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{"created":"2022-01-31T16:18:54.155501+00:00","id":"lit31114","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ziehen","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 21: 449-451","fulltext":[{"file":"p0449.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n449\nden in fr\u00fcherer Zeit der gleichzeitig sie treffende Reiz des Dunkelwerdens bewirkte.\nViel verst\u00e4ndlicher erscheint uns das Kriterium, das Bethh als Pr\u00fcfstein des Bewufstseins ansieht, die individuelle Entwickelungsffthigkeit, die F\u00e4higkeit des Thieres zu seinen angeborenen Fertigkeiten neu hinzuzulernen.\nGanz unverst\u00e4ndlich aber wird Verf. wenn er behauptet, der Mensch brauche das Gehen nicht zu erlernen. Der Mensch gehe von dem Augenblicke an, wo seine k\u00f6rperliche Entwickelung mit Bezug auf seine \u00e4ufseren und inneren (nerv\u00f6sen) Bewegungsorgane vollendet sei. In diesem Zustande wird z. B. das H\u00fchnchen geboren.\nMit demselben Rechte k\u00f6nnte man nat\u00fcrlich behaupten, der Mensch brauche das Sprechen und folgerichtig auch das Lesen und Schreiben nicht zu erlernen.\nEs hiefse ein Buch schreiben, wollte man auf die philosophischen Anschauungen des Verf.\u2019s n\u00e4her eingehen.\nSo unhaltbar diese zu sein scheinen, so grofse Anerkennung verdienen die thats\u00e4chlichen Beobachtungen L.\u2019s.\nSie k\u00f6nnen in der That in vieler Hinsicht befruchtend wirken auf die weitere Entwickelung der Anatomie und Physiologie des menschlichen Gehirns.\tStorch (Breslau).\nEwald Hering. Zur Theorie der Nerventh\u00e4tigkeit. Leipzig, Veit u. Co., 1899.\n31 S.\nIn diesem am 21. Mai 1898 gehaltenen akademischen Vortrag wendet sich H. gegen die Annahme, dafs der in den Nervenfasern sich fortpflanzende Erregungsvorgang in allen Nervenfasern stets von ganz derselben Art sei und daher nur nach St\u00e4rke und zeitlichem Verlauf, nicht aber in seiner Qualit\u00e4t Aenderungen unterworfen sei, und dafs somit alle functioneile Differenzirung der Nerven nur ihre centralen oder peripheren Endapparate betreffe. Die Anh\u00e4nger der \u201eGleichartigkeitstheorie\u201c schliefsen aus der Gleichheit des elektrischen Verhaltens der verschiedenen Nerven w\u00e4hrend der Erregung ohne Weiteres auf die Gleichheit des den elektrischen Erscheinungen zu Grunde liegenden chemischen Processes und bedenken nicht, dafs man z. B. mit demselben Recht auch aus der Gleichheit der thermischen Folgeerscheinungen zweier chemischer Processe auf die Identit\u00e4t der letzteren schliefseiv k\u00f6nnte. Ebensowenig wie die Gleichheit der elektrischen Erscheinungen, wrelche die Erregung des Nerven begleiten, kann die morphologische und chemische Gleichartigkeit der Nervenfasern zum Beweise f\u00fcr die Gleichartigkeitstheorie angef\u00fchrt werden ; denn allenthalben m\u00fcssen wir eine Ungleichartigkeit des feinsten Aufbaues (z. B. der Keimzellen, Dr\u00fcsenzellen etc.) annehmen, obwohl wir mit unseren H\u00fclfsmitteln eine morphologische oder chemische Verschiedenheit nicht nach weisen k\u00f6nnen. Zum Mindesten ist also hiernach die Gleichartigkeit der verschiedenen Nervenfasern ebenso unbewiesen wie ihre Ungleichartigkeit.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie XXI.\n29","page":449},{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450\nLitera turberich t.\nH. geht aber noch einen Schritt weiter. Er fr\u00e4gt die Anh\u00e4nger der Gleichartigkeitstheorie, wie sie erkl\u00e4ren wollen, dafs die Erregung des einen Nerven uns Licht und Farben, die des anderen Kalt und Warm etc. zur Empfindung bringt, wenn doch alle diese Nerven dem Gehirn Erregungen ganz gleicher Qualit\u00e4t zuf\u00fchren. Die Antwort, dafs dies nur auf die Ungleichartigkeit der Ganglienzellen des Gehirns zur\u00fcckzuf\u00fchren sei, l\u00e4fst H. nicht gelten, weil die Nervenfasern nur integrirende Bestandtheile der Zellneuronen sind und daher eine Ungleichartigkeit, welche man den Ganglienzellen der einzelnen cerebralen 8innescentren zugesteht, auch den Fasern zuzuerkennen ist, in welche sich die Zellen fortsetzen. Den Einwand, dafs wenigstens f\u00fcr die Sinnescentren die Fasern h\u00f6chster Ordnung wahrscheinlich nicht aus den corticalen Sinneszellen entspringen, sondern diese mit ihren Endb\u00e4umen umgeben, dafs also die von Heriko supponirte Continuit\u00e4t gerade von dem Standpunkt der Neurontheorie nicht besteht, bespricht H. nicht. Er denkt sich die cerebralen Zellen als \u201eelementare Lebewesen, deren speci fische oder individuelle Verschiedenheit sich bis in die letzten Enden ihrer fadenf\u00f6rmigen Ausl\u00e4ufer zu erstrecken vermag\u201c. Selbst unter den Neuronen derselben Gruppe schreibt H. einem jeden eine mehr oder weniger individuelle Eigenart zu.\nMit der Lehre von der Gleichartigkeit des Erregungsprocesses in allen Nervenfasern f\u00e4llt auch der Satz, dafs jede Nervenfaser und jede Ganglienzelle nur einer Art der Erregung f\u00e4hig sei. Nach H. h\u00e4ngt also die Th\u00e4tigkeit des Neurons und seiner Faser nicht nur in ihrer St\u00e4rke, sondern auch in ihrer Qualit\u00e4t von der Art des Reizes ab. Damit ist ferner auch die M\u00f6glichkeit verschiedenartiger centrifugaler Einwirkungen seitens der Neuronen \u2014 z. B. auf Dr\u00fcsenzellen etc. \u2014 gegeben.\nEine specielle Bedeutung hat die HERiNG\u2019sche Anschauung f\u00fcr die sensiblen Leitungen. Jede sensible Faser theilt sich nach ihrem Eintritt in das Centralnervensystem in zahlreiche Aeste. Die Gleichartigkeitstheorie nimmt an, dafs die Auswahl unter diesen Wegen f\u00fcr die einzelne sensible Erregung abh\u00e4ngt von der verschieden grofsen Erregbarkeit und Leitf\u00e4higkeit der einzelnen Bahnen und dem verschiedenen Maafs des Widerstands beim Uebergang von einem Neuron auf das andere. Nach H.\u2019s Anschauung wird die Bahn, welche von einer Erregung eingeschlagen wird, mitbestimmt durch die Qualit\u00e4t der letzteren. Auf eine bestimmte ihnen zugeleitete Erregung werden vorwiegend diejenigen Neuronen reagiren, deren Eigenart eben dieser Erregungsqualit\u00e4t besonders entspricht.1 Mithin wird nicht nur dieselbe Bahn verschiedene unter sich verwandte Qualit\u00e4ten zu leiten verm\u00f6gen, sondern es wird auch die aus demselben Neuron austretende Erregung nach ihrer jeweiligen Beschaffenheit verschiedene Wege im Nervensystem einschlagen k\u00f6nnen. W\u00e4hrend ferner nach der Gleichartigkeitstheorie zwei gleichzeitig demselben Neuron zugehende Erregungen sich nur entweder gegenseitig verst\u00e4rken oder schw\u00e4chen k\u00f6nnen, k\u00f6nnen nach Heri>g\u2019s Auffassung zwei solche Erregungen auch\n1 Eine solche qualitative auf die Fasern \u00fcbergehende \u201eAbstimmung\u201c hat Ref. \u00fcbrigens bereits (Leitf. d. phys. Psych. 1. Aufl. S. 1111 gelehrt.","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n451\nverschiedener Art sein, und aus ihrem Zusammentreffen kann eine neue Qualit\u00e4t entstehen, welche zwar beiden Einzelerregungen nahe verwandt, aber keiner von beiden gleich ist. Ref. hat denselben Satz bereits in der 2. Auflage seines physiopsychologischen Leitfadens (S. 125ff.) bereits f\u00fcr die Erkl\u00e4rung der complicirten Gef\u00fchlst\u00f6ne entwickelt.\nEine unver\u00e4nderliche Constanz der Functionen der einzelnen Nerven nimmt H. nicht an, ebensowenig aber eine totale Indifferenz der Function aller Nervenfasern des Neugeborenen. Namentlich die phylogenetisch \u00e4ltesten Theile unseres Nervensystems haben viel von ihrer Um- und Ausbildungsf\u00e4higkeit (im postembryonalen Leben) eingeb\u00fcfst. Die Grofshirn-rinde ist phylogenetisch relativ jung; ihre Neuronen geh\u00f6ren daher, wie es scheint, zu denjenigen Elementarorganen unseres K\u00f6rpers, welchen im postembryonalen Leben der relativ weiteste Spielraum individueller Entfaltung unter dem Einflufs der sie treffenden Reize gew\u00e4hrt ist.\nDie Reactionsweise eines Neurons wird also mitbestimmt durch seine angeborenen Eigenartigkeiten, aber von seinen angeborenen Anlagen werden sich diejenigen im Lauf seines Lebens am reichsten entwickeln, zu deren Entfaltung es von seinen Nachbarneuronen am h\u00e4ufigsten oder st\u00e4rksten angeregt wird : das Neuron besitzt also nicht nur die F\u00e4higkeit quantitativer, sondern auch die F\u00e4higkeit qualitativer Ausbildung.\nSpeciell erkl\u00e4rt H. mit Recht alle Erfahrung und Uebung f\u00fcr unerkl\u00e4rlich, wenn man nicht eine qualitative Abstimmbarkeit, d. h. eine qualitativ variable Ausbildung annimmt. Er kehrt damit zu einem schon von Cartesius (Pass. anim. I, 42) und sp\u00e4ter noch oft wiederholten Satz zur\u00fcck.\n\u201eDie specifischen Energien,\u201c schliefst Verf., \u201esind also ein phylogenetisch erworbenes Erbgut nicht blos der Sinnesnerven, sondern mehr oder weniger aller Neuronen, ihrer Fasern sowohl als ihrer Zellen; aber das dem einzelnen Neuron zugetheilte Erbe ist durchaus nicht immer so sp\u00e4rlich und einf\u00f6rmig, wie man dies f\u00fcr die Zellen der Sinnescentren annahm, und ist auch nicht mit der Klausel vermacht, nach welcher der Erbe zu seinem Erbtheil nichts Neues hinzuerwerben darf.\u201c\nZiehen (Jena).\nJ. Munk und P. Schultz. Die Reizbarkeit des Herven an verschiedenen Stellen seines Verlaufes Arch. f. Anat. t*. PhysiolPhysiol. Abth., 297\u2014316. 1898.\nDie \u00e4lteren Bearbeitungen dieses Themas, wie die von Pfl\u00fcger, welcher bekanntlich zu dem Satz vom lawinenartigen Anschwellen eines im Nerven vom Centrum zur Peripherie fortschreitenden Reizes gelangte, und anderen Autoren haben deswegen keine entscheidende Bedeutung, weil die betreffenden Versuche am verletzten Nerven angestellt sind. Schon 1879 hat Hermann betont, dafs der Nerv vor Allem undurchschnitten sein m\u00fcsse. Beck f\u00fchrte nun bereits vor einiger Zeit Versuche am Hals-sympathicus und Phrenicus aus, welche dieser und gewissen weiteren noth-wendigen Voraussetzungen entsprachen und ein dem eben erw\u00e4hnten Er-gebnifs Pfl\u00fcger\u2019s gerade entgegengesetztes Resultat lieferten. Nach der Ansicht der Verf. ist jedoch der Halssympathicus aus anatomischen Gr\u00fcnden ein ungeeignetes Object, und sind andererseits die Experimente Beck\u2019s am\n29*","page":451}],"identifier":"lit31114","issued":"1899","language":"de","pages":"449-451","startpages":"449","title":"Ewald Hering: Zur Theorie der Nerventh\u00e4tigkeit. Leipzig, Veit u. Co., 1899. 31 S.","type":"Journal Article","volume":"21"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:18:54.155506+00:00"}