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{"created":"2022-01-31T16:21:07.980513+00:00","id":"lit31090","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 319-320","fulltext":[{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturberich t.\n319\nschaffen, so dafs eine Anlage zu Geistesst\u00f6rung und Verbrechen fernerhin beim besten Willen nicht mehr angeboren oder erworben werden kann.\nSollte trotzdem noch etwas Ungeh\u00f6riges \u00fcberbleiben, so wird ihm durch die Erziehung und die Vereine der Zukunft vollends ein Ende gemacht.\nWer alsdann noch als Verbrecher oder Geisteskranker auftritt, mufs als absolut unheilbar rasch und gr\u00fcndlich aus der menschlichen Gesellschaft entfernt werden.\nAm gr\u00fcndlichsten besorgt dies auch in der Zukunft die Todesstrafe, vorausgesetzt, dafs sie ihres erniedrigenden Charakters als Strafe entkleidet und in einer sanften und schmerzlosen Gestalt angewendet wird, dann kann sie unbedenklich eine weit liberalere Anwendung finden.\nF\u00fcr die Ueberlebenden kommt die Deportation in Frage, und zwar will der Verf. aus ihnen eine Colonialarmee errichten, die in fremden Landen zu Grunde gehen soll.\nSaign\u00e9es en masse, und f\u00fcr den Rest Madagaskar, das ist des Pudels Kern.\nMan kann nicht behaupten, dafs mit derartigen Utopien der Sache selber viel gedient w\u00e4re, und dies wird am wenigsten auf einem Boden der Fall sein, wo an Gegnern kein Mangel ist und wir auf ihre Angriffe gefafst sein m\u00fcssen. Diese Angriffe werden ihnen durch eine Beweisf\u00fchrung, wie die vorliegende, gar zu sehr erleichtert, und daher wird man den guten Willen des Verf. vielleicht loben k\u00f6nnen, sein Buch dagegen f\u00fcr nicht besonders gelungen erkl\u00e4ren m\u00fcssen.\tPelman.\nW. von Bechterew. Suggestion und ihre sociale Bedeutung- Deutsch von R. Weinberg, mit einem Vorwort von Prof. Flechsig. Leipzig, Arthur Georgi, 1899. 84 S. 2 M.\nIn einer gelegentlich eines Festtages der Akademie Petersburg gehaltenen Rede zeigt Bechterew, von welch grofser socialer Bedeutung die Suggestion ist. Wenn ihr Wesen auch noch dunkel ist, so bedienen wir Aerzte uns ihrer Wirkung in vielen F\u00e4llen zur Beeinflussung der verschiedenartigsten Krankheiten. Die Bedeutung der Suggestion zeigt sich aber weit \u00fcber diesen engen Rahmen hinausgehend im Leben des Einzelnen und grofser Gemeinwesen. Die Weltgeschichte ist voll von Beispielen hierf\u00fcr. B. erinnert an die zahlreichen Epidemien, Veitstanz-Epidemien etc. des Mittelalters und die zahlreichen Secten des russischen Reiches, bei deren Entstehung die Suggestion eine hervorragende Rolle spielt. Genauer bespricht er den Maljowannismus, eine russische Sekte, deren Stifter Maljowanny geisteskrank war und von ihm genau beobachtet wurde und zeigt an ihr den grofsen Einflufs, den die Suggestion hier ausge\u00fcbt hat.\nL\u00fcckerath (Bonn).\nC. Bos. La port\u00e9e sociale de la croyance. Rex. philos. 46 (9), 293\u2014802. 1898.\nVerf. weist zun\u00e4chst darauf hin, dafs in einer Gemeinschaft von Menschen die Ueberzeugung des Einzelnen eine Verst\u00e4rkung erf\u00e4hrt, und dafs der durch diese gegenseitige Verst\u00e4rkung erzielte Effect bis zum Fanatismus und zur Schw\u00e4rmerei fortschreiten kann. Er gelangt zu dem Satze,","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"S20\nLitera t nr bericht.\ndafs die Kraft der Ueberzeugung im umgekehrten Verh\u00e4ltnis steht zur Zahl der Geister, auf welche sie wirkt, dafs aber die Resultante die Summe der constutiven Elemente ungeheuer \u00dcberschreitet. Bei der Uebermittelung der Ueberzeugung findet nach B. eine suggestion sociale \u00e0 l\u2019\u00e9tat de veille statt. Die Ueberzeugungsstarken suggeriren die Ueberzeugungsschwachen. Die Art dieses Vorganges bleibt f\u00fcr uns im Grunde ein unl\u00f6sbares R\u00e4thael. Vorbereitend wirkt der Gesichtsausdruck, der Ton der Stimme und der sprachliche Ausdruck der Ueberzeugungsfesten. Letztere \u00fcben einen Ein-flufs auf den Willen der Wankelm\u00fcthigen aus. Zur Uebermittelung der Ueberzeugungen dient auch der Inhalt des sprachlich Fixirten. Namentlich war dies in den ersten Zeiten der Fall, wo das Individuum sich nur wenig von der Gattung unterschied und in den Ansichten noch Gleichf\u00f6rmigkeit herrschte. Die allgemeinen Wahrheiten wurden hier durch Sprichw\u00f6rter fixirt. Als allm\u00e4hlich das Wort das Extract der pers\u00f6nlichen Erfahrungen der Individuen wurde, erweckte es zwar bei den einzelnen H\u00f6rern nicht mehr dieselben Bilder und Emotionen, wohl aber correspondirende, so d&fo die Sprache auch jetzt noch zur Uebermittelung der Ueberzeugungen geeignet war. Diese Uebermittelung erfolgt um so leichter an nerv\u00f6se und hysterische Personen, weil pathologische Individuen leichter suggerirbar sind. \u2014 Ohne Gleichf\u00f6rmigkeit der Ueberzeugungen kann keine Nation sich aufrecht halten. Denn wollte Jeder auf seinen eigenen Ansichten bestehen, so w\u00fcrde aus der staatlichen Gemeinschaft ein Chaos werden. Auch unsere Gesetzgebung constituirt sich dadurch, dafs unsere unbewufsten Ueberzeugungen im socialen Bewufstsein auftauchen. \u2014 Nach Heobl nimmt jede Ueberzeugung, welche von einer Gemeinschaft von Menschen getheilt wird, einen religi\u00f6sen Charakter an. Deshalb, so behauptet Bos, brauche man nicht zu bef\u00fcrchten, dafs der religi\u00f6se Glaube jemals zu Ende gehen w\u00fcrde. \u2014 Sofern die Ueberzeugung das Princip der Synthese bildet und daher zur Quelle der Festigkeit wird, ist sie an und f\u00fcr sich auch etwas Moralisches. Nach Rousseau m\u00fcfste eine Vereinigung von Heiligen, bei denen keine Weiterentwickelung der religi\u00f6sen Ueberzeugung erfolgte, zu Grunde gehen. \u2014\nOffenbar ist in der Ansicht Hegel\u2019s das Wort \u201ereligi\u00f6s\u201c nur in seiner weitesten Bedeutung zu verstehen, welche das Uebersinnliche nicht in sich schliefst, n\u00e4mlich nur so etwa wie die Lehren Dabwin's die Glaubenss\u00e4tze der Darwinianer bilden. Unm\u00f6glich kann man annehmen, dafs jede Ge meinschaft von Menschen zu einer St\u00fctze f\u00fcr den Glauben an das Uebersinnliche wird. Der RoussEAu\u2019sche Gedanke ist eine Chim\u00e4re, die in der Wirklichkeit keine Analogie findet, wohl aber k\u00f6nnte er von den Anh\u00e4ngern des Unsterblichkeitsglaubens verwerthet werden zur Charakterisirung dea von ihnen angenommenen seelischen Zustandes nach dem Tode. Sie k\u00f6nnten daraus entnehmen, dafs dieser Zustand kein ruhender sein kann, sondern ein Zustand der Entwickelung, etwa eine unendliche Reihe von Stadien zunehmender Gotteserkenntnifs und Gott\u00e4hnlichkeit.\nG1XS8LKR (Erfurt).","page":320}],"identifier":"lit31090","issued":"1899","language":"de","pages":"319-320","startpages":"319","title":"C. Bos: La port\u00e9e sociale de la croyance. Rev. philos. 46 (9), 293-302. 1898","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:21:07.980519+00:00"}