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{"created":"2022-01-31T16:26:30.907506+00:00","id":"lit31415","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Lobsien, Marx","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 24: 285-295","fulltext":[{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber\nbinaurales H\u00f6ren und auff\u00e4llige Sckalllocalisation.\nEinige Bemerkungen von\nMarx Lobsiex,\nKiel.\nI.\nDie nachstehenden Untersuchungen sind angestellt worden ganz unbeeinflufst durch Studium der einschl\u00e4gigen Literatur des vorliegenden Gegenstandes \u2014, die \u00fcbrigens, wie ich hernach gewahrte, \u00e4ufserst sp\u00e4rlich vorhanden ist \u2014 sie wurden veranlafst durch einen zuf\u00e4lligen \u00e4ufseren Vorgang.\nMich floh der Schlaf, zu meiner Linken vernahm ich ein gleichartiges, sehr wenig musikalisches Ger\u00e4usch. Als ich meinen Kopf dann um einen Winkel von etwa 30\u00b0 nach rechts drehte, vernahm ich zu meinem Erstaunen das Ger\u00e4usch nicht mehr mit dem linken Ohr sondern ausschliefslich rechts, trotzdem ich genau wufste, dafs es von links her stammte. Ich hatte sp\u00e4ter Gelegenheit, dieselbe Erfahrung in umgekehrter Weise zu machen. Best\u00e4tigt wurde sie endlich auch, wenn auch minder deutlich, durch einen entsprechenden Versuch mit der Taschenuhr.\nIch beschlofs, zun\u00e4chst dar\u00fcber Klarheit zu gewinnen, ob es sich hier um ein thats\u00e4chliches Verhalten, oder eine T\u00e4uschung, um ein zuf\u00e4lliges Erscheinen, um eine momentane, subjective Disposition handelte.\nDamit zusammen galt es die Frage zu beantworten, wie grofs der Drehungswinkel oder wie grofs die Zone, innerhalb der diese Schall\u00fcbersetzung geschieht, beiderseits sei und\nob sich ein bestimmtes Verh\u00e4ltnifs offenbare zwischen der H\u00f6rsch\u00e4rfe und der Breite dieser Zone.","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\nMarx Lobsien.\nIL\nApparat und Versuchsanordnung.\nMein Apparat setzt sich aus drei Haupttheilen zusammen, die nachstehend kurz beschrieben werden sollen.\n5\nla.\tDer Fallapparat. Er besteht, wie Fig. 1 zeigt, zun\u00e4chst aus einem Fufs (1), der 20 cm im Quadrat mifst. Er mufs aus sehr hartem Holz oder Metall gefertigt sein. Auf demselben bemerkt man die senkrecht stehende Laufs\u00e4ule 2, welche genau in die 1 cm breite Laufrinne 3 pafst, so dafs sich in ihr die S\u00e4ule leicht vor- und r\u00fcckw\u00e4rts schieben l\u00e4fst, ohne ihre senkrechte Stellung zu ver\u00e4ndern. An der Laufs\u00e4ule ist oben in der Mitte eine Schnur befestigt, an der eine Kugel (4) h\u00e4ngt, die ein Gewicht von 2 1/2 g hat. An die R\u00fcckseite der S\u00e4ule ist ein Quadrant mit der Gradein theilung geheftet (5). Die Kugel f\u00e4llt aus einer H\u00f6he von 20 mm, so dafs die St\u00e4rke des Schalls \u2014 20 \u2022 2,5 = 50 gl mm gesetzt werden darf. Durch eine mechanische Vorrichtung, besser durch den elektrischen Strom wie bei dem bekannten Fallphonometer, wird sie in der angegebenen H\u00f6he festgehalten. (Die Hebelvorrichtung ist hier der Einfachheit wegen nicht abgebildet.) Ein D\u00e4mpfen des Nachschlagschalles zeigte sich bei den Versuchen bald \u00fcberfl\u00fcssig, wegen der geringen St\u00e4rke desselben, sie betrug 0,1 \u2014 h\u00f6chstens 0,2 des Normalschalles und konnte deshalb nicht st\u00f6rend einwirken.\nlb.\tDieser Fallapparat ruht auf einem daf\u00fcr construirten Tisch, und ist in dessen Platte so eingelegt, dafs der Fufs sich gleich der Laufs\u00e4ule hin- und herbewegen l\u00e4fst und zwar in gleicher Richtung mit der Bewegung derselben.\nDurch die Schraube 1 l\u00e4fst sich der Fufs in der gew\u00fcnschten Entfernung feststellen. Diese Entfernung bestimmt man nach","page":286},{"file":"p0287.txt","language":"de","ocr_de":"lieber binaurales H\u00f6ren und auff\u00e4llige Schalllocalisation.\n287\nder seitlich angebrachten Millimeterskala. Unter den F\u00fcfsen des Tisches sind Filzst\u00fcckchen befestigt, so dafs sich derselbe lautlos auf seiner Unterlage fortbewegen kann. In der Querleiste 3 sind die beiden Nadeln 4 und 5 auf derselben Horizontalen senkrecht befestigt.\n2.\tDiese beiden Nadeln befinden sich bei dem Versuch \u00fcber einem Kreisbogen und zwar 4 auf einem Punkte der Peripherie, 5 lothrecht \u00fcber dem dazugeh\u00f6rigen Radius. Der Kreis, bezw. der Kreisbogen ist so grofs gezeichnet, dafs der Radius desselben 1,5 m lang ist. Die Diameter sind von Grad zu Grad \u00fcber die Peripherie hinaus um eine Distanz verl\u00e4ngert worden, die gr\u00f6fser ist als die Querleiste 3.\n3.\tUeber dem Centrum des Kreises befindet sich der Mittelpunkt des Sitzes f\u00fcr den Beobachter. Er ist so einstellbar, dafs sich die Ohren in gleicher H\u00f6he mit der Laufs\u00e4ule befinden. Das Kinn des Beobachters ruht auf einer festen St\u00fctze, so dafs eine durch beide Ohren gedachte Gerade bei Beginn der Versuche die verl\u00e4ngerte Lauf rinne unter einem rechten Winkel schneiden w\u00fcrde.\nDie Versuchsanordnung gestaltete sich f olgender-maafsen. Die Experimente wurden in einem Zimmer vorgenommen, in welchem die peinlichste Stille herrschte und zwar am sp\u00e4ten Abend. Nachdem ein Cursus, welcher der Uebung diente, vorausgegangen war, schritt ich zu den eigentlichen Versuchen. Der Tisch des Fallapparats stand mit den beiden Nadeln \u00fcber dem Peripheriepunkt 0 und dem dazugeh\u00f6rigen Radius hinter dem Beobachter. Dieser O-Radius schneidet im rechten Winkel die durch beide Geh\u00f6rorgane gedachte Horizontale. Punkt 7 am Fufs des Fallapparats befindet sich senkrecht \u00fcber der Nadel 5 (Fig. lb). \u2014 Ich bemerke hier sogleich, dafs die M\u00f6glichkeit der Verschiebung bei der Skala 2 f\u00fcr die F\u00e4lle offen gehalten worden ist, da die erste Skala nicht aus-\n\nFig. lb.","page":287},{"file":"p0288.txt","language":"de","ocr_de":"288\nMarx Lobsien.\nreicht. Der. Fall apparat wurde an der rechten Seite des Beobachters, der mit dem R\u00fccken demselben bei Beginn des Experi-mentirens zugekehrt war, herum gef\u00fchrt, so allm\u00e4hlich an der linken Seite vorbei zum Ausgangspunkte zur\u00fcck. Die Versuche wurden in Entfernungen von je drei, hernach je neun Einheiten \u00e0 5,38 cm wiederholt. Gearbeitet wurde nach der Methode der M inimal\u00e4nderungen. Der Mund wurde geschlossen gehalten, die Augen wo es Noth that verbunden.\nIII.\nVersuchsergebnisse.\nEs galt zun\u00e4chst eine Einheits- oder Normaldistanz zu gewinnen f\u00fcr die Pr\u00fcfung der H\u00f6rsch\u00e4rfe. Zwei Wege standen offen; entweder mufste ich mich daf\u00fcr entscheiden, eine feste Distanz von vornherein zu w\u00e4hlen und dann die Schallst\u00e4rke jeweilig zu variiren oder die Schallst\u00e4rke constant lassen und die Entfernung ver\u00e4ndern. Ich entschied mich aus nicht sehr fern liegenden Gr\u00fcnden f\u00fcr diese letztere Weise. Die genannte Normaldistanz, die zugleich Mindestdistanz sein sollte, ver-muthete ich auf dem genannten O-Radius, und sah mich darin, wie die sp\u00e4teren Versuche ergaben, auch nicht get\u00e4uscht. Ich fand als solche 135 mm. Bei dieser Zahlangabe ist die Radiusl\u00e4nge der Kreislinie, \u00fcber deren peripheren Endpunkt die Anschlagstelle der Kugel an der Laufs\u00e4ule sich befindet, selbstredend aufser Rechnung geblieben, sie ist ja \u00fcberall gleich und kann aus Bequemlichkeit fortgelassen werden. Es handelt sich hier um Distanzen, die unter einander zu vergleichen sind und nur bei absoluter Bestimmung der Entfernung ist die Radiusl\u00e4nge zu ad dir en.\nIch m\u00f6chte zun\u00e4chst die Sonderergebnisse zahlenm\u00e4fsig, d. h. in Millimeterdistanzen angeben. Ich schreite dabei fort von 0 nach rechts, an der Frontalseite vor\u00fcber bis 0 zur\u00fcck. Unter a sind die Distanzen, unter b die Versuchsstationen, je 5,38, bezw. 16,14 cm von einander entfernt, angegeben.","page":288},{"file":"p0289.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber binaurales H\u00f6ren und auff\u00e4llige Schalllocalisation.\n289\na\tb\ta\tb\t\n0 =\t135\t170\t47\t\n135\t1 = 5.38 cm !\t171\t48\t\n135\t2 == 5,38 \u2022 2\t172\t49\t\n128\t3\tetc.\t172\t50\t\n127\t4\t175\t51\t\n133\t5\t177\t52\t\n135\t6\t177\t53\t\n134\t7\t174\t54\t\n136\t8\t176\t55\t\n136\t9\t180\t56\t\n150\t10\tlinks 182\t57\t\n150\t11\t180\t58\t\n150\t12\t192\t59\t\n151\t13\t192\t60\t\n152\t14\t190\t61\t\n152\t15\t191\t62\t\n152\t16\t191\t63\t\n152\t17\t192\t64\t\n155\t18\t200\t65\t\n155\t19\t200\t66\t\n156\t20\t207\t67\t\n158\t21\t216\t68\t\n161\t22\t222\t69\t\n161\t23\t222\t70\t\n161\t24\t224\t71\t\n166\t25\t225\t72\t\n167\t26\t227\t73\t\n169\t27\t229\t74\t\n171\t28\t233\t75\t\n173\t29\t247\t76\t\n173\t30\t247\t77\t\n158\t31\trechts 254\t78\t\n160\t32\t256\t79\t\n161\t33\t260\t80]\t\n161\t34\t272\t81\t1 = 16,14 cm\n161\t35\t274\t82,\t\n163\t36\t279\t83\t\n164\t37\t279\t84\t\n164\t38\t281\t85\t\n164\t39\t283\t86\t\n165\t40\t287\t87\t\n166\t41\t289\t88\t\n167\t42\t290\t89\t\n168\t43\t292\t90\t\n168\t44\t297\t91\t\n168\t45\t297\t92\t\n168\t46\t297\t93\t","page":289},{"file":"p0290.txt","language":"de","ocr_de":"290\nMarx Lobsien.\na\tb\ta\tb\n307\t94\t307\t130\n305\t95\t306\t131\n305\t96\t306\t132\n305\t97\t306\t133\n302\t98\t308\t134\n302\t99\t310\t135\n302\t100\t308\t136\n302\t101\t306\t137\n302\t102\t306\t138\n300\t103\t307\t139\n299\t104\t307\t140\n299\t105\t308\t141\n300\t106\t308\t142\n303\t107\trechts 309\t143\n303\t108\t309\t144\n303\t109\t310\t145\n300\t110\t311\t146\n299\t111\t312\t147\n298\t112\t314\t148\n300\t113\t315\t149\n302\t114\t316\t150\n300\t115\t317\t151\n301\t116\t317\t152\n303\t117\t317\t153\n302\t118\t318\t154\n302\t119\tlinks 299\t155\n304\t120\t\t1\n304\t121\tfehlt\t\n306\t122\t149\t170\n305\t123\t145\t171\n308\t124\t145\t172\n308\t125\t144\t173\n308\t126\t142\t172\n308\t127\t140\t173\n307\t128\t140\t174\n307\t129\t136\t175\nDie Tabelle habe ich in die nebenstehende anschauliche Curve umgezeichnet. Wo der Raum nicht ausreichte, zog ich dieselbe unter Anwendung einer gleich grofsen Subtraction weiter in den Kreis hinein. Diese Werthe m\u00fcssen selbstredend addirt werden, wenn man vergleichen will ; es sind 120 mm und 220 mm.","page":290},{"file":"p0291.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber binaurales H\u00f6ren und auff\u00e4llige Schalllocalisation.\n291\n\\ \\ \\\nU\\\\\\\\\n/ / ! !\n1. Es offenbart sich zun\u00e4chst eine wesentliche Differenz in der Ausdehnung der H\u00f6rzone oder, anders ausgedr\u00fcckt, in der H\u00f6rsch\u00e4rfe. Der Diameter, welcher durch beide Ohren gedacht wird, ist in zwei Theile zu zerlegen, von denen der rechte eine Ausdehnung von 139, der linke aber von 310 mm ergiebt. Die H\u00f6rsch\u00e4rfe des rechten Ohres zu dem Linken w\u00fcrde sich nach diesen Distanzen also verhalten\nE: L = 139 : 310 = 1693 : 1890 d. h. das rechte Ohr wird von dem linken um das 19/17 fache \u00fcbertroffen. Unter solchen Umst\u00e4nden ist durchaus nicht zu verwundern, dafs der H\u00f6rkreis eine wesentliche Verschiebung nach links erf\u00e4hrt, die Gestalt einer Ellipse annimmt. Die","page":291},{"file":"p0292.txt","language":"de","ocr_de":"292\nMarx Lobsien.\nFrontallinie a wird nach d verschoben und stark verl\u00e4ngert, w\u00e4hrend der Diameter b sich nach c herumdreht, so dafs sich die geringste H\u00f6rsch\u00e4rfe nach rechts \u00fcber die Lothrechte er, die gr\u00f6fste nach links \u00fcber dieselbe hinausschiebt \u2014 wie auch die ausgef\u00fchrte Curve deutlich offenbart.\n2. Unzweifelhaft sicher ist die Hauptaufgabe der vorliegenden Experiments gel\u00f6st worden, das Vorhandensein der H\u00f6r-\nFig. 3.\nFig. 2.\nWechselzonen ist erwiesen. Auf der rechten Seite hat die Zone eine Breite von 44\u00b0. Ihr vorauf geht eine Vorbereitungszone von 8 0 und ihr folgt ein Ausschnitt von 2 \u00b0, in denen die lautere Betonung des linken Geh\u00f6rorgans nur sporadisch, wenngleich immer mehr zu-, bezw. abnehmend auftritt. Innerhalb der Wechselzone aber tritt die linke H\u00f6rseite in ihr volles Recht. Der Beobachter hatte dabei die Empfindung, als ob Schallwellen an der Stirn vorbeistrichen und das linke Ohr aufsuchten.\nDagegen ist die entsprechende Zone auf der linken Seite bedeutend schmaler, sie ist nur 16\u00b0 breit. Charakteristisch ist f\u00fcr dieselbe auch, dafs sie pl\u00f6tzlich einsetzte und weder vorher noch nachher sich Schwankungen zeigten \u2014 wenigstens waren sie in 1,5 m Entfernung vom Mittelpunkte im Intervall 1 : 5,38 cm nicht nachweisbar. Die Gr\u00f6fse beider Zonen verh\u00e4lt sich wie 16 : 44. Die Zone rechts ist also 2 3/4 mal so grofs wie die andere. Die Lage beider Zonen zur Normalaxe a ist ebenfalls verschieden, die Zone vor dem linken Ohre ist weiter zur\u00fcckgedr\u00e4ngt, wenngleich dieser Unterschied nur gering ist, wenn man sie in Beziehung setzt zu der oben angedeuteten verschobenen H\u00f6raxe. Man gewahrt so deutlich, dafs dem sch\u00e4rferen linken Ohre eine gr\u00f6fsere H\u00f6rwechselzone angeh\u00f6rt, dafs das schw\u00e4chere Ohr dem","page":292},{"file":"p0293.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber binaurales H\u00f6ren und auff\u00e4llige Schalllocalisation.\n293\n\u00fcberlegenen Gebiet r\u00e4umen mufs ; gr\u00f6fsere H\u00f6rsch\u00e4rfe und gr\u00f6fsere zugeh\u00f6rige Wechselzone entsprechen einander.\nWenn aber thats\u00e4chlich ein derartiges Verh\u00e4ltnifs zwischen H\u00f6rsch\u00e4rfe und zugeh\u00f6riger Wechselzone besteht, dann liegt die Vermuthung nahe, dafs die Existenz der Zone auf eine Linie zusammenschmelzen mufste, wenn die H\u00f6rf\u00e4higkeit beider Ohren gleich grofs ist. Die M\u00f6glichkeit, dafs dieser Einwand richtig sei, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen, ihn zu erh\u00e4rten ist aber um deswillen schwer, wTeil bekanntlich Personen, deren beider Ohren gleichgebaut sind und durchaus gleich funktioniren, zu den gr\u00f6fsten Seltenheiten geh\u00f6ren. Wir m\u00fcssen also f\u00fcr die meisten Menschen mit der Wechselzone als einer Thatsache rechnen.\nV.\nErkl\u00e4rung des Ph\u00e4nomens.\nEs gilt hier, die Thatsache ins Auge fassen und voreiligen theoretischen Constructionen aus dem Wege gehen.\nOffenbar geh\u00f6rt die Wechselzone in das Gebiet der Localisation der Geh\u00f6rsvorstellungen. Die Angabe der Schallrichtung setzt eine Raumvorstellung voraus, die durch Tast- und Gesichtssinn gewonnen wird; denn es giebt \u201ekeinen besonderen H\u00f6rraum\u201c, der von jener Raumvorstellung unabh\u00e4ngig w\u00e4re, die Schallrichtung l\u00e4fst sich nur auf diesen beziehen. Im Allgemeinen neigt man der Ansicht zu, dafs die Richtungslocalisation des Schalles auf indirecten Motiven beruht \u2014 und auch die vorliegende Erscheinung der Wechselzone spricht daf\u00fcr.\nAuf die Vorstellung von der Richtung des Schalles hat einen gewissen Einflufs die Intensit\u00e4t der Schallempfindung. Schallempfindungen von bekannter St\u00e4rke sind wir dann geneigt nach vorne zu verlangen, wenn sie st\u00e4rker auftreten. Nicht nur ist das \u00e4ufsere Ohr ein Schallbecher, der besonders geeignet ist, die Schallwellen von vorne aufzunehmen, die Theile der Ohrmuschel haben auch eine feine Druckempfindlichkeit, die aber vorn noch wesentlich verst\u00e4rkt wird durch eine grofse Zahl feiner H\u00e4rchen, die sich dort befinden (Wundt). Aus den indirecten Localisationsbedingungen heraus versteht sich auch die Beobachtung von Tarchanoff und Urbantschitsch, dafs gleich starke gleichzeitige Schallerregungen in beiden Ohren in der Median-","page":293},{"file":"p0294.txt","language":"de","ocr_de":"294\nMarx Lobsien.\nebene, solche von ungleicher St\u00e4rke dagegen auf der Seite des st\u00e4rkeren Schalles localisirt werden.\nAuch f\u00fcr das vorliegende Ph\u00e4nomen, da ein Schall auf der entgegengesetzten Seite localisirt wird, wirkt neben der Differenz in der H\u00f6rsch\u00e4rfe beider Organe auch die Beschaffenheit und Stellung des \u00e4ufseren Ohres; sowohl f\u00fcr die Existenz der Wechselzone wie ihre Lage und Gr\u00f6fse sind beide Umst\u00e4nde verantwortlich zu machen. Auch der Winkel, unter dem das \u00e4ufsere Ohr an den Kopf geheftet ist, hat sehr verschiedene Gr\u00f6fse. Es ist f\u00fcr die Sch\u00e4rfe des H\u00f6rens keineswegs gleichg\u00fcltig, unter welchem Winkel die Schallwellen das Ohr treffen. Am g\u00fcnstigsten wird immer der Fall sein, da keine oder geringste Beugung nothwendig ist, am ung\u00fcnstigsten der, wo sie unter einem sehr stumpfen oder gestreckten Winkel ankommen. Darum wendet auch der Schwerh\u00f6rige \u2014 und auch der normal H\u00f6rende -\u2014 sein Ohr dem schwerverst\u00e4ndlichen Ger\u00e4usche durch eine Drehung des Kopfes entgegen. Daraus erkl\u00e4rt sich einerseits, dafs der H\u00f6rumkreis nach links und rechts viel weiter ausgedehnt ist, als nach vorne und hinten und dafs er sich hinten n\u00e4her an das Centrum heranzieht als vorn. Hierin liegt auch die Ursache, dafs sowohl vorn wie hinten, so lange die Verh\u00e4ltnisse ann\u00e4hernd gleich g\u00fcnstig liegen, mit Sicherheit durch beide H\u00f6rwerkzeuge der Schall aufgenommen wird. Aus gleichen Gr\u00fcnden ist diese Zone vorn gr\u00f6fser als hinten.\nSobald der Schallreiz rechts oder links die Grenze des Gebietes der relativen Gleichbeg\u00fcnstigung beider H\u00f6rwerkzeuge \u00fcberschreitet, beginnt beiderseits eine Zone, innerhalb welcher der Reiz richtig auf der zugeh\u00f6rigen Seite localisirt wird. Diese Zone ist f\u00fcr das linke Ohr bedeutend gr\u00f6fser als f\u00fcr das rechte und wir gehen schwerlich fehl, wTenn wir die Hauptursache dieser Differenz erblicken in der verschieden grofse'n H\u00f6rsch\u00e4rfe. (Anstatt H\u00f6rsch\u00e4rfe k\u00f6nnen wir auch den Ausdruck Schallintensit\u00e4t setzen; diese haben wir zwar objectiv f\u00fcr alle Einzelversuche gleich gesetzt, subjectiv war sie es keineswegs, sondern mufste auf der Millimeterskala erst immer dahin gebracht werden.)\nDann folgt die Wechselzone. Beharrlich wird innerhalb derselben die Schallempfindung auf der entgegengesetzten Seite localisirt. F\u00fcr dieses Ph\u00e4nomen reichen die genannten Einfl\u00fcsse als Erkl\u00e4rungsgr\u00fcnde nicht aus. Man mag f\u00fcr die Breite","page":294},{"file":"p0295.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber binaurales H\u00f6ren und auff\u00e4llige Schalllocalisation.\n295\ndieser Zonen die H\u00f6rsch\u00e4rfe verantwortlich machen, aber der Nachweis wird sehr schwer gelingen, dafs auf diesen Zonen die ung\u00fcnstigste Lage des zugeh\u00f6rigen \u00e4ufseren Ohres, dagegen die g\u00fcnstigste des entgegengesetzten f\u00fcr die Schallaufnahme vorhanden sei. Und das w\u00e4re nicht ausreichend, es m\u00fcfste darge-than werden, dafs dieses auch in dem Maafse der Fall w\u00e4re, dafs das zugewendete Ohr ganz und gar in den Hintergrund gedr\u00e4ngt wurde. Hier spielen Umst\u00e4nde, die f\u00fcr uns im Verborgenen liegen, zun\u00e4chst wohl physiologische. Man k\u00f6nnte ja annehmen, dafs die H\u00f6rf\u00e4higkeit f\u00fcr das jeweils zugeh\u00f6rige H\u00f6rorgan auf dieser Zone \u00fcberhaupt auf ein Minimum herabgesetzt sei, so dafs dann das entgegengesetzte sich volle Geltung verschaffte. Eine volle Bindung des H\u00f6rens auf der Wechselzone darf man nicht annehmen, wie ein Versuch, das entgegen-gesetze Ohr h\u00f6runf\u00e4hig zu machen, zeigt \u2014 was k\u00fcnstlich ja hier nicht ganz gelingen kann \u2014 man m\u00fcfste aber doch eine wesentliche Minderwerthigkeit der H\u00f6rfunctionen annehmen. Doch das sind nur gewagte Annahmen, die wenigstens vorab noch der n\u00e4heren Begr\u00fcndung entbehren und so lange nur geringen Werth besitzen. M\u00f6glich ist auch, dafs hier psychologische Umst\u00e4nde eine Rolle spielen \u2014 gegen die Annahme von Suggestionen w\u00e4hrend des Versuchs m\u00f6chte ich aus der Erfahrung heraus energisch protestiren.\nVI.\nIch weifs sehr wohl, dafs den obigen Versuchen viele M\u00e4ngel anhaften. Vor Allem w\u00fcrde eine gr\u00f6fsere Anzahl von Versuchsreihen mit mehreren Beobachtern manche Correctur im Einzelnen veranlassen; doch \u00fcberlasse ich das der Nachpr\u00fcfung und m\u00f6chte nur zum Schlufs wiederholen, dafs die Thatsache der Existenz einer, der Gr\u00f6fse und Lage nach variablen, Wechselzone sicher feststeht.\n(.Eingegangen am 11. August 1900.)","page":295}],"identifier":"lit31415","issued":"1900","language":"de","pages":"285-295","startpages":"285","title":"Ueber binaurales H\u00f6ren und auff\u00e4llige Schalllocalisation","type":"Journal Article","volume":"24"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:26:30.907512+00:00"}