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{"created":"2022-01-31T16:10:13.255728+00:00","id":"lit31339","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Lipps, Theodor","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 22: 383-385","fulltext":[{"file":"p0383.txt","language":"de","ocr_de":"Zu den \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c.\nVon\nTheodor Lipps.\nI. Es sei mir Hier eine kurze Bemerkung verstatt\u00ebt zu; Cornelius\u2019 Aufsatz \u00fcber \u201eGestaltsqualit\u00e4ten\u201c in Band XXII, H\u00e9ft:2 dieser Zeitschrift. C. erkl\u00e4rt zun\u00e4chst, die Aufmerksamkeit' auf die Tiefe eines Tones A, mit Abstraction von den anderen> Merkmalen dieses Tones, sei nichts anderes als die Erkenntnifs seiner Aehnlichkeit mit den Inhalten einer Aehnlichkeitsgruppe. Gemeint ist in diesem speciellen Falle zweifellos die Aehnlichkeitsgruppe, die aus gleich oder \u00e4hnlich tiefen, im Uebrigen aber beliebig beschaffenen T\u00f6nen besteht. Ich frage : wie e n t s t e hi; f\u00fcr uns diese Aehnlichkeitsgruppe. Wie komme ich dazu, Tone lediglich mit R\u00fccksicht auf die Tiefe zu einer Gruppe zusammen zuordnen? Die Antwort hierauf liegt in der Frage. Ich komme dazu, indem ich lediglich auf die Tiefe R\u00fccksicht nehme, d. h. indem ich bei der Zusammenordnung lediglich auf die Tiefe achte oder lediglich auf die Tiefe meine Aufmerksamkeit richte. Jene Erkl\u00e4rung dreht sich also im Kreise. Weiter: Ich erkenne, so sagt 0., die Aehnlichkeit des A mit der Gruppe. Aber dasd ist den Gliedern der Gruppe nicht nur \u00e4hnlich sondern auch, n\u00e4mlich hinsichtlich der St\u00e4rke und Klangfarbe, un\u00e4hnlich. Warum nun entsteht mir, indem ich A mit der Gruppe Zusammenhalte, ein Aehnliehkeits- und nicht ein Un\u00e4hnlichkeits-bewufstsein. Gewifs ents\u00e4nde mir ein Un\u00e4hnlichkeitsbewufstsein, wenn ich auf die St\u00e4rke und Klangfarbe meine Aufmerksamkeit richtete. Ebenso gewifs entsteht mir ein Aehnlichkeitsbewufst-sein, und nur ein Aehnlichkeitsbewufstsein, weil ich lediglich auf die Tiefe meine Aufmerksamkeit richte. Hier haben wir denselben Zirkel noch einmal.\nWeiter: In der Aehnlichkeitsgruppe werden doch auch T\u00f6ne Vorkommen, die dem A nicht n\u00fcr hinsichtlich der Tiefe, sondern auch in anderer Hinsicht, etwa hinsichtlich der Klangfarbe","page":383},{"file":"p0384.txt","language":"de","ocr_de":"384\nTheodor Lipps.\n\u00e4hnlich sind. Erkenne ich auch diese Aehnlichkeit? Dann heifst dies nach C., ich achte auch auf die Klangfarbe yon A Der Voraussetzung nach achte ich aber nur auf die Tiefe des A Ich erkenne also die Aehnlichkeit der Klangfarben nicht. Und warum? Weil ich bei meinem Urtheilen \u00fcber Aehnlichkeit lediglich die Tiefe in Betracht ziehe, oder lediglich darauf meine Aufmerksamkeit richte. Da haben wir den gleichen Zirkel zum dritten Mal.\nKurz, Cornelius\u2019 Erkl\u00e4rung ist, wie auch wir sie betrachten m\u00f6gen, ein Circulus vitiosus. Ich mufs leider bemerken, dafs ich einem \u00e4hnlichen Circulus vitiosus auch sonst in Cornelius\u2019 \u201ePsychologie als Erfahrungswissenschaft\u201c und zwar mehrfach begegne. Das Achten auf abstracto Merkmale oder die Thatsache der Abstraction l\u00e4fst sich eben auf nichts sonst zur\u00fcckf\u00fchren. Das Achten ist kein Aehnlichkeitsbewufstsein und bedarf, erf ahrungsgem\u00e4fs, keines solchen.\nJL Nun die \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c. Zweifellos besteht eine Aehnlichkeit zwischen zwei \u201egleichen\u201c Melodien, auch wenn sie keinen Ton gemein haben. Dies heifst zun\u00e4chst : Ich habe beim Vergleich der beiden Melodien ein Aehnlichkeitsbewufstsein. Um dieses Aehnlichkeitsbewufstseins willen nun statuirt C, eine gemeinsame \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c der Melodien als \u201ebesondere Merkmale\u201c dieser \u201eComplexe\u201c. C, meint damit, wenn ich recht verstehe, ebenso wie Ehrenfels, Merkmale, die an dem Gesammt-bewufstseinsinhalt, den ich Melodie nenne, als solchem vorgefunden werden. Aber dafs das Aehnlichkeitsbewufstsein beruhen m\u00fcsse auf Uebereinstimmung in den Bewufstseins-in halten, dies ist lediglich ein Vorurtheil. Ich wage die gegenteilige Behauptung: Das Aehnlichkeitsbewufstsein beruht niemals auf Uebereinstimmung von Bewufstseinsinhalten, sondern letzten Endes immer auf Uebereinstimmung der den Bewufstseinsinhalten unmittelbar zu Grunde liegenden \u201epsychischen Vorg\u00e4nge\u201c oder Erregungszust\u00e4nde, oder der Beziehungen zwischen solchen. Diese Uebereinstimmung kann gewifs, aber sie mufs nicht eine Uebereinstimmung in den zugeh\u00f6rigen Bewufstseinsinhalten zum Bewufstseinscorrelat haben. \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c, ich meine, das was man so nennt, sind, sofern darunter nicht zeitliche Bestimmungen oder r\u00e4umliche Formen gemeint sind, immer Weisen der psychischen Beziehung zwischen psychischen Vorg\u00e4ngen, die als solche im Bewufstsein nicht gegeben sind.","page":384},{"file":"p0385.txt","language":"de","ocr_de":"Zu den \u201e Gcstaltqualit\u00e4ten\u201c.\n385\nDie Eigenart dieser Beziehungen hat nun freilich ihr Be-wufsteeinssymptom in Gef\u00fchlen. Soweit also die \u2014 nicht r\u00e4umlichen oder zeitlichen \u2014 \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c f\u00fcr da\u00df Bewufst-sein vorhanden sind, genauer, soweit sie ihr Dasein im Bewufst-sein ank\u00fcndigen, sind sie Gef\u00fchle. C. meint, er k\u00f6nne einen bestimmten Lust- und Unlustcharakter an Gestaltqualit\u00e4ten durchaus nicht \u00fcberall entdecken. Aber es ist wiederum lediglich ein Vorurtheil, dafs Gef\u00fchle einen Lust- oder Unlustcharakter haben m\u00fcssen, oder dafs sie gar im Gegensatz von Lust und Unlust sich ersch\u00f6pfen. Das Aehnlichkeitsbewufstsein ist eine der vielen Gegeninstanzen. Das Erlebnifs, das ich so nenne, besteht in einer Weise, wie ich beim Vergleich zweier Objecte, genauer beim Sichaneinandermessen zweier psychischer Vorg\u00e4nge mich afficirt f\u00fchlte.\nUmgekehrt meint C., die Gef\u00fchle seien Gestaltqualit\u00e4ten. Aber das sind sie eben nicht Die \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c der Melodie meint eine Qualit\u00e4t oder ein Merkmal der Melodie. Die Lust aber ist nicht eine Qualit\u00e4t der Melodie oder irgend eines gegenst\u00e4ndlichen Bewu\u00dftseinsinhaltes, sondern eine Qualit\u00e4t meiner, eine Ichqualit\u00e4t Ich f\u00fchle jederzeit mich, und niemals eine Melodie, lustgestimmt, sowie ich jederzeit nur mich und niemals eine Melodie strebend, hoffend, f\u00fcrchtend, bejahend, verneinend, \u00fcberrascht, entt\u00e4uscht etc. f\u00fchla Es giebt aber gar keinen fundamentaleren Gegensatz als den zwischen \u201emir\u201c und den gegenst\u00e4ndlichen Bewufstseininhalten.\nDie \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c haben einen guten Sinn. So aber wie C. sie verwendet, sind sie ein Wort zur Verh\u00fcllung der That-sachen und Probleme.\n(Eingegangen am 18. December 1899.)\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 88.\n25","page":385}],"identifier":"lit31339","issued":"1900","language":"de","pages":"383-385","startpages":"383","title":"Zu den \"Gestaltqualit\u00e4ten\"","type":"Journal Article","volume":"22"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:10:13.255733+00:00"}