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{"created":"2022-01-31T16:18:56.334752+00:00","id":"lit31186","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ettlinger, Max","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 22: 161-200","fulltext":[{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus dem psychologischen Seminar der Universit\u00e4t M\u00fcnchen.)\nZur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\nVon\nDr. Max Ettlinoeb.\nEinleitung.\nZur\u00fcckweisung der formalistischen und Begr\u00fcndung der \u201epsychologischen\u201c Methode f\u00fcr die Aesthetik des Rhythmus.\nDie Aesthetik des Rhythmus setzt sich zur letzten und eigentlichen Aufgabe, die Gr\u00fcnde unseres Wohlgefallens an rhythmischen Kunstformen klarzulegen. Hier stellen sich immittelbar zwei Fragen :\nWie sind diese Kunstformen an sich geartet? und: Wie verhalten wir uns zu ihnen in allen den F\u00e4llen, in welchen wir Wohlgefallen an ihnen finden?\nEs scheinen sich also, wie bei jeder \u00e4sthetischen Aufgabe, zwei Ausgangspunkte als m\u00f6glich zu bieten, der \u00e4ufserlich gegenst\u00e4ndliche , formalistische, und der innerliche, im engeren Sinne des Wortes psychologische.\nIn Wahrheit aber k\u00f6nnen wir nur auf letzterem Wege eine Ann\u00e4herung an unser Ziel erhoffen und zwar aus folgenden Gr\u00fcnden :\nEs giebt keine rein rhythmischen Kunstwerke. Der Rhythmus stellt immer nur eine \u00e4sthetisch werthvolle Seite an Gebilden der Musik, der Dichtung oder des Tanzes dar; oft und gerade in den primitiveren Gestaltungen hat er seine Grundlage in der Verbindung von zweien oder allen dreien dieser K\u00fcnste. In allen diesen F\u00e4llen sind die rhythmischen Formen der Eigenart des betreffenden Rhythmizomenon dermaafsen angepafst, dafs sie nur im Zusammenhang mit diesem verst\u00e4ndlich und werthvoll sind.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 22\t11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nMax Ettlinger.\nDafs die althergebrachten metrischen Schemata kein hinreichendes und oft ein verf\u00e4lschtes Bild der den rhythmischen Formen eigenen Zeit- und Intensitfttsverh\u00e4ltnisse geben, darf nach den von Meumann 1 im Zusammenhang besprochenen Specialuntersuchungen \u00fcber den musikalischen und poetischen Rhythmus als feststehend erachtet werden; auch Sievers (vgl. Anm. 1) betont dies nachdr\u00fccklich.\nDiese Schemata entsprechen h\u00f6chstens bis zu einem gewissen Grad denjenigen Verh\u00e4ltnissen, die sich bei der Vernachl\u00e4ssigung alles specifisch poetischen oder musikalischen Gehalts, also bei sinnlosem Skandiren von Versen oder \u201egef\u00fchllosem\u201c Heruntertrommeln von Musikst\u00fccken einstellen. Abgesehen davon, dafe die bei solchen abstracten Gebilden constatirten Gesetzm\u00e4fsig-keiten, \u2014 wie etwa die gleiche Zeitdauer der Sprechtacte, welche Br\u00fccke 2 beim Skandiren fand \u2014, bei den entsprechenden Kunstr werken keineswegs wiederkehren m\u00fcssen, scheinen auf solche Weise abgeleitete Gesetze auch deshalb ungeeignet, die Grundlage f\u00fcr eine Erkl\u00e4rung unseres Wohlgefallens am Rhythmus abzugeben, weil solche Gebilde nicht \u00e4sthetisch wohlgef\u00e4llig sind. Man k\u00f6nnte diesem Vorwurf durch den Hinweis zu begegnen suchen, dafs Kinder, oder andere primitive Menschen an solchem Herableiem Freude haben, ungemischt ist dieselbe aber nur bei originalen Kinderversen, Tanzliedern u. dgl., wo uns eine den h\u00f6heren Stufen entsprechende Correspondenz zwischen rhythmischer Bildung und aufserrhythmischen Elementen entgegentritt Daraus, dafs dann meist mehrere Rhythmizomena combinirt sind, kann man nicht schliefsen, dafs die Eigenart eines jeden derselben von weniger Einflufs auf die rhythmischen Formen, diese selbst also reiner rhythmisch seien. Vielmehr erlangt bei solchen\n1\tM. giebt in seinen grundlegenden \u201eUntersuchungen zur Psychologie u. Aesthetik des Eh.\u201c (W\u00fcndt Philos. Studien 10) eine ausf\u00fchrliche Ueber-sicht der fr\u00fcheren Arbeiten \u00fcber den Rh. und formulirt die Anforderungen an die Weiterarbeit, woran die vorliegende Abhandlung vielfach dankbar ankn\u00fcpft. \u2014 Zu den von M. citirten Arbeiten kommen hinzu: E. Sibvebs, \u201eZur Rhythmik und Melodik des neuhochdeutschen Sprechverses\u201c (Berichte der Wiener Philologenversammlung 1893); K. B\u00fccher, \u201eArbeit und Rh.\u201c (Abhandlungen der phil.-hist. Classe der kgl. s\u00e4chs. Gesellschaft der Wissenschaften 17) und K. Ebhardt, \u201eZwei Beitr\u00e4ge zur Psychol, des Rh. und des Tempo\u201c (Zeitschr. f Psychol. IS).\n2\t\u201eDie physiol. Grundlagen der neuhochdeutschen Verskunst\u201c, Wien 1871.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\t163\nprimitiveren Kunstwerken die Musik deutlich die Oberhand \u00fcber die Sprache, und wo Wortsinn und melodi\u00f6se Ausgestaltung zur\u00fcckweichen, treten um so mehr die Tanzbewegungen in den Vordergrund. Auch eine Entwickelungsgeschichte der rhythmischen Formen, die zudem vielfach construiren mufs, kann zu keinem \u00e4sthetischen Verst\u00e4ndnifs derselben verhelfen; sondern umgekehrt k\u00f6nnte erst auf Grund \u00e4sthetischer Einsicht eine solche Entwickelung begriffen werden.1\nAuch wenn man darauf verzichtet, rein rhythmische Kunstwerke zu finden oder zu construiren, ergeben sich noch eine Reihe methodischer Schwierigkeiten bei der vergleichenden Beschreibung der rhythmischen Kunstformen, so wie sie objectiv vorliegen. Dieselben stehen nicht wie gewisse sch\u00f6ne Raumformen in Stein gehauen unverr\u00fcckbar vor uns. Zu ihrer Beobachtung bedarf es jedesmal der Reproduction an der Hand unvollkommener, symbo\u00fcscher Anweisungen ihres Sch\u00f6pfers. Die Erkenntnifs der Formen erfolgt durch m\u00f6glichst exacte Messungen an dem sie herstellenden Individuum. Noth wendige Voraussetzungen w\u00e4ren dann ein zuverl\u00e4ssiger Mefsapparat (Meumann weifs keinen befriedigenden zu nennen) und eine zuverl\u00e4ssige Versuchsperson, also ein Meister der Vortrags-, bezw. der Tanzkunst.2 Es k\u00f6nnte aber hier nicht gen\u00fcgen, eine Person zu finden, welche den technischen Schwierigkeiten ihrer Kunst durchaus gewachsen ist; dieselbe m\u00fcfste auch im Stande sein,\n1 Auf die Gefahr, bei solchen entwickelungsgeschichtlichen Versuchen die Wohlgef\u00e4lligkeit des Rh. aus ganz heterogenen, im urspr\u00fcnglichen Chaos aber noch ungeschiedenen Elementen herzuleiten, hat Meumann a. a. O. Cap. I, \u00a7\u00a7 1 u. 2 hingewiesen. Das dort gegen die teleologische Betrachtungsweise Gesagte gilt auch gegen\u00fcber dem neueren Versuche Bucher\u2019s. (Vgl. 8. 6, Anm. 1.)\n* Ueber die an den Vortrag zu stellenden Anforderungen herrschen mifsliche Meinungsverschiedenheiten, deren Schlichtung nur auf Grund psychologisch-\u00e4sthetischer Forschung m\u00f6glich ist. SonBt kommt man leicht mit Mihor (im Vorwort der \u201eNeuhochdeutschen Metrik\u201c, Wien 1893) zu Zweifeln an der wissenschaftlichen L\u00f6sbarkeit der Frage. Jedenfalls erschweren Vorw\u00fcrfe, wie sie etwa Westphal (\u201eAllgem. Theorie der musikaL Rhythmik seit J. 8. Bach\u201c) oder Richard Wagner (\u201eUeber das Dirigiren\u201c) in weitem Umfang gegen den musikal. Vortrag erheben, das Vertrauen auf die Versuchsperson. Auch Sievers verlangt a. a. 0. f\u00fcr Beobachtungen am Sprechvers einen vollendeten Recitator, deT dazu nicht nur passives Versuchsobject, sondern mit dem durch Selbstbeobachtung arbeitenden Forscher identisch sein soll.\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nMax \u00c9ttlinger.\njeder \u00e4sthetisirenden Schulmeinung, jeder pers\u00f6nlichen Lieb-\u2019 haberei zu entsagen. Das wird niemals vollkommen zu erreichen sein. Also k\u00f6nnte man sich mit der Feststellung der allen \u201eParteien\u201c gemeinsamen Grundz\u00fcge begn\u00fcgen wollen.\nAber auch innerhalb dieser Grenzen kann eine genaue Maafs-bestimmung der Formen nur dann zum Verst\u00e4ndnifs ihres Eindrucks auf uns f\u00fchren, wenn das in uns entstehende wohlgef\u00e4llige Bild derselben bis ins Einzelnste ihren objeetiven Dimensionen entspricht; die Auffassung rhythmischer Formen k\u00f6nnte dann als ein allein durch seine Gef\u00fchlswerthe ausgezeichneter Specialfall unserer Zeitvorstellung und Intensit\u00e4tsauffassung genommen werden. Man k\u00f6nnte eine formalistisch-intellectualistische Erkl\u00e4rung unseres Wohlgefallens am Rhythmus geben in der Weise, dafs man den Vorzug der rhythmischen Formen einer besonderen Erleichterung zuschriebe, die sie der richtigen Zeitwahrnehmung gew\u00e4hrten; Robebt Zimmebmann 1 und Adolf Hobwicz1 * * haben denn auch im Anschlufs an Herbabt \u00e4hnliche Consequenzen gezogen und den Rhythmus als \u201echronometrisch sch\u00f6nes Vorstellen\u201c bezw. sogar als \u201edas Maafs der Zeit\u201c bezeichnet. Diese Behauptungen werden durch die Thatsachen widerlegt: Bei den Zeitsinnversuchen Meumann\u2019s8 bildete die objective Rhythmisirung der Schalleindr\u00fccke vielfach eine Fehlerquelle der Zeitsch\u00e4tzung.\nDie beste Widerlegung der besagten formalistisch-intellectua-listisehen Auffassung des rhythmischen Eindrucks wird die rein psychologische Analyse desselben bilden. Vorher aber ist noch von einer anderen Seite her zu verdeutlichen, inwiefern gerade der rein gegenst\u00e4ndliche Ausgangspunkt solche Irrth\u00fcmer verschuldet: Die Messung der rhythmischen Formen ergiebt nicht nur Gesetzm\u00e4fsigkeiten im Verh\u00e4ltnifs und der Aufeinanderfolge der Zeitgr\u00f6fsen, sondern auch der Intensit\u00e4tsstufen ; obgleich nun durchaus nicht bei jeder Gattung rhythmischer Kunstformen die Gesetzm\u00e4fsigkeit der Zeitverh\u00e4ltnisse im Vordergrund steht, hat man doch bei ihrer Betrachtung meist die Psychologie des Zeit-bewufstseins gegen\u00fcber der der Intensit\u00e4tssch\u00e4tzung bevorzugt; vielleicht spielen hier auch methodische Gr\u00fcnde herein, da ja\n1 Vgl. Meumann\u2019s Kritik a. a. O. Cap. I, \u00a7 6.\n* \u201eBeitr\u00e4ge zur Psychologie des Zeitbewufstseins.\u201c (Wundt, Ph\u00fcas.\nStudien 9, 10, 12.)","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n165\nauf dem Gebiet der Zeitsch\u00e4tzung leichter zahlenm\u00e4fsige Ergebnisse zu erzielen sind. Trotzdem sollte man, zumal etwa f\u00fcj* den Versrhythmus, wo die Intensit\u00e4tsbeziehungen dominiren, die Behauptung erwarten, dafs den rhythmischen Formen auch eine besondere Erleichterung der Intensit\u00e4tssch\u00e4tzung zuzuschreiben sei.\nMan h\u00e4tte dann dazu kommen m\u00fcssen, das Bewuistsein der Intensit\u00e4t einer Empfindung n\u00e4her zu erforschen, und w\u00e4re damit der L\u00f6sung des Rhythmusproblems wesentlich n\u00e4her ger\u00fcckt; denn Urtheile \u00fcber Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse werden in noch viel h\u00f6herem Grade als solche \u00fcber zeitliche Gr\u00f6fsen durch die Beziehung auf ihren Gef\u00fchlston mitbestimmt.\nW\u00e4hrend sich aufserdem bei den zeitlichen Gr\u00f6fseverh\u00e4lt-nissen noch eine gewisse \u00e4ufsere Bedingung der Wohlgef\u00e4lligkeit nachweisen l\u00e4fst, n\u00e4mlich die der unmittelbaren Zeitvorstellung entsprechende Gruppendauer von etwas \u00fcber einer Secunde, \u2014 was dann zur Bildung des wenig pr\u00e4cisen Begriffs von der \u201enat\u00fcrlichen Aufmerksamkeitsperiode\u201c Anlafs gab, \u2014 fallen bei den Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnissen die relativen Gr\u00f6fsen weit mehr ine Gewicht, als die absoluten. Eine durchgehende Tempo\u00e4nderung \u00e4ndert den \u00e4sthetischen Charakter weit mehr, als eine gleich-m\u00e4fsige Verschiebung der Intensit\u00e4tsgrade.\nDer soeben erw\u00e4hnte Begriff der rhythmischen Gruppe, welcher, wie wir sehen werden, bei der Analyse des rhythmischen Eindrucks an die erste Stelle r\u00fcckt, kann bei der rein gegenst\u00e4ndlichen Betrachtung erst zuletzt zur Sprache kommen, da offenbar erst die einzelnen Glieder gemessen und verglichen werden m\u00fcssen, bevor sich ein Bild ihrer Anordnung entwerfen l\u00e4fst Und auch, wenn dies dann geschieht, kann der Begriff der Gruppe nur in einem beschr\u00e4nkten Sinne angewandt werden. Wiederholung oder Vorbereitung einer Empfindung durch eine andere, Sub- oder Coordination der beiden sind offenbar rein subjectiver Natur. Objectiv l\u00e4fst sich nur feststellen, dafs die Reihenfolge zeitlich und intensiv in bestimmter Weise abgestufter Empfindungen nach Zahl und Anordnung Gesetzm\u00e4fsigkeiten erkennen l\u00e4fst, dafs z. B. \u00e4hnlich gebaute Folgen von Empfindungen durch gr\u00f6fsere Pausen von einander getrennt sind, als die einzelnen Empfindungen.\nHeifsen nun alle diese mefsbaren Formen \u201erhythmisch\u201c, weil sie solche gleichartige Maafsverh\u00e4ltnisse aufweisen, oder deshalb","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nMax Et\u00fcinger.\nweil sie uns zu eigenartigen Erlebnissen, welche wir als rhythmischen Eindruck bezeichnen, Anlafs werden k\u00f6nnen?\nAllerdings giebt es ja auch Personen, welche bei Betrachtung dieser Formen nichts specifisch zu charakterisirendes erleben, sondern, auch ohne dafs sie von anderweitigen Interessen abgelenkt gewesen w\u00e4ren, doch nichts anderes zu berichten wissen, als dafs sie mitangeh\u00f6rt oder \u2014 gesehen h\u00e4tten, wie so und so beschaffene Laute oder Bewegungen aufeinander gefolgt seien, die also, wenn auch nicht mit gleich exaeten Maafsangaben, doch im Wesentlichen dasselbe berichten, wie der formalistische Beobachter.\nAndererseits aber giebt es auch Personen, die schon gegen\u00fcber einer gleichm\u00e4fsigen Folge gleicher Schalleindr\u00fccke, die man nicht als rhythmische Kunstform zu bezeichnen pflegt, etwas Aehn-liches erleben, wie einer wirklichen rhythmischen Kunstform gegen\u00fcber.1 Ihnen gelingt allerdings in diesem Fall die Feststellung der objectiven Maafsverh\u00e4ltnisse so wenig, dafs sie im Gegentheil eigenartigen T\u00e4uschungen \u00fcber dieselben unterliegen.\nSie entwerfen von den vermeintlichen Zeit- und Intensit\u00e4t\u00bb-\n\u2666\nVerh\u00e4ltnissen ein Bild, das an die thats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnisse der Kunstformen erinnert : sie glauben regelm\u00e4fsig wiederkehrende Differenzen des Intensit\u00e4tsgrades und der Zeitgr\u00f6fsen zu erkennen. Eben diese \u201erhythmisch begabten\u201c Versuchspersonen geben uns auch \u00fcber die Maafsverh\u00e4ltnisse der eigentlichen rhythmischen Kunstformen weniger zuverl\u00e4ssige Auskunft; sie unterliegen hier analogen T\u00e4uschungen wie bei rein subjectiver Rhythmisirung. Doch ergeben sich bei ihnen diese Resultate nur dann deutlich und allgemein, wenn man nicht von vome-herein auffordert, die einzelnen Schalleindr\u00fccke gesondert ins Auge zu fassen und zu vergleichen.\nEs kann uns nicht wundern, die individuellen Verschiedenheiten, die, wie wir oben sahen, schon den formalistischen Beobachter bei seinen reproducirenden Versuchspersonen so sehr st\u00f6ren, hier, wo es sich um rein subjective Rhythmisirung handelt, zu entscheidender Bedeutung gelangen zu sehen.\nDie Objecte verweigern uns jede Auskunft auf die Frage, warum ihr subjectives Bild ein so verschiedenes sei, und nur\n1 Resultate von Versuchen \u00fcber solche subjective Rhythmisirung hat in allen Details Bolton ^Rhythm.\u201c (Amer. Journal of Psych. 6) und in allgemeiner Zusammenfassung Meuhann (a. a. O. S. 303 fl.) ver\u00f6ffentlicht","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aestltetik des Rhythmus.\n167\ndie psychologische Analyse des verschiedenen Verhaltens zu ihnen verspricht, Aufschlufs zu geben. Die Thatsache, dafs die gleichen Versuchspersonen, welche jenen T\u00e4uschungen der Zeit-und Intensit\u00e4tssch\u00e4tzung unterliegen, an rhythmischen Kunstformen ein besonderes Wohlgefallen finden, weist unmittelbar darauf hin, dafs in beiden F\u00e4llen die gleichen psychischen Factoren wirksam sind.\nEs ist nicht gelungen, rein rhythmische Kunstformen zu finden, aber es er\u00f6ffnet sich jetzt die Aussicht, die eigenartigen Factoren des rhythmischen Erlebnisses herauszu-sondem, im einen Fall als \u201e\u00e4sthetische Factoren derZeit-1 bezw. der Intensit\u00e4tssch\u00e4tzung\u201c, im anderen als Gr\u00fcnde unseres Wohlgefallens an rhythmischen Kunstformen. Mit jedem Schritt, den die Analyse vordringt, m\u00fcssen sich zugleich mit den Unterschieden auch die Zusammenh\u00e4nge mit anderweitigen psychischen Ph\u00e4nomenen herausstellen, und daraus die zu unserem besonderen Fall zusammenwirkenden Gesetze erschliefsen.\nTheodor Lipps hat auf solche Weise die gemeinsame Wurzel geometrisch-optischer T\u00e4uschungen und der Wohlgef\u00e4llige^ r\u00e4umlicher Formen nachgewiesen.* An der Hand seiner Principien und Anweisungen l\u00e4fst sich auch auf unserem analogen Gebiet ein Fortschritt der Erkenntnifs erhoffen.\nZur Grundlegung einer lesthetik des Rhythmus.\nI. Beitr\u00e4ge zur Analyse der subjectiven\nRhythmisirung.\nSubjective Rhythmisirung tritt nur dann ein, wenn die Versuchsperson keinen Anlafs erhielt, einzelne Schalleindr\u00fccke von ihrer Umgebung gesondert ins Auge zu fassen, sondern die ganze Reihe \u00fcberblickt. Das ist in einem einheitlichen Acte nur m\u00f6glich, wenn die zeitliche Nachbarschaft je zweier Eindr\u00fccke eine so enge ist, dafs beide in den Rahmen der unmittelbaren Zeit-\n1 Diese Bezeichnung w\u00e4hlt schon Meumann in seinen \u201eBeitr. zur Psychol, des Zeitbewufstseins\u201c im ausdr\u00fccklichen Anschlufs an Lipps.\n* Vgl. Lipps, \u201eRaum\u00e4sthetik und geometrisch - optische T\u00e4uschungen\u201c {Leipzig 1897).","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nMax Et\u00dc\u00efnger.\nWahrnehmung fallen, ihre Entfernung von einander also h\u00f6chstens ungef\u00e4hr 0,6 s betr\u00e4gt1\nEin Anlafs, einzelne Schalleindr\u00fccke besonders zu beachten* w\u00e4re auch dann gegeben, wenn sich solche durch Qualit\u00e4t, In* tensit\u00e4t oder zeitlichen Umfang vor anderen auszeichneten; um dieses zu vermeiden, hat man gew\u00f6hnlich kurze, gleiche und in gleicher Weise sich folgende Schl\u00e4ge verwerthet\nBei Erf\u00fcllung dieser Bedingungen sind die einzelnen Schalleindr\u00fccke keine selbst\u00e4ndigen Erlebnisse, die man nur in der Erinnerung zusammenbringt, sondern in ihrer Gesammtheit ein Erlebnifs, nicht auf verschiedene Zeitpunkte vertheilt, sondern Etappen auf einer stetig fortschreitenden Zeitlinie.\nAber diese Einheit ist keine objective, wie beim lang angehaltenen Ton, kein Sichgleichbleiben der Empfindung. Es wechseln vielmehr momentane Empfindungen mit empfindungsleeren Zeiten.2 Womit sind nun aber diese deshalb doch nicht bewufstseinsleeren Pausen ausgef\u00fcllt ? Ausf\u00fchrliche, vergleichende Reflexionen \u00fcber das anzustellen, was erlebt worden ist, und Erwartungsurtheile dar\u00fcber zu f\u00e4llen, was noch erlebt werden mag, dazu ist nicht Zeit.\n1 Mb\u00fcmakn giebt zwar als obere Grenze 0,4 8 an und wendet gegen Bolton\u2019s h\u00f6here Resultate mit Recht ein, dafs dieser willk\u00fcrliche und unwillk\u00fcrliche Rhythmisirung nicht streng genug scheidet; denn es ist offenbar: Wenn die Versuchsperson schon von vomeherein eine bestimmte rhythmische Gruppirung vorstellt, tritt sie nicht unbefangen an die ganze Reihe heran. Mir schien nun aber doch schon auf Grund eigener, allerdings mangels geeigneter Apparate primitiver Versuche diese Zeit zu nieder gegriffen, und ungef\u00e4hr 0,6 \u00ab die obere Grenze. Nun scheinen auch die Ergebnisse Ebhakdt\u2019s (vgl. 8. 6, Anm. 1) dies zu best\u00e4tigen. Er fand bei seinen Untersuchungen auf motorisch-rhythm. Gebiet: Bei v\u00f6llig gleich-m\u00e4fsigen Klopf reihen wurden Zeiten von 0,3 bis zu 0,6 8 gew\u00e4hlt. Bei Betonung jedes ersten von zwei Gliedern blieben sich diese Zeitverh\u00e4ltnisse gleich; denn die Zeit der Gruppen betrug zwischen 0,579 und 1,152 \u00ab, mithin (?) die \u201eZeit der einzelnen Glieder\u201c wieder zwischen 0,3 und 0,6 8.\n* Auch die Bewufstseinsanalyse auf motorisch - rhythmischem Gebiet ergiebt keine ununterbrochene Empfindungsfolge. Ebhardt (\u00e4hnlich wie W\u00fcndt, Grundrifs der Psych. 2. Aufl., 8. 170 ff.) nimmt dies allerdings an und bezeichnet als den Rahmen der hergestellten Zeiten in erster Linie die Druckempflndungen, als Ausf\u00fcllung Bewegungsempfindungen. Damit stimmt nicht ganz die Bezeichnung des Gef\u00fchls nach dem Niederschnellen als eines solchen \u201ev\u00f6lliger Oede\u201c oder sogar einmal als \u201eBewufstseinsleere\u201c.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n169\nWundt1 spricht nun zwar nicht von Urtheilen, aber von Gef\u00fchlen gespannter und erf\u00fcllter Erwartung in unserem Fall; ersteres in die Pausen fallend, ein Dauergef\u00fchl langsam zum Maximum ansteigend und dann rasch sinkend, dieses rasch ab-und ansteigend. Damit ist also eine Charakteristik der Gef\u00fchlsmodalit\u00e4t einerseits, andererseits eine Beschreibung des Geftihls-verlaufs gegeben. Mit der Benennung der Gef\u00fchle kann nichts Anderes gesagt sein, als dafs sie dieselben seien, wie die bei Er-wartungsurtheilen und deren Erf\u00fcllung. So schwierig nun auch beim Stand der Psychologie des Gef\u00fchls eine n\u00e4here Untersuchung und Bezeichnung dieser besonderen Gef\u00fchlsgattung sein mag, sie mufs doch hier, wo es sich um rein ph\u00e4nomenologische Feststellungen handelt, m\u00f6glichst vollkommen versucht werden. Theoretische Er\u00f6rterungen, Deutungen der Ph\u00e4nomene auf die zu Grunde liegenden Vorg\u00e4nge, k\u00f6nnten erst an die Ergebnisse der Analyse ankn\u00fcpfen. Anderenfalls ist die Gefahr grofs, im Complex der Bewufstseinsthatsachen Elemente zu suchen und nur deshalb auch zu finden, welche bei theoretisch vorurteilsfreier Analyse nicht zu entdecken sind: Wundt glaubt eine Empfindungsgrundlage des Gef\u00fchlsverlaufs im Bewufstseinsinhalt der Pausen herauszufinden; nur sei dieselbe eine wechselndere, bald eine Spannungsempfindung des Trommelfells, bald anderer K\u00f6rperteile. Innere Tastempfindungen treten nur im Fall unwillk\u00fcrlichen Tactirens durch begleitende Bewegungen auf, sind also kein notwendiger Bestandteil. Zun\u00e4chst d\u00fcrfte auch ein grofser Theil der nicht n\u00e4her bezeichneten Spannungsempfindungen auf die Innervation \u00e4hnlicher motorischer Begleiterscheinungen\n1 Vgl. \u201eGrundrifs d. Psych.\u201c 2. Aufl., 8. 172ff.\nW\u00fchdt (vgl. Grdr. S. 98 ff.) sieht in Spannung und L\u00f6sung neben Lust\u2014 Unlust und Erregung\u2014Beruhigung eine Grundrichtung der Gef\u00fchle und f\u00fchrt gerade das Beispiel gespannter und erf\u00fcllter Erwartung als unter Umstanden von jeder Ausdehnung nach den anderen beiden Richtungen frei an. Demgegen\u00fcber wurde oben festgehalten, dafs Erwartung unlustvoll, Erf\u00fcllung derselben stets lustvoll sei. Zur Rechtfertigung der oben -mehrfach im Anschlufs an Lipps als Grundrichtung angenommenen Gef\u00fchle des Ernstes und der Heiterkeit, die in dieser Abhandlung aber als solche der Gewichtigkeit und Leichtigkeit bezeichnet, seien gegen den Einwand Wundt\u2019s (a. a. O. S. 99), dafs dieselben bez\u00fcglich der Lust\u2014Unlust, wie Erlegung\u2014Beruhigung jenseits der Indifferenzzone liegen, als Beispiele reiner \u2019Eindimensionalit\u00e4t die Gef\u00fchle strenger Sachlichkeit in der einen, leicht-\u2022fertiger Oberfl\u00e4chlichkeit in der anderen Richtung angef\u00fchrt.","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nMax Ettiinger.\nzur\u00fcckzuf\u00fchren sein; z. B. beim Auftreten im Kehlkopf, als wollten wir mitsingen. Wenn dann zugestanden wird, die Empfindungsgrundlage sei weniger deutlich als der vorherrschende -Gef\u00fchlsinhalt, so best\u00e4tigt das die Vermuthung, es habe im Rest der F\u00e4lle, wenn z. B. eine Spannungsempfindung im Trommelfell statuirt wurde, nur die Vorstellung einer solchen stattgefunden; denn m\u00f6gen auch, wie gesagt wird, diese Spannungsempfindungen sehr ver\u00e4nderlich sein und von geringer Intensit\u00e4t, sie m\u00fcfsten doch jedesmal bewufst sein. Auch die Eigenschaft grofser Ver\u00e4nderlichkeit l\u00e4fst sie wenig geeignet erscheinen, eine Grundlage f\u00fcr den einheitlichen Gef\u00fchlsverlauf abzugeben.\nWas nun diesen selbst betrifft, so findet wohl in wenigen F\u00e4llen in der Aufeinanderfolge der Gef\u00fchle ein so pl\u00f6tzlicher Umschlag in der Richtung von der Unlust zur Lust statt, wie beim Uebergang der gespannten in die erf\u00fcllte Erwartung. Das Gef\u00fchl der L\u00f6sung k\u00f6nnte nur insofern als ein Momentangef\u00fchl angesehen werden, als es pl\u00f6tzlich auftritt, nicht aber, als m\u00fcfste es auch ebenso schnell verschwinden; es ist in seiner Dauer unabh\u00e4ngig vom zeitlichen Umfang der erwarteten Empfindung; nur das Minimum seiner zeitlichen Ausdehnung wird durch sie bestimmt.\nAufserdem ist nicht einzusehen, warum nicht beim Eintritt der ebensogut wie der Schalleindruck \u201eerwarteten\u201c Pause, zumal wenn dieselbe Spannungsempfindungen zum Inhalt h\u00e4tte, ebenfalls ein Gef\u00fchl der L\u00f6sung eintreten sollte; welches aber dann nicht rasch sinken k\u00f6nnte, sondern erst, nachdem die Pause ihre volle erwartete Zeit gedauert hat. Diese Folgerung m\u00fcfste um so mehr gezogen werden, als Wundt selbst hervorhebt, dafs die bei discontinuirlichen Folgen momentaner Schalleindr\u00fccke gewonnenen Resultate auch f\u00fcr continuirliche, wenig durch Pausen unterbrochene Folgen relativ dauernder Empfindungen gelten sollen.\nThats\u00e4chlich sind bei subjectiver Rhythmisirung in dem begleitenden Gef\u00fchlsverlauf keinerlei schroffe Ueberg\u00e4nge von Lust-zu Unlustmomenten, wie \u00fcberhaupt keine charakteristische Gegens\u00e4tzlichkeit nach dieser Seite hin zu constatiren, sondern ein .durchg\u00e4ngiges, l\u00fcckenloses lustvolles Spannungs- oder Th\u00e4tigkeits* .gef\u00fchl, das nur nach der Seite der Gewichtigkeit periodisch auf-und abschwillt, ein Sichconcentriren und Nachlassen. Die Be-","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n171\n.Zeichnung als Wechsel in der Vertheilung der Aufmerksamkeitsenergie oder \u201ewaves of apperception\u201c ist stark theoretisch gef\u00e4rbt und ph\u00e4nomenologisch bei der allzu vielseitigen Verwendung des Begriffs der \u201eAufmerksamkeit\u201c wenig pr\u00e4gnant. Dieses Th\u00e4tigkeitsgef\u00fchl kann noch n\u00e4her in seinem Wesen bezeichnet werden, eben deshalb, weil es solche Perioden der gr\u00f6sseren und geringeren Gewichtigkeit zeigt. Man spricht von innerlichem Mehr- und Minderbetonen, von innerlichem Zusammenfassen. Darin kommt es zum Ausdruck, dafs es sich um kein rein subjectives Lebensgef\u00fchl handelt, sondern um ein objectivirtes, ein \u00e4sthetisches Sympathiegef\u00fchl; dafs f\u00fcr unser unmittelbares Bewufstsein nicht etwa eine durch zur\u00fcckliegende oder unbeachtete Erlebnisse hervorgerufene Stimmung besteht, sondern ein unmittelbarer Zusammenhang des Gef\u00fchlverlaufs mit der gleichzeitigen Vorstellungsreihe.\nDieses Entsprechen l\u00e4fst sich auch von aufsen constatiren, durch Selbstbeobachtung, besser gesagt Selbstbesinnung. Es ergiebt sich, dafs im gleichen Zeitpunkt, wo wir die nachdr\u00fccklichere innere Spannung versp\u00fcrten, wir auch einem Object von eindrucksvollerer Art gegen\u00fcberzustehen glaubten. Die betreffenden T\u00f6ne schienen uns lauter als die umgebenden und die lauteren zugleich auch die l\u00e4ngeren; aufserdem schien uns (in der weitaus \u00fcberwiegenden Zahl der F\u00e4llex) der leisere Ton schneller auf den lauteren zu folgen, als umgekehrt, anders ausgedr\u00fcckt : die Pause zwischen je einer Hebung und folgender Senkung die k\u00fcrzere.\nZweierlei ist bei dieser Beschreibung hervorzuheben: Sie ist eine nachtr\u00e4gliche Explication der Wahrnehmungsurtheile des rhythmischen Erlebnisses.\nDie durch Vergleich mit den objectiven Verh\u00e4ltnissen con-statirten T\u00e4uschungen beziehen sich nicht auf die absoluten Maafse der letzten Elemente, sondern einzig eben auch auf deren relative Verh\u00e4ltnisse.\nDie bisherigen Beschreibungen der subjectiven Rhythmisirung beschr\u00e4nken sich darauf, zu sagen, dafs die Hebungen periodisch wiederkehren. Darin liegt nun aber auch eine ganze Reihe ausdr\u00fccklicher Gleichheitsurtheile, n\u00e4mlich bez\u00fcglich der Intensit\u00e4ts-\n1 Ausnahmsf\u00e4lle \u201esteigenderM Rhythmisirung, wie alle Unterschiede der rhythmischen Charaktere k\u00f6nnen erst nach Er\u00f6rterung der allgemeiner hervortretenden Gesetzm\u00e4fsigkeiten besprochen werden.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nMax Ettlinger.\nstufe und des zeitlichen Umfangs der lauteren T\u00f6ne unter sich, und ebenso der leiseren, und bez\u00fcglich der Aus&ehnung entsprechend gelagerter Pausen.\nAlle diese einzelnen Bestimmungen aber, die zudem oft nicht besonders entschieden getroffen werden, sch\u00e4len sich erst heraus aus dem in allen F\u00e4llen gleichermaafsen an erster Stelle und mit voller Bestimmtheit ausgesprochenen Urtheil, es seien gr\u00f6fsere gleichgewichtige und gleichgebaute Einheiten, Gruppen regelm\u00e4fsig aufeinander gefolgt Erst dann giebt sich die weiter dringende Analyse Rechenschaft \u00fcber die Einzelheiten des Baues der Gruppen. Niemals in der Weise, dafs erst ein einzelnes Element herausgegriffen w\u00fcrde, und dann durch das Ziehen immer weiterer Kreise die einzelnen Verh\u00e4ltnisse bestimmt , und aus ihnen das Ganze zusammensetzt. In der weiteren und engeren Einheit liegt die Eigenart des rhythmischen Bildes ; nur von ihr ausgehend l\u00e4fst sich die Figuration im Einzelnen erkennen und erkl\u00e4ren.\nGegenstand des durchgehenden \u00e4sthetischen Sympathiegef\u00fchls kann offenbar auch nur eine solche den ganzen Vorgang durchziehende grofse Einheit sein. Nun verm\u00f6gen wir schon aus einer objectiven Bedingung der subjectiven Rhythmisirung, der Einhaltung der Grenzen unmittelbarer Zeitwahrnehmung, eine solche Einheit zu erschliefsen : die in ihrer ganzen Ausdehnung zu einheitlicher Auffassung hinreichend markirte Zeitlinie. Dir kann aber nicht als solcher die besagte Gef\u00fchlswirkung zukommen; sonst m\u00fcfste diese gleichermaafsen auch beim lang angehaltenen Tone eintreten. Und auch der Umstand, dafs die Zeitlinie durch geringe Mittel hinreichend bezeichnet ist, kann die Gef\u00fchlswirkung nicht begr\u00fcnden; sonst m\u00fcfste dieselbe in dem Fall am st\u00e4rksten sein, wo die wenigsten Markirungen stattfinden. Solche Folgen werden aber niemals als die wohlgef\u00e4lligsten gew\u00e4hlt.\nEs scheint vielmehr eine andere unter den objectiven Bedingungen der subjectiven Rhythmisirung, die bisher am wenigsten beachtet wurde, am geeignetsten, uns weiter zu f\u00fchren: Wir m\u00fcssen die Schallreihe l\u00e4ngere Zeit anh\u00f6ren, bevor die subjective Rhythmisirung eintritt.\nAber auch hier mufs noch der Versuch einer intellectualisti-schen Erkl\u00e4rung von vornherein zur\u00fcckgewiesen werden. \u2014 Die Widerlegung von Irrth\u00fcmern bringt uns der Wahrheit n\u00e4her. \u2014","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Zwr Grundlegung, einer Aesthetik des Rhythmus.\n173\nMan k\u00f6nnte sagen : Die ersten paar Eindr\u00fccke k\u00f6nnen wir noch bequem \u00fcberschauen. Je mehr aber die Reihe w\u00e4chst, desto schwieriger wird es, nichts Neues zu \u00fcbersehen und doch auch nichts Altes aus dem Auge zu verlieren. Es hilft nur ein summarisches Verfahren; summarisch im eigentlichsten Sinne des Worts: Zusammenz\u00e4hlen. Erst immer zwei, und wenn das nicht mehr langt, zweimal zwei u. s. f. So kommt allerdings jeder Eindruck zu seinem Recht, aber doch nur zahlenm\u00e4fsig ; warum sollte man also die ganze Procedur nicht vereinfachen und in einem fortz\u00e4hlen? Antwort: Das geschieht nicht, weil nicht im eigentlichen Sinn gez\u00e4hlt wird, sondern wir haben von den kleineren Zahlen, von zwei oder drei Schalleindr\u00fccken ein unmittelbares Bild. Da die h\u00f6heren Primzahlen nicht, wie bei der Bildung von Raumeinheiten eine symmetrische Betrachtungsweise gestatten, werden dann nur noch die n\u00e4chsth\u00f6heren Zahlen gew\u00e4hlt oder bevorzugt, welche sich in die Coefficienten zwei und drei zerlegen lassen, bis etwa aufw\u00e4rts zu zw\u00f6lf. Nun treten thats\u00e4ch\u00fcch solche Zahlenverh\u00e4ltnisse der Gruppenglieder bei subjectiver (und objectiver) Rhythmisirung hervor.1 Aber damit wird uns die durchgehende Einheit einer weit gr\u00f6fseren Reihe von Schalleindr\u00fccken keineswegs erkl\u00e4rt und am allerwenigsten die gerade erst bei l\u00e4ngerer Folge deutlicher werdende subjective Rhythmisirung. Wenn das erste und dritte von vier Gliedern einer Gruppe subjectiv betont werden, so wird allerdings damit die Zweitheilung der ganzen Gruppe deutlicher, aber zugleich die Zwiesp\u00e4ltigkeit jeder ihrer H\u00e4lften in den Schatten ger\u00fcckt An Stelle des urspr\u00fcnglich angenommenen Einheits-princips der beiden ersten Schalleindr\u00fccke in ihrer Zweizahl tritt ihre in der subjectiven Rhythmisirung vollzogene \u2022\u2014, aber auf Grund der mit Zahlen operirenden Erkl\u00e4rungsmethode nicht n\u00e4her zu bezeichnende \u2014 Verschmelzung. Mit dem Fortschreiten zur Achtgliederigkeit w\u00fcrde sich auch der Widerspruch zum urspr\u00fcnglichen Erkl\u00e4rungsgrund potenziren; auch hier w\u00e4re die Einheit des kleineren und gr\u00f6fseren Ganzen nur durch die Verwischung und Verwirrung der Einzelbeziehungen bezeichnet Doch der Umstand, dafs die subjective Rhythmisirung erst dann eintritt, wenn wir der Folge gleichm\u00e4fsiger Schalleindr\u00fccke\n1 Auch diesbez\u00fcglich sei auf die sp\u00e4tere Besprechung der rh. Charaktere rerwiesen.","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nMax Ettlingcr.\nschon einige Zeit lauschten, giebt uns noch eine andere Erkl\u00e4rung an die Hand, welche sich von vomeherein vor den bis jetzt zur\u00fcckgewiesenen dadurch auszeichnet, dais sie von einer n\u00e4heren Bezeichnung der grofsen, den Gesammtverlauf durchziehenden Einheit ausgeht und von da aus die Einzelgestaltung zu begreifen sucht:\nSobald eine gleichm\u00e4fsige Folge von Schalleindr\u00fccken zu lange dauert, um ohne Weiteres \u00fcberschaut werden zu k\u00f6nnen, bildet sich ein Widerstreit zweier Tendenzen heraus. Die eine lenkt den Blick nach vorw\u00e4rts, die andere zur\u00fcck. Dieser Gegensatz kann \u2014 wenigstens beim rhythmisch begabten H\u00f6rer \u2014 auf zweierlei Weise geschlichtet werden, je nachdem durch subjective Zuthaten die eine oder andere Tendenz das Uebergewicht erh\u00e4lt. Die eine Verhaltungsweise, welche f\u00fcr den nicht rhythmisch begabten die einzig m\u00f6gliche ist, schenkt jedem einzelnen Eindruck und zwar immer dem letzten besondere Beachtung und constatirt demgem\u00e4fs in stets gleich bleibender Weise seine Uebereinstimmung mit den fr\u00fcheren. Hier ist also der Blick nach r\u00fcckw\u00e4rts gerichtet. Das Neue l\u00e4fst man an sich herankommen. Ganz \u00e4hnlich wie wir schildert z. B. Bolton\u2019s an \u201eintrospective study\u201c gew\u00f6hnte, betr\u00e4chtlich musikalische Versuchsperson 30 ihr Verfahren: Die Aufmerksamkeit sei nach r\u00fcckw\u00e4rts gewandt und nehme eine Reihe von Eindr\u00fccken wahr, zu der jedesmal der neue hinzugef\u00fcgt.\nNicht ganz gleich ist dann aber bei den zwei Gattungen der Versuchspersonen der Gef\u00fchlsverlauf. In der gleichm\u00e4fsig vorhandenen Unluststeigerung tritt bei den nicht rhythmisch veranlagten immer mehr die Beite der Leichtigkeit, inneren Leere, \u201et\u00f6dtlicher Langeweile\u201c (auch Bolton\u2019s unmusikalische Versuchsperson 12 nennt die Reihe \u201edead monotonous\u201c) hervor, bei den rhythmisch begabten eine wachsende Unbehaglichkeit (Lotze: \u201equ\u00e4lend und spannend gleich intermittirenden Reizen\u201c), ein wachsendes Widerstreben. Das weist darauf hin, dafs die vorw\u00e4rtsdr\u00e4ngende Tendenz immer st\u00e4rker wird, immer gr\u00f6fsere Anstrengungen zu ihrer Unterdr\u00fcckung nothwendig sind.\nDispensirt man vom Beachten der einzelnen Eindr\u00fccke, so beachten die nicht rhythmisch veranlagten die Schallreihe \u00fcberhaupt nicht mehr. Bei den anderen hingegen tritt ein erl\u00f6sender Umschlag ein, sie \u201eathmen auf\u201c ; (Bolton\u2019s Versuchsperson 9 im eigentlichsten Sinn, da sie zur Vermeidung subjectiver Rhythmi-","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthelik des Rhythmus.\n175\nsirung den Athem anhielt) an Stelle der gequ\u00e4lten Th\u00e4tigkeit tritt eine freie, lustvolle.\nBis dahin konnte die Zeitstrecke nur als ein chronometrisches Gebilde erscheinen, eine Summe, zu der ohne irgend welchen inneren Zusammenhang immer neue Maafseinheiten hinzutraten; jetzt gewinnt sie eigenes Leben und Streben, sie schreitet vor* w\u00e4rts. Die einzelnen Tactschl\u00e4ge sind nicht mehr wiederholte Mefspunkte, sondern Durchgangspunkte einer vordringenden Bewegung.\nEine solche genetische Auffassung der in der Folge gleicher Schalleindr\u00fccke wahrgenommenen Zeiteinheit ist nicht etwa eine willk\u00fcrliche, ein Zusammenbringen von Dingen, die eigentlich nichts mit einander zu thun haben, sich vielleicht nur zuf\u00e4llig einmal in der Erfahrung begegneten. Der Fortschritt in der Zeit, welcher hier durch die einzelnen kurzen Schl\u00e4ge so abstract dargestellt wird, ist im G\u00e8gentheil gerade losgel\u00f6st von allen den mannigfachen associativen Beziehungen, die im gew\u00f6hnlichen Lebenszusammenhang ihm aufser seinem eigentlichen Sinn noch weitere, zugelegte Bedeutungen geben.\nDie Zeit ist eindimensional. In ihr ist nur eine Bewegung vorstellbar: nach vorw\u00e4rts. Sie ist in jedem Vorstellungszusammenhang gegeben. Jede Bewegung, jede Ver\u00e4nderung wird f\u00fcr uns, wenn wir sie aus sich selbst verstehen wollen, sie also \u00e4sthetisch betrachten, ein Wollen, eine Th\u00e4tigkeit, und damit ein Spiel zweier Kr\u00e4fte; denn es giebt keine Kraft ohne Widerstand. Darum ringt f\u00fcr uns in jeder zeitlichen Bewegung die vorw\u00e4rts strebende Kraft, der unsere ganze Sympathie geh\u00f6rt, weil sie die positive ist, mit einer negativen Tendenz, von der man aber nicht sagen kann, sie sei entgegengesetzt gerichtet, sondern die paralysirt. Der Gegensatz der Bewegung ist der Stillstand, das. \u201eJetzt\u201c. Dieses wird nicht vorgestellt, sondern erlebt, als unmittelbares, in keiner Weise objectivirtes, Th\u00e4tig-keitsgef\u00fchl. Auf diesem beruht auch das Bewufstsein der Intensit\u00e4t einer Empfindung, und so erschliefst sich uns das Verst\u00e4ndnis der wichtigen Rolle, welche in allen zeitlichen Bewegungsformen der h\u00f6heren Intensit\u00e4t im Dienste der secund\u00e4ren, hemmenden Tendenz zukommt.\nIn der Folge kurzer, gleichm\u00e4fsiger Schl\u00e4ge liegt f\u00fcr uns ein deutlicher Anlafs zur Vorstellung der zeitlichen Bewegung, des sie erzeugenden Gegensatzes der Tendenzen. Und zwar liegt die","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nMax Ettlinger.\nGrundlage f\u00fcr die positive Tendenz in dem engen zeitlichen Zusammenhang der ganzen Folge, f\u00fcr die Gegentendenz, durch deren UeberWindung die positive erst deutlich wird, in der Isolirtheit und kurzen Nachdr\u00fccklichkeit der einzelnen Schl\u00e4ge; da diese nun aber auch die Tr\u00e4ger des zeitlichen Zusammenhanges sind, bilden sie die Ansatzpunkte beider Kr\u00e4fte.\nDarin liegt eine Schwierigkeit, welche uns nicht ohne Weiteres erm\u00f6glicht, ein klares Bild der Bewegung zu gewinnen. Jeder neue Eindruck, durch den sich dieselbe fortpflanzt, gebietet ihr zugleich Halt. Hier schafft die subjective Rhythmisirung Klarheit. Sie differenzirt. Das \u201einnerliche Betonen\u201c einzelner Eindr\u00fccke ist nichts Anderes, als eine Hervorhebung der secun-d\u00e4ren, hemmenden Tendenz in denselben, w\u00e4hrend in den nicht betonten die prim\u00e4re das Uebergewicht erh\u00e4lt. Durch dieses Entsprechen von UeberschufB und Deficit nach der einen und anderen Seite bildet sich zwischen den einzelnen Eindr\u00fccken ein Gleichgewichtszustand; sie fassen sich zu einem noth wendigen Zusammenhang, zur organisch gegliederten Einheit, zur rhythmischen Gruppe zusammen.\nDafs hiernach doch die Ausgestaltung der Gruppen im Einzelnen, die Zahl der einander erg\u00e4nzenden Glieder und die Art ihrer DLfferenzirung eine sehr verschiedene sein kann, braucht kaum ausdr\u00fccklich hervorgehoben zu werden. Damit ist aber nicht etwa gesagt, dieselbe sei eine willk\u00fcrliche. Bei der Besprechung der rhythmischen Charaktere werden diejenigen Factoren zur Sprache zu bringen sein, welche die Eigenart derselben bestimmen. Dieselbe tritt zu Tage in dem verschiedenen Gef\u00fchlswerth der ganzen Bewegung, ihrem verschiedenen \u201eethischen Charakter\u201c, und in den wirklichen oder vermeintlichen Verh\u00e4ltnissen im Aufbau der Gruppen. F\u00fcr uns kommen zun\u00e4chst nur die \u00fcberall gleich bleibenden Grundz\u00fcge, wie sie f\u00fcr den Gef\u00fchlsverlauf und die entsprechenden Urtheils-t\u00e4uschungen der subjectiven Rhythmisirung schon oben festgestellt wurden, in Betracht.\nWenn wir die Art der rhythmischen Auffassung richtig erkannt haben, dann m\u00fcssen sich aus ihr die allgemeinen Merkmale des Gef\u00fchlsverlaufs, wie der Urtheilst\u00e4uschungen ohne M\u00fche ableiten lassen.\nDie durchg\u00e4ngige Einheit, welche als Gegenstand des \u00e4sthetischen Sympathiegef\u00fchls gefordert wurde, ist die prim\u00e4re Tendenz.","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n177\n\\\nDie Schwankungen nach der Seite der Gewichtigkeit erkl\u00e4ren sich aus dem gr\u00f6fseren oder geringeren Widerstand der seeun-dftren.\nAn den Stellen gehemmten Fortschritts scheinen uns die Eindr\u00fccke intensiver und dauernder. Am bestimmtesten wird dieses Urtheil bez\u00fcglich der Intensit\u00e4t gef\u00e4llt: denn gerade f\u00fcr die Intensit\u00e4t einer Empfindung haben wir ein sehr schlechtes Ged\u00e4ehtnifs1 und t\u00e4uschen uns daher um so leichter.\nDa wir die Gruppen in der Regel so zusammenschliefsen, dafs ein Haltpunkt das erste Glied derselben bildet, wir also zur Herstellung des Gleichgewichts, zur L\u00f6sung des Confliktes die Senkung zur vorhergehenden Hebung mit gr\u00f6fserer Noth Wendigkeit hinzudenken m\u00fcssen, als zur Senkung noch eine folgende Hebung, so glauben wir dem engeren organischen Zusammenhang auch eine gr\u00f6fsere zeitliche N\u00e4he entsprechend zu finden.\nH. Ueber die verschiedenen objectiven Rhythmusursaehen.\nEs ist, wie auch Meumann (a. a. 0. S. 305) hervorhebt, nicht rathsam, von der Analyse rein subjectiver Rhythmisirung sofort zur Besprechung der rhythmischen Kunstformen \u00fcberzugehen. Worin der besondere Vorzug derselben bestehen wird, der Grund ihrer Wohlgef\u00e4lligkeit, darauf er\u00f6ffnet sich ja allerdings schon aus dem Bisherigen ein deutlicher Ausblick:\nW\u00e4hrend in der gleichf\u00f6rmigen Folge gleicher Schalleindr\u00fccke nur die Mindestbedingungen f\u00fcr das Eintreten des subjectiven Erlebnisses lagen, welches wir als rhythmischen Eindruck bezeichnen und oben in seiner Eigenschaft zu bestimmen suchten, giebt uns die Kunst in ihren Formen eine deutlichere und zwingendere Aufforderung zu solchem Verhalten. Sie arbeitet uns vor; aber nicht um uns Arbeit zu sparen, sondern, um mit besseren Mitteln auch mehr zu sagen. Sie begn\u00fcgt sich nicht, uns Anlafs zum Miterleben irgend eines, im Ganzen gleichf\u00f6rmigen und im Einzelnen durch subjective Zuthaten ausgestalteten Bewegungsbildes zu geben. Sondern sie giebt dem ihren einen durch objective Verh\u00e4ltnisse bestimmten Charakter. Und sie h\u00e4lt auch die einmal eingeschlagene Bewegungsart keineswegs\n1 Vgl. Stumpf, Tonpsychologie Bd. I.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 28.\n12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nMax EttHngcr.\ngleichf\u00f6rmig fest, sondern vermannigfaltigt dieselbe in der verschiedensten Weise.\nIhr darin bis in alle Einzelheiten und Feinheiten nachzusp\u00fcren, kann nicht Aufgabe einer kurzen Abhandlung sein. Aber bevor auch nur einige allgemeine rhythmische Charaktere und typische Bewegungsformen begriffen werden k\u00f6nnen, m\u00fcssen die Mittel, durch deren Zusammenwirken die Kunst solches her-vorruft, noch einzeln etwas n\u00e4her betrachtet werden\nEs wurde schon in der Einleitung constatirt, dafs das Bild, welches wir uns bei rein subjectiver Rhythmisirung von dem Gegenst\u00e4nde derselben Vort\u00e4uschen, an die thats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnisse der rhythmischen Kunstformen erinnert\nDa sich nun hierbei drei Factoren, die Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse, die Dauer der Empfindungen und die Art ihrer Aufeinanderfolge klar sondern, kann man durch die Herstellung objectiver Unterschiede nach der einen oder anderen Seite die F\u00f6rderung erkennen, welche dieselben dem Entstehen des rhythmischen Eindrucks entgegenbringen.\nEin vierter Factor pflegt allerdings bei Versuchen \u00fcber rein subjective Rhythmisirung nicht hervorzutreten, n\u00e4mlich die qualitative Verschiedenheit der Empfindungen. Dieselbe ist auch nur bei einer Kunstgattung, der Musik, von hervorragender Bedeutung f\u00fcr die rhythmische Figuration, w\u00e4hrend bei der Dicht-und Tanzkunst die mittelbare Bedeutung der Rhythm izomena, als sprachlicher oder mimischer Zeichen, \u00fcberwiegt Deshalb gen\u00fcgt es, von den verschiedenen Empfindungsqualit\u00e4ten allein die Tonh\u00f6he bez\u00fcglich ihr F\u00e4higkeit, einen rhythmischen Vorstellungsverlauf hervorzurufen, ins Auge zu fassen.\nEs soll bei dieser Gelegenheit nicht unerw\u00e4hnt bleiben, dafs ich an mir auch bei rein subjectiver Rhythmisirung trotz wissentlichen Verfahrens die Illusion einer verschiedenen Tonh\u00f6he in einigen F\u00e4llen constatirte. (Und zwar schien mir der Haltpunkt bei fallender Gruppirung um eine grofse Terz h\u00f6her.) Ich glaube nicht, dafs es sich in diesem Fall nur um eine Association einer \u00fcbrigens sehr primitiven musikalischen Phrase handelte. Wo solche, wie sie auch Ebhardt bei den motorischen Untersuchungen st\u00f6rend fand, auftraten, pflegten sie viel mannigfaltiger zu sein. Daf\u00fcr nur eines der einfachsten Beispiele : Bei der Gruppirung zu acht machte sich bei mir die Erinnerung an das Tonleiter\u00fcben durch eine Octave auf- und abw\u00e4rts unter","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\t179\nWiederholung des obersten Tones geltend. Dann schienen die Intensit\u00e4tsunterschiede sehr gering, und nur der erste und neunte Ton hervorgehoben. Das fiel mir sofort wieder ein, als ich bei Bolton\u2019s \u201ebetr\u00e4chtlich musikalischer\u201c Versuchsperson 13 die Beobachtung fand, dafs bei der Acht-Gruppe die Intensit\u00e4t vom Anfang gegen Schluls abzunehmen schien und jeder achte Ton besonders betont Dabei schwebte dem Betreffenden ein Object vor Augen, das sich auf und ab bewegte, w\u00e4hrend der einen Acht-Gruppe hinauf, w\u00e4hrend der anderen herunter; nach der zweiten dann immer eine l\u00e4ngere Pause. Wahrscheinlich hat auch hier die Vorstellung einer Tonleiter nebst deren Notenbild eingewirkt\nSolche associative St\u00f6rungen, die schon bei rein subjectiver Rhythmisirung nicht ausbleiben, treten bei den jetzt zu besprechenden Versuchen, bei denen periodisch wiederkehrende objective Unterschiede eingefiihrt werden, in weit gr\u00f6fserem Umfang auf.\nWenn solche Unterschiede nach einer der vier genannten Richtungen objectiv hergestellt werden, so liegt darin eine besondere N\u00f6thigung zum Vollzug des rhythmischen Bewegungsbildes. Einen charakteristischen Unterschied bildet jedoch der Umstand, dafs es keiner l\u00e4ngeren Zeit ben\u00f6thigt, bis die rhythmische Auffassung eintritt. Aus derselben folgen dann, ganz wie bei der rein subjectiven Rhythmisirung, die Urtheils-tftuschungen in den nicht objectiv differenzirten Richtungen, und zwar in erster Linie der Intensit\u00e4tssch\u00e4tzung, in zweiter des Zeitsinns.\nWenn also entweder lautere und leisere, oder l\u00e4ngere und k\u00fcrzere, oder h\u00f6here und tiefere T\u00f6ne gleichm\u00e4fsig mit einander wechseln, so erhalten wir wieder das Bild einer unter Ueber-windung gleichm\u00e4fsig vertheilter Widerst\u00e4nde stetig fortschreitenden Bewegung. Das gleiche trifft ein, wenn unter sich gleiche Eindr\u00fccke durch periodisch wiederkehrende ungleiche Zeiten getrennt sind. Es giebt also verschiedene, coordinirte objective Ursachen der Rhythmusbildung. Meumann spricht demgem\u00e4fs von einer \u201estellvertretenden Wirkung der einzelnen Rhythmusursachen\u201c.\nVerschiedene Gleichm\u00e4fsigkeiten und noch mehr verschiedene Unterschiede in der objectiven Verursachung des Rhythmus best\u00e4tigen dabei unsere aus der Analyse der rein subjectiven\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nMax Ettlinger.\nRhythmisirung gewonnene Auffassung des rhythmischen Eindrucks :\nEs ist gewifs richtig, dafs zwei kurz nach einander erklingende, in irgend einer der oben genannten Richtungen verschiedene T\u00f6ne sich zu einer Einheit zusammenfassen, und dals dieser Erfolg nicht eintritt, wenn die beiden in jeder Beziehung gleich sind. Es erinnert uns dies unmittelbar an den Umstand, dafs die rhythmische Bewegungsvorstellung bei gleicher Schallreihe erst allm\u00e4hlich, bei differenzirter sofort eintritt. Nun sagt die intellectualistische Auffassung, im Falle der beiden ungleichen T\u00f6ne werde der zweite als Wiederholung, der erste als Vorbereitung des anderen aufgefafst. Das trifft beides nicht zu. Einen Ton als Wiederholung eines anderen aufzufassen, l\u00e4ge gewifs viel mehr Anlafs vor, wenn die beiden gleich w\u00e4ren. Auch \u201eVorbereitung\u201c ist gewifs eine schlechte Bezeichnung. Das klingt so, als erwarteten wir den zweiten. Erstlich thun wir das nicht, und, wenn es so w\u00e4re, w\u00fcrden wir gewifs eher auf einen gleichen als ungleichartigen vorbereitet sein. Vielmehr beruht auch schon diese elementare Einheitsbildung auf einer Bewegungsvorstellung, auf einem Spiel entgegengesetzter Kr\u00e4fte. Die Forderung eines ungef\u00e4hren Gleichgewichts tritt dabei sehr deutlich in dem Umstand zu Tage, dafs die Unterschiede in keiner Beziehung zu schroffe sein d\u00fcrfen.\nWenn etwa zwischen einem sehr lauten und sehr leisen, oder sehr hohen und sehr tiefen Ton doch eine Einheitsbeziehung besteht, so ist dieselbe immer durch \u00e4ufsere Associationen geschaffen. Gew\u00f6hnlich beziehen sich solche dann auf die Entstehung des Schalls; (eine Versuchsperson Bolton\u2019s vermied gerade durch solche Vorstellungen die subjective Rhythmisirung) es wird etwa bei grofsen Intensit\u00e4tsunterschieden ein Hammer vorgestellt, der nach schwerem Niederfall noch einmal leicht in die H\u00f6he springt, bei grofsen Distanzen der Tonh\u00f6he z. B. die Bewegung des Klavierspielers von einem Ende des In-struments zum anderen. Solche \u00e4u\u00dferlich zusammengebundene Einheiten bringen aber niemals eine fortschreitende Bewegung in Flufs.\nAufserdem sind die verschiedenen objectiven Rhythmusursachen doch nicht durchaus coordinirt. Diejenigen, welchen die st\u00e4rkste hemmende Tendenz innewohnt, sind am wirksamsten. Beim Wechsel verschiedener Intensit\u00e4ten dr\u00e4ngt sich die rhyth-","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetic des Rhythmus.\n181\nmische Bewegungsvorstellung viel zwingender auf, als beim Wechsel der Tonh\u00f6he. Unter den hinzuget\u00e4uschten Differenzen stehen auch, wie schon bemerkt, die der Intensit\u00e4t an erster Stelle. Es w\u00e4re aber doch irrth\u00fcmlich, die stellvertretende Wirkung der Rhythmusursachen so aufzufassen, als w\u00fcrden die anderen erst durch Vort\u00e4uschung der Intensit\u00e4tsstufen hindurch Ursachen des Rhythmus, als w\u00e4re das Eintreten derselben hier, oder auch in den rein subjectiven F\u00e4llen an das Auftreten vermeintlicher Intensit\u00e4tsunterschiede gebunden.\nNoch eine Seite ist besonders hervorzuheben, nach der die verschiedenen objectiven Rhythmusursachen von sehr verschiedener Wirksamkeit sind, n\u00e4mlich die Art der Gruppirung. Das zeigen einige interessante Ergebnisse Bolton\u2019s, die ich \u2014 mangels der M\u00f6glichkeit eigener experimenteller Untersuchungen auf diesem Gebiet \u2014 anf\u00fchren und verwerthen m\u00f6chte. Dieselben bilden dann auch eine wesentliche Vorbereitung f\u00fcr die sp\u00e4tere Besprechung einzelner rhythmischer Charaktere :\nDie bei rein subjectiver Rhythmisirung fast \u00fcberall hervortretende Bevorzugung des fallenden Rhythmus, gilt nicht ebenso durchg\u00e4ngig bei der Einf\u00fchrung objectiver Ursachen:\nBei der Verwendung von drei Intensit\u00e4tsstufen zur Zusammenstellung einer dreigliederigen Gruppe wird neben der\n; . . :\nGruppirung : US auch: US gew\u00e4hlt, und entsprechend bei\nvier Intensit\u00e4ten neben\nm w \u25a0\nauch Ulf\nGanz entsprechend\nsind die F\u00e4lle, wo aus den Gruppirungen mit zwei Intensit\u00e4ten:\n\u2022 \u2022 \u2022 \u2022 \u2022\nUS und Ulf durch weitere subjective Differenzirung (Con-\ntrastwirkung) der Intensit\u00e4tsstufen US und uss wird.\nBolton leitet daraus die Regel ab, dafs zwei Factoren die Gruppirung bestimmen : Der Beginn mit gr\u00f6fserer Intensit\u00e4t und der Schlufs mit recht geringer. Dies erkl\u00e4rt sich aus unseren Principien in der Weise, dafs es bei einer so gleichm\u00e4fsig fortschreitenden Bewegung, wie sie sich in allen derartigen gleichm\u00e4fsigen Folgen offenbart, von grofsem Werthe sein mufs,","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\nMax EttUngcr.\nwenn das letzte Glied jeder Gruppe von ausgesprochener Fortschrittstendenz ist, welche um so mehr hervortritt, wenn gerade im vorletzten Glied eine besonders starke Hemmung lag.\nNoch lehrreicher sind die Ergebnisse Bolton\u2019s bei Verwendung von T\u00f6nen verschiedener L\u00e4nge, welche durch gleiche Pausen getrennt sind. Allerdings hat B. hierbei immer das Ver-h\u00e4ltnifs von L\u00e4nge zu K\u00fcrze =2:1 gew\u00e4hlt, das aber besonders f\u00fcr die musikalischen Verh\u00e4ltnisse eigene Aufschl\u00fcsse verspricht\nEs ergab sich ihm sowohl in der Folge \u2014 o als \u2014 kj w die steigende Gruppirung o \u2014 und u \u2014, welche meistens mit einer subjectiven Intensit\u00e4tssteigerung der L\u00e4nge verbunden war. Auch wenn L\u00e4nge und h\u00f6here Intensit\u00e4t objectiv combinirt wurden, fand dieselbe Gruppirung statt, also:\nkj \u2014 und u u \u2014.\nSogar wenn die Intensit\u00e4t der ersten K\u00fcrze objectiv gesteigert wurde, blieb die L\u00e4nge am Schlufs, also :\n\u00f4 \u2014 und 6 kJ \u2014.\nUeberall ist also die Reihenfolge der Gruppenglieder durch die L\u00e4nge bestimmt. Dieselbe beh\u00e4lt immer das letzte Wort, mag die Intensit\u00e4tssteigerung mit ihr zusammenfallen oder nicht W\u00e4hrend sonst doch der lauteste Ton die Gruppe zu er\u00f6ffnen pflegt, ist er hier machtlos gegen\u00fcber dem Uebergewicht der L\u00e4nge. Aber diese Uebermacht erscheint sofort weniger verwunderlich, wenn wir bedenken, wie bedeutend der Unterschied der zeitlichen Dauer ist. Demgegen\u00fcber mufs der beim Bau des \u00fcbrigens keineswegs einwandfreien Dr. Sanford\u2019sehen Apparats geringe Intensit\u00e4tsunterschied zur\u00fccktreten.\nDamit ist aber das R\u00fccken der L\u00e4ngen ans Ende nicht verst\u00e4ndlicher geworden, und Bolton weifs keine psychologische Erkl\u00e4rung daf\u00fcr zu finden. Er meint nur, diese Erscheinung sei interessant f\u00fcr die englische Dichtung, in der in der neueren Zeit der steigende Rhythmus \u00fcberwiege. Allerdings sei in der Poesie die betonte S\u00fcbe nicht doppelt so lang, aber doch immer etwas l\u00e4nger. Abgesehen von der schon von Me\u00fcmann zur\u00fcckgewiesenen Uebertragung der Untersuchungsergebnisse bei einfachen Schalleindr\u00fccken auf die sprachlichen Verh\u00e4ltnisse, folgert auch schon f\u00fcr die einfachen Schalleindr\u00fccke B. aus seinen Experimenten viel zu viel. Er stellt auf Grund des wenigen zuletzt Angef\u00fchrten ganz allgemein den Grundsatz auf, die Einf\u00fchrung","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n188\neiner regelm\u00e4fsig wiederkehrenden L\u00e4nge in eine Folge von Schalleindr\u00fccken bedinge die Gruppirung mit der L\u00e4nge am Ende. Festgestellt hat er das thats\u00e4chheh nur f\u00fcr den Fall, dafs die L\u00e4nge das Doppelte der K\u00fcrzen betr\u00e4gt. Geringere Unterschiede geben zu solcher Gruppirung keinen Anlafs.\nDie Stellung der Doppell\u00e4nge am Ende wird durch die Ueberiegung verst\u00e4ndlich, dafs das denkbar einfachste Verh\u00e4ltnifs von Z\u00e4hlzeiten vorhegt, welches aber nur deutlich wird, wenn die K\u00fcrze vorangeht, weil sich dann durch die in ihr gegebene Maafseinheit die folgende L\u00e4nge ohne Weiteres als Doppelheit darstellt, was bei umgekehrter Folge nicht geschehen kann. Die K\u00fcrze ist hier im eigentlichsten Sinn ein x\u00e7ovo\u00e7 Ttg\u00fctog.\nF\u00fcr das von uns erstrebte Verst\u00e4ndnis der in u \u2014 dargestellten Bewegungsform ist es lehrreich, einen Blick auf die Art zu werfen, in der Riemann (vgl. Meumann\u2019s Citate a. a. O., Cap. II, \u00a7 2) diese \u201eUrform des dreizeitigen Tactes schreibt,\nn\u00e4mlich\nDas gr\u00f6fste Gewicht l\u00e4fst er also trotz des\nsonst von ihm irrth\u00fcmlich durchgef\u00fchrten Princips von der Steigerung des Gewichts der Tactglieder durch die Wiederholung (j | J und J\tn^c^lt ans Ende, sondern an\nden Beginn der L\u00e4nge fallen. Das trifft mit den Beobachtungen, welche ich \u00fcber die subjective Intensit\u00e4tsf\u00fchrung in u - und\nkj kj \u2014 machte, n\u00e4mlich kj \u2014 und u u , v\u00f6llig \u00fcberein und\nweist darauf hin, dafs auch hier keineswegs ein rein steigender Rhythmus vorliegt. Damit wird uns auch die Bewegung in den scheinbar so zwiesp\u00e4ltigen Formen\nKj \u2014 und Kj Kj \u2014\n/\tr\nals kj \u2014 und kj\u2014 verst\u00e4ndlich.\nEine grofse Reihe von Fragen \u00fcber die objectiven Ursachen des Rhythmus konnte hier nicht einmal ber\u00fchrt werden wegen des Mangels an experimentellem Material. Gerade auf diesem Gebiet hat ja das Experiment vornehmlich Berechtigung, da nur so die einzelnen objectiven Rhythmusursachen isolirt und dann in allm\u00e4hlicher Combination wirksam gefunden werden k\u00f6nnen. Aber mit der statistischen Zusammenstellung des, wenn auch","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nMax Ettlinger.\nnoch so werthvollen Thatsachenmaterials ist f\u00fcr die psychologisch\u00e4sthetische Aufgabe nur der Weg bereitet. Sie liegt jedesmal in der Analyse des rhythmischen Eindrucks.\nIII. Beitr\u00e4ge zur Analyse\nder rhythmischen Kunstformen und zur Erkl\u00e4rung\nihrer Wohlgef\u00e4lligkeit.\nTrotzdem im vorigen Abschnitt eine allm\u00e4hliche Ann\u00e4herung versucht wurde, ist es doch noch ein grofser Sprung von den dort besprochenen Gebilden zu den rhythmischen Kunstformen.\nVon diesen m\u00fcssen hier diejenigen der Tanzkunst schon deshalb vernachl\u00e4ssigt werden, weil ihre unmittelbare Beschreibung sehr schwierig ist, und eine symbolische Bezeichnung derselben nur wenigen Eingeweihten verst\u00e4ndlich. Deshalb ist diese Kunst in der Aesthetik des Rhythmus fast ganz vernachl\u00e4ssigt worden. Hier sei nur ein Irrthum zur\u00fcckgewiesen, der gerade auf diesem Gebiet besonders naheliegt, als m\u00fcsse vom motorischen Gebiet ausgegangen werden. Auch hier ist der rhythmische Eindruck entscheidend, welchen sich auch der Tanzende zu seiner eigenen Freude erzeugen mag, der aber nicht minder dem Zuschauer zu Theil werden kann. Auch die Tanzbewegungen haben zumeist, wenn sie mehr sind als motorische Begleiterscheinungen der Tanzmusik, einen eigenen Zusammenhang, den mimischen, wie die Musik den des Motivs, die Dichtung die logische Gedanken-folge.\nDie Eigenart des Rhythmizomenon bestimmt zun\u00e4chst die gr\u00f6fsere oder geringere Verwendung der uns schon bekannten, verschiedenen objectiven Ursachen des Rhythmus. Zu den qualitativen Gewichtsunterschieden treten die der Bedeutung hinzu. Wesentliche Unterschiede in der Verwendung der einzelnen Rhythmusursachen zeigen aber nicht nur etwa Musik und Sprache, sondern auch jede besondere Sprache, je nach der Rolle, welche schon im prosaischen Zusammenhang Accentuation, pro-sodische Beschaffenheit und melodische Abstufung in ihr spielen. Unmittelbar verst\u00e4ndlich \u201ekann daher f\u00fcr uns nur der neuhoch* deutsche Versrhythmus sein.\nWichtiger noch als die Hervorkehrung der einen oder anderen einzelnen Mittel zur Erweckung des rhythmischen Eindrucks","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer AesthetVc des 'Rhythmus.\n185\nist der Einflufs, welchen die obbesagten besonderen Zusammenh\u00e4nge auf die rhythmische Einheitsbildung aus\u00fcben.\nGerade in dieser Beziehung w\u00e4re es aber eine einseitige Auffassung, zu glauben, die rhythmische Gruppirung folge ganz sklavisch einem schon vorher feststehenden logischen oder musikalischen Gedankengang. Der Aufbau des musikalischen Motivs, wie des logischen Satzes vollzieht sich zugleich mit dem des Rhythmus und unter steter wechselseitiger R\u00fccksichtnahme ; nur so kann dann auch die Wirkung des Kunstwerks eine einheitliche werden. Eben so gut, wie die rhythmischen Bewegungsformen den logischen Zusammenh\u00e4ngen entsprechen, nehmen diese einen rhythmisirten Verlauf, wird die Sprache \u201egew\u00e4hlt\u201c.1\nNicht jede sprachliche Aeufserung vermag eine ihr entsprechende rhythmische Form zu finden. Das lehrt die Scene: \u201eTr\u00fcber Tag. Feld.\u201c im Faust.\nEs giebt nicht nur verschiedene rhythmische Charaktere, sondern auch einen durchg\u00e4ngigen Charakter des Rhythmus, der sich nie verleugnet Wie auch die Bewegung im Einzelnen verlaufen mag, eines bleibt ihr stets eigen, das um die Gleichgewichtslage oscillirende Spiel der beiden entgegengesetzten Kr\u00e4fte. Mag die Figuration im Einzelnen noch so unregelm\u00e4fsig sein, sie ist doch niemals regellos. Auch die \u201efreien Rhythmen\u201c haben ihre Gesetze, mehr und schwierigere, als die \u201egebundenen\u201c.\nAlle rhythmischen Kunstformen, m\u00f6gen sie nun mehr oder weniger complicirt gebaut sein, zeigen doch einige allgemeine Gesetzm\u00e4fsigkeiten, die ihrem Beruf entspringen, den rhythmischen Eindruck in seiner Eigenart hervorzurufen. Wir haben im vorigen Abschnitt erkannt, dafs es verschiedene Rhythmusursachen giebt; also die Kunst durch verschiedene Mittel demselben Zweck zustreben kann.\nUm solche allgemeine Gesetzm\u00e4fsigkeiten zu erkennen, m\u00fcssen wir, wie schon bei der subjectiven Rhythmisirung, vom Ganzen ausgehen. Dasselbe wird uns niemals aus der Zusammensetzung der Einzelst\u00fccke verst\u00e4ndlich. Zuerst waren die ganzen Verse, die ganzen musikalischen Perioden da; dann erst entdeckte die Analyse Jamben, Troch\u00e4en u. s. w. Die Einheit in den rhythmischen Kunstformen ist eine viel st\u00e4rkere, als die der bisher besprochenen, immerhin doch abstracten Gebilde. Diese zerfallen\n1 Vgl. Mbumann a. a. 0. Cap. III, \u00a7$} 1 u. 2.","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nMax E\u00fcUnger.\ndurch die Gleichm\u00e4\u00dfigkeit, mit der in Folge der einfachen Bedingungen Hemmung und Fortschritt ein treten, in unter sich v\u00f6llig gleiche Gruppen, die, wenn erst einmal ausgebildet, sich ins Unendliche wiederholen. Auch durch die^ rhythmischen Kunstformen zieht sich ein st\u00e4ndiger Wechsel von Spannung und L\u00f6sung, aber derselbe vollzieht sich in der mannigfaltigsten Weise; durch die verschiedengradige Ann\u00e4herung an die Gleichgewichtslage sind die so entstehenden Gruppen bald fester, bald loser geeinigt, dehnen sich bald mehr, bald minder aus, folgen sich schneller oder langsamer.\nDer zweite wesentliche Unterschied liegt darin, dafs nicht nur eine durchg\u00e4ngige einheitliche Bewegung besteht, sondern dafs sich dieselbe zu einem abgerundeten Bilde, zu einem sinn vollen Ganzen zusammenschliefst Sie l\u00f6st sich aus, vollzieht sich und schliefst ab. Wenn man vom Ueberblick des Ganzen zum Verst\u00e4ndnifs des Einzelnen gelangen will, dann verdienen gerade Ausgangspunkt und Abschlufs der Bewegung besondere Beachtung; denn sie gestatten naturgem\u00e4fs viel eher eine isolirte Betrachtung, als die mittleren Partien, in denen die Beziehungen nach allen Seiten laufen.\nIn ihnen treten denn auch die verschiedenen rhythmischen Charaktere am deutlichsten zu Tage. Die Unterscheidung und das Verst\u00e4ndnifs von deren Arten, die nur daraufhin m\u00f6gliche Verfolgung der haupts\u00e4chlichsten Weisen, wie sie sich im ganzen Verlauf behaupten und \u00e4ndern, die Aufdeckung der Gr\u00fcnde ihrer eigenartigen psychischen Daseinsweise und damit ihrer Wohlgef\u00e4lligkeit, ist unsere Aufgabe. Wir werden diese Gr\u00fcnde nicht aus ihnen neu aufzudecken suchen, sondern, da wir sie aus dem Fr\u00fcheren schon zu kennen glauben, auf dieselben zur\u00fcckzuf\u00fchren suchen. Der Grad des Gelingens, oder, da es sich nur um Anl\u00e4ufe handelt, die sich er\u00f6ffnenden Aussichten auf den Erfolg entscheiden \u00fcber die Berechtigung der Voraussetzungen.\nEs wurde festgestellt, dafs in der Hebung gegen\u00fcber der Senkung ein Uebergewicht der retardirenden Tendenz liegt Die fallende Gruppirung zweier Elemente\ntr\nstellt also den Uebergang von der Ruhe zum Fortschritt, die Ausl\u00f6sung einer Bewegung dar. Wenn nun eine solche Gruppe","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n187\nam Beginn einer Folge steht, so bezeichnet sie erstlich deutlich den Ausgangspunkt der Bewegung. Aufserdem weist sie dadurch, dafs in ihr keine R\u00fcckkehr zum Stillstand gegeben ist, auf eine Fortdauer der Bewegung hin. Wenn sie also an das Ende einer Bewegung tritt, so bringt sie dieselbe nicht entschieden zum Stillstand, sondern l\u00e4fst sie im leeren Raum verklingen.\nDer fallende Rhythmus wird, wie wir oben sahen, bei subjeetiver zweigliedriger, wie \u00fcberhaupt aller gradzahligen Gruppirung, fast immer gew\u00e4hlt. (In der scheinbaren Ausnahme w_l_ erkannten wir eine Dreigliederigkeit.) Und dies aus folgenden Gr\u00fcnden :\nDie Hebung ist eben durch ihre Widerstandskraft dasjenige Element, das den Verlauf einer Bewegung bestimmt und verdeutlicht. Wir orientiren uns an den festen Punkten. Wenn wir auf die beste Probe gestellt werden, die auf unser Verst\u00e4nd-nifs einer rhythmischen Bewegung gemacht werden kann, wenn wir zur Reproduction veranlafst werden, so liegt, wie das West-phal auch f\u00fcr den musikalischen Vortrag erkennt, die erste Anforderung in der richtigen Vertheilung der Accente. Der Vortheil, der darin liegt, wenn diejenigen Elemente, welche uns \u00fcber ein ganzes Gebilde belehren, zuerst gegeben sind, liegt auf der Hand. Noch deutlicher wird uns derselbe, wenn wir das gegens\u00e4tzliche Verh\u00e4ltnifs vergleichen, welches in der steigenden Gruppirung zweier Glieder, im Jambus\nU\nvorliegt.\nDiese Bewegungsform ist so bezeichnet worden, dafs gesagt wurde: Es liegt eine leichte Bewegung vor, die sofort in Ruhe \u00fcbergeht. Dafs uns diese Bewegung so leicht erscheint, liegt daran, dafs hier die Senkung zun\u00e4chst f\u00fcr uns gar nicht als Bewegung charakterisirt ist, sondern regungslos bliebe, wenn nicht durch die schnell folgende st\u00e4rkere Hemmung ihr nachtr\u00e4glich eine relative Bewegtheit verliehen w\u00fcrde. Wir erkennen also den Nachtheil, der hierin f\u00fcr die Orientirung \u00fcber die Bewegungsform liegt, und gewinnen damit eine negative Begr\u00fcndung f\u00fcr die Bevorzugung der fallenden Figur bei subjeetiver Rhythmisirung.\nWenn nun die steigende Gruppe an die Spitze einer Bewegung tritt, so bringt sie dieselbe nicht eigentlich entschieden","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nMax Eti\u00fcnger.\nin Gang. Wird dieselbe dann weiterhin deutlich, so scheint sie \u201eaus freier Luft gekommen\u201c zu sein.\nAn den Schlufe einer Reibe tretend bringt sie dieselbe entsprechend nachdr\u00fccklich zum Stillstand.\nDie Bewegung, welche sich im steigenden Rhythmus darstellt, ist also trotz der objectiven Gleichheit der Glieder keineswegs eine einfache Umkehrung derjenigen des fallenden Rhythmus ; und dementsprechend beurtheilen wir auch die Maafsver-h\u00e4ltnisse der beiden Glieder keineswegs in gleicher Weise. Die gr\u00f6fsere Selbstst\u00e4ndigkeit, welche der Hebung und Senkung im Troch\u00e4us zukommt, der klarere Gegensatz ihres Kr\u00e4fteverh\u00e4ltnisses und das hieraus entspringend bessere Gleichgewicht, andererseits die Abh\u00e4ngigkeit der Senkung von der Hebung im Jambus f\u00fchren zur T\u00e4uschung \u00fcber die Pausenl\u00e4nge : Die Distanz der beiden Gruppenglieder erscheint im Jambus k\u00fcrzer als im Troch\u00e4us. Das entspricht ganz der von Meumaxn erw\u00e4hnten T\u00e4uschung bei Einf\u00fchrung eines st\u00e4rkeren Schalleindrucks in eine leisere Folge, wodurch die vorhergehende Pause k\u00fcrzer, die folgende l\u00e4nger erscheint\nDaraus folgt, dafs in einer Reihe, die aus lauter Jamben gebildet wird, das gesammte Tempo schneller erscheint, als in einer troch\u00e4ischen.\t/\nUnd diesen Eindruck erhalten wir auch von denjenigen Kunstformen, in denen der steigende Charakter, wenn nicht allein \u2014, so doch vorherrscht. Die Griechen haben diesen Gegensatz in charakteristischer Weise bezeichnet, indem sie die fallende Bewegung hesychiastisch, ruhig, die steigende diastaltisch, erregend nannten.\nDa sich nun im vollendeten Kunstwerk Form und Inhalt entsprechen, finden wir, worauf Westphal hinweist, bei Bach dem Choral den hesychiastischen, der Gavotte den diastaltischen Bewegungsgang gegeben. Ebenso sch\u00f6n ist ein Beispiel aus der Dichtung, wobei, da es sich nur um den allgemeinen Gegensatz steigender und fallender Charaktere handelt, die Viergliedrigkeit der Gruppen unbeachtet bleiben kann : In Schiller\u2019s \u201eLied an die Freude\u201c \u00fcber wiegt in den ersten acht Zeilen der Strophe der hesychiastische Charakter:","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n189\n\u201eFreude, sch\u00f6ner G\u00f6tterfunken,\n\u201eTochter aus Elysium u. s. w.\n\u2022 \u2022\n\u2022 \u2022 \u2022 #\nsums\n9\t\u2022\n\u00ab \u2022 \u2022 \u2022\nu mis\nMit dem Einsetzen des Chors aber folgt der Umschlag zum Diastaltischen :\n\u201eSeid umschlungen, Millionen!\n\u201eDiesen Kufs der ganzen Welt! u. s. w.\n\u2022 \u2022 \u2022\n\u2022 \u2022\t\u00ab \u2022\nms ms\n\u2022 \u2022\n\u2022 \u2022 \u2022 \u2022\nus ms\nDas entspricht ganz dem Umschlag im Bewegungsgrad des Inhalts, indem auf die Betrachtung gleichsam die praktische Nutzanwendung folgt. Ebenso charakteristisch bis in den Wortlaut hinein ist:\nr\tn\t!\ttt\nKei-ne Buh\u2019 bei Tag und Nacht\nNeben der Zweizahl spielt in allen Gruppirungsverh\u00e4ltnissen des Rhythmus die Dreizahl eine entscheidende Rolle. Die Vers-f\u00fcfse haben zwei oder drei Glieder oder ein Vielfaches derselben, und entsprechend werden bei subjectiver Rhythmisirung die Zahlenverh\u00e4ltnisse gew\u00e4hlt Und wenn etwa doch in sehr seltenen F\u00e4llen die F\u00fcnfzahl gew\u00e4hlt wird, dann wird doch jedesmal wenigstens entweder\nis us oder us is\nbetont Diese Herrschaft der Zwei- und Dreizahl bleibt dann auch in den gr\u00f6fseren Gruppirungsverh\u00e4ltnissen der Kunstformen gewahrt; um dies zu finden, mufs man aber die that-s\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnisse pr\u00fcfen und darf sich nicht bei den \u00fcblichen Schemata Rath holen. Dann findet man auch bei","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nMax Ettling er.\n\u201ef\u00fcnf\u201c- oder \u201esiebenfiifsigen\u201c Versen nur zwei und drei, bezw. vier Hauptbetonungen ; z. B. in dem anap\u00e4stischen\nrrrrrr cihli *rrrrr tdr\nDie in solchen gr\u00f6fseren Zusammenh\u00e4ngen auftretenden drei Betonungsstufen, \u00fcber welche h\u00f6chstens noch ein Schritt hinausgegangen wird, finden sich auch schon in den einfachsten drei-gliederigen Gruppen.\nSchon Wundt constatirt (in den \u201eGrdzg.\u201c), dafs weder in poetischem, noch musikalischem Zusammenhang sich die Gruppe\nfindet, und, dafs auch in !xr die umgebenden Tacttheile verschieden schwer sein k\u00f6nnen, also\n\u2022 \u2022\n\u00dcJ\" Oder\nNach meinen Beobachtungen sind sie immer verschieden schwer. Dies findet eine willkommene Best\u00e4tigung in den F\u00e4llen subjectiver Herstellung dreier Intensit\u00e4ten aus zweien, wie sie Meumann bei seinen Zeitsinnversuchen nebenher feststellte. Es wurde n\u00e4mlich\nCXJ\" als\nund\nUS ^ US\naufgefafst. Hierher geh\u00f6rt es auch, wenn sich ihm bei der Untersuchung des Dreivierteltactschlagenden die Zeitverh\u00e4ltnisse der einzelnen Viertel auf der Kymographiontrommel darstellen als:\n\u2014i 3 |----------------(_2j\nund beim Tactiren 12 3' als :","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n191\nEntsprechend erhielt ferner Bolton bei der ungern vollzogenen rein subjectiven Rhythmisirung zu dreien die Gruppe\nund bei zwei objectiven Intensit\u00e4ten die oben schon in anderem Zusammenhang erw\u00e4hnte Differenzirung von\ntif \u201c tis\nEs liegt nun nahe, alle diese Thatsachen, bei denen die Bedeutung der Zwei- und Dreizahl so sehr hervortritt, in einen Topf zu werfen und irgendwie direct aus den Zahlenverh\u00e4lt-nissen erkl\u00e4ren zu wollen. Zun\u00e4chst liegt aber in der Dreizahl der Gruppenglieder und Intensit\u00e4tsstufen ein rein \u00e4ufserliches Zusammentreffen; dieselben drei Intensit\u00e4tsstufen kehren auch\nbei vier-\nund mehrgliederigen Gruppen wieder.\nDie\nZahlenregel f\u00fcr die Ikten in gr\u00f6fseren Zusammenh\u00e4ngen bedarf einer eigenen Erkl\u00e4rung aus dem dipodischen oder jeweiligen monopodischen Charakter des ganzen Verses.\nWir beschr\u00e4nken uns hier darauf, eine Erkl\u00e4rung daf\u00fcr zu suchen, dafs in den dreigliedrigen Elementargruppen oder besser : Bewegungsformen stets eine dreifache Abstufung der Intensit\u00e4ten zu constatiren ist.\nZun\u00e4chst ist es wohl nicht \"\u00fcberfl\u00fcssig, darauf hinzu weisen, dafs in\ntif oder i_rj\u00bb\nnicht etwa irgend welche gr\u00f6fsere Regelm\u00e4fsigkeit liegen w\u00fcrde, als in den dreifach abgestuften Formen, dafs in jenen irgend welche zeitliche Symmetrie gewahrt bliebe. Dieser Begriff hat\n\u2022 \u2022 \u2022\nnur f\u00fcr Raumformen Sinn, und selbst in US und tis\nw\u00e4ren die gleichen Intensit\u00e4ten durch ihre Stellung am Anfang und Ende einer Bewegung von v\u00f6llig verschiedenem Charakter.\nDiese Erscheinungen sind vielmehr aus dem Prineip des Gleichgewichts der beiden antagonistischen Tendenzen ableitbar, aus dem wir uns schon oben (vgl. S. 20 u. \u00d6.) das Wesen rhythmischer Gruppirung \u00fcberhaupt verst\u00e4ndlich zu machen suchten.","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nMax Etttingcr.\nDafe bei zwei Gliedern von verschiedener Intensit\u00e4t \u2014 und auch die kleinsten rhythmischen Einheiten setzen sich nie ans\n\u00abr\ngleichen Gliedern zusammen, was eben zu unserem Princip f\u00fchrt \u2014 eine gewisse Entsprechung in Uebergewicht und Deficit nach beiden Seiten hin stattfindet, und sich daraus die st\u00e4rkere oder schw\u00e4chere Zusammengeh\u00f6rigkeit ergiebt, wurde schon mehrfach constatirt\nWie sollte man unter drei Gliedern, von denen zwei unter\n\u2022 \u2022 \u2022\nsich gleich sind (es d\u00fcrfen \u00fcber tu und tU auch\n'tu > tu - tu - tu nicht als m\u00f6gliche F\u00e4lle \u00fcbersehen werden) diese Entsprechung stattfinden?\nIntensit\u00e4ten lassen sich nicht messen und zusammenz\u00e4hlen, wie Extensionen, bei welch letzteren \u00fcbrigens auch auch schon die zeitlichen im Vergleich zu den r\u00e4umlichen Schwierigkeiten machen. Wenn man etwa die F\u00e4lle\ntu \u2019 tu ^ iti\nals \u201ef\u00fcnfzeitig\u201c ausschalten wollte (vgl Westphal\u2019s zun\u00e4chst nur auf musikalische Verh\u00e4ltnisse bez\u00fcgliche Notiz, wonach der in der antiken Theorie statuirte f\u00fcnf zeitige, \u201ep\u00e4onische\u201c Versfufc in der modernen Musik so gut wie ungebr\u00e4uchlich ist), so w\u00e4re dies ebenso unberechtigt, als dann das Gleichgewicht in den drei \u00fcbrigen:\ntu > tu UDd tu\naus dem Rechenexempel : 2 Senkungen = 1 Hebung abzuleiten.\nDas Gleichgewicht der im rhythmischen Bewegungsverlauf wirksam vorgestellten Kr\u00e4fte beruht einerseits auf der Hemmung des Fortschritts durch relative Lautheit, andererseits auf F\u00f6rderung desselben durch relative Leisheit Tritt nun zu zwei solchen Schalleindr\u00fccken ein mittelstarker hinzu, so vermag derselbe beim Gleichgewicht seiner relativen Lautheit nach der einen, und relativen Leisheit nach der anderen Seite das allgemeine Gleichgewicht nicht erheblich zu st\u00f6ren.\nDie Wirksamkeit, welche er aber doch auf die F\u00fchrung der Bewegungsform aus\u00fcbt, beruht auf seiner Stellung in der Aufeinanderfolge der Gruppenglieder und dem durch den","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n195\nContrast zum unmittelbar benachbarten Glied gewonnenen Hemmungs- oder Fortschritts\u00fcberschufs.\nEs braucht wohl nicht ausgef\u00fchrt zu werden, warum gerade aus der letzten Ueberlegung heraus a priori angenommen werden\ndarf, dafs unter den sechs m\u00f6glichen Dreigliedergruppen aus\n* *\n\u2022 \u2022 \u2022 \u2022\ndrei Intensit\u00e4tsstufen die beiden UI und UI nicht\nbrauchbar erscheinen. Dieselben finden auch thats\u00e4chlich keine Verwendung. (Woraus \u00fcbrigens ein neues Argument gegen Riemann\u2019s Princip der Wiederholung hervorgeht)1\nWir wenden uns daher zu den thats\u00e4chlich vorkommenden dreigliederigen Bewegungsformen und zwar des \u201eDak-\n\u2022 \u2022\n\u2022 \u2022 \u2022 \u2022\ntylus\u201c\t, des \u201eAnap\u00e4st' \u2018 rrr und der beiden Formen\ndes Amphibrachys UI und UI-\n\u2022 \u2022\nWir beginnen mit dem Anap\u00e4st f P \u2022 der in besonderem\nMaafse eine abgeschlossene Einheit bildet. Von der Ruhelage f\u00fchrt er durch die Bewegung zum entschiedenen Stillstand. Das Einhalten ist so kr\u00e4ftig, dafs es die letzte Pause noch mehr verk\u00fcrzt, als es mit der im Jambus geschieht, und so der Anap\u00e4st einen ganz besonders rasch vorw\u00e4rts dr\u00e4ngenden Charakter gewinnt.\nDas macht ihn sehr geeignet zur kr\u00e4ftigen Einleitung einer Bewegung, da er ja auch in der beginnenden Halbbetonung einen klaren Ausgangspunkt besitzt. Die H\u00e4rte des Schlusses wird ja dann schon durch das folgende gemildert, der Haltpunkt erscheint als relativer Durchgangspunkt.\nEben diese H\u00e4rte des Schlusses macht ihn dagegen ungeeignet, eine Reihe zu beschliefsen. Gerade eine so lebhafte Bewegung, wie die des anap\u00e4stischen Siebenf\u00fcfsers, der oben wegen seiner vier Ikten schon einmal erw\u00e4hnt wurde, macht einen so schroffen Abschlufs unm\u00f6glich und fordert eine ausklingende Senkung, \u00e4hnlich wie es, wenn auch in minderem Grad der f\u00fcnf-f\u00fclsige Jambus thut.\n1 Vgl. Mbuhann a. a. O. Cap. II, \u00a7 2 u. oben S. 27. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 22.\n13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nMax Ettlinger.\nEs besteht \u00fcberhaupt eine ganz \u00e4hnliche Charakterverschiedenheit, wie zwischen Jambus und Troch\u00e4us, auch zwischen \u201eAnap\u00e4st\u201c und \u201eDaktylus\u201c.\nm\n9\t9\nDer Daktylus tu mit seinem Gange von der Ruhe\ndurch die Bewegung zu weniger entschiedenem Anhalten hat eben durch letzteres einen \u00e4hnlich ruhigen Charakter, wie der Troch\u00e4us, w\u00e4hrend der Anap\u00e4st durch seinen schroffen Stillstand die Hastigkeit des Jambus noch \u00fcbertrifft.\nDa andererseits im Daktylus kein so entschiedener Abschlufs liegt, wie im Anap\u00e4st, ist er sehr wohl geeignet, eine ruhige Bewegung einzuleiten. Dagegen steht er nicht passend am Ende einer Reihe, da er ebensowenig wie einen entschiedenen Abschlufs ein freies Verklingen giebt. Deshalb wird auch der \u201edaktylische\u201c Hexameter durch eine zweigliederige fallende Bewegung beschlossen.\nEin daktylischer Hexameter im strengen Sinne des Wortes, wozu \u2014 hier ist immer vom neuhochdeutschen Vers die Rede! \u2014 ein v\u00f6lliges Zusammenfallen von Wort und Versfufs noth-wendig w\u00e4re, m\u00fcfste ganz aufserordentlich einschl\u00e4fernd wirken. Deshalb wird auch, ganz abgesehen von der Einf\u00fchrung zweigliederiger Gruppen, der Amphibrachys mit Vorhebe im Hexameter gebraucht, und zwar in seiner lebendigeren Gestalt als\n\u2022\n\u2022 \u2022\ntu\nWir sahen schon, dafs bei subjectiver Differenzirung der In-\n\u2022 \u2022\ntensit\u00e4t nicht nur aus tu (wie Bolton beobachtete), wo es\nn\u00e4her hegt, sondern auch aus tu (wie Meumann wahmahm) diese Art des Amphibrachys gew\u00e4hlt wurde.\n\u2022 \u2022\nEs sei f\u00fcr dieselbe, da sie subjectiv aus dem Bacchius tu entsteht, die Bezeichnung \u201ebacchischer Amphibrachys\u201c, und\nf\u00fcr die andere Art 900, da sie aus dem Palim-\ntu\nbacchius p \u00bb dif\u00fcerenzirt wird, die Bezeichnung \u201epalim-\nbacchischer Amphibrachys\u201c vorgeschlagen und im Folgenden erlaubt.","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n195\nWir haben schon bei Besprechung jener subjectiven Diffe-renzirung constatirt, dafs der bacchische Amphibrachys die Bewegung durch die Leichtigkeit seines Schlufsgliedes besonders g\u00fcnstig fortleitet\nDa sein erstes Glied, \u00e4hnlich wie das des beginnenden Jambus, seine m\u00e4fsige Bewegung erst durch die folgende st\u00e4rkere Hemmung erh\u00e4lt, ist der bacchische Amphibrachys weniger zum Beginn, aber so recht zur Fortleitung einer Bewegung im Inneren, und diese Function \u00fcbt er im Hexameter, geeignet.\nSehr ungeeignet ist er aber zum Abschlufs. Ich habe (gelegentlich einer ins Einzelnste gehenden Untersuchung der Entwickelung der \u201eversus spondiaci\u201c in den drei ersten Ges\u00e4ngen des Klopstock\u2019sehen \u201eMessias\u201c) in den seltenen F\u00e4llen, wo am Schlufs des Hexameters ein bacchischer Amphibrachys stand, fast ausnahmslos Enjambement, also gerade die Fortleitung der Bewegung, gefunden. .\nAus diesen Gr\u00fcnden kann auch z. B. in der ersten der \u201e33 Ver\u00e4nderungen \u00fcber einen Walzer von A. Diabelli f\u00fcr das Pianoforte von L. v. Beethoven\u201c der ausgesprochene bacchische Amphibrachys\nAlla mar cia maestoso.\n\\\n\ns\n/(i)\n\n\u2022i\n*\nEESB\nt 3\n3\n\u00ef\n9 1 3 3\nu. s. \u00a3\n\u00abwar durch die ganze Folge festgehalten werden. Am Schlufs dos Theils aber nicht; sondern da heilst es:\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nMax Ettling er.\nB\u00fclow weist in seiner commentirten Ausgabe 1 darauf hin, dafs in diesem Amphibrachys (wie er Anfangs und durchg\u00e4ngig die Variation beherrscht) \u201eder Auftact d. h. die erste K\u00fcrze eine markigere Betonung verlangt, als die letzte K\u00fcrze, trotzdem jene nur den Dauerwerth eines Achtels betr\u00e4gt\u201c. Die etwas unklare weitere Bemerkung, dafs dies \u201eeine nat\u00fcrlicheFolge des Verh\u00e4ltnisses zwischen Hebung und Senkung sei\u201c, erl\u00e4utern wir n\u00e4her dahin, dafs es sich hier eigentlich mehr um zwei aufeinanderfolgende Hemmungen handelt, von denen die zweite die st\u00e4rkere und nachhaltigere ist, so dafs \u00fcberhaupt das dritte Glied, wenn es nur ein Achtel w\u00e4re und keine Pause darauf folgte, in semer Fortschrittstendenz kaum zur Geltung kommen k\u00f6nnte.\nNoch weniger zur Einleitung einer Bewegung ist aus den beim Jambus und eben wieder beim bacchischen Amphibrachys hinreichend er\u00f6rterten Gr\u00fcnden der palim-bacchische Amphibrachys :\n\u2022 \u2022\ntl!\ngeeignet. Umsomehr aber zum Abschlufs; denn auf die aus freier Luft kommende oder durch das vorhergehende motivirte Bewegung im ersten Glied folgt eine entschiedene Hemmung und dann noch einmal eine minder lebhafte Bewegung.\nDiese Figur stellt also in geradezu typischer Weise das Verklingen dar. Und wird deshalb am Ende des Hexameters von Klopstock auch nur dann gew\u00e4hlt, wenn ein st\u00e4rkerer Sinnesabschnitt stattfindet, z. B. im Schlufsvers des zweiten Gesangs im \u201eMessias\u201c:\n\u201eAlso kam Adramelech herab und Satan zum Oelberg.\u201c\nNachdem hiermit die verschiedenen rhythmischen Charaktere in ihren elementarsten Formen analysirt und in ihrer \u00e4sthetischen Bedeutung festgelegt sein d\u00fcrften, sollen nicht in nothwendig immer uferloser werdender Verbreiterung alle umfangreicheren Bewegungsformen besprochen werden, auch nicht einmal mehr alle viergliederigen.\n1 Vgl. \u201eBeethoven\u2019s Werke f\u00fcr Pianoforte solo .... mit erl\u00e4uternden Anmerkungen . . . von Dr. Hans von B\u00fclow. Zweiter Theil. (Stuttgart 1872.) S. 162.","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n197\nVielmehr seien nur, um einen kleinen Anlauf zur L\u00f6sung einer weiteren Aufgabe zu gewinnen, n\u00e4mlich der analytischen und \u00e4sthetischen Bestimmung der Bewegungs\u00fcberg\u00e4nge, noch noch zwei einfache F\u00e4lle herausgegriffen, n\u00e4mlich der Di-\ntroch\u00e4us\ner u und die Schlufsbewegung des Hexameters\nim weiteren Umfang, besonders ihre \u201eregelm\u00e4fsige\u201c Form\nDamit ergiebt sich zun\u00e4chst die Nothwendigkeit, wenigstens einen Blick auf den Unterschied monopodischer und dipodischer Struktur zu werfen.1\nSchon bei den Versuchen \u00fcber subjective Rhythmisirung zeigt sich, dafs, wenn es die Schnelligkeit des Tempos irgend\nwie gestattet, an Stelle der Gruppirungen zu zweien\n(er)die\nzu vier\nund entsprechend event, andere Dipodien\nwie ff f fff oder f f f f f f f f bevorzugt werden. Die\nBevorzugung des Mehrfachen der Zwei zahl gegen\u00fcber dem der Drei zahl ist dabei so betr\u00e4chtlich, dafs Bolton einmal, obgleich objectiv zu Sechsen betont wurde, doch von einer Versuchsperson das Urtheil, es seien Vierergruppen, erhielt. Ebenso, wie dies auf dem gr\u00f6fseren und deutlicheren Gleichgewichtsverh\u00e4ltnifs der Zweigliederigkeit gegen\u00fcber der Dreigliederigkeit beruht, bildet Bich auch bei den Dipodien gegen\u00fcber den monopidischen Systemen ein klares Gleichgewicht unter Ikten und Arsen heraus, das bei monopodischen Folgen zwar auch nicht zu fehlen pflegt, sich aber \u00fcber eine viel gr\u00f6fsere und schwerer \u00fcberschaubare Folge erstreckt\nDem entspricht v\u00f6llig die Bevorzugung dipodischer Bildung in der naiveren Kunst, z. B. bei Volksliedern und Kinder-versen.* *\n1 Vgl. hier\u00fcber inBb. Westphal. Auch seine aus dem \u201eLied an die Freude\u201c angef\u00fchrten Beispiele (vgl. S. 33) geh\u00f6ren hierher. Und Sebvebs (vgL Anm. 1 S. 5).\n* Minor's Meinung (Nhd. Metrik, V. Abschnitt), die komische Wirkung der Struwelpeterverse gehe darauf zur\u00fcck, dafs, mag man nun monopodisch","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nMax Ettlinger\n9\t\u2022\nDer Ditroch\u00e4us U U soll uns vor Allem als einfachstes\nund typischstes Beispiel daf\u00fcr dienen, dafs auch in den gr\u00f6fseren Gruppirungszusammenh\u00e4ngen einer rhythmischen Folge keine anderen Principien zur Geltung kommen, als in den kleineren- Dies anzunehmen, w\u00e4re nur dann n\u00f6thig, wenn man die kleinsten Gruppirungen durch ihren zeitlichen Umfang, der den der unmittelbaren Zeitwahrnehmung, der \u201enat\u00fcrlichen Aufmerksamkeitsperiode\u201c nicht \u00fcberschreiten darf, erkl\u00e4rt glaubt Nun braucht der Ditroch\u00e4us keineswegs in diesen Rahmen zu fallen. Und da er nun allerdings in den \u201ewohlgef\u00e4lligsten\u201c Dimensionen h\u00e4ufig als auf den doppelten Umfang gebracht erscheint, so k\u00f6nnte er zun\u00e4chst als ein typisches Beispiel f\u00fcr das Princip der Wiederholung angesprochen werden. (Rtemakn\nw\u00fcrde dann Form\nis ir\nhervorheben.)\nDa nun aber dieses\nselbst in solchen einfachsten F\u00e4llen nicht ausreicht, sonst\n\u2022 \u2022\nm\u00fcfste\tden Vorzug haben, und f\u00fcr freiere Rhythmen,\nschon Monopodien mit Sprungikten oder Skalenversen (vgl Sie vers) gegen\u00fcber v\u00f6llig versagt, und wieder eine neue Auffassung, n\u00e4mlich derjenigen vom Gegensatz tactirender und phrasirender Tendenz n\u00f6thig macht, scheint das Princip des rhythmischen Gleichgewichts, das alle diese Erscheinungen unter einen Hut bringt, den Vorzug zu verdienen.\nDen beiden Senkungen des Ditroch\u00e4us kommt in Folge ihrer Zweizahl zwischen dem Gegensatz von Iktus und Arie eine \u00e4hnliche neutrale Rolle zu, wie in der zweigliederigen Gruppe der mittleren St\u00e4rke.\nEbenso wie dort beruht ihre secund\u00e4re Einflufsnahme auf die Gleichgewichtslage und die dementsprechende Intensittts-\noder dipodisch lesen, doch Satz- und Versbetonung in st\u00e4ndigem Widerspruch stehen, ungleich wichtiges gleich betont, oder unwichtigeres st\u00e4rker betont werden \u201emufs\u201c, ist dahin richtig zu stellen, dafs bei monopodischem Lesen nach dem Sinn, und dann nothwendig mit Sprungikten (vgl. Sibvbbs) keine komische, sondern eine entsetzliche Wirkung herausk\u00e4me. Das Wesentliche ist, dafs die Verse kindlich leiernd und dann nach meiner Beobachtung immer dipodisch gelesen werden, wodureh dann auch der Tonfall (vgl. Sievbbs) einf\u00f6rmiger wird.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus.\n199\nVerschiedenheit ihrer selbst nur auf der Stellung in der Succesion, auf ihrer Nachbarschaft.\nDas zeigt sich schon in den antiken Versschemen in der verschiedenen Lage der \u201esyllaba auceps\u201c im fallenden oder steigenden Ditroch\u00e4us, n\u00e4mlich\ngegen\u00fcber z. B. :\n\u2014 u \u2014 u\n\u2014 U U\n\u201eSeid umschlungen, Millionen lw\nund entsprechend im Diiambus:\nU \u2014 o \u2014\nEine andere, noch wichtigere Folgerung aus dem Princip des Gleichgewichts ergiebt sich aus der Beobachtung derjenigen Ver-\nh\u00e4ltnisse , f\u00fcr die uns der Hexameterschlufs\ntypisches Beispiel dienen soll. Er zeigt eine Verbindung der dreigliederigen mit der zweigliederigen Gruppe, bei der aber, wenigstens am einzig unmittelbar zu controlirenden neuhochdeutschen Vers, das Princip der Wiederholung gleicher Zeitabschnitte an den auch schon \u201emit blofsem Auge\u201c erkennbaren thats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnissen scheitert.\nBr\u00fccke\u2019s Feststellung der gleichen zeitlichen Abst\u00e4nde zwischen den Arsengipfeln wurde ja schon in der Einleitung zur\u00fcckgewiesen. Und einer entsprechenden Meinung Minob\u2019s, die rhythmische Einheit liege zwischen zwei st\u00e4rkeren Schl\u00e4gen \u2014 wie sollte aber dann am letzten Fufs des Hexameters die Einheit gefunden werden?! \u2014 hat schon Meumann (a. a. O. S. 303f.) entgegengehalten, die rhythmische Einheit reiche stets von der beginnenden Hebung bis zur abschliefsenden Senkung. Daf\u00fcr glauben wir die Begr\u00fcndung gefunden zu haben: Die Einheit wird mit dem Augenblick geschaffen, wo durch das Eintreten der Fortschrittstendenz in der Senkung ein Gegengewicht f\u00fcr die Hemmungstendenz der Hebung geschaffen wird.\nDaraus ergiebt sich eine Gleichwerthigkeit rhythmischer Gruppen in einem viel h\u00f6heren Sinn, als nur gleicher zeitlicher Dimensionen oder gleicher absoluter Intensit\u00e4tsmaafse ; diese sind, wenn thats\u00e4chlich vorhanden, doch nur Mittel zum Zweck.","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"Max Ettlimper.\n200\nDie Gleichberechtigung rhythmischer Gruppen liegt dann, dafe \u00bbich in jeder derselben eine \u00abich erg\u00e4nzende Aufhebung und Wiederherstellung vollzieht, mag dieselbe nun l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit dauern, sich \u00fcber mehr oder weniger Glieder erstrecken und zwischen gr\u00f6fseren oder geringeren Intensit\u00e4ts-bezw. Qualit\u00e4t\u00bb- oder Bedeutungsgegens\u00e4tzen stattfinden.\nWenn die vorliegende Abhandlung auch abbricht, ohne alles dies bis ins Einzelnste verfolgt zu haben, was sp\u00e4terer Weiterarbeit Vorbehalten bleibt, so hofft sie doch einige speciellere Belege und Gr\u00fcnde f\u00fcr diejenige Auffassung von\nWesen und Werth rhythmischer Formen erbracht zu haben.\n\u2022 1\nwelche Lotze (in seiner Gesch. <L Aesth.j in die Worte kleidet:\n\u201eDer Eindruck des Rhythmus beruht auf der Anschauung einer lebendigen Th\u00e4tigkeit, welche auf ihrem Weg eigent\u00fcmlich vertheilte Widerst\u00e4nde findet nnd sie bald steigend in ihrem Gang, bald fallend, bald verz\u00f6gert, bald beschleunigt, jetzt stetig verfliegend und dann mit scharfen Unterbrechungen ihres Verlaufs \u00fcberwindet\u201c","page":200}],"identifier":"lit31186","issued":"1900","language":"de","pages":"161-200","startpages":"161","title":"Zur Grundlegung einer Aesthetik des Rhythmus","type":"Journal Article","volume":"22"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:18:56.334757+00:00"}