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{"created":"2022-01-31T16:26:16.767948+00:00","id":"lit31411","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Wreschner, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 24: 160-162","fulltext":[{"file":"p0160.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\nM. Drobisch. Empirische Psychologie nach naturwissenschaftlicher Methode.\nII. Auflage. Hamburg u. Leipzig, Vois, 1898. 355 S.\nGest\u00fctzt auf die HEiNZE\u2019sche Kritik : \u201eDiese Psychologie ist wegen der F\u00fclle des Materials, ebenso wegen der Besonnenheit in dessen Anwendung und der klaren, sehr lesbaren Darstellung mit Recht viel gebraucht worden\u201c, veranstaltete der Verleger einen unver\u00e4nderten Abdruck der 1842 erschienenen I. Auflage. So oft man wohl auch im Einzelnen nicht in der Lage sein wird, dem Verf. beizupflichten, so wird man doch das obige Urtheil Heinze\u2019s im Grofsen und Ganzen als berechtigt anerkennen m\u00fcssen. Denn wenn sich auch Drobisch engstens an Herbart anlehnt, mit diesem der Association und Reproduction eine allzuweitgehende, fast allbeherrschende Bedeutung im psychischen Geschehen zuschreibt und in der Mechanik, oder, wie Drobisch selbst es nennt, in der Dynamik der Vorstellungen das Erkl\u00e4rungsprincip f\u00fcr alle seelischen Ph\u00e4nomene erblickt, so mangelt es doch auch nicht andererseits an abweichenden Betrachtungsweisen und selbst\u00e4ndigen Ansichten. Spendet doch Drobisch selbst dem \u201ehalbvergessenen\u201c Handbuch der Psychologie von Tiedemann (1801) uneingeschr\u00e4nkte Anerkennung und geradezu begeistertes Lob. Und so stofsen wir denn vielfach auf sehr treffende und feinsinnige Beobachtungen, auf recht geschickte und passende Beispiele. Namentlich zeichnen sich hierdurch die Abschnitte \u00fcber die Sinnest\u00e4uschungen und Gef\u00fchle aus. Ihnen stehen allerdings auch wiederum die minderwerthigen Ausf\u00fchrungen \u00fcber die Affecte und Leidenschaften gegen\u00fcber, welche in echt HERBART\u2019schem Sinne streng von einander geschieden werden, insofern jene Gem\u00fcthsersch\u00fctterungen, St\u00f6rungen des seelischen Gleichgewichts, diese herrschend gewordene Begierden darstellen sollen. Abgesehen von diesen kaum haltbaren Definitionen kranken diese Abschnitte an allzu constructivem Beiwerk und an einseitig moralischen, zumeist noch obenein philistr\u00f6sen Betrachtungen. Noch sonderbarer aber muthet uns der Satz an, dafs das Organ der leidendlichen Zust\u00e4nde des inneren Gef\u00fchlssinns (= Organempfindungen) das Gangliensystem, das der th\u00e4tigen Zust\u00e4nde aber das Vertebralsystem sei. Ebenso ist es eine eigenartige physiologische Betrachtungsweise, wenn die Affection der Netzhaut durch einen Lichtstrahl als ein Eindruck im strengsten Sinne des Wortes aufge-fafst wird, so dafs wie beim schiefen Stofse auch hier das Parallelogramm der Kr\u00e4fte zur Anwendung kommt und dementsprechend die Projection","page":160},{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n161\ndes Gesichtseindrucks nach aufsen durch die Keaction gegen dieses zerst\u00f6rende Eindringen erkl\u00e4rt wird. Man mufs sich eben behufs einer gerechten und billigen Kritik stets gegenw\u00e4rtig halten, dafs man es mit einem Veike aus dem Jahre 1842 zu thun hat, und dafs gerade seit dieser Zeit die Physiologie ihren gewaltigen Aufschwung und die Psychologie ihre durchgreifendste Wandlung erfuhr. Dann wird es auch als zum mindesten begreiflich erscheinen, wenn auf der einen Seite die Aufgabe der Psychologie zum Theil speculativ hingestellt, auf der anderen Seite aus der physikalischen Methode wenig Gewinn f\u00fcr die Psychologie erhofft wird, da sich \u201egeistige Experimente\u201c kaum anstellen lassen. Das Gleiche gilt, wenn Deobisch sich h\u00e4ufig in Gleichnissen geradezu verliert und mit blofsen Wortdefinitionen sich begn\u00fcgt, trotzdem dafs doch auf diese Weise weder f\u00fcr die psychologische Analyse complexer Ph\u00e4nomene noch f\u00fcr das Aufdecken neuei Thatsachen auch nur das Geringste gewonnen ist. Ein geradezu feindliches und zerst\u00f6rendes Element aber bringt er in die \u201eempirische\u201c Psychologie, wenn er sie mit rein logischen Deductionen und Calculs verquickt. Gleichwohl darf man jedoch nicht etwa annehmen, dafs ihm das Fehlerhafte derartiger Methoden entgangen ist. Vielmehr r\u00fcgt er es aufs Sch\u00e4rfste, wenn er die Lehren anderer, namentlich solcher, mit denen ei nicht \u00fcbereinstimmt, beurtheilt. In solchen Abschnitten zeigt er sich \u00fcberhaupt stets als einen sehr scharfsinnigen und n\u00fcchternen Forscher. Ganz unverkennbar tritt dies in der Kritik der Lehre von den Seelenverm\u00f6gen von Aristoteles bis Hegel hervor. Ja zuweilen wird Drobisch dann recht bissig. So heilst es z. B.: \u201eBeneble hat Herbart vielfach benutzt, meistens jedoch dessen scharfe Grenzen ganz abgeflacht, ist aus Furcht vor Paradoxen \u00fcberall auf halbem Wege stehen geblieben und hat sich mehr durch neue Worte als Begriffe den Schein von Originalit\u00e4t zu geben gesucht \u201c Ohne seine eigenen Fehler zu bemerken, nennt er bei der Untersuchung dei Uitheilskraft mit vollem Hecht die Hereinziehung der Logik m die Psychologie eine \u201eVermischung, die wir \u00fcberhaupt f\u00fcr keinen wissenschaftlichen Fortschritt halten k\u00f6nnen\u201c. Ebenso betont er Carus gegen\u00fcber, dafs durch die Analogie zwischen den Erscheinungen im Seelen- und Pflanzenleben nur ein Unerkl\u00e4rtes durch ein anderes erkl\u00e4rt wird, und \u201edie ganze Vergleichung \u00fcberhaupt nicht den geringsten Anspruch darauf machen darf, f\u00fcr eine wissenschaftliche Erkl\u00e4rung gelten zu wollen.\u201c Auch hebt er in seiner Polemik gegen Fries im Gegens\u00e4tze zu seiner oben erw\u00e4hnten Be werthung der physikalischen Methode f\u00fcr die Psychologie hervor, dafs ja auch die Physik so manche qualitative Unterschiede auf blos quantitative zur\u00fcckf\u00fchrt. Endlich sei noch erw\u00e4hnt, dafs er bereits die W\u00fcNDTsche Apperceptionslehre andeutet, wenn er als die Wirkung des Willens auf die Vorstellungen in erster Beihe die willk\u00fcrliche Aufmerksamkeit bezeichnet und geradezu sagt: \u201eIn der F\u00fclle der Anschauungen, der Phantasien gleicht das Bewufstsein einem weiten Bundgem\u00e4lde mit einer unermefslichen Menge naher oder entfernter Gegenst\u00e4nde, in heller oder matter Beleuchtung. Beim scharfen Nachdenken dagegen, beim wissenschaftlichen Begrenzen des Denkobjects, contrahirt sich der lichte Kreis Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 24.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nLiteraturbericht.\ndes Bewufstseins oft fast zu einem Punkte, der aber dann ein leuchtender Brennpunkt ist.\u201c\nDiese Ausf\u00fchrungen gen\u00fcgen, um das Urtheil Heinze\u2019s als gerechtfertigt erscheinen zu lassen, dafs das vorliegende Werk auch heutigen Tages noch nicht einen blos geschichtlichen Werth hat.\nA. Wreschner (Z\u00fcrich).\n1.\tRudole M\u00fcller. Hypnotismus und objective Seelenforschung. Leipzig,\nStrauch, 1897. 40 S.\n2.\t\u2014 Das hypnotische Hellseh-Experiment im Dienste der naturwissenschaftlichen Seelenforschung. II. Band: Das normale Bewufstsein. Leipzig, Strauch, 1898. 150 S.\nDer Inhalt der ersten Schrift gipfelt in dem Versuche, die hohe Bedeutung, ja Unentbehrlichkeit des experimentellen Hypnotismus und Oceul-tismus f\u00fcr die Seelenforschung nachzuweisen. Hierbei begn\u00fcgt sich jedoch Verf. mit einem rein negativen Verfahren, indem er lediglich die L\u00fccken und M\u00e4ngel der heutigen Psychologie aufdeckt. Aber nicht genug damit, ignorirt er entweder v\u00f6llig die bisherigen psychologischen und physiologischen Ergebnisse oder untersch\u00e4tzt sie in g\u00e4nzlich einseitiger und engherziger Auffassung. Sollen doch von allen Bewufstseinsvorg\u00e4ngen nur die Anfangs- und Endglieder, nur die peripheren Reize und die willk\u00fcrlichen Muskelbewegungen in objectivem Sinne beobachtet sein, w\u00e4hrend das dazwischen liegende Subject noch v\u00f6llig unbekannt sei und dementsprechend selbst die empirische Psychologie zu den occulten Wissenschaften geh\u00f6re ! Die gesammte subjective Auffassung in der Psychologie f\u00fchrt zu keinem Ziele und mufs der \u201eob j ec tiven\u201c Platz machen, welche vermittelst der Clairvoyance die Gehirnvorg\u00e4nge unmittelbar beobachtet, um so die Bedingungen wie die Ursachen f\u00fcr die Bewufstwerdung aufzudecken, und im Gegensatz zur subjectiven Psychologie die Realit\u00e4t des Subjects betont. Allerdings kommt auch die letztere, selbst in ihrem empirischen Gew\u00e4nde ohne ein Subject nicht aus, sondern f\u00fchrt es wieder in dem \u201eappercipirenden Ich\u201c oder der \u201eIch-Vorstellung\u201c, oder dem \u201eIch der Selbstbeobachtung\u201c etc. ein. Dieser Einflufs des Subjects ist aber ein geradezu physischer Vorgang, wie sich bei der Innervation der willk\u00fcrlichen Muskulatur zeigt. Wie nun die Inschau-Methode die objective Beobachtung der psychischen Thatsachen erm\u00f6glicht, so gew\u00e4hrt die hypnotische Suggestion ihre objective Darstellung, insofern sie die weitestgehende Hemmung oder Beeinflussung der centripetalen, centralen und centrifugalen Vorg\u00e4nge und so die willk\u00fcrliche Herstellung aller m\u00f6glichen psychischen Erscheinungen gestattet.\nEin weitaus h\u00f6heres Interesse als diese allgemeinen, unkritischen und oft in grofssprecherische Phrasen ausartenden Darlegungen verdient die zweite Schrift, welche den Versuch wTagt, auf Grund von Inschauexperimenten das schwierige und wuchtige Problem der Causalit\u00e4t des Bewuifstseins zu l\u00f6sen. Mit Recht fordert Verf. hierf\u00fcr nur die Ergr\u00fcndung der erfahrbaren, in die Erscheinung tretenden, nicht der transcendenten, realen Ursachen und Bedingungen. Es sind daher einerseits anatomischphysiologische, andererseits psychologische Probleme, denen er","page":162}],"identifier":"lit31411","issued":"1900","language":"de","pages":"160-162","startpages":"160","title":"M. Drobische: Empirische Psychologie nach naturwissenschaftlicher Methode. II. Auflage. Hamburg u. Leipzig, Vofs, 1898. 355 S","type":"Journal Article","volume":"24"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:26:16.767954+00:00"}