch Niefsen, Schneuzen, Gurgeln, Durchbeifsen einer harten Speise u. dgl. Aber es bedurfte nicht solcher besonderen Reize, die T\u00f6ne kamen auch sehr oft ohne erkennbaren Anlafs, am Schreibtische, auf dem Sopha.\nEinmal h\u00f6rte ich auch im Traume rechts zwei subjective T\u00f6ne, einen nach dem anderen, ziemlich tief. Ich tr\u00e4umte mich docirend auf dem Katheder, kam aber mit der Rede in schlimme Verwirrung und h\u00f6rte in diesem peinlichen Zustand die T\u00f6ne. Unmittelbar darauf erwachte ich. Wahrscheinlich waren sie wirklich empfunden worden.\nUeber das Zustandekommen der variablen subjectiven T\u00f6ne d\u00fcrfte sich vorl\u00e4ufig noch viel weniger als \u00fcber das des constanten Tones eine bestimmte Vorstellung formuliren lassen. Man k\u00f6nnte zun\u00e4chst wieder an local erregte Schwingungen im Mittelohr denken. \u201eEs ist gewifs m\u00f6glich, sagt Hessen, dafs in den kleinen Gef\u00e4fsen durch Reibung des Blutes leise T\u00f6ne entstehen, die bei directester Zuleitung zum Ohr, bei g\u00fcnstigster\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XXI.\t8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\n\u20ac. Stumpf.\nSpannung z. B. der Steigb\u00fcgelmembran, h\u00f6rbar werden k\u00f6nnen.\u201c1 * Indefs wahrscheinlich ist mir diese Entstehungsweise f\u00fcr die variablen subjectiven T\u00f6ne nicht Sie sind n\u00e4mlich den Einfl\u00fcssen, welche das constante fis3 schw\u00e4chen oder verst\u00e4rken (o. S. 101), nicht zug\u00e4nglich. Ich habe allerdings in fr\u00fcheren Jahren leider vers\u00e4umt, dar\u00fcber besondere Versuche zu machen, da mich diese T\u00f6ne nie bel\u00e4stigten, habe aber in letzterer Zeit hinreichend oft die Probe angestellt, um sagen zu d\u00fcrfen, dafs ein solcher Ton durch Druckver\u00e4nderung im Mittelohr ebensowenig wie durch Compression der Carotis beeinflufst wird. Hierdurch allein schon wird es wahrscheinlich, dafs die Entstehungsursache dieser T\u00f6ne nicht im Mittelohr zu suchen ist.\nWenn man nun Helmholtz\u2019 Lehre von der Schneckenclaviatur folgt, so w\u00fcrde man annehmen k\u00f6nnen, dafs einzelne Fasern oder kleine Fasergruppen der Basil armem bran, die sonst durch eine bestimmte \u00e4ufsere Schwingung erregt werden, hier durch einen im Labyrinth selbst entstandenen Reiz getroffen werden und den Ton erzeugen, auf den sie abgestimmt sind. Dafs keine tieferen T\u00f6ne auftreten, m\u00fcfste man daraus ableiten, dafs solche Reizungen bez. Sch\u00e4dlichkeiten sich nicht in die weiter zur\u00fcckliegenden Theile der Schnecke verbreiten; denn die Fasern f\u00fcr die tieferen T\u00f6ne sollen ja gegen die Schneckenkuppel hin liegen. Aber schwer bleibt es (abgesehen von anderen Schwierigkeiten der Theorie), sich einen inneren Reiz zu denken, der nur Eine oder nur so wenige Fasern auf einmal erregte, dafs ein so genau bestimmter einzelner Ton geh\u00f6rt werden m\u00fcfste. Warum k\u00e4me es gar nicht vor, dafs einmal z. B. der ganze Tonbezirk c1 bis e1 subjectiv zugleich erkl\u00e4nge? Solche F\u00e4lle m\u00fcfsten eigentlich die Regel sein, wenn es sich um mechanische Reizungen der Nervenendigungen handelte. Wollte man sagen, dafs solche Reizungen einer ganzen Fasergegend sich der Empfindung als blofse Ger\u00e4usche darstellen, so k\u00f6nnte ich diese Ger\u00e4uschtheorie\n1 Hensen in Hermann's Handbuch d. Physiologie 3 (2), 123. Hrnsew\nmacht dann noch einen Zusatz zu der Hypothese, \u201eda der Tinnitus eine sich ziemlich gleichbleibende Tonh\u00f6he hat\u201c. Die aufserordentliche Verschiedenheit der Tonh\u00f6hen scheint ihm also unbekannt geblieben zu sein. Ebenso Goldscheider, als er sagte: \u201eDas spontan auf tretende einseitige Ohrenklingen mufs Verwunderung erregen, insofern es stets in Einer H\u00f6he\nerscheint\u201c (Gesamm. Abhd\u00ee. I, 14).","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppeltk\u00f6ren.\n115\nselbst nicht sehr befriedigend finden; auch sind solche variable und momentane Ger\u00e4usche kaum jemals, jedenfalls von mir nicht, beobachtet. Subjective Ger\u00e4usche pflegen nicht so schnell wie diese subjectiven T\u00f6ne zu verschwinden.1\nH\u00e4lt man sich aber nicht an Helmholtz\u2019 Vorstellungsweise, sondern etwa an die von M. Meyer neuerdings ausgebildete, wonach keine Abstimmung einzelner Nervenendorgane erfordere lieh w\u00e4re, so scheint f\u00fcr eine Erkl\u00e4rung dieser T\u00f6ne aus Reizungen im Labyrinth vollends jede feste Handhabe zu fehlen.\nSieht man endlich von Reizungen im Labyrinth \u00fcberhaupt ab und verlegt die Entstehung ins Gehirn, so begiebt man sich noch mehr ins Reich der Hypothesen, wo vieles denkbar, nichts aber in h\u00f6herem Grade wahrscheinlich zu machen ist.\nJedenfalls d\u00fcrften die vorstehenden Beobachtungen unter den Thatsachen, mit denen eine Theorie des H\u00f6rens rechnen mufs, eine Stelle verdienen. Man hat dabei bisher auf subjective T\u00f6ne nur nebenher R\u00fccksicht genommen, weil eben nur sehr wenige Beobachtungen dar\u00fcber zur Verf\u00fcgung standen.\nHL Rhythmisches Interm ittiren von T\u00f6nen und\nGer\u00e4uschen.\nEine Zeit lang, als eine besonders starke Disposition f\u00fcr den constanten Ton fiss vorhanden war (1883), bemerkte ich regel-m\u00e4fsig, dafs \u00e4ufsere Ger\u00e4usche, wie das des Regnens, sobald der Ton auftrat, einen mit dem Pulsschlag coincidirenden Rhythmus annahmen. Aus den fr\u00fcher erw\u00e4hnten Beobachtungen (S. 102)\n1 Hier sei eine Selbstbeobachtung E. Herino\u2019s erw\u00e4hnt, die mir dieser ber\u00fchmte Physiologe 1884 mittheilte. Er h\u00f6rte seit mindestens einem Jahr einen \u00e4ufserst hohen, nicht mehr auf dem Clavier vertretenen, Ton von con8tanter H\u00f6he, so stark, dafs das Ger\u00e4usch auf der Strafse oder in einer durcheinander sprechenden Gesellschaft ihn nicht unterdr\u00fcckte. Aber es schien ihm eher eine Verbindung mehrerer nahe beisammen liegender T\u00f6ne zu sein als ein einzelner Ton. Dies w\u00fcrde also ein Fall der verlangten Art sein. Doch gab Hk ring selbst im Hinblick auf sein nur wenig ansgebildetes musikalisches Geh\u00f6r die Aussage nur mit Beserve. Daher ist auf den einzelnen Fall nicht zu viel Gewicht zu legen.\nHering f\u00fcgte noch bei, dafs der Ton zuweilen auf einige Augenblicke v\u00f6llig aussetze, \u201e\u00e4hnlich wie wenn einer Athem sch\u00f6pft, um dann wieder mit voller Lunge anzufangen\u201c. Dies erschien ihm besonders r\u00e4thselhaft. Er hielt einen Zusammenhang mit dem Blutumlauf f\u00fcr wahrscheinlich, beobachtete jedoch kein Pulsiren des Tones.\n8*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nC. Stumpf.\nist zu schliefsen, dafs hierbei in den jeweilig entgegengesetzten Stadien (und zwar wohl bei der Systole) der subjective Ton hervortrat, also gleichfalls intermittirte, obschon mir dessen Intermittenz nicht gesondert zum Bewufstsein kam. Bei h\u00f6chster St\u00e4rke des Tons trat aber die Intermittenz nicht ein und das objective Ger\u00e4usch verschwand ganz.\nIn vereinzelten F\u00e4llen war auch ein sehr rasches Zittern des Tons bei zugehaltenem Ohr bemerkbar.\n1889, als nach einem Fall auf die linke Kopfseite eine \u00e4ufserst heftige Entz\u00fcndung des rechten Mittelohrs aufgetreten war und man das Trommelfell hatte durchbohren m\u00fcssen \\ unterschied ich in dem subjectiven Ger\u00e4usch, das in diesen Tagen best\u00e4ndig zu h\u00f6ren war (fernem Regnen \u00e4hnlich), zwei T\u00f6ne zugleich, das gew\u00f6hnliche fis* und ein schw\u00e4cheres h*. Diese Klangmasse intermittirte etwa 200 Mal in der Minute mit absoluter Regelm\u00e4fsigkeit. Tags darauf vernahm ich, nachdem das Mittelohr ausgeblasen worden, in dem Ger\u00e4usch nur aber in anderem Rhythmus intermittirend, 116 in der Minute. Der Puls war 66. Ich stellte fest, dafs die Zahl der Intermittenzen nicht etwa das Doppelte der Pulszahl betrug, indem die Pulsschl\u00e4ge zeitweilig mit dem Tonrhythmus coincidirten, dann wieder nicht, wie bei zwei ungleich tickenden Uhren. Die Zahl 116 fand ich auch in den n\u00e4chsten f\u00fcnf Tagen unver\u00e4ndert Dann verschwand die Erscheinung.\nAcht Tage sp\u00e4ter vernahm ich dagegen in n\u00e4chtlicher Stille ein Intermittiren des fis\\ das genau mit dem Puls zusammenfiel, so zwar, dafs der Ton in der Puls pause auftrat, beim Pulsschlag selbst aber ein um eine Quarte h\u00f6herer, das vorhin erw\u00e4hnte /i8. Ebenso in den drei folgenden N\u00e4chten. In Noten wie bei 1, auch wohl einmal wie bei 2:\n1 Die Natur der Erkrankung schien den Aerzten ziemlich r\u00e4thselhaft, Nach der Anschauung des behandelnden Ohrenarztes Dr. Hessleb (Halle) waren vermuthlich Splitterungen in der Knochenmasse des Felsenbeins eingetreten. Aus dem Ohr kam wochenlang eine eigenth\u00fcmliche unangenehm riechende Fl\u00fcssigkeit. Die in der Zeitschr. f. Ohrenheilkunde 10, 171 und 17, 65 beschriebenen F\u00e4lle sind wohl von \u00e4hnlicher Art gewesen.","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n117\nWeitere sechs Tage sp\u00e4ter, als fis* wieder mit dem Puls intermittirte, hielt ich die \u00ab\u2018-Gabel vor das Ohr und h\u00f6rte sie nun abwechselnd mit dem subjectiven Ton, wie bei 3.\nDie letzteren Beobachtungen machte ich auch bei einer zweiten, wenige Monate nachher auftretenden Entz\u00fcndung, diesmal des linken Mittelohrs (s. u.). Aber auch das intermittirende Ger\u00e4usch trat wieder auf (es war auch wieder Paracent\u00e8se gemacht worden), und zwar mit der Frequenz 208 in der Minute, an folgenden Tagen 216, 240, und wieder 208. Einmal aber mit aufserordentlicher Schnelligkeit : ich berechnete 912 in der Minute (nach Z\u00e4hlung in Abtheilungen zu je vier Doppelschl\u00e4gen).\nBeobachtungen \u00fcber rhythmische Intermittenzen, namentlich mit dem Puls zusammenfallende, sind auch sonst oft gemacht* l, doch wollte ich diese nicht \u00fcbergehen, da sie vielleicht einmal bei der Erkl\u00e4rung der subjectiven Erscheinungen mit in Betracht kommen.\nIV. Doppelth\u00f6ren,2\nBei der erw\u00e4hnten zweiten Ohrenentz\u00fcndung (die nach Ansicht des Arztes aufser Zusammenhang mit der ersten und ein infecti\u00f6ser Katarrh war) hatte ich eine Stunde nach der Durchstechung des Trommelfells, die mir furchtbaren Schmerz gemacht hatte, um mich zu beruhigen, einige Modulationen in tiefer Lage des Claviers gespielt, ohne etwas Besonderes zu be-\n1 Ueber so rasche und vom Puls abweichende Intermittenz ist mir jedoch nur Eine Beobachtung bekannt, und zwar von einem Patienten, der an Doppelth\u00f6ren litt. Sie findet sich in der k\u00fcrzlich erschienenen Arbeit von H. Daae in der Zeitschr. f. Ohrenheilk. 25, 266: \u201eVibriren im Ohr, 280 mal in der Minute, Puls 84\u201c.\n1 Wir reden hier nur von ungleichseitigem Doppelth\u00f6ren (Diplacusis binauralis). Es giebt auch ein Doppelth\u00f6ren mit einunddemselben Ohr, wor\u00fcber neuerdings Teichmann eine interessante Selbstbeobachtung mit-getheilt hat (Zeitschr. f. Ohrenheilkunde 1898, 34, 44). Er h\u00f6rt bei schwachem Erklingen der Stimmgabel cl beiderseits immer ein mitklingen, auch bei sonst normalem Zustand der Ohren, doch besonders bei nerv\u00f6ser Reizbarkeit und st\u00e4rker rechts als links.\nDie Ursachen f\u00fcr gleichseitiges und f\u00fcr ungleichseitiges Doppelth\u00f6ren k\u00f6nnten sehr ungleicher Art sein.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nC. Stumpf.\nmerken. Nach einer weiteren Stunde aber, als mein S\u00f6hnchen eine einfache Melodie in Octaveng\u00e4ngen \u00fcbte\nfiel mir sofort auf, dafs es falsch klang; und zwar war der untere Octaventon zu tief gegen den oberen. Bei der Untersuchung am Clavier zeigte sich, dafs diese subjective Verstimmung von c bis c4 reichte, also vier Octaven umfafste. Jeder einzelne Ton des Claviers wurde doppelt geh\u00f6rt, mit dem gesunden Ohr in seiner gew\u00f6hnlichen, mir wohlbekannten und zu den unteren Clavierregionen stimmenden H\u00f6he, mit dem kranken tiefer. Dieser \u201ePseudoton\u201c war zugleich schw\u00e4cher. Doch nahm gegen die Mitte der genannten Zone seine St\u00e4rke ebenso wie seine Abweichung vom richtigen Ton zu. In der mittleren Abtheilung e1 \u2014 c2 erreichte die Verstimmung */4 Ton. Der Pseudoton hatte hier zugleich etwas Schwankendes und erschien wie ein verf\u00e4lschtes inneres Echo, das sich sofort dem richtigen Ton beimischte. Eine a\u2019-Gabel, abwechselnd an das rechte und linke Ohr gehalten, klang links gut :V4 Ton tiefer. Bei einem Stimmpfeifchen derselben Tonh\u00f6he h\u00f6rte ich ein fast reines g1 mitklingen, das links localisirt und der Klangfarbe nach heller, d\u00fcnner als a1 war.1\nIch hatte hierbei den Eindruck der abscheulichsten Dissonanz, h\u00f6rte aber keine Spur von Schwebungen.\nAn der unteren Grenze der genannten Zone, wo die Verstimmung verschwand, war das Mitgehen eines schwachen h\u00f6heren Tones, der kleinen Decime, auffallend; in dieser Weise:\n1 Dieser Wechsel der Verstimmung mit der Klangfarbe, der auch in anderen F\u00e4llen beobachtet ist (s. m. Tonpsych. I, 268, B\u00fcrnbtt), darf nicht\nzu der Meinung verleiten, als handle es sich hier \u00fcberhaupt nur um Urtheils-t\u00e4uschungen. Aber es ist wahrscheinlich, dafs nicht die Klangfarbe als solche, sondern die St\u00e4rke den Unterschied bedingte.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00fcber subjective Tone und \u00fcber Doppelth\u00f6ren.\n119\nWeiter untersuchte ich die Wirkung beim Auf setzen der 'Stimmgabel auf verschiedene Theile des Sch\u00e4dels.\nAuf den Scheitel gesetzt gab sie einen zwischen dem normalen und dem verstimmten Ton, doch mehr nach dem letzteren hin liegenden, auch im Kopfe mehr links localisirten Ton, verkn\u00fcpft mit einem nur ganz schwachen Eindruck der Falschheit, aus dem allein ich aber nicht auf einen Doppelton geschlossen haben w\u00fcrde.\nAuf die rechte Schl\u00e4fe gegen vorn hin gesetzt gab sie einen st\u00e4rkeren Mittelton, der aber auch mehr links ini Kopfe zu liegen schien, ohne deutliche Beimischung von Unreinheit Dafs sr in der Tonreihe zwischen beiden T\u00f6nen lag, liefs sich leicht durch Vergleichung mit den T\u00f6nen, die die Stimmgabel vor jedem Ohr gab, erkennen.\nW eiter gegen das rechte Ohr, einen Finger breit vom Tragus, spaltete sich der Ton; beide T\u00f6ne waren gleichzeitig gesondert zu h\u00f6ren und auch gesondert localisirt; der linke erschien wie ein n\u00e4selnder Beiton. Auf dem Tragus selbst wurde nur der Norraalton geh\u00f6rt. Aber in dieser Gegend war die Erscheinung sehr wechselnd bei kleinen Verschiebungen, offenbar wegen der Verschiedenheit der Knochenleitung von einzelnen benachbarten Punkten aus.\nAn der linken Schl\u00e4fe vom war die Erscheinung \u00e4hnlich wie auf dem Scheitel, haupts\u00e4chlich der tiefere Ton h\u00f6rbar, der normale nur schwach beigemischt. N\u00e4her gegen das linke Ohr nur der tiefere, besonders beim Ausklingen. Auf dem linken Tragus war zuerst, wenn die Gabel noch sehr stark klang, der Eindruck der Falschheit unverkennbar, noch mehr auf dem benachbarten Gelenkfortsatz des Unterkiefers, wo sogar der Ton momentan auf das rechte Ohr \u00fcbersprang und sich merklich erh\u00f6hte, w\u00e4hrend unmittelbar daneben auf Theilen mit fleischiger Unterlage mehr der Pseudoton dominirte. All dies begreift sich .unschwer aus den Verh\u00e4ltnissen der Knochenleitung von Ohr zu Ohr.\nSchwebungen waren auch in diesen F\u00e4llen niemals zu bemerken.\nDen Ton der eigenen Singstimme konnte ich nicht eigentlich doppelt h\u00f6ren; ich h\u00f6rte nur verschiedene h\u00f6here T\u00f6ne im linken Ohr mitklingen, die m\u00f6glichst schlecht dazu pafsten. Sie lagen, soweit ich beobachten konnte, in der 2-gestrichenen Octave,","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nC. Stumpf.\nwaren aber nicht sehr stark, so dafs ich sie zuerst \u00fcberh\u00f6rte. Beim Sprechen war nichts Besonderes zu bemerken. Beim Sprechen Anderer dagegen entstand ein h\u00f6chst auff\u00e4lliges \u00e4ffendes Mitklingen im linken Ohr. Jeder Vocal wurde dort noch besonders geh\u00f6rt, in anderer F\u00e4rbung, d\u00fcnner. Anf\u00e4nglich schien auch die Tonh\u00f6he tiefer ; bei genauerer Beobachtung (die Tonh\u00f6he des Sprechens l\u00e4fst sich ja schon wegen der Schnelligkeit und Inconstanz der T\u00f6ne schwer erkennen) schien mir der Ton der gleiche wie rechts, nur heller; am auffallendsten bei Frauen und Kindern. Aehnliche Erscheinungen werden von Patienten oft berichtet und als \u201eEcho\u201c bezeichnet. Es war in der That wie eine ferne Stimme, die doch zugleich als unmittelbar nah empfunden wurde; dem Charakter nach fern (d. h. von solcher Klangfarbe und St\u00e4rke, wie wir sie sonst auf feme Stimmen beziehen), der Oertlichkeit nach nah. Man k\u00f6nnte es auch mit einer durchs Telephon geh\u00f6rten Stimme vergleichen.\nAm folgenden Tage waren die Erscheinungen noch unver\u00e4ndert Gegen Abend kam das obenbeschriebene intermittirende Ger\u00e4usch. Am dritten Tag war die Verstimmung nur stellenweise noch merklich, besonders zwischen f- und &\\ aber auch da mehr als etwas vertiefter Nachhall im linken Ohr. Das st\u00e4rker gewordene Ger\u00e4usch war der Beobachtung hinderlich. Die Differenz betrug nur etwa ]/4 Ton. Das kranke Ohr war nun auch stark schwerh\u00f6rig geworden, die Taschenuhr nur dicht vor dem Ohr wahrnehmbar, w\u00e4hrend ich sie sonst leicht auf einen Meter Entfernung h\u00f6re. Das Trommelfell sehr ger\u00f6thet, fast schwarz ; eine Hyper\u00e4mie, die sich jedenfalls auch ins Labyrinth erstreckte.\nAls die Ohren einige Jahre sp\u00e4ter wieder untersucht wurden, fand sich Alles normal, auch die H\u00f6rsch\u00e4rfe. \u2014\nEinen Fall des Doppelth\u00f6rens hat auch der vorz\u00fcglich musikalische Dr. R. Biedermann (vgl. Zeitschr. f. Psychol. XVHI, S.91 f.) an sich selbst erlebt und auf meinen Wunsch n\u00e4her untersucht Es war etwa ein Vierteljahr nach einer Periode hoher Nervosit\u00e4t, als er sich wieder ganz gesund f\u00fchlte, nichts momentan Aufregendes erlebt und auch keinen katarrhalischen Zustand hatte. Die n\u00e4chste Ursache k\u00f6nnte in Violin\u00fcbungen gelegen haben, wobei er viel in h\u00f6heren Lagen spielte. Dabei werden die T\u00f6ne sehr nah am linken Ohr erzeugt, in welchem denn auch die Verstimmung eintrat. Diese betrug beim a2 eine volle Quarte","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Beobachtungen \u00dcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren. 121\nnach oben hin, der Ton wurde als geh\u00f6rt, weiter hinauf nahm die Differenz ab und betrug von d* * an bis a:i nur mehr einen Halbton. Der Verlauf nach unten von a- und die beiderseitigen Grenzen sind nicht angegeben. Am folgenden Tage fand sich die Verstimmung noch ebenso.\nBiedermann sagt aus, dafs er Aehnliches schon fr\u00fcher erlebte, beispielsweise als er 11/2 Jahre vorher sehr viel Violine \u00fcbte und zugleich unsere Versuche \u00fcber die Reinheit von Terzen an Zungenapparaten mitmachte. Damals trat das Doppelth\u00f6ren gleichfalls direct nach dem Spielen hoher T\u00f6ne auf, als er ans Fenster in die kalte Luft trat Die Verstimmung betraf ebenfalls die hohe Region, hatte aber nicht die Gr\u00f6fse wie das letzte Mal. Von g3 nach e:l heruntergehend schien ihm Alles wie t7a zu klingen, also g!J unmittelbar in e* \u00fcberzugehen.\nZur Erkl\u00e4rung des Doppelth\u00f6rens weifs ich hier nichts Neues beizubringen.1 Man hat es in der letzten Zeit \u00f6fters auf das Mittelohr zur\u00fcckf\u00fchren wollen -, ohne aber genauer anzugeben, wie Ver\u00e4nderungen der Tonh\u00f6he bis zu einer Quarte und Quinte durch die Leitungsapparate hervorgebracht werden sollen. Die Erscheinungen geh\u00f6ren, wie die der subjectiven T\u00f6ne, zu denjenigen, an welchen eine Theorie des H\u00f6rens sich zu erproben hat. Dazu m\u00fcssen sie aber vor Allem genau beobachtet sein, und hierf\u00fcr kann ich in den vorliegenden F\u00e4llen einstehen.\n1 Vgl. Tonpsych. I, 274 f. die Deutung auf Grund der HELMHOLTz\u2019schen Lehre.\n* H. Daae in der S. 117 citirten Arbeit. Capeder, Zur Casuistik der Diplacusis binauralis, Basler Dissert. 1896 (Verstimmungen im Betrag einer Terz, einer Quinte). Dieser Autor vermuthet theile Labyrinthl\u00e4sionen, theils Mittelohraffectionen, und beruft sich f\u00fcr letzteren Fall auf die Modification eines Tons durch den VALSALVA\u2019schen Versuch, f\u00fcgt aber selbst bei, dafs diese nur 1/4 \u20141/2 Ton betrage.\n(Eingegangen am 12. Mai 1899.)","page":121}],"identifier":"lit31016","issued":"1899","language":"de","pages":"100-121","startpages":"100","title":"Beobachtungen \u00fcber subjective T\u00f6ne und \u00fcber Doppelth\u00f6ren","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:37:06.349273+00:00"}