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{"created":"2022-01-31T16:10:22.570860+00:00","id":"lit31105","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Pick, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 401-416","fulltext":[{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes.\nVon\nProf. A. Pick (Prag).\nIn einem bedeutsamen Aufsatze \u00fcber \u201eH\u00f6rspiele\u201c1 er\u00f6rtert K. Gross die psychologische Bedeutung des Rhythmus und Reimes auf Grund einer ausf\u00fchrlichen Darstellung der von ihm sogenannten H\u00f6rspiele. W\u00e4hrend er nun der \u00fcberzeugenden F\u00fclle von Thatsachen aus den \u201eproductiven\u201c H\u00f6rspielen auch solche aus der Psychopathologie anf\u00fcgen kann, indem er auf das Aneinanderreihen sinnloser Reime beim manischen Irresein nach einem Cit\u00e2t von Kraepelin hinweifst,2 3 * * * * fehlen Analoga f\u00fcr die \u201ereceptiven H\u00f6rspiele\u201c nicht blos bei ihm, sondern auch in der bisherigen psychiatrischen Literatur, soweit ich sie \u00fcberblickt habe ; trotzdem mufs man ja von vornherein vermuthen, dafs bei der organischen Grundlegung des rhythmischen Gef\u00fchls auch auf dem Gebiete der receptiven Vorg\u00e4nge sich gelegentlich wenigstens \u00e4hnliche Erscheinungen nachweisen lassen m\u00fcfsten.8 Das ist nun thats\u00e4chlich der Fall und nehme ich hier Veranlassung die mir durch die Arbeit von Gross in die Erinnerung zur\u00fcckgerufenen Beobachtungen psychiatrischer Art kurz mitzutheilen. Diesen stehen Beobachtungen nahe, die in der Otologie nicht\n1\tYierteljahrs8chr. f. Philos. (1898), 22 ; seither als Abschnitt des Buches \u201eTJeber die Spiele des Menschen\u201c erschienen.\n2\tBei dieser Gelegenheit w\u00e4ren auch zu erw\u00e4hnen die rhythmischen Bewegungen geistig sehr tief stehender Idioten, die zuweilen auch deutlich musikalisches Geh\u00f6r verrathen; nebenbei sei auch bemerkt, dafs die Reimereien Maniakalischer nicht immer sinnlos sind.\n3\tDazu ist es gewifs interessant, dafs Billroth anl\u00e4fslich seiner\nStudien zu dem Essay : Wer ist musikalisch, an Hanslick schreibt {Deutsche\nRundschau Oct. 1894, S. 81) : \u201eDies f\u00fchrte mich wieder zu einem Buche \u00fcber\nHallucinationen .... ja in die Geisteskrankheiten hinein.\u201c\nZeitschrift fiir Psychologie XXI.\n26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nA. Pick.\nselten an Kranken mit subjectiven Geh\u00f6rsempfindlingen gemacht werden. So habe ich jetzt gerade einen Kranken mit beiderseitiger Otitis media aus anderen Gr\u00fcnden in Beobachtung, der das Zischen und die \u201eMusik\u201c in seinen Ohren mit Pfeifen und rhythmischem Klatschen der H\u00e4nde begleitet, sichtlich als Ausdruck des rhythmischen Charakters, den jene entotischenGer\u00e4usche f\u00fcr ihn besitzen.\nAn die Beobachtungen aus der Psychopathologie kn\u00fcpfen die nicht seltenen Beobachtungen an, dafs Paranoische (Verr\u00fcckte) in jenen ersten Stadien, wo der Kranke noch einzelne, ihm zugerufene Worte hallucinirt, dieselben nicht selten aus rhythmisch sich gestaltenden Ger\u00e4uschen heraush\u00f6ren 1 ; so h\u00f6rt ein Kranker aus dem Ticken der Uhr einen sich taktm\u00e4fsig wiederholenden Schimpf, ein anderer etwas Aehnliches aus dem Ger\u00e4usche der R\u00e4der des Wagens, der ihn zur Anstalt bringt Aber auch ohne diese rhythmisirende Grundlage haben gelegentlich die Geh\u00f6rshallucinationen in dem eben erw\u00e4hnten Stadium einen gewissen rhythmischen Charakter und so habe ich noch k\u00fcrzlich von einer Kranken erz\u00e4hlen h\u00f6ren, dafs die Schulkinder beim Vor\u00fcbergehen an ihrem Hause ein rhytmisch erklingendes Schimpfwort gegen ihre Person ausstiefsen. Solche nicht zu den Seltenheiten geh\u00f6rige Beobachtungen bilden nun den Uebergang zu den beiden nachstehend zu berichtenden Beobachtungen, die soweit ich beurtheilen kann, jedenfalls zu den seltenen geh\u00f6ren.\nIm Jahre 189. wird ein gewesener Privatlehrer zu meiner Klinik mit einem \u00e4rztlichen Zeugnisse auf genommen, dem Nachstehendes zu entnehmen ist:\nEr stammt aus einer angeblich geistig gesunden Familie, -war aber seit jeher geistig abnorm ; er folgte seinen Eltern nicht, verspottete sie, in verschiedenen Stellungen that er nicht gut, gerieth auf Abwege und wurde wegen Veruntreuung von Geld mit Kerker bestraft; dabei hatte er immer einen ausserordentlichen Drang zum Lernen, erlernte durch Privatfleifs Franz\u00f6sisch und etwas Englisch; in den letzten Jahren erwarb er seinen Lebensunterhalt durch Privatstunden, vertrug sich jedoch wenig mit den Leuten, mufste \u00fcberdies den Unterricht einschr\u00e4nken wegen hochgradiger Myopie; aufserdem litt er an subjectiven\n1 Vgl. dazu die Beobachtungen Mach\u2019s \u00fcber unwillk\u00fcrliches Tacth\u00f6ren. in dessen \u201eBeitr\u00e4ge zur Analyse der Empfindungen\u201c 1886, S. 104ff.","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes. 403\nGer\u00e4uschen am rechten Ohr; seit angeblich 14 Tagen h\u00f6rt er auf beiden Ohren Stimmen, die mehrmals hintereinander seinen Namen rufen; M\u00e4nner- und Frauenstimmen, oft einzeln oder auch im Chore; sie halten ihm seine Vergehen auf sexuellem Gebiete und die Strafen, die seiner harren, vor und Alles das h\u00f6rt er nur in Reimen ; dann h\u00f6rt er auch ein Jammern aus weiter Ferne, das er f\u00fcr das Jammern der Leute in der H\u00f6lle h\u00e4lt und da er glaubt, dafs sein letzter Tag nahe, verlangt er, man m\u00f6ge f\u00fcr ihn beten, ist \u00e4ngstlich, will nicht allein im Zimmer gelassen werden, bittet seinen alten gebrechlichen Vater bei Gott f\u00fcr ihn F\u00fcrbitte einzulegen, er, der fr\u00fcher ein Freigeist gewesen; dabei besteht noch Krankheitseinsicht Nach den Angaben der Angeh\u00f6rigen scheinen die Zeichen der Charakter\u00e4nderung schon weiter zur\u00fcckzugehen ; schon seit etwa 2 Jahren bemerken die An* geh\u00f6rigen eine Aenderung im Wesen des Kranken; w\u00e4hrend er sich fr\u00fcher nicht um Religion gek\u00fcmmert, wurde er seither bigott ; in der letzten Zeit sei er aufgeregt geworden, klage \u00e4ngstlich, er sei verdammt, m\u00fcsse sterben.\nBeim klinischen Examen stellt sich Patient als ein betr\u00e4chtlich \u00fcber seinen Stand geistig gebildeter Mensch dar; er erz\u00e4hlt, dafs er nur 5 Volksschulklassen absolvirt und sich durch Selbstunterricht vervollkommnet habe. Das zuvor erw\u00e4hnte Verbrechen hat er sich im Alter von 16 Jahren zu Schulden kommen lassen: er sei als Lehrer vielfach mit der Geldbrief auf g\u00e4be betraut gewesen, und da sei ihm nun einmal zu einer Zeit, wo er durch vieles Romanlesen ganz \u201e\u00fcberspannt\u201c gewesen, der Gedanke gekommen, einen Geldbrief zu veruntreuen, um gut leben zu k\u00f6nnen ; er sei auch in die Hauptstadt davon, w\u00e4re aber alsbald arretirt und der Betrag ganz restituirt worden. Er habe sp\u00e4ter immer als Privatlehrer Unmassen gelesen, sei nie spaziren gegangen und habe diese Lebensweise bis zu seinem 40. J. getrieben. Im Jahre 1888 bekam er angeblich eine Netzhautabl\u00f6sung, verbrachte damit viel Zeit in verschiedenen Kliniken. Schon seit Kindheit habe er ein leises Rauschen im Ohre, das mit den Jahren immer schlimmer wurde. Vor 14 Tagen habe er, eben bei einem Dominospiel sitzend, auf einmal immer lauter seinen Namen rufen h\u00f6ren; es waren hohe und tiefe Stimmen; dann sp\u00e4ter h\u00f6rte er ganz deutlich immer einen Zusatz zu seinem Namen: z. B. B. P . . . du mufst sterben, B. P . . . du hast gelogen, B. P . . . du hast betrogen, du hast gestohlen, dich wird\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\nA. Pick\nder Teufel holen\u201c ; dann habe er geh\u00f6rt, wie wenn ihm eine \u00fcberirdische Stimme rufe : \u201eWas ich gestrebt, was ich gestritten, wie ich gelebt, wie ich gelitten.\u201c\nBefragt, was er von dem Ganzen halte, sagt er, er werde sterben, aber seine Seele werde leben und in der H\u00f6lle geplagt werden und f\u00fchrt zum Beweise daf\u00fcr an, dafs er gestern zum ersten Male eine entsetzliche Gestalt und zwar mit beiden Augen gesehen habe. Auf den Einwurf, ob denn das Alles den Charakter der Wirklichkeit habe, sagt Patient: \u201eIch sage mir ja selbst, es ist ja unm\u00f6glich; ich frage, ob das Alle vor dem Tode haben; jede Kleinigkeit, die ich l\u00e4ngst vergessen habe, wird mir vorgeworfen, ich glaube ja selbst, dafs sich Alles physisch durch den Blutandrang erkl\u00e4ren l\u00e4fst\u201c; aber gleich darauf sagt er \u201ees ist \u25a0kein Zweifel, es ist der Teufel\u201c.\nDie Stimmen kommen theilweise von aufsen, theilweise von innen heraus, selbst vom Herzen ziehen sie zum Gehirn. Alles gehe darauf hinaus, dafs er verloren ist, in die H\u00f6lle kommen und besonders gemartert werden wird.\nIn einer Er\u00f6rterung \u00fcber die von ihm selbst als gereimt erkannten Stimmen giebt er an, sich gelegentlich in Ueber-setzungen czechischer Gedichte versucht zu haben. \u201eWenn ich sonst gereimt habe, habe ich die Reime gesucht, aber hier geben sie sich von selbst\u201c und unmittelbar daran ankn\u00fcpfend, giebt er folgendes eben Hallucinirte wieder: \u201edu bist nicht getr\u00f6stet, du wirst ger\u00f6stet, dir ist nicht zu rathen, du wirst gebraten.\u201c\nEr ist \u00f6rtlich und zeitlich orientirt und hinsichtlich seiner Bef\u00fcrchtungen nur soweit zu beruhigen, dafs er sagt, wenn er nicht heute oder morgen sterbe, so wolle er gerne zugeben, dafs es sich um Sinnest\u00e4uschungen handle ; daneben macht er immer wieder Aufserungen, die auf Krankheitsbewufstsein schliefsen lassen ; er habe in den letzten Tagen auf verschiedenen Kliniken H\u00fclfe gesucht, wollte sich zur Ader lassen, w'eil sein Gehirn mit Blut \u00fcberf\u00fcllt sei. Bez\u00fcglich seines somatischen Zustandes giebt er noch an, dafs er schlecht schlafe; sowie er einschlafe, sp\u00fcre er sofort einen Reiz im Gehirn, wie wenn eine Feder gerissen und dann k\u00f6nne er nicht mehr schlafen.\nDie somatische Untersuchung ergiebt einen Strabismus con-vergens; Augenspiegelbefund: hochgradige Myopie mit Conus. Der Befund am Geh\u00f6rorgane lautet:","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes. 405\nR. Trommelfell in der vorderen und unteren Partie nach vorne und unten vom kurzen Fortsatz nach innen eingebuchtet Die Kuppe dieser Einbuchtung von der Ebene des hinteren oberen Theiles des Trommelfelles um 3 mm entfernt ; das Trommelfell getr\u00fcbt; L. Trommelfell getr\u00fcbt, eingezogen;\nL.\tR.\nV. 0,4\t0,2\nVs. 0\t0\nAls die Grundlage der in der letzten Zeit aufgetretenen psychopathischen Erscheinungen l\u00e4fst sich ein denselben vorangehendes hypochondrisches Stadium nachweisen, in welchem sexuelle Perversit\u00e4ten eine hervorragende Rolle spielen; auch jetzt klagt er \u00fcber allerlei hypochondrische Sensationen, Stehenbleiben des Herzens, Blasenschw\u00e4che, Impotenz. Auch l\u00e4fst sich ein kurzes Stadium von Illusionen, dem der Hallucinationen vorangehend, na\u00f6hweisen ; im Beginne habe er die Stimme haupts\u00e4chlich nur dann geh\u00f6rt, wenn irgend ein Ger\u00e4usch entstand: z. B. wenn ein Gegenstand zur Erde fiel, h\u00f6rte er sofort: mne boli hlava (czechisch) \u201emir thut der Kopf weh\u201c \u2014 oder wenn mit einem Gegenstand auf den Tisch geschlagen wurde, h\u00f6rte er sofort : \u201emne boli hlava\u201c und im Anschl\u00fcsse daran \u201emne boli prsa\u201c (czechisch) \u201emir thut die Brust weh.\u201c\nAm n\u00e4chsten Tag ist er sehr \u00e4ngstlich, er glaubt an die Wirklichkeit all der erz\u00e4hlten Dinge; es gebe D\u00e4monen, welche die Herren der Welt sind und ihn abholen werden; einer dieser D\u00e4monen heifse Fikeral und er habe geh\u00f6rt:\n\u201eBald wird man dich holen,\nFikeral hol' ihn ab.\u201c\nAber nicht blos diese und \u00e4hnliche Gedankeng\u00e4nge werden von Hallucinationen, die meist gereimt sind, begleitet, sondern vielfach auch alle anderen: so h\u00f6rt der Kranke, w\u00e4hrend seine Augen untersucht werden: \u201eDu wirst bald nichts mehr sehen, dann wird es bald vergehen\u201c (nach der Melodie \u201eIch hatte einen Kameraden . .\u201c) oder w\u00e4hrend er zu f\u00fchlen glaubt, dafs das Herz stocke, h\u00f6rte er:\n\u201eMein Herz ger\u00e4th ins Stocken, wie bin ich da erschrocken,\u201c\nIn den folgenden Tagen klagt er, dafs die Rufe die ganze Welt erf\u00fcllen; erz\u00e4hlt von einem grofsen Gesicht, das er gesehen,","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406\nA. Piek.\nmit vorgestreckten Krallen; er sah es beim Ofen, so deutlich, wie ein Kurzsichtiger eine Sache sieht; daran kn\u00fcpft er die Erz\u00e4hlung, dafs, sowie er, um die Frazze nicht mehr zu sehen, die Augen zudr\u00fcckte, er sofort h\u00f6rte : \u201eEr will die Augen zudr\u00fccken, er hat kein gutes Gewissen\u201c. \u201eWas ich sehe, pflege ich gleich zu h\u00f6ren mit einem Reim; wenn ich sage, ich werde es selbst versuchen, so heifst es sofort darauf, \u201eer wird es selbst versuchen\u201c, es kommt dasselbe 20 bis 30 mal, und jetzt kommt dazu noch, \u201eer wird sich selbst verfluchen\u201c. Jetzt h\u00f6re ich \u201eB. P. . .. aus K ... in, komme her und komme hin\u201c, \u201eer kann es nicht erwarten, er kommt in unseren Garten\u201c. Dazu sagt die Stimme: \u201eGott hat die Sprachen selbst gemacht, deshalb ist Alles gereimt\u201c. Noch weiter bez\u00fcglich des Rhythmischen seiner Hallu-cinationen befragt, giebt er an, dafs wenn es mit den Versf\u00fcfsen nicht ganz correct ausgeht, es durch die Melodie, die es hat, entsprechend gedehnt wird, so dafs es dann klappt. Patient erz\u00e4hlt auch weiter, dafs er auch h\u00e4ufig Verse ihm bekannter Gedichte z. B. B\u00fcrger (Leonore), R\u00fcckert hallucinirt; gelegentlich habe er, wenn der Reim nicht sofort von selbst komme, die Empfindung, wie wenn die Stimmen dieselben erst suchen w\u00fcrden. Auch Nachts h\u00f6re er, wenn er z. B. pl\u00f6tzlich mit dem obenerw\u00e4hnten Gef\u00fchle des Risses im Gehirne erwache, gereimte Hallucinationen \u201eEs zittert seine Seele, er will nicht in die H\u00f6lle\u201c. Aufmerksam gemacht auf den schlechten Reim in dieser Hallucination, sagt er, er habe selbst schon die Stimmen darauf aufmerksam gemacht, die h\u00e4tten ihm aber geantwortet \u201edie Reime sind nicht so schlecht wie du\u201c. Ein ander Mal erz\u00e4hlt er, dafs als einer der Kranken auf der Harmonika spielte, er die Worte nach dieser Melodie h\u00f6rte. Es spreche jetzt nicht nur im Ohre, sondern, sozusagen, alle Adern sprechen, das Herz \u201egeht wie eine Blechtafel\u201c; jeder Anschlag ist zugleich ein Wort \u201emein Name immer wieder\u201c ; ein ander Mal spricht er von einem Str\u00f6men des Blutes im Kopfe. W\u00e4hrend er in den ersten Tagen seines Aufenthaltes in der Klinik noch immer Zweifel \u00e4ufserte, es k\u00f6nnte das Ganze doch krankhaft sein, ist er dann sp\u00e4ter immer fester von der Wirklichkeit desselben \u00fcberzeugt ; sein Zustand sei sehr schlecht, das ganze Gehirn sei voll Blut, \u00fcberall spreche es, im Gehirn, in den Adern \u201eich meine wirklich, vom Teufel besessen zu sein; so ein wahrhafter Unsinn und ich mufs doch glauben diesen Gespr\u00e4chen im Herzen und im Kopfe\u201c. Auf den Einwurf, wie","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes. 407\ndenn im Herzen gesprochen werden k\u00f6nnte, sagt er : \u201eEs ist so, wie wenn eine Tafel aufgeschrieben w\u00e4re, zugleich aber h\u00f6re ich Stimmen, wie wenn es Jemand lesen w\u00fcrde; ich h\u00f6re jetzt weniger Reime, nur die drohenden Reime h\u00f6re ich noch, es kommt auch vor, dafs ich auf jedem Ohr etwas Anderes h\u00f6re\u201c. Die Gesichtshallucinationen nehmen entschieden zu, h\u00e4ufig geht der Traum in solche \u00fcber; das Wahnsystem entwickelt sich weiter, und weil ihm offenbar in Anlehnung an seine Wahnbildung die Stimmen einmal sagten, sie seien Fliegen, glaubt er, dafs die Fliegen, die er in seiner Jugend gemartert, jetzt zu Teufeln verwandelt seien, die ihn jetzt martern werden.\nVor seiner bald darauf erfolgten Transferirung in eine andere Anstalt aufgefordert, einige Proben seiner gereimten Hallu-cinationen niederzuschreiben, producirt er folgende Specimina;\nDer Mann, der gar nicht zeugen kann,\nDer ist ja gar kein rechter Mann,\nDer ist ja schon gestorben,\nUnd wenn er hundert Jahre lebt,\nEr hat ja ganz umsonst gestrebt Er ist ja ganz verdorben.\nEr hat uns wohl verstanden,\nEr liegt in Todesbanden,\nEr wird nicht lang\u2019 mehr machen,\nEr f\u00e4llt uns in den Rachen.\nDu hast genommen, du wirst bekommen;\nDu hast entwendet, du wirst geblendet;\nDu hast gestohlen, er legt dich auf die Kohlen.\nWas Ihr f\u00fcr Kinderm\u00e4rchen haltet Und f\u00fcr veraltet,\nDas ist die Wahrheit,\nIhr habt es noch nicht ergr\u00fcndet,\nDa habt Ihr schon dar\u00fcber Klarheit\nEr ist schon hier, bei dir\nUz je zde u tebe (Czechische Uebersetzung der vorangehenden Zeile)\nil est l\u00e0, chez toi.\nDas ganze Interesse des vorstehenden Falles concentr\u00e2t sich auf die gereimten Hallucinationen und es wird deshalb gen\u00fcgen,","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408\nA. Pick.\nwenn ich einfach darauf hinweise, dafs ein ziemlich typischer Fall von Paranoia hallucinatoria vorliegt, in welcher auf ein mehr chronisches Vorstadium von Hypochondrie in subacuter Entwickelung das Stadium des Verfolgungswahnes gefolgt ist\nWas nun die Erscheinungen der gereimten Hallucinationen betrifft, so handelt es sich zun\u00e4chst um ein Individuum, welches viel Verse gelesen und auswendig gelernt und mag zun\u00e4chst darin, sowie in den eigenen Versuchen von gereimter Ueber-setzung die psychische Disposition zu rhythmischer Verarbeitung des Gedachten zu suchen sein, da es sich im Sinne Mecxaxx's offenbar um ein rhythmisch gut veranlagtes Individuum handelt Zu dieser psychischen Disposition treten hinzu die bei dem Kranken so lange schon bestehenden subjectiven Ohrger\u00e4usche, die offenbar die, sagen wir, illusorische Basis f\u00fcr die rhythmischen Hallucinationen bilden. Aber auch andere rhythmisirende Factoren treten in den ganz unbeeinflufst gegebenen Aeufserungen des Kranken deutlich hervor; so in den Aeufserungen, dafs es im Herzen, in allen Adern spreche, was gewifs nicht zuf\u00e4llig mit der Thatsache zusammenf\u00e4llt, dafs in allen Theorien bez\u00fcglich der somatischen Grundlagen des rhythmischen Gef\u00fchls gerade diese rhythmisch functionirenden Organe eine Hauptrolle spielen.1 Es ist recht wohl begreiflich, dafs unter pathologischen Zust\u00e4nden das Pulsiren dieser Organe subjectiv viel st\u00e4rker hervortritt2 und in einem psychisch dazu disponirten Falle Veranlassung zur Ausl\u00f6sung rhythmischer Empfindungen und zwar auch solcher im Geh\u00f6rorgane gegeben wird, welch\u2019 letzteres schon an sich, wie eben erw\u00e4hnt, disponirt erscheint. Nicht minder interessant ist die in den Mittheilungen des Patienten \u00fcber die Form seiner Hallucinationen deutlich zu Tage tretende enge Beziehung zwischen Vers, Reim und Melodie, die ja auch dem entspricht, was man in der normalen Psychologie dieser Erscheinungen annimmt* * * * 8\n1 Billboth in einem Briefe an Habslick, von diesem als Einleitung-\nmitgetheilt zu \u201eWer ist musikalisch?\u201c {Deutsche Rundschau Oct. 1894, S.80):\n\u201eDas elementar-rhythmische Moment im Menschen ist der Herzschlag.\u201c\nVgl. ebendort S. 85 f.\n8 Vgl. dazu die Beobachtungen von Dana, On a New Type of Neurasthenic Disorder-Angio-Paralytic or \u201epulsating\u201c Neurasthenia. Repr. fr. The Joum. of the American med. Assoc. 26. Jan. 1895.\n* Vgl. auch Billboth (1. c. S. 89).","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes. 409\nAls ein Seitenst\u00fcck zu dem eben ndtgetheilten Falle liegt mir ein zweiter wesentlich \u00e4lterer vor, der insoferne etwas unvollst\u00e4ndig ist, als es sich um eine Kranke handelt, die ich nicht klinisch beobachtet, sondern nur einmal vor Jahren gesehen, die aber so liebensw\u00fcrdig war, mir den wesentlichen The\u00fc ihrer Erlebnisse in einer Heilanstalt mitzutheilen ; diesen Aufzeichnungen entnehme ich auch das uns hier Interessirende.\nEs handelte sich, soweit ich jetzt nachtr\u00e4glich feststellen kann, um eine auf hysterischer Basis entwickelte Psychose, die etwa als ein Mittelding zwischen acuter Paranoia und Verwirrtheit classificirt werden m\u00fcfste. Dem Manuscripte der Kranken entnehme ich mit Hinweglassung einer Menge unwesentlicher Mittheilungen folgenden Auszug :\nIn zehn Tagen war ich von meiner Melancholie ziemlich geheilt, kam von der Villa, wo die unruhigeren Kranken wohnen, ins Vorderhaus, wo ich mich t\u00e4glich mehr erholte, Andere tr\u00f6stete und unterhielt und schon in den n\u00e4chsten Tagen ausgehen oder fahren sollte.\nDa bekam ich Sch\u00fcttelfrost, was ich fr\u00fcher nie gehabt, der geringste Zug machte mir rasende Schmerzen ; der Director verschrieb mir Tropfen, die nat\u00fcrlich nicht helfen konnten, da die Krankheit erst im Beginne war. Bei mir setzte sich aber der Gedanke fest, sie haben mir geschadet, da man Alles thue, um die Kranken zur\u00fcckzuhalten. Nun stellten sich Lach- und Weinkr\u00e4mpfe ein, die meinen K\u00f6rper sehr schw\u00e4chten, Nerven-zuckungen und g\u00e4nzliche Schlaflosigkeit Schlafmittel halfen schon durch Tage nicht und ich bekam eine solche Angst vor ihnen, dafs ich der Oberpflegerin, die ich die ersten Tage hoch verehrte, Alles aus der Hand schlug mit dem Bemerken, sie wolle mich vergiften. Meine Hallucinationen fingen schon an, aber mehr wie Tr\u00e4ume, denn ich erinnere mich, dafs ich Morgens, wenn mir meine Zimmernachbarinnen ihr Leiden klagten (Eine h\u00f6rte immer \u201eKi-ke-ri-ki\u201c schreien oder ein h\u00e4fs-liches Wort, das sie stets verfolgte, die Andere litt an Ged\u00e4chtnisschw\u00e4che, konnte nichts lesen und war aufgeregt) oft sagte: Ach, was ist das gegen mein Leiden ; was sie jede allein haben, habe ich Alles zusammen und noch so viel, so viel dazu.1* Vor dem Arzte hatte ich entsetzliche Angst, er trachtete mir, meiner Meinung nach, nach dem Leben, weil ich hinter all seine Geheimnisse gekommen war und deshalb nie mehr die Anstalt ver-","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410\nA. Pick.\nlassen sollte. Ich hatte die Empfindung, als werde ich jeden Abend in das Zimmer der anderen Damen \u00fcbertragen, man halte mir vor Mund und Nase ein chloroformirtes Tuch, dann hypnotisire mich der Arzt und da ich so ein gutes Medium bin, stelle er an mich alle m\u00f6glichen Fragen. Dabei sp\u00fcrte ich eine K\u00e4lte, die meine Z\u00e4hne klappern machte und als ich die Antwort, ob es einen Gott giebt, dreimal umgehen wollte und immer wieder gefragt wurde, lag ich dann da, wie eine Sterbende.\nDann sollte ich mir w\u00e4hlen, welchem Wahnsinn ich verfallen sein will und unter all den Kranken, die ich kannte, suchte ich mir eine alte Frau aus, die jeden Moment aufs Bett fiel und schlief. \u201eNur schlafen, schlafen\u201c jammerte ich immer, sowie ich sp\u00e4ter, nachdem mir die \u201eStimmen\u201c verboten im Bette zu liegen, nur einen Wunsch hatte und der war, im Bette zu sterben.\nIch erinnere mich, ich habe geweint, bis ich an Decke und Hemd keinen trockenen Faden hatte und selbst um meine Augen bangte, Alles, weil mich der Arzt so maltraitirte ; denn alle meine Leiden schrieb ich ihm zu und in jedem sogenannten Verh\u00f6re, welches ich sp\u00e4ter in meinen Hallucinationen zu bestehen hatte,\nerz\u00e4hlte ich von diesen Thr\u00e4nen.........bald h\u00f6rte ich da, bald\ndort die Stimmen meiner n\u00e4chsten Verwandten, die mich riefen, mich suchten und nie vorgelassen wurden. Essen wollte ich nichts, ich f\u00fcrchtete mich vor Gift; den Director hielt ich f\u00fcr meinen gr\u00f6fsten Feind und all die Hexerei, die um mich herum vorging, betrieb er. Er war es, der die Verh\u00f6re mit mir leitete, meine Antworten, die ihm durch das H\u00f6rrohr, das bei mir, vielleicht in Erinnerung an das Telephon, welches durch die ganze Anstalt geht, eine grofse Rolle spielte, zukamen, verdrehte, Andere f\u00fcr mich arbeiten liefs und mich unmenschlich qu\u00e4lte. Er hatte eine eigene Melodie, nach der ich ihn erkannte, telegraphirte nach allen Erdtheilen und Alles meinetwegen, denn alle Professoren, alle reichen Leute kamen nach P. . . ., um mich zu h\u00f6ren, so ein interessanter Fall war ich. Sp\u00e4ter als ich wieder mit dem Wahn anfing, die Anstalt beruhe auf galvanischem Strome und ich werde immer wieder hypnotisirt, da sp\u00fcrte ich ein Sausen und Brausen im Kopfe, ein Stechen in den Gliedern, dafs ich immer wieder daraus fl\u00fcchtete, umsomehr als mir die sogenannten Stimmen zuriefen, Sie d\u00fcrfen nicht im Bette bleiben, Sie galvanisiren die ganze Anstalt. R\u00fchrte ich","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes. 411\nan dem Kleiderkasten, so h\u00f6rte ich P..........schallen, ber\u00fchrte\nich den Tisch, so dr\u00f6hnte es P...........ebenso von der Fenster-\nscheibe ; \u201each\u201c, rief ich verzweifelt, \u201eselbst die Pots sprechen bei\nP.......\u201c Drei Tage und drei N\u00e4chte safs ich mit dem R\u00fccken\nan der Wand quer \u00fcber dem Bett und vertheidigte mich gegen die Angriffe. Jede Nothl\u00fcge, die ich je gebraucht, jedes Unrecht, das ich durch \u00fcble Nachrede u. a. gethan, jede Jugends\u00fcnde wurde aufgebauscht zu einer Anklage und viele falschen dazu-gethan und \u00fcber mich gerichtet. Manchmal waren die Stimmen gut mit mir, da scherzte ich auch, afs lachend die auf meinem Nachttisch aufgeh\u00e4uften Efswaaren und war begl\u00fcckt, bischen Ruhe zu haben. B\u00f6hmisch, Deutsch, Franz\u00f6sisch und Englisch, selbst die paar Worte hebr\u00e4isch, die ich kannte, wurden um mich herum gesprochen und dann fing es in Versen an.\nIch selbst sollte Festgedichte machen, zum Lobe P...........\u2019s, des\nB\u00fcrgermeisters etc., war aber nie vorbereitet. Die W\u00e4rterin hatte, um mich zu retten, Alles auf den Boden aufgeschrieben, wenn ich es abging, h\u00f6rte ich jeden Reim genau, aber gleich war er vergessen. \u201eHaben Sie denn nicht den Rhythmus gelernt\u201c, hiefs es dann; \u201eSie sehen also all die Reime machen wir, in P. . . ., wann h\u00e4tten Sie sonst einen franz\u00f6sichen oder englischen Reim gemacht.\u201c\nWar ich etwas muthiger, hiefs es: \u201eNicht so tollen, hier im Vollen; im Irrwahn, dafs Sie glauben, dafs ich das leiden kann, Sie fangen wieder mit dummen Versen an\u201c. \u2014 \u201eIch, der Doctor\nE.......echt, Ihr Henkersknecht, hab\u2019 Sie behandelt nach Fug\nund Recht.\u201c\n\u201eUnd ich die R . . . . r, treib es mit Ihnen noch toller.\u201c\n\u201eDas ist ja eben der dumme Witz, es heilst immer Sie und\ndie L........itz. \u201eDas sind lauter Verse, die nicht kommen\naus Ihrer Ferse\u201c. \u201eMan kann nicht Alles haben, zusammen Behagen und Unbehagen\u201c. Dann schrieen mich die Frauen an: \u201eSind Sie verr\u00fcckt, hat Sie Jesaias uns geschickt; m\u00fcssen wir Ihretwegen solange sitzen und arbeiten und dabei schwitzen\u201c. \u201eWas wollen Sie jetzt haben, wollen Sie wieder die Gischt in die Anstalt tragen.\u201c\nIch mochte was immer anziehen, dann war ich \u201edie dumme Gacke, im rothen, rosa oder weifsen Fracke.\u201c\nImmer wieder sollte mich der B\u00fcttel holen, mich mit Ruthen peitschen, im Hemd durch P . . . . fahren und die Kinder, die","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412\nA. Pick.\nmich schreiend begleiten wollten, h\u00f6rte und sah ich vor meinem Fenster.\nAm meisten aufs\u00e4ssig waren mir die Juden, weil ich die Gebote der Religion nicht befolgte, da hiefs es \u201eAscher melech ist der K\u00f6nig, paps ewek kennt Sie der Jude wenig\u201c. Der Rabbiner zeigte mir vom Fenster vis-a-vis, ich solle mich taufen lassen und Niemand wollte mein Glaubensbekenntnis, \u201eich liebe die Menschheit und trage meinen Gott im Herzen, nicht auf der Zunge\u201c, gelten lassen. \u201eSie glauben alles, darum sind Sie der Dalles\u201c hiefs es.\nIch sah Jesus, Gott Vater und unterhielt mich mit meiner verstorbenen Schwester. Fr\u00fch, wenn ich \u2019mal bischen geschlafen, frug es: \u201eWas haben Sie getr\u00e4umt, Sie wissen es nicht, wir werden es Ihnen sagen. Von Ihrer Schwester haben Sie wieder getr\u00e4umt. Von der Schwester k\u00f6nnen Sie nicht immer tr\u00e4umen, der Tag wird kommen und Sie werden weinen\u201c; \u201eich weifs, ich weifs\u201c, sagte ich dann \u201eich weine schon jetzt\u201c\nAls mich mein Bruder zum ersten Male besuchte, war ich aufgel\u00f6st vor Freude. Zwei Stunden hatte ich Ruhe in seiner N\u00e4he, dann fing es an. Seine Cravattennadel sprach zu mir, ich h\u00f6rte wie immer die V\u00f6gel sprechen, mich warnen, den Bruder ja fortzuschicken, ihm alles m\u00f6gliche schlechte von mir zu sagen etc.\nDachte ich an ihn, so hiefs es: Was wollen Sie wieder von Ihrem Bruder, dem Feuerluder?\nIm Juni als er das zweite Mal mich besuchte, best\u00fcrmte ich ihn so lange, bis er mich nach Hause nahm.\nAls ich vor Wochen mir den Muth gemacht, den Arzt zu fragen, ob ich denn nicht fort aus der Anstalt k\u00f6nnte, meinte er, oh ja, aber die Stimmen nehmen Sie mit. Ich dachte \u201enat\u00fcrlich, da Sie es nicht anders wollen\u201c. Aber es war auch so. In dem Getrappel der Pferde, die uns zur Bahn brachten, in den Tritten der Menschen, und als wir uns ins Coup\u00e9 setzten, im\nPusten der Locomotive, die nach Doctor P........\u2019s alter Melodie\nmich, meinen Bruder und alles, was mich anging, h\u00f6hnte: \u201eDoctor P . . . . hat gewonnen, die Stimmen haben Sie mitgenommen\u201c, hiefs es auch. \u2014 Ich freute mich zu Hause, aber die Angst wich nicht von mir. Die Uhr mufste man stehen lassen, denn ich h\u00f6rte meine Stimmen aus ihr, im Bette konnte ich es nicht aushalten, zeitlich Morgens sah ich vor dem Hause P . .-","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes. 413\nSpione stehen. So brachte mich mein armer Bruder wieder nach P . . . . zur\u00fcck. \u201eHerr Doctor E . . . . echt Sie haben mich behandelt, nach Fug und Recht\u201c, kam ich meinem Arzte entgegen ; ich wollte damit sagen, dafs ich nichts werth bin, nicht einmal zu Hause aushalten konnte und all das Schreckliche, das er \u00fcber mich verh\u00e4ngt, verdient habe. \u2014\nBez\u00fcglich der uns wesentlich interessirenden Erscheinung der gereimten Hallucinationen ergiebt sich auch f\u00fcr diesen Fall das Zutreffende der f\u00fcr den ersten Fall gegebenen Ausf\u00fchrungen. Auch hier scheint es sich um eine rhythmisch veranlagte Person gehandelt zu haben, obzwar ich nicht in der Lage war, das von der Kranken nachtr\u00e4glich best\u00e4tigt zu erhalten. Auch hier k\u00f6nnen wir gewisse somatische Grundlagen f\u00fcr das Rhythmische nachweisen; zun\u00e4chst bemerkenswerth nach dieser Richtung ist das Zusammenfallen der Verse mit Gehbewegungen, eine Beziehung, die ja mehrfach schon von fr\u00fcheren Autoren als Grundlage des Rhythmus angesehen worden ist ; weiter das von der Kranken angegebene Sausen im Kopfe. In interessanter Weise tritt auch das illusionirende Grundmoment in der Beschreibung der Hallucinationen w\u00e4hrend ihrer Heimreise hervor; nehmen wir endlich noch dazu, dafs nach einer Aeufserung der Kranken von der \u201ealten Melodie\u201c, falls dieselbe nicht blos bildlich genommen ist, auch das musikalische Moment in dieser Beobachtung nicht fehlt, so sehen wrir, wie auch dieser Fall in seinen wichtigsten Thatsachen hinsichtlich der Form und der Grundlage der rhythmischen Erscheinungen mit dem ersten zusammenf\u00e4llt ; von grofsem Interesse ist die Aeufserung der Kranken, sie selbst sollte auf Geheifs der Stimmen Verse machen, w\u00e4re aber nie vorbereitet gewesen. Wie wir ja f\u00fcr die grofse Ueberzahl der Hallucinationen bei Kranken dieser Art nachweisen k\u00f6nnen, dafs sie nur einen Reflex aus dem Vorstellungsgebiete auf ein oder das andere Sinnesgebiet darstellen, so sehen wir hier, wie die in den Geh\u00f6rshallucinationen zum Ausdrucke kommende rhythmische Disposition in der psychischen Verarbeitung zu der entsprechenden Vorstellung Veranlassung giebt und sozusagen auch zu Ausl\u00f6sung auf motorischem Gebiete dr\u00e4ngt. Dazu kommt es aber bei unserer Kranken offenbar deshalb nicht, weil es in der Mehrzahl der so gearteten F\u00e4lle zu Reizzust\u00e4nden im motorischen Sprachgebiete oder, sagen wir lieber ganz unvoreingenommen, zu","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414\nA. Pick.\nAusl\u00f6sungen auf diesem Gebiete, zu ideenfl\u00fcchtigem Reden nicht kommt1\nEs ist diese Beobachtung jedenfalls ein nicht unwichtiges Argument gegen die, \u00fcbrigens gleich anf\u00e4nglich durchaus nicht allgemein acceptirte bekannte Anschauung von Stricker, dafe die Wortvorstellungen ausschliefslich motorischen Charakter besitzen. \u2014\nFassen wir zum Schl\u00fcsse die beiden hier mitgetheilten F\u00e4lle gemeinsam ins Auge, so liegt, nach den jedem einzelnen gewidmeten Bemerkungen, die vielfache Uebereinstimmung der uns hier interessirenden Erscheinungen zu klar zu Tage, als dafs es noch einer besonderen Bemerkung dar\u00fcber bed\u00fcrfte. F\u00fcr die Psychologie des Reimes innerhalb des Normalen d\u00fcrfen wir aber in denselben eine nicht unwichtige Best\u00e4tigung der bisher dar\u00fcber bestehenden Ansichten sehen. Bez\u00fcglich der Mehrzahl derselben bedarf es nicht erst besonderer Hervorhebung, aber auf einzelne will ich doch hier eingehen. So ist schon seit Langem auf die Beziehungen) zwischen aufmerksamer Erwartung und Rhythmus aufmerksam gemacht worden; und Mecmann hat dieselbe neuerlich zur Grundlage psychophysischer Untersuchungen gemacht Nun spielt gerade auf dem Gebiete der Sinnest\u00e4uschungen die Erwartung eine wichtige Rolle und es ist eine immer wieder mit den bekannten Versen Schiller\u2019s belegte Erfahrung der Psychopathologie von der Bedeutung des Erwartungsaffectes f\u00fcr die Entstehung von Illusionen speciell des Geh\u00f6rs ; dasselbe gilt aber auch f\u00fcr Geh\u00f6rshallucinationen, in deren Entstehung dieser Affect eine nicht geringere Rolle spielt. Von besonderem Interesse scheint mir endlich der in unseren pathologischen F\u00e4llen deutlich hervortretende Factor des \u201eUnwillk\u00fcrlichen\u201c in der Rhythmusbildung, wodurch dieselbe ein Analogon zu der gleichen Erscheinung in den von verschiedenen Autoren angestellten Ge-d\u00e4chtnifsversuchen mit sinnlosen Silben darstellt.2\n1\tDazu ist es gewifs interessant, in vereinzelten F\u00e4llen von Paranoia chronic, mit acuten Nachsch\u00fcben, in solchen vereinzelt eine ausgesprochen rhythmische Form von Verbigeration oder ideenfl\u00fcchtigen Plappems, gelegentlich auch Schreibens, beobachten zu k\u00f6nnen. Bei diesen Er\u00f6rterungen ist allerdings nicht zu \u00fcbersehen, dafs die Differenzen zwischen dem sensorisch- und motorisch-rhythmischen Gebiete noch andere, eigenartige sein m\u00f6gen.\n2\tVgl. dazu das Wort Billroth\u2019s (1. c. S. 92) \u201ees spielt in uns\u201c, womit","page":414},{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes. 415\nZum Beweise, dafs es nicht blos bei manisch Kranken mit ihrem gesteigerten Bewegungsdrange zu motorischer Ausl\u00f6sung rhytmischer und gereimter S\u00e4tze kommt, will ich nur ganz kurz eine neue Beobachtung einer Frau erw\u00e4hnen \u2014 auf die ganze, sehr complicirte Erscheinungsreihe hier einzugehen, w\u00e4re \u00fcberfl\u00fcssig \u2014 bei der es gelegentlich zu f\u00f6rmlich zwangsm\u00e4fsigem Auftreten sprachlicher, zuweilen ganz sinnloser Aeufserungen kommt, angeblich zur Entlastung von peinlichen Vorstellungen; und diese sprachlichen Aeufserungen tragen h\u00e4ufig direct den Charakter des Rhythmischen und Gereimten ; so lautet eine derselben nach dem Stenogramm des Mannes:\niftiringi, iftiringi ping, ping, pang ofteringi, ofteringi ming, ming, mang.\nDie eigenen Angaben der Frau bez\u00fcglich ihres rhythmischen Gef\u00fchls ergaben nur, dafs sie viel Gedichte gelesen und auch memorirt hat.\nMeine Erwartung, dafs bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit sich die im Vorangehenden berichteten Erscheinungen doch \u00f6fter als sich dies aus der bisherigen Seltenheit einschl\u00e4giger Mittheilungen schliefsen liefse, der Beobachtung darbieten w\u00fcrde, fand kurze Zeit nach Absendung des Manuscriptes ihre Best\u00e4tigung.\nAm 1. Juli kam ein 30j\u00e4hriger Fabrikarbeiter zur Klinik, bei dem sich auf dem Boden eines durch intensiven Alkohol-genufs entstandenen chronischen Alkoholismus, veranlafst durch eine fieberhaft verlaufende Infectionswunde an der Hand, eine Psychose entwickelt hatte, in der, um es kurz zu erw\u00e4hnen, Erscheinungen akuter Alkoholparanoia mit solchen eines Delirium tremens gemischt, die ersteren jedoch viel pr\u00e4gnanter hervortraten. Die Haupterscheinung auf psychischem Gebiete bildeten vorwiegend Hallucinationen des Geh\u00f6rs, neben denen die des Gesichtes entschieden sowohl an Intensit\u00e4t wie auch zeitlich zur\u00fccktraten.\nSofort am ersten Tage seines Aufenthaltes in der Klinik bez\u00fcglich der ersteren befragt, giebt er an, dafs ihm, als er sich\nwir wieder ankn\u00fcpfen an die H\u00f6rspiele von Groos, deren Analoga auf pathologischem Gebiete wir im Vorstehenden aufgezeigt.","page":415},{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416\nA. Piek.\nAbends zu Bette legte, eine Stimme alles M\u00f6gliche aus seinem fr\u00fcheren Leben vorhielt; das habe die ganze Nacht gedauert, habe wie Musik geklungen, sei entschieden rhythmisch gewesen und h\u00e4tte Versform gehabt; es \u201ewurde in Worten gesungen11, \u201ewenn er mit dem einen fertig war, fing er mit dem anderen an\u201c. Auf die Frage, ob es auch gereimt war, sagt er ja, es habe \u201esich so sch\u00f6n geschickt\u201c; Versuche, von dem Kranken die tschechischen Akuasmen zu erfahren, um selbst \u00fcber deren Natur etwas urtheilen zu k\u00f6nnen, f\u00fchren nicht zum Ziel ; das, was der Kranke davon wiedergiebt, l\u00e4fst nur den beil\u00e4ufig rhythmischen Charakter erkennen; dafs aber das Ganze nicht als etwas in den Kranken \u201eHineinexaminirtes\u201c anzusehen ist, geht daraus hervor, dafs der Kranke ganz spontan angiebt, dafs nur in dieser ersten Nacht die Geh\u00f6rshallucinationen jenen Charakter an sich trugen, w\u00e4hrend schon im Folgenden \u201ees nur gew\u00f6hnlich war\u201c.\nZur Psychologie auch dieses Falles w\u00e4re noch zu erw\u00e4hnen, dafs der Kranke spontan angab, dafs er die Stimme vorwiegend auf dem Ohr h\u00f6rte, mit dem er auf dem Polster lag, (er wechselte auch deshalb \u00f6fter die Lage) und dafs er grofse Angst hatte und deshalb sehr scharf auf die Stimme aufpafste. Die rhythmisixende Wirkung dieser Factoren ist zu deutlich, als dafs es noch einer besonderen Er\u00f6rterung bed\u00fcrfte.\n(.Eingegangen am 20. Juni 1899.)","page":416}],"identifier":"lit31105","issued":"1899","language":"de","pages":"401-416","startpages":"401","title":"Psychiatrische Beitr\u00e4ge zur Psychologie des Rhythmus und Reimes","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:10:22.570866+00:00"}