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{"created":"2022-01-31T14:18:29.395640+00:00","id":"lit31088","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pelman","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 318-319","fulltext":[{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\nLiteraturbericht.\nsind werthlos, denn die Literaturkenntnifs und die Psychologie bef\u00e4higen nie und nimmermehr sum Verst\u00e4ndnifs des Pathologischen.u\nGaupp (Breslau).\nMatjbick de Fle\u00fcbt. L\u2019lme ii criminal. Paris, F. Alcan, 1898. 192 S.\nEs ist die Absicht des Verfassers, so klar und einfach wie nur m\u00f6glich eine Zusammenstellung unserer Kenntnisse \u00fcber Bau und Function des Gehirns zu geben, um daraus neue Gesichtspunkte f\u00fcr die Be-urtheilung der Verbrecher, des Verbrechens und der Gesetzgebung absra-leiten und zu begr\u00fcnden. Die Italiener gehen ihm in ihren Bestrebungen, wie sie uns in der sogenannten positiven Schule entgegentreten, zu weit, und wir wollen ihm darin nicht widersprechen.\nOb er aber nicht denselben oder doch einen \u00e4hnlichen Fehler begeht, wenn er als erwiesen annimmt, dafs wir die Geheimnisse des Seelenlebens bereits mit Messer und Mikroskop ergr\u00fcndet h\u00e4tten, und jeder Fortschritt auf dem Gebiete der Hirnanatomie auch einen neuen Einblick in die Functionen der Seele bedeute, dar\u00fcber kann man anderer Meinung sein.\nUeber allen Zweifel ist dies sicherlich nicht, und wenn wir am Ende auch vernehmen m\u00fcssen, dafs eine normale Geisresth\u00e4tigkeit nur bei einem normalen, d. h. gesunden Gehirne bestehen kann, und clafs jede Abweichung von der Norm zugleich eine Abweichung in der Function nach sich ziehen wird und mufs, so entbehrt diese Annahme doch bisher des wissenschaftlichen Beweises, und den wird man doch wohl fordern d\u00fcrfen, bevor man darauf hin die bestehende Rechtsanschauung umstofsen und die Strafgesetzgebung von Grund aus ab\u00e4ndern will. Gewifs wird heutzutage kaum Jemand die Abh\u00e4ngigkeit unserer Willens\u00e4ufserungen von Zust\u00e4nden unseres Ichs bezweifeln, und gegen die Herrschaft des Determinismus oder die Unzul\u00e4ssigkeit einer freien Willensbestimmung anzugehen, hie\u00fcse offene Th\u00fcren einstofsen.\nAber was diese Ansichten mit der Structur der Neuronen zu thun haben, und weshalb es gerade diese Neurone sein m\u00fcssen, die uns zu einer neuen Anschauungsweise n\u00f6thigen sollen, wird uns auch durch die angeblich klare Ausf\u00fchrung de Fleury\u2019s nicht n\u00e4her ger\u00fcckt, und vorl\u00e4ufig sind wir wirklich noch nicht so weit, die Gehirnanatomie zur Leiterin der Criminalpsychologie einzustellen und die Beurtheilung des Verbrechers mit seinem anatomischen Himbefunde zu begr\u00fcnden.\nOb wir es je so weit bringen werden, dar\u00fcber kann man eine von der des Verf. abweichende Meinung haben, ohne gerade ein Verehrer der bisherigen Rechtsanschauungen zu sein. Zudem kann es dem Verbrecher nach den weiteren Ausf\u00fchrungen des Verf. im Grofsen und Ganzen gleichg\u00fcltig sein, ob diese neuen Anschauungen zur Geltung kommen.\nEs ist so recht bezeichnend f\u00fcr die besondere Art des Idealismus, wie sie der Verf. hegt, dafs er, in die Enge getrieben, eher in das Gegen-theil umschl\u00e4gt.\nZwar wird es seiner Ansicht nach den fortschreitenden Wissenschaften zweifellos gelingen, alle Seuchen mit Erfolg zu bek\u00e4mpfen, und die Folgen des Alkoholmifsbrauches, der Syphilis und alles anderen aus der Welt zu","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturberich t.\n319\nschaffen, so dafs eine Anlage zu Geistesst\u00f6rung und Verbrechen fernerhin beim besten Willen nicht mehr angeboren oder erworben werden kann.\nSollte trotzdem noch etwas Ungeh\u00f6riges \u00fcberbleiben, so wird ihm durch die Erziehung und die Vereine der Zukunft vollends ein Ende gemacht.\nWer alsdann noch als Verbrecher oder Geisteskranker auftritt, mufs als absolut unheilbar rasch und gr\u00fcndlich aus der menschlichen Gesellschaft entfernt werden.\nAm gr\u00fcndlichsten besorgt dies auch in der Zukunft die Todesstrafe, vorausgesetzt, dafs sie ihres erniedrigenden Charakters als Strafe entkleidet und in einer sanften und schmerzlosen Gestalt angewendet wird, dann kann sie unbedenklich eine weit liberalere Anwendung finden.\nF\u00fcr die Ueberlebenden kommt die Deportation in Frage, und zwar will der Verf. aus ihnen eine Colonialarmee errichten, die in fremden Landen zu Grunde gehen soll.\nSaign\u00e9es en masse, und f\u00fcr den Rest Madagaskar, das ist des Pudels Kern.\nMan kann nicht behaupten, dafs mit derartigen Utopien der Sache selber viel gedient w\u00e4re, und dies wird am wenigsten auf einem Boden der Fall sein, wo an Gegnern kein Mangel ist und wir auf ihre Angriffe gefafst sein m\u00fcssen. Diese Angriffe werden ihnen durch eine Beweisf\u00fchrung, wie die vorliegende, gar zu sehr erleichtert, und daher wird man den guten Willen des Verf. vielleicht loben k\u00f6nnen, sein Buch dagegen f\u00fcr nicht besonders gelungen erkl\u00e4ren m\u00fcssen.\tPelman.\nW. von Bechterew. Suggestion und ihre sociale Bedeutung- Deutsch von R. Weinberg, mit einem Vorwort von Prof. Flechsig. Leipzig, Arthur Georgi, 1899. 84 S. 2 M.\nIn einer gelegentlich eines Festtages der Akademie Petersburg gehaltenen Rede zeigt Bechterew, von welch grofser socialer Bedeutung die Suggestion ist. Wenn ihr Wesen auch noch dunkel ist, so bedienen wir Aerzte uns ihrer Wirkung in vielen F\u00e4llen zur Beeinflussung der verschiedenartigsten Krankheiten. Die Bedeutung der Suggestion zeigt sich aber weit \u00fcber diesen engen Rahmen hinausgehend im Leben des Einzelnen und grofser Gemeinwesen. Die Weltgeschichte ist voll von Beispielen hierf\u00fcr. B. erinnert an die zahlreichen Epidemien, Veitstanz-Epidemien etc. des Mittelalters und die zahlreichen Secten des russischen Reiches, bei deren Entstehung die Suggestion eine hervorragende Rolle spielt. Genauer bespricht er den Maljowannismus, eine russische Sekte, deren Stifter Maljowanny geisteskrank war und von ihm genau beobachtet wurde und zeigt an ihr den grofsen Einflufs, den die Suggestion hier ausge\u00fcbt hat.\nL\u00fcckerath (Bonn).\nC. Bos. La port\u00e9e sociale de la croyance. Rex. philos. 46 (9), 293\u2014802. 1898.\nVerf. weist zun\u00e4chst darauf hin, dafs in einer Gemeinschaft von Menschen die Ueberzeugung des Einzelnen eine Verst\u00e4rkung erf\u00e4hrt, und dafs der durch diese gegenseitige Verst\u00e4rkung erzielte Effect bis zum Fanatismus und zur Schw\u00e4rmerei fortschreiten kann. Er gelangt zu dem Satze,","page":319}],"identifier":"lit31088","issued":"1899","language":"de","pages":"318-319","startpages":"318","title":"Maurice de Fleury: L'\u00e2me du criminel. Paris, F. Alcan, 1898. 192 S.","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:18:29.395645+00:00"}