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{"created":"2022-01-31T13:35:10.094091+00:00","id":"lit31106","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Reddingius","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 417-432","fulltext":[{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fixation.\nVon\nDr. Reddengius, im Haag.\nAufser dem Richten der Foveae auf schon peripher wahrgenommene Gegenst\u00e4nde, ist noch das auf diese Gegenst\u00e4nde Gerichtet-Halten der Foveae eine Function unserer Augenmuskeln. Erstere Function kann man Einstellung, die zweite Fixation nennen.\nBeim Sehen ist nur willk\u00fcrlich das Lenken der Aufmerksamkeit; im Uebrigen kommen alle unsere Augenbewegungen als Reflexe zu Stande. F\u00fcr jede Augenbewegung m\u00fcssen daher urs\u00e4chliche sensorische Eindr\u00fccke zu finden sein.\nDer f\u00fcr die Einstellung nothwendige sensorische Eindruck ist ohne Weiteres klar; es ist die Thatsache, dafs ein Bildpunkt, worauf die Aufmerksamkeit sich richtet, auf der Retina nicht central, sondern irgendwo peripher gelegen ist. Die Reizung jedes sensiblen Retinatheilchens besitzt ein motorisches Aequi-valent, das von der Lage dieses Theilchens bestimmt wird in diesem Sinne : je weiter das Theilehen von der Fovea entfernt ist, desto gr\u00f6fser ist sein motorisches Aequivalent.\nWenn nun durch die Einstellung Fovea und Bildpunkt zusammenfallen, worin kann dann der sensorische Eindruck bestehen , welcher die f\u00fcr die Fixation ben\u00f6thigten Muskel-contractionen zu Stande bringt? In diesem Augenblicke sind dergleichen sensorische Eindr\u00fccke nicht denkbar. Dafs es erw\u00fcnscht ist, das schon Erreichte zu erhalten, kann ja kein sensorischer Eindruck sein. Nur durch Verlust der richtigen Einstellung wird die Erhaltung von sensorischen Eindr\u00fccken von Neuem m\u00f6glich gemacht. Die sensorischen Eindr\u00fccke, welche die Fixation zu Stande bringen, m\u00fcssen die Wirkung von Verschiebungen des Bildpunktes auf der Retina sein.\nSo bin ich zum Schlufs gekommen, dafs wirkliche Fixation nicht besteht, und dafs dasjenige, was wir darunter verstehen, ein jedesmaliger Verlust der f\u00fcr das centrale Sehen zu erstreben-\nZeitschrift fin* Psychologie XXI.\t27","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"418\nReddingius.\nden Lage sein mufs, der von immer neuen Einstellungen gefolgt wird. Weil wir objectiv diese Einstellungsbewegungen nicht wahmehmen k\u00f6nnen, m\u00fcssen sie sehr klein sein ; vielleicht w\u00e4re es m\u00f6glich, mit einem aufserordentlich gut am Kopfe des zu Untersuchenden fixirten Comeamikroskops diese Bewegungen zu constatiren.\nDer Reihe nach werde ich hier betrachten die Fixation: bei Abwesenheit der Convergenz- und Divergenz-Innervation,\nbeim binocularen Sehen mit Orthophorie, beim normalen monocularen Sehen, beim binocularen Sehen mit Esophorie und Exophorie, beim binocularen Sehen mit Hyperphorie.\nErstere Fixationsart kann Vorkommen bei Personen, die durch alten Strabismus die Convergenz- und Divergenz-Innervation ganz verloren haben; ihre Fixation ist nat\u00fcrlich immer monocular.\nEine excentrische Lage des Bildpunktes wird bei ihnen Einstellungsreizung der Organe f\u00fcr das Sehen nach rechts, nach links, nach oben und nach unten zur Folge haben. Durch die auf diese Reizungen folgenden Muskelcontractionen wird die Fovea nach dem Bildpunkte bewegt, und wenn dieser erreicht ist, h\u00f6rt die Einstellungsreizung auf. Das Auge ist ein Organ, das beim Fehlen von Innervationsreizen nach der Ruhestellung zur\u00fcckstrebt; so geht die richtige Einstellung wieder verloren, und es entsteht der sensorische Eindruck f\u00fcr eine andere kleine Einstellungsreizung.\nJe mehr peripher der zu fixirende Gegenstand im Blickfelde gelegen ist, desto st\u00e4rker wird die Elasticit\u00e4tskraft der das Auge umgebenden Gebilde sein, welche das Auge wieder in seine Ruhestellung zur\u00fcckdr\u00e4ngen, desto st\u00e4rker wird auch der einfache oder combinirte Innervationsimpuls sein m\u00fcssen, der zuerst die Einstellung und darauf die Fixation wieder herstellen solL Bei stark peripherer Lage des Bildpunktes im Blickfelde wirkt die Elasticit\u00e4tskraft am st\u00e4rksten, und sie kann daher jedesmal das Auge einen gr\u00f6fseren Weg zur\u00fccklegen lassen, ehe die Fixationsinnervation die Fovea wieder zu dem Bildpunkte zur\u00fcckkehren l\u00e4fst.\nBei Untersuchung der Blickfeldgr\u00f6fse habe ich oft gesehen,","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fixation.\n419\ndafs auch bei normalen Menschen die L\u00e4nge des vom Auge unter dem Einflufs der antagonistischen Muskel- und Elasticit\u00e4ts-wirkungen zur\u00fcckgelegten Weges in der Peripherie so grofs ist, dafs objectiv nystagmusartige Bewegungen zu constatiren sind.\nWenn man beim Fixiren eines stillstehenden Gegenstandes das Auge mit dem Finger etwas nach rechts dreht, dann bemerkt man, dafs \u2014 durch das Fehlen des bei der Drehung gew\u00f6hnlichen psychischen Aequivalentes der Augenmuskelcon-traction \u2014 der Gegenstand sich scheinbar nach links bewegt. Wenn nun beim Fixiren in der Peripherie des Blickfeldes die Elasticit\u00e4tskraft \u2014 deren Wirkung ebenso wenig ein psychisches Aequivalent besitzt \u2014 das Auge in die Richtung der Ruhestellung bewegt, ist es m\u00f6glich, dafs auch dabei Scheinbewegung zu bemerken ist Wirklich ist das bei mir der Fall, wenn ich einige Zeit mit einem Auge in der Obergrenze des Blickfeldes anhaltend fixire: der oberste Theil des Gesichtsfeldes scheint sich dann nach oben zu bewegen.\nIch stelle mir also die Fixation, insoweit sie von den Innervationen abh\u00e4ngig ist, welche den Blick in den zwei Dimensionen von Breite und H\u00f6he bewegen, derart vor, dafs sie aus einer pendelnden Bewegung der Fovea zum Bildpunkte hin und wieder zur\u00fcck besteht.\nDen Centralapparat, durch welchen wir im Stande sind, direct stereoskopisch in einer uns ganz unbekannten Umgebung zu sehen, durch welchen wir beim bekannten DovE\u2019schen Versuch in der Dunkelkammer im Stande sind wahrzunehmen, ob ein einziger elektrischer Funken, der irgendwo zur Seite eines fixirten Lichtpunktes \u00fcberspringt, n\u00e4her oder weiter entfernt war als der fixirte Lichtpunkt, durch welchen wir im bekannten HERiNG\u20198chen Versuch ohne Fehler die Lage der fallenden Kugeln in Bezug auf ein fixirtes St\u00e4bchen angeben k\u00f6nnen, kann man das Organ des binocularen Sehens nennen.\nDieses Organ mufs ein Complex von anderen einfacheren Organen sein, und als solche meine ich deren vier annehmen zu m\u00fcssen. Nur zwei sind hier vorl\u00e4ufig von Interesse, die sensu-motorischen Organe f\u00fcr die Convergenz und f\u00fcr die Divergenz. Diese beiden Organe der dritten Dimension sind bei Personen, welche binocular sehen, die Hauptelemente f\u00fcr die Fixation, obgleich die soeben genannten Innervationen der zwei anderen\n27*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\nBeMinyius.\nDimensionen auch dazu beitragen, und beim Fixiren in der Peripherie des Blickfeldes noch die wichtigste Rolle spielen.\nDie allererste Entstehung des binocularen Sehens denke ich mir folgendermaafsen. Bei irgend einer h\u00f6heren Thiergattung sind mit der Zeit die beiden Augen, welche bei \u00e4lteren Gattungen zu beiden Seiten des Kopfes standen, so weit nach vorn verschoben, dafs Theile der Gesichtsfelder von beiden Augen auf-einanderfielen. Damit wurden die in dem gemeinschaftlichen Theile sich befindenden Gegenst\u00e4nde in ungleichnamigen Doppelbildern gesehen. Von dieser neuen Gattung sensorischer Eindr\u00fccke ist von der Natur Gebrauch gemacht worden, eine neue Innervation ist entstanden, welche auf diese Eindr\u00fccke reagirte. Ebenso wie die Wirkung der bereits anwesenden Innervationen in den zwei Dimensionen von Breite und H\u00f6he in der Vernichtung der bestehenden sensorischen Eindr\u00fccke bestand, so ward die Wirkung der neuen Innervation die Vernichtung der ungleichnamigen Doppelbilder. Die neue Innervation wurde die Convergenzinnervation. In je gr\u00f6fserem Abstande von einander die ungleichnamigen Doppelbilder stehen, desto st\u00e4rker wird der Innervationsreiz, desto st\u00e4rker wird ihr psychisches Aequivalent. Das psychische Aequivalent mufs die Wahrnehmung des N\u00e4herseins sein, und das zeigt sich uns zum Beispiel beim HEaiNGschen Versuche.\nAls zuerst die Convergenzinnervation wirkte, und Einstellung f\u00fcr die N\u00e4he erhalten war, gen\u00fcgte es, dafs die Aufmerksamkeit des Thieres sich pl\u00f6tzlich auf einen weiterabliegenden Gegenstand richtete, um die Entstehung einer zweiten Gattung sensorischer Eindr\u00fccke zu verursachen. Auch diese Eindr\u00fccke, gleichnamige Doppelbilder, riefen eine neue Innervation hervor, die Divergenzinnervation, und ein psychisches Aequivalent, die Wahrnehmung des Weiterentferntseins, welche auch wieder mit dem HERiNG\u2019schen Apparate zu constatiren ist\nEs ist also sicher, dafs bei uns Convergenz- und Divergenzinnervationen als Einstellungsinnervationen bestehen. Bestehen sie nun auch als Fixationsinnervationen?\nWeil, nach einer Einstellungsbewegung durch Convergenzinnervation, die Elasticit\u00e4tskraft die Augen augenblicklich wieder nach der Ruhestellung zur\u00fcckbewegt, ist das Bestehen einer Fixationsinnervation der Convergenz sicher.\nSieht man stark nach rechts und nach unten nach einem","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fixation.\n421\nauf einige Meter entfernten Gegenstand und schiefst das eine Auge ab, so bemerkt man, wenn man das Auge wieder \u00f6ffnet; Doppelbilder. Weil dieselben Gleichnamige sind, und doch un* mittelbar Fixation folgt, ist bewiesen, dafs auch eine Fixa* tionsinnervation der Divergenz besteht in den F\u00e4llen, wo durch Muskelwirkung der Organe f\u00fcr nach rechts oder nach links und nach unten Sehen eine functionelle convergente Ruhestellung besteht. Denn man kann nicht annehmen, dafs das Dasein von gleichnamigen Doppelbildern eine Abnahme eines bestehenden Convergenzinnervationsreizes verursacht ; wenn auch beim monocularen Sehen vielleicht ein Convergenzinnervationsreiz bestand, so hatte diese eine Ursache, die beim Ooffnen des anderen Auges, durch eine Anwesenheit von gleichnamigen Doppelbildern nicht verloren ging.\nWas ist nun aber die binoculare Fixation in gew\u00f6hnlicher Blickrichtung in mehr oder weniger convergenten Stellungen ? Die Einstellungsimpulse der Convergenz h\u00f6ren auf, sobald die Foveae die Bildpunkte erreicht haben. Es fragt sich nun, ob durch die Kraft dieser Bewegung die Bildpunkte auch ein wenig \u00fcberschritten werden, in welchem Fall nat\u00fcrlich ein antagonischer Divergenzimpuls ausgel\u00f6st werden w\u00fcrde.\nZur Beantwortung dieser Frage mufs ich auf die relative Accommodations- und Fusionsbreite anticipirend hinweisen. Nach einer Theorie, die ich in einer Monographie (Das sensumotorische Sehwerkzeug, Engelmann, Leipzig 1898) publicirt habe, bestehen bei monocularer Fixation immer gleichgrofse Convergenz- und Divergenzimpulse (homogene Innervation), und besteht diese Gleichheit bei binocularer Fixation nur in dem Falle, wo Orthophorie da ist; besteht Esophorie, so ist bei binocularer Fixation der Divergenzimpuls erh\u00f6ht; ist Exophorie da, dann ist er vermindert. In jener Monographie habe ich gezeigt, dafs dieses Princip bei den so mannigfaltigen Ph\u00e4nomenen der relativen Accommodations- und Fusionsbreite \u00fcberall durchzuf\u00fchren ist. Jene Erkl\u00e4rung, aus welcher sich ergeben w\u00fcrde, dafs bei normaler binocularer Fixation ebensowohl Divergenz- als Con-vergenzreiz da sein w\u00fcrde, stelle ich der DoNDEas\u2019schen gegen\u00fcber. Dafs das Bed\u00fcrfnifs einer solchen Erkl\u00e4rung schon von Anderen gef\u00fchlt worden ist, folgere ich aus der Thatsache, dafs Nagel f\u00fcr das Sehen mit concaven Gl\u00e4sern als Erkl\u00e4rung gab, dafs der durch die vergr\u00f6fserte Accommodationserregung be-","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422\nReddir^gins.\nwirkte zu grofse Conyergenzimpuls beim monocularen Sehen Strabismus convergent J\u00e4tens verursacht, und dafs das binoculare Sehen nur durch eine Contraction der Recti externi erm\u00f6glicht wird. Man wird leicht einsehen, dafs f\u00fcr eine Erkl\u00e4rung der negativen relativen Accommodation angenommen werden mufs, dafs auch beim normalen Fixiren schon Divergenzreiz da ist, und dafs, durch Verminderung jenes Reizes, das binoculare Sehen durch convexe Gl\u00e4ser erm\u00f6glicht wird.\nWenn angenommen ist, dafs bei normaler Fixation immer Divergenzreiz da ist, mufs sich die Frage stellen: welche sind die sensorischen Eindr\u00fccke, die sie verursachen? Die Antwort ist jetzt klar. Die binoculare Fixation mufs eine Pendelbewegung sein, wobei die Bildpunkte nicht an den temporalen Enden der fortw\u00e4hrend von den Foveae durchlaufenen Wege liegen, sondern irgendwo zwischen dem temporalen und nasalen Ende dieses Weges. Abwechselnd entstehende ungleichnamige und gleichnamige Doppelbilder haben dann antagonistische Convergenz- und Divergenz-Fixationsreize zur Folge, welche nat\u00fcrlich sehr schnell auf einander folgen m\u00fcssen.\nMit diesen sehr frequenten Innervationsimpulsen sind ebenso frequente psychische Aequivalente gegeben, und weil aus diesen Aequivalenten unsere absolute Abstandsbestimmung und daraus wieder unsere absolute Gr\u00f6fsenbestiinmung von Gegenst\u00e4nden hervorgeht, leuchtet es ein, welche Bedeutung diese frequente Zufuhr von Orientirungsmaterial f\u00fcr uns hat.\nKann nun vielleicht auch die Fixation, insofern sie nur von den Organen f\u00fcr das Sehen nach rechts, nach links, nach oben und nach unten abh\u00e4ngt, in eben solcher Weise zu Stande kommen? Unm\u00f6glich scheint mir dasselbe nicht; die Vorstellung, dafs die Fixation dort eine Bewegung der Fovea zum Bildpunkte sei, ohne dafs der Bildpunkt bei dieser Bewegung gen\u00fcgend \u00fcberschritten wird, um eine antagonistische Innervation zu verursachen, habe ich nur gew\u00e4hlt, weil sie mir die einfachste schien, und soviel ich weifs keine Thatsachen bekannt sind, welche die complicirtere Vorstellung n\u00f6thig machen.\nWeil die anatomische Ruhestellung der Augen einigermaafsen divergent ist, und beim Fixiren immer mehr oder weniger convergente Stellungen n\u00f6thig sind, kann man vermuthen, dafs von den zwei antagonistischen Fixationsinnervationen die der Convergenz die m\u00e4chtigste sein wird, weil sie immer der Elasticit\u00e4ts-","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fixation.\n423\nkraft der Gewebe, welche das Auge in seine Ruhestellung zur\u00fcck zu bringen strebt, Widerstand zu leisten hat ; w\u00e4hrend die Divergenz-innervation durch diese Elasticit\u00e4tskraft unterst\u00fctzt wird. Aufser-dem kann, wie v. d. Brugh bemerkt hat (Sitz. Niederl. Ophth. Ge-sellsch., Mai 1899), wenn ein ziemlich grofser Conyergenzgrad der Augen besteht, die Wirkung eines Divergenz reizes durch die Verl\u00e4ngerung der Musculi externi vermehrt sein, w\u00e4hrend durch die dabei bestehende Verk\u00fcrzung der Musculi interni, die Wirkung eines Convergenzreizes vermindert sein mufs. Auch das w\u00fcrde Ursache sein zu vermuthen, dafs unter gleichen Umst\u00e4nden die Kraft der Convergenz gr\u00f6fser sein wird als die der Divergenz.\nEs ist wichtig sich einige Rechenschaft von dem Verh\u00e4ltnifs zwischen den beiden Kr\u00e4ften zu geben. M\u00f6glich wird es, wenn man die Theorie von Dondebs \u2014 dafs n\u00e4mlich das normale Band zwischen Accommodations- und Convergenzinnervation in einem Augenblick (beim monocularen Sehen) absolut fest, und im Folgenden (bei relativer Accommodation und Fusion) bis zu gewissen Grenzen verschwunden sein sollte \u2014 verwirft, und dagegen dieses Band als absolut betrachtet. Eben dies \u201ebis zu gewissen Grenzen\u201c kann ich mir nicht denken ; wohl w\u00fcrde ich, wenn Thatsachen, was nicht der Fall ist, dasselbe n\u00f6thig machten, es wagen ein Band anzunehmen, das nur beim monocularen, nicht aber beim binocularen Sehen bestehen w\u00fcrde.\nNimmt man jedoch mit mir an, dafs in normalen F\u00e4llen das Band zwischen Convergenz- und Accommodationsinnervationen unzertrennlich ist, dann besitzt man in einem sich gleichbleibenden Accommodationszustand ein Mittel, wodurch man vom Gleichbleiben des Convergenzimpulses versichert ist. Allein ich meine annehmen zu m\u00fcssen, dafs schon in einem Alter von 33 Jahren durch die physiologische Linsensklerose die letzte noch bequem bemerkbare Aenderung im Accommodationszustande bei nicht maximalem Convergenzimpuls schon erreicht ist.\nNach Correction meiner, weniger als 1 D. betragenden Myopie, und w\u00e4hrend ich auf 5 m Entfernung mit gleichbleibendem Minimum von Accommodationseinspannung sehe, kann ich noch mit einem abducirenden Prisma von 8\u00b0, aber auch mit einem adducirenden Prisma von 20\u00b0, scharf fixiren. Daraus geht hervor, dafs beim Fixiren mit einem Minimum von Convergenzreiz meine beim Fixiren zu verwendende Divergenz die Gesichtslinien \u00fcber (8\u00b0\t20\u00b0) : 2 = 14\u00b0 aus einander bringen kann.","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424\nReddingius.\nBeim Fixiren sowohl auf 33 als auf 25 cm Entfernung (ohne sph\u00e4rische Gl\u00e4ser) finde ich jedoch als st\u00e4rkstes abducirendes Prisma ungef\u00e4hr 22\u00b0, und als st\u00e4rkstes adducirendos Prisma 36\u00b0. Bei jenen Graden von Convergenz- und Accomodationsreiz (2,5 und 3,5 D.) kann daher meine Divergenz die Gesichtslinien \u00fcber (22\u00b0 -h 36\u00b0) : 2 = 29\u00b0 aus einander bringen.\nDiese betr\u00e4chtliche Differenz, auf deren Bestehen ich durch eine Bemerkung von v. d. Bbugh aufmerksam geworden bin. mufs dem Umstande zugeschrieben werden, dafs eine convergent\u00a9 Stellung der Augen die Wirkung der Divergenzinnervation erleichtert, und die der Convergenz erschwert.\nAuf 5 m Entfernung mit Adductionsprisma von 20\u00b0, mit Minimum von Accommodations- und Convergenzreize, sehend, war auch ein Minimum von Divergenzreiz zugegen. Dasselbe Divergenzminimum darf ich auch voraussetzen, wenn ich mit Maximum von Accommodation, soviel wie m\u00f6glich convergirend, fixire. Es gelingt mir mit Gl\u00e4sern von + 3 D (mein Accom-modationsverm\u00f6gen betr\u00e4gt 6 D) und einem Prisma adducens von 36\u00b0 noch auf eine Distanz von 123 mm von den Drehpunkten meiner Augen (welche 64 mm von einander liegen) scharf zu fixiren. Nur ist das indirecte binoculare Sehen (in der Peripherie) dabei durch Raddrehung der Augen unm\u00f6glich geworden. Der dabei erhaltene Convergenzgrad stimmt dann un-gef\u00e4hr mit dem \u00fcberein, welchen ein Prisma adducens 96\u00b0 allein geben w\u00fcrde. Daraus geht hervor, dafs meine Convergenz die Augen \u00fcber einen Winkel von ungef\u00e4hr (96\u00b0\u201420\u00b0) : 2 = 38\u00b0 zu einander bringen kann. Bei j\u00fcngeren Menschen ist das Con-vergenzverm\u00f6gen im Allgemeinen noch gr\u00f6fser.\nIn Hinsicht auf eine m\u00f6gliche Bemerkung: dafs oben genannte Versuche wenig Werth h\u00e4tten, weil man durch etwas Uebung in betr\u00e4chtlichem Grade abweichende Bestimmungen erhalten kann, weise ich darauf hin, dafs diese Uebung in Anpassungen besteht, wof\u00fcr das Divergenzorgan sehr geeignet ist. Diese Uebung oder Anpassung, welche sich in der Acquirirung von Esophorie oder Exophorie offenbart, mufs bei obenstehenden Bestimmungen soviel als m\u00f6glich umgangen werden. Dieses habe ich gethan, indem ich die Versuche, welche Esophorie geben, immer mit denen, welche Exophorie geben, abwechseln liefs, und aufserdem die Bestimmungen schnell machte.\nWeil in obenstehender Untersuchung die Convergenzkraft","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fixation.\n425\n(38\u00b0) in f\u00fcr sie ung\u00fcnstigen convergenten Stellungen gemessen ist, und die Divergenzkraft bei der ersten Bestimmung (14\u00b0) nur theilweise in f\u00fcr sie ung\u00fcnstigen divergenten Stellungen, meine ich folgern zu m\u00fcssen, dafs unter gleichen Umst\u00e4nden ein Convergenzreiz wohl 3mal m\u00e4chtiger wirken \u25a0wird als ein gleicher Divergenzreiz. Und weiter, dafs bei den beim gew\u00f6hnlichen Sehen bestehenden Umst\u00e4nden, in welchen eine mehr oder weniger convergente Stellung der Gesichtslinien besteht, wodurch die Divergenzwirkung vermehrt wird, doch noch immer die Kraft eines Convergenzreizes gr\u00f6fser sein wird als die Kraft eines gleich grofsen Divergenzreizes.\nWenn die Entfernungen von einigen Bildpunkten zur Fovea gleich grofs sind, so k\u00f6nnen wir, obgleich dieselben eben durch ihre Lage verschiedene, einfache oder com-binirte Innervationsimpulse zur Folge haben werden, die sensorischen Eindr\u00fccke gleich grofs, und auch die Innervationsimpulse gleich grofs nennen, ohne damit zu rechnen, dafs die Kr\u00e4fte, welche diese Impulse, auf verschiedene Muskeln oder Muskelgruppen wirkend, dem Auge mittheilen werden, sehr gut ungleich sein k\u00f6nnen.\nUm als sensorischer Eindruck gelten zu k\u00f6nnen, mufs nat\u00fcrlich die Entfernung der Doppelbilder zu den Foveae einen bestimmten Minimalwerth besitzen. Man hat keinen Grund anzunehmen, dafs diese kleinste Distanz bei gleichnamigen und bei ungleichnamigen Doppelbildern verschiedene Werthe haben. Darum gilt die Annahme, dafs m\u00f6glichst geringe Innervationsimpulse gleich grofs sind. Wenn nun auch noch die dadurch innervirten Muskeln dem Auge eine gleich kr\u00e4ftige Bewegung g\u00e4ben, und weiter das Auge ganz frei beweglich w\u00e4re, dann w\u00fcrden bei Fixation die Bildpunkte in der Mitte der von den Foveae unaufh\u00f6rlich hin und her durchlaufenen Wege liegen.\nAber in Wirklichkeit ist das Auge nicht frei beweglich, es besitzt eine anatomische Ruhestellung, gegen welche es stets durch die Elasticit\u00e4tskraft der Gewebe (besonders der Muskelgewebe) zur\u00fcckgetrieben wird. Und aufserdem wird noch derselbe Innervationsreiz dem Auge verschiedene Kr\u00e4fte mittheilen k\u00f6nnen, je nachdem verschiedene Grade von schon bestehender Dehnung des Muskels, auf welchen er wirkt, da sind. Sowohl die Elasticit\u00e4tskraft der Gewebe als der f\u00fcr den Effect der","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426\nReddimjius.\nInnervationsreize g\u00fcnstige Dehnungsgrad der Musculi externi verursachen, dafs bei convergenter Augenstellung der Effect des Divergenzreizes vermehrt wird.\nIn Hinsicht auf die Lage des Bildpunktes in dem von der Fovea beim Fixiren stets durchlaufenen Bogen, ist zu bemerken, dafs eben durch die oben bewiesene unter gleichen Verh\u00e4ltnissen bestehende Ungleichheit der Kr\u00e4fte von Convergenz- und Divergenzinnervationen, die M\u00f6glichkeit entsteht, dafs, bei Fixation in je l\u00e4nger je mehr convergenten Stellungen, der durch die Dehnung der Musculi externi stets wachsende Effect eines Divergenzreizes eben dem urspr\u00fcnglich gr\u00f6fseren Effect eines gleichen Convergenz-reizes das Gleichgewicht h\u00e4lt. Bei Fixation k\u00f6nnten deshalb die Bildpunkte stets in der Mitte der von den Foveae durchlaufenen Bogen liegen, und damit die Convergenz- und Divergenzimpulse einander gleich sein.\nDafs bei der Fixation ein ungef\u00e4hr Gleichsein der antagonistischen Innervationsimpulse gew\u00fcnscht ist, scheint mir h\u00f6chstwahrscheinlich, weil sowohl positive als negative relative Accommodation und Fusion m\u00f6glich sein m\u00fcssen.\nMeines Erachtens ist es klar, dafs, wenn Jemand f\u00fcr sein gew\u00f6hnliches binoculares Sehen als wichtigsten Theil seiner Fixation die Convergenz- und Divergenzreize gebraucht, er dieselben auch bei seinem h\u00e4ufig nothwendigen monocularen Sehen anwenden wird. Wer allm\u00e4hlich sein binoculares Sehen und damit den Gebrauch seiner Convergenz- und Divergenzinnervationen verloren hat, lernt f\u00fcr die Fixation andere Innervationen zu gebrauchen ; aber ich glaube nicht, dafs es Jemand, der habituell binocular sieht, so mit einem Schlage gelingen wird.\nDennoch, ungleichnamige und gleichnamige Doppelbilder sind die sensorischen Eindr\u00fccke, welche Convergenz- und Divergenzreize hervorrufen k\u00f6nnen, und beim monocularen Sehen fehlen dieselben. Eine andere Gattung sensorischer Eindr\u00fccke der dritten Dimension besteht beim monocularen Sehen, die Zerstreuungskreise. Nach meiner Meinung ist das motorische Aequivalent dieser Zerstreungskreise ein Impuls, der aus gleich grofsen Reizen der Accommodation, Pupillen, Convergenz und Divergenz besteht. Der Nutzen einer solchen einfachen Einrichtung w\u00e4re dieser, dafs","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fixation.\n427\n\u2022Jemand seine ihm gel\u00e4ufige Fixationsinnervation auch bei seinem h\u00e4ufig nothwendigen monocularen Fixiren anwenden k\u00f6nnte.\nWenn von monocularer zur binocularen Fixation \u00fcbergegangen wird, ver\u00e4ndert sich bei einem normalen Menschen die Accommodationsanstrengung nat\u00fcrlich nicht. Ist nun, so wie ich es annehme, die Accommodationsinnervation unzertrennbar mit der Convergenzinnervation verbunden, so geht daraus hervor, dafs bei diesem Uebergang zum binocularen Sehen auch der Convergenzimpuls sich nicht \u00e4ndert, und dafs \u2014 weil bei monocularem Sehen die Convergenz- und Divergenzreize immer gleich sind, und beim gew\u00f6hnlichen binocularen Sehen auch Gleichheit dieser Reize angenommen werden kann \u2014 auch der beim monocularen Sehen gebrauchte Divergenzimpuls derselbe bleibt.\nDaraus w\u00fcrde wieder hervorgehen, dafs beim Uebergang vom monocularen zum normalen binocularen Sehen, und umgekehrt, die Augenstellung ganz dieselbe bliebe, dafs mit anderen Worten Orthophorie bestehe. Bekanntlich ist das Bestehen von Orthophorie beim Sehen in allen nicht zu kleinen Distanzen normal.\nBesteht Gleichheit der Convergenz- und Divergenzreize, so nenne ich die Fixationsinnervation homogen. Wenn daher Orthophorie besteht, ist nach mir auch die binoculare Fixationsinnervation homogen, und nehme ich gleiche Ausschl\u00e4ge der Foveae zu beiden Seiten der Bildpunkte an.\nWeil jedoch gleiche Ausschl\u00e4ge zwar w\u00fcnschenswerth aber nicht unbedingt nothwendig sind, sind auch binoculare Fixationen, bei welchen der Bildpunkt nicht mehr in der Mitte, sondern mehr nasal w\u00e4rts, und andere, bei welchen er mehr temporalw\u00e4rts liegt, denkbar. Nach meiner Meinung bestehen diese Innervationsgattungen auch in der That.\nLiegt der Bildpunkt an der nasalen Seite der Mitte des fortw\u00e4hrend von der Fovea durchlaufenen Weges, dann wird die Distanz der gleichnamigen Doppelbilder stets gr\u00f6fser sein als die Distanz der ungleichnamigen, woraus hervorgeht, dafs bei jener Fixation die Divergenzreize stets st\u00e4rker sein werden, als die Convergenzreize. Jenes kann nothwendig werden, wenn die","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428\nReddingius.\nDivergenz weniger als sonst der Fall ist von den Elasticit\u00e4ts-kr\u00e4ften und von dem Dehnungsgrad der Musculi recti extend unterst\u00fctzt, und dagegen die Convergenz von diesen Kr\u00e4ften weniger als sonst behindert ist.\nDas ist der Fall, wenn der Convergenzwinkel kleiner ist als normal bei der bestehenden Gr\u00f6fse der Convergenz- und Accom-modationsimpulse vorkommt; das ist es was wir wahmehmen beim binocularen Sehen durch concave Gl\u00e4ser und durch ab-ducirende Prismen. Weil bei jener Fixation der Divergenzreiz gr\u00f6fser als der Convergenzreiz sein mufs, habe ich sie Sehen mit gesteigerter Divergenz genannt.\nGanz analog ist meine Erkl\u00e4rung des binocularen Sehens durch convexe Gl\u00e4ser und durch adducirende Prismen, wobei die Bildpunkte stets an der temporalen Seite der Mitte des von der Fovea durchlaufenen Weges liegen. Jene Fixationsart ist Sehen mit verminderter Divergenz zu nennen.\nDie Leser meiner obengenannten Monographie bitte ich, anstatt der daselbst in \u00a7 54 gegebenen Erkl\u00e4rung des Sehens mit gesteigerter und mit verminderter Divergenz, die obenstehende Erkl\u00e4rung zu lesen.\nWeil beim Uebergehen zum monocularen Sehen die Gr\u00f6fse des Divergenzreizes wieder ganz der Convergenzreizgr\u00f6fse gleich wird, besteht beim Sehen durch concave Gl\u00e4ser Esophorie, beim Sehen durch convexe Gl\u00e4ser Exophorie.\nDie M\u00f6glichkeit der Fixation mit gesteigerter und mit verminderter Divergenz ist durchaus kein zuf\u00e4lliges Ergebnifs, das nur entsteht, wenn ein normaler Mensch mit sph\u00e4rischen Gl\u00e4sern oder Prismen Versuche anstellt. Fast ununterbrochen wird von dieser F\u00e4higkeit Gebrauch gemacht Nicht nur besteht im erwachsenen Alter beim Nahesehen fast immer etwas Exophorie, sondern auch bei seitw\u00e4rts oder nach oben oder unten gelenktem Blicke erscheinen leichte Esophorien oder Exophorien. Ohne die M\u00f6glichkeit einer Ver\u00e4nderung des Divergenzreizes w\u00fcrde dabei scharfes binoculares Sehen nicht m\u00f6glich sein. Daher kann man die Divergenzinnervation bezeichnen als die Innervation, welche die Augenstellung beim binocularen Sehen in seinen verschiedenen Beschaffenheiten regulirt.\nAber die Divergenzinnervation hat aufserd em eine Eigenschaft, die ihre Brauchbarkeit als solche noch erh\u00f6ht. In der","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fixation.\n429\nerw\u00e4hnten Monographie habe ich darauf hingewiesen, dafs diese Innervation eine Anpassungsf\u00e4higkeit besitzen mufs, welche sich darin \u00e4ufsert, dafs, wenn sie z. B. eine Viertelstunde gewirkt hat, einige Minuten braucht, um wieder ganz zu verschwinden. Eben daselbst habe ich gezeigt, dafs solche Anpassungen auch in den Innervationen von Arm- und Beinmuskeln erreichbar sind.\nDiese Anpassung der Divergenzinnervation ist folgende. Wenn es n\u00f6thig ist eine sehr verminderte Wirkung des Divergenzreizes zu erhalten, dann entsteht central eine Art Parese der Divergenzinnervation, so dafs ein sensorischer Eindruck von bestimmter Gr\u00f6fse (eine bestimmte Distanz der gleichnamigen Doppelbilder) einen kleineren motorischen Effect hat als fr\u00fcher.\nIst jedoch eine gr\u00f6fsere Wirkung als gew\u00f6hnlich n\u00f6thig, dann entsteht dagegen eine erh\u00f6hte Irritabilit\u00e4t\nSowohl die Parese als die erh\u00f6hte Irritabilit\u00e4t bleiben noch einige Zeit bestehen, nachdem ihre n\u00fctzliche Anwendung aufgeh\u00f6rt hat, und desto l\u00e4nger, je l\u00e4nger ihre Anwendung gedauert hat. Wenn deshalb ein normaler Mensch einige Zeit durch starke adducirende Prismen binocular gesehen hat, wird er nachher Esophorie besitzen, weil der beim monocularen Sehen an den Convergenzimpuls gebundene gleich grofse Divergenzimpuls, welcher fr\u00fcher Orthophorie verursachte, jetzt, durch die acquirirte Parese der Divergenzinnervation, einen geringeren Effect haben wird. Koster hat sogar bei l\u00e4ngerem Tragen der Prismen einen manifesten Strabismus convergens erhalten, der einige Stunden bestehen blieb.\nGanz analog ist meine Erkl\u00e4rung der Exophorie, welche einige Zeit bestehen bleibt, nachdem starke abducirende Prismen beim binocularen Sehen gebraucht worden sind.\nIm Anfang dieses Artikels habe ich gesagt, dafs ich das binoculare Sehen als die Wirkung eines Complexes nicht von zwei, sondern von vier Organen auffasse. Aufser den Organen f\u00fcr Convergenz und Divergenz supponire ich noch zwei andere.\nBinoculare Fixation besteht darin, dafs die Gesichtslinien sich in einem Punkte schneiden. Daf\u00fcr ist es n\u00f6thig, dafs durch beide Gesichtslinien eine Ebene gelegt werden kann. Kann man sich vorstellen, dafs die Augen, die Orbitalfettgewebe, das Gesichtsskelett, so symmetrisch gebaut sind und gebaut bleiben, dafs in der anatomischen Ruhestellung die Gesichtslinien gerade","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"430\nReddingiua.\nin einer Ebene liegen ? Und wenn das auch der Fall w\u00e4re, kann man sich dann aufserdem noch vorstellen, dafs unsere Augen, die Anheftung unserer Augenmuskeln, die Augenmuskeln selbst, so fehlerlos symmetrisch gebaut w\u00e4ren, dafs unter der habituellen Muskelwirkung der bis jetzt erw\u00e4hnten Innervationen das Liegen beider Gesichtslinien in einer Ebene m\u00f6glich bleibt?\nDann und wann sieht man Menschen, welche beim monocu-laren Sehen in einzelnen Blickrichtungen eine Abweichung des anderen Auges nach oben oder nach unten zeigen, und doch die Augenstellung corrigiren k\u00f6nnen, so dafs sie in denselben Blickrichtungen binocular sehen.\nPhysiologisch ist das Verm\u00f6gen, beim binocularen Sehen ein schwaches in verticaler Richtung brechendes vor ein Auge gehaltenes Prisma zu \u00fcberwinden. Dabei kann man constatiren, dafs das Auge hinter dem Prisma sich etwas erhebt oder senkt ohne dafs sich das andere mitbewegt. Den Leser, der hier sogleich an eine unpaarige Innervation denkt, erinnere ich, dafs etwas dergleichen im horizontalen Meridiane stattfindet, ohne dafs noch an eine unpaarige Innervation gedacht wird. Wenn man Jemandem das linke Auge mit der Hand bedeckt ihn nach einem Gegenstand mit dem rechten Auge sehen l\u00e4fst, und dann vor dieses Auge ein concaves Glas stellt, so sieht man, dafs das rechte Auge auf den Gegenstand gerichtet bleibt, das linke Auge hinter der Hand jedoch nasalw\u00e4rts abweicht. In diesem Falle schliefst man auf das Hinzukommen zweier paarigen Innervationen, n\u00e4mlich einer Convergenzinnervation und einer gleich starken Innervation f\u00fcr das Sehen nach rechts.\nAus Obenstehendem geht hervor, dafs Innervationen bestehen m\u00fcssen, welche die Gesichtslinien in eine Ebene bringen, oder dieselben \u2014 beim Vorhalten eines schwachen vertical brechenden Prismas \u2014 aus dieser Ebene verschieben.\nDie einfachste und auch von Hering angenommene Vorstellung geht dahin, dafs eine unpaarige, nur auf ein Auge wirkende Innervation auftritt. Sie k\u00e4me dadurch zu Stande, dafs der Bildpunkt auf einem Auge etwas nach oben oder nach unten von der Fovea fiele und so als sensorischer Eindruck f\u00fcr die unpaarige Innervation wirke. Wenn das richtig w\u00e4re, k\u00f6nnte man voraussetzen, dafs dieselbe unpaarige Innervation auch beim monocularen Sehen auftrete. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Beim monocularen Sehen ist derselbe Umstand, das Liegen des","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"Die Fixation.\n431\nBildpunktes etwas nach oben oder nach unten von der Fovea, Ursache paariger Bewegung; das andere Auge wird mitbewegt.\nSimon schreibt {diese Zeitschrift - Bd. XII, S. 113): \u201eDie Untersuchung mit h\u00f6henablenkenden Prismen ergiebt noch eine wichtige Thatsache. Wie oben erw\u00e4hnt, sind die Senker meines rechten Auges einerseits, die Heber des linken andererseits im Stande, ein Prisma von 60 zu \u00fcberwinden. Da, wie auch Hering zugiebt, diese st\u00e4rkere Hebung resp. Senkung nur durch eine rein einseitige Innervation zu erkl\u00e4ren ist, also insoweit scheinbar eine Unabh\u00e4ngigkeit des einen Auges vom anderen besteht, konnte als wahrscheinlich vorausgesetzt werden, dafs bei gleichzeitigem Vorhalten von Prismen vor beide Augen, auf dem rechten mit der Basis oben, auf dem linken unten, jedes Auge ebenfalls noch 60 Prisma \u00fcberwinden w\u00fcrde. Es zeigt sich aber, dafs beide Prismen zusammen nur eine St\u00e4rke von 6\u00b0 haben d\u00fcrfen.\u201c\nMeines Erachtens kann die Thatsache, dafs der Versuch mit vertical brechenden Prismen sich zu dem analogen Versuche mit abducirenden und mit adducirenden horizontal brechenden Prismen ganz gleich verh\u00e4lt, keinen Zweifel \u00fcbrig lassen. Auch die angewendeten verticalen Innerv ationen m\u00fcssen paarig sein. Deshalb mufs eine Innervation angenommen werden, welche das rechte Auge nach unten und zugleich das linke nach oben zieht, und eine antagonistische, welche das linke Auge nach unten und zugleich das rechte nach oben bewegt. Wegen ihrer grofsen Aehnlichkeit mit Convergenz und Divergenz, habe ich die zwei antagonistischen paarigen Innervationen resp. verticale Convergenz und Divergenz genannt.\nNeulich war hier ein Fall von verticalem Strabismus con-comitans als Folge einer Verletzung des Cerebellum. Weil nach einigen Tagen, w\u00e4hrend sich der Allgemeinzustand besserte, der Strabismus wieder verschwunden war, glaube ich ihn einer vor\u00fcbergehenden L\u00e4sion eines dieser hypothetischen Organe zuschreiben zu k\u00f6nnen. Magendie konnte ja auch bei Reizung eines bestimmten Punktes im Cerebellum bei Thieren eine verticale Divergenz hervorrufen.\nHorizontale Convergenz- und Divergenzinnervationen haben psychische Aequivalente, die Wahrnehmungen von n\u00e4heran und weiterab. Die analogen verticalen Innervationen k\u00f6nnen solche nicht besitzen, weil dieselben f\u00fcr uns kein Interesse haben.","page":431},{"file":"p0432.txt","language":"de","ocr_de":"432\nEeddingius.\nDenn keine Zust\u00e4nde oder Ver\u00e4nderungen der Aufsenwelt w\u00fcrden dadurch zu unserem Bewufstsein kommen, und daf\u00fcr allein dienen psychische Aequivalente der Augenbewegungen. Die Organe der verticalen Convergenz und Divergenz wirken daher ganz un-bewufst. Ihre sensorischen Eindr\u00fccke sind Doppelbilder mit H\u00f6hendifferenz, und ihre Wirkung beim binocularen Sehen ist das Bringen beider Gesichtslinien in eine Ebene.\nIn F\u00e4llen wo in gew\u00f6hnlicher Blickrichtung eine vollkommene Symmetrie zugegen w\u00e4re, w\u00fcrden beide Innervationen gleich stark sein. Ist diese Symmetrie jedoch nicht vorhanden, so wird die eine Innervation fortw\u00e4hrend st\u00e4rkere Reize bekommen als die andere; die Folge wird sein, dafs erstere Innervation selbst st\u00e4rker wird als die andere, wodurch die sp\u00e4ter ben\u00f6thigten antagonistischen Reize einander wieder gleich sein k\u00f6nnen.\nDafs man wirklich sehr leicht die Kraft dieser verticalen Innervationen bleibend \u00e4ndern kann, hat sich mir gezeigt, als ich w\u00e4hrend einiger Zeit ein vertical brechendes Prisma, das noch gerade das Zustandekommen des binocularen Sehens nicht verhinderte, getragen hatte. Nach Ablegen dieses Prismas hatte ich Hyperphorie, welche eine kurze Zeit bestehen blieb. Diese Hyperphorie kann ich mir nur dadurch erkl\u00e4ren, dafs auch hier eine \u00e4hnliche Anpassung besteht, wie ich sie schon der horizontalen Divergenzinnervation zugeschrieben habe.\nWeil ein, in dieser Weise (durch Asymmetrie im Gesichtsskelett und andere oben genannte Umst\u00e4nde) bedingter, Kraftunterschied zwischen beiden Innervationen h\u00e4ufig bestehen mufs, und doch Hyperphorie so selten vorkommt, glaube ich annehmen zu m\u00fcssen, dafs auch bei monocularer Fixation eines binocular Sehenden die beiden verticalen Fixationsinnervationen betheiligt sind, und gleiche Reize erhalten.\nWenn aber mit einem Auftreten von Strabismus das ganze Organ des binocularen Sehens atrophisch geworden ist, mufs eine Hyperphorie der anatomischen Ruhestellung manifest werden, und darin suche ich die Erkl\u00e4rung der Thatsache, dafs eine leichte H\u00f6hendeviation beim gew\u00f6hnlichen Strabismus con-vergens und divergens so h\u00e4ufig wahrgenommen wird, dafs Panas sie sogar als Regel nennt.\n(.Eingegangen am 31. Juli 1899.)","page":432}],"identifier":"lit31106","issued":"1899","language":"de","pages":"417-432","startpages":"417","title":"Die Fixation","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:35:10.094096+00:00"}