Open Access
{"created":"2022-01-31T16:16:37.758883+00:00","id":"lit31156","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 22: 76-77","fulltext":[{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nLiteraturberich t.\nL. Dugas. La dissolution de la fei. Rev. ph\u00fco*. 46 (9), 226-252. 1898.\nVerf. behandelt das vorliegende Thema vom katholischen Standpunkte aus, dem er durch enges Anlehnen an Renan und Ward eine freiere Richtung gegeben hat.\nD. sieht die Religion als eine menschliche That an. Nach ihm enthalt sie ein ewiges Element, n\u00e4mlich ihre Form oder ihren Geist, und ein verg\u00e4ngliches Element, n\u00e4mlich ihre Materie oder ihren Inhalt. Alle Religionen haben nach Ward denselben Geist : l\u2019abandon de soi dans les mains de Dieu. Nur der Buchstabe, die Form, die Bilder sind andere. Das Wesentliche an der Religion ist nicht das Object, sondern das religi\u00f6se Gef\u00fchl. Jeder Mensch ist religi\u00f6s, sobald er sich dem Idealen zuwendet.\nNach Renan ist Gott nichts als das transcendentale Resflm\u00e9 unserer \u00fcbersinnlichen Bed\u00fcrfnisse. Alle Religionen kommen in der einen zusammen, n\u00e4mlich in der Anbetung dieses g\u00f6ttlichen Ideals unter den verschiedensten Formen, als Ordnung der Dinge, Vernunft, Baumeister, Allwissender, Heiliger. \u2014 Die Religion ist Seelengemeinschaft. Daher mufs der Einzelne sein Urtheil in religi\u00f6sen Dingen zur\u00fcckhalten und sich den gemeinsamen Glaubenstraditionen unterordnen. Dies thut der Protestantismus nicht. Auch macht er der Vernunft zu viel Zugest\u00e4ndnisse, anstatt ihr Opfer aufzuerlegen. Der Protestantismus ist ein vergeblicher Versuch, Vernunft und Glauben mit einander zu vers\u00f6hnen. \u2014 Die historische Kritik ist berechtigt, die schon gegebene Erkl\u00e4rung der Thatsachen wieder aufzunehmen und vom fortgeschrittenerem Standpunkte aus zu erkl\u00e4ren. Man mufs die Wunder als ein Product jener historischen Epoche ansehen, nicht als etwas Reelles. Aber selbst wenn man dies eingesehen hat, bleibt oft der Glaube an das Christenthum sogar bei solchen M\u00e4nnern, welche f\u00fcr das Zweifeln pr\u00e4destinirt zu sein scheinen. Dies wird erkl\u00e4rlich, wenn man bedenkt, dafs es in religi\u00f6sen Fragen nicht auf das Object des Glaubens, sondern auf den religi\u00f6sen Geist ankommt.\nDer Gl\u00e4ubige, welcher das Wunder und die Offenbarung aufgegeben hat, ist noch nicht am Ende der religi\u00f6sen Krise. Er hat nur die intellectuelle Phase seiner Entwicklung \u00fcberschritten. Er mufs sich nun erst eine neue Philosophie, einen neuen Begriff von Leben und Welt verschaffen. Wenn der Glaube aus der Intelligenz \u201everjagt\u201c ist, so rettet er sich scheinbar ins Herz. In Wirklichkeit aber beherrscht er die Seele noch weiterhin. Wenn die Zweifel kommen, wird der Gl\u00e4ubige zun\u00e4chst zur\u00fcckhaltender\nim Bilden von Schl\u00fcssen. Die religi\u00f6se Lossagung erfolgt schwerer bei\n<\u2022\neiner h\u00f6heren Intelligenz. Sie ist nichts weiter als das Ersetzen einer Glaubensrichtung durch eine andere. G\u00e4nzliches Fehlen eines Glaubensideals w\u00fcrde ein Volk ruiniren. Die Achtung vor der grofsen historischen Figur Christus mufs die Anbetung ersetzen. \u201eJede grofse Religion ist in Wirklichkeit eine Concentration von grofsen Gedanken, welche einer unendlichen Ausdehnung und Anpassung f\u00e4hig sind.\u201c Wir m\u00fcssen Christus von Neuem zu erfassen suchen ! Er ist das h\u00f6chste Symbol des G\u00f6ttlichen. Der Glaube mufs die todten Elemente abstreifen und sich den neuen Bedingungen der Civilisation anpassen. Das neue Christenthum ist ein Cultus des gr\u00f6fsten Mannes, Christus.","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turbericht.\n77\nReferent h\u00e4lt mit Kant an der Ansicht fest, dafs der Glaube an Gott ein Postulat ist. Dieser Glaube geh\u00f6rt als integrirender Bestandtheil zur menschlichen Vernunft, aus welcher er ohne Beeintr\u00e4chtigung der inneren Harmonie des Menschen nicht entfernt werden kann. Auch kann er durch nichts Anderes ersetzt werden. Eine Religion, die keinen pers\u00f6nlichen Gott annimmt, hat keinen Werth f\u00fcr den Menschen, denn sie bietet ihm keine Garantie f\u00fcr die Erf\u00fcllung seiner W\u00fcnsche. Dem Vorwurf, dafs der Protestantismus seine Kritik nur bis zu einem gewissen Punkte auszu\u00fcben vermag, von welchem an der Gl\u00e4ubige doch auf die Tradition angewiesen ist, k\u00f6nnte man entgegenhalten, dafs jede Wissenschaft am letzten Ende auf etwas st\u00f6fst, was unmittelbar geglaubt werden mufs und sich der Kritik entzieht. \u201eWunder\u201c mufs man im Sinne von Rabibb fassen als freie Acte Gottes, welcher, indem er sich der Naturgesetze bedient, Wirkungen hervorbringt, die nach dem allgemeinen Verlauf der Ereignisse nicht zu Stande gekommen w\u00e4ren.\tGibssler (Erfurt).\nE. Mubisieb. Le sentiment religieux dans l\u2019extase. Rev. philos. 46 (11), 449\u2014472, (12), 607-626. 1898.\nDie Versuche einer Anwendung der Psychologie auf Religion sind noch neueren Datums. Man versuchte, die Religion als Ausdruck von inneren Energien zu erkl\u00e4ren, welche sich dem Bewufstsein dunkel kund geben, jedoch dem Ich fern bleiben, Energien, von denen der Mensch sich abh\u00e4ngig f\u00fchlt, und welche er personificirt. Auch hat man bereits versucht, den kritischen Zeitpunkt zu studiren, in welchem das religi\u00f6se Gef\u00fchl eine derartige Intensit\u00e4t gewinnt, dafs es die Pers\u00f6nlichkeit umwandelt, den Zeitpunkt der \u201eWiedergeburt\u201c. In der vorliegenden Abhandlung soll versucht werden, die religi\u00f6se Exstase zu analysiren.\nDie Exstase ist ein intermittirender Zustand. Zu Zeiten interessirt sich der Mystiker auch f\u00fcr das Leben, dann zieht er sich in die Einsamkeit zur\u00fcck, lebt bei asketischem Verhalten der Betrachtung und kommt sp\u00e4ter wieder hervor.\nDie Furcht vor der H\u00f6lle ist die urspr\u00fcngliche Reaction im Kindesalter des Mystikers. Es folgt eine Periode religi\u00f6ser Indifferenz, am Ende welcher der S\u00fcnder Bufse thut. Die Mystiker leben in fortw\u00e4hrender innerer Zerrissenheit und sehen die Harmonie, den inneren Frieden als ein Ideal an. Im K\u00f6rper des Mystikers herrschen Schw\u00e4che, hervorgerufen durch mangelhafte Ern\u00e4hrung, h\u00e4ufige und heftige Bluterg\u00fcsse, l\u00e4ngere Schlaflosigkeit, Verlust des Appetits, Neuralgien begleitet von Ausspeiungen. Zu dieser physischen Schw\u00e4che kommt eine moralische, welche ihn verhindert, seine Pers\u00f6nlichkeit der Aufsenwelt anzupassen. Seine Pers\u00f6nlichkeit schwebt immer in Gefahr, in eine Anzahl verschiedener Empfindungen, unzusammenh\u00e4ngender Bilder, entgegengesetzter W\u00fcnsche, ungeordneter Vorstellungen aus einander zu gehen. Das Individuum ist fortw\u00e4hrenden Umwandlungen unterworfen, die es in den entgegengesetzten Zustand versetzen. Die niederen Tendenzen, namentlich sexuelle, k\u00e4mpfen gegen die h\u00f6heren und bewirken eine Art Verdoppelung der Pers\u00f6nlichkeit. Das Streben nach Befreiung von diesen Zust\u00e4nden macht sich geltend.","page":77}],"identifier":"lit31156","issued":"1900","language":"de","pages":"76-77","startpages":"76","title":"L. Dugas: La dissolution de la foi. Rev. philos. 46 (9), 225-252. 1898","type":"Journal Article","volume":"22"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:16:37.758888+00:00"}