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{"created":"2022-01-31T16:11:05.452176+00:00","id":"lit31325","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Groos","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 22: 305-308","fulltext":[{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n305\nIch beschr\u00e4nke mich auf diese Andeutungen, um noch ein Wort \u00fcber den Schlufs des Aufsatzes beif\u00fcgen zu k\u00f6nnen, wo V. gegen die Versuche, der Aesthetik eine entwickelungsgeschichtliche Grundlage zu geben, polemi-sirt. Wenn damit eine Auffassung gemeint ist, wonach die Aesthetik k\u00fcnftighin ausschliefslich vom genetischem Standpunkt aus betrachtet werden sollte, so bin ich mit dem Verf. vollst\u00e4ndig einverstanden \u2014 es ist mir aber zweifelhaft, ob es irgend einen Theoretiker giebt, der ernstlich dieser Ansicht w\u00e4re. Wenn dagegen V. \u201edie psychologische Analyse der Bewufstseinsvorg\u00e4nge des gereiften Kulturmenschen\u201c f\u00fcr die einzige richtige Methode h\u00e4lt, so kann ich ihm darin nicht beistimmen. Und zwar m\u00f6chte ich zu Gunsten thierpsychologischer, kinderpsychologischer und ethnologischer Untersuchungen kurz zweierlei anf\u00fchren. Erstens \u2014 und das kann gar nicht genug betont werden \u2014 d\u00fcrfen jene Gebiete ein selbst\u00e4ndiges Interesse f\u00fcr sich in Anspruch nehmen. Das Object der Seelenkunde ist eben nicht nur der erwachsene Kulturmensch, sondern sie ist verpflichtet, soweit sie es vermag, von diesem Centralgebiet aus \u00fcberallhin vorzudringen, wo sich Psychisches zeigt. F\u00e4llt dabei r\u00fcckw\u00e4rts wieder einiges Licht auf manche bisher \u00fcbersehene Theile des Centralgebietes, so ist das erw\u00fcnscht, und die Hoffnung darauf mag die Untersuchung anspornen und ihr sogar als Wegweiser dienen. Aber die Thierpsychologie etc. ausschliefslich als St\u00fctze der Psychologie des erwachsenen Kulturmenschen zu betrachten ist ein fundamentaler Irrthum. Zweitens (diesen Gedanken habe ich in den \u201eSpielen der Menschen\u201c verschiedene Male angedeutet) ist man nach meiner Meinung einem weiteren Irrthum unterworfen, wenn man glaubt, in dem \u00e4sthetischen Geniefsen, wie es sich der Selbstbeobachtung des Aesthetikers oder sagen wir allgemeiner des fein gebildeten Kenners darbietet, ohne Weiteres ein einwandfreies Material vor sich zu haben. Denn bei dem Kenner nimmt das \u00e4sthetische Ur-theil nur zu oft einen breiteren Raum ein, als es sich mit der vollen Intensit\u00e4t des \u00e4sthetischen Geniefsens vertr\u00e4gt. Der K\u00fcnstler wird den Beifall des Kennners besonders sch\u00e4tzen, aber das, was sein Werk, wenn es ein gesundes Werk ist, vor allem bezwecken soll, ist eine naivere Art des Geniefsens. Diese naivere Art zu w\u00fcrdigen, bildet daher eine wichtige Aufgabe der psychologischen Aesthetik. Der sp\u00f6ttische Ausspruch Hanslick\u2019b \u00fcber den Laien: \u201eder Laie ,f\u00fchlt\u2018 bei Musik am meisten, der gebildete K\u00fcnstler am wenigsten\u201c, kann in dieser Hinsicht wohl zu denken geben.\tGroos (Basel).\nOswald K\u00fclpe. Ueber den auodativen Factor des \u00e4sthetischen Eindrucks.\nVierteljahr88chr. f. wissensch. Philosophie 23 (2), 145\u2014183. 1899.\nDer Gegensatz zwischen \u00e4ufserer und innerer, absoluter und relativer, freier und anh\u00e4ngender, formaler und idealer Sch\u00f6nheit, der die ganze Geschichte der Aesthetik durchzieht, ist durch Fechner\u2019s Unterscheidung eines directen und eines associativen Factors auf einen einfachen psychologischen Ausdruck gebracht worden. Der associative Factor, dessen Behandlung bei Fechnkr nicht einwandsfrei ist, wird nun von K\u00fclpe n\u00e4her untersucht (die Abhandlung P. Stern\u2019s \u00fcber Einf\u00fchlung und Association konnte von dem Verfasser nicht mehr ber\u00fccksichtigt werden). K\u00fclpe stellt\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 22.\t20","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306\nLiteraturbericht.\nzuerst die Begriffe des \u00e4sthetischen Eindrucks und seiner Factoren fest und wendet sich dann der zweiten Aufgabe zu, innerhalb des Associations-principes, das ja \u00fcber das Gebiet des speciell \u00e4sthetischen Eindruckes weit hinausreicht, eine engere Provinz abzustecken und so die \u00e4sthetische Bedeutung des associativen Factors zu w\u00fcrdigen.\nDie \u00e4sthetischen Gef\u00fchle sind als Inhalts- oder Vorsteilungs-gef\u00fchle von den Reizgef\u00fchlen und den Beziehungsgef\u00fchlen za unterscheiden: im Gegensatz zu den sinnlichen oder Beizgef\u00fchlen kommt es bei ihnen nicht auf die objective Natur des Reizes, sondern nur auf die Vorstellung an, die wir von ihm haben; und im Gegensatz zu den Beziehungsgef\u00fchlen (Erkenntnifs des Wahren, des N\u00fctzlichen, sittliche Billigung), bei denen die Befriedigung nie dem Vorstellungsinhalt als solchem, sondern einer \u00fcber ihn hinausgreifenden Beziehung verdankt wird, tritt derselbe Unterschied hervor \u2014 die \u00e4sthetische Lust bezieht sich auf einen Vorstellungsinhalt nach seiner blofsen Beschaffenheit. Nennt man einen solchen Zustand Contemplation, so haben wir es demnach bei den \u00e4sthetischen Eindr\u00fccken mit Contempla-tionswerthen zu thun. In dieser Beschr\u00e4nkung auf den blofsen Inhalt kehren wir zu jener urspr\u00fcnglichen Einheit der Erfahrung zur\u00fcck, von der wir als Kinder ausgegangen sind, einer Vorstellungsweise, die noch frei war von der trennenden Reflexion auf Aeufseres und Inneres, Object und Subject. Die Theorien des vom Object abgel\u00f6sten Scheines der inneren Nachahmung und der bewufsten Selbstt\u00e4uschung beruhen daher auf einer Sonderung dessen, was im \u00e4sthetischen Verhalten gar nicht gesondert ist, und m\u00fcssen als mindestens irref\u00fchrend aufgegeben werden.\nNachdem so die wichtigsten begrifflichen Voraussetzungen gewonnen sind, unterscheidet K. zwischen dem directen und associativen Factor im \u00e4sthetischen Eindruck. Beim Lesen einer Dichtung ist der directe Factor allerdings nur in der Form der Reproduction gegeben ; ein solches Surrogat pflegt aber auch nicht nur die Wirkung des directen, sondern ebenso die des associativen Factors zu sch\u00e4digen (letzteres scheint mir nicht immer zuzutreffen). Der directe Factor ist die veranlassende Bedingung f\u00fcr den associativen oder, wie man besser Bagen w\u00fcrde, reproductiven Factor, dessen Wirkungsart von K. kurz geschildert w\u2019ird. (Der Ausdruck \u201erepro-ductiver Factor\u201c ist sicher vorzuziehen; nur ergiebt sich eine Schwierigkeit bei der oben erw\u00e4hnten Lesepoesie.)\nHierauf folgt die L\u00f6sung der zweiten Aufgabe. Um \u00e4sthetisch zu wirken, mufs der associative Factor erstens mit dem zugeh\u00f6rigen directen Factor eine Einheit, eine GesammtVorstellung bilden (von hier ans kommt K. auf das Princip der Einheit des Mannichfaltigen), zweitens mufs es selbst einen Contemplationswerth darstellen, also auf die Erregung wrerthvoller \u201eInhaltsgef\u00fchle\u201c (vgl. o.) angelegt sein und endlich soll er drittens in einem nothwendigen und eindeutigen Zusammenhang mit dem directen Factor stehen (was die \u00e4ltere Aesthetik durch die Forderung auBdr\u00fcckte, dafs die \u201eIdee\u201c sich in der Erscheinung dargestellt oder \u201esvmbolisirt\u201c finden m\u00fcsse).\nIch lasse diesem Referat einige kritische Bemerkungen folgen. Die erste bezieht sich auf K.\u2019s Unterscheidung zwischen den \u00e4sthetischen oder","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n307\nInhaltegef\u00fchlen einerseits und den Reiz- und Beziehungsgef\u00fchlen andererseits. Was die sinnlichen Gef\u00fchle der Lust und Unlust (Reizgef\u00fchle) betrifft, so nimmt Verf. an, dafs hierbei nur die objective Intensit\u00e4t des Reizes in Betracht komme, dagegen \u201egar nicht\u201c, wie uns der erregende Reiz erscheint. Umgekehrt sollen sich die \u00e4sthetischen Gef\u00fchle \u201eg\u00e4nzlich\u201c nach dem richten, was wir bewufst merken und auffassen. Ich halte diese Begr\u00fcndung des Unterschiedes nicht f\u00fcr zul\u00e4ssig. Denn erstens scheint z. B. ein k\u00f6rperlicher Schmerz auch physisch viel intensiver weh zu thun, wenn wir ihn f\u00fcr gef\u00e4hrlich halten (audere k\u00f6rperliche Gef\u00fchle, wie z. B. der Kitzel zeigen noch auffallendere Unterschiede) und zweitens kann z. B. die F\u00e4rbung des Hintergrundes unsere \u00e4sthetische Freude an einem Portr\u00e4t erh\u00f6hen oder vermindern, ohne dafs uns die betreffenden Reize \u201eauffallen\u201c- \u2014 Die Unterscheidung der \u00e4sthetischen Gef\u00fchle von den \u201eBeziehungsgef\u00fchlen\u201c kommt auf jene Eigenth\u00fcmlichkeit des \u00e4sthetischen Geniefsens hinaus, in der ich seine Verwandtschaft mit dem Spiel begr\u00fcndet sehe. Es ist mir aber fraglich, ob man die Grenze so scharf ziehen darf, wie es K. vorzuhaben scheint; denn dafs logische, ethische und andere Beziehungsgef\u00fchle positiven Antheil an dem \u00e4sthetischen Geniefsen haben k\u00f6nnen, ist wohl ebenso sicher wie die Thatsache, dafs mit dem \u00e4sthetischen Genufs die \u00e4sthetische Beurtheilung h\u00e4ufig untrennbar verschmilzt. Viel zu weit scheint mir jedenfalls die von K. gezogene Consequenz zu gehen, wonach es f\u00fcr die Natur der \u00e4sthetischen Eindr\u00fccke belanglos w\u00e4re, wrelche Beziehung zur Wirklichkeit sie haben m\u00f6gen, sodafs dadurch \u201eNatur und Kunst \u00e4sthetisch einander gleichgestellt\u201c w\u00fcrden.\nDies bringt mich auf einen anderen Punkt, der von gr\u00f6fserer Bedeutung ist. Verf. schildert das \u00e4sthetische Bewufstsein als eine concrete Einheit der Erfahrung, wobei wir uns \u00fcber den Gegensatz von Subject und Object erheben und in Folge dessen ein \u00e4hnlich naives Verh\u00e4ltnifs zu dem Vorstellungsinhalt einnehmen wie das Kind im Anf\u00e4nge seiner Entwickelung. Damit kann nun kaum gemeint sein, dafs in jener Einheit blos die \u201eReflexion\u201c auf Aeufseres und Inneres in Wegfall komme, denn diese Reflexion pflegt auch dann zu fehlen, wenn wir uns nicht \u00e4sthetisch verhalten. Wir m\u00fcssen also an einen Zustand denken, wo thats\u00e4ch-lich nichts von dem Gegensatz zwischen Ich und Object vorkommt. Die Annahme eines solchen Bewufstseins beim Kinde ist eine Hypothese, \u00fcber deren Werth man verschiedener Meinung sein kann. Beim Erwachsenen tritt im aufser\u00e4sthetischen Verhalten etwas derartiges am ehesten in gewissen D\u00e4mmerzust\u00e4nden des Bewufstseins ein, die aufserlialb des Focus der Aufmerksamkeit liegen. Wie verh\u00e4lt es sich nun im \u00e4sthetischen Zustand? Ist das Object des Genusses etwa eine angenehme Farbe oder ein einzelner Accord, so mag in der That (besonders f\u00fcr den Experimentator) auf die erste Anspannung der Aufmerksamkeit ein solcher D\u00e4mmerzustand folgen. Auch einem complicirteren Object gegen\u00fcber kann man sich \u00e4hnlich verhalten, so z. B. wenn man bei einem Gem\u00e4lde nur die allgemeine Farbenstimmung in sich aufnimmt Bei dem vollen und intensiven \u00e4sthetischen Geniefsen bleibt uns aber das Object gerade so viel und gerade so wenig (n\u00e4mlich ohne Reflexion) als \u00e4ufseres Object bestehen, wie w'enn","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308\nLiteraturbericht.\nwir sonst einen Gegenstand mit gespannter Aufmerksamkeit betrachten. \u2014 Hiernach w\u00fcrde uns also nur noch die Bestimmung \u00fcbrig bleiben, dafs wir den aus directen und associativen Factoren zusammengewachsenen Bewu\u00dftseinsinhalt als solchen, um seines eigenen Contemplationswerthes willen geniefsen. Diese Bestimmung wird niemand weniger anfechten als ich; aber sie scheint mir nicht zu gen\u00fcgen, wo es gilt, die st\u00e4rksten \u00e4sthetischen Gen\u00fcsse zu begreifen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Wir sehen auf der B\u00fchne eine Frau, die eben im Begriff ist, ihrer Familie zu entfliehen; pl\u00f6tzlich f\u00e4llt ihr Blick auf ein Spielzeug ihrer Tochter, sie sieht es starr an, schwankt und sinkt schluchzend zu Boden. Da ist es nun selbstverst\u00e4ndlich, dafs directe und associative Factoren Zusammenwirken m\u00fcssen, um uns ein Verst\u00e4ndnifs des Vorgangs zu erm\u00f6glichen. Auch werden diese Factoren ohne weiteres lustbetonte Vorstellungen bilden k\u00f6nnen; die \u00e4ufsere Erscheinung hat ihre Reize und die dramatische Wendung befriedigt uns. Aber das \u00e4sthetische Verhalten kann doch hier nur dann gen\u00fcgend gekennzeichnet werden, wenn wir die (allerdings noch vielfach der Correctur und Verbesserung bed\u00fcrftigen) Begriffe des spielenden inneren Miterlebens und der \u00e4sthetischen Illusion verwenden. Dazu sind wir berechtigt, auch wenn es gelingen sollte, diese Begriffe analytisch ohne ReBt auf Associationen zur\u00fcckzuf\u00fchren ; ich bin aber \u00fcberzeugt, dafs dies niemals gelingen wird.\nEndlich noch eine Bemerkung zu der L\u00f6sung der zweiten Aufgabe. Die schwierige Frage, worin die Contemplationswerthe bestehen, wird K. wohl in einem sp\u00e4teren Aufsatz behandeln. Die zuletzt erhobene Forderung \u2014 nothwendiger und eindeutiger Zusammenhang des associativen Factors mit dem directen \u2014 greift zum Theil \u00fcber die Wirkungen der blos reproductiven Processe hinaus und scheint mir daher ebenfalls zu beweisen, dafs die FEcmrEB\u2019sche Unterscheidung sich doch nicht v\u00f6llig mit dem alten Gegensatz von Erscheinung und Idee zur Deckung bringen l\u00e4fst.\nGboos (Basel).\nG. van Ness Djsabbobn. The Emotion of Joy. Psych. Review, Monogr. Supplem.\n2 (5). 1899. 67 S.\nDer Verf. bezweckt mit der vorliegenden Arbeit eine Beschreibung des Affectes der Freude zu geben. Er will hierbei sowohl der psychischen wie der physischen Seite desselben Rechnung tragen. Der erste Theil der Arbeit ist theoretischen Erw\u00e4gungen gewidmet. Verf. steht auf dem Boden der jAnES-LANOB\u2019schen Theorie.\nIm zweiten Theile berichtet D. \u00fcber die von ihm angestellten Versuche. Er kommt zu dem Ergebnisse, dafs die Freude ein sthenischer Affect ist, dem regelm\u00e4fsig eine Ausdehnung und Erweiterung des K\u00f6rpers entspricht. Versuche, die mit wohl- und \u00fcbelriechenden Geruchsstoffen angestellt wurden, f\u00fchrten gleichfalls zu dem Resultat, dafs bei der Lust eine ausgesprochene Neigung vorhanden war, die verschiedenen K\u00f6rpertheile (Kopf, Hand, Finger) zu strecken, w\u00e4hrend bei der Unlust die Tendenz zur Zusammenziehung derselben bestand. \u2014\nEin werthvoller Literaturbericht ist der Arbeit angeh\u00e4ngt.\nKie8ow (Turin).","page":308}],"identifier":"lit31325","issued":"1900","language":"de","pages":"305-308","startpages":"305","title":"Oswald K\u00fclpe: Ueber den associativen Factor des \u00e4sthetischen Eindrucks. Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philosophie 23 (2), 145-183. 1899","type":"Journal Article","volume":"22"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:11:05.452181+00:00"}