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{"created":"2022-01-31T16:18:39.942806+00:00","id":"lit31196","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Liepmann","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 22: 226-227","fulltext":[{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nLiteraturbericht.\nAnartherie, nicht um Aphasie, zweitens k\u00f6nne sie sowohl durch corticale wie durch subcorticale wie, (wof\u00fcr dieser Fall ein Beispiel) durch doppelseitige, kapsul\u00e4re Herde bedingt sein.\tLiepmakk (Dalldorf).\nB. Bramwell. A Remarcible Case of Aphasia. Brain 21 (83), 343\u2014373. 1898.\nAls die festeste S\u00e4ule der Sprachpathologie galt bisher die BRocA\u2019sche Entdeckung, dafs Zerst\u00f6rung der dritten linken unteren Stirnwindung motorische Aphasie verursache, d. h. eine an Stummheit grenzende St\u00f6rung der Lautbildung nebst schweren Schreib- und Lesest\u00f6rungen. Diese Entdeckung wurde bald nach ihrem Bekanntwerden schwel angefochten. Aber aus dem Kampf gegen eine Reihe scheinbarer Widerlegungen ging sie siegreich hervor. Es erwies sich, dafs bei den F\u00e4llen, in denen der fragliche Symptomencomplex durch rechtsseitige L\u00e4sion verursacht war, es sich um die Gehirne linksh\u00e4ndiger Individuen gehandelt hatte und dafs die F\u00e4lle von Sprachst\u00f6rung , welche sich als durch Heerde im Schl\u00e4fenlappen bedingt erwiesen, ganz anderer Art waren, als die motorische Aphasie: eines der markantesten Beispiele in der Geschichte der Wissen schaft, f\u00fcr den oft gedankenlos mifsbrauchten Satz, dafs Ausnahmen die Regel beweisen (in seinem einzig werthvollen Sinne).\nDer BRAMWELL\u2019sche Fall ist nun nicht nur eine scheinbare, sondern eine echte Ausnahme von der BnocA\u2019schen Regel: er zeigt, dafs die Beziehung des expressiven Theils der Sprache zu der BaocA\u2019schen Windung, wenn auch f\u00fcr die ungeheure Mehrzahl der Rechtsh\u00e4nder, so doch nicht ausnahmslos von allen gilt und weist uns nachdr\u00fccklich wieder darauf hin, dafs wir bei der Localisation von Sprachst\u00f6rungen immer mit individuellen Variet\u00e4ten rechnen m\u00fcsseu.\nUeber die Einzelheiten des Falles ist folgendes zu sagen: Ein 70j\u00e4hriger Gesch\u00e4ftsmann erlitt einen pl\u00f6tzlichen Anfall. Wenn er \u00fcberhaupt sprachlos war, so kann es nur w\u00e4hrend ganz kurzer Zeit gewesen sein, denn wenige Stunden darauf sprach er, wenn auch nur einige wenige, S\u00e4tze zu seiner Frau. Am n\u00e4chsten Morgen sprach er schon etwas mehr, und am n\u00e4chstn\u00e4chsten Tage zeigte sich nur ein partieller Defect in seinem Sprachver-m\u00f6gen: die Namen von Personen und Objecten fehlten ihm, w\u00e4hrend er alle \u00fcbrigen Redetheile ohne Schwierigkeit producirte. Von einer aufgehobenen oder erschwerten Lautbildung, wie sie bei motorischer Aphasie auftritt, war nichts zu bemerken, der Patient sprach fehlerlos -nach, es handelte sich also nur um die St\u00f6rung, die man \u201eamnestische Aphasie\u201c genannt hat. Die meisten Objecte konnte er gar nicht benennen, selten brauchte er paraphasische Bezeichnungen ; der eigene Name, der seiner Frau fehlten ihm. Das Lese- und Schreibverm\u00f6gen entsprach mehr dem Bilde der motorischen Aphasie: es bestand Paralexie, gest\u00f6rtes Lese-verst\u00e4ndnifs, Paragraphic, theilweise Agraphie. Dafs der Mann ein Rechts h\u00e4nder war, stand aufser allem Zweifel.\nAufser den erw\u00e4hnten St\u00f6rungen der Sprache bestand \u2014 bis auf ein Zittern der rechten Hand \u2014, das Bramwell merkw\u00fcrdiger Weise auf eine beginnende Paralysis agitans bezieht \u2014 kein Localsymptom : keine L\u00e4hmung, keine Sensibilit\u00e4ts-, keine Sehst\u00f6rung. Die Schreibf\u00e4higkeit der linken Hand wurde leider nicht gepr\u00fcft.","page":226},{"file":"p0227.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n227\nNach geringer Besserung trat 5 Wochen sp\u00e4ter der Tod unter Erscheinungen der Bauchfellentz\u00fcndung ein, welche wie die Section zeigte, durch Embolie der Mesenterial-Arterie bedingt war. Die Gehimunter-eachung ergab neben leichter allgemeiner Atrophie der Windungen vollkommene Zerst\u00f6rung (Erweichung) der BROCA\u2019schen Windung und des vorderen Endes der linken Insel, w\u00e4hrend die linke aufsteigende Stimwindung erhalten war. B. belegt dies durch eine Reihe wohlgelungener Photographien, sowohl vom ganzen Gehirn, wie von Horizontalschnitten. Im TJebrigen war das Gehirn angeblich intact.\nB. weist darauf hin, dafs zwar seltene F\u00e4lle berichtet worden sind, in denen eine anf\u00e4ngliche Sprachlosigkeit nach Zerst\u00f6rung der BaocA\u2019schen Windung sich sp\u00e4ter einigermaafsen zur\u00fcckbildete, dafs dies mit Wahrscheinlichkeit dadurch erkl\u00e4rt wurde, dafs die dritte Stimwindung der rechten Seite allm\u00e4hlich die Function der zerst\u00f6rten linksseitigen \u00dcbernommen habe, dafs aber ein Fall von sofortigem Eintreten der rechten f\u00fcr die linke Hemisph\u00e4re bisher nicht berichtet worden sei. Auf Grund seines Falles nimmt er nun an, dafs hier, wo fast sofort nach dem Insult gesprochen werden konnte, ganz ausnahmsweise die dritte rechte Stimwindung von vorn herein so \u201eerzogen\u201c war, dafs sie unmittelbar f\u00fcr die linke eintreten konnte, dafs es also in seltenen F\u00e4llen eine bilaterale Repr\u00e4sentation der \u00dfprachfunctionen g\u00e4be. W\u00e4hrend diese Erkl\u00e4rung als wahrscheinlich in Betracht kommt, sind die Erkl\u00e4rungsversuche f\u00fcr die vorhanden gewesenen St\u00f6rungen im Schreiben, Lesen und besonders der Namenfindung nicht voll befriedigend. Wenn die rechte Seite auf Grund bilateraler Repr\u00e4sentation der Sprachfunction f\u00fcr die linke eintreten konnte, warum that sie das nur f\u00fcr einen Theil der Functionen? Warum bestanden Nebenst\u00f6rungen (Schreib- und Lesest\u00f6rung) die man gemeinhin nur als Folgeerscheinung der Hauptst\u00f6rung (der Lautbildung) betrachtet, nachdem diese selbst ausgeglichen war? B. nimmt seine Zuflucht zu der Annahme einer indirecten functioneilen St\u00f6rung des anatomisch intacten visuellen Sprachzentrum^ durch den Herd im Stiralappen. Damit bleibt aber u. a. unerkl\u00e4rt, warum die Schreibst\u00f6rung soviel st\u00e4rker war, wie die Lesest\u00f6rung. F\u00fcr die St\u00f6rung in der Namenfindung fehlt eigentlich jede Erkl\u00e4rung. Es ist zuzugeben, dafs einerseits wohl einer befriedigenden Erkl\u00e4rung hierf\u00fcr noch un\u00fcberwindliche Schwierigkeiten entgegenstehen, dafs andererseits Brauwell ehrlich genug ist, die Schw\u00e4chen seiner Annahmen ^uzu-gestehen.\nDer Fall selbst bleibt ein aufserordentlich bemerkenswerther, und wird bei der weiteren Entwickelung unserer Vorstellungen vom Sprach-mechanismus durchaus ber\u00fccksichtigt werden m\u00fcssen.\nLiepmann (Dalldorf).\nBinswakgeb. Zur Cainisttk der Agraphle. Zeitschrift f. Hypnot. 9, 85\u201498. 1899.\nAuf dem Gebiete des aphasischen Symptomencomplexes ist die Frage \u00fcber die functioneile Bedeutung und anatomische Localisation der Schreib-\u00abt\u00f6rungen noch eine offenstehende. Manche Forscher behaupten, dafs die Scbreibbewegungen, soweit nicht sensorielle St\u00f6rungen in Frage kommen, mit den motorischen Sprachst\u00f6rungen eng Zusammenh\u00e4ngen. Allerdings\n15*","page":227}],"identifier":"lit31196","issued":"1900","language":"de","pages":"226-227","startpages":"226","title":"B. Bramwell: A Remarcable Case of Aphasia. Brain 21 (83), 343-373. 1898","type":"Journal Article","volume":"22"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:18:39.942811+00:00"}