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{"created":"2022-01-31T16:20:15.520771+00:00","id":"lit31087","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Gaupp","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 317-318","fulltext":[{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n317\nVaters ersch\u00fctterter und aus dieser Stimmung durch die Erscheinung des Geistes gewaltsam herausgerissener Mensch, der seiner ganzen Charakteranlage nach mehr zum Gr\u00fcbeln als zur raschen That hinneigt.\nShakespeare schildert in Hamlet sich selbst, er giebt Selbstempfundenes wieder.\nEr entfaltet hier nicht, wie sonst, einen moralischen Charakter, noch entwickelt er einen solchen, sondern er zeigt einen einzelnen, besonderen Gem\u00fcthszustand, und auch diesen h\u00fcllt er in Nebel, so dafs man ihn mehr errathen und Bich aus Erz\u00e4hlungen und Monologen ein Bild davon entwerfen mufs, als dafs man ihn aus seinen Handlungen und aus eigener Anschauung kennen lernte. \u201eUnd dabei konnte man nicht klug daraus werden, bis auf den heutigen Tag.\u201c Dabei ist Hamlet nicht geisteskrank, und ebenso wenig ist er ein bewufster Simulant.\nSein den Uebrigen unverst\u00e4ndliches Wesen wird von ihnen f\u00fcr Wahnsinn gehalten, und Hamlet benutzt diese Auffassung, er l\u00e4fst sich r\u00fcckhaltlos gehen und er \u00fcbertreibt, um sich und seine Pl\u00e4ne dahinter zu verbergen, seine Gegner einzuschl\u00e4fern und sein Geheimnifs zu bewahren. Shakespeare aber benutzte seinerseits die Fiction des Wahnsinns als Erkl\u00e4rungsgrund, zum Verst\u00e4ndnisse des sonst schwer verst\u00e4ndlichen Charakters und um ihn b\u00fchnenf\u00e4hig zu machen. Das ist, wie schon bemerkt, nicht gerade neu und eigentlich kaum f\u00fcr 207 Seiten ausreichend.\nPelman.\nP. J. M\u00f6bius. Ueber J. J. Rousseau\u2019s Jugend. Beitr\u00e4ge zur Kinderforschung mit besonderer Ber\u00fccksichtigung p\u00e4dagogischer Zwecke (2). Langensalza, H. Beyer & S\u00f6hne, 1899. 29 S. 60 Pf.\nIn seiner bekannten lichtvollen Art der Darstellung schildert uns M\u00f6bius in der kleinen Abhandlung die Geschichte der Jugend Rousseau\u2019s, den er als eine pathologische Pers\u00f6nlichkeit, als einen Entarteten im Sinne MAONAN\u2019scher Psychiatrie auffafst. M\u00f6bius zweifelt nicht an der Wahrheitsliebe Rousseau\u2019s. Er sieht in den \u201eBekenntnissen\u201c die Vertheidigungs-schrift eines Paranoikers, der sich gegen seine vermeintlichen Feinde und Verfolger durch r\u00fcckhaltslose Schilderung seines Lebens, seines Ftihlens und Denkens am besten zu sch\u00fctzen glaubt.\nDer Geschichtserz\u00e4hlung f\u00fcgt M\u00f6bius einige allgemeine Bemerkungen hinzu, die von dem feinen Verst\u00e4ndnifs des Verf. f\u00fcr die Entstehungsbedingungen genialer Naturen Zeugnifs ablegen. Die Ehrenrettung Rousseau\u2019s, die M\u00f6bius einer moralistischen Pedanterie gegen\u00fcber unternimmt, ist reich an trefflichen Gedanken und wird Manchem die Freude machen, die Ref. bei ihrer Lect\u00fcre empfunden hat. Und noch eins! Ueber \u00ebigenth\u00fcmliche, widerspruchsreich erscheinende Menschen und dichterische Figuren (cfr. Hamlet etc.) wird von Historikern viel Unverst\u00e4ndliches und Langweiliges geschrieben. Manches davon w\u00fcrde vielleicht ungedruckt bleiben, wenn auch in Laienkreisen allm\u00e4hlich die Erkenntnifs hineindr\u00e4nge, dafs zur Beurtheilung abnormer Menschen gewisse psychiatrische Kenntnisse erforderlich sind. Mit Recht sagt M\u00f6bius in Bezug auf Rousseau: \u201eAlle jConstructionen* des Charakters von psychologischen Anschauungen aus, alle psychologischen Motivirungen der Schicksale und Entschliefsungen","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\nLiteraturbericht.\nsind werthlos, denn die Literaturkenntnifs und die Psychologie bef\u00e4higen nie und nimmermehr sum Verst\u00e4ndnifs des Pathologischen.u\nGaupp (Breslau).\nMatjbick de Fle\u00fcbt. L\u2019lme ii criminal. Paris, F. Alcan, 1898. 192 S.\nEs ist die Absicht des Verfassers, so klar und einfach wie nur m\u00f6glich eine Zusammenstellung unserer Kenntnisse \u00fcber Bau und Function des Gehirns zu geben, um daraus neue Gesichtspunkte f\u00fcr die Be-urtheilung der Verbrecher, des Verbrechens und der Gesetzgebung absra-leiten und zu begr\u00fcnden. Die Italiener gehen ihm in ihren Bestrebungen, wie sie uns in der sogenannten positiven Schule entgegentreten, zu weit, und wir wollen ihm darin nicht widersprechen.\nOb er aber nicht denselben oder doch einen \u00e4hnlichen Fehler begeht, wenn er als erwiesen annimmt, dafs wir die Geheimnisse des Seelenlebens bereits mit Messer und Mikroskop ergr\u00fcndet h\u00e4tten, und jeder Fortschritt auf dem Gebiete der Hirnanatomie auch einen neuen Einblick in die Functionen der Seele bedeute, dar\u00fcber kann man anderer Meinung sein.\nUeber allen Zweifel ist dies sicherlich nicht, und wenn wir am Ende auch vernehmen m\u00fcssen, dafs eine normale Geisresth\u00e4tigkeit nur bei einem normalen, d. h. gesunden Gehirne bestehen kann, und clafs jede Abweichung von der Norm zugleich eine Abweichung in der Function nach sich ziehen wird und mufs, so entbehrt diese Annahme doch bisher des wissenschaftlichen Beweises, und den wird man doch wohl fordern d\u00fcrfen, bevor man darauf hin die bestehende Rechtsanschauung umstofsen und die Strafgesetzgebung von Grund aus ab\u00e4ndern will. Gewifs wird heutzutage kaum Jemand die Abh\u00e4ngigkeit unserer Willens\u00e4ufserungen von Zust\u00e4nden unseres Ichs bezweifeln, und gegen die Herrschaft des Determinismus oder die Unzul\u00e4ssigkeit einer freien Willensbestimmung anzugehen, hie\u00fcse offene Th\u00fcren einstofsen.\nAber was diese Ansichten mit der Structur der Neuronen zu thun haben, und weshalb es gerade diese Neurone sein m\u00fcssen, die uns zu einer neuen Anschauungsweise n\u00f6thigen sollen, wird uns auch durch die angeblich klare Ausf\u00fchrung de Fleury\u2019s nicht n\u00e4her ger\u00fcckt, und vorl\u00e4ufig sind wir wirklich noch nicht so weit, die Gehirnanatomie zur Leiterin der Criminalpsychologie einzustellen und die Beurtheilung des Verbrechers mit seinem anatomischen Himbefunde zu begr\u00fcnden.\nOb wir es je so weit bringen werden, dar\u00fcber kann man eine von der des Verf. abweichende Meinung haben, ohne gerade ein Verehrer der bisherigen Rechtsanschauungen zu sein. Zudem kann es dem Verbrecher nach den weiteren Ausf\u00fchrungen des Verf. im Grofsen und Ganzen gleichg\u00fcltig sein, ob diese neuen Anschauungen zur Geltung kommen.\nEs ist so recht bezeichnend f\u00fcr die besondere Art des Idealismus, wie sie der Verf. hegt, dafs er, in die Enge getrieben, eher in das Gegen-theil umschl\u00e4gt.\nZwar wird es seiner Ansicht nach den fortschreitenden Wissenschaften zweifellos gelingen, alle Seuchen mit Erfolg zu bek\u00e4mpfen, und die Folgen des Alkoholmifsbrauches, der Syphilis und alles anderen aus der Welt zu","page":318}],"identifier":"lit31087","issued":"1899","language":"de","pages":"317-318","startpages":"317","title":"P. J. M\u00f6bius: Ueber J. J. Rousseau's Jugend. Beitr\u00e4ge zur Kinderforschung mit besonderer Ber\u00fccksichtigung p\u00e4dagogischer Zwecke (2). Langensalza, H. Beyer & S\u00f6hne, 1899. 29 S.","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:20:15.520777+00:00"}