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{"created":"2022-01-31T15:10:09.654579+00:00","id":"lit31366","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Aars, Kristian B. R.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 22: 401-414","fulltext":[{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"Die Erwartung.\nVon\nDr. Kristian B.-R Aabs.\nIn dieser Zeitschrift (Bd. XIX) habe ich einige Linien einer Theorie des Causalgesetzes gezogen. DieWurzel des Causal-gesetzes ist zweifelsohne die Causalerwartung, Die Erwartung spielt \u00fcberhaupt in dem intellectuellen Leben eine grofse Rolle, und verdient von der Psychologie des Erkennens besonders beachtet zu werden.\nMan kann zwei Grundprocesse hervorheben; denjenigen wo eine Empfindung, und den wo eine Vorstellung (ein Ged\u00e4chtnis-bild) erwartet wird. Beide Processe bieten schon dadurch der Psychologie ein eigenartiges Interesse, dafs das Erwartete, die Empfindung oder die Vorstellung, im Momente des Erwartens nicht da ist. Es wird so eine dringende Frage der Analyse, was der Procefs, die bestimmte Vorstellung oder Empfindung zu erwarten, in sich einschliefst.\nOffenbar kann das Eigenth\u00fcmliche der Erwartung nicht in denjenigen Bewufstseinselementen, die auch in den Zust\u00e4nden der Nichterwartung Vorkommen, gesucht werden. Schon diese Ueberlegung hindert uns, die Erwartung einfach durch den Begriff der Association erkl\u00e4ren zu wollen. Es ist gewifs mancher Psychologe geneigt, die Erwartung \u201eauf die Association zur\u00fcckzuf\u00fchren\u201c. Die Associationen sind aber vollzogene Thatsachen; sie sind als solche keine Erwartungen. In der Association ist alles enthalten. Es bleibt nichts zu erwarten \u00fcbrig. Der Begriff Association wird f\u00fcr sehr Verschiedenes gebraucht. Dafs f\u00fcr die meisten Associationen Charakteristische ist der Umstand, dafs zwei Erlebnisse sich mehr als einmal succediren, oder bildlich ausgedr\u00fcckt, dafs die Erlebnisse sich zu succediren eine Neigung haben.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 22.\n26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nKristian B.-R. Aars.\nAufter diesen Associationsf\u00e4llen giebt es solehe, wo zwei Erlebnisse mehr als einmal gleichzeitig auftreten, anders ausgedr\u00fcckt, wo sie gleichzeitig aufzutreten eine Neigung haben. Man kann diesen Begriff als seeund\u00e4ren Associationsbegriff bezeichnen.\nWas von zwei Erlebnissen gilt, gilt von mehreren.\nMeistens versteht man unter Association eine psychische Wirkungsweise, und nennt daher eine noch so wiederholte Succession von Empfindungen nicht Association. So sagt man nicht, dafs die Empfindungen der S\u00e4ttigung, die den Empfindungen des Essens succediren, auf Association beruhen. Diese Distinction ist f\u00fcr uns gleichg\u00fcltig, indem wir uns ein f\u00fcr allemal auf subjective Grundlage haben stellen m\u00fcssen. Die Ob] ective Welt ist ohne Voraussetzung der Er\u00bb Wartung gewifs weder zu denken noch vorzustellen. Nur dies geht uns also an, dafs die Associationen Wiederholungen der Gleichzeitigkeits- oder Successions-Verh\u00e4ltnisse sind.1 Die Arten der Association geben die Bedingungen des Processes an. So spricht .man von Ber\u00fchrungs-, Gemeinschafts- und Aehn-lichkeitsassociationen. Man meint dabei wohl auch, die das Suc-cessionsverh\u00e4ltnifs wirkende Kraft bezeichnet zu haben. Es is^ zu bemerken, dafs diese eher durch die Arten der Association, als durch ihren blofsen Begriff, ausgedr\u00fcckt wird. Wie dem aber sei, so ist die Associationstendenz, als metaphysische Eigenschaft der Erscheinungen, von diesen selbst bestimmt zq unterscheiden.\nOffenbar hat die Erwartung mit denjenigen Associationen, wo beide Associationsglieder gleichzeitig hervortreten, nichts gemein. Dagegen kann sie mit der successiven Association in Verbindung gebracht werden. Nichts hindert uns, das Verh\u00e4ltnifs zwischen den Zust\u00e4nden der Erwartung und denen ihrer Befriedigung als ein successives Associationsverh\u00e4ltnifs in denjenigen F\u00e4llen aufzufassen, wo dieselbe Erwartung mit derselben Befriedigung verbunden mehrmals erlebt wird. Selbst wenn nun bei jeder successiven Association das erste Glied nur in Verbindung mit der Erwartung des zweiten erlebt w\u00fcrde, w\u00e4ren wir\n1 Durch Analogie kann eine, nie wiederholte, Succession als ein\u00e9 Aehnlichkeitsassociation gedeutet werden, aber nur weil ein\u00e9-Tendenz zur Wiederholung der Succession hinzugedacht wird.","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Dit Erwartung.\n403\ndoch gezwungen, die Eigenart dieser Erwartung, die von deg) ersten Gliede qualitativ, von dem zweiten sowohl qualitativ als zeitlich, verschieden ist, festzustellen und von der Association, <L.h. von dem Verh\u00e4ltnisse der Succession und deren Wiederholung, absolut zu unterscheiden. Dies bleibt uns eine Hauptsache: die Association ist erst mit dem zweiten Gliede eingetreten und ist also diesem od\u00f6r der Totaldauer der beiden Glieder gleichzeitig. DieEr-Wartung ist im Gegentheil mit dem Eintreten des zweiten Gliedes entschwunden, und ist also nur dem ersten Gliede gleichzeitig. Die Erwartung .kann nicht auf dem Erlebnisse der Association beruhen, welchem sie vorangeht Ganz metaphysisch kann man wohl sagen, dajs die Erwartung auf der Association zwischen dem jetzigen und .dem kommenden Bewufstseinszustande beruhe. Diese Association ist aber zur Zeit der Erwartung keine Thatsache. Sobald sie aber eine Thatsache ist, ist die Erwartung nicht mehr da.\n? Da wir doch lieben, wenigstens sprachlich a^ch die metaphysischen Verh\u00e4ltnisse zum Ausdruck zu bringen, will ich das Eigenth\u00fcmliche der Erwartung als das Associationsgepr\u00e4ge bezeichnen.\nJedem psychischen Erlebnifs k\u00f6nnen beliebige andere Erlebnisse succediren; unter den succedirenden Erlebnissen giebt es einige, die nur in ganz vereinzelten F\u00e4llen, wir sagen \u201ezuf\u00e4llig\u201c, sich einstellen; es giebt aber auch eine ganze Menge, welche h\u00e4ufiger, d. h. durch Association succediren. Man dr\u00fcckt diese Thatsache anschaulich aus, wenn man sagt, jedes Er-lebnifs habe eine ganze Reihe von Associationslinien, es sei ein Centrum solcher Linien. Wenn nun eine Erwartung erf\u00fcllt wird, dann wird wie gesagt eine Association vollzogen, eine der Linien wird betreten. Die Erwartung beruht gewifs nicht auf der Association, die ihr immer erst succedirt, sie beruht aber,, bildlich gesprochen, auf der Existenz der Associationslinien, ohne Bild: auf derselben Eigenschaft des Erlebnisses, welche auch zur Vollziehung der Association f\u00fchrt, bezw. f\u00fchren kann.\nIch meine demnach, ohne Gefahr mifsverstanden zu werden, die qualitative Eigenart der Erwartung als das Associationsgepr\u00e4ge bezeichnen zu k\u00f6nnen. Das Wort erinnert uns an\ndie Identit\u00e4t der Erwartung, ob sie auf Empfindungen oder Vor-\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\nKristian B.-R. Aars.\nStellungen sieh richtet, ob sie die Zukunft zu antioipiren oder die Vorzeit zu ergr\u00fcnden sich bem\u00fcht. Das Ass\u00f6eiationsgeprAge soll uns das Specifische der Erwartung von allen bei der Erwartung lebendigen Vorstellungen unterscheiden helfen. *\nWir gehen zu der schwierigen Frage \u00fcber, wie wir das Associationsgepr\u00e4ge in ein Verbum (\u201eErwarten\u201c) umwand ein; und wie wir die eintretende Vorstellung als das \u201ethats\u00e4chlioh Erwartete\u201c betrachten k\u00f6nnen. Es sind die Gedanken der Erwartung nicht im Geringsten mit dem Erwarteten identisch. Wenn wir trotzdem alle sagen : das war es ja eben, was ich erwartete, so scheinen wir sprachlich eine Identit\u00e4t conL statiren zu wollen; hur dafs diese freilich nicht die strenge, wirkliche psychische Identit\u00e4t sein kann; denn so braucht man ja nicht zu erwarten. Das Associationsgepr\u00e4ge vereinigt Er-Wartung und Erwartetes zu einer Identit\u00e4t einer neuen Ordnung. Wer mit der Relativit\u00e4t der Bewufstseinserscheinungen vertraut ist, wird an und f\u00fcr sich nicht \u00fcber eine relative Identit\u00e4t staunen, Nun ist man aber gewohnt, die Identit\u00e4t als das Maximum der Aehnlichkeit zu betrachten. Wenn zwei Process\u00a9 in keiner m\u00f6glichen Eigenschaft die geringste Spur einer Verschiedenheit aufweisen, dann sind sie identisch ; man kann sogar, wenn in jeder Hinsicht Maximum der Aehnlichkeit, Nullpunkt des Unterschiedes constatirt ist, den Begriff zwei gar nicht anbringen; das ist die absolute Identit\u00e4t, die jeder Zustand nur mit sich selber hat Man braucht aber bekanntlich auch das Wort f\u00fcr Sachen geringerer Aehnlichkeit Besonders werden die Unterschiede im Raum, in der Zeit und in der Intensit\u00e4t vernachl\u00e4ssigt. Die ruhende Katze ist identisch mit der soeben laufenden. Der Mond von gestern identisch mit dem von heute. Das weniger intense Gef\u00fchl des Hasses identisch mit dem soeben brausenden.\nWenn nun die erwartete Vorstellung oder Empfindung ein-tritt, so \u201ewar es ja eben dieses, was ich erwartete\u201c. Die Identit\u00e4t zwischen den Gedanken der Erwartung und dem Erwarteten ist offenbar nicht in einem geringen Grade des Unterschiedes zu finden. Besonders wenn wir an die Erwartung einer Vorstellung, eines Ged\u00e4chtnifsbildes denken, sehen wir leicht, dafs von einer Aehnlichkeit der beim Erwarten lebendigen Bilder und dem endlich eintretenden gesuchten Bilde nichts abh\u00e4ngt; sie k\u00f6nnen","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Dit Erwartung.\nm\nmehr oder weniger \u00e4hnlich sein; das geht die Frage nicht a\u00fc, ob dasjenige, was ich finde, \u201edasselbe sei\u201c, was ich eben erwartete. Die Identit\u00e4t des Gefundenen mit dem Erlebnisse des Erwartens beruht nicht auf dem Verh\u00e4ltnisse zwischen dem Ge* fundenen und den im Momente des Erwartens lebendigen Bildern, sondern einfach auf dem Verh\u00e4ltnisse zwischen dem Gefundenen und dem Associationsgepr\u00e4ge des Erwartens. Demnach kann man sich versucht f\u00fchlen, das Associationsgepr\u00e4ge als wirklichen Theil des Erwarteten aufzufassen. Man kann es als erste Spur der kommenden Vorstellung, als schw\u00e4chsten Schatten dieser betrachten. Die suchende oder erwartende Aufmerksamkeit erlebt allerdings oft Theile oder undeutliche Umrisse des Erwarteten. Dafs sie sich aber bei diesen Theilen nicht beruhigt, darin besteht in solchen F\u00e4llen die Erwartung.\nDas Associationsgepr\u00e4ge ist zu jeder gegebenen Zeit, und bei jeder gegebenen Vorstellung, das* jenige Plus, wodurch der gegebene Zustand in oinen kommenden her\u00fcberzugreifen sucht.\nMan mag Theile auf Theile von dem erwarteten Bilde dem gegebenen hinzuf\u00fcgen, das Associationsgepr\u00e4ge ist nicht diese Theile, sondern der Umstand, dafs die Aufmerksamkeit immer neue Theile erwartet.\nWenn ein neuer Theil sich hinzuf\u00fcgt, dann ist das Associationsgepr\u00e4ge entweder durch diesen Theil befriedigt (beseitigt), oder es bleibt immer noch, dann zeigt es aber immer wieder \u00fcberden gewonnenen Theil hinaus. Das gilt wie klein, unvollst\u00e4ndig, undeutlich man sich diese Theile des erwarteten Bildes vorstellen will.\nAndererseits ist der Procefs des Erwartens genau derselbe, wenn das erwartete Ged\u00e4ehtnifsbild in voller Ausdehnung und voller Deutlichkeit pl\u00f6tzlich dem suchenden Bewufstsein sich offenbart, ohne irgend welche Grade der Vollst\u00e4ndigkeit oder der Deutlichkeit zu durchlaufen. Die Einheit zwischen den Zust\u00e4nden der Erwartung und denen ihrer Befriedigung beruht hier wie dort auf das Associationsgepr\u00e4ge und dessen Beseitigung.\nEs ist also unm\u00f6glich, das Einheitsband zwischen dem Erwarten und dem Erwarteten auf irgend welche Form der Identit\u00e4t oder der Aehnlichkeit z\u00fcr\u00fcckzuf\u00fchren.\nDas Bewufstsein, dafs man im Momente des Erwartens Weifs fr\u00e4s das ist, was man erwartet, ist nat\u00fcrlich eine T\u00e4uschung.","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406\nKristian B.-R. Aars.\nSie h\u00e4ngt in irgend einer Weise mit der Beseitigung des Asso-eiationsgepr\u00e4ges zusammen. Sobald n\u00e4mlich die erwartete Vorstellung oder Empfindung eintritt, ist von der Erwartung keine Spur mehr \u00fcbrig, d. h. das betreffende Associationsgepr\u00e4ge ist Verschwunden. Wenn ein Associationsgepr\u00e4ge sich immer noch geltend macht, weifs ich, dafs ich was Neues erwarte, dafs heilst, hat dieses Associationsgepr\u00e4ge mit der eingetretenen Vorstellung nichts zu thun. Das Associationsgepr\u00e4ge verschmilzt mit der erwarteten Vorstellung zu einer associativen Einheit Es ist was regelm\u00e4fsiges, dafs juxtaponirte oder successive Er* lebnisse zu associativen Einheiten verschmelzen. So sind die wechselnden Stellungen eines laufenden Mannes zu einer associativen Einheit verschmolzen. Ebenso ist die menschliche Pupille mit der Iris und der weiteren Umgebung des Auges zu einer associativen Einheit verschmolzen. Das eigent\u00fcmliche bei der Einheit der Erwartung mit dem erwarteten Erlebnisse ist aber dies, dafs das \u201e Associationsgepr\u00e4ge\u201e und das entsprechende Er-lebnifs verschmolzen sind ohne jemals gleichzeitig dem Bewufst-sein gegenw\u00e4rtig zu sein. Das Associationsgepr\u00e4ge verschmilzt mit dem betreff enden Erlebnifs immer erst wenn es verschwunden ist. Die Sachlage w\u00fcrde uns sinnlos erscheinen, wenn wir uns nicht daran erinnerten, dafs alles in der Welt, also auch die Erwartung, durch ein Ged\u00e4chtnifs-bild copiirt, und aufserdem erinnert werden kann. Durch das Ged\u00e4chtnifs erkennen wir die Verschmelzung des Associationsgepr\u00e4ges mit dem erwarteten Erlebnifs. Die Erkl\u00e4rung \u00e4ndert aber nichts an der Thatsache, dafs die Bedingung der Verschmelzung das Verschwinden des Associationsgepr\u00e4ges als gegenw\u00e4rtig, sein Uebergang in blofses Ged\u00e4chtnifs zur Voraussetzung hat.\nDie Einheit zwischen Erwartung und Erwartetes ist also gewifs keine wirkliche psychische Identit\u00e4t. Sie scheidet sich ebenso von der Real-Identit\u00e4t, die ich lieber als Real-Assimilation bezeichnen m\u00f6chte. (\u201eDie ruhende Katze ist identisch mit der soeben laufenden\u201c.) Sie scheidet sich auch von dem Symbolverh\u00e4ltnisse (der Symbolassimilation), mit dem sie allerdings gewisse Z\u00fcge gemein hat Ein Hauptunterschied, dafs die Einheit des Symbolverh\u00e4ltnisses nicht die Gegenwart des symbolisirten Gliedes voraussetzt, noch etwas, das der Beseitigung der Erwartung entspr\u00e4che. An ein Symbol","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Die Erwartung.\n407\n1st an sich gar keine Erwartung gekn\u00fcpft, sondern im Gegen* theil: die Symbole leisten uns die gr\u00f6fsten Dienste eben dadurch, dafs sie1 uns des Erwartens, des Suchens, des Strebens ersparen. Eine andere Sache ist es, dafs die Erwartung mit einem Symbole sich gelegentlich verbinden kann. So besonders bei der Er-Wartung von Empfindungen.\nEndlich ist die Einheit der Erwartung von den Einheiten der Verbindungen und Verschmelzungen die ich als Einheiten der Addition bezeichnen m\u00f6chte, dadurch verschieden, dafs die Erwartung und das Erwartete nicht als Theil eines Ganzen Einheit bilden, sondern indem das Erste in dem Zweiten, nicht in einem gemeinsamen Dritten, verschwindet Dadurch n\u00e4hert sich die Einheit der Erwartung dem Symbolverh\u00e4ltnisse und der Realassimilation.\nEs kann die Frage erhoben werden, ob in dem Mysterium des Erwartens eine oder zwei primitive, unableitbare Functionen zu erklicken sind. Man konnte die eine Function in dem Quali-t\u00e4tsgepr\u00e4ge der Erwartung, dem Associationsgepr\u00e4ge sehen, die andere in dem zur\u00fcckschauenden Einheitsbewufstsein : ich habe nicht allein erwartet, sondern ich habe eben dieses erwartet Solche Verdoppelung des Mysteriums der Erwartung scheint mir doch nicht noth wendig. Es geh\u00f6rt eben zum Wesen des Associationsgepr\u00e4ges, dafs es das Gef\u00fchl der Befriedigung durch ein bestimmtes Associationsglied zul\u00e4fst. Es liegt also in dem Associationsgepr\u00e4ge eine Beziehung zu dem Nichtseienden, welche nicht weiter analysirt werden kann, welche aber in ihrem vollen Wesen erst dann offenbar wird, wenn das Nichtseiende Seiendes geworden, und das Associationsgepr\u00e4ge, die Beziehung selber, nicht mehr Seiendes ist Wird einem dieses nicht weiter analysirbare Verh\u00e4ltnis, wodurch die Jetztzeit \u00fcber sich selber hdnausweist, durch die Vorstellung zweier elementarer Functionen anschaulicher, dann habe ich nichts dagegen. Nur dafs das Wesen des ganzen Processes schon durch dieEigen* art des Erwartungsbewufstseins charakterisirt ist\nDie Eigenart der Erwartung scheint mir schon aus dem Grunde in der psychologischen Literatur nicht hinreichend ber\u00fccksichtigt, weil fast immer von unserem Zeitbewufstsein wie von einem Ganzen gehandelt wird, ohne dafs das Zukunfts-bewufstsein von dem Vorzeitbewufstsein getrennt wird. Das Vor-zeitbewufstsein ist gewifs nicht weniger ein elementares Ph\u00e4nomen","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408\nKristian \u00a3.-22. Aar\u00bb.\nfds die Erwartung. Beide sind aber eben zwei ver* schieden\u00a9 Ph\u00e4nomene. *\nBei Th. Lipps (Grondthatsachen des Seelenlebens) wird die Erscheinung der Erwartung besonders h\u00e4ufig besprochen. Mit gro\u00dfer Anschaulichkeit schildert Lifps1 * die Erwartung einer Empfindung. Die Anerkennung der Sachlage, dafs solche Erwartung die Wurzel des Zukunftsbewufstseins und des Bewu\u00dftseins der \u201e\u00e4u\u00dferen Wirklichkeit\u201c bildet, habe ich indessen bei Lifps nicht finden k\u00f6nnen. Nach ihm ist im Gegentheil das Erwarten unter dem Begriffe des Urtheils oder des Wirklich-keitsbewufstseins zu subsumiren.* Dies sagt uns um so weniger, als \u201ejede Empfindung als solche, beurtheilt wird\u201c (soweit ich ihn aber verstehe, nicht unterschieden). Umgekehrt ist auch die Unterscheidung eine Art des Urtheilens, d. h. des Wirklichkeitsbewu\u00dftseins.8 Ich bekenne mich nun zur entgegengesetzten Ansicht: dafs die Unterscheidung etwas ist, was mit der Bewu\u00dftwerdung des Eindrucks gegeben ist (S. 390). Und auch die Erwartung ist ein Elementarph\u00e4nomen, das dem Wirklichkeitsbewufstsein, wenn auch als dessen Wurzel, vorangeht. Lipps hat eine metaphysische Erkl\u00e4rung der Erwartung, die richtig sein kann : wenn ein Erlebnifs erwartet wird, ist die betreffende Disposition schon in Th\u00e4tigkeit.4 Diese Th\u00e4tigkeit sei denn der (metaphysische) Reiz zur Erwartung. Selbstverst\u00e4ndlich m\u00fcssen alle zugeben, dafs der Reiz zur Erwartung nicht die kommende Vorstellung sein kann, dafs er vielmehr im Gebiete der psychophysischen (oder genauer: der hypopsychischen) Regungen zu suchen ist. Inwieweit der Erwartungsreiz mit dem Parallelprocefs der Vorstellung (der Empfindung) zusammenf\u00e4llt, wissen wir nicht. Ob er von der \u201eTh\u00e4tigkeit44 einer \u201eunbewu\u00dften\u201c Vorstellung abzuleiten ist, noch weniger, loh meine, dafs die Lrpps\u2019sche Analyse insofern richtig ist, als der Reiz zur Erwartung im hypopsychischen Gebiete (sei er nun als mechanische oder als psychische Energieform aufzufassen) gesucht werden mufs, und zwar in einer Regung, die dem Erleben des Erwarteten h\u00e4ufig vorangeht.\n1 Grundthats&chen des Seelenlebens. 1883. S. 364\u201466.\n* A a. O. S. 402. \u2014 \u00ab A. a. O. S. 390. \u2014 4 \u00c0. a. O. S. 600 und \u00f6fters.","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Die Erwartung.\n409\nMehr kann aber von dem Reize zur Erwartung kaum ausgesagt werden.\nEtwas dreister scheint mir der Versuch Lipps\u2019, die Identification des Erwarteten mit dem Zustande des Erwartens aus den Verh\u00e4ltnissen im Unbewufsten abzuleiten.1\nDer Hauptgedanke wird S. 356 ausgesprochen : Die Bewufst-werdung ist f\u00fcr die seelischen Beziehungen und Wechselwirkungen nichts als ein gleichg\u00fcltiger Nebenerfolg. Demnach sei das Unterschiedsbewufstsein nicht von der Verschiedenheit der Erlebnisse, sondern von der Verschiedenheit des Unbewufsten abh\u00e4ngig. Es ist ja zweifellos, dafs das Unterschiedsbewufstsein bestimmten Erlebnissen gegen\u00fcber mehr zur\u00fcck- oder hervortreten kann. Daraus 8chliefsen wir, dafs dessen Hervortreten ein besonderer Reiz oder Parellelprocefs entsprechen mufs. Dafs aber die Identit\u00e4t im Unbewufsten bei Verschiedenheit der Erlebnisse sozusagen direct wahrgenommen werden k\u00f6nne, ist unm\u00f6glich. Das hiefse ein Vergleichen ohne Vergleichsglieder anzunehmen, was gewifs noch schlimmer ist, als ein Vergleichsglied (eine Vorstellung) ohne Unterscheidung.\nDafs die Identificirung zwischen dem Zustande der Erwartung und dem Erwarteten auf dem Zur\u00fccktreten des Unter-schiedsbewufstseins beruht, ist ebenso gewifs als die Thatsache, dafs jede Zweiheit oder Mehrheit das Hervortreten des Unterschiedsbewufstseins zur Voraussetzung hat. Das Zur\u00fccktreten des Unterschiedsbewufstseins ist aber f\u00fcr die Zust\u00e4nde der Erwartung nicht eigent\u00fcmlich. Es besteht schon bei den Einheiten der Addition (Verbindungen, Verschmelzungen), und noch mehr bei der Real-Identificirung (Real-Assimilation), und vor Allem in der Symbolisirung (Symbol-Assimilation). F\u00fcr die zwei letztgenannten Processe ist das Zur\u00fccktreten des Unterschiedsbewufstseins gerade die Hauptsache, was bei der Erwartung anders ist Die Unruhe bei der Erwartung, die Ruhe beim Eintreten der Vorstellung beruht eben auf dem (merkbaren) Unterschiede zwischen beiden Zust\u00e4nden. Die Einheit ist also nur eine recht relative, wie bei den Einheiten der Addition, ob sie sich auch der Innigkeit der Einheit des Symbolverh\u00e4ltnisses und der Realidentit\u00e4t ann\u00e4hert.\n1 A. a. O. S. 356 ff.","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410\nKristian B.-R. Aars.\nDafs sie auf der Einheit der unbewufsten Processe beruht, wie Lipps meint, wage ich nicht anzunehmen. Alles Bewufste ist vergleichbar, aber auch umgekehrt: alles Vergleichbare ist bewufst\nLipps definirt (S. 600) die Frage genau ebenso wie die Erwartung. Sie sei das Streben der noch unbewufsten Vorstellung Ich kann mir diese Idee so vorstellen, dafs der Parallelprocels der L\u00f6sung, als unbewufst, den Reiz der Frage bildet. Bei com-plicirteren Fragen scheint mir die Annahme, auch so, ganz unwahrscheinlich. Da die Frage aber aufser der Richtung des Willens nichts als Erwartung enth\u00e4lt, ist diese Ueberlegung f\u00fcr die Erwartung entscheidend.\nDie Frage ist, wie allgemeiner jedes Suchen, eine Verbindung des Willens mit der Erwartung. Da der Wille ebenso wie die Erwartung in einem Gef\u00fchl der Spannung sich Ausdruck giebt, und da ferner der Wille ebenso wie die Erwartung der Befriedigung f\u00e4hig ist, k\u00f6nnte man versucht sein, das Eine in das Andere aufzul\u00f6sen. Dies Bestreben mufs schon aus dem Grunde mifs\u00fcngen, weil man eine Sache intensiv erwarten kann, w\u00e4hrend man ihr Gegentheil w\u00fcnscht und will. Wenn man demnach eine Vorstellung oder Empfindung zu gleicher Zeit erwartet und w\u00fcnscht, beruht es also auf einer Combination von erwartendem und willendem Gepr\u00e4ge. Wenn wir alle das Bewufstsein haben, dafs der gewollte Zustand, einmal eingetreten, nichts vom Wollen ganz Verschiedenes ist, hat sich eine associative Einheit eingestellt, oder besser, da das auf die Zukunft gerichtete Wollen mit der Erwartung combinirt ist, so ist das Wollen des Noch-nicht-seienden nur die Erwartung des Noch-nicht-seienden, die uns auf dem volun\u00ab tarischen Gebiete neu begegnet\nDa das Suchen, W\u00fcnschen und Fragen f\u00fcr unser psychisches Leben grofse Bedeutung hat, ist es wichtig, \u00fcber diese Combination zwischen Erwartung und Wollen sich Rechenschaft zu geben. Lipps bestreitet, dafs Wille und Aufmerksamkeit auf das Zuk\u00fcnftige gerichtet sein k\u00f6nne.1 Sie k\u00f6nnen aber in demselben Sinne und durch denselben Procels auf die Zukunft gerichtet sein, durch welchen die Erwartung es ist Freilich kann ich auch nicht dem Psychologen Witasek beipflichten,\n1 A. a. O. S. 47 fl.","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"Die Erwartung.\n411\nWelcher in einer Analyse der willk\u00fcrlichen VorstellungsVerbindung ganz unbefangen als erstes Glied den auf die nichtseiende anschauliche Vorstellung gerichteten Willen findet.1 Als ob das Gerichtetsein auf das Nichts gar kein Problem w\u00e4re. Lipps behauptet im Gegentheil (S. 48\u201449), dafs ich das Zuk\u00fcnftige nur in dem Sinne wollen kann, dafs der Wille mit denjenigen der jetzigen Vorstellungen, welche besondere Associationstendenzen haben, sich verbindet Das ist gewifs nicht richtig. Das Wollen der pr\u00e4senten Vorstellungen, seien sie auch in recht feste Associationsverh\u00e4ltnisse getreten, ist etwas Anderes als das Suchen des Zuk\u00fcnftigen.\nDas Suchen oder W\u00fcnschen des Zuk\u00fcnftigen ist so aufzufassen, dafs das Associationsgepr\u00e4ge der Erwartung mit intensivem negativen Willensgepr\u00e4ge behaftet ist, w\u00e4hrend die mit Associationsgepr\u00e4ge behafteten Vorstellungen und Gedanken positiv gewollt erscheinen. Je heftiger das Erwartete gewollt ist, um so heftiger ist das Erwarten nicht gewollt, verw\u00fcnscht Das Eintreten des erwarteten Erlebnisses befriedigt in diesem Falle das positive Associationsgepr\u00e4ge und das Negative Willensgepr\u00e4ge auf einmal. Dafs wir trotz dieser unbestreitbaren Sachlage meinen, das Zuk\u00fcnftige positiv gewollt zu haben, ist eine Folge davon, dafs das Schwinden der Erwartung mit dem Eintreten des Gesuchten zusammenf\u00e4llt Jedenfalls werden wir \u00fcber das negative Willensgepr\u00e4ge des Suchens und W\u00fcnschens selten klar, ein Ph\u00e4nomen, das zur Umkehrung des Netzhautbildes bei der Projection nach aufsen ein Analogon bietet Der Gedanke, dafs der Wille nicht auf die Zukunft gerichtet sein k\u00f6nne, ist nicht zu vertheidigen, der Thatsache gegen\u00fcber, dafs die Erwartung auf die Zukunft gerichtet ist. Die Combination zwischen Associationsgepr\u00e4ge und Woliensgepr\u00e4ge constituirt das Suchen. Bei dieser Gelegenheit m\u00f6chte ich der Meinung Lipps\u2019 gegen\u00fcbertreten, dafs das Suchen nicht zum Erleben des Gesuchten beitragen k\u00f6nne. Er sagt (a. a. O. S. 51): es leuchtet ein, dafs ein Inhalt um so sicherer bleiben mufs, je energischer und bestimmter der Wille, sei es negativ, sei es positiv, mit ihm besch\u00e4ftigt erscheint Wie dies einleuchtend sein soll, ist mir unbegreiflich. Es ist\n1 Diese Zeitschrift 12, 18\u00f6ff.","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412\nKristian B.-R. Aars.\neine reine Erfahrungsfrage. - Und die Erfahrung lehrt \u2022 deutlich genug, dafs ein energisches und bestimmtes negatives Willensgepr\u00e4ge unter normalen Umst\u00e4nden nicht ein sicheres Bleiben des betreffenden Erlebnisses nach sich zieht. Je st\u00e4rker die Willensseite eines Charakters entwickelt ist, um so entschiedener gilt das Gegentheil. Darauf beruht das Eingreifen des Willens in das Denken. Dieses w\u00e4re unm\u00f6glich, wenn die Lipps\u2019sehe Behauptung richtig w\u00e4re. Es ist aber Thatsache, und beruht vorzugsweise auf dem dargestellten Prozesse des Suchens.\nIn dem Aufsatz \u201eUeber willk\u00fcrliche VorstellungsVerbindungen\u201c behandelt St. Witasek 1 das Problem des Suchens, ohne doch auf das Problem der Erwartung n\u00e4her einzugehen. Dieser Verfasser kann sich kein Suchen einer Vorstellung denken, wenn nicht eineunanschaulichere Vorstellung zuerst vorliegt. Dies ist entweder eine falsche Beobachtung, oder nur ein Spiel mit W\u00f6rtern. Wenn die Erwartung n\u00e4mlich selber eine unanschauliche Vorstellung genannt wird, ist der Satz unwiderlegbar. Aber solcher Name w\u00fcrde h\u00f6chst irreleitend sein; als ob die Erwartung Vorstellung w\u00e4re. Aufserdem findet er im Suchen die Vorstellung der Relation zwischen der unanschaulichen und anschaulichen Vorstellung. Da er hervorhebt, dafs das zweite Glied nicht gegenw\u00e4rtig ist, kann er diese eigent\u00fcmliche Relation nicht in Analogie der normalen Relation zwischen zwei Gliedern denken, sondern mufs sie gewifs unbestimmter, etwa als ein Gepr\u00e4ge, eine Qualit\u00e4t auffassen. Demnach scheint es nicht ausgeschlossen, dafs Witasek sich der hier verteidigten Lehre von der Erwartung anschliefsen k\u00f6nne, obschon dadurch jede Ursache, den willk\u00fcrlichen Uebergang von einer concreten Vorstellung zur anderen zu leugnen, wegf\u00e4llt. Die Bedingung solchen Ueberganges ist immer nur, dafs der pr\u00e4sente Bewufstseinsinhalt durch das Gepr\u00e4ge der Erwartung erweitert sei. Das directe Eingreifen des Willk\u00fcrs in den Vorstellungslauf ist demnach gewifs nicht so beschr\u00e4nkt, wie es den Lesern seines Aufsatzes Vorkommen mufs.\nDurch unsere Ueberlegung ist ein Theil des Problems des Wiedererkennens beseitigt Das Wredererkennen einer gesuchten oder erwarteten Vorstellung besteht eben in der Befriedigung, der Beseitigung, des Associationsgepr\u00e4ges. Die\n1 Diese Zeitschrift 12.","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Die Erwartung.\n413\nAssociation zwischen schwindender Erwartung und ' emportauchendem Erlebnifs ist eben das Wiedererkennen des Gebuchtem Von einer anderen Seite her ist die Bekanritheits-qualit\u00e2t, wie sie von H\u00f6ffdlng klassisch geschildert ist, ein elementares Gepr\u00e4ge, und hat insofern nichts Directes mit dem Associationsgepr\u00e4ge zu thun. Man k\u00f6nnte daran denken, die Bekanntheitsqualit\u00e4t als ein Associationsgepr\u00e4ge schw\u00e4chster Intensit\u00e4t aufzufassen, so dafs bei Steigerung der Bekanntheitsqualit\u00e4t eine Erwartung der directen Erinnerung eintr\u00e4te. Diese Verbindung zwischen Bekannt1 heitsqualit\u00e4t und Associationsgepr\u00e4ge scheint mir thats\u00e4chlich zu bestehen, aber dadurch sind wir doch nicht berechtigt, in den Procefs des Wiedererkennens Erwartung hineinzudichten. Auch die Qualit\u00e4ten Schwarz und Grau werden durch Steigerung ihrer Intensit\u00e4t Weifs, was uns nicht berechtigt, Schwarz und Grau und Weifs f\u00fcr einen und denselben Procefs zu haltern\nEs ist von Rehmke versucht, die Bekanntheitsqualit\u00e4t mit dem Bewufstsein der Vorzeit in Verbindung zu bringen. So wie R. es ausf\u00fchrt, wird es kaum ganz richtig sein. Nach ihm reproducirt die Empfindung die Vorstellung Fr\u00fcher. Diese Vorstellung kommt aber ohne Inhalt kaum vor. Entweder schliefst der Prozefs schon Erinnerung ein, und dann auch das \u201eFr\u00fcher\u201c; dann liegt aber mehr als Bekanntheits-qualitftt vor; oder er schliefet nur die Erwartung der Er-innerung ein; dieser Fall wird sich mit Rehmke\u2019s abstractem Fr\u00fcher wohl decken; oder er schliefst keine von beiden ein, welchem Falle die Schilderung H\u00f6ffding\u2019s angepafst ist.\nIch erkenne also an, dafs das Associationsgepr\u00e4ge (die Erwartung) zur Vorzeit in Beziehung stehen kann. Dieser scheinbare Widerspruch l\u00f6st sich durch die Combination des Associationsgepr\u00e4ges einerseits mit den Symbolen der Vorzeit, andererseits mit der Erinnerung. Eine Erinnerung kann dem Erlebnisse succediren, kann also auch als etwas Zuk\u00fcnftiges erwartet werden. Auf das elementare R\u00e4tsel des Vor-zeitbewufstseins einzugehen, w\u00fcrde uns hier zu weit f\u00fchren.\nDafs aber die Erwartung an sich die Wurzel oder das psychische Element des Zukunftsbewufstseins bildet, ist einleuchtend. Man kann wohl sagen wollen, die Zukunft sei psychisch gesehen Nichts, sie sei kein Erlebnifs, sie sei nur Symbol. Es bleibt aber unm\u00f6glich zu sagen, wie das Symbol des reinen","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414\nKristian B.-Jt. Aars.\nNichts etwas symbolisiren k\u00f6nne. Man sage, sie sei nach Analogie der Vorzeit und Jetztzeit gedacht. Gesetzt, die vielf\u00e4ltigsten Bilder der Vorzeit und Jetztzeit tauchen empor; m\u00f6gen sie recht untreue Abbilder sein, sie werden dadurch doch keine Analogien, die \u00fcber Vorzeit und Jetztzeit hinausgreifen k\u00f6nnen, Dies geschieht erst durch die Erwartung selbst, d. h. durch die Qualit\u00e4t des Associationsgepr\u00e4ges. Die genaue Analyse des Zukunftsbegriffes geh\u00f6rt indessen nicht hieher, wo ich nur die eigenth\u00fcmliche Qualit\u00e4t der Erwartung habe con\u00bb statiren wollen.\nMit Hecht wird man behaupten, dafs zwischen der Vorstellung der Zukunft und dem Erwarten oder Suchen eines Ger d\u00e4chtnifsbildes ein tiefer Unterschied bestehe. Man bedenke aber erstens, dafs die Erwartung eines Ged\u00e4chtnifsbildes und einer pr\u00e4senten Empfindung als Erwartung eins und das* selbe sind. Zweitens dafs das erwartende Bewufstsein theils durch ein einziges Erlebnifs, theils aber erst durch eine Reihe von Erlebnissen befriedigt wird. Endlich dafs bald die Qualit\u00e4t, bald die Intensit\u00e4t, bald die Ausdehnung, bald wieder die Dauer der Erlebnisse zur Befriedigung des Associationsgepr\u00e4ges vorzugsweise beitragen. Nach Analogie der Begriffe und Symbole kann man die Vorstellung der Zukunft als eine besonders auf Dauer gerichtete abstr.actere Erwartung bezeichnen. Nat\u00fcrlich ist die Erwartung als solche nicht abstract Wir bezeichnen durch diese Analogie nur, dafs die Erwartung durch mehrere Erlebnisse befriedigt wird, genau so wie die ab-stracten Begriffe durch mehrere Einzelvorstellungen befriedigt werden.\nDas Associationsgepr\u00e4ge der Erwartung ist den anderen Projectionstendenzen der Psyche an die Seite zu stellen; einerseits derjenigen, wodurch Empfindungen in die \u00e4ufsere dreidimensionale Welt projicirt wird; andererseits derjenigen, wodurch Ge-d\u00e4chtnifsbilder in die Vorzeit projicirt werden. Philosophisch kann von allen diesen Projectionstendenzen gesagt werden, dafs sie dazu beitragen die Grenzen der Psyche fliefsend und unbestimmbar zu machen. Der Charakter der Projection, der diesen\nBewufstseinszust\u00e4nden anhaftet, \u00fcberhebt uns aber nicht der *\nanalytischen Aufgabe, zu bestimmen, was in ihnen als pr\u00e4sente psychische Realit\u00e4t enthalten ist.\n(Eingegangen am 16. December 1899.)","page":414}],"identifier":"lit31366","issued":"1900","language":"de","pages":"401-414","startpages":"401","title":"Die Erwartung","type":"Journal Article","volume":"22"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:10:09.654585+00:00"}