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Zur Erläuterung unserer tachistoskopischen Versuche

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{"created":"2022-01-31T16:11:25.789768+00:00","id":"lit31305","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Erdmann, B.","role":"author"},{"name":"R. Dodge","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 22: 241-267","fulltext":[{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\nVon\nB. Erdmann und R. Dodge.\n(Mit 1 Fig.)\nW. Wundt hat in Form eines Aufsatzes: \u201eZur Kritik tachi-stoskopiseher Versuche\u201c {Philos. Studien XV, 287 \u2014 317) unsere \u201eUntersuchungen \u00fcber das Lesen auf experimenteller Grundlage\u201c (Halle 1898) einer Kritik unterzogen.\nDer Ton, in dem Wundt, wie in \u00e4hnlichen F\u00e4llen, so auch uns gegen\u00fcber redet, h\u00e4tte uns einen Anlafs gegeben, nicht zu antworten: die Form seiner Polemik charakterisirt ihn, nicht uns. Ebenso wenig bietet, wie sich zeigen wird, der sachliche Gehalt seiner Argumentationen Gr\u00fcnde, die eine Erwiderung erfordern. Aber das Ansehen, das unser Kritiker sich durch seine Verdienste um die Entwickelung der physiologischen Psychologie erworben hat, n\u00f6thigt uns, die Problemlage zu verdeutlichen, die seine Ausf\u00fchrungen zu verdunkeln geeignet sind.\nWundt\u2019s Kritik trifft die Bestandtheile unserer Untersuchungen nicht gleichf\u00f6rmig.\nDie Beobachtungen, durch die wir zur Construction unseres Apparats gef\u00fchrt wurden (Ps. U. S. 1\u201491), d. i. die Bestimmungen, welche die Bedingungen des Erkennens beim Lesen festlegen, werden von unserem Kritiker kaum gestreift. Er ber\u00fchrt sie nur in den SchlufsWorten, und zwar in einer Form, welche sie als unerheblich darstellen soll. Er beruft sich daf\u00fcr auf die Beobachtungen Javal\u2019s, \u201edafs die Gesichtslinie die Zeile entlang einen vollkommen horizontalen Weg beschreibt, um dann am Ende der Zeile in einem Bogen zur n\u00e4chsten \u00fcberzugehen\u201c, was wir seinem haupts\u00e4chlichen Inhalt nach als bekannt voraussetzten, \u201edals diese Bewegung regelm\u00e4fsig im oberen Dritttheil der Zeile\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 22.\t16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nB. Erdmann und R. Dodge.\nverl\u00e4uft\u201c, was nicht allgemein gilt und durch unsere Er\u00f6rterungen \u00fcber die Schriftworte als optische Ganze berichtigt wird; und glaubt sie durch die Bemerkung bei Seite geschoben, dafs unsere Berechnungen nur \u201esehr approximative Ergebnisse\u201c liefern k\u00f6nnen.\nDer wesentliche Bestand der von unserem Kritiker so dargestellten Beobachtungsergebnisse ist der folgende. Wir haben in ihnen nachgewiesen, dafs beim Lesen jeder Zeile ein regel-m\u00e4fsiger Wechsel von Ruhepausen und Augenbewegungen stattfindet Wir fanden, dafs die Anzahl dieser beiden Phasen f\u00fcr das Lesen einer Zeile unter gleichartigen Bedingungen (Zeilen-gr\u00f6fse, Satz, gel\u00e4ufige, un gel\u00e4ufige, muttersprachliche, fremdsprachliche Texte, Correcturlesen, Schriftzeilen) nahezu constant ist. Auf Grund der Messungen f\u00fcr die Winkelgeschwindigkeiten der Augenbewegungen von Helmholtz -L am a nsky und erneuter Messungen nach \u00e4hnlicher Methode von Dodge ermittelten wir, dafs die Gesammtzeit f\u00fcr das Lesen einer Zeile in einen sehr kleinen Bruchtheil f\u00fcr die Augenbewegungen, und einen sehr grofsen Bruchtheil f\u00fcr die Ruhepausen zerf\u00e4llt. Eine Discussion der Erregungsbedingungen f\u00fcr die Netzhaut w\u00e4hrend des Verlaufe einer Augenbewegung ergab, dafs ein Erkennen der Schriftzeichen w\u00e4hrend dieses Verlaufs ausgeschlossen ist; und wir konnten dies durch specielle Versuche best\u00e4tigen. Es folgte somit, dafs jene Ruhepausen f\u00fcr die successiven Fixationslagen als Le 8 e paus en zu charakterisiren sind. Von hier aus wurde es m\u00f6glich, den durchschnittlichen Umfang der \u201eLesefelder\u201c, d. i des Blickgebiets w\u00e4hrend einer Lesepause, sowie die Modificationen ihrer Einschr\u00e4nkungen im Verh\u00e4ltnifs zu den Gebieten gleich-m\u00e4fsig deutlichen Erkennens zu bestimmen, die inneren und \u00e4ufseren Abweichungen der Stellen directer Fixation von den Anfangs- und Endpunkten der Zeilen zu ermitteln, und wenigstens ann\u00e4hernd durch negative Nachbilder die Fixationslagen in den mittleren Gebieten der Zeilen festzustellen.1\nDiese Versuchsergebnisse forderten die Construction eines Apparats, der es im Unterschiede von den bisher benutzten m\u00f6glich macht, die Lesepausen zu isoliren, und die \u00fcbrigen Bedingungen des Lesens, soweit sie das Erkennen der Schrift-\n1 Man vgl. die eingehende Analyse des ersten Theils unserer Arbeit von Mahtinak in dieser Zeitschrift 20, 361 f.","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n243\nZeichen und die Reproduction der ihnen entsprechenden Laute betreffen, in bestimmter Weise zu variiren.\nEine erste conditio sine qua non f\u00fcr diese Isolirung liegt darin, dafs die exponirten Schriftzeichen simultan dargeboten werden : eine Bedingung, welche die meisten bisher zu verwandten Untersuchungen benutzten binocularen Instrumente, insbesondere die Falltachistoskope und der Apparat Goldscheider\u2019s, gar nicht, andere, wie der Apparat Sanford\u2019s, nur unter mangelhaften Fixa-tionsbedingungen erf\u00fcllen.\nW\u00fcndt verkennt den maafsgebenden Einflufs dieser Bedingung auf die Construction unseres Apparats: die Versuchsergebnisse, von denen aus sie erforderlich wurde, ber\u00fchrt er kaum. Er mufs anerkennen, dafs in den Apparaten, deren Construction er vertheidigt, \u201edie oberen Theile eines Objectes schon sichtbar werden, w\u00e4hrend die unteren noch verdeckt sind, und dafs ebenso die oberen schon wieder verdeckt werden, w\u00e4hrend die unteren noch kurze Zeit sichtbar bleiben.\u201c Aber er glaubt auf Grund einer nachtr\u00e4glichen Sch\u00e4tzung jener zeitlichen Differenzen speciell f\u00fcr Schriftzeichen, diesen Mangel als belanglos hinstellen zu d\u00fcrfen. So kommt er zu den Erkl\u00e4rungen, dafs er der Simultaneit\u00e4t der Exposition \u201eallerdings den eminenten Werth nicht beilegen\u201c k\u00f6nne, den wir ihr \u201eaugenscheinlich zuerkennen\u201c; ferner dafs wir, \u201ewie es scheint, wegen dieser Nachtheile jene Apparate ganz und gar verwerfen\u201c (W. 303, 302); ja sogar, dafs man \u201esich bei dem An- und Abschwellen der Lichtst\u00e4rke in unseren Expositionen, deren Grenzen wir genauer bestimmt haben, \u201ein der That ebenso beruhigen k\u00f6nne, wie bei der Benutzung des Falltachistoskops mit der Beobachtung, dafs das Gesichtsfeld f\u00fcr die Wahrnehmung simultan, nicht successiv erscheint und wieder verschwindet.\u201c\nUeber die Berechtigung dieser Erkl\u00e4rungen unseres Kritikers wolle der Leser entscheiden.\nEine zweite nothwendige Bedingung f\u00fcr die Isolirung der Lesepausen liegt darin, die Expositionsdauer so kurz zu halten, dafs jede reagirende Augenbewegung (speciell auch in der Versuchen \u00fcber Reactionszeiten) ausgeschlossen blieb, und zugleich so lang, dafs sie den Durchschnittszeiten f\u00fcr eine Lesepause m\u00f6glichst nahe kam. Wir haben zu dem Zweck die Dauer er-\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nB. Erdmann und B. Dodge.\nfolgreicher reagirender Blickbewegungen gemessen (S. 116\u2014127).1 Aus welchen Gr\u00fcnden Wundt die von uns gefundene Methode dieser Messung \u201enicht f\u00fcr einwandsfrei\u201c h\u00e4lt, hat er nicht erw\u00e4hnt, da er aus anderen Gr\u00fcnden unsere Expositionszeit von 0,1\" zu diesem Zwecke ausreichend findet.\nAuch auf den dritten Theil unserer Untersuchungen, auf die Kritik der psychologischen Voraussetzungen f\u00fcr die Ableitung psychischer Zeiten, die kritischen Bemerkungen zur Ableitung psychischer Zeiten f\u00fcr die Vorg\u00e4nge beim Lesen, sowie unsere Versuche ad\u00e4quater Lautreactionen auf Schriftzeichen und die Analyse dieser Zeiten als Lesezeiten (S. 203\u2014340) ist W\u00fcndt nicht eingegangen. Er findet sich mit ihnen durch die Bemerkung ab, unsere Versuche seien unbrauchbar, weil wir auf die wesentlichen Vorbedingungen der Reaction, speciell die Unterschiede der motorischen und sensorischen Reactionen \u201egar keine R\u00fccksicht genommen\u201c h\u00e4tten, weil ferner unsere Analyse der sogenannten Erkennungs-, Unterscheidungs- und Wahlzeiteu, sowie der von Spencer und ihm sogenannten Assimilation bewiesen, \u201ewir h\u00e4tten es nicht der M\u00fche f\u00fcr werth gehalten, uns mit seinen psychologischen Arbeiten eingehender zu besch\u00e4ftigen.\u201c\nSolche Bemerkungen bieten zu einer Erwiderung keinen Anlafs. Unsere kritischen Ausf\u00fchrungen, die wir uns bewufst sind, auch Wundt gegen\u00fcber rein sachlich gehalten zu haben, verfolgen lediglich den Zweck, den abweichenden Gang unserer Reactions versuche und unserer Deutung der Ergebnisse derselben zu rechtfertigen. Die Bedingungen unserer Aufmerksamkeitsspannung haben wir deutlich angegeben. Wir haben allerdings Bedenken getragen, unsere Reactionen als F\u00e4lle der von Lange und Wundt sogenannten sensorischen Reactionen zu bezeichnen. Aber wir haben den Unterschied der sogenannten muscul\u00e4ren und sensoriellen Reactionen, auf den wir gar keine R\u00fccksicht genommen haben sollen, ausdr\u00fccklich erw\u00e4hnt (Ps. U. 212, 244), und \u00fcberdies f\u00fcr den Kundigen keinen Zweifel dar\u00fcber offen gelassen, dafs unsere Reactionen, die bedenkliche Unterscheidung als g\u00fcltig vorausgesetzt, durchweg den sensoriellen zugeh\u00f6ren. Die Erkenntnifs, dafs solche Versuche \u201ezu den schwie-\n1 Genauere Bestimmungen bei R. Dodgb, The Reaction Time of the Eye (Psychological Review 8, 477 f.).","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n245\nrigaten Aufgaben der experimentellen Psychologie geh\u00f6ren\u201c, ist nicht nur, wie wir hoffen, durch unsere kritischen Ausf\u00fchrungen gegen die Deutungen dieser Versuche durch Dondees, Wundt und Cattell best\u00e4tigt, sondern hat auch die Wahl gleichf\u00f6rmiger K\u00fcrze unserer Expositionszeiten, sowie die vorsichtig begrenzten Deutungen unserer Messungsergebnisse zur Folge gehabt, durch die sich unsere Versuche von den aus Wundt\u2019s Laboratorium hervorgegangenen nicht eben unwesentlich unterscheiden.\nDer sachliche Gehalt von Wundt\u2019s Kritik ist demnach lediglich gegen die Versuche gerichtet, auf deren Grundlage wir den Erkenntnifsbestand w\u00e4hrend der experimentell isolirten Lesepausen festzustellen und zu analysiren suchen, d. i. gegen die Ausf\u00fchrungen in den Capiteln V\u2014VII, sowie eines Theiles von Capitel VIII unserer Schrift (S. 128\u2014202). Er ist auf einer kritischen Er\u00f6rterung der Leistungen unseres Apparats aufgebaut\nDer Gesammtbestand dieser Kritik l\u00e4fst sich auf zwei Argumentationsreihen zur\u00fcckf\u00fchren :\nI. In allen f\u00fcr uns wesentlich gewordenen Versuchen verh\u00e4lt sich nach den von uns mitgetheilten Messungen1 die Helligkeit unseres prim\u00e4ren Gesichtsfeldes, welches die genaue Einstellung auf die zu exponirenden Schnftzeichen erm\u00f6glicht, zur Helligkeit des Expositionsfeldes, wie 1 : 12. Wundt sucht zu deduciren, dafs durch diesen Helligkeitswechsel Adaptations-St\u00f6rungen bedingt seien, welche er \u201ef\u00fcr geradezu verheerend\u201c h\u00e4lt, \u201ewenn es sich im Moment des Sichtbarwerdens eines Objects um psychologische Beobachtungen handelt\u201c\nH. Die geringe Helligkeit unseres prim\u00e4ren Gesichtsfeldes, das nach jeder Exposition als reagirendes Licht wirkt, bedingt nach Wundt eine abnorm lange Dauer des Nachbildes. Er sch\u00e4tzt diese bei den genannten Expositionen von 0,1 \" Dauer auf 0,15\", so dafs die ganze interpretationsf\u00e4hige Netzhaut* erregung, die \u201eBilddauer\u201c, 0,25\" betragen habe. Diese lange Bilddauer l\u00e4fst ihm zufolge die M\u00f6glichkeit offen, dafs ein mehrfaches \u201eWandern der Aufmerksamkeit\u201c stattgefunden habe; und\n1 In den fr\u00fcheren, \u00e4hnlich abgezweckten Versuchen fehlen solche Messungen, auch die Angaben, welche eine hinreichend sichere Sch\u00e4tzung erm\u00f6glichen.","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"246\nB. Erdmann und R. Dodge.\nunsere Versuchsergebnisse bei der Exposition l\u00e4ngerer Worte beweisen ihm zufolge, dafs ein solches Wandern der Aufmerksamkeit eingetreten sein m\u00fcsse.\nWundt giebt diesen seinen Ausstellungen eine Einkleidung, welche uns n\u00f6thigt hervorzuheben, dafs sie nicht den von uns construirten tachistoskopischen Apparat, sondern lediglich die Versuchsbedingungen treffen, die wir als entscheidende gew\u00e4hlt, und in den mitgetheilten Versuchen tachistoskopischen Charakters fast ausschliefslich benutzt haben. Unser Apparat fordert weder die eine, noch die andere jener Helligkeiten. Er l\u00e4fst vielmehr zahllose Variationen beider zu. Jene Bedingungen haben daher \u201emit der Frage der Brauchbarkeit oder Unbrauchkarkeit des Apparates nichts zu thun.\u201c\nDie Wahl unserer Versuchsbedingungen, wie wir demnach sagen m\u00fcssen, glaubt Wundt daraus herleiten zu d\u00fcrfen, dafs wir den \u201ephysiologischen Standpunkt\u201c, wie er sich ausdr\u00fcckt, \u201evernachl\u00e4ssigt\u201c h\u00e4tten. Durch folgende eigenartige Argumenter tion leitet er diese oft von ihm wiederholten Wendungen ein: \u201eDie Verfasser der Untersuchungen \u00fcber das Lesen sind Philosophen und Psychologen. Sie haben ihre Arbeit im psychologischen Interesse unternommen. Dabei haben sie selbstverst\u00e4ndlich auch die physikalische Seite der Apparatentechnik ber\u00fccksichtigt Aber was zwischen dem Physikalischen und Psychologischen in der Mitte liegt, das Physiologische, ist in ihrer Er\u00f6rterung durchweg zu kurz gekommen.\u201c\nDie Wahl unserer Versuchsbedingungen hatte etwas andere Gr\u00fcnde, als solche vermeintliche Nachl\u00e4ssigkeit gegen\u00fcber elementaren Vor\u00fcberlegungen. Sie war das Resultat einer langen Reihe von Vorversuchen, denen ein zweifaches Ziel zu Grunde lag. Wir suchten eine prim\u00e4re Belichtung, welche der erforderlichen scharfen Aufmerksamkeitsspannung m\u00f6glichst g\u00fcnstig war, und zugleich im Hinblick auf die Versuchsergebnisse von Hklmholtz-Baxt ein reagirendes, das die Nachbilder in einer f\u00fcr unsere Zwecke hinreichenden St\u00e4rke ausl\u00f6schte. Dals die Nachbilder nicht vollst\u00e4ndig ausgel\u00f6scht wurden, haben wir von Anfang an constatirt, und in unserer Arbeit wiederholt bemerkt\nUnsere Entscheidung war also gerade durch die Erw\u00e4gungen bedingt, welche wir nach unserem Kritiker vernachl\u00e4ssigt haben sollen. Aus welchen Gr\u00fcnden unsere Versuchsanordnung die","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n247\nvon ihm hervorgehobenen M\u00e4ngel in der That so weit beseitigt, als unser Ziel, die Lesepausen zu isoliren, dies m\u00f6glich erscheinen liefs, wird aus der speciellen Discussion seiner beiden Einw\u00e4nde ersichtlich.\nWir besprechen f\u00fcrs erste den Wechsel der Helligkeiten im Verh\u00e4ltnifs von 1:12. Dieser Wechsel entsteht dadurch, dafs die Helligkeit unseres prim\u00e4ren Gesichtsfeldes nahezu pl\u00f6tzlich in die Expositionshelligkeit des Hintergrundes der exponirten Buchstaben \u00fcbergeht\nVon vornherein d\u00fcrfen wir es als unwahrscheinlich bezeichnen, dafs dieses Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnifs unseres Helligkeitswechsels (1 : 12) die verheerenden Wirkungen habe aus\u00fcben k\u00f6nnen, welche Wundt ihnen zuschreibt. Unser Kritiker hat \u00fcbersehen, dafs nicht nur in den tachistoskopischen Apparaten seiner Sch\u00fcler, wie denen von Lange und Cattell, an deren Versuchsergebnissen er gegen\u00fcber den unsrigen festhalten zu d\u00fcrfen glaubt, sondern auch in den von ihm selbst beschriebenen Apparaten, dem grofsen Falltachistoskop (Phys. Psych. II, 291) sowie dem etwas anspruchsvollen Pendeltachistoskop (a. a. O. H, 335) gr\u00f6fsere Helligkeitsdifferenzen gleicher Function vorhanden sind, als bei uns 1 In allen diesen Apparaten ist das prim\u00e4re Gesichtsfeld schwarz, w\u00e4hrend die exponirten Schriftzeichen auf weifsem Hintergrund auftreten. Das ergiebt, wenn wir das Schwarz auch nur als ein m\u00e4fsiges ansetzen, eine Helligkeitsdifferenz zwischen dem Fixations- und dem Expositions-Hintergrund, die nicht unter 1 : 25,1 also rund das Doppelte unserer Helligkeitsdifferenz betragen wird. Haben diese Differenzen jene von W\u00fcndt behaupteten verheerenden Wirkungen nicht herbeigef\u00fchrt, wie h\u00e4tten unsere, etwa halb so grofsen sie zur noth-wendigen Folge haben k\u00f6nnen?\nBemerkt haben wir von solchen Wirkungen, welche nach Wundt\u2019s Meinung \u201enicht nur die objective Auffassung des Bildes beeintr\u00e4chtigen, sondern namentlich auch die subjective Beobachtung der Wahrnehmungsvorg\u00e4nge sehr erschweren\u201c sollen\n1 Die von A. Kibschmann (Ein photometrischer Apparat zu psychophysischen Zwecken, in Wundt\u2019s Philos. Studien 5, 292) angestellten Versuche ergaben f\u00fcr die Helligkeitsverh\u00e4ltnisse weifser und geschw\u00e4rzter Cartons in diffusem Tageslicht bei Pariser Schwarz 1 : 57,2 ; bei chinesischer Tusche 1:20,2. Ueber das Schwarz der Fixationsscheiben bei den oben genannten Apparaten haben wir bestimmte Angaben nicht gefunden.","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nB. Erdmann und R. Dodge.\n(W. 301), schlechterdings nichts, so wenig, wie anscheinend seine Sch\u00fcler und er selbst bei den gr\u00f6fseren Differenzen, mit denen sie gearbeitet haben. Diese Ergebnisse sind selbstverst\u00e4ndlich durchweg \u201eauf die Art und Weise\u201c gest\u00fctzt, \u201ein der die exponirten Objecte sichtbar werden\u201c (W. 305), so weit diese Art und Weise sich in dem Bewufstseinsgehalt der Wahrnehmung und Erinnerung kundgiebt ; und wir haben in dem Schlufskapitel (S. 323 bis 345), das Wundt nicht ber\u00fchrt, von den Ergebnissen unserer \u201esubjectiven Beobachtung\u201c Rechenschaft gelegt. Inwieweit der einzige Grund f\u00fcr jene \u201eErschwerung\u201c, den unser Kritiker an-giebt, f\u00fcr unsere Versuche von ihm richtig deducirt ist, wird sp\u00e4ter ersichtlich werden.\nWir haben sogar unter unseren Versuchsbedingungen mehr erkannt, als unsere Vorg\u00e4nger, und vermochten darauf hin, eine speciellere Analyse, wie des Erkenntnifsinhaltes, so der Erkennt-nifsbedingungen beim Lesen vorzunehmen. Jene vermeintlichen Wirkungen sind daher durch unsere Ergebnisse schlechthin ausgeschlossen. .\nWir d\u00fcrfen jedoch mehr behaupten. Aus den physiologischen Daten \u00fcber den Verlauf der Netzhauterregungen beim Lesen, die wir im ersten Theil unserer Arbeit er\u00f6rtert haben, folgt, dafs man, selbst wenn eine Isolirung der Sehpausen ohne einen Helligkeitswechsel mittleren Werthes ausf\u00fchrbar w\u00e4re, doch davon absehen m\u00fcfste, solche Bedingungen zu benutzen. Denn jene Daten enthalten die Beweisgr\u00fcnde, dafs der von uns gew\u00e4hlte Intensit\u00e4tswechsel der normalen Erregungslage beim Lesen so weit nahe kommt, als die schlechterdings nothwendige Isolirung des Lesepausen zul\u00e4fst.\nWir sind gezwungen, diese Daten zu recapituliren. Analoge Unterschiede der Belichtung, wie sie in unseren Versuchen das ruhende Auge erf\u00e4hrt, treten fast bei jeder Blickbewegung auf. Beim Lesen sind sie normaler Weise stets vorhanden. Denn w\u00e4hrend des Lese Verlaufs untersteht die Netzhaut Reizbedingungen, welche eine gleichf\u00f6rmige Erregung durch den weife\u00f6n Untergrund der Buchstaben ausschliefsen. F\u00fcrs erste ergeben die Helligkeitsdifferenzen der schwarzen Schriftzeichen gegen\u00fcber dem weifsen Untergrund, der sie umgiebt, in sie hiueinreicht oder in ihnen eingeschlossen enthalten ist, in jeder Lesepause entsprechende Erregungsdifferenzen der Netzhaut. In diesen Erregungsdifferenz beginnt das Auge von dem Fixationspunkt einer","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n249\nLesepause zum n\u00e4chsten fortzuschreiten. W\u00e4hrend dieser Bewegung unterliegt die Netzhaut einem schnellen Reizwechsel der schwarzen und weifsen Bestandtheile des Lesegebiets, das vom Auge durchwandert wird, in der Weise, die wir specieller beschrieben haben.\nEs bedarf allerdings kaum des Eingehens auf diese speciellen Bedingungen der Netzhauterregung beim Lesen, um deutlich zu machen, dafs ein Intensit\u00e4tsWechsel mittleren Grades f\u00fcr jeden Apparat erforderlich ist, der geeignet sein soll, die Erkenntnifs-bedingungen f\u00fcr das Lesen feststellen zu lassen.\nEs gen\u00fcgt schon, den simultanen Contrast in Betracht zu ziehen, in dem sich uns, wie wir ausgef\u00fchrt haben, jedes Schriftzeichen, jeder Buchstabe wie jedes Wort als optisches Ganze dar bietet, um deutlich zu machen, dafs die Netzhaut, welche am zweckm\u00e4fsigsten auf einen neuen Wortreiz vorbereitet ist, weder von einem starken gleichf\u00f6rmigen Weifs erm\u00fcdet, Doch auf ein gleichf\u00f6rmiges dunkles Grau adaptirt sein darf.\nDer unbefangene Leser wird hiernach entscheiden k\u00f6nnen, ob der Vorwurf mangelnder R\u00fccksicht auf die physiologischen Daten, welche hier in Frage kommen, aber von unserem Kritiker ignorirt werden, unsere Wahl der Versuchsbedingungen in der That trifft.\nEbenso verungl\u00fcckt, wie diese erste Argumentation unseres Kritikers ist seine zweite, welche sich auf die scheinbare Dauer der als Nachbild gefafsten nachwirkenden Erregung der Netzhaut bei unseren Versuchen st\u00fctzt Die Beweisgr\u00fcnde daf\u00fcr sind folgende.\nDie Grundlage von Wundt\u2019s Argumentation besteht in einem Analogieschlufs von der Nachbilddauer des elektrischen Funkens bei Dunkel adaption auf die Bedingungen unserer Versuche. Jene wird auf rund 0,1\" gesch\u00e4tzt, diese in R\u00fccksicht auf unsere prim\u00e4re Helligkeit zu 0,15\", so dafs die Dauer der interpreta-tionsf\u00e4higen Netzhauterregung bei 0,1\" Expositionszeit 0,25\" betragen haben soll.\nEin Analogieschlufs ist soweit berechtigt, als die Bedingungen des erschlossenen Falls den Bedingungen des gegebenen gleichartig sind.\nEs fragt sich daher, wie weit die von unserem Kritiker vorausgesetzte Gleichartigkeit der Bedingungen hier vorliegt. In Wirklichkeit sind diese Bedingungen recht verschieden. Unsere","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nB. Erdmann und B. Dodge.\nExpositionshelligkeit entspricht nicht der Helligkeit des elektrischen Funkens; die prim\u00e4re und reagirende Helligkeit in den Versuchen von 0,1\" Expositionszeit entspricht nicht dem Dunkel, das in den Versuchen mit dem elektrischen Funkten eine Dunkeladaption nothwendig macht.\nWundt bemerkt: \u201eAngesichts dieser bekannten phyisologi-schen Verh\u00e4ltnisse (er beruft sich auf die Versuche Feddersen\u2019s) hat es, wie man sieht, sehr wenig Zweck, sich in umsichtigen Er\u00f6rterungen dar\u00fcber zu ergehen, wie grofs in Tausendtheilen einer Secunde ausgedr\u00fcckt die Expositionszeit eines Eindrucks gewesen sei, oder die H\u00fclfsmittel zu er\u00f6rtern, die angewandt werden k\u00f6nnen, um ganz kleine Ungleichheiten dieser Zeit, die sich,\u201c wie er sagt \u201ein der dritten oder vieren D\u00e9cimale der Secunde bewegen\u201c, zu vermeiden.\nJene Er\u00f6rterungen waren doch wohl nicht ganz \u00fcberfl\u00fcssig. Wundt erkennt selbst an, \u201edafs man \u00fcber die Berechnungsweise der absoluten Expositionsdauer der Sehobjecte beim Falltachisto-skop im Zweifel sein kann\u201c (W. 292) ; er wird auch bereit sein zuzugeben, dafs seine jetzigen Sch\u00e4tzungen dieser Dauer die Zweifel nicht heben; er hat endlich durch diese Sch\u00e4tzungen anerkannt, dafs solche Bestimmungen angezeigt sind. Jene Er\u00f6rterungen h\u00e4tten ihm sogar Gelegenheit bieten sollen, unsere Helligkeitsmessungen etwas sch\u00e4rfer in Betracht zu ziehen. Solche Achtsamkeit h\u00e4tte ihm gezeigt, dafs die Grundlagen seines Analogieschlusses hinf\u00e4llig sind ; und er w\u00e4re davor bewahrt geblieben, unsere Versuche mit verschiedener Expositionsdauer in der sonderbaren Weise zu behandeln, deren er sich schuldig macht.\nWundt berichtet, dafs unser Apparat zwar Expositionen von 0,01\"\u20140,00025\" Dauer gestatte, dafs wir jedoch \u201ein Wirklichkeit nur die einfachere Vorrichtung angewandt\u201c h\u00e4tten, welche Expositionen von 0,1\" bedingt (W. 302), und weiterhin (W. 304), dafs wir \u201evon diesem Vorz\u00fcge unseres Apparats (kurz andauernde Expositionen zu benutzen) gar keinen Gebrauch gemacht, sondern immer mit derselben Dauer von 0,1\" gearbeitet\u201c h\u00e4tten. Wenige Seiten vorher (W. 295) bespricht er jedoch in gleich zu erw\u00e4hnender Weise Ergebnisse unserer Versuche bei 0,00025\u201c Expositionszeit, und begeht zudem durchweg das Versehen, die Bedingungen dieser Versuche mit kurzzeitigen Expositionen auf die Versuchsbedingungen bei 0,1\" Expositionsdauer zu beziehen.","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n251\nUnser Kritiker h\u00e4tte es doch der M\u00fche f\u00fcr werth halten sollen, sich mit unserer Arbeit etwas eingehender zu besch\u00e4ftigen, ehe er sie zum Gegenstand seiner Besprechung machte.\nWir haben auf unsere, sehr zahlreichen kurzzeitigen Versuche wiederholt hingewiesen, sie aber nirgends specieller dargestellt, weil sie in Folge der Gr\u00fcnde, die f\u00fcr die Versuche bei 0,1\" Expositionszeit sprachen, in dem Gedankengang unserer abschliefsenden Untersuchung nur eine secund\u00e4re Rolle spielten, nur zum Vergleich und zur Controlle der Versuchsergebnisse bei 0,1\" heranzuziehen waren.\nIn diesem Sinne besprachen wir (S. 136/7) auch unsere Versuche bei 0,00025\" Expositionszeit, in folgenden Worten: \u201eWir konnten, damals an kurze Expositionszeiten gew\u00f6hnt, bei diesen Versuchen (0,00025\") niemals ein Bewufstsein daran constatiren, dafs die Dauer der Exposition eine besonders kurze sei. Nur die Lichtschw\u00e4che des Expositionsfeldes machte sich charakteristisch geltend. Die Buchstaben erschienen auf dem helleren Grunde als schwache Schatten. Und dies, obgleich wir uns, um \u00fcberhaupt etwas zu erkennen, gezwungen sahen, das Gesichtsfeld vor der Exposition so weit zu verdunkeln, dafs der Fixationspunkt erst nach l\u00e4ngerer Adaptation (15 Minuten) deutlich erkennbar wurde, obgleich ferner mit Schlufs der Exposition die gleiche Dunkelheit eintrat, die Nacherregung also unter besonders g\u00fcnstigen Bedingungen stattfand.\u201c\nDer Schlufssatz kn\u00fcpft unsere Nachbild-Erfahrungen bei diesen Versuchen an die abweichenden Erfahrungen unserer Versuche mit 0,1\" Expositionsdauer, und reicht zur\u00fcck auf die Nachbild-Erfahrungen bei Helmholtz-Baxt, die wir in der Einleitung genauer (S. 12 f.) besprochen hatten. Welchen Einflufs die letztgenannten Erfahrungen auf unsere Wahl des reagirenden Lichts hatten, haben wir bereits erw\u00e4hnt\nTrotz dieser und verwandter Mittheilungen sowie unserer sonstigen Bemerkungen \u00fcber die Modalit\u00e4ten der Netzhaut-Erregung glaubt unser Kritiker uns die Annahmen imputiren zu d\u00fcrfen, dafs Expositionsdauer und Gesammtdauer der Netzhauterregung zusammenfielen, dafs die Verl\u00e4ngerung der Expositionszeit immer auch die Gesammtdauer der interpretationsf\u00e4higen Netzhauterregung, der von ihm sogenannten Bildzeit verl\u00e4ngere, dafs \u2014 wir k\u00f6nnen seine Worte nur nachschreiben \u2014 \u201eaus der zeitlichen","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nB. Erdmann und R. Dodge.\nConstanz der Versuchsanordnung auf die zeitliche Constanz der Bild Wirkung zu schliefsen sei.\u201c\nWir brauchen nicht zu bemerken, dafs keine dieser Naive* t\u00e4ten von uns ausgesprochen ist, auch kaum hinzuzuf\u00fcgen, dafs nichts berechtigt, sie in unsere Darlegung hineinzudeuten.\nAuf Grund dieser Deutung interpretirt Wundt unsere oben citirte Bemerkung \u00fcber die Versuche bei 0,00025\u201c Expositionszeit, die wir nach seinen gleichfalls citirten Angaben niemals gemacht h\u00e4tten, trotz ihres Schlufssatzes folgendermaafsen (W. 295) : \u201eDarum ist es nicht zu verwundern, dafs E. und D. bei ihrem im Wesentlichen auf Dunkeladaptation eingerichteten Apparat bei sehr kurzen Expositionszeiten von 0,00025\u201c niemals ein Bewu\u00dftsein daran hatten, dafs die Dauer der Exposition eine sehr kurze sei. Eher ist es zu verwundern, dafs sie diese That-sache, wie es scheint, auf die Gew\u00f6hnung an kurze Expositionszeiten zur\u00fcckf\u00fchren.\u201c Es ist deutllich geworden, wie unschuldig wir an dem Schein einer solchen Interpretation sind ; also auch an einem Anlafs f\u00fcr den Zusatz Wundt\u2019s: \u201eZwar ist die Macht der Gewohnheit grofs, aber kurz dauernde Netzhautbilder in lang dauernde zu verwandeln, das vermag sie doch nicht\u201c, dessen Inhalt neuere Untersuchungen \u00fcber Nachbilder \u00fcbrigens principiell bedenklich machen.\nAuch aus den oben citirten Worten Wundt\u2019s (\u201ebei ihrem im Wesentlichen auf Dunkeladaptation eingerichteten Apparat\u201c) erhellt, wie er die Bedingungen der kurzzeitigen Expositionsversuche, die wir gar nicht an gestellt haben sollen, speciell der Versuche mit 0,00025\u201c Expositionsdauer, mit unseren Versuchsbedingungen bei 0,1\u201c vermengt.\nUnser Apparat ist weder, wie gezeigt (oben S. 247), auf \u201eDunkeladaptation\u201c eingerichtet, noch entsprechen einer solchen die von uns gew\u00e4hlten Bedingungen f\u00fcr das prim\u00e4re Licht bei 0,1\u201c. Es r\u00e4cht sich auch hier, dafs unser Kritiker unsere photometrischen Angaben \u00fcber die St\u00e4rke der prim\u00e4ren Helligkeit nicht hinreichend beachtet hat.\nIn der That ist unsere prim\u00e4re Helligkeit bei allen diesen Versuchen kein Dunkel, sondern entspricht der Lampenlichthelligkeit von einem Blatt weifsen Papiers, welche gestattet, Buchstaben der gew\u00f6hnlichen Gr\u00f6fse in Leseentfernung bequem erkennbar zu machen. Vergleichende Messungen (S. 107) haben uns gezeigt, dafs bei V.\u00ab unserer Expositionshelligkeit die Schrift-","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n253\nZeichen unserer kleinen Buchstaben noch deutlich erkennbar waren. Unser prim\u00e4res Licht besafs Via dieser Helligkeit, also die f\u00fcnffache St\u00e4rke derjenigen, welche unsere kleinen Buchstaben noch deutlich erkennen l\u00e4fst\nDementsprechend brauchten wir bei unseren entscheidenden Versuchen (0,1\u201c) \u00fcberhaupt keine Adaptation, wenn wir von der Belichtung unseres Arbeitszimmers mit Lampenlicht kamen ; nur wenige Minuten, wenn wir aus dem Tageslicht kommend zu beobachten begonnen. Unsere prim\u00e4re Helligkeit war sogar so grofs, dafs wir bei ihr nicht blofs unsere Schriftzeichen, sondern jede kleine Unf\u00f6rmigkeit unseres Gesichtsfeldes, feine Kratzstreifen oder Staubst\u00fcckchen erkennen konnten.\nNicht einmal bei unseren kurzzeitigen Expositionen war unser prim\u00e4res Gesichtsfeld schlechthin dunkel, wennschon es, speciell bei den Expositionen von 0,00025\u201c, betr\u00e4chtlich unter der Helligkeit des Lampenlichts blieb. Auch unter diesen Umst\u00e4nden aber betrug die Dauer der interpretationsf\u00e4higen Nacherregung, Wundt\u2019s sogenannte Bilddauer, nicht die H\u00e4lfte der Zeit, die Wundt glaubt f\u00fcr unsere Versuche \u00fcberhaupt (auch bei 0,1\u201c) erschliefsen zu d\u00fcrfen.\nWir haben diese Dauer der Nacherregung experimentell festzustellen versucht, als wir mit den sp\u00e4ter aufgegebenen kurzzeitigen Expositionen operirten, sie also nicht eben \u00fcbersehen. Es schien uns jedoch nicht angezeigt sie anzugeben, weil sie f\u00fcr die Vergleiche, zu denen die Ergebnisse dieser Versuche heranzuziehen waren, ohne Bedeutung bleiben, und wir die vorliegenden Mifsverst\u00e4ndnisse nicht voraussehen konnten. Jetzt werden jene Versuche bedeutsam. Sie verliefen folgendermaafsen.\nWir schicken voraus, dafs unsere kurzzeitigen Expositionen durch eine rotirende Scheibe vermittelt wurden, die, vor unsere Camera gestellt, eine Exposition nur dann m\u00f6glich macht, wenn ihr offener Sector zwischen Object und Linse steht. Die Function der F all scheibe besteht bei dieser Versuchsanordnung darin, eine Exposition zu erm\u00f6glichen, eine zweite jedoch auszuschliefsen. Wird die Fallscheibe in der Weise festgestellt, dafs sie den Weg f\u00fcr die Strahlen vom Expositionsobject zur Linse freil\u00e4fst, so entstehen nach einander so viele Expositionen, als Umdrehungen der rotirenden Scheibe erfolgen.\nWenn unter solchen Bedingungen die Expositionen verschmelzen, so mufs die Dauer der Nachbilder gr\u00f6fser sein, als","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\nB. Erdmann und R. Dodge.\ndie Zeit, welche durch die Differenz zwischen der Dauer f\u00fcr eine Umdrehung der rotire\u00fcden Scheibe und der gew\u00e4hlten Expositionsdauer gegeben ist.\nBei einer Expositionsdauer von 0,01\" und der geringsten von uns benutzten prim\u00e4ren Helligkeit, d. i. der Helligkeit des constanten Gesichtsfeldes, gaben wir unserer (etwas schweren) umdrehenden Scheibe die gr\u00f6fste f\u00fcr uns erreichbare Geschwindigkeit von 13 Umdrehungen f\u00fcr 1\".\nWir bemerkten unter diesen Umst\u00e4nden keine Spur einer Verschmelzung der aufeinander folgenden Expositionen von Schriftzeichen, obwohl das Verh\u00e4ltnifs zwischen Expositions- und prim\u00e4rer Belichtung durchaus umgekehrt erschien. Die Dauer der Nachbilder mufs demnach unter diesen Bedingungen weniger als 0,067\" (0,077\u20140,01 ; betragen, d. i. weniger als die H\u00e4lfte der Zeit, welche unser Kritiker auf Grund seines Analogieschlusses nach Obigem f\u00fcr unsere Versuche \u00fcberhaupt einsetzt (0,15\").\nEine experimentelle Pr\u00fcfung der Nachbilddauer f\u00fcr 0,1\" Expositionszeit haben wir nicht vorgenommen; unser Apparat war unter der Bedingung solcher Expositionsdauer dazu nicht geeignet Wir sch\u00e4tzen sie jedoch auf Grund der eben genannten Versuchsergebnisse, sowie im Hinblick auf die gr\u00f6fsere Intensit\u00e4t des reagirenden Lichts sicher genauer als unser Kritiker, wenn wir annehmen, dafs die Dauer der interpretationsf\u00e4higen Netzhauterregung bei diesen Versuchen den Betrag von 0,15\" (statt W\u00fcmjt\u2019s 0,25) nicht \u00fcbersteigt.\nWir haben dabei nicht in Betracht gezogen, dafs die Netzhaut eine Tr\u00e4gheit besitzt, durch welche die Gesammtdauer der Erregung ebenso sicher beeinflufst ist wie durch die Nachwirkung der Reize, durch die jene Gesammtdauer jedoch in entgegengesetztem Sinne ver\u00e4ndert wird. Der Zeitwerth dieser Erregungs-bedingung l\u00e4fst sich a priori nicht sch\u00e4tzen; experimentelle Bestimmungen dieses Werths sind uns nicht bekannt. Er mag auf 0,02\u20140,03\" zu veranschlagen sein.\nDamit stehen wir vor den letzten Einwendungen unseres Kritikers, vor der Hypothese, durch welche er die Differenz unseres Worterkennens von den Ergebnissen Cattell\u2019s, sowie unsere Deutung des mangelhaften Lesens von Buchstabenreihen ohne Silben- und Wortwerth glaubt erkl\u00e4ren zu k\u00f6nnen.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n255\nHier werden wir grober Vernachl\u00e4ssigung bekannter psychologischer Daten beschuldigt.\nDiese Vernachl\u00e4ssigung soll die von Wundt in seiner Kritik so genannte Wanderung der Aufmerksamkeit bei un verr\u00fcckter B\u00fccklage treffen.\nWundt\u2019s Hinweis auf diese Thatsachen n\u00f6thigt f\u00fcrs erste zu etwas genaueren Feststellungen.\nEs ist allgemein bekannt, dafs auch bei factisch sicherem Ausschlufs von Fixations\u00e4nderungen innerhalb des Gebietes deutlichen Erkennens zusammengesetzte Objecte nicht in allen ihren Theilen gleich deutlich erscheinen m\u00fcssen. Dafs Analoges auch f\u00fcr das Gebiet indirecten Sehens bei gesichertem Ausschlufs von Augenbewegungen (Belichtung durch den elektrischen Funken) g\u00fcltig ist, hat Helmholtz nachgewiesen. Wir haben in der Einleitung zu unserer Schrift einige seiner Beobachtungen hier\u00fcber mitgetheilt. Wir f\u00fcgen jetzt die Folgerung hinzu, die er aus ihnen an dem citirten Ort ableitet (Helmholtz, Berliner Sitzungsberichte 1892, S. 333 f. und Wiss. Abh. H, 951) : \u201eIch hatte bei meinen Versuchen immer einen dauernd hellen Punkt im dunklen Felde vor mir, den ich als Fixationspunkt benutzte. Dabei fand ich es m\u00f6glich, ohne diesen Fixationspunkt zu verlassen, die Aufmerksamkeit schon vor der Beleuchtung durch den Funken auf diesen oder jenen Theil des dunklen Feldes hinzurichten, und dann sah ich, was dort erschien. Es scheint mir dies eine Thatsache von grofser Wichtigkeit zu sein, weil sie zeigt, dafs das, was wir das willk\u00fcrliche Richten der Aufmerksamkeit nennen, eine von den Bewegungen der \u00e4ufseren beweglichen Theile unseres K\u00f6rpers unabh\u00e4ngige Ver\u00e4nderung in unserem Nervensystem ist, wodurch Reizungszust\u00e4nde gewisser Fasern vorzugsweise zum Bewufstsein gelangen.\u201c Dem entspricht die dritte der hierhergeh\u00f6rigen Gruppen von Thatsachen, dafs es unter bestimmten Bedingungen m\u00f6glich ist, auch bei ruhendem Auge einen Wechsel der Aufmerksamkeit eintreten zu lassen, der verschiedene Theile des constanten Gesichtsfeldes successiv verdeutlicht, die von Wundt so genannte \u201eWanderung der Aufmerksamkeit\u201c. Dafs diese nicht nur willk\u00fcrlich, sondern auch unwillk\u00fcrlich eintreten kann, bedarf keines Nachweises.\nAuf die Bemerkung Johannes Muller\u2019s, die Wundt heranzieht, w\u00fcrden wir uns allerdings nicht berufen. Schon deshalb","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nB. Erdmann und R. Dodge.\nnicht, weil M\u00fcller\u2019s Ausf\u00fchrungen weder an der von Wundt citirten Stelle (Handbuch der Phys. des Menschen II, 95), noch, wie wir hinzuf\u00fcgen m\u00fcssen, in der erl\u00e4uternden Erg\u00e4nzung, die er dieser giebt (a. a. O. II, 364) sicher machen, dafs er den Aufmerksamkeitswechsel bei ruhendem Blick, und nicht vielmehr die verschiedene Deutlichkeit bei successiven Blicklagen im Sinne gehabt hat; auch seine Angabe, dafs \u201edas Bild dasselbe bleibt\u201c l\u00e4fst beide Voraussetzungen zu. Vor Allem aber deshalb nicht, weil M\u00fclleb\u2019s Darstellung nicht erkennen l\u00e4fst, dafs bei seinen Beobachtungen Blick be wegungen in der That ausgeschlossen waren ; denn dieser Ausschlufs geh\u00f6rt, wie wir wiederholt zu betonen hatten, zu den schwierigsten Aufgaben optischer Beobachtungen. Bei M\u00fcller\u2019s Annahme, dafs die Augenbewegungen \u201efast mit Blitzesschnelligkeit\u201c erfolgen k\u00f6nnen, ist ein solcher Ausschlufs sogar recht unwahrscheinlich.\nAber es giebt, wie erw\u00e4hnt, andere Beobachtungen, welche die M\u00f6glichkeit eines Wechsels der Aufmerksamkeit bei im verr\u00fcckter Fixationslage sichern.\nEs bleibt daher die Frage, ob die Dauer der interpretationsf\u00e4higen Netzhauterregung bei unseren Versuchen mit 0,1\" Expositionszeit (die, wie wir gesehen haben, nicht mit W\u00fcndt auf \u201eallermindestens 0,25\" zu sch\u00e4tzen, sondern auf etwa 0,15\" anzunehmen ist) nicht hinreicht, einen einmaligen oder mehrmaligen Aufmerksamkeitswechsel auszul\u00f6sen, und so die von Wundt angenommenen Consequenzen herbeizuf\u00fchren.\nVorweg haben wir deutlich zu machen, dafs selbst wenn sich ein solcher Aufmerksamkeitwechsel f\u00fcr jene Dauer der Netzhauterregung nachweisen liefse, unsere Fragestellungen, und dementsprechend unsere Versuchsanordnungen nicht getroffen w\u00fcrden. Unser Kritiker hat auch hier den Fragepunkt verfehlt, weil er die Postulate f\u00fcr die Construction unseres Apparats, die aus der ersten Gruppe unserer Beobachtungen herfliefsen, nicht hinreichend gew\u00fcrdigt hat. Unsere Aufgabe bestand gar nicht darin, die M\u00f6glichkeit eines solchen Wechsels der Aufmerksamkeit auszuschliefsen, sondern die Lesepausen experimentell zu isoliren, die Erkenntnifsdaten zu analysiren, die in ihnen gewonnen werden, und die Vorg\u00e4nge zu bestimmen, die beim Lesen sich in ihnen vollenden und beginnen. Wir waren also an unsere Expositionsdauer und die ihr entsprechende Nachdauer der Erregung gebunden, deren summirter Zeitbetrag noch","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n257\nbetr\u00e4chtlich k\u00fcrzer ist, als die von uns bestimmte Durchschnitts-, dauer der normalen Lesepausen.\nH\u00e4tte sich uns als Aufgabe ergeben sollen, jenen Aufmerksamkeitswechsel auszuschliefsen, so h\u00e4tten Daten vorliegen m\u00fcssen, welche wahrscheinlich machen, dafs ein solcher Aufmerksamkeitswechsel beim normalen Lesen, sowie bei unseren Versuchsbedingungen eine Rolle spielt Dafs dies bei normalem Lesen nicht der Fall ist, folgt aus dem Umstand, dafs die k\u00fcnstlichen Bedingungen, die ihn \u2014 bei imverr\u00fcckter Fixation \u2014 erm\u00f6glichen, eine specielle, und nicht eben geringe Schulung erfordern. Wie k\u00fcnstlich diese Bedingungen sind, geht aus den Thatsachen hervor, denen zufolge die enge Correspondenz zwischen dem Aufmerksamkeitswechsel f\u00fcr Gegenst\u00e4nde der Gesichtswahrnehmung und entsprechenden Augenbewegungen l\u00e4ngst zu einem Gemeingut der physiologischen Optik geworden ist. Welche zeitlich bestimmten Angaben \u201eder fr\u00fcheren Beobachter\u201c gar \u201ewahrscheinlich machen\u201c, dafs jener Wechsel \u201eschneller vor sieh geht, als die Bewegungen des Fixationspunktes\u201c (W. 308), hat Wundt nicht mitgetheilt. Wir kennen solche Angaben nicht\nEs fragt sich demnach nur, inwiefern ein solcher Aufmerksamkeitswechsel bei unseren Versuchen thats\u00e4chlich vorgekommen ist, und welche Function ihm f\u00fcr die Ergebnisse dieser Versuche zugeschrieben werden mufs.\nWir haben unsere Angaben einfach festzuhalten. Wo unter unseren Versuchsbedingungen uneingepr\u00e4gte oder eingepr\u00e4gte, lange wie kurze W\u00f6rter oder Worte richtig gelesen wurden, waren wir, wie wir wiederholt betont haben, durchweg sicher, dafs sie unmittelbar und gleichf\u00f6rmig deutlich erkannt wurden (S. 1181), dafs also ein Aufmerksamkeitswechsel der in Frage stehenden Art schlechterdings ausgeschlossen war. Gleiches gilt von einer Reihe von F\u00e4llen des Verkennens. Nur wenn das Erkennen oder Verkennen unsicher blieb, fanden wir, wie gleichfalls angegeben ist, eine andere Sachlage. Auch in diesen F\u00e4llen aber haben wir nur Differenzen der Deutlichkeit des simultan Erkannten, nicht aber einen Wandel der Aufmerksamkeit w\u00e4hrend der Bilddauer constatirt In den optischen Erinnerungsbildern, sowie in den Formen abgeleiteter Vorstellungen, die wir als Einbildungserinnerungen charakterisirt haben, konnten wir das Spiel eines Wandels der Aufmerksamkeit bei unsicherem Erkennen allerdings wiederholt constatiren;\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie fi.\t17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nB. Erdmann und R. Dodge.\ndies haben wir in der Analyse des Schlufscapitels besprochen. Aber dieser, dem Erkennen, das wir in unseren Versuchen zu a-nalysiren hatten, nachfolgende Vorgang kommt f\u00fcr jenes Erkennen selbstverst\u00e4ndlich nicht in Betracht.\nDie Argumente, durch welche Wundt glaubt, seine Deutungen dieser unserer Versuchsergebnisse st\u00fctzen zu k\u00f6nnen \u2014 auf die Gr\u00fcnde f\u00fcr unsere Deutungen geht er nicht ein \u2014 sind folgende drei :\n1.\tDie lange Dauer unserer Bildzeit (die W. in der geschilderten Weise in unsere Versuche hineindeutet) macht einen Wandel der Aufmerksamkeit m\u00f6glich.\n2.\tEin solcher Wandel ist von Anderen thats\u00e4chlich nachgewiesen, wenn gr\u00f6fsere Gruppen von Zahlensymbolen entziffert werden.\n3.\tDer Umfang, in dem wir gr\u00f6fsere W\u00f6rter erkennen konnten, wird nur unter Voraussetzung eines wiederholten Wandels der Aufmerksamkeit erkl\u00e4rlich.\nGegen\u00fcber dem ersten Argument haben wir davon auszugehen , dafs die Dauer der interpretationsf\u00e4higen Netzhauterregung in unseren Versuchen nicht mindestens 0,25\", sondern, wie oben gezeigt, h\u00f6chstens etwa 0,15\" betrug.\nF\u00fcr die Annahme, dafs innerhalb dieser Zeit eine Wanderung der Aufmerksamkeitsspannung eintreten k\u00f6nne, fehlt jeder experimentelle Beleg. Wir selbst haben dies nicht nur in unseren fr\u00fcheren Versuchen niemals gefunden, sondern auch in neuen Versuchen, die jeder von uns vorgenommen hat, nicht zu constatiren vermocht. Wir finden vielmehr, dafs wir ohne Blickbewegung wie mit einer solchen in 1\" sechs solche Wanderungen nicht eintreten lassen k\u00f6nnen. Auch nach l\u00e4ngerer Uebung ist uns niemals gelungen, diese Anzahl zu erreichen. Es erscheint demnach, selbst wenn wir von den besonderen Bedingungen unserer Versuche vorerst absehen, w\u00e4hrend der Dauer der interpretationsf\u00e4higen Netzhauterregung von 0,15\" auch nur eine solche Wanderung ausgeschlossen, w\u00e4hrend unser Kritiker ohne experimentelle Belege f\u00fcr die Zeit von 0,25\", die er uns zudictirt, einen zweimaligen Wechsel dieser Art f\u00fcr uns wahrscheinlich findet\nUnsere Versuchsbedingungen kommen jedoch in erschwerender Wirkung ebenfalls in Betracht.","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tackistoskopischen Versuche.\n259\nF\u00fcr alle unsere Versuche gilt, dafs die Exposition eintrat, w\u00e4hrend unsere Aufmerksamkeit mit der gr\u00f6fsten erreichbaren Spannung auf einen Punkt unseres Gesichtsfeldes concentrirt war. Damit ist eine Bedingung eingef\u00fchrt, welche die M\u00f6glichkeit eines Wechsels der Aufmerksamkeit \u00fcber die exponirten Schriftzeichen so erschwert, dafs er selbst bei betr\u00e4chtlich l\u00e4ngerer Dauer der von Wundt so genannten Bildzeit schlechterdings ausgeschlossen sein w\u00fcrde. Man braucht nur zu versuchen, bei einer solchen Fixation jenen Aufmerksamkeitswechsel vorzunehmen, um sich von dem Widerstande zu \u00fcberzeugen, der ihm entgegentritt.\nZu dieser erschwerenden Bedingung, die den Modalit\u00e4ten der Exposition entstammt, kommt ferner bei deutlichem Erkennen (oder Verkennen) der Wahmehmungsinhalt der Exposition. Wir haben nachgewiesen, dafs in solchen F\u00e4llen auch gr\u00f6feere W\u00f6rter gleichf\u00f6rmig deutlich wahrgenommen wurden. Wuhdt bestreitet die M\u00f6glichkeit dieser Thatsache auf Grund seiner Hypothese mit folgenden Worten: \u201eNun erkennt Jedermann, der in Versuchen dieser Art einige Erfahrung hat, ohne Weiteres, dafs eine derartige Leistung, das Lesen eines Wortungeheuers von 19 bis 22 Buchstaben, ohne Wanderungen der Aufmerksamkeit absolut ein Ding der Unm\u00f6glichkeit ist\u201c\nEs hat sich der wissenschaftlichen Forschung manches als wirklich gezeigt, was auf Grund derartiger Berufungen als unm\u00f6glich behauptet worden ist.\nWir bemerken f\u00fcrs erste, was Wundt unterlassen hat zu erw\u00e4hnen, dafs diese W\u00f6rter zum Schlufs einer Versuchsgruppe dargeboten wurden, die mit der Exposition vierbuchstabiger Worte begann, und schrittweis bis zu jener H\u00f6he aufstieg, dafs ferner die W\u00f6rter \u201ezumeist Substantive, der Umgangssprache sowie der uns gel\u00e4ufigen wissenschaftlichen Terminologie entnommen\u201c waren. Aus Gr\u00fcnden, die wir hier zu wiederholen keinen Anlafs haben, durfte jedes dieser Worte nur einmal dargeboten werden. Aber wir waren mit den optischen Wortbildern, auf deren Bedeutung als optische Ganze wir speciell eingegangen sind, demnach vertraut. Wundt\u2019s Bemerkung: \u201eDabei ist wohl zu beachten, dafs . . . jede Vorbereitung durch vorangegangene Einwirkungen des gleichen Wortbildes ausgeschlossen war\u201c, erl\u00e4utert demnach nicht die Sachlage, sondern ist geeignet, sie zu verdunkeln.\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\nB. Erdmann und B. Dodge.\nSodann m\u00fcssen wir doch darauf aufmerksam machen, dafs solche deductive Kritik von Versuchsergebnissen immer bedenklich ist. Wir sind jener Thatsache f\u00fcr unsere Versuche sicher geworden, sowohl hinsichtlich der Gleichf\u00f6rmigkeit, wie hinsichtlich der Unmittelbarkeit des gleichf\u00f6rmigen Gesammtbildes. Es gelang uns, wie wir ausgef\u00fchrt haben (S. 179), \u201enicht einmal nachtr\u00e4glich, d. h. unmittelbar nach Schlufs der Exposition irgendwie bewufst zu werden, was an der gleichm\u00e4fsigen Deutlichkeit der Buchstabenz\u00fcge dem deutlich Wahrgenommenen, was der gr\u00f6beren Gesammtform zuzuschreiben sei.M\nWir haben demnach in diesen F\u00e4llen analoge Erfahrungen gemacht, wie Cattell sowie Goldschetder und M\u00fcller bei ihren sehr viel k\u00fcrzeren Expositionszeiten, und wir haben auf diese Uebereinstimmung bei anderer Gelegenheit (S. 178) hingewiesen. Es w\u00e4re deshalb doch wohl angezeigt gewesen, unsere Ergebnisse durch Versuche unter analogen Bedingungen zu pr\u00fcfen, um festzustellen, ob ein Aufmerksamkeitswechsel unter solchen Umst\u00e4nden vorhanden, \u00fcberhaupt nur m\u00f6glich ist.\nAuch der Bestand der Ged\u00e4chtnifsresiduen f\u00fcr die erkannten W\u00f6rter und Worte, der von uns in Anlehnung an den Herbabt-sehen Sprachgebrauch so genannten Apperceptionsmassen, deren Einflufs auf das Erkennen wir eingehend dargelegt haben, entscheidet gegen die Hypothese unseres Kritikers.\nJoh. M\u00fcller hebt zur Begr\u00fcndung der von Wundt citirten, oben besprochenen Bemerkung hervor: \u201eIndem wir eine zusammengesetzte Figur erblicken, pr\u00e4gen wir uns bald diesen, bald jenen Theil derselben lebhafter ein : wir nennen dies Aufmerksamkeit\u201c oder wie, er auch sagt, \u201eIntention\u201c . . . \u201eDurch die Mitwirkung dieser die Gesichtsempfindungen begleitenden Intention kommt es, dafs wir zuweilen aus sehr dunkelen Gesichtseindr\u00fccken doch eine ganz bestimmte Gestalt zu erkennen glauben.\u201c Analog urtheilt er in der oben erw\u00e4hnten erg\u00e4nzenden Ausf\u00fchrung (a. a. O. S. 364). Die Vermischung der Aufmerksamkeit mit ihren reproductiven Bedingungen, die hier zu Tage tritt, lassen wir unber\u00fchrt Den Antheil jener reproductiven Bedingungen hat M\u00fcller richtig erkannt. Er tritt in unseren Versuchen mit eingepr\u00e4gten Wortbildern deutlich hervor, und wir haben ihm durch die Analyse des optischen Wortganzen sowie durch die Bestimmung der apperceptiven Bedeutung der entsprechenden Ged\u00e4chtnifsresiduen f\u00fcr das vorliegende Gebiet","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n261\neine festere Begrenzung gegeben. Auf Grund der obigen Bemerkung gegen Wundt\u2019s Darstellung unserer blos einmaligen Exposition in den erw\u00e4hnten F\u00e4llen haben wir festzuhalten, dafs solche residualen Elemente der Wahrnehmung hier in gleicher Weise mitwirkten, wie in unseren zahlreichen Versuchen mit eingepr\u00e4gten Wortbildern, wenn auch nicht mit der gleichen Energie. Und sie treffen hier wie dort das optische Wortganze, hier nur mehr als dort das, was wir im Unterschiede von der speciellen Form des einzelnen Schriftbildes die gr\u00f6bere Gesammt-form des optischen Wortes genannt haben. Ist aber auch nur diese fest eingepr\u00e4gt, und dementsprechend leicht und sicher reproducirbar, so schafft sie Bedingungen, welche dazu helfen, den Expositionsinhalt bei grofsen W\u00f6rtern nicht weniger als bei kleinen gleichf\u00f6rmig deutlich zu machen. Wo aber solche Bedingungen mitwirken, bietet der Wahrnehmungsinhalt der Exposition mitsammt seiner nach wirkenden Erregung keinen An-lafs zu einem Aufmerksamkeitswechsel.\nK\u00fcrzer d\u00fcrfen wir uns gegen\u00fcber dem zweiten der oben angef\u00fchrten Argumente Wundt\u2019s fassen.\nW\u00fcndt beruft sich f\u00fcr dasselbe auf die Reactionsversuche, die Dr. Max Friedrich in dem Leipziger \u201eLaboratorium \u00fcber die Erkennung k\u00fcrzerer oder l\u00e4ngerer Zahlen\u201c schon 1883 ausgef\u00fchrt hat. Er erw\u00e4hnt aus ihnen: \u201eSobald man ... zu f\u00fcnf-bis sechsstelligen Zahlen \u00fcberging, so bemerkte man auf das Deutlichste, dafs diese nur durch Zerlegung in zwei H\u00e4lften gelesen werden konnten, d. h. die Aufmerksamkeit wanderte von der einen Zahlgruppe zur anderen\u201c (W. S. 310).\nWundt erw\u00e4hnt nicht, dafs Friedrich\u2019s Versuche, wie die meisten bisherigen Reactionsversuche, auch diejenigen auf Schriftzeichen, unter einer Bedingung angestellt sind, die wir auf Grund unserer Bestimmung der Lesepausen bei Er\u00f6rterung unserer Reactionsversuche als unzul\u00e4ssig nachgewiesen haben, so n\u00e4mlich, dafs die Exposition erst bei erfolgender Reaction aufgehoben wird. Es lag doch ein Anlafs vor, dies hervorzuheben. Denn die Dauer der blofsen Expositionszeit betr\u00e4gt demzufolge nach dem Gesammtmittel aus diesen Versuchen, um nur die k\u00fcrzesten dieser Zeiten (f\u00fcr F. und W.) herbeizuziehen, schon bei einstelligen Zahlen 0,320\" und 0,344\" Expositionszeit; und diese Dauer steigt bei vierstelligen Zahlen auf 0,481\" und 0,459\", bei f\u00fcnfstelligen auf 0,670\" und 0,573\", bei sechsstelligen auf","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nB. Erdmann und R. Dodge.\n1,043 \u201c und 0,817 Dafs damit die zeitlichen Bedingungen f\u00fcr Wanderungen der Aufmerksamkeit gegeben sind, versteht sich nach dem Gesagten von selbst Aber diese Bedingungen waren in unseren Versuchen eben nicht erf\u00fcllt Der Analogieschluss, den dieses Argument unseres Kritikers enth\u00e4lt, ist schon deshalb gleichfalls unzul\u00e4nglich, selbst wenn wir unbeanstandet lassen, dafs Wundt sich erlaubt, in Fbiedbich\u2019s Bemerkungen \u00fcber die Gliederung der Zahlengruppen, die von einer Wanderung der Aufmerksamkeit nichts enthalten {Philos. Studien I, 66), eine solche nachtr\u00e4glich durch ein rd. h.\u201c hinein zu legen.\nWie aber ist die Deduction aus dieser Deutung zu verstehen, die Wundt ihr anschliefst? Er sagt (W. 310): \u201eVermut hl ich kann man ein Wort aus 20 Buchstaben noch viel weniger in einem einzigen Acte der Aufmerksamkeit auffassen, als eine f\u00fcnf- oder sechsstellige Zahl.\u201c Es ist nicht \u00fcberraschend, dafs Wundt unsere Ausf\u00fchrungen \u00fcber die Schriftworte als optische Ganze ignorirt. Aber es ist doch \u00fcberraschend, dafs er die Unterschiede zwischen den Zahlen- und den Wortgebilden bei Seite l\u00e4fst, die noch in allen Versuchen \u00fcber die Bedingungen des Wort- und des Zahlenlesens hervorgetreten und hervorgehoben sind. Es ist deshalb nothwendig, an Bekanntes zu erinnern.\nEs besteht f\u00fcrs erste ein recht grofser Unterschied zwischen der Anzahl von Zifferngruppen, mit denen wir zu operiren haben, und der sehr viel geringeren Anzahl von Buchstabengruppen, die uns gel\u00e4ufige Worte bilden. Von jenen sind uns ferner verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig wenige in ihrem optischen Best\u00e4nde fest eingepr\u00e4gt, von diesen alle. Bei jenen geht die Einpr\u00e4gung \u00fcber Gruppen vierstelliger Zahlen im Durchschnitt nur selten hinaus; bei diesen findet sie, speciell beim Deutschen, auch f\u00fcr buch-stabenreiehe Worte nicht weniger statt als f\u00fcr kurze. F\u00fcr die Gesammtauffassung einer Zahl hat jeder Unterschied der Anzahl, der Gr\u00f6fse und der Anordnung der Ziffern eine Bedeutung, welche verlangt, dafs jede Ziffer deutlich erkannt und richtig gewerthet sein mufs. Ein Wort dagegen kann an seiner Ge-sammtform auch dann noch erkannt werden, wenn nur einzelne seiner Bestandtheile wahrnehmbar sind. Ja, wir haben gezeigt, dafs eingepr\u00e4gte W\u00f6rter mit gleichf\u00f6rmiger Deutlichkeit der einzelnen Buchstaben auch dann noch erkannt werden k\u00f6nnen, wenn in Folge der Expositionsbedingungen kein einzelner Buch-","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n263\nstabe deutlich wahrgenommen sein kann. Es kommt endlich hinzu, dafs unsere Ziffern gleichm\u00e4fsige H\u00f6he besitzen, die Buchstaben dagegen durch ihre H\u00f6hendifferenzen unterhalb, und insbesondere oberhalb der Zeilen die einzelnen Wortbilder zumeist charakteristisch von einander trennen; und damit h\u00e4ngt zusammen, dafs die Buchstaben unseres Alphabets sehr viel gr\u00f6fsere Formdifferenzen zeigen, als unsere Ziffern.\nWundt\u2019s Vernachl\u00e4ssigung dieser Unterschiede uns gegen\u00fcber macht ein Beispiel nicht \u00fcberfl\u00fcssig. Man vergleiche die Zahl:\nund das Wort:\n58327471839\nPhilosophie\nNiemand kann jene Zahl als ein Ganzes erfassen, ohne die Ziffern nach den Bedingungen unseres Zahlensystems von r\u00fcckw\u00e4rts aus in Gruppen zu zerlegen; kein des Lesens Kundiger bedarf einer solchen Zerlegung f\u00fcr das Wort. Denn die Vor-urtheile, die aus der psychiatrischen Hypothese des buchstabiren-den Lesens abgeleitet worden sind, d\u00fcrfen wir wohl auf Grund unserer Versuchsergebnisse als erledigt ansehen.\nWir haben es unn\u00f6thig gefunden, \u00fcber die Ergebnisse unseres Zahlenlesens zu berichten, weil sie in Folge der angegebenen Unterschiede von unserem Wege ablagen. Aber wir d\u00fcrfen mittheilen, dafs wir unter denselben Bedingungen, unter denen wir unsere Worte bis zu mehr als 20 Buchstaben gelesen haben, wie Andere vor uns niemals mehr als 5 Ziffern, und auch diese nicht mehr regelm\u00e4fsig, richtig zu lesen vermochten.\nWundt glaubt, auch in diesem Zusammenhang neben dem Umstand, dafs wir nicht mit dem Falltachistoskop operirt haben, von dem gleich zu sprechen sein wird, die Adaptationsst\u00f6rungen ins Feld f\u00fchren zu d\u00fcrfen, denen wir seiner Sch\u00e4tzung nach beim Eintritt unserer Expositionshelligkeit ausgesetzt waren (W. 310 f.). Wir brauchen nach dem fr\u00fcher Gesagten kaum zu bemerken, dafs solche St\u00f6rungen so wenig vorhanden waren, wie die Wanderungen der Aufmerksamkeit, die uns ohne den Einflufs jener St\u00f6rungen, wie er sagt, \u201evielleicht doch nicht entgangen w\u00e4ren\u201c. Vielmehr zeigt gerade der Umfang, in dem wir selbst nicht eingepr\u00e4gte W\u00f6rter und Worte im Satzzusammen-","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264\nB. Erdmann und R. Dodge.\nhang gleichm\u00e4fsig deutlich zu erkennen vermochten, wie vollst\u00e4ndig unsere Versuchsergebnisse die St\u00f6rungen ausschliefsen, welche unser Kritiker glaubt, als unvermeidlich f\u00fcr uns dedu-ciren zu k\u00f6nnen.\nEs bleibt das dritte der obigen Argumente Wundt\u2019s, die Annahme, dafs unser Lesen langer Worte bei 0,1\" Expositionszeit nur durch die Hypothese wiederholter, von uns nicht bemerkter Wanderungen der Aufmerksamkeit zu erkl\u00e4ren sei. Wir haben deutlich gemacht, dafs diese Wanderungen nicht nur fehlten, sondern nach den oben angef\u00fchrten Versuchen f\u00fcr uns gar nicht vorhanden sein konnten. Die Differenzen, die unsere Ergebnisse von denjenigen trennen, die mit dem Falltachistoskop Cattell\u2019s gewonnen sind, das Wundt im Wesentlichen zu retten versucht, liegen vielmehr in den Apparaten selbst\nWundt hat nur, weil er die Bedeutung der nothwendig gewordenen Isolirung der Lesepausen verkannt hat, den Mangel successiven Sichtbarwerdens der Schriftzeichen auch jetzt noch so gering anschlagen k\u00f6nnen, wie er thut. Es hat ferner unsere Hinweise auf einen zweiten Mangel jenes Apparats nicht hinreichend beachtet: auf die Unm\u00f6glichkeit einer binocularen Accommodation auf den Punkt, in dem das exponirte Object erscheint.\nDie Entfernung zwischen dem Fixationspunkt an der fallenden Scheibe und dem zu exponirenden Object ist bei dem von Cattell beschriebenen Apparat sehr klein. Sie betr\u00e4gt jedoch immerhin 3 mm; und es scheint kaum m\u00f6glich, sie zu verringern, da sie die Fallscheibe und den Spielraum f\u00fcr deren freien Fall ein-schliefsen mufs.\nEine Differenz dieser Art von 3 mm reicht jedoch hin, um verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig grofse St\u00f6rungen des binocularen Sehens hervorzubringen.\nEin einfaches Experiment wird dies am deutlichsten zeigen. Wenn ein Punkt eines Buchstaben in der Mitte einer Zeile fixirt wird, so werden einige rechts- und linksseitig stehende Buchstaben, wie schon Webeb gezeigt hat, noch deutlich erkannt Geht man von diesem Fixationspunkt jedoch zur Fixation einer Nadelspitze \u00fcber, die 3 mm vor der Zeile orientirt ist, so werden jene seitw\u00e4rts stehenden Buchstaben undeutlich. Solange diese zweite Fixation un verr\u00fcckt gehalten wird, was nat\u00fcrlich Uebung erfordert, ist kein Buchstabe deutlich, obgleich noch etwa","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n265\ndrei zu erkennen sind. Der Versuch gelingt am Besten, wenn man mehrmals ziemlich schnell von der einen zur anderen Fixationslage \u00fcbergeht.\nDie Ursachen dieses Undeutlichwerdens liegen auf der Hand. Trotzdem ist es angezeigt, auf sie kurz einzugehen.\nWenn die Netzhautbilder des Nadelpunktes C auf die corre-spondirenden Stellen der beiden Netzh\u00e4ute A und B fallen, also\nSHH F\nFig. 1.\nals eins gesehen werden, so sind die Stellen der hinterliegenden Zeile, welche ineins fallen, D und E, nicht F. Andererseits wird jeder Punkt F doppelt gesehen, und zwar mit der Differenz DE. Nimmt man an, dafs die Linie AB, welche zwei correspondirende Netzhautpunkte verbindet, der Dreiecksseite DE parallel Hegt, so entsteht die Proportion:\nAC: CE = AB: DE.\nSetzen wir AC gleich 300 mm als dem durchschnittlichen Abstand beim Lesen, und AB = 60 mm, so ergiebt sich f\u00fcr DE 0,6 mm. Das aber ist rund die H\u00e4lfte des Durchmessers eines weifsen Interstitiums innerhalb (sowie auch zwischen) den Buchstaben unseres gew\u00f6hnlichen Drucks. Alle Druckworte also, welche unter solchen Bedingungen gesehen werden, m\u00fcssen uns afficiren, wie zwei Worte, in denen die schwarzen Buchstaben-linien des einen in der Mitte des anderen stehen. Es ist leicht, sich solche Worte sichtbar zu machen. Die einzelnen Buchstaben sind unter diesen Umst\u00e4nden innerhalb des Gebiets directen Sehens noch erkennbar, aber die Lesbarkeit der Worte selbst ist merk\u00fcch erschwert. Die charakteristische Gesammt-f\u00f6rm des Wortes, auf die wir bei Fixation der Mitte gr\u00f6fserer Worte angewiesen sind, weil die Anfangs- und Endbuchstaben","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266\nB. Erdmann und R. Dodge.\nin Folge ihres Abstandes vom Fixationspunkt nicht mehr erkannt werden k\u00f6nnen, ist durchaus zerst\u00f6rt : die schmalen langen Buchstaben sehen aus wie fette oder erscheinen doppelt u. s. w.\nDie Consequenzen dieser M\u00e4ngel des von Cattell benutzten Apparats erkl\u00e4ren hinreichend, weshalb wir unter unseren Ver-Buchsbedingungen \u2014 trotz der verheerenden Wirkungen f\u00fcr das Erkennen, die sie nach Wundt im Gefolge haben sollen \u2014 mehr zu lesen vermochten, als Cattell und diejenigen, die mit den seinigen analogen Apparaten gearbeitet haben. H\u00e4tte Wundt sie in Rechnung gestellt, so h\u00e4tten ihm schon die Resultate, die mit dem Helmholtz-Baxt'scIicd Apparat gewonnen sind, die Grundlagen seiner Kritik verd\u00e4chtig machen m\u00fcssen.\nEs er\u00fcbrigt nach dem Allem auf die Deutung einzugehen, die Wundt von den vermeintlichen Wanderungen der Aufmerksamkeit aus f\u00fcr unsere Erkl\u00e4rung der Differenz zwischen dem Wortlesen und dem Lesen von Buchstabenreihen ohne Silben-und Wortzusammenhang giebt; um so mehr als er die Daten, welche unsere Erkl\u00e4rung, wie wir annehmen, sicherstellen, unber\u00fccksichtigt gelassen hat\nNur wenige Schlufsbemerkungen. Wiederholt deutet Wundt an, dafs wir die Verdienste unserer Vorg\u00e4nger nicht hinreichend gew\u00fcrdigt haben. Er beruft sich auf zwei irrth\u00fcmliche Bemerkungen in anerkennenden Berichten \u00fcber unsere Schrift, um zu sagen: \u201eDiese Mifsverst\u00e4ndnisse sind immerhin bezeichnend f\u00fcr die Art, wie die Verl in der Kritik ihrer eigenen und fr\u00fcheren Versuche verfahren, und wie sie diejenigen Resultate ihrer Vorg\u00e4nger besprechen, die sie lediglich zu best\u00e4tigen vermocht haben.\u201c Diese Aeufserung steht in Zusammenhang mit der \u201eEhrenrettung der Physiologie\u201c, die Wundt unseren Ausf\u00fchrungen gegen\u00fcber nothwendig findet, denen zufolge \u201edie traditionelle Annahme \u00fcber die Kleinheit des Gebiets deutlichen Wahrnehmens bei ruhendem Auge nicht zutreffend, und die Consequenz, dafs wir demnach nur bei bewegtem Auge deutlich erkennen, in einem wesentlichen Punkte unklar sei.\u201c Wir m\u00fcssen angesichts der historischen Orientirung \u00fcber die Problemlage, die wir vorausgeschickt, und der rein sachlichen Form unserer Kritik auch Wundt und seinen Sch\u00fclern, speciell der wiederholten warmen Anerkennung der Leistungen Cattell\u2019s gegen\u00fcber, dessen Methoden und Ergebnisse wir genauer zu er\u00f6rtern hatten, jene Andeutungen als auf einer ebenso ungeh\u00f6rigen","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche.\n267\nwie ungerechtfertigten Insinuation beruhend zur\u00fcckweisen, und jene Ehrenrettung als nicht durch uns provocirt charakteri-siren.\nDer unbefangene und sachkundige Leser wird an diesen Bemerkungen Wundt\u2019s, ebenso wie an seinen oben erl\u00e4uterten Einwendungen gegen unsere Methoden und Ergebnisse ohne M\u00fche erkennen, inwieweit sie jener kritischen Objectivit\u00e4t entsprungen sind, welche wissenschaftliche Discussionen allein fruchtbar macht.\n{Eingegangen am 1. December 1899.)","page":267}],"identifier":"lit31305","issued":"1900","language":"de","pages":"241-267","startpages":"241","title":"Zur Erl\u00e4uterung unserer tachistoskopischen Versuche","type":"Journal Article","volume":"22"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:11:25.789774+00:00"}

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