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{"created":"2022-01-31T16:28:35.629089+00:00","id":"lit31406","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Meinong, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 24: 34-82","fulltext":[{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\nVon\nA. Meinong.\nInhalt.\tSeite\n\u00a7 1.\tZur Fragestellung.........................................34\n\u00a7 2.\tDas Zeugnifs der Erfahrung................................38\n\u00a7 3.\tDer Hypothesenwerth der Vergleichungsansicht\t.........42\n\u00a7 4.\tApriorische Erw\u00e4gungen....................................49\nI.\tZur Vergleichung des Einfachen....................49\nII.\tDie urspr\u00fcngliche Einfachheit der zu vergleichenden\n\u201eInhalte\u201c.........................................54\nIII.\tVergleichungsansicht und Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung\t66\n\u00a7 5.\tErgebnisse. Abstraction am Einfachen: typische\tGegenst\u00e4nde\t.\t70\n\u00a7 1. Zur Fragestellung.\nAn meiner Arbeit \u201eUeber Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung\u201c 1 genauer an einigen polemischen Bemerkungen darin 2 3, die, wollte ich nicht allzuweit von dem mir zun\u00e4chst dort vorschwebenden Ziele abkommen, sich nur auf ein ganz fl\u00fcchtiges Kennzeichnen meines Standpunktes beschr\u00e4nken mufsten, hat H. Cornelius 3 ein Eingehen auf die einschl\u00e4gigen Ausf\u00fchrungen in seiner \u201ePsychologie\u201c vermifst. Es w\u00e4re kaum von sachlichem Interesse, hier darzulegen, warum ich auch nach der Kenntnifsnahme von Cornelius\u2019 Aufsatz \u201eUeber Gestaltqualit\u00e4ten\u201c nicht meine, dafs mich im Hinblick auf jene Unterlassung ein berechtigter Vorwurf treffen k\u00f6nnte. Dennoch glaube ich dem auf directe Auseinandersetzung gerichteten Wunsche des genannten Forschers an dieser Stelle .Rechnung tragen zu sollen, einmal weil Hume\u2019s\n1\tDiese Zeitschr. 21.\n2\tA. a. O. S. 233 ff.\n3\tDiese Zeitschr. 22, 102.","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n35\nAufstellung \u00fcber die sogenannte \u201edistinctio rationis\u201c \\ auf denen auch unser Autor fufst, die zeitgen\u00f6ssische Auffassung der Ab-stractionsprobleme immer erneut, sei es direct, sei es indirect zu beeinflussen scheinen, \u2014 dann aber, weil mir ein n\u00e4heres Eingehen auf die Weiterf\u00fchrung, die Cornelius der HuME\u2019schen Position hat zu Theil werden lassen, auch f\u00fcr denjenigen nicht wenig f\u00f6rderlich zu sein scheint, der sich dadurch gen\u00f6thigt findet, \u00fcber die Gr\u00fcnde seines ablehnenden Verhaltens sich und Anderen in m\u00f6glichst pr\u00e4ciser Weise Rechenschaft zu geben.1 2 Dafs meine polemischen Ausf\u00fchrungen auch diesmal3 aussehliefs-lich der Sache gelten und sich darum auch diesmal von den Zuf\u00e4lligkeiten der Darlegungen, an die die Polemik zun\u00e4chst ankn\u00fcpft, m\u00f6glichst frei erhalten m\u00f6chten, bedarf hoffentlich keiner erneuten Versicherung. Es wird sich aber im Hinblick auf diese sozusagen unpers\u00f6nlichen Intentionen empfehlen, obgleich Cornelius\u2019 Ansicht durch deren erneute Darlegung in dieser Zeitschr. ausreichend in Erinnerung gebracht sein m\u00f6chte, sowohl die den folgenden Untersuchungen zu Grunde liegende Frage als die hier zun\u00e4chst zu erw\u00e4gende Beantwortungsweise derselben kurz zu pr\u00e4cisiren.\nHume\u2019s Darlegungen zur Abstractionstheorie sind bekanntlich in der Regel nominalistisch verwerthet worden; wenn gleichwohl Cornelius gegen die Bezeichnung der von ihm vertretenen Ansicht als einer nominalistischen nachdr\u00fcckliche Verwahrung einlegt4, so freue ich mich, nicht nur dieser Verwahrung als einer ganz sach-gem\u00e4fsen beistimmen, sondern daraus zugleich Anlafs nehmen zu k\u00f6nnen, im Folgenden von der ohnehin schon einmal, wenn auch vor nicht eben kurzer Zeit von mir einer n\u00e4heren Untersuchung unterzogenen Sache des \u201emodernen Nominalismus\u201c v\u00f6llig abzu-\n1\tTreatise on Human Nature, Parti, sect. 7. Vgl. dazu meine kritischen Ausf\u00fchrungen in den Hume-Studien 1, 42 ff.\n2\tNoch vor Abschlufs der vorliegenden Studie sind mir zwei Arbeiten verwandter Tendenz bekannt geworden: Th. Lippst kurze Bemerkungen \u201eZu den Gestaltqualit\u00e4ten\u201c in dieser Zeitschr. 22 und Ernst Mally\u2019s eingehende kritische Untersuchung \u00fcber \u201eAbstraction und Aehnlichkeitserkenntnifs\u201c im Manuskript (letztere Abhandlung ist nunmehr ver\u00f6ffentlicht im Archiv f\u00fcr systematische Philosophie 6). Doch habe ich nicht gemeint, im Hinblick hierauf an meinen Ausf\u00fchrungen \u00e4ndern zu sollen: ich begn\u00fcge mich, Uebereinstimmungen in wesentlichen Punkten anzumerken.\n3\tVgl. diese Zeitschr. 21, 183, 205.\n4\tDiese Zeitschr. 22, 108 f.\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"36\nA. Meinong.\nsehen. Diesmal gilt es also nicht, sich gegen den Versuch zn wehren, den Thatsachen, die man unter den Titel \u201eAbstraction\u201c zu vereinigen gew\u00f6hnt ist, durch Berufung auf Worte ihre psychische Natur, wenn nicht gar ihre Thats\u00e4chlichkeit abzustreiten. Vielmehr soll, dafs hier etwas psychisch Thats\u00e4chliches vorliegt, als zugestanden vorausgesetzt werden, und nach der richtigen Beschreibung dieses Thats\u00e4chlichen ist hier die Frage. F\u00fcr den Conceptualisten k\u00f6nnte f\u00fcrs Erste \u00fcberhaupt nur Eine Beantwortung offen scheinen: es ist Cornelius\u2019 Verdienst, aus Hume noch eine zweite herausgelesen zu haben, die mindestens wohl erwogen sein will, ehe man darauf verzichtet, sie sich zu eigen zu machen.\nN\u00e4her kn\u00fcpft die Fragestellung nat\u00fcrlichst an das an, was an der \u201edistinctio rationis\u201c vor aller Theorie unbestrittene That-sache ist. Wir unterscheiden an einem K\u00f6rper Farbe und Gestalt, obwohl wir uns, cum grano salis wenigstens, weder Farbe ohne Gestalt, noch Gestalt ohne Farbe denken k\u00f6nnen. Wir reden von Tonst\u00e4rke und Tonh\u00f6he, obwohl es keinen Ton giebt und wir auch keinen vorstellen k\u00f6nnen, der nicht sowohl St\u00e4rke als H\u00f6he aufwiese. Es scheint selbstverst\u00e4ndlich, dafs hier die Schwierigkeit darin liegt, wie der Gedanke an die Farbe von dem an die Ausdehnung, wie der Gedanke an Tonst\u00e4rke von dem an Tonh\u00f6he gleichsam loskomme ; und das f\u00fcr die betreffenden Zwecke \u00fcberfl\u00fcssige und hinderliche Beiwerk bei Seite zu halten, das stellt sich als eine positive intellectuelle Leistung dar, f\u00fcr die die Benennung \u201eAbstraction\u201c l\u00e4ngst im Gebrauche ist, und deren Wesensbestimmung wenigstens nicht mit un\u00fcberwindlichen Schwierigkeiten verkn\u00fcpft scheint.\nWie aber, wenn diese ganze Betrachtungsweise auf eine entbehrliche Voraussetzung gegr\u00fcndet ist, und mit dieser Voraussetzung auch auf die Leistungen einer abstrahirenden Th\u00e4tigkeit verzichtet werden k\u00f6nnte? Bezeichnet man den Thatbestand, an dem die allf\u00e4llige Abstractionsth\u00e4tigkeit als gleichsam angreifend zu denken w\u00e4re, als das Concrete, so ist die Zusammengesetztheit des Concreten die unerl\u00e4fsliche Vorbedingung f\u00fcr alle Abstraction : soll etwas als Hauptsache gegen\u00fcber einer Nebensache behandelt werden, so mufs wenigstens zweierlei zu einer solchen Behandlung gegeben sein. Cornelius bestreitet nun die unerl\u00e4fsliche Zusammengesetztheit des Concreten, behauptet vielmehr, dafs die \u201edistinctio rationis\u201c auch an \u201eein-","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n37\nfachen Inhalten\u201c vor sich gehen k\u00f6nne, indem ein und derselbe einfache Inhalt, mit verschiedenen Inhalten verglichen, auf verschiedene Arten von Aehnlichkeiten f\u00fchrt, diese Aehnlichkeiten aber es sind, die von jenem Inhalte als dessen verschiedene \u201eMerkmale\u201c ausgesagt werden. Worte wie \u201e schnee weifs\u201c, \u201eglockenrein\u201c lassen ja noch direct erkennen, wie das, was man etwa dem Zucker als \u201eweifse Farbe\u201c nachsagt, seine Aehnlichkeit mit dem Schnee, ebenso das, was man etwa einem hohen Clavier-tone nachr\u00fchmt, seine Aehnlichkeit mit dem Tone einer Glocke ist. Die \u201edistinctio rationis\u201c besteht dann eben nicht darin, aus einem Zusammengesetzten bald diesen, bald jenen Theil herauszuheben, sondern umgekehrt darin, das vorher noch Unbestimmte unter Heranziehung bald der einen, bald der anderen H\u00fclfs-vorstellung durch Vergleichung erst zu bestimmen. Denke ich also an die Gestalt, so kommt mir der Gedanke an die Farbe ganz und gar nicht hindernd in den Weg: es fehlt mir also an jedem Anlafs, ja unter gew\u00f6hnlichen Umst\u00e4nden an jeder M\u00f6glichkeit, von der Farbe erst \u201eabstrahiren\u201c zu wollen. Die Ab-stracta, so k\u00f6nnte man im Sinne dieser Auffassung mit etwas paradoxer Wendung sagen, sind gegeben vor aller Abstraction, und eine Operation letzterer Art anzunehmen ist darum v\u00f6llig entbehrlich.\nWie man bereits aus diesen kurzen Andeutungen ersieht, kann man nicht behaupten, dafs Cornelius etwa die Abstraction auf Vergleichung zur\u00fcckzuf\u00fchren oder eigentlich durch diese zu ersetzen versucht. Vielmehr l\u00e4fst das, was seiner Meinung nach das Vergleichen leistet, es zu einem Abstrahiren \u00fcberhaupt nicht kommen. Nimmt man aber den Umkreis der zu untersuchenden Thatsachen nur weit genug, so kommt es am Ende doch darauf hinaus, dafs Abstrahiren und Vergleichen f\u00fcr die theoretische Bearbeitung in eine Art Wettbewerb um diesen Thatsachenkreis treten. Ich will im Hinblicke hierauf f\u00fcr die besonderen Zwecke der gegenw\u00e4rtigen Darlegungen die gleichsam concurrirenden Ansichten als Abstractionsansicht und Vergleichungsansicht bezeichnen, wobei unter dem ersteren Namen zun\u00e4chst an das gedacht ist, was ich an anderem Orte1 als Wesen der Abstraction darzuthun versucht habe. Cornelius selbst hat zwar auf den\n1 Vgl. namentlich Hume-Studien 1, 10ff. ; \u00fcbrigens auch H\u00f6eler, Logik (.Philosophische Prop\u00e4deutik 1) S. 23 f.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nA. Meinong.\nGebrauch des Wortes \u201eAbstraction\u201c durchaus nicht ganz verzichtet 1 ; aber es d\u00fcrfte der Standpunkt dessen, der den Abstractions- \u201eProcefs\u201c in Abrede stellt, doch wohl deutlicher zur Geltung kommen, wenn auch der f\u00fcr diesen Procefs gebr\u00e4uchliche Name vermieden wird. In diesem Sinne also meine ich auch von einem Wettbewerb der Vergleichungs- und der Abstractions-ansicht reden zu sollen und ob erstere wirklich ein Anrecht darauf hat, aus diesem Wettbewerb als Siegerin hervorzugehen, das ist die Frage, deren Untersuchung die nachfolgenden Beitr\u00e4ge gewidmet sind.\n\u00a7 2. Das Zeugnifs der Erfahrung.\nEs giebt bekanntlich Vieles, was sich sozusagen in die Wirklichkeit hineindichten l\u00e4fst, so dafs es dem zeitweiligen Stande unseres Wissens nach gar wohl selbst wirklich sein k\u00f6nnte, \u2014 das man aber darum noch lange nicht selbst f\u00fcr wirklich h\u00e4lt. Es wird noch zu untersuchen sein, ob das, was ich eben kurz die Vergleichungsansicht genannt habe, nicht vielleicht schon von innen heraus Einw\u00fcrfen ausgesetzt ist. Angenommen aber vorerst, dafs Schwierigkeiten dieser Art nicht vorliegen, so mufs sie doch gleich allem Anderen, was in einer ThatsachenWissenschaft Geltung haben will, sich vor dem Forum der Erfahrung legitimiren, wo m\u00f6glich durch das Zeugnifs directer Erfahrung oder doch mindestens durch ihre Leistungsf\u00e4higkeit f\u00fcr das Verst\u00e4ndnifs dessen, was directe Beobachtung lehrt.\nWird sonach in unserer Sache die Quaestio facti vor Allem in ihrem eigentlichsten und nat\u00fcrlichsten Sinne aufgeworfen, fragt man also einfach, ob dort, wo man herk\u00f6mmlich abstractes Denken in irgend einem Sinne engagirt meint, jedesmal verglichen werde, so scheint mir wohl aufser jedem Zweifel, dafs die Antwort hierauf nur durch ein entschiedenes \u201eNein\u201c gegeben werden kann.'2 Sehe ich recht, so kann man sich hiervon mit leichter M\u00fche \u00fcberzeugen, indem man sich die Aufgabe stellt, im einzelnen Falle dar\u00fcber Rechenschaft zu geben, was denn eigentlich als zweites Fundament f\u00fcr die verlangte Aehnlich-keitserkenntnifs verwendet wird. Man wird dann nach meiner\n1\tVgl. z. B. Psychologie S. 55.\n2\tVgl. auch Mally a. a. O. Abschn. III.","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n39\nErfahrung nicht etwa ausnahmsweise, sondern in der weitaus \u00fcberwiegenden Anzahl der Probef\u00e4lle sich einfach aufser Stande finden, Bezugsobjecte namhaft zu machen, von der oft noch hinzukommenden Thatsache gar nicht zu reden, dafs man \u00fcber den Hergang beim sogenannten abstracten Denken noch ganz positive Erfahrungen macht, die den Sachverhalt in einem v\u00f6llig anderen Lichte zeigen als die Vergleichungsansicht.\nImmerhin giebt es indefs zwei Gruppen von Erfahrungen, die man f\u00fcr geeignet halten k\u00f6nnte, empirische Belege f\u00fcr die Vergleichungsansicht abzugeben. So vor Allem die Gedanken, die in den schon ber\u00fchrten Bezeichnungen \u201eschneeweifs\u201c, \u201eglockenrein\u201c ihren Ausdruck finden. Aber was tritt darin mehr zu Tage als die Thatsache, dafs wirklich ab und zu verglichen, und das Ergebnis der Vergleichung dann von dem einen der verglichenen Gegenst\u00e4nde ausgesagt wird? Bei der grofsen Bedeutung, die insbesondere der Aehnlichkeitsrelation f\u00fcr das indirecte Vorstellen1 zukommt, ist es gar nicht erstaunlich, dafs dem Ausdrucke des Aehnlichkeitsgedankens ab und zu etwas wie besondere sprachliche Veranstaltungen zur Verf\u00fcgung stehen. Aber das darf nat\u00fcrlich auch jeder Vertreter der Abstractionsansicht r\u00fcckhaltlos anerkennen, ohne sich dadurch auch nur im Geringsten nach der Richtung der Vergleichungsansicht hingedr\u00e4ngt zu finden.\nWeit weniger auffallend, daf\u00fcr aber viel umfassender und deshalb g\u00fcnstigen Falles von viel durchschlagenderer Beweiskraft ist die zweite Thatsachengruppe : sie wird ausgemacht von s\u00e4mmtlichen F\u00e4llen von Pr\u00e4dication, von den einfachsten bis zu den complicirtesten.2 In der That, sage ich etwa vom reflec-tirten Bogenlichte in meinem neuen H\u00f6rsaale, dafs es mild und doch ausgiebig, oder vom H\u00f6rsaale selbst, dafs er grofs und doch frei von allem l\u00e4stigen Nachhall sei, so kann der Sinn solcher Behauptungen doch nicht anders gedeutet werden, als so, dafs dem betreffenden Gegenst\u00e4nde Eigenschaften nachgesagt werden sollen, in denen er mit dem \u00fcbereinstimmt, was die Sprache mit den W\u00f6rtern \u201emild\u201c, \u201eausgiebig\u201c, \u201egrofs\u201c etc. zu bezeichnen\n1\tVgl. Hume-Studien 2, 87 f.\n2\tDafs die oben als erste Gruppe namhaft gemachten Thatsachen auch unter den Gesichtspunkt dieser zweiten Gruppe subsummirbar sind, wird im gegenw\u00e4rtigen Zusammenhang schwerlich zu einem Einwand gegen die Gruppentrennung Anlafs geben.","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nA. Meinong.\npflegt. Bei aller Pr\u00e4dication kommt es somit auf Ueberein-stimmung, also auf Aehnlichkeit hinaus. So mag es wenigstens scheinen, aber, wenn ich recht sehe, doch auch nur so lange, bis man den Sachverhalt ohne theoretische Nebengedanken auf das hin besieht, was eben wirklich vorliegt. Oder sollte einer, indem er das Gras gr\u00fcn oder den Himmel blau findet, sich wirklich auf eine Vergleichung mit dem Sprachgebrauch besinnen oder doch wenigstens berichten k\u00f6nnen, dafs in seinen Gedanken dem, was er sieht, in der Hegel etwas dem Geschehenen Fremdes, sei es eine \u201eAehnlichkeitsreihe\u201c oder sonst etwas gegen\u00fcbertritt, das als wenn nicht ausdr\u00fccklich bewufster so doch thats\u00e4chlicher Repr\u00e4sentant der Wortbedeutung gelten d\u00fcrfte? Richtig ist nat\u00fcrlich, dafs wer ein Urtheil ausspricht, normaler Weise nur dann Aussicht hat, richtig verstanden zu werden, wenn er mit den verwendeten W\u00f6rtern meint, was alle Anderen damit meinen: der Redende kann das ausdr\u00fccklich in Rechnung ziehen und insbesondere im Falle eines sogenannten Benennungsurtheiles einem Gegenst\u00e4nde ganz ausdr\u00fccklich die Eigenschaft zuschreiben wollen, \u201edie man mit dem und dem Worte bezeichnet\u201c. Aber es giebt eben noch viele Gedankenumwege, die eventuell auch ganz wohl zum Ziele f\u00fchren k\u00f6nnten, die aber f\u00fcr gew\u00f6hnlich doch Niemand dem geraden Wege vorzieht. Die W\u00f6rter, die ein Urtheil ausdr\u00fccken, sind als solche nicht selbst beurtheilt; dagegen liegt es in der Natur des Ausdruckes, die manchmal absichtlich, in der Regel aber einfach associativ auftretende Folgethatsache des Auszudr\u00fcckenden zu sein. Benenne ich also dieselbe Sache einmal als \u201eKugel\u201c, das andere Mal als \u201eschwarz\u201c, so m\u00f6chte es doch wohl n\u00e4her liegen, f\u00fcr den verschiedenen associativen Verlauf eine vorhergehende Verschiedenheit an den associirenden Vorstellungen verantwortlich zu machen als an denselben Ausgangspunkt zweierlei associative Folgen zu kn\u00fcpfen, von deren Verschiedenheiten man dann keine Rechenschaft mehr geben kann.\nSo erweisen sich auch die scheinbaren empirischen Instanzen zu Gunsten der Vergleichungsansicht bei n\u00e4herer Pr\u00fcfung als unkr\u00e4ftig. Zum Schlufs sei hier nun einer Instanz gegen die in Rede stehende Ansicht gedacht, die zwar nur einen ganz speciellen Fall betrifft, innerhalb ihrer Grenzen aber um so deutlicher spricht. Man erlebt ja bekanntlich Manches, das zur Zeit f\u00fcr das betreffende Subject nicht Seinesgleichen hat. An","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"\u00c4bstrahiren und Vergleichen.\n41\neigentlichen Sinneseindr\u00fccken wird dem Erwachsenen nicht leicht einigermaafsen Neues begegnen, an Gestalten oder Melodien dagegen, die ja Cornelius in die Vergleichungsansicht einbezieht, m\u00f6chte derlei nicht allzu schwer selbst zu experimenteller Nachpr\u00fcfung herbeizuschaffen sein. Sollte ich nun wirklich eine zum ersten Male sich mir darbietende Gestalt nicht in der Weise, die man gew\u00f6hnlich abstract nennt, zu erfassen im Stande sein? Wenn aber, woher nehme ich die von der Vergleichungsansicht verlangte Aehnlichkeit ?\nIch fasse das bisher Dargelegte zu der Behauptung zusammen, dafs die Empirie die Verification f\u00fcr die Vergleichungsansicht \u00fcberall, wo man eine solche zu erwarten berechtigt w\u00e4re, versagt. Die Erfahrung l\u00e4fst nicht nur nicht erkennen, dafs es in Wirklichkeit so zuginge, wie die Vergleichungsansicht behauptet, sondern sie l\u00e4fst auch erkennen, dafs es in Wirklichkeit anders zugehe. Gewifs ist die Ueberzeugung, dafs es damit so bewandt sei, eine von denen, die sich zuletzt auf die Gesammt-heit und den Werth der Erfahrungen st\u00fctzen, die der Ur-theilende zu eigen hat, also kurz auf seine Erfahrenheit auf dem betreffenden Gebiete, und hier\u00fcber mag dann eine Verst\u00e4ndigung mit dem Andersdenkenden schwierig sein. Aber so viel mir bekannt, giebt es keine empirische Wissenschaft, keine nur einigermaafsen complicirtere Thatsache, bei deren Bearbeitung jene undiscutirbare Erfahrenheit nicht immer wieder den Fachmann in seiner ersten und eventuell auch letzten Stellungnahme zu fremden und eigenen Conceptionen und Con-ceptionsversuchen bestimmte und, wie hinzugef\u00fcgt werden darf, mit Recht bestimmte. Es st\u00fcnde schlimm um den' empirischen Charakter der Psychologie, wenn es hier anders w\u00e4re; und sicher w\u00e4re der Psychologie schon manche fruchtlose Bem\u00fchung erspart geblieben, h\u00e4tte man sich nicht so oft bereit gefunden, das, was unter Umst\u00e4nden und m\u00f6glicherweise gegebenen Falles geschehen k\u00f6nnte, sogleich f\u00fcr das zu nehmen, was wirklich geschieht. Ich trage darum auch kein Bedenken, einzur\u00e4umen, dafs, was mir die Vergleichungsansicht unannehmbar erscheinen liefs und l\u00e4fst, zun\u00e4chst der Umstand ist, dafs sie mit dem nicht in Einklang zu bringen ist, was ich direct und ohne theoretische Verarbeitung als den positiven Hergang kenne. Ich w\u00fcrde auch keinen Anstand nehmen, allein daraufhin die in Rede stehende Position f\u00fcr mein Theil eben so bestimmt abzulehnen, als man","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nA. Meinong.\nw\u00e4hrend der wissenschaftlichen Arbeit tausend andere Gedanken ablehnt, die sich ans diesem oder jenem Anlasse darbieten. Immerhin trifft es sich aber in diesem Falle, und ich halte das nat\u00fcrlich von meinem Standpunkte aus f\u00fcr ein g\u00fcnstiges Zusammentreffen, dafs es recht discutirbare, vielleicht nur ihrer Greifbarkeit halber der Discussion theilweise wenigstens kaum f\u00e4hige oder bed\u00fcrftige Erw\u00e4gungen giebt, die ebenfalls im Sinne negativer Stellungnahme entscheiden d\u00fcrften: ich will daher versuchen, sie im Folgenden vorzulegen.\n\u00a7 3. Zum Hypothesenwerth der Vergleichungsansicht.\nEs d\u00fcrfte aus den vorstehenden Ausf\u00fchrungen ausreichend deutlich geworden sein, wie wenig sich meiner Meinung nach die Vergleichungsansicht der Pflicht einer ausreichenden empirischen Verification \u00fcberhoben erachten darf und wie wenig sie gleichwohl eine solche beizubringen in der Lage ist. Ein Autor insbesondere, der seine \u201ePsychologie \u201c auch dem nicht gerade f\u00fcr anti- oder auch nur unempirisch geltenden gegenw\u00e4rtigen Betriebe dieser Disciplin gegen\u00fcber noch durch den Beisatz \u201eals ErfahrungsWissenschaft\u201c gekennzeichnet hat, und auch noch neuerlich auf die \u201erein empirische\u201c, hypothesenfreie Darstellung Werth legt h wird eine Ablehnung der Vergleichungsansicht auf das Dargelegte hin sicher in dem Maafse f\u00fcr bereits ausreichend motivirt halten, in dem er den obigen Ausf\u00fchrungen stattgiebt. Dennoch soll nun f\u00fcrs Erste von dem Verh\u00e4ltnisse dieser Ansicht zur directen Empirie abgesehen und die in Bede stehende Position auf dem Fufse einer jener Hypothesen behandelt werden, deren sich erforderlichen Falles zu bedienen, die Theorie entgegen J. St. Mill\u2019s strengen Anforderungen an die \u201evera causa niemals verschm\u00e4ht hat, und deren Werth sich zwar nicht ausschliefslich, ohne Zweifel aber in erster Linie nach dem bestimmt, was durch die Annahme ihrer Verwirklichung f\u00fcr das Verst\u00e4ndnifs des betreffenden Thatsachengebietes geleistet w\u00e4re. Nehmen wir also vor\u00fcbergehend an, mit dem, was die Vergleichungsansicht behauptet, habe es seine Dichtigkeit : ist dann demjenigen, was man sonst unter dem Abstractionsgedanken\n1 Diese Zeit sehr. 22, 101.","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n43\nzusammenzuordnen pflegt, in befriedigender Weise theoretisch Rechnung getragen?\nIst man im Rechte, als die Quelle des Bed\u00fcrfnisses nach Abstraction das Zuviel an gegenst\u00e4ndlichem Material zu bezeichnen, das sich dem Vorstellen und damit auch dem Urtheilen allenthalben aufzudr\u00e4ngen scheint, so mufs anerkannt werden, dafs die Vergleichungsansicht Uebelst\u00e4nden dieser Art in der radicalen Weise desjenigen abzuhelfen verspricht, der das Uebel sozusagen \u00fcberhaupt gar nicht aufkommen l\u00e4fst. Es ist ja durchaus dem intellectuel! arbeitenden Individuum anheim gegeben, in wie viel \u201eHinsichten\u201c es vergleichen will; die Conception jeder dieser \u201eHinsichten\u201c aber ist bereits von Natur in einer Weise gegen jede andere Hinsicht isolirt, dafs eine k\u00fcnstliche Nachh\u00fclfe sicherlich nicht mehr Noth thut. Auch an Pr\u00e4cision l\u00e4fst der Aehnlichkeitsgedanke nichts zu w\u00fcnschen \u00fcbrig, zumal dabei erforderlichen Falles das Aehnlichkeits-maximum, die Gleichheit, zur Verf\u00fcgung steht. Wenn aber ein und dasselbe Object je nach Heranziehung verschiedener Vergleichungsobjecte verschiedene Aehnlichkeiten auf weisen kann, mufs der charakteristische Werth dieser Aehnlichkeiten, genauer deren Deutlichkeit und Eignung zur \u201eBestimmung\u201c jenes Objectes nicht dadurch beeintr\u00e4chtigt werden, dafs auch jedes dieser Vergleichsobjecte eventuell sich als in verschiedener \u201eHinsicht\u201c \u00e4hnlich erweisen kann? Und wie tritt auch nur diese Verschiedenheit der Hinsichten in der Vergleichung zu Tage, wenn doch auch ein und dasselbe Object verschiedenen Objecten in derselben Hinsicht \u00e4hnlich sein kann?\nN\u00e4her sind es hier vor Allem zwei Grundfragen, an deren Beantwortung sich die Leistungsf\u00e4higkeit der Vergleichungsansicht erproben mufs. Gesetzt, ein Object A sei zwei Objecten M und N \u00e4hnlich. Wie unterscheidet sich, das ist die erste Frage, die Sachlage, wenn A ihnen in verschiedener Hinsicht \u00e4hnlich ist von der, wenn diese \u201eHinsicht\u201c beiden Vergleichsobjecten gegen\u00fcber die n\u00e4mliche ist ? Dafs Letzteres m\u00f6glich ist, bew\u00e4hrt sich ja, so oft mehrere Streichinstrumente etwa von demselben Clavier sich das eingestrichene a vorgeben lassen. Ersteres findet z. B. statt, wenn man einen kurzen Ton einmal mit einem kurzdauernden, etwa blitzartigen Lichte, ein andermal mit einem langgezogenen Tone vergleicht, wobei sich ja einmal Aehnlich-keit hinsichtlich der Dauer, das andere Mal hinsichtlich der\nt \u2019","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nA. Meinong.\nQualit\u00e4t ergiebt. Die Antwort findet sich zun\u00e4chst noch ziemlich einfach : ist M und A einander v\u00f6llig un\u00e4hnlich, dann werden die beiden Aehnlichkeiten des A Aehnlichkeiten in verschiedener Hinsicht sein. Wie aber mufs M und N beschaffen sein, um ihnen eine solche v\u00f6llige Un\u00e4hnlichkeit nachsagen zu d\u00fcrfen? Wenn sie aber noch einigermaafsen \u00e4hnlich sind, was ist dann in betreff der Aehnlichkeiten des A und ihrer \u201eHinsichten\u201c zu halten? Aber noch mehr: wenn M und N selbst recht \u00e4hnlich, ja einander gleich sind, weifs ich dann, dafs die Aehnlichkeiten mit A Aehnlichkeiten \u201ein derselben Hinsicht\u201c sind, da doch schon A und AZ, ebenso wieder A und N in mehr als einer Hinsicht \u00e4hnlich sein k\u00f6nnten?\nWir sind damit zur zweiten der oben ber\u00fchrten Grundfragen gelangt, die bereits Lipps in zwei verschiedenen Formen aufgeworfen hat.1 Es handelt sich dabei nicht um drei, sondern nur um zwei Vergleichungsgegenst\u00e4nde, die doch nicht nur in einer und derselben \u201eHinsicht\u201c, sondern auch in verschiedenen \u201eHinsichten\u201c \u00e4hnlich, aufserdem aber auch in einer Hinsicht \u00e4hnlich, in einer anderen un\u00e4hnlich sein k\u00f6nnen. Worin tritt nun jede dieser beiden Thatsachen zu Tage? Sehe ich recht, so bedarf die Vergleichungsansicht f\u00fcr jede derselben noch der Bezugnahme auf wenigstens zwei weitere Gegenst\u00e4nde, die zu einander in der Relation jener totalen Un\u00e4hnlichkeit stehen, von der eben die Rede war. Ist n\u00e4mlich jedes der beiden Ausgangsobjecte jedem dieser beiden total un\u00e4hnlichen H\u00fclfsobjecte \u00e4hnlich, dann werden die Ausgangsobjecte wohl in verschiedenen Hinsichten \u00e4hnlich sein m\u00fcssen. Sie sind dagegen sowohl \u00e4hnlich als un\u00e4hnlich, sonach in der einen Hinsicht \u00e4hnlich, in der anderen un\u00e4hnlich, wenn nur Eines der Ausgangsobjecte beiden H\u00fclfsobjecten \u00e4hnlich, das andere aber dem einen H\u00fclfsobjecte \u00e4hnlich, dem anderen un\u00e4hnlich ist. In Zeichen etwa: ist nicht nur A, sondern auch noch ein B den oben erw\u00e4hnten M und X \u00e4hnlich, dann wird sich die Aehnlich-keit zwischen A und B als Aehnlichkeit in mehr als einer \u201eHinsicht\u201c ergeben. W\u00e4re dagegen nur A der Aehnlichkeit in beiden Hinsichten f\u00e4hig, indes B etwa dem M \u00e4hnlich, dem N hingegen un\u00e4hnlich w\u00e4re, dann m\u00fcfste B dem A gegen\u00fcber neben der Aehnlichkeit in der einen eine Un\u00e4hnlichkeit in der anderen \u201eHinsicht\u201c\n1 Diese Zeitschr. 22, 383 f","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n45\nauf weisen. Wie man sieht, f\u00fchrt die Beantwortung dessen, was ich eben die zweite Grundfrage genannt habe, auf die n\u00e4mlichen Gesichtspunkte zur\u00fcck, unter denen die erste Grundfrage einer Art L\u00f6sung zug\u00e4nglich war. Nur ist die dadurch geforderte Complication noch eine weit gr\u00f6fsere; die Schwierigkeiten aber, auf die wir oben bereits gef\u00fchrt worden sind, zeigen sich auch hier unvermindert in Kraft.\nEine besondere Schwierigkeit tritt hinzu, sofern die \u201eHinsichten\u201c, in denen A und B einander \u00e4hnlich sind, sich nicht in der obigen Weise von einander trennen lassen. Zwei K\u00fcnstler sind einander nicht nur darin \u00e4hnlich, dafs sie in bestimmter Weise veranlagt, sondern auch darin, dafs sie Menschen sind, ebenso zwei Menschen noch darin, dafs sie psychische Wesen sind. Man w\u00fcrde aber zur Constatirung dieser Thatsachen vergeblich nach Vergleichsobjecten suchen, an denen K\u00fcnstlerthum ohne Menschenthum, wenn man so sagen darf, auftr\u00e4te, oder Aehnlichkeit in betreff der specifisch menschlichen Eigenschaften ohne Aehnlichkeit in Betreff der Eigenschaften psychischer Wesen \u00fcberhaupt. Ebenso werden zwei Dinge, die darin \u00e4hnlich sind, dafs sie Farbe haben, auch Aehnlichkeit, die sich auf Ausgedehntheit bezieht, nicht vermissen lassen u. s. f. \u2014 und ist es f\u00fcr die Vergleichungshypothese schon keine Empfehlung, dafs sie sich zur Pr\u00e4cisirung einfachster Grundthatsachen ihres Anwendungsgebietes bereits der H\u00fclfsdaten M und N bedienen mufs, so zeigt sich nun, dafs sie mit diesen nicht ausreicht, vielmehr ohne weitere H\u00fclfsmittel ihrer Aufgabe nicht gerecht werden kann.\nWirklich finden wir bereits zwei H\u00fclfsgedanken in die Vergleichungsansicht aufgenommen, die Berufung auf die \u201eAehn-lichkeitsreihen\u201c und die auf die nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Verschiedenheit der Aehnlichkeiten selbst, deren \u201eArten\u201c den \u201evon einander unabh\u00e4ngigen Keihenbildungen zu Grunde\u201c liegen.1 Was zun\u00e4chst die Aehnlichkeitsreihen anlangt, so weist Einordenbarkeit in verschiedene derselben auf Aehnlichkeit in verschiedener Hinsicht. Aber wie wird sich die Bildung der verschiedenen Aehnlichkeitsreichen vollziehen, ehe man die verschiedenen m\u00f6glichen \u201eHinsichten\u201c aus einander\n1 Vgl. Cornelius, Psychologie S. 51 ff.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nA. Meinong.\nhalten gelernt hat ?1 Der entscheidende Gesichtspunkt soll, wie uns gesagt wird2 3, die \u201emaximale\u201c Aehnlichkeit innerhalb jeder dieser Reihen sein, nach der sich etwa die Tonh\u00f6hen bei gleicher Tonst\u00e4rke, die Tonst\u00e4rken bei gleicher Tonh\u00f6he ordnen und so zwei Dimensionen der T\u00f6nemannigfaltigkeit ergeben. Aber wenn ich nicht etwa bereits Tonh\u00f6he und Tonst\u00e4rke aus einander zu halten gelernt habe, sollte ich an den beiden mir zur Vergleichung vorliegenden \u201eInhalten\u201c in ihrer \u201eEinfachheit\u201c und \u201eUnbestimmtheit\" zugleich Gleichheit und Verschiedenheit zu erkennen verm\u00f6gen? Wenn nicht, so sind die vorgegebenen \u201eInhalte\u201c zun\u00e4chst nichts als mehr oder weniger \u00e4hnlich, und dann kann ganz wohl geschehen, dafs etwa zwei T\u00f6ne von gleicher St\u00e4rke und ungleicher H\u00f6he, wenn diese Ungleichheit nur ausreichend grofs ist, sich als weniger \u00e4hnlich darstellen als zwei andere T\u00f6ne, die sowohl der H\u00f6he als der St\u00e4rke nach verschieden sind. Man kann ja auch von einer Ebene nicht behaupten, dafs die Punkte kleinster Distanz darin sich etwa in Verticale und Horizontale oder auch nur in zwei auf einander normale Richtungen ordnen. Aus Widerspr\u00fcchen in den Distanzdaten unter Voraussetzung nur Einer Dimension wird sich dann freilich die Zweidimensionalit\u00e4t erschliefsen lassen : aber so wenig damit bereits in betreff der genaueren Beschaffenheit dieser Dimensionen eine Entscheidung getroffen ist, so wenig k\u00f6nnen etwa im Tonbeispiele jene \u201eHinsichten\u201c dadurch allein bestimmt sein, dafs man erkennt, dafs mit Einer solchen \u201eHinsicht\u201c allein das Auslangen nicht zu finden w\u00e4re. Nicht wesentlich leichter als die Bildung der Reihen selbst m\u00f6chte dann die Einordnung eines zu bestimmenden Falles in dieselbe sein, da man sich dabei wieder nicht durch totale Aehnlichkeit, d. h. Gleichheit leiten lassen k\u00f6nnte.\nSo findet man sich von selbst nach der zweiten H\u00fclfshypo-these hingedr\u00e4ngt, der Annahme, dafs die verschiedenen \u201eHinsichten\u201c nicht durch die Verschiedenheit der Bezugsobjecte, sondern durch die der Aehnlichkeiten zwischen diesen ausgemacht werden.0 Dafs man Tonst\u00e4rke und Tonh\u00f6he aus einander\n1\tVgl. Lipps a. a O. S. 383; auch Mally, \u201eAbstraction und Aehnlich-keitserkenntnifs\u201c, Abschn. IV.\n2\tCornelius, Psychologie S. 54.\n3\tVgl. auch Mall y a. a. 0.","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n47\nh\u00e4lt, liegt zuletzt daran, dafs bei den Tonvergleichungen zwei charakteristische Arten von Aehnlichkeiten auf treten. Nat\u00fcrlich sind nun auch dieser Zusatzhypothese gegen\u00fcber, in der die Vergleichungsansicht gewissermaafsen zu culminiren scheint, die Fragen nach Stellung zur Empirie und nach Leistungsf\u00e4higkeit neuerlich aufzuwerfen. Was jedoch die Beantwortung dieser Fragen ergiebt, m\u00f6chte die noch neu hinzugenommene Hypothesenlast schwerlich als eine leichte erscheinen lassen.\nDafs Aehnlichkeiten graduell verschieden sind, steht aufser Frage: weisen sie aber auch qualitative Verschiedenheiten auf? Die Behauptung, dafs dem so sei, ist nicht ohne Vorg\u00e4nger: J. v. Kkies hat sogar den markantesten Aehnlichkeitsfall, das Aehnlichkeitsmaximum Gleichheit als \u201eatypische Relation\u201c angesprochen. 1 Dennoch erscheint es mir gerade bei der Gleichheit in besonderem Maafse auffallend, dafs es davon in unserer Vorstellung \u00fcberhaupt nur einerlei giebt; von Aehnlichkeiten niedrigeren Grades aber finde ich die Evidenz f\u00fcr den n\u00e4mlichen Sachverhalt in dem Maafse zwingender, in dem der Fall sich dem der v\u00f6lligen Gleichheit ann\u00e4hert2; die Aehnlichkeiten aber, mit denen die Vergleichungsansicht operirt, wollen doch sicher zu den relativ grofsen und nicht zu den relativ geringf\u00fcgigen Aehnlichkeiten z\u00e4hlen. Inzwischen k\u00f6nnte es Manchem vielleicht angemessen erscheinen, hierin der m\u00f6glichen Unvollkommenheit unserer Erkenntnifsf\u00e4higkeit Rechnung zu tragen, d. h. auch Aehnlichkeiten in der N\u00e4he des Maximums qualitative Verschiedenheiten zuzusprechen, die nur schwer oder gar nicht erkennbar w\u00e4ren. Nun braucht aber die Vergleichungsansicht\n1\tVgl. v. Kries\u2019 briefliche Mittheilungen in meinen Untersuchungen \u201eUeber die Bedeutung des 'VVEBER\u2019schen Gesetzes\u201c, diese Zeitschrift 11, 115 f., S. 39 ff. der Sonderausgabe.\n2\tF\u00fcr V erschiedenheitsrelationen habe ich die Eventualit\u00e4t qualitativer \\ er\u00e4nderlichkeit unter dem Gesichtspunkte der \u201eRelation der Lage\u201c selbst herangezogen, a. a. O. S. 117 ff. (S. 42 ff. der Sonderausgabe). Doch ist der Verschiedenheitsgedanke dem Aehnlichkeitsgedanken zwar aufs Engste verkn\u00fcpft, f\u00e4llt aber mit ihm keineswegs zusammen. Immerhin bleibt es noch eine der vielen Aufgaben k\u00fcnftiger Untersuchung auf diesem Gebiete, unsere Erfahrungen \u00fcber die Natur des Aehnlichkeits- und des Verschiedenheitsgedankens mit einander in n\u00e4here Beziehung zu bringen. Insbesondere auch das Eingehen auf Kries\u2019 Entgegnung in der Vierteljahrsschr. f. wissen-schaftl. Philosophie 23, 15 ff., Jahrgang 1899, mufs ich einer anderen Gelegenheit Vorbehalten.","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nA. Meinong.\nAehnlichkeiten, die so leicht aus einander zu halten sein m\u00fcfsten, wie es die Erfahrung in betreff der Vorstellungen von Tonh\u00f6he gegen\u00fcber Tonst\u00e4rke, aber auch von Ton gegen\u00fcber Farbe u. s. f. lehrt, wobei, so viel ich sehe, keine begriffliche Verschiedenheit so grofs w\u00e4re, dafs sie aufserhalb der Grenzen dessen fiele, wof\u00fcr die Vergleichungsansicht mittels der qualitativen Verschiedenheit zwischen den betreffenden Aehnlichkeiten aufzukommen h\u00e4tte. Wer also versucht, die Zusatzhypothese von der qualitativen Verschiedenheit der Aehnlichkeiten zur Empirie dadurch in ein einigermaafsen freundliches Verh\u00e4ltnifs zu bringen, dafs er diese Verschiedenheit aus dem Bereiche des unserer Erkenntnis Zug\u00e4nglichen ganz oder der Hauptsache nach ausschliefst, opfert die Leistungsf\u00e4higkeit der Hypothese; will er dies vermeiden, so kommt er mit der Empirie in unausweichlichen und, wie mir scheint, ganz besonders auffallenden Conflict.\nSchliefslich mufs hier nun auch der bei Verhandlung der Abstractionsprobleme sonst meist an erster Stelle ber\u00fccksichtigten Allgemeinheit der meisten Abstracta mit einigen Worten gedacht sein. Gesetzt, es handle sich wie eben zuvor darum, die Verschiedenheit von Tonh\u00f6he und Tonst\u00e4rke zu constatiren, nicht an diesen oder jenen T\u00f6nen im Besonderen, sondern eben \u201eallgemein\". Was helfen uns da die uns von der Vergleichungsansicht angebotenen beiden Aehnlichkeitsqualit\u00e4ten, wenn die betreffenden Aehnlichkeiten doch, wie unvermeidlich, an den Vergleichungsobjecten h\u00e4ngen, in den Kreis der Verschieden-heitserkenntnifs aber auch die Aehnlichkeiten zwischen Objecten einbezogen sein wollen, die jetzt vom Erkennenden nicht vorgestellt werden? Am Ende wird es hier doch darauf hinauskommen m\u00fcssen, dafs eben von den besonderen zur Vergleichung herangezogenen Objecten in irgend einer Weise \u201eabgesehen\u201c wird, sonach die Aehnlichkeit dem Aehnlichen ausdr\u00fccklich gegen\u00fcbergestellt werden mufs. Einem von mir in dieser Sache einst gegen Hume vorgebrachten Einwande1 hat Cornelius widersprochen2 ; vielleicht mit Hecht, soweit es sich um die \u201edistinctio rationis\u201c zwischen der H\u00f6he und St\u00e4rke dieses oder jenes Tones handelt. Gilt es hingegen Vorstellungen mit Allgemeinheitsdignit\u00e4t, dann verlangt die Vergleichungsansicht zu-\n1 Hume-Studien 1, 64 f.\n* Diese Zeitschr. 22, 109 f.","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"\u00c4bstrahiren und Vergleichen.\n49\nletzt selbst gerade das, was sie eigentlich zu leisten bestimmt ist. Auf die Bezeichnung dieses Mangels als \u201eCirkel\u201c lege ich keinen Werth: umsomehr auf die Erkenntnifs, dafs die Vergleichungsansicht uns hier eben im Stiche l\u00e4fst.1\n\u00a74. Apriorische Erw\u00e4gungen.\nEine Behauptung \u00fcber Thatsachen kann, wie ber\u00fchrt, nicht aufrecht erhalten werden, wenn sie in den Thatsachen\u2019 keine St\u00fctze findet; ebenso kann eine Hypothese nicht angenommen werden, sofern sie theoretisch nicht leistet, was sie soll. So ergeben die Ausf\u00fchrungen des vorigen Paragraphen f\u00fcr die Vergleichungsansicht als Hypothese das n\u00e4mliche Resultat wie die Ausf\u00fchrungen des \u00a7 2 f\u00fcr diese Ansicht als Beschreibung beobachteter Thatsachen : die Ablehnung erscheint im einen wie im anderen Sinne gleich unvermeidlich. Schlechthin jede M\u00f6glichkeit aber, die Empirie nicht irgendwie doch irrig erfafst die Tragkraft oder auch Verfeinerungsf\u00e4higkeit der Hypothese irgendwie untersch\u00e4tzt zu haben, ist durch Obiges nat\u00fcrlich so wenig abgeschnitten, als solches sonst bei theoretischer Verarbeitung der Empirie auszuschliefsen ist. Und mufs und kann sich auch die empirische Forschung in tausend F\u00e4llen mit diesem unerledigten Rest zufrieden geben, so bleibt es dem abzulehnenden Gedanken gegen\u00fcber doch stets eine erw\u00fcnschte Sicherung, wenn bereits die Natur des Gedankens selbst gleichsam von innen heraus diesen zu acceptiren verbietet. Apriorische Erw\u00e4gungen hier\u00fcber f\u00fchren dann jene der Mathematik mit Recht nachger\u00fchmte Evidenz f\u00fcr Gewifsheit mit sich, die dem aus der Empirie genommenen Beweisen doch auch g\u00fcnstigsten Falles streng genommen niemals zukommt.\nSehe ich recht, so bieten sich dem, der die Vergleichungsansicht durchdenkt, Gesichtspunkte der eben charakterisirten Beschaffenheit dar. Sie festzuhalten, ist vielleicht auch f\u00fcr sich nicht ohne thoretischen Werth und soll daher im Folgenden kurz versucht werden.\nI. Zur Vergleichung des Einfachen.\nHie Vergleichungsansicht geht ganz ausdr\u00fccklich 2 von \u201eein-fachen Inhalten\u201c aus, denen im Sinne der oben besprochenen Ver-\n1\tVgl. auch Mally a. a. 0. Abschnitt IV.\n2\tVgl. diese Zeitschr. 22, 102 ff.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 24.\t4","page":49},{"file":"p0050.txt","language":"de","ocr_de":"50\nA. Meinong.\ngleichungen die erw\u00e4hnten Aehnlichkeiten in verschiedener \u201eHinsicht\u201c znkommen sollen. Nun vertr\u00e4gt sich aber jene Einfachheit schlechterdings nicht mit dieser Mehrheit der Hinsichten, wie man am leichtesten einsehen kann, wenn man statt der f\u00fcr diese Hinsichten mafsgebenden Aehnlichkeiten \u00fcberhaupt sofort den Specialfall der Gleichheit in Betracht zieht. Gesetzt etwa, A sei der einfache \u201eInhalt\u201c oder, wie ich aus anderswo dargelegten Gr\u00fcnden1 zu sagen vorziehe, der einfache Gegenstand. Finde ich ihn einem B und G gleich, so liegen, wenn wir oben2 im Rechte waren, nur dann Aehnlichkeiten, genauer Gleichheiten in verschiedener Hinsicht vor, wenn B und C unter einander ungleich sind. Wie wird man nun aber \u00fcber die Forderung denken, dafs zwei Gegenst\u00e4nde einem dritten gleich, unter einander aber ungleich sein sollen? Hat man unter den \u201eeinen\u201c dritten, in unserem Falle eigentlich ersten Gegenst\u00e4nde, dem A n\u00e4mlich, ungenauer Weise etwas verstanden, was im Grunde mehrere Gegenst\u00e4nde, etwa ein b und ein c sind, dann steht freilich nichts im Wege, dafs etwa das b dem R, das c dem C \u00e4hnlich oder gleich ist. Ist aber A einfach, dann ist unmittelbar evident, dafs die beiden Gleichheiten darin sozusagen keinen Raum haben.\nDie innere Unm\u00f6glichkeit des in Rede stehenden Gedankens verr\u00e4th sich auch in einer anderen Wendung desselben. Ihm zufolge k\u00f6nnen, wie wir sahen, zwei Gegenst\u00e4nde in verschiedener Hinsicht \u00e4hnlich, also wohl auch in der einen Hinsicht \u00e4hnlich, in der anderen un\u00e4hnlich sein. Was sollte aber Aehnlichkeit, etwa wieder speciell Gleichheit eines einfachen A mit einem einfachen B bedeuten, wenn dasselbe A demselben B zugleich ungleich sein kann?\nEine Art Specialfall hiervon betrifft die Frage, ob ein Einfaches zugleich in einer Hinsicht sich \u00e4ndern, in einer anderen gleichwohl unver\u00e4ndert bleiben kann. So gewifs ich im Sinne des Dargelegten diese M\u00f6glichkeit verneinen mufs, so wenig m\u00f6chte ich unerw\u00e4hnt lassen, dafs gleichzeitige Constanz und Ver\u00e4nderlichkeit nicht eben selten an Gegenst\u00e4nden aufzutreten scheint, die als Complexionen zu erkennen auch sorgf\u00e4ltigster analytischer Bem\u00fchung nicht gelingen will. An T\u00f6nen kann\n1\tDiese Zeitschr. 21, 185 ff.\n2\tVgl. S. 43 f.","page":50},{"file":"p0051.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n51\nsich die St\u00e4rke \u00e4ndern bei gleichbleibender H\u00f6be, ebenso die H\u00f6be bei gleiehbleibender St\u00e4rke. Aehnlicbes zeigt sieb an Farben in Bezug auf Farbenton, Helligkeit, S\u00e4ttigung oder wie sonst die \u201eDimensionen\u201c dieser Mannigfaltigkeit zu bestimmen sein m\u00f6gen1 innerhalb gewisser durch die Empirie vorgez eiebnet er Grenzen, und wenn man von solchen empirischen Schranken absiebt, k\u00e4me theoretisch hier jede mehrdimensionale Mannigfaltigkeit in Frage, deren Puncte sich nicht als Complexionen darstellen. Besonders auffallend sind in dieser Hinsicht wohl die Ortsbestimmungen unseres psychologischen oder subjectiven Raumes: auch wer ihnen die urspr\u00fcngliche Dreidimensionalit\u00e4t abspricht, beh\u00e4lt mit den zwei ersten Dimensionen, wenn er nicht etwa eine \u201eempiristisehe\u201c Deutung zu H\u00fclfe nimmt, dem Obigen zufolge die seltsam genug sich darstellende Forderung zur\u00fcck, den subjectiven Ort aus zweierlei unabh\u00e4ngig variablen Bestimmungen zusammengesetzt anzusehen.\nMan kann versuchen, in der Sache noch einen Schritt weiter zu gehen. Sind denn nicht alle T\u00f6ne, wie immer sonst verschieden, darin einander gleich, dafs sie T\u00f6ne sind? Kommt ferner nicht allen verschieden hohen T\u00f6nen in gleicher Weise H\u00f6he, allen verschieden starken in gleicher Weise St\u00e4rke \u201eim Allgemeinen\u201c zu? Aehnliches liefse sich dann nat\u00fcrlich auch von Farbe \u201eim Allgemeinen\u201c, nicht minder aber von Roth, Blau oder Gr\u00fcn, ja von einem jeden beliebig langen oder kurzen St\u00fcck einer Farbenlinie ausf\u00fchren, falls man nur einen einiger-maafsen geeigneten Ausdruck zur Verf\u00fcgung hat. Verlangt nun dem obigen Princip gem\u00e4fs Gleiches neben Verschiedenem jedesmal die Aufstellung je einer besonderen Componente, so ist es leicht, f\u00fcr jedes Continuum oder Quasi-Continuum die Zahl der verlangten Componenten ins Unendliche oder doch Unrn\u00e4fsige zu steigern und damit die ganze eben als evident angesprochene Forderung um so sicherer ad absurdum zu f\u00fchren, als dabei, wie man sieht, etwa in betreff der Farben nun sogar der obige Anspruch auf eine der Dimensionenzahl gleiche Componenten-zahl mit ins Schwanken zu gerathen droht.\nDafs in dieser Richtung aus dem obigen Principe wirklich \u00fcbertriebene Consequenzen gezogen worden sind, kann ich so\n1 Beitr\u00e4ge zur mathematischen Behandlung dieses Problems giebt K. Zindler in dieser Zeitschr. 20, 226 ff.\n4*","page":51},{"file":"p0052.txt","language":"de","ocr_de":"52\nA. Meinong.\nwenig verkennen, dafs ich vielmehr einr\u00e4umen mufs, dafs es mir selbst begegnet ist.1 Inzwischen ist ein Weg2, auf dem solchen Unzuk\u00f6mmlichkeiten auszuweichen ist, bereits in einem Gedanken vorgezeichnet, den auch die Vergleichungsansicht aufgenommen und nur aufserdem noch mit der neuen Benennung \u201eAehnlichkeitsreihe\u201c versehen hat. Es thut der Einfachheit eines Gegenstandes keinen Eintrag, wenn er zusammen mit anderen Gegenst\u00e4nden, die ebenfalls einfach sein k\u00f6nnen, ein Ganzes ausmacht. Sind dann diese Bestandst\u00fccke unter einander verschieden, so sind sie einander doch darin gleich, dafs sie dem in Bede stehenden Ganzen angeh\u00f6ren: sie gleichen einander in der gemeinsamen Relation zum Ganzen, das sie ausmachen, und sind doch einfach. Ueber die Natur dieses Ganzen ist dabei nichts vorbestimmt, und einer der m\u00f6glichen F\u00e4lle charakterisirt sich durch die Aehnlichkeit der die Complexion ausmachenden Bestandst\u00fccke. Die Tonlinie, der Farbenk\u00f6rper, eine Farbenfl\u00e4che oder -Linie oder auch ein Theil davon l\u00e4fst sich als solch ein Ganzes betrachten und durch Hinweis auf die Zugeh\u00f6rigkeit zu demselben benennen. Und in Bezug auf diese Zugeh\u00f6rigkeit kann dann isonst mehr oder weniger Verschiedenes gleich sein, ohne dafs es darum complex zu sein brauchte.3\nImmerhin steht nun zu erwarten, dafs die Vergleichungsansicht diese L\u00f6sung als gerade die ihrige in Anspruch nehmen, ja damit ihre Position im ganzen Umfange f\u00fcr zugestanden betrachten wird, da, was f\u00fcr einen Fall vorh\u00e4lt, nicht wohl f\u00fcr die \u00fcbrigen F\u00e4lle unannehmbar sein kann. Doch hat sie, wie ber\u00fchrt, in dieser Sache die Priorit\u00e4t keineswegs f\u00fcr sich; wichtiger ist nat\u00fcrlich, dafs der in Rede stehende Gesichtspunkt bei umfassenderer Anwendung sogleich den Dienst versagt. Zwar steht nichts der M\u00f6glichkeit im Wege, dafs Ein Gegenstand mehreren Aehnlichkeitsreihen angeh\u00f6rt; in diesem Sinn kommt thats\u00e4chlich jedem Tone nicht nur H\u00f6he, sondern auch St\u00e4rke \u201eim Allgemeinen\u201c zu. Und wenn zwei T\u00f6ne gleich hoch und verschieden stark, oder gleich stark und verschieden hoch sind,\n1\tSo Hume-Siudien 2, 78 f.\n2\tDafs es \u00fcbrigens nicht der einzige Weg ist, wird noch unten im \u00a7 5 darzulegen sein.\n3\tVgl. meine Untersuchungen \u201eUeber Begriff und Eigenschaften der Empfindung\u201c, Vierteljahrsschr. f. wissenschaftl. Philos. 1*2, 341 ff., Jahrg. 1888.","page":52},{"file":"p0053.txt","language":"de","ocr_de":"\u00c4bstrahiren und Vergleichen.\n53\nso kann man diesen Thatbestand immerhin auch so charakteri-siren, dafs die beiden T\u00f6ne in der einen Reihe denselben Platz, in der anderen verschiedene Pl\u00e4tze einnehmen. Aber hier setzt die Thatsache einer Mehrheit von einander unabh\u00e4ngiger Aehn-lichkeitsreihen die Zusammengesetztheit der Gegenst\u00e4nde, die sie ausmachen, bereits voraus. Wie k\u00f6nnten sich auch zwei Aehnlichkeitsreihen als von einander unabh\u00e4ngig ausweisen, wrenn nicht dadurch, dafs eine Ver\u00e4nderung, verm\u00f6ge welcher die Position eines Gegenstandes in der einen Reihe eine andere wird, seine Position in der anderen unber\u00fchrt l\u00e4fst? Darin haben wir genau jenes zugleich auftretende Gleichbleiben und Anderswerden vor uns, von dem oben zu betonen war, dafs e& mit Einfachheit des Gegenstandes unvertr\u00e4glich sei.\nUebrigens aber kann die Heranziehung der Aehnlichkeits-reihe schon deshalb nicht ein f\u00fcr allemal an Stelle der Abstraction treten, weil die Aehnlichkeitsreihen wie ber\u00fchrt ohne Abstraction gar nicht zu bilden sind. Dies hindert nat\u00fcrlich nicht, sich dieser Reihen unter besonderen Umst\u00e4nden zu bedienen, \u00fcber deren Gegebensein nur die Erfahrung entscheiden kann. Und immerhin stellt sich der Gedanke, dafs zwei Farben oder T\u00f6ne trotz ihrer Verschiedenheit darin \u00fcbereinstimmen, dafs sie eben Farben resp. T\u00f6ne sind, bereits als k\u00fcnstlich genug dar, um es glaublich erscheinen zu lassen, dafs das Denken hier complicirtere Wege geht als etwa beim Gleich- und doch Verschiedenfinden von zwei T\u00f6nen gleicher H\u00f6he und verschiedener St\u00e4rke.\nSieht man von der Einschr\u00e4nkung ab, dafs auch verschiedenes Einfache darin unter einander \u00fcbereinstimmen kann> dafs es zur n\u00e4mlichen Complexion geh\u00f6rt, so bleiben die oben als evident angesprochenen S\u00e4tze eben im Hinblick auf diese Evidenz aufrecht. Dafs dabei der Schein der Einfachheit fort-bestehen kann, indem unsere F\u00e4higkeit zu analysiren nicht weit genug reicht, begr\u00fcndet keinen Einwand gegen das, was evident ist: unsere F\u00e4higkeit zu anafysiren hat ja so gut ihre Schwelle wie unsere Unterscheidungsf\u00e4higkeit. Vielmehr gestattet die Einsicht in die Zusammengesetztheit eines einfach Erscheinenden eine Art indirecter Analyse des Letzteren : wir wissen unter den gegebenen Umst\u00e4nden, dafs Zusammengesetztheit vorliegt, obwohl wir aufser Stande sind, die einzelnen Bestandst\u00fccke der Zusammensetzung isolirt zu erfassen.","page":53},{"file":"p0054.txt","language":"de","ocr_de":"54\nA. Meinong.\nII. Die urspr\u00fcngliche Unbestimmtheit der zu vergleichenden \u201eInhalte\u201c.\nK\u00f6nnen \u201eInhalte\u201c im Sinne der eben besprochenen Position der Vergleichungsansicht einfach sein, obwohl wir mehrere \u201eMerkmale\u201c daran unterscheiden, so geht es kaum an, in diesen \u201eMerkmalen\u201c noch eigentliche Eigenschaften jener \u201eInhalte\u201c d. h. Gegenst\u00e4nde zu sehen. Vielmehr wird behauptet1, dieselben seien ihrer Natur nach \u201eunbestimmt\u201c, jene Merkmale aber w\u00e4ren eben erst durch Aehnlichkeitserkenntnifs gewonnene \u201eBestimmungen\u201c, woran dann besonders deutlich wird, wie wenig eine Th\u00e4tigkeit des Abstrahirens erforderlich ist, welche von Daten abzusehen h\u00e4tte, die in den Inhalten gar nicht vorliegen, ehe wir selbst sie in das zu Erfassende hineintragen.\nAbgesehen von dem Beifalle, dessen eine so subjectivistisch gef\u00e4rbte Auffassung seitens Derjenigen sicher sein kann, die derlei stets f\u00fcr besonders \u201epositiv\u201c und erfahrungsgem\u00e4fs zu halten geneigt sind, \u2014 also auch abgesehen hiervon fehlt dieser Aufstellung nicht alles Empfehlende. Ich meine nicht den eigen-th\u00fcmlichen Reiz, den die Erkenntnifs mit sich f\u00fchrt, dafs, wenn man etwas, das aller Welt f\u00fcr selbstverst\u00e4ndlich zu gelten pflegt, sozusagen auf den Kopf stellt, immer noch einiger Schein von Annehmbarkeit \u00fcbrig bleiben kann: ich meine vielmehr diesen Schein selbst. Er gr\u00fcndet sich sicher zum Theil auf Erfahrungen, wie man deren machen kann, wenn man sich in einer dem Blicke zum ersten Male, etwa auf einem Bilde, dargebotenen Mannigfaltigkeit von Gegenst\u00e4nden zu \u201eorientiren\u201c hat. Hat man sich zurechtgefunden, so mag es nahe genug liegen, den ersten Eindruck nun nachtr\u00e4glich als ein \u201eunbestimmtes\u201c Durcheinander zu beschreiben. Aber auch genauere Erw\u00e4gung der Bedeutung des Wortes \u201ebestimmen\u201c scheint der in Rede stehenden Auffassung g\u00fcnstig zu sein.\nBestimmen ist n\u00e4mlich ohne Frage ein Thun im eigentlichen Sinne und sonach Sache eines Subjectes. Der Obmann eines Vereines \u201ebestimmt\u201c Ort und Zeit f\u00fcr dessen Zusammenk\u00fcnfte, der Kaufmann \u201ebestimmt\u201c den Preis seiner Waare, der Reisende das Ziel seiner Fahrt u. s. f. ; jeder der Genannten hat durch sein Thun einer bisherigen Unbestimmtheit ein Ende gemacht.\n1 Vgl. Cornelius, Psychologie S. 55.","page":54},{"file":"p0055.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n55\nGanz anders schon \u201ebestimmt\u201c der Botaniker eine Pflanze, der Experimentator den Zustand der S\u00e4ure in seinen Accumulatoren u. dgl., aber auch diese Art \u201eBestimmtheit\u201c wird erst durch den Bestimmenden in die Sache hineingetragen. Nimmt gleichwohl hier der Unbefangene Anstand, zu meinen, das in dieser Weise \u201eBestimmte\u201c, die Pflanze oder die Schwefels\u00e4ure sei bis zum Bestimmungsacte etwas Unbestimmtes gewesen, so tritt hierin nun aber eine Wendung der Bedeutung des Wortes \u201ebestimmen\u201c zu Tage, wie sie auch sonst \u00f6fter begegnet, und die man nicht anders als eine Wendung ins Objective nennen kann. So redet man von \u201egespaltenen\u201c Hufen, \u201eausgedehnten\u201c L\u00e4ndereien, \u201everwickelter\u201c Sachlage u. dgl., ebenso in Zusammenh\u00e4ngen, die den gegenw\u00e4rtigen Untersuchungen wesentlich n\u00e4her stehen, von \u201eanalysirten\u201c, auch wohl von \u201eabstracten\u201c Vorstellungsinhalten1 resp. -Gegenst\u00e4nden. Was man aber damit sagen will, ist nat\u00fcrlich nur, dafs die Hufe so beschaffen sind, als h\u00e4tte sie Jemand gespalten, die L\u00e4ndereien so, als ob sie Jemand (oder allenfalls auch sie sich selbst) ausgedehnt h\u00e4tten u. s. f., \u2014 ja selbst diese Deutungen versp\u00fcrt man schon als gezwungen bis zur Unnat\u00fcrlichkeit, so ausschliefslich herrscht hier bereits der objective Sinn vor. Und wo m\u00f6glich noch deutlicher kommt dieser Sinn bei den zugeh\u00f6rigen negativen Ausdr\u00fccken zur Geltung. Wer d\u00e4chte daran, wenn von einem \u201eunanaly-sirten\u201c Gegenst\u00e4nde die Rede ist, darunter nur einen zu verstehen, dem die analysirende Th\u00e4tigkeit eben einfach nicht zugewendet worden ist? In gleicher Weise dienen nun auch die Ausdr\u00fccke \u201ebestimmt\u201c und namentlich \u201eunbestimmt\u201c h\u00e4ufig einem v\u00f6llig objectiven Gebrauche, um eine Beschaffenheit als eine solche zu charakterisiren, die sich in dieser oder jener Hinsicht bestimmen oder namentlich nicht bestimmen l\u00e4fst. In diesem Sinne mufs die Beschaffenheit eines Pigmentes f\u00fcr unbestimmt gelten, wenn es genan in der Mitte zwischen Gr\u00fcn und Gelb liegt, und noch auffallender ist die Unbestimmtheit, wenn der Farben noch mehr sind, denen man das Pigment weder deutlich zugeh\u00f6rig noch nicht zugeh\u00f6rig finden kann. Im n\u00e4mlichen Sinne meinte ich an anderem Orte die Theilstrecken einer Linie als unbestimmte Bestandst\u00fccke bezeichnen zu m\u00fcssen2 u. s. f.\n1\tVgl. meine \u201eBeitr\u00e4ge zur Theorie der psychischen Analyse\u201c, diese Zeitschr. 6, 428 f. (S. 59 f. des Sonderabdruckes).\n2\tDiese Zeitschr. 21, 227 ff.","page":55},{"file":"p0056.txt","language":"de","ocr_de":"56\nA. Meinong.\n, Im Ueberblicke finden wir sonach, dafs von Bestimmtheit und deren Gegentheil sowohl in einem subjectiven als in einem objectiven Sinne geredet wird. Eine Unsicherheit dar\u00fcber, welche von beiden gemeint ist, kommt nur ausnahmsweise auf und ist dann wohl jedesmal leicht zu beseitigen. Sieht man im Nebel eine \u201eunbestimmte\u201c Gestalt herannahen, so scheint diese Unbestimmtheit nur subjectiv sein zu k\u00f6nnen, da das herannahende Ding doch sicher seine, also seine bestimmte Gestalt hat. Thats\u00e4chlich ist aber, was man sieht, so beschaffen, dafs sich N\u00e4heres dar\u00fcber nicht ausmachen l\u00e4fst : die Unbestimmtheit ist also doch eine objective. Inzwischen ist der Schein einer Schvieiigkeit hier auf den Umstand gegr\u00fcndet, der ab und zu auch einen Gegner der Psychologie verleitet, dieser den Rang einer Thatsachenwissenschaft abzusprechen, weil das, mit dem sie sich besch\u00e4ftigt, nur \u201eSubjectives\u201c sei. Subjectives kann eben zuweilen auch recht objectiv sein 5 so auch in unserem Falle. Die objective Unbestimmtheit haftet hier freilich nicht an dem durch den Nebel halb verh\u00fcllten Herankommenden, daf\u00fcr um so sicherer an dem \u201epseudoexistirenden\u201c 1 Vorstellungsobject,. genauer also an dem zu Grunde liegenden Vorstellungsinhalte. Nur darf man nat\u00fcrlich nicht erwarten, durch die Ber\u00fccksichtigung dieses Umstandes der Schwierigkeiten \u00fcberhoben zu sein, die dem Auseinanderhalten von Subjectiv und Objectiv hier wie sonst sich entgegenstellen, wenn man in die Schwellenregion gei\u00e4th. kann man nicht entscheiden, ob ein zu lesender Buchstabe ein u oder n, eine zu lesende Ziffer eine 3 oder eine 5 sei u. dgl., so kann die darin zu Tage tretende Unbestimmtheit eine objective, ebenso gut aber eine auf Unvollkommenheit unserer Unterscheidungsf\u00e4higkeit gegr\u00fcndete, daher subjective sein.\nSubjective Bestimmtheit kann nun weiter, wie unsere Beispiele ergeben haben, sozusagen entweder eine theoretische oder praktische sein, je nachdem die Bestimmung durch das bestimmende Subject erst willk\u00fcrlich hervorgebracht wird (indem es etwa an dem zu bestimmenden Gegenst\u00e4nde eine Marke anbringt) odei das Subject einen vorgegebenen Thatbestand gleichsam in sich aufnimmt. Im zweiten Falle geht die objective Bestimmt-\nVgl. zur Bedeutung dieses Ausdruckes meine Ausf\u00fchrungen in dieser Zeitschr. 21, 186.","page":56},{"file":"p0057.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n57\nheit der subjektiven voraus, im ersten Falle folgt sie ihr sozusagen, weil sie das Ergebnifs der subjectiven Bestimmung ist.\nNat\u00fcrlich ist diese theoretische Bestimmtheit und ihr Gegen-theil dasjenige, was uns im gegenw\u00e4rtigen Zusammenh\u00e4nge zun\u00e4chst interessirt, und nur von ihr soll im Weiteren die Rede sein, wenn im Folgenden die Ausdr\u00fccke \u201ebestimmt\u201c und \u201eunbestimmt\u201c ohne Beisatz gebraucht werden. Ist Bestimmen in diesem Sinne ein Erkennen, so ist das Bestimmte das Erkannte resp. Erkennbare, das Unbestimmte das Unerkannte resp. das Unerkennbare. Der Uebergang vom Erkannten zum Erkennbaren ist bereits oben als Wendung vom Subjectiven ins Objective bezeichnet worden; aber frei von Subjectivit\u00e4t ist auch dieses Objective nicht, sofern bei Erkanntheit wie Erkennbarkeit natur-gem\u00e4fs zun\u00e4chst auf ein bestimmtes Subject oder auch eine Gruppe von Subjecten Bedacht genommen ist. Was f\u00fcr das eine Subject erkennbar ist, kann f\u00fcr ein anderes bereits unerkennbar, wTas demgem\u00e4fs f\u00fcr den Einen bestimmt ist, kann f\u00fcr den Anderen bereits unbestimmt sein und umgekehrt. Das hierin hervortretende Mehr oder Weniger an Erkenntnifsf\u00e4higkeit weist nun einen Weg, der zur Befreiung des Bestimmtheitsgedankens auch von diesen Subjectivit\u00e4tsschranken f\u00fchrt und so insbesondere dem Unbestimmtheitsgedanken zu einer neuen charakteristischen Auspr\u00e4gung verhilft. Von dem, was der Erkenntnifskraft dieses oder jenes Menschen unerreichbar ist, kann man zu demjenigen fortschreiten, was jedem, auch dem ins Unendliche gesteigert gedachten Erkenntnifsk\u00f6nnen unzug\u00e4nglich ist; und ein so Beschaffenes hat dann Anspruch, im strengsten Sinne f\u00fcr objectiv unbestimmt zu gelten.\nIch m\u00f6chte hiermit nicht eine willk\u00fcrliche Nominal-Definition gegeben, sondern die in der Bedeutung des Wortes \u201eunbestimmt\u201c vorliegende Gedankenthatsache beschrieben, h\u00f6chstens, wie es die Theorie ja so oft mufs, noch ein wenig pr\u00e4cisirt haben. Wichtig ist nun aber nat\u00fcrlich vor Allem, ob der so fixirte Gedanke auch brauchbar ist, genauer, ob er ein Anwendungsgebiet hat. Gibt es also, das ist die Frage, objectiv Unbestimmtes im Bereiche des Existirenden oder Bestehenden?1\n1 Zur vorl\u00e4ufigen Charakteristik dieser Gegen\u00fcberstellung vgl. meine Abhandlung \u201eUeber die Bedeutung des WEBEit\u2019sehen Gesetzes\u201c, diese Zeitschrift 11, 250 (S. 79 der Sonderausgabe).","page":57},{"file":"p0058.txt","language":"de","ocr_de":"58\nA. Meinong.\nEs mag sich empfehlen, indem man die Antwort auf diese Frage sucht, der Thatsache eingedenk zu sein, dafs die Weisen, in denen das Erkennen an einem vorgegebenen Gegenst\u00e4nde gleichsam angreifen kann, sich, wenn man nicht allzuhohe Anspr\u00fcche an erkenntnifstheoretische Genauigkeit stellt, durch die beiden Formeln: \u201eA ist\u201c und \u201eA ist B\u201c ausdr\u00fccken lassen. Unbestimmt w\u00fcrde sonach im Sinne der obigen Feststellung ein Gegenstand A heifsen m\u00fcssen, wenn auch der vollkommenste Intellect nicht entscheiden k\u00f6nnte, sei es, ob A ist oder nicht ist, sei es, ob A B ist oder B nicht ist. Dafs das Pr\u00e4dicat der Unbestimmtheit dann eventuell auch auf einen Gegenstand ausgedehnt werden k\u00f6nnte, der das A in irgend einer Weise, etwa als Theil, Eigenschaft, Merkmal oder dgl. an sich hat, ist hier nebens\u00e4chlich. Wird man also mit einem in der eben n\u00e4her ausgef\u00fchrten Weise unbestimmten A irgend einmal in der Denkpraxis zu thun zu haben erwarten d\u00fcrfen?\nMan hat in der Zulassung einer solchen M\u00f6glichkeit einen Verstofs gegen den Satz des Widerspruches sehen wollen, den \u201eoffenkundigsten aller Widerspr\u00fcche, dafs n\u00e4mlich ein Ding sowohl sein als nicht sein k\u00f6nne\u201c.1 Aber offenbar mit Unrecht : wer es f\u00fcr unerkennbar h\u00e4lt, ob A ist oder nicht ist, behauptet damit sicher nicht und implicirt auch nicht, dafs A sowohl ist als nicht ist. Eher k\u00f6nnte man darin die Meinung vermuthen, dafs A weder ist noch nicht ist: aber auch diese liegt nicht darin, sondern nur die, dafs man weder Sein noch Nicht-Sein des A zu behaupten ein Recht habe. Aber was in solchen an sich verfehlten Ablehnungsversuchen zur Geltung kommt, ist im Grunde doch ein richtiger Instinct, zu dessen Rechtfertigung man sich blofs die Frage vorzulegen braucht, wie sich mit der Annahme einer unbegrenzt gesteigerten Erkenntnifskraft die weitere Annahme reimen soll, dafs, da doch das A zweifellos entweder ist oder nicht ist, dieses thats\u00e4chliche Sein resp. Nicht-Sein dem vollkommenen Intellecte verborgen sein soll. Ich kann \u00fcber die Unvertr\u00e4glichkeit der beiden Annahmen keinen Augenblick im Zweifel sein: es ist unerfindlich, was sonst ein Sein oder Nicht-Sein f\u00fcr die Erkenntnifs unzug\u00e4nglich machen sollte als eben M\u00e4ngel in der Erkenntnifsf\u00e4higkeit ; es kann also nichts seiner Natur nach Unerkennbares geben. Dies in voller All-\n1 Hume, Treatise on Human Nature, p. 1, s. 7 (Green and Grose, S. 327.","page":58},{"file":"p0059.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n59\ngemeinheit einzur\u00e4umen, wird man vielleicht nur noch insofern Bedenken tragen, als die eben als entscheidend in Anspruch genommene Erw\u00e4gung sich vorerst blos an die eine der oben formelhaft neben einander gestellten Urtheils-Paradigmen schliefst, an die Formel: \u201eA ist\u201c. Inzwischen ist die Anwendung auch auf den Fall \u201eA ist B\u201c eine ganz einfache Sache. Denn was in einem solchen Urtheile behauptet oder in Abrede gestellt wird, ist jedesmal eine Relation R zwischen A und B, so dafs an Stelle der zweiten Formel ganz wohl auch der Ausdruck \u201eR ist\u201c oder VR ist nicht\u201c gesetzt werden k\u00f6nnte. Diese Relation mufs nat\u00fcrlich wieder entweder existiren oder nicht existiren, entweder bestehen oder nicht bestehen, und wieder ist nicht abzusehen, wie dies einem Intellect, dessen Leistungen keine Schranken gezogen sind, entzogen sein k\u00f6nnte. Immerhin kann in der kategorischen Aussage mehr als Ein Urtheil auf einmal zum Ausdrucke gelangen: dies ergiebt Gelegenheit zu allerlei Complicationen, die der Anwendung obiger Erw\u00e4gungen auf den ersten Blick anscheinend Schwierigkeiten in den Weg legen m\u00f6gen; aber am Ende tragen diese Erw\u00e4gungen doch die Gew\u00e4hr ausnahmsloser Geltung in sich.\nNur Einer Art Ausnahme soll hier nicht unerw\u00e4hnt bleiben, die speciell das kategorische Urtheil betrifft. Handelt es sich um ein A\\ das einen Widerspruch in sich schliefst, dann ist die Disjunction, dafs \u00c4 entweder B ist oder nicht ist, bekanntlich insofern nicht beweisend, als man streng genommen zu keinem der beiden Urtheile berechtigt ist, eher beide Urtheile f\u00fcr falsch zu erkl\u00e4ren geneigt sein m\u00f6chte. Das runde Viereck ist weder blau noch nicht blau, oder genauer, es l\u00e4fst sich weder das Eine noch das Andere behaupten. Etwas wie ein Seitenst\u00fcck hierzu findet sich dann auch bei zwar nicht Unm\u00f6glichem aber doch der Empirie nicht Entsprechendem : ein goldener Berg an dem oder jenem Orte ist weder als tausend Meter hoch noch als nicht so hoch in Anspruch zu nehmen. Im Hinblick hierauf k\u00f6nnte man hier wie beim Unm\u00f6glichen von einer Unbestimmtheit reden, der keinerlei Subjectivit\u00e4t anhaftet: aber im Grunde ist hier die ganze Erkenntnifssituation eine so durchaus unnat\u00fcrliche, dafs man ihr den Rang einer wirklichen Gegeninstanz gegen die obige Behauptung nicht wohl einr\u00e4umen kann.\nEs gibt also nichts objectiv Unbestimmtes in dem vorher pr\u00e4cisirten Wortsinne. Soll demnach aber alle Unbestimmtheit,","page":59},{"file":"p0060.txt","language":"de","ocr_de":"60\nA. Meinong.\nder man begegnet, und die yon subjectiyen Einschr\u00e4nkungen x)ft so ganz und gar nichts merken l\u00e4fst, gleichwohl ausschliefs-lich in den Bereich des Subjectiven fallen ? Der Einwand findet seine Erledigung in einer Art AVeiterbildung des Gedankens der objectiven Bestimmtheit resp. Unbestimmtheit, gegr\u00fcndet auf die Thatsache, dafs jede Erkenntnifs, allgemein jedes Urtheil das auf weist, was ich an anderem Orte 1 als \u201epsychologische Voraussetzung bezeichnet habe. Es handelt sich dabei zun\u00e4chst um Vorstellungen oder auch Urtheile, die zu dem Urtheil, das auf sie gestellt ist, in sehr verschiedenen logischen Beziehungen stehen k\u00f6nnen. Die Verschiedenheit dieser Beziehungen kommt f\u00fcr die Gegenst\u00e4nde dieser Voraussetzungs-Vorstellungen resp. Urtheile unter Anderem dann zur Geltung, dafs diese Voraussetzungsgegenst\u00e4nde die Giltigkeit des Urtheils, dessen Voraussetzungen sie zugeh\u00f6ren, entweder gleichsam mit sich f\u00fchren oder unbeschadet der Function der V oraussetzungen nicht mit sich f\u00fchren, ohne dafs das Urtheil darum falsch zu sein braucht. Von Gegenst\u00e4nden der ersteren Art sagt man dann auch wohl, dafs sie die G\u00fcltigkeit des Urtheils bestimmen, und noch nat\u00fcrlicher nennt man das, wor\u00fcber geurtheilt wird, durch jene Gegenst\u00e4nde, im Hinblick auf sie \u201ebestimmt\u201c. Wo aber solche Bestimmtheit fehlt, kann man nun nat\u00fcrlich wieder von Unbestimmtheit reden. Sie hat mit Erkenntnifsm\u00e4ngeln eines Subjectes nichts zu schaffen, ist also immer noch objectiv; aber diese Unbestimmtheit ist nicht Unerkennbarkeit schlechthin, sondern blos Unerkennbarkeit aus einem bestimmten Gegenst\u00e4nde heraus, im Hinblick auf diesen Gegenstand, relativ zu ihm. Ich will daher Unbestimmtheiten dieser Art als zwar objective, aber relative Unbestimmtheiten der oben besprochenen objectiven, jedoch absoluten Unbestimmtheit gegen\u00fcberstellen.\nBeispiele f\u00fcr relative Bestimmtheit bieten vor Allem die apriorischen Erkenntnisse, f\u00fcr die es ja ganz allgemein charakteristisch ist, dafs ihre Legitimation in der Natur der Gegenst\u00e4nde liegt, die sie betreffen. Dafs 2 kleiner ist als 3, das ist durch die Natur dei 2 bestimmt, ebenso durch die Natur des Dreiecks, dafs darin nicht mehr als ein rechter oder stumpfer Winkel Vorkommen kann. Dagegen bestimmt die Natur des Dreieckes nichts dar\u00fcber, ob die Winkel desselben gleich oder ungleich sind, und\n1 Psychologisch-ethische Untersuchungen zur Werththeorie, S. 33f.","page":60},{"file":"p0061.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n61\ndie Natur der 2 bestimmt nichts dar\u00fcber, ob in der Tonlinie die Octave der Prim n\u00e4her oder ferner steht als Septim oder Sext. Nat\u00fcrlich wird man schwerlich je Anlafs haben, ausdr\u00fccklich dabei zu verweilen, dafs die Gestalt der Tonlinie durch die Zahl 2 oder sonst eine Zahl nicht bestimmt wTerde, ihr gegen\u00fcber also unbestimmt sei; aber auch triviale oder nutzlose Wahrheiten sind Wahrheiten, und dafs der Hinweis auf relative Unbestimmtheit nicht allemal werthlos ist, kann das Beispiel von der Gleichheit oder Ungleichheit der Dreieckswinkel bereits sicherstellen. Ohne hier weiter ins Einzelne einzugehen, sei nur noch darauf hingewiesen, dafs solchen apriorischen Bestimmtheiten und Unbestimmtheiten nun aber auch empirische zur Seite stehen und das * sehr wohl empirisch bestimmt sein kann, was a priori unbestimmt ist. Dafs der Diamant brennbar sei, ist aus seinen \u00fcbrigen Eigenschaften a priori nicht zu entnehmen, diesen gegen\u00fcber also a priori unbestimmt: auf Grund der Erfahrung ist sie jedem Dinge, das die sonstigen Eigenschaften des Diamants hat, unbedenklich zuzuerkennen und ist insofern empirisch relativ bestimmt. Dagegen hat nach menschlichem Ermessen das Papier, auf dem ich diese Zeilen schreibe etwa mit dem Erfolge der Versuche, die zur Zeit im Grazer oder in sonst einem psychologischen Laboratorium angestellt werden, nicht das Geringste zu thun: diese sind also der Existenz und Beschaffenheit jenes Papieres gegen\u00fcber unbestimmt, obwohl nat\u00fcrlich auch diese Unbestimmtheit kaum je irgend jemandes Interesse ausreichend auf sich zu ziehen verm\u00f6chte, um sie zum Gegenstand einer ausdr\u00fccklichen Behauptung zu machen.\nDurch Beispiele dieser Art ist zugleich die Frage, ob es derlei relative Unbestimmtheiten auch wirklich gibt, so gewifs affirmativ beantwortet, als die analoge Frage in Betreff der absoluten Unbestimmtheit negativ ausfallen mufste. Dagegen m\u00f6chte es nicht \u00fcberfl\u00fcssig sein, durch kurze Erw\u00e4gung einiger besonders naheliegender F\u00e4lle wirklicher oder scheinbarer Unbestimmtheit sich davon zu \u00fcberzeugen, dafs wir dabei nirgends, wo es sich wirklich um objective Unbestimmtheit handelt, \u00fcber das Gebiet der relativen Unbestimmtheit hinausverwiesen werden.\nWenn irgendwo von Unbestimmtheit die Rede ist, wird man kaum unterlassen, auch an die sogenannten fliefsenden Grenzen zu denken, die schon oben einmal gestreift worden sind. Eine Farbe genau in der Mitte zwischen Gr\u00fcn und Gelb mag man","page":61},{"file":"p0062.txt","language":"de","ocr_de":"62\nA. Meinong.\nweder f\u00fcr Gr\u00fcn noch f\u00fcr Gelb anerkennen, oder wohl auch sowohl f\u00fcr Gr\u00fcn als f\u00fcr Gelb. Ist das blos subjectiv? Offenbar so wenig, als es subjectiv ist, den Halbirungspunct der Strecke AB weder dem A noch dem B n\u00e4her zu finden. Viel eher k\u00f6nnte fraglich sein, ob man das eigentlich unbestimmt nennen dar! Denn Unbestimmtheit l\u00e4ge nur vor, wenn die Disjunction : \u201eentweder Gr\u00fcn oder Gelb\u201c eine vollst\u00e4ndige Disjunction und zugleich nicht etwa eine von der von Jevons so nachdr\u00fccklich betonten Art w\u00e4re, wo die Disjunctionsglieder sich nicht oder nicht immer ausschliefsen. Nun kann man aber zwischen Gr\u00fcn und Gelb bekanntlich die Farbe Gelbgr\u00fcn resp. Gr\u00fcngelb legen. Ueberdies aber l\u00e4fst sich ja auch bei der halbirten Strecke der Halbirungspunkt sowohl zur einen als zur anderen Theilstrecke rechnen, die ihn eben gemeinsam haben: \u00e4hnlich k\u00f6nnte unsere Farbe als dem Gelb- und dem Gr\u00fcn-Gebiete gemeinsam angesehen werden. Fs liegen also auch hier mancherlei Compli-cationen vor, auf die einzugehen hier zu weit f\u00fchren m\u00f6chte:\naber gewifs nicht etwas, das wir als absolute Unbestimmtheit betrachten m\u00fcfsten.\nMan nennt es unbestimmt, ob der n\u00e4chste Wurf mit einem exakten Wfirfel 1, 2 oder eine andere Zahl ergeben wird. In dieser Unbestimmtheit kann Subjectivit\u00e4t gefunden werden, sofern man ja mit Hecht voraussetzen kann, dafs, falls man nur alle Umst\u00e4nde, unter denen der betreffende Wurf vor sich gehen w\u00fcrd, einschliefslich die dabei zur Geltung kommenden Gesetz-m\u00e4fsigkeiten genau kennte, man auch das Resultat vorherzusagen im Stande sein m\u00fcfste. Das mufs nun aber mit der in Rede stehenden Unbestimmtheit gar nicht gemeint sein. Es hat mindestens einen ganz guten und in mancher Hinsicht erkenntnifs-theoretisch h\u00f6chst charakteristischen und wichtigen Sinn, zu sagen, dafs, soweit es nur auf Natur und Antheil des W\u00fcrfels ankommt, d^s Ergebnifs 1 vor dem Ergebnifs 2 oder einem anderen schlechterdings nichts voraus hat, der Erfolg also von dieser Seite her schlechterdings keine Bestimmung erf\u00e4hrt. Die hierauf sich gr\u00fcndende Unbestimmtheit ist eine objective, aber, wie sogleich deutlich wird, auch eine relative, denn sie besagt, dafs, wer auf nichts als auf die Natur des W\u00fcrfels Bedacht nimmt, auch bei ideal ins Unendliche gesteigerter Erkenntniskraft\neinen Vorzug des einen oder anderen Wurfergebnisses nicht entdecken k\u00f6nnte.","page":62},{"file":"p0063.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n63\nVon besonderer Wichtigkeit und dem Thema der gegenw\u00e4rtigen Untersuchungen auch besonders nahestehend ist die Unbestimmtheit, die den allgemeinen Vorstellungen, wie immer sie sonst zu Stande gekommen und beschaffen sein m\u00f6gen, zukommt. Denke ich an ein Pferd, ein Dreieck, einen Elektromotor oder was sonst mit Hilfe des geradezu so genannten \u201eunbestimmten\u201c Artikels ausgesprochen werden kann, so ist ja selbstverst\u00e4ndlich, wie wenig der H\u00f6rer etwa weifs und wissen kann, ob ein Schimmel oder ein Rappe, ob ein gleichseitiges oder ungleichseitiges Dreieck gemeint ist u. s. f. Streng genommen ist, wie hier wohl beachtet zu werden verdient, die Unbestimmtheit, die hier grammatisch auf die Vorstellung bezogen erscheint, nat\u00fcrlich die Unbestimmtheit des durch die Vorstellung gemeinten oder erfafsten Gegenstandes. Ob der in der Wortbedeutung gegebene 1 Gegenstand diese oder jene Eigenschaften an sich hat oder nicht hat, dar\u00fcber kann der leistungsf\u00e4higste Intellect auf Grund der vorgegebenen Vorstellung \u2014 vielleicht immerhin, soweit sie der Intention des Redenden nach in Betracht gezogen wird, \u2014 nichts ausmachen. Darin verr\u00e4th sich aufs Deutlichste der objective Charakter dieser Unbestimmtheit, aber nicht minder der relative: auch hier ist ja sozusagen der Ausgangspunkt f\u00fcr die beliebig steigerungsf\u00e4hig gedachte Intelligenz vorgegeben, und nur indem sich diese auf das Vorgegebene beschr\u00e4nkt, resultirt jenes Versagen ihrer Leistungen, das der Unbestimmtheit wesentlich ist.\nBesteht aber die Unbestimmtheit bei solchen Vorstellungen wirklich nur darin, dafs sie allerlei Gegenst\u00e4nde haben k\u00f6nnen und sich nur nicht feststellen l\u00e4fst, welchen davon jede von ihnen wirklich hat? Sollte man nicht vielmehr richtiger sagen, jede von ihnen hat Einen Gegenstand, aber eben einen unbestimmten? Und wenn es mit diesem Einen, aber unbestimmten Gegenst\u00e4nde seine Richtigkeit hat, haben wir dann in diesem Gegenst\u00e4nde nicht am Ende doch etwas nicht nur objectiv, sondern auch absolut Unbestimmtes, ein St\u00fcck unbestimmter Wirklichkeit vor uns ? Man wird diese Consequenz nicht zu besorgen brauchen : hat eine Vorstellung einen unbestimmten Gegenstand, so ist dies jedenfalls nur ein \u201eimmanenter\u201c Gegenstand, einer, der nicht existirt, sondern nur pseudo-existirt. Was dagegen\n1 Vgl. \u201eUeber Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung etc.u, diese Zeitsehr. 21,189.","page":63},{"file":"p0064.txt","language":"de","ocr_de":"64\nA. Meinong.\nexistirt, das ist die betreffende Vorstellung, die ihrer Leistungsf\u00e4higkeit resp. Unf\u00e4higkeit wegen unbestimmt genannt werden mag, diese F\u00e4higkeit aber hat ihre ganz \u201ebestimmte\u201c, nat\u00fcrlich psychische Beschaffenheit, die in der Bezeichnung \u201eInhalt\u201c zur Geltung kommt.1 Insofern hat die \u201eunbestimmte\u201c Vorstellung doch jederzeit ihren v\u00f6llig \u201ebestimmten\u201c Inhalt.\nImmerhin dr\u00e4ngt sich hier die Frage auf, ob es denn gar nichts weiter als eine ungenaue Redeweise ist, die Vorstellung unbestimmt zu nennen, wenn die Unbestimmtheit doch ihrem Gegenst\u00e4nde zukommt ; und die Antwort hierauf kann nicht kurzweg bejahend ausfallen. Denn der Gegenstand ist etwas der Vorstellung so Wesentliches, dafs es einen ganz nat\u00fcrlichen Sinn hat, sie an seiner Unbestimmtheit gleichsam participiren zu lassen. Nur kommt dabei etwas zu Tage, was, \u00e4ufserlich wenigstens, sich nun doch wie eine Ausnahme von dem hier vertretenen Princip von der Relativit\u00e4t aller Unbestimmtheit an-l\u00e4fst. Der Gegenstand ist unbestimmt im Hinblick auf die Vorstellung, die Vorstellung heilst nun unbestimmt im Hinblick auf ihren Gegenstand, also in letzter Linie in Hinblick auf sich selbst. Soweit aber etwas nur zu sich selbst relativ ist, wird es wohl f\u00fcr absolut gelten m\u00fcssen. Indes erkennt man leicht, dafs es sich hier doch eben nur um eine Scheinausnahme handelt, die darauf zur\u00fcckgeht, dafs der Terminus \u201eUnbestimmtheit\u201c hier\ndoch in einem wesentlich anderen Sinne angewendet erscheint als sonst.\nNur Ein Punkt bedarf hier noch einer ausdr\u00fccklichen Kl\u00e4rung. Wenn eine solche unbestimmte Vorstellung nun wirklich auf zweierlei Gegenst\u00e4nde geht und zwar in zweierlei Weise, gewissermafsen bestimmt auf den unbestimmten Gegenstand und unbestimmt auf wer weifs wie viele bestimmte Gegenst\u00e4nde, woher nimmt man eigentlich die Ueberzeugung, dafs jener nur immanent sein kann, indes diese allenfalls auch wirklich, in diesem Sinne also \u201etranscendent\u201c sein m\u00f6gen? So viel ich sehe, eben nur aus der Einsicht darein, dafs ein Lhibestimmtes, ein absolut Unbestimmtes n\u00e4mlich, etwas, von dem irgend ein Datum x weder affirmirt noch negirt werden darf, nicht existiren kann. Das \u201eunbestimmte\u201c Pferd, das ein Schimmel oder Rappe weder\n1 A. a. O. S. 188.","page":64},{"file":"p0065.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n65\nist noch nicht ist, ein solches Pferd kann es nicht geben : das gew\u00e4hrleistet mir der Satz des ausgeschlossenen Dritten.\nWir sind damit zugleich zum Ausgangspunkte dieser auf eine Kl\u00e4rung des Unbestimmtheitsgedankens zielenden Ausf\u00fchrungen zur\u00fcckgelangt. Denn was die Vergleichungsansicht, wie wir sahen, als urspr\u00fcngliche Unbestimmtheit der Inhalte behauptet, das ist doch nichts Anderes als eine Unbestimmtheit von Vorstellungen in betreff ihrer Gegenst\u00e4nde, insofern also der eben betrachtete Fall. Wer zun\u00e4chst geneigt war, in der \u201eunbestimmten Vorstellung\u201c etwas absolut Unbestimmtes zu erblicken, und darauf hin der Vergleichungsansicht die apriorische Unannehmbarkeit des absolut Unbestimmten entgegenzuhalten, mag die Einordnung dieser Vorstellung unter das relativ Unbestimmte zun\u00e4chst der Vergleichungsansicht keineswegs ung\u00fcnstig finden. Nur dafs gerade Wahrnehmungs- und unverarbeitete EinbildungsVorstellungen solche Unbestimmtheit an sich haben sollten, wird man mit der Empirie schwer in Einklang zu bringen im Stande sein. Aber so wenig ich auch in dieser Sache das Zeugnis directer Erfahrung gering anzuschlagen f\u00fcr angemessen hielte, so wenig m\u00f6chte gerade dieser Einwand unter dem Gesammttitel des gegenw\u00e4rtigen Paragraphen seine nat\u00fcrliche Stelle finden, indes doch, wenn ich recht sehe, eine neue Schwierigkeit wesentlich apriorischer Natur aus den obigen Darlegungen \u00fcber Unbestimmtheit erw\u00e4chst.\nUnbestimmt fanden wir etwas, sofern es unser Erkennen einer gewissen Fragestellung gegen\u00fcber im Stiche l\u00e4fst, und zwar nicht nur unser an subjective Grenzen gebundenes, sondern nicht minder ein beliebig vollkommen gedachtes Erkennen. Wie m\u00f6chte man sich aber dann der Annahme gegen\u00fcberstellen, dafs dieses Unbestimmte gerade durch jenen Erkenntnifsact seine Bestimmtheit erlangen soll, dessen Zustandekommen jenes Unbestimmte eben seiner Natur nach ausschliefst? Verstehe ich recht, so ist aber eben das die Annahme oder eigentlich die Behauptung der Vergleichungsansicht. Indem wir den an sich unbestimmten \u201eInhalt\u201c vergleichen, erh\u00e4lt er erst die bestimmenden \u201eMerkmale\u201c der Tiefe, St\u00e4rke etc. Aber best\u00fcnde denn die Unbestimmtheit bez\u00fcglich Tiefe, St\u00e4rke u. s. f. nicht eben darin, dafs das Zusammenhalten des Betreffenden mit dem, was man sonst als tief, stark etc. kennt, zu keinem Ergebnifs f\u00fchrt?\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 2i.\t5","page":65},{"file":"p0066.txt","language":"de","ocr_de":"66\nA. Meinong.\nWas ich der in Rede stehenden Position entgegenzuhalten habe, ist im Grunde nichts als die eben so einfache als fundamentale Erkenntnifsthatsache, dafs Gleichheit und Verschiedenheit relativ zum Verglichenen jederzeit die Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung sind, und zwar fundirte. Was sich dazu eignet, eine Grundlage f\u00fcr einen Fundirungsvorgang abzugeben, das ist in betreff des so Fundirten bestimmt, und der fundirte Gegenstand resp. dessen Vorstellung kann zur Bestimmung jener Grundlage nichts mehr beitragen. Oder auch umgekehrt: werden die In-feriora so unbestimmt vorgestellt, dafs mit Hilfe des Superius noch etwas daran zu bestimmen ist, was \u00fcberall dort der Fall sein wird, wo durch indirectes Vorstellen1 noch etwas geleistet werden kann, \u2014 dann sind die betreffenden Inferioravorstellungen eben darum unf\u00e4hig, das durch ihre Gegenst\u00e4nde fundirte Superius erkennen zu lassen. W\u00e4ren also die vorgegebenen \u201eInhalte\u201c unbestimmt, wie die Vergleichungsansicht es behauptet, dann w\u00fcrden sie durch Vergleichungen niemals zu bestimmen sein, schon deshalb, weil die betreffenden Vergleichungen niemals zu einem Ergebnisse f\u00fchren k\u00f6nnten.\nIII. Yergleichungsansicht und Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer\nOrdnung.\nEs hat sich eben als n\u00f6thig erwiesen, der Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung und speciell der Fundirungsgegenst\u00e4nde ihrer Eigenart nach zu gedenken. Wir sind damit zugleich zu einer Seite der Vergleichungsansicht gelangt, die im Bisherigen unber\u00fccksichtigt geblieben ist. Die Vergleichungsansicht m\u00fcfste sich in Bezug auf eine bestimmte Auffassung jener Thatsachen, die ich als Fundirung zu verstehen versucht habe, nicht binden ; thats\u00e4chlich aber gipfelt die Vergleichungsansicht wenigstens in der uns hier zun\u00e4chst vorliegenden Gestalt geradezu in einer solchen Auffassung. Cornelius formulirt sie, indem er den von Ehreneels im Sinne meines Vorschlages bereits aufgegebenen 2 3 Terminus \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c wieder aufnimmt, dahin, dass, wie die \u201eMerkmale\u201c den \u201eeinfachen Inhalten\u201c, so die Gestaltqualit\u00e4ten den Complexionen gegen\u00fcberstehen, indem es sich eben auch bei den Letzteren um nichts als um Aehnlichkeiten a\n1\tYgl. auch H\u00f6flek, Logik, S. 62.\n2\tYgl. Vierteljahrsschr. f. ivissensch. Philosophie 15, 293. 1891.\n3\tDiese Zeitschr. 22, 112 ff.","page":66},{"file":"p0067.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n67\nalso auch diesmal um Vergleichung handelt, die in diesem Falle eben an Complexionen angreift\nEs hat stets und mit Recht f\u00fcr eine bedeutsame Verification einer theoretischen Aufstellung gegolten, wenn diese sich f\u00e4hig erwies, auch in anscheinend abliegende Gebiete hin\u00fcberzugreifen und dem Verst\u00e4ndnis derselben f\u00f6rderlich zu sein. Nun meins ich freilich, dass auch weitest gehende Leistungen der Vergleichungsansicht in dieser Richtung die im Vorstehenden nachgewiesenen Unannehmbarkeiten nicht wett zu machen verm\u00f6chten. Gleichwohl m\u00f6chte ein Blick auf den in Rede stehenden Ausbau der Vergleichungsansicht aus einem besonderen Grunde nicht ohne Werth sein. Was sich da n\u00e4mlich zun\u00e4chst als blosser Ausbau pr\u00e4sentirt, gew\u00e4hrt, n\u00e4her besehen, einen in gewissem Sinne ganz neuen Einblick in die Grundlagen, welche die Ver* gleichungsansicht vielleicht nicht haben m\u00fcsste, aber doch in ihrer uns besch\u00e4ftigenden Vertretung thats\u00e4chlich hat, und von deren W\u00fcrdigung hier nicht wohl abgesehen werden kann.\nMan kann nicht verkennen, was diesen weiterf\u00fchrenden Anwendungen des Hauptgedankens der Vergleichungsansicht auf die fundirten Gegenst\u00e4nde so principielle Bedeutung verleiht. Es ist der Umstand, dass die f\u00fcr diese Ansicht so belangreiche Thatsache der Aehnlichkeit selbst ein Fundirungsgegen-stand ist, von dem nat\u00fcrlich im Besonderen gelten muss, was die Vergleichungsansicht von den fundirten Gegenst\u00e4nden im Allgemeinen behauptet. Wie Cornelius selbst nachdr\u00fccklich betont, besteht die nun auch im Obigen so oft erw\u00e4hnte Aehnlichkeit, auf welche die \u201eMerkmale\u201c zur\u00fcckgehen, selbst wieder in der Aehnlichkeit der durch die verglichenen Objecte ausgemachten Gruppe mit anderen Gruppen. Dafs also ein A einem B \u00e4hnlich ist, bedeutet nichts Anderes, als dafs das A und B zusammen mit einem C und D zusammen eine eigenartige Aehnlichkeit auf weist, und die Vorstellung der Aehnlichkeit zwischen A und B besteht demgem\u00e4fs im Erfassen der Aehnlichkeit der beiden in Rede stehenden Complexionen durch eine weitere Vergleichung.1 In gleicher Weise mufs dann nat\u00fcrlich auch die Aehnlichkeit der beiden Gruppen auf eine Aehnlichkeit gr\u00f6fserer Gruppen zur\u00fcckgehen u. s. f. ins Unendliche2, und\n1\tVgl. a. a. O. S. 118.\n2\tVgl. auch E. Mally, Abstraction und Aehnlichkeitserkenntnifs, a. a. 0.\n5*","page":67},{"file":"p0068.txt","language":"de","ocr_de":"68\nA. Meinong.\ndie Frage, ob eine solche unendliche Reihe auch theoretisch statthaft sei, wird zum Mindesten nicht unaufgeworfen bleiben d\u00fcrfen.\nDafs hier etwas in der Form einer Frage auftritt, das Manchem sofort eine bereits auf den ersten Blick einleuchtende Selbstverst\u00e4ndlichkeit scheinen wird, hat seinen Grund darin, dafs es am Ende doch auch ganz einwandfreie unendliche Reihen giebt, und auch ein ausreichend klares Erfassen solcher Reihern So thut es der Strecke keinen Eintrag, dafs der Fortgang des Theilens bei ihr theoretisch zu keinem Ende gelangt. Auch gegen die \u201econvergenten Reihen\u201c erhebt die Mathematik keinen Einwand, und so wenig irgend jemand im Stande w\u00e4re, eine solche ausdr\u00fccklich bis ans Ende zu durchlaufen, weil der Wee dahin unendlich viele Schritte erfordert, so sind wir doch sehr wohl im Stande, uns einer solchen Reihe in ihrer Totalit\u00e4t mittels unseres Denkens zu bem\u00e4chtigen. L\u00e4fst sich nun von unserer Aehnlichkeitsreihe etwas einigermaafsen Analoges sagen?\nHalten wir uns zun\u00e4chst an das Vorstellen der Reihe resp. ihrer Glieder. Sind die \u201eMerkmale\u201c die Aehnlichkeiten der \u201eInhalte\u201c, so sind nat\u00fcrlich die Merkmale auch nicht eher vorgestellt, als die betreffenden Aehnlichkeiten es sind. Sind diese Aehnlichkeiten selbst aber nun auch wieder Aehnlichkeiten von Complexionen, so sind auch die ersten Aehnlichkeiten nicht eher vorgestellt, als die zweiten es sind, und damit ist nat\u00fcrlich zugleich auch das Vorstellen der \u201eMerkmale\u201c nicht nur an das der ersten, sondern auch an das jener zweiten Aehnlichkeiten gebunden. Dasselbe gilt dann weiter auch von dritten und vierten Aehnlichkeiten u. s. f. bis ins Unendliche, und was hier in die Unendlichkeit reicht, ist nicht das Ende sondern der Anfang der Reihe, und sofern dieser Anfang nicht vorgestellt ist, ist die ganze Reihe nicht vorgestellt. Sehe ich recht, so ergiebt sich aus dieser Betrachtung in der That, dafs man, wenn die Vergleichungsansicht Recht h\u00e4tte, auch nicht ein einziges Mal in die Lage k\u00e4me, irgend eine \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c, und sozusagen noch weniger in die Lage k\u00e4me, ein \u201eMerkmal\u201c vorzustellen.\nUnd das w\u00e4re insofern auch ganz in der Ordnung, weil es dann solche \u201eGestaltqualit\u00e4ten\u201c und \u201eMerkmale\u201c auch gar nicht geben k\u00f6nnte. Die Sache ist hier nur vielleicht nicht ganz so handgreiflich wie bei den Lorsteilungen, weil man sich hier","page":68},{"file":"p0069.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahieren und Vergleichen.\n69\nzun\u00e4chst darauf besinnen mufs, dafs es auch bei Gegenst\u00e4nden, die nicht zeitlich auseinanderliegen, eine Art nat\u00fcrlicher Priorit\u00e4t und Posteriorit\u00e4t, genauer einen Unterschied der Selbst\u00e4ndigkeit und Unselbst\u00e4ndigkeit giebt, dem zufolge die einen unm\u00f6glich ohne die anderen sein k\u00f6nnen, also nicht sind, sofern diese nicht sind. Der Vergleichungsansicht gem\u00e4fs sind nun die Merkmale nichts als die betreffenden Aehnlichkeiten, diesen gegen\u00fcber also sicher so unselbst\u00e4ndig als nur irgend m\u00f6glich. Aber eben so unselbst\u00e4ndig sind diese ersten Aehnlichkeiten, wie wir sie oben gez\u00e4hlt haben, den zweiten, diese zweiten den dritten Aehnlichkeiten gegen\u00fcber u. s. f., so dafs unsere Z\u00e4hlung sich n\u00e4her besehen als der Natur der Sachlage v\u00f6llig entgegengesetzt herausstellt. Es ist nun sehr charakteristisch, dafs ein Versuch, die Z\u00e4hlung in richtigerer Weise vorzunehmen, hier nat\u00fcrlich v\u00f6llig aussichtslos ist, indem dann gerade das Ausgangsglied fehlt. Die vorliegende Conception verlangt eben eine unendliche Reihe unselbst\u00e4ndiger Glieder, die eben darum alle zusammen nicht sein k\u00f6nnen, weil auch noch so viele unselbst\u00e4ndige Glieder ein Selbst\u00e4ndiges, auf das sich die Uebrigen gleichsam zu st\u00fctzen h\u00e4tten, nicht zu ersetzen vermag.\n\\ ielleicht l\u00e4fst sich das eben Dargelegte ohne Anwendung des mehrfach mifsverst\u00e4ndlichen Ausdruckes \u201eSelbst\u00e4ndigkeit\u201c noch deutlicher darlegen. Ist, wie uns gesagt wird, das \u201eMerkmal\u201c nichts als Aehnlichkeit, diese Aehnlichkeit selbst aber eigentlich eine zweite Aehnlichkeit, so erhellt daraus auch f\u00fcr denjenigen, der in Betreff der Natur dieses \u201eeigentlich\u201c sich nicht eben viel zu denken im Stande ist, jedenfalls das Eine, dafs, so weit unter dieser ersten und zweiten Aehnlichkeit doch nicht genau das N\u00e4mliche gedacht wird, unser \u201eMerkmal\u201c genau genommen die zweite und nicht die erste Aehnlichkeit ist. Ist nun aber genau genommen die zweite Aehnlichkeit eine dritte, so ist das Merkmal auch nicht die zweite, ist die dritte Aehnlichkeit eigentlich eine vierte, so ist das Merkmal auch nicht die dritte Aehnlichkeit u. s. f. bis man zu einer Aehnlichkeit kommt, die sozusagen selbst etwas ist. Schliefst aber die unendliche Reihe ein solches Glied ein f\u00fcr alle Mal aus, so haben wir in der ganzen Reihe zwar unendlich vielerlei vereinigt, was unser Merkmal nicht ist, aber die Reihe enth\u00e4lt nichts, was das Merkmal wirklich ist. Dafs aber, was gar nichts ist, auch gar nicht ist, bedarf wohl weiter keiner Rechtfertigung. Eher","page":69},{"file":"p0070.txt","language":"de","ocr_de":"70\nA. Meinong.\nk\u00f6nnte eine solche f\u00fcr die gegenw\u00e4rtigen vielleicht ein wenig an scholastische Subtilit\u00e4ten gemahnenden Erw\u00e4gungen verlangt werden, tr\u00e4fe denjenigen, der einen bis zur Unvollziehbarkeit unnat\u00fcrlichen Gedanken bek\u00e4mpft, die Verantwortung f\u00fcr das, was man \u00fcber sich ergehen lassen mufs, wenn man nicht darauf verzichten will, in den Grund der instinctiv leicht genug erkannten Unhaltbarkeit jenes Gedankens Einblick zu gewinnen.\nNat\u00fcrlich trifft dieses negative Ergebnifs nicht nur die Vergleichungsansicht, sondern auch Corn\u00e9lius\u2019 Auffassung der Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung1, ja diese insofern noch mehr als jene, als die Vergleichungsansicht, wie ber\u00fchrt, von der eben erwogenen Zusatzposition m\u00f6glicherweise frei zu erhalten sein m\u00f6chte. Dagegen stellt die Conception der Fundirungsgegen-st\u00e4nde als Aehnlichkeiten einen im Grunde ganz wunderlichen Versuch dar, Superius zum Inferius, Inferius zum Superius zu machen, also den wirklichen Sachverhalt geradewegs in sein Gegentheil zu verkehren.\n\u00a75. Ergebnisse. Abstraction am Einfachen:\nTypische Gegenst\u00e4nde.\nBlicken wir nunmehr auf den durehmessenen Untersuchungsweg zur\u00fcck, so haben wir der Hauptsache nach die folgenden Gesichtspunkte zu verzeichnen, die in gleich nachdr\u00fccklicher Weise der Vergleichungsansicht zuzustimmen verbieten. Diese\n1 Auf meine der ersten Darlegung dieser Conception gewidmeten Ausf\u00fchrungen in dieser Zeitschr. 21 reagirt F. Sch\u00fcmann durch den mir erst w\u00e4hrend des Druckes der gegenw\u00e4rtigen Arbeit zurKenntnifs gelangten Hinweis darauf, dafs ich ihn in zwei Punkten mifsverstanden habe (diese Zeitschr. 23, 30 f.), und ich nehme nat\u00fcrlich keinen Anstand, dem Autor in betreff dessen, was er meint, stets das erste Eecht auf \u201eauthentische Interpretation\u201c ein-\u00c4ur\u00e4umen. Dagegen verzichtet Sch\u00fcmann, wohl im Hinblick auf die Verschiedenheit unserer \u201eGrundanschauungen\u201c (S. 30) auf sachliche Abwehr meiner Aufstellungen. Ich kann mich unter solchen Umst\u00e4nden hier auf die Bemerkung beschr\u00e4nken, dafs, was Sch\u00fcmann a. a. O. S. 25 ff. der Fundirungstheorie nun neuerlich entgegenh\u00e4lt, durch meine Untersuchungen in dieser Zeiischr. 21 meines Erachtens bereits seine Erledigung gefunden hat. Dies hindert mich nat\u00fcrlich nicht, Schumann\u2019s in Rede stehenden \u201eBeitr\u00e4ge zur Analyse der Gesichtswahrnehmungen\u201c im Hinblick auf eine Reihe feinsinniger Beobachtungen, die sie verzeichnen, als eine sehr dankenswerthe Bereicherung unseres Wissens von den \u2014 Gegenst\u00e4nden h\u00f6herer Ordnung zu begr\u00fcfsen.","page":70},{"file":"p0071.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n71\nhat vor Allem die directe Empirie nirgends f\u00fcr und \u00fcberall gegen sich. Auch als Hypothese mangelt ihr die erforderliche Leistungsf\u00e4higkeit, und diese wird auch durch die schon an sich keineswegs unbedenklichen H\u00fclfshypothesen der \u201eAehnlichkeits-reihen\u201c und der qualitativen Eigenart der verschiedenen Aehn-lichkeiten nicht erh\u00f6ht. Schliefslich aber ist die Vergleichungsansicht bereits a priori unhaltbar, sofern ihr zufolge einfache Gegenst\u00e4nde unter einander in verschiedenen \u201eHinsichten\u201c \u00e4hnlich und un\u00e4hnlich sein, aufserdem erst durch die Vergleichung zu der ihnen urspr\u00fcnglich fehlenden Bestimmtheit gelangen sollen. Indem aber die Vergleichungsansicht ihre Positionen auch auf die Gegenst\u00e4nde h\u00f6herer Ordnung auszudehnen versucht, macht sie \u00fcberdies den f\u00fcr sie so fundamentalen Aehn-lichkeitsgedanken selbst unvollziehbar und innerlich haltlos. Ich gr\u00fcnde darauf meine Ueberzeugung, dass die Vergleichungsansicht nicht die geringste Aussicht hat, den Thatsachen, deren Erkenntnifs sie dienen will, gerecht zu werden.\nIn betreff der positiven Seite dessen, was ich im Vorstehenden zun\u00e4chst im Sinne der Abwehr zu vertreten versucht habe, darf ich im Allgemeinen wohl auf fr\u00fchere Ausf\u00fchrungen verweisen. 1 Nur Einen oben2 schon fl\u00fcchtig ber\u00fchrten Punkt m\u00f6chte ich hier zum Schl\u00fcsse noch einmal aufgreifen in der Hoffnung, durch einige Bemerkungen \u00fcber denselben der Aufhellung des Thatsachengebietes, mit dem wir es im Vorangehenden am Ende doch immer zu thun hatten oder haben wollten, f\u00f6rderlich zu sein.\nH\u00e4lt man sich an das dort nachdr\u00fccklich betonte Princip, dafs Abstraction nur an Complexen angreifen k\u00f6nne, nicht aber an Einfachem, so erkennt man leicht, dafs dasjenige, was sozusagen schon die aufsertheoretische Psychologie unter den Gesichtspunkt der Abstraction zu bringen pflegt, einige Gruppen bildet, die sich nach der Leichtigkeit, mit der die einschl\u00e4gigen Thatsachen die Betrachtung als Complexionen gestatten, in eine Art geordneter Reihe bringen lassen. Eine solche machen etwa die nachstehenden paradigmatischen Beispiele aus :\n1. Wenn man liest oder schreibt, bildet sich auf der Netz-\n1\tVgl. Hume-Studien 1; aufserdem \u201eUeber Begriff und Eigenschaften der Empfindung\u201c in der Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 12,326 ff., 1888; sowie \u201eBeitr\u00e4ge zur Theorie der psychischen Analyse\u201c, diese Zeitschr. 6, 373ff., 424f.\n2\tVgl. S. 49 f.","page":71},{"file":"p0072.txt","language":"de","ocr_de":"72\nA. Meinong.\nhaut stets eine mehr oder minder aufdringliche Umgebung ab, von der man gleichwohl \u201eabsieht\u201c.\n2.\tWer etwa auf weifses Papier schwarz abzeichnet, was ihm auf einer schwarzen Tafel weifs vorgezeichnet worden ist, der h\u00e4lt sich an die Gestalt, l\u00e4fst aber die Farbe bei Seite.\n3.\tWer ein Musikinstrument nach einem anderen stimmt, vernachl\u00e4ssigt die Verschiedenheit in betreff der Tonst\u00e4rke und Klangfarbe, indem es ihm nur um die herbeizuf\u00fchrende Ueber-einstimmung in betreff der Tonh\u00f6he zu thun ist.\n4.\tWer vom Blau des Himmels oder vom Gr\u00fcn der Wiesen oder der B\u00e4ume spricht, \u201eabstrahirt\u201c von den einzelnen, eventuell recht verschiedenen Nuancen und Helligkeiten dieser Farben, um eben nur jenes Blau oder Gr\u00fcn ohne n\u00e4here \u201eBestimmung\u201c zur\u00fcckzubehalten.\nWas sich an diesen vier Typen in eine Reihe ordnet, ist , augenscheinlich die Enge der Verbindung, in welcher sich die Bestandst\u00fccke der betreffenden Complexion darstellen : was r\u00e4umlich auseinander liegt, ist minder eng verbunden, als was keine r\u00e4umliche Verschiedenheit aufweist; zwei am selben Orte coexistirende Eigenschaften stehen sich ferner als zwei Bestimmungen einer und derselben Eigenschaft. Aber auch diese Bestimmungen selbst, sofern in der Regel jede von der anderen, mindestens theoretisch, f\u00fcr unabh\u00e4ngig variabel gelten kann, so dafs sich gerade in dieser Variabilit\u00e4t, wie ber\u00fchrt1 die Zweiheit verr\u00e4th, scheinen eine Art Steigerung der Enge noch zuzulassen, wenigstens gegen\u00fcber einem Grenzfalle, wie er sich im vierten unserer Typen darbietet, wo die nur einseitige Ver\u00e4nderlichkeit zusammen mit dem Versagen jeglicher Analyse den Gedanken der Complexit\u00e4t im Grunde gar nicht mehr aufkommen lassen will. Dennoch redet man aber eben auch hier von Abstraction : eine Abstraction am Einfachen d\u00fcrfte aber doch im eigentlichsten Sinne als die Crux einer auf Complexit\u00e4t gegr\u00fcndeten Ab-stractionstheorie angesehen werden. Dies der Grund, weshalb gerade von diesem Falle hier noch besonders mit ein paar Erw\u00e4gungen zu handeln ist, denen es dann an Uebertragbarkeit auf F\u00e4lle, die nicht geradezu auf sie angewiesen sind, darum noch durchaus nicht fehlen m\u00fcfste.\n1 Vgl. oben S. 50 f.","page":72},{"file":"p0073.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n73\nVor Allem sei neuerlich ausdr\u00fccklich anerkannt, dafs im Versagen der Analyse hier so wenig wie sonst irgendwo ein stricter Beweis f\u00fcr Einfachheit hegt. M\u00f6glich w\u00e4re es also am Ende immerhin, dafs Roth eigentlich eine Complexion ist, deren mit allen anderen Farben \u00fcbereinstimmendes Bestandst\u00fcck eben unter dem Namen der Farbe herauszuabstrahiren w\u00e4re. Aber erstaunlich genug bliebe es dann, dafs das sozusagen ziel-unbewufste Analysiren, das wir in der Vorstellung der \u201eFarbe\u201c beth\u00e4tigt h\u00e4tten, so leicht, das sozusagen zielbewufste Analysiren dagegen, der absichtlich unternommene Versuch, die Bestandst\u00fccke auseinander zu halten, ganz und gar nicht gelingt. Zudem m\u00fcfste sich die Anzahl der pr\u00e4sumtiven Bestandst\u00fccke schon gegen\u00fcber herk\u00f6mmlichen Benennungen wie Hellroth und Dunkelroth, Orange und Violett etc. erheblich, im Hinblick auf die beliebig weit zu f\u00fchrende Untertheilung selbst ins Unbegrenzte steigern. Kurz, wer den Thatsachen nicht Gewalt anthun will, wird nicht umhin k\u00f6nnen, eine Art Abstraction auch am Einfachen anzuerkennen, genauer, er wird einr\u00e4umen m\u00fcssen, dafs auch wirklich einfache oder doch praktisch als einfach zu behandelnde Gegenst\u00e4nde eventuell unter einer \u201eallgemeinen\u201c Vorstellung ganz in derselben Weise zusammengefafst werden, wie sonst Concreta unter einem Abstractum. Dasselbe Allgemein- oder Unbestimmt-Vorstellen, das Complexionen gegen\u00fcber sich in v\u00f6llig erfahrungsgem\u00e4fser Weise unter dem Gesichtspunkte der Abstraction verstehen l\u00e4fst, verlangt also hier eine andere Deutung.\nDafs eine solche in einer gewifs nicht immer unnat\u00fcrlichen Weise durch Einschiebung der Aehnlichkeitsvorstellung zu gewinnen ist, habe ich, wie bereits einmal erw\u00e4hnt, schon am anderen Orte 1 ausgef\u00fchrt. Denke ich mir ein ganz bestimmtes Blau, so kann ich unter dem Gesichtspunkte dessen, was diesem Blau mehr oder minder \u00e4hnlich ist, etwa das Gebiet des Blauen von dem \u00e4hnlich zu bestimmenden Gebiete des Rothen sondern. Aber einen solchen Umweg f\u00fcr jedesmal eingeschlagen anzunehmen, entbehrt doch allzusehr der Best\u00e4tigung durch die directe Empirie: aufserdem aber entst\u00e4nde, wo das Mehr oder Weniger einer solchen Aehnlichkeit von Belang zu werden beginnt, das alte Problem erneut und k\u00f6nnte durch wiederholte\n1 Vierteljahrsschr. f. iviss. Thilos. 12, 341 ff. 1888.","page":73},{"file":"p0074.txt","language":"de","ocr_de":"74\nA. Meinong.\nAnwendung des n\u00e4mlichen Gesichtspunktes zwar zur\u00fcckgeschoben, aber eben doch nicht beseitigt werden, so dafs das Bed\u00fcrfnifs nach einer anderen L\u00f6sung fr\u00fcher oder sp\u00e4ter sich doch unab-weislich einstellt.\nEine solche L\u00f6sung bietet sich nun dar, wenn man unter sorgf\u00e4ltiger Auseinanderhaltung von Gegenstand und Inhalt einer Vorstellung1 das Wesentliche dessen ins Auge fafst, was man von Alters her als den \u201eUmfang\u201c der betreffenden Vorstellung \u2014 lieber sagt man da zumeist, des \u201eBegriffes\u201c \u2014 zu bezeichnen sich gew\u00f6hnt hat. Dafs ich mit H\u00fclfe zweier Vorstellungen zwei verschiedene Gegenst\u00e4nde erfasse, durch die eine etwa einen Kreis, durch die andere ein Viereck, das hat zun\u00e4chst in der A erschiedenheit der die beiden Vorstellungen differenzirenden Inhalte seinen Grund. Den von einander verschiedenen Gegenst\u00e4nden A und B sind hier also zwei verschiedene Inhalte zugeordnet, deren Zuordnungsverh\u00e4ltnifs durch ihre Bezeichnung als a und b zur Geltung kommen mag mit dem ausdr\u00fccklichen Beisatze, dafs damit weder \u00fcber die Beschaffenheit des a resp. b, noch \u00fcber die Natur der sie mit A und B verbindenden Relation hier etwas vorbestimmt sein soll. Um also irgend einen Gegen-stand, etwa meinen Freund N vorzustellen, brauche ich nur die Vorstellung mit dem Inhalte n zu bilden, und indem die Vorstellung mit dem Inhalte n existirt, ist sozusagen ipso facto auch bereits Ar ebenso vorgestellt, als N mit dem Gegebensein eines auf den Inhalt n gestellten Urteils ipso facto beurtheilt, g\u00fcnstigen Falles auch erkannt w\u00e4re. Weil es nur einen einzigen N gibt, so geh\u00f6rt hier nat\u00fcrlich zu beliebig vielen Vorstellungen mit dem Inhalte n nur Ein Gegenstand, aber es versteht sich, dafs, wenn noch ein zweiter N existirte, der dem ersten in allen St\u00fccken bis ins Kleinste gliche, nicht abzusehen w\u00e4re, wie dieser zweite A durch eine \"Vorstellung mit dem Inhalte n weniger betroffen sein sollte als der erste N. Bei einem menschlichen Wesen w\u00e4re diese Voraussetzung allerdings in ganz besonders auff\u00e4lliger Weise unerf\u00fcllbar: schon minder schwierig stellt sich diese Forderung etwa im Hinblicke auf die Vorstellung eines Meterstabes oder sonst eines Dinges, das, wenigstens wie man es gew\u00f6hnlich aufzufassen pflegt, nicht allzuschwer seines Gleichen findet. Freilich, sofern man auch den Maafsstab an einem bestimmten Orte\n1 Vgl. diese Zeitschr. 21, 185 ff.","page":74},{"file":"p0075.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n75\nund zu bestimmter Zeit vorstellt, ist damit die M\u00f6glichkeit mehr als Eines Vorgestellten wieder ausgeschlossen. Wird aber von derlei individualisirenden Daten abgesehen, dann ist nicht erfindlich, wie durch eine solche Vorstellung einer ihrer \u201ead\u00e4quaten\u201c Gegenst\u00e4nde mehr oder weniger getroffen sein sollte als die \u00fcbrigen. Das vorstellende Subject thut auch weiter gar nichts dazu: ganz von selbst vereinigt gleichsam die durch ihren Inhalt charakterisirte Vorstellung diese s\u00e4mmtlichen \u201ead\u00e4quaten\u201c Gegenst\u00e4nde um sich, und die Gesammtheit dieser Gegenst\u00e4nde macht eben den Umfang der betreffenden Vorstellung aus. Ich habe hier der Einfachheit halber zun\u00e4chst nur den sogenannten \u201eempirischen\u201c Umfang in Erw\u00e4gung gezogen; aber es versteht sich leicht, dafs es auch mit dem \u201elogischen\u201c Umfang kein wesentlich anderes Bewandtnifs hat.\nDer Umfang einer Vorstellung ist also durch eine eigenartige Complexion von Gegenst\u00e4nden gegeben, die gleichsam zusammengehalten werden durch jenen Inhalt, zu dem sie Alle in jener Zuordnungsrelation stehen. Wie immer aber diese Relation beschaffen sein mag, es scheint auf den ersten Blick selbstverst\u00e4ndlich, dafs ihre Natur es mit sich bringt, dafs die so zu einem Umfangscollectiv vereinigten Gegenst\u00e4nde unter einander jedenfalls in der Beziehung strengster Gleichheit stehen m\u00fcssen. Dennoch mufs gefragt werden, worauf die Pr\u00e4sumtion einer solchen Selbstverst\u00e4ndlichkeit sich eigentlich st\u00fctze. Gleichheit bedeutet, wenigstens bei continuirlieh oder quasicontinuirlich variablen Fundamenten, doch nichts als die obere Grenze der Aehnlichkeit, und Gesetzm\u00e4fsigkeiten, die der Einfachheit oder sonst leichterer Erfafsbarkeit halber zun\u00e4chst im Hinblick auf Gleichheit formu-lirt werden, erweisen sich dann zumeist auf den allgemeineren Fall der Aehnlichkeit erweiterbar. So \u00fcbt und erm\u00fcdet nicht nur Gleiches f\u00fcr Gleiches, sondern \u00fcberhaupt Aehnliches f\u00fcr Aehnliches, wenn auch um so ausgiebiger, je mehr sich die Aehnlichkeit der Gleichheitsgrenze ann\u00e4hert. Ist die Vorstellung eines A mit der eines B associativ verkn\u00fcpft, so beth\u00e4tigt sich diese Association nicht nur am genauen A dem genauen B gegen\u00fcber, sondern auch zwischen dem M-Aehnlichen und dem BAehn-lichen und auch die Induction, die ein Zusammenauftreten eines A mit einem B erkennen l\u00e4fst, greift von dem A und B auf das A-Aehnliche und B-Aehnliche \u00fcber. Sehe ich recht, so fehlt jeder Anlafs, die Sachlage in betreff der Zuordnung zwischen","page":75},{"file":"p0076.txt","language":"de","ocr_de":"76\nA. Meinong.\nInhalt und Gegenstand anders zu fassen. Gewifs wird jedem Inhalte a ein Gegenstand A gegen\u00fcberstehen, der jenem sozusagen im eigentlichsten und strengsten Sinne zugeh\u00f6rt: aber die Vorstellung, die in dieser Weise das A trifft, kann auch einem von A unmerklich verschiedenen A' nicht v\u00f6llig fremd sein, ebensowenig einem dem A bereits nicht geradezu \u201ezum Verwechseln\u201c \u00e4hnlichen A\u201c u. s. f. Freilich wird die Relation des a zum A\u2018 oder gar A\u201c nicht mehr genau dieselbe sein k\u00f6nnen wie die zu A: w7arum sollte aber die Relation zwischen Inhalt resp. Vorstellung einerseits und Gegenstand andererseits nicht graduelle Ver\u00e4nderungen gestatten?\nDafs sie sie thats\u00e4chlich gestattet, ist im Grunde schon dem Denken des Naiven bekannt. Jeder w^eifs, dafs man sich etwa an eine gesehene Gegend gar wohl erinnern kann, ohne dafs man dabei auf volle \u201eGenauigkeit\u201c dieser Erinnerung Anspruch zu machen f\u00fcr erforderlich halten mufs. Das kann doch nur besagen, dafs es von der Landschaft A aufser der Vorstellung mit dem Inhalte r/, wie sie sich etwa dem aufmerksamen Beschauer unter g\u00fcnstigsten Umst\u00e4nden darbieten mag, auch noch andere Vorstellungen mit den Inhalten a\u201c u. s. f. geben kann, die, obwohl von der erstbezeichneten Vorstellung inhaltlich verschieden, gleichwohl immer noch Anspruch darauf erheben d\u00fcrfen, in irgend einer Weise f\u00fcr Vorstellungen jener Landschaft A zu gelten. Denn h\u00e4tten sie diesen Anspruch nicht, so d\u00fcrfte im obigen Beispiele nicht davon die Rede sein, dafs der Betreffende sich der Landschaft auch nur ungenau erinnere. Um sich ihrer zu erinnern, mufs er unweigerlich sie vorstellen, und eben dadurch, dafs man von Genauigkeitsgraden spricht, ist die Zugeh\u00f6rigkeit verschiedener Vorstellungen zu dem Einen Gegenstand anerkannt, damit nat\u00fcrlich auch die M\u00f6glichkeit, denselben Gegenstand mittels dieser verschiedenen Vorstellungen in verschiedener Weise zu erfassen. Aeufserlich ist das freilich vorerst nur das Widerspiel zu dem oben Dargelegten; wir haben ja hier mehrere Inhalte gegen\u00fcber Einem Gegenst\u00e4nde, indefs oben von mehreren Gegenst\u00e4nden gegen\u00fcber Einem Inhalte, also Einer Vorstellung die Rede wTar. Aber dafs Eines das Andere nothwendig mit sich f\u00fchrt, braucht hier wohl keiner besonderen Darlegung. Man kann eben zusammenfassend sagen : verschiedene Genauigkeit vorausgesetzt, kann sowohl derselbe Gegenstand durch verschiedene Inhalte erfafst werden, als derselbe Inhalt dem Erfassen ver-","page":76},{"file":"p0077.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n77\nschiedener Gegenst\u00e4nde dient. Das Centrum in jedem der einander so gegen\u00fcberstellenden Gebiete macht naturgem\u00e4fs der m\u00f6glichst genau erfafste Gegenstand resp. der m\u00f6glichst genau erfassende Inhalt aus, und auch \u00fcber die Beschaffenheit der diesen Gebieten zukommenden Grenzen kann kaum ein Zweifel aufkommen. Um von jetzt ab wieder bei dem unseren gegenw\u00e4rtigen Interessen n\u00e4chststehenden der beiden F\u00e4lle zu verweilen, so hindert uns nichts die Grenzen des in dieser Weise dem Inhalte a zufallenden Gegenstandsbereiches theoretisch so weit zu stecken, als die M\u00f6glichkeit continuirlicher oder quasi-continuirlicher Verbindung mit dem Centrum A reicht. Praktisch wird es daneben ja vor Allem darauf ankommen, ob auf den eben in Frage kommenden Gegenstand nicht etwa von einem anderen Centrum aus n\u00e4here Anspr\u00fcche geltend gemacht werden. Was wir grau nennen, w\u00fcrde, wer die Grauvorstellung noch nicht concipirt hat, je nach Beschaffenheit unbedenklich bald unter Schwarz, bald unter Weifs rangiren.\nIch entnehme dem Dargelegten das Recht zu der Behauptung, dafs dem, was man f\u00fcglich Umfangscollective des Gleichen nennen k\u00f6nnte, solche des Aehnlichen zur Seite stehen. Letzteren ist ein gegenst\u00e4ndliches Centrum wesentlich, das dem Inhalte der gegebenen Vorstellung ebenso streng zugeordnet ist wie s\u00e4mmtliche Gegenst\u00e4nde, die ein Umfangscollectiv des Gleichen in sich befafst. Es liegt in der Macht des Vorstellenden, einmal, indem er die Vorstellung mit dem Inhalte a concipirt, ganz ausdr\u00fccklich eben dieses A zu meinen und sonst nichts, es kann mir also einmal genau um \u201edieses Roth\u201c, genau um \u201ediese Gr\u00f6fse\u201c zu thun sein. Es hat aber ganz den Anschein, als wr\u00e4re hierzu eine Art ausdr\u00fccklicher Restriction bez\u00fcglich der gegenst\u00e4ndlichen Sph\u00e4re erforderlich, welche sonst durch das Auftreten der Vorstellung mit dem Inhalte a betroffen wird. Dieses \u201eTreffen\u201c aber vollzieht sich augenscheinlich bei Umfangscollectiven des Gleichen wie des Aehnlichen zun\u00e4chst ganz ohne besonderes Zuthun des Subjectes, das, indem es zun\u00e4chst an nichts weiter als an sein gegenst\u00e4ndliches Centrum denkt, implicite mit dem ganzen Collectiv wie mit einem einzigen Individuum umgeht und sich insofern ganz charakteristisch ausdr\u00fcckt, indem es kurzweg \u201edas Pferd\u201c, \u201edie Farbe\u201c als Gegenstand seiner Betrachtung oder Mittheilung bezeichnet und sich durch die Mehrheit des implicite Getroffenen in der Anwendung des Identit\u00e4ts-","page":77},{"file":"p0078.txt","language":"de","ocr_de":"78\nA. Meinong.\ngedankens nicht st\u00f6ren l\u00e4fst. Nat\u00fcrlich kann es dann aber auch ganz ausdr\u00fccklich von \u201eallen Pferden\u201c, \u201eallen Farben\u201c handeln wollen, was der eben ber\u00fchrten Betrachtungsweise dem praktischen Erfolge nach ganz wohl gleichkommen kann. Gleichwohl ist es genau genommen gegen\u00fcber dieser impliciten Betrachtungsweise ein neuer Gedankenschritt: das Umfangscollectiv wird diesmal selbst Gegenstand einer Vorstellung, der diesmal, da es nur Ein solches Umfangscollectiv geben kann, nun kein Umfangscollectiv mehr gegen\u00fcbersteht. Und wie verschieden diese Sachlage doch von der vorigen ist, erhellt am besten daraus, dafs ich, indem ich einmal an das Umfangscollectiv als solches denke, dasselbe keineswegs seiner Totalit\u00e4t nach in mein Denken einbeziehen mufs, vielmehr ganz wohl auch von nur \u201eeinigen\u201c Pferden, ja selbst blos von \u201eeinem\u201c Pferde handeln kann.\nDafs hier im Einzelnen Alles noch einer sorgf\u00e4ltigen Untersuchung bed\u00fcrftig ist, verkenne ich nat\u00fcrlich keineswegs. Weil aber die Allgemeinheit einer Vorstellung am Ende doch nichts Anderes ist als die Thatsache, dafs der betreffenden Vorstellung ein Umfangscollectiv, d. h. eben ein Umfang gr\u00f6fser als 1 zukommt, so m\u00f6chte, was hier im Sinne einer ersten und vorl\u00e4ufigen Charakteristik gewisser Umfangscollective beigebracht werden konnte mindestens dazu hinreichen, zu zeigen, dafs es an Vorstellungen eine Allgemeinheit geben kann, die den betreffenden Vorstellungen bereits von Natur anhaftet, so dafs sie nicht durch eine besondere Abstractionsleistung erst sozusagen k\u00fcnstlich hervorgerufen werden mufs. Das Princip zwar, dafs alle allgemeinen Vorstellungen bereits einer Abstractionsoperation haben Stand halten m\u00fcssen1, wird dadurch kaum eine Ausnahme erleiden, weil die F\u00e4higkeit eines Inhaltes, auf mehr als Einen Gegenstand hinzuweisen, erst dann zur Geltung kommen kann, wenn individualisirende Begleitinhalte, wie sie etwa im \u201ehic et nunc\u201c vorliegen, ihren Einflufs verloren haben. Das kann aber daran nichts \u00e4ndern, dafs die Umfangscollective des Aehnlichen Allgemeinheiten darstellen, an denen die Abstraction wenigstens unmittelbar keinen Antheil hat.\nWie ist es dann aber zu verstehen, dafs Vorstellungen, denen in der eben bezeichneten Weise nat\u00fcrliche Allgemeinheit zukommt, die F\u00e4higkeit besitzen, statt des ganzen Umfanges einen Theil\n1 Vgl. Harne-Studien 28.","page":78},{"file":"p0079.txt","language":"de","ocr_de":"Abstrahiren und Vergleichen.\n79\ndesselben, ja, f\u00fcr praktische Bed\u00fcrfnisse wenigstens in ausreichender Weise, selbst einen einzigen Thatbestand innerhalb ihres nat\u00fcrlichen Umfangscollectivs zu \u201etreffen\u201c ? Nicht um die eben ber\u00fchrten individualisirenden H\u00fclfsdaten von der Art des hic et nunc handelt es sich hier, sondern etwa darum, dafs die einmal vorliegende Grauvorstellung, obwohl sie dem Gesagten zufolge einen recht erheblichen Theil der Schwarz Whifs-Linie zu umfassen vermag, doch erfahrungsgem\u00e4fs auch die F\u00e4higkeit nicht verloren hat, dem Erfassen einer recht specialisirten Nuance Grau zu dienen. So viel ich sehe, giebt hierauf eigenh lieh schon die Psychologie des t\u00e4glichen Lebens die richtige Antwort: man weifs ja schon vor aller Theorie, dafs man einen Sachverhalt durch das Vorstellen nicht nur mehr oder weniger genau erfassen, sondern es auch beim Vorstellen mehr oder weniger genau nehmen oder \u201emeinen\u201c kann. Sage ich von einem Tone, des ich mich erinnere, er habe \u201eungef\u00e4hr\u201c die H\u00f6he des c der eingestrichenen Octave gehabt, so wird mich vielleicht noch Niemand des Irrthums zeihen, wenn sich ergiebt, dafs der Ton um eine Terz h\u00f6her oder tiefer war. Ganz anders, wenn es gilt, etwa zu psychologischem Zwecke die Zuverl\u00e4ssigkeit meines Urtheils \u00fcber absolute Tonh\u00f6hen festzustellen und ich den Ton als \u201egenau c1\u201c bezeichne. Offenbar liegt bei diesem Mehr und Minder in der Genauigkeit des \u201eMeinens\u201c eine Verschiedenheit im Verhalten des Vorstellenden resp. Urtheilenden vor, die wohl auch die eigentliche Grundlage f\u00fcr die nun wiederholt ber\u00fchrte Verschiedenheit im Verh\u00e4ltnifs zwischen dem Inhalte einerseits, und den verschiedenen das Umfangscollectiv ausmachenden Gegenst\u00e4nden andererseits darstellt. Indirect l\u00e4fst sich die in Rede stehende Verschiedenheit der Sachlage, die also jedenfalls keine inhaltliche ist, nicht allzuschwer charakteri-siren. Sage ich von einem Papiere, es sei beil\u00e4ufig von der Farbe dieses oder jenes Musters, so bedeutet das etwa f\u00fcr den Zustand meiner Orientirtheit in der Sache so viel, als wenn ich sagte, es hat vermuthlich die Farbe des Musters, w\u00e4hrend ich im Falle einer \u201egenau gemeinten\u201c Angabe deren Herabsetzung auf den Rang einer blofsen Vermuthung schwerlich w\u00fcrde gelten lassen. Aber damit ist nat\u00fcrlich doch nur etwas \u00fcber die Erkenntnifsdignit\u00e4t des Ungenauen bestimmt, nicht aber das Wesen dieser sozusagen subjectiven Genauigkeitsunterschiede. Eingehendere Untersuchungen hier\u00fcber m\u00f6chten hier","page":79},{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"80\nA. Meinong.\nauch zu weit f\u00fchren; ich begn\u00fcge mich daher einstweilen nur eine Vermuthung hier\u00fcber aufzustellen, der ich einen anderen Werth als den eines ersten Discussionssubstrates nicht wohl beimessen k\u00f6nnte.\nDa der Unterschied jedenfalls aufserinhaltlieh (und aufser-gegenst\u00e4ndlich) ist, so kann er nur in dem liegen, was ich ohne Pr\u00e4judiz f\u00fcr Activit\u00e4t den Vorstellungsact nenne. Genauere Anhaltspunkte bietet aber schon die Psychologie des t\u00e4glichen Lebens, die dar\u00fcber kaum im Zweifel ist, dafs der Genauigkeit im Erfassen Aufmerksamkeit zutr\u00e4glich, Unaufmerksamkeit, d. h. geringere Aufmerksamkeit abtr\u00e4glich ist. Wie also, wenn das subjectiv erreichbare Maximum der Genauigkeit \u2014 bei Inhalten nat\u00fcrlich, bei denen es \u00fcberhaupt Genauigkeitsgrade geben kann \u2014 zusammenfiele mit dem Maximum der dem betreffenden Gegenst\u00e4nde zugewendeten Aufmerksamkeit, und das Abnehmen an Genauigkeit mit dem Herabsinken der Aufmerksamkeit zusammenfiele? Thatsache ist doch auch, dafs, je mehr man darauf aus ist, aufmerksam festzuhalten, was mit Poth oder gar mit Farbe gemeint ist, man immer sicher auf eine ganz einzelne, cum grano salis individuell zu nennende Farbe st\u00f6fst, was gewifs schon manchen unbefangenen Beobachter f\u00fcr den Nominalismus gewonnen haben wird. Bin ich weiter im Rechte anzunehmen, dafs gesteigerte Aufmerksamkeit unter Anderem jedenfalls auch in gesteigerter Intensit\u00e4t des Vorstellens zur Geltung kommt \\ so sind die Ver\u00e4nderungen in der Genauigkeit des Vorstellens kurzweg als Ver\u00e4nderungen in der Intensit\u00e4t des Vorstellens zu betrachten.\nIst an dieser Auffassung auch nur so viel richtig, dafs es sich bei dem Mehr und Weniger an Genauigkeit um ein Mehr und Weniger des Aufmerkens handelt, so w\u00e4re die Verwandtschaft zwischen der Allgemeinheit verm\u00f6ge ungenauen Vorstellens und der von der Abstractionsansicht gew\u00f6hnlich allein in Betracht gezogenen Allgemeinheit des theilweise aus der Urtheilssph\u00e4re Gedr\u00e4ngten1 2 auf den ersten Blick zu erkennen. Die Abstractionsansicht spricht ja von einem Bevorzugten einiger gegenst\u00e4ndlichen Bestandst\u00fccke einer vorgegebenen Complexion\n1\t\u00bbBeitr\u00e4ge zur Theorie der psychischen Analyse\u201c, diese Zelts ehr, 6, 376 f.\n2\tA. a. O. S. 369 ff.","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"81\nAbstrahiren und Vergleichen.\ndurch die Aufmerksamkeit, und demgem\u00e4fs zugleich von einem Hintansetzen anderer. Man hat es hier also in gewissem Sinne mit einer complexen Leistung der Aufmerksamkeit zu thun, indefs jene Ver\u00e4nderung an den Vorstellungstheilen, verm\u00f6ge deren dann zwischen ihnen eine Gewichtsverschiedenheit1 oder wie man sonst sagen mag resultirt, eventuell auch an einem dieser Theile f\u00fcr sich allein erfolgen k\u00f6nnte. Was bei der Abstraction im eigentlichen Sinne blos Partialvorgang ist, ist Totalvorgang dort, wo es sich um Ver\u00e4nderungen in der Genauigkeit handelt, und immerhin k\u00f6nnte man dann Vorg\u00e4nge letzterer Art in die Bedeutung des Terminus \u201eAbstraction\u201c einbeziehen, also von einer Abstraction in weiterem Sinne reden, was dem Umstande wohl angemessen w\u00e4re, dafs auch die GenauigkeitsVer\u00e4nderungen zu einer Verschiebung in betreff der intentionirten Allgemeinheit einer Vorstellung f\u00fchren. Passend k\u00f6nnte man dann solche Vorg\u00e4nge als \u201eAbstraction am Einfachen , den sonst als Abstraction bezeichneten Geschehnissen -als \u201eAbstraction am Complexen\u201c, zur Seite stellen.\nImmerhin ist aber die hiermit wahrscheinlich gemachte Wesensverwandtschaft dieser Quasiabstraction am Einfachen mit der eigentlichen Abstraction nicht der entscheidende Grund f\u00fcr mich gewesen, die Thatsache der Genauigkeitsgrade hier zur Sprache zu bringen. Was ich vielmehr dargethan haben m\u00f6chte, ist vor Allem dies, dafs die Unanwendbarkeit der von mir verbotenen Abstractionsansicht auf einfache Gegenst\u00e4nde die Psychologie keineswegs vor eine unl\u00f6sbare Schwierigkeit stellt. Dafs ein \\ ersuch, diese Unanwendbarkeit durch Kunstmittel zu beseitigen, den Thatsachen gegen\u00fcber leicht genug den Eindruck uei Unnatui hervorruft und dadurch auch den Unvoreingenommenen gegen die ganze Abstractionsansicht stimmt, ist mir heute duichaus verst\u00e4ndlich, zumal wenn in Rechnung gezogen wird, dafs das Gebiet des der Anwendung Unzug\u00e4nglichen durch Hinweis auf das Moment der Einfachheit noch gar nicht sehr deutlich gekennzeichnet ist. Denn nicht nur Farben und T\u00f6ne geh\u00f6ien hierher, sondern nicht minder Gestalten, Vorg\u00e4nge, Dispositionen, Charaktere und viele andere eventuell vielleicht ganz aufserordentlich complexe Gegenst\u00e4nde, sofern deren A aiiabilit\u00e4t es mit sich bringt, dafs bei ihnen Allgemeinheit im\n1 A. a. 0.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 24.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nA. Meinong.\nErfassen nicht durch eine Art Abzug eines Bestandst\u00fcckes, sondern nur durch absichtlich ungenaues Vorstellen eines f\u00fcr genaue Auffassung ganz \u201especiellen\u201c \u00fcbrigens aber verm\u00f6ge seiner Centralstellung im Umfangscollectiv typischen Falles erzielt werden kann. Auch dafs das allgemeine Denken mit H\u00fclfe solcher Typen eine wesentlich andere Technik verlangt als das Verallgemeinern durch Absehen vom Nebens\u00e4chlichen, kann dem unbefangenen Beobachter kaum ganz entgehen. Und alledem gegen\u00fcber hat die Abstractionsansicht in ihrer Isolirtheit einen m\u00f6glichst ung\u00fcnstigen Stand. Er wird sich, hoffe ich, g\u00fcnstiger darstellen, wenn sich gezeigt hat, dafs das Thatsachen-gebiet, f\u00fcr das sie nicht aufkommen kann, ihrer auch nicht bedarf, indem hier der Typus an die Stelle des eigentlichen Abstractums tritt, um den Anforderungen der Allgemeinheit des Denkens gerecht zu werden.\nDafs auch die Vergleichungsansicht, die den Ausgangspunkt der vorstehenden Untersuchungen abgegeben hat, nicht minder als der moderne Nominalismus in seinen verschiedenen im Grunde nicht sehr von einander abweichenden Gestalten nicht zum geringsten Theile aus dem starken Eindruck von der ber\u00fchrten Unzul\u00e4nglichkeit der Abstractionsansicht entsprungen ist, dar\u00fcber wird man wohl aufser Zweifel sein d\u00fcrfen. Vielleicht, dafs der Hinweis auf die Bolle des Typischen im Vorstellen geeignet ist, die hier vertretene Ablehnung gegen\u00fcber Vergleichungsansicht wie Nominalismus erw\u00e4genswerther erscheinen zu lassen.\n(.Eingegangen am 28. Mai 1900.)","page":82}],"identifier":"lit31406","issued":"1900","language":"de","pages":"34-82","startpages":"34","title":"Abstrahiren und Vergleichen","type":"Journal Article","volume":"24"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:28:35.629094+00:00"}