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{"created":"2022-01-31T16:21:10.826164+00:00","id":"lit31113","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Storch","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 446-449","fulltext":[{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446\nLiteratu rbericht\nfahr un g profitiren. Der erste Versuch, die Nahrung zu erreichen, dauerte 1 Stunde 30 Minuten, der zweite (nach 24 Stunden) nur mehr 8 Minuten. Bei den Versuchen kam der Unterschied zwischen Instinkt, Verstand und Gewohnheit sehr deutlich zu Tage.\tWallaschkk (Wien).\nJacques Loeb. Einleitung in die vergleichende ftehirnphyslologie ud vergleichende Psychologie mit besonderer Ber\u00fccksichtigung der wirbellosen\nThiere. Leipzig, J. A. Barth, 1899. 208 S.\nVerf. ist durch eine Reihe \u00e4ufserat interessanter Versuche an niederen und h\u00f6heren Thieren zu einer in vielfachen Beziehungen neuen Anschauung \u00fcber die Bedeutung der nerv\u00f6sen Substanz gelangt.\nEr vermochte nachzuweisen, dafs eine Menge Erscheinungen, f\u00fcr deren Zustandekommen man bisher eine nerv\u00f6se Th\u00e4tigkeit f\u00fcr unerl\u00e4sslich erachtete, auch ohne Nervensystem in Folge besonderer Arten von Reizbarkeit des thierischen Protoplasmas vor sich gehen k\u00f6nnen. So zeigt er, dafs die rhythmischen Contractionen der Medusen auch nach Abtragung des Randes, welcher das Nervensystem enth\u00e4lt, in derselben Weise wie vor der Operation sich nach etwa 48 Stunden Dauer wieder einstellen. Das Nervensystem ist also nicht nothwendig f\u00fcr diese Bewegungen. Die Bedingungen hierf\u00fcr m\u00fcssen im Protoplasma selbst gelegen sein; dieses habe eben durch seine eigenartige chemische Constitution die F\u00e4higkeit sich zu contrahiren und zu erschlaffen \u2014 unter der Einwirkung eines in den umgebenden Bedingungen gelegenen, m\u00f6glicherweise continuirlichen Reizes. Dafs aber das Thier sich als Ganzes zusammenzieht und nicht in uncoordinirte Flimmerbewegungen verf\u00e4llt, liege daran, dafs das Proto-plasmatheilchen mit der k\u00fcrzesten Schwingungsperiode den Reiz f\u00fcr die Contractionen aller \u00fcbrigen Th eile abg\u00e4be, so dafs sich diese dem Rhytmus des am schnellsten sich contrahirenden Elementes anbequemten.\nVerf. hat diese Auffassung, die f\u00fcr das Verst\u00e4ndnifs der Herzbewegungen h\u00f6herer Thiere sicher von Bedeutung ist, durch h\u00fcbsche Versuche sehr wahrscheinlich gemacht.\nAn denselben Thieren zeigte er, dafs sie auf Reizung einer Stelle ihres Mantels, das Manubrium an diese Stelle bringen, und erinnert mit Recht an die Aehnlichkeit dieses Vorganges mit dem Wischreflexe des enthimten Frosches. Das Protoplasma als solches besitzt eben die F\u00e4higkeit, auf Reize sich zu contrahiren und thut dies am st\u00e4rksten an der Reizstelle selbst, in abnehmendem Ma&fse, je weiter die Theilchen von der gereizten Stelle entfernt sind.\nSehr eingehend beleuchtet Verf. das was er Tropismen der Thiere genannt hat. Auch sie beruhen nicht auf specifischer Nerven th\u00e4tigkeit, sondern auf bestimmten Reizbarkeiten des Protoplasmas und k\u00f6nnen bei sehr nahe verwandten Arten sehr verschieden sein. Er unterscheidet den Geo-, Helio- und Stereo-Tropismus der Thiere, die er f\u00fcr den Tropismen der Pflanzen identische Erscheinungen h\u00e4lt. So stellt die Actinie ihr Kopfende unter allen Umst\u00e4nden nach oben, den Fufs nach unten. Sie ist negativ geotropisch.","page":446},{"file":"p0447.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht\n447\nDer Seestern, auch ein abgeschnittener Arm desselben, dreht sich, 'wie man ihn auch legt, stets auf seine Bauchseite: diese ist positiv, stereotropisch.\nDie Tropismen wechseln bei demselben Thiere je nach seinem Entwickelungsstadium und den \u00e4ufseren Bedingungen. Gewisse Raupenarten sind sogleich nach ihrem Auskriechen positiv heliotropisch und streben in Folge dessen nach den Spitzen der B\u00e4ume, wo ihnen die jungen Triebe Nahrung bieten. Sind sie ges\u00e4ttigt, so verlieren sie ihren Heliotropismus. Manche Seethiere sind bei starker Beleuchtung negativ heliotropisch und wandern in die Tiefe, wo sie bei Lichtmangel positiv heliotropisch werden und wieder zur Oberfl\u00e4che zur\u00fcckkehren. So erkl\u00e4ren sich die periodischen Wanderungen derselben.\nAlle diese Erscheinungen, welche, wie Verf. des Weiteren ausf\u00fchrt, nicht blos bei den einfacheren Reflexen, sondern auch bei vielen Instinkten eine hervorragende Bolle spielen, sind nicht von dem Vorhandensein eines nerv\u00f6sen Syst\u00e8mes abh\u00e4ngig, sondern dem lebenden Protoplasma inh\u00e4rent. Das Nervensystem stellt nur eine bequeme Leitung f\u00fcr die Uebertragung der Reize auf den Bewegungsapparat dar, bietet wie Verf. stillschweigend annimmt, auch besonders g\u00fcnstige Leitungsbedingungen dar, und wird, je h\u00f6her man in der Thierreihe emporsteigt, mehr und mehr zur alleinigen Protoplasmabr\u00fccke zwischen reizbarer Oberfl\u00e4che und Muskulatur.\nDes Weiteren wendet sich Verf. zu den nerv\u00f6sen Apparaten der segmental gebauten Thiere deren h\u00f6chst entwickelte Vertreter die Wirbelthiere sind. Bekanntlich besitzt bei ihnen jedes Segment sein eigenes Ganglion; am vorderen K\u00f6rperende sind die Ganglien von mehr oder weniger Segmenten zu einem besonderen Organ umgewandelt, dem Gehirn. Diesem Organ hat man von jeher eine besondere, f\u00fchrende Bolle bei den Lebens-\u00e4ufserungen der Thiere zugeschrieben. Es sollte verschiedene Bewegungsmechanismen beherrschen, deren Muskelapparat ganz anderen als den Gehimsegmenten angeh\u00f6rte. Verf. zeigte, dafs diese Ansicht unrichtig sei, dafs jedes Segment so lange seine normale Reflexth\u00e4tigkeit bewahre, als sein segmentales Nervensystem unverletzt sei. Die Verkoppelung der Segmentalganglien unter einander und mit dem Gehirn biete nur die M\u00f6glichkeit f\u00fcr eine Ausbreitung des Beizes \u00fcber den ganzen Thierk\u00f6rper.\nSo gelang Verf. bei Limulus Polyphemus entgegen bisherigen Annahmen der Nachweis, dafs die Athmung des Thieres auch nach Entfernung des Gehirns sich wieder einstelle, ja dafs jedes der Abdominalsegment f\u00fcr sich zu athmen verm\u00f6ge, wenn er alle ihre Verkoppelungen unter einander und mit h\u00f6her gelegenen Ganglien durchschnitten hatte. Eine Nereis-art gr\u00e4bt sich in den Sand ein; sie unterl\u00e4fst es, wenn man ihr den Kopf abschneidet. Bedeckt man jedoch einem so verst\u00fcmmelten Thiere das vordere K\u00f6rperende mit Sand, so macht der \u00dcbrige K\u00f6rper sofort dieselben Grabbewegungen, wie der eines normalen Thieres. Nicht das Gehirn ist das Centrum des Grabreflexes, sondern die Ber\u00fchrung des Sandes mit dem Munde des Thieres veranlafst die Grabbewegungen. F\u00e4llt diese reizbare Oberfl\u00e4che weg, so bedarf es anderer Beize zur Ausl\u00f6sung des Reflexes.","page":447},{"file":"p0448.txt","language":"de","ocr_de":"448\nLi teraturbericht.\n\u201eDie eigenthtimlichen Reactionen der Thiere werden bestimmt 1. durch die verschiedenen Formen der Reizbarkeit ihrer Elemente und deren Anordnung an der Oberfl\u00e4che, 2. durch die Anordnung der Muskelfasern.\u201c\nDie selbst\u00e4ndige Rolle der Segment&lganglien \u00e4ndert sich nicht, wenn man zur Classe der Wirbelthiere emporsteigt\u00ab Dais die Reflexe nach R\u00fcckenmarksdurchtrennung caudalw\u00e4rts vou der Schnittfl\u00e4che erl\u00f6schen, sei Schockwirkung. Diese Reflexe kehren bei Hunden, die die Operation lange genug \u00fcberleben, alle wieder, wie Goltz gezeigt hat. Die Schockwirkungen habe man f\u00fcr eine Ausfallserscheinung nach Verlust des nerv\u00f6sen Centrums gehalten. Man habe allgemein den Fehler begangen und habe zu hoch localisirt. So habe man auch in der Grofshimrinde die Centren f\u00fcr die K\u00f6rpermuskulatur gesucht, die doch in den segmentalen Ganglien des R\u00fcckenmarkes l\u00e4gen.\nNat\u00fcrlich verschliefst sich Verf. nicht den am Menschen gesammelten pathologischen Erfahrungen \u00fcber die Grofshimrinde, aber er ist geneigt, die hierbei beobachteten Ausfallssymptome f\u00fcr Schockwirkungen zu halten. Hierin wird er best\u00e4rkt durch den Umstand, dafs Rindenherde immer eine viel gr\u00f6fsere Functionst\u00f6rung in den Armen als in den Beinen bewirken sollen, deren Segmentalganglien weiter von der Rinde entfernt liegen.\nDas ist in dieser Allgemeinheit direct unrichtig; es gen\u00fcgt, auf die cerebralen Kinderl\u00e4hmungen zu verweisen, die gar nicht selten die Beine vorz\u00fcglich, oder sogar ausschliefslich betheiligen.\nAuch die pathologischen Rinden Ver\u00e4nderungen, die im Leben keine Erscheinungen verursachten, sind sicher in keiner Weise gegen die Centren-theorie zu verwerthen.\nEs d\u00fcrfte eben doch ein allm\u00e4hliches H\u00f6herr\u00fccken der Functionen, an das Verf. nicht glauben will, in der Stufenleiter der phylogenetischen Entwickelung statthaben. Die segmentalen Ganglien werden im Verh\u00e4ltnis zu ihren Projectionsgebieten in der Grofshimrinde immer unbedeutender und k\u00f6nnen schliefslich nur noch in Verbindung mit diesen functioniren.\nZum Schlufs einige Worte \u00fcber das, was Verf. Bewufstsein der Thiere nennt.\n\u201eDas Bewufstsein ist nur eine Function einer bestimmten maschinellen Vorrichtung, des associativen Ged\u00e4chtnisses.\u201c Unter associativem Ged\u00e4chtnifs versteht Verf. \u201ediejenige Einrichtung, durch welche eine Reizursache, nicht nur die ihrer Natur und der specifischen Structur des reizbaren Gebildes entsprechenden Wirkungen hervorbringt, sondern aufser-dem auch noch solche Reizwirkungen anderer Ursachen, welche fr\u00fcher einmal nahezu oder v\u00f6llig gleichzeitig mit jenem Reiz an dem Organismus angriffen.\u201c Von diesem associativen Ged\u00e4chtnifs unterscheidet ein anderes, das kein Kriterium des Bewufstseins sein soll und das auch bei Pflanzen und niederen Thieren vorkomme. So schlafen viele Motten bei Tag und wachen des Abends auf, wenn es dunkel wird. H\u00e4lt man sie bei Tage im dunklen Zimmer, so bleibt der Turnus des Schlafens und Wachens zun\u00e4chst unver\u00e4ndert. Ich sehe nicht, wie dieses Beispiel geeignet sein soll, den Unterschied zwischen Ged\u00e4chtnifs schlechthin und associativem Ged\u00e4chtnifs klar zu machen. Gen\u00fcgt doch bei diesen Motten der nach einer bestimmten Zeit eintretende Reiz innerer Ver\u00e4nderungen, denselben Effect zu erzielen,","page":448},{"file":"p0449.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n449\nden in fr\u00fcherer Zeit der gleichzeitig sie treffende Reiz des Dunkelwerdens bewirkte.\nViel verst\u00e4ndlicher erscheint uns das Kriterium, das Bethh als Pr\u00fcfstein des Bewufstseins ansieht, die individuelle Entwickelungsffthigkeit, die F\u00e4higkeit des Thieres zu seinen angeborenen Fertigkeiten neu hinzuzulernen.\nGanz unverst\u00e4ndlich aber wird Verf. wenn er behauptet, der Mensch brauche das Gehen nicht zu erlernen. Der Mensch gehe von dem Augenblicke an, wo seine k\u00f6rperliche Entwickelung mit Bezug auf seine \u00e4ufseren und inneren (nerv\u00f6sen) Bewegungsorgane vollendet sei. In diesem Zustande wird z. B. das H\u00fchnchen geboren.\nMit demselben Rechte k\u00f6nnte man nat\u00fcrlich behaupten, der Mensch brauche das Sprechen und folgerichtig auch das Lesen und Schreiben nicht zu erlernen.\nEs hiefse ein Buch schreiben, wollte man auf die philosophischen Anschauungen des Verf.\u2019s n\u00e4her eingehen.\nSo unhaltbar diese zu sein scheinen, so grofse Anerkennung verdienen die thats\u00e4chlichen Beobachtungen L.\u2019s.\nSie k\u00f6nnen in der That in vieler Hinsicht befruchtend wirken auf die weitere Entwickelung der Anatomie und Physiologie des menschlichen Gehirns.\tStorch (Breslau).\nEwald Hering. Zur Theorie der Nerventh\u00e4tigkeit. Leipzig, Veit u. Co., 1899.\n31 S.\nIn diesem am 21. Mai 1898 gehaltenen akademischen Vortrag wendet sich H. gegen die Annahme, dafs der in den Nervenfasern sich fortpflanzende Erregungsvorgang in allen Nervenfasern stets von ganz derselben Art sei und daher nur nach St\u00e4rke und zeitlichem Verlauf, nicht aber in seiner Qualit\u00e4t Aenderungen unterworfen sei, und dafs somit alle functioneile Differenzirung der Nerven nur ihre centralen oder peripheren Endapparate betreffe. Die Anh\u00e4nger der \u201eGleichartigkeitstheorie\u201c schliefsen aus der Gleichheit des elektrischen Verhaltens der verschiedenen Nerven w\u00e4hrend der Erregung ohne Weiteres auf die Gleichheit des den elektrischen Erscheinungen zu Grunde liegenden chemischen Processes und bedenken nicht, dafs man z. B. mit demselben Recht auch aus der Gleichheit der thermischen Folgeerscheinungen zweier chemischer Processe auf die Identit\u00e4t der letzteren schliefseiv k\u00f6nnte. Ebensowenig wie die Gleichheit der elektrischen Erscheinungen, wrelche die Erregung des Nerven begleiten, kann die morphologische und chemische Gleichartigkeit der Nervenfasern zum Beweise f\u00fcr die Gleichartigkeitstheorie angef\u00fchrt werden ; denn allenthalben m\u00fcssen wir eine Ungleichartigkeit des feinsten Aufbaues (z. B. der Keimzellen, Dr\u00fcsenzellen etc.) annehmen, obwohl wir mit unseren H\u00fclfsmitteln eine morphologische oder chemische Verschiedenheit nicht nach weisen k\u00f6nnen. Zum Mindesten ist also hiernach die Gleichartigkeit der verschiedenen Nervenfasern ebenso unbewiesen wie ihre Ungleichartigkeit.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XXI.\n29","page":449}],"identifier":"lit31113","issued":"1899","language":"de","pages":"446-449","startpages":"446","title":"Jacques Loeb: Einleitung in die vergleichende Gehirnphysiologie und vergleichende Psychologie mit besonderer Ber\u00fccksichtigung der wirbellosen Thiere. Leipzig, J. A. 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