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{"created":"2022-01-31T16:27:04.634965+00:00","id":"lit31424","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Witasek, Stephan","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 25: 1-49","fulltext":[{"file":"p0001.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen\nEinf\u00fchlung.\nVon.\nStephan Witasbk\u00ab\nDie Thataache der Einf\u00fchlung, in gleich hohem Grade '-wichtig f\u00fcr den Aesthetiker, als f\u00fcr den Psychologen interessant, hat in j\u00fcngster Zeit entsprechend intensive Behandlung erfahren ; dennoch ist die Vielheit der Meinungen noch nicht zur Einheit der Erkenntnis vorgedrungen\u00bb Es sei mir erlaubt dieser Vielheit im Folgenden \u00a9ine neue, nach Kr\u00e4ften wohlbegr\u00fcndet\u00a9 Meinung Mnzuzuf\u00fcgen, die in der bisherigen Behandlung des Gegenstandes als eine von vornherein abzulehnende M\u00f6glichkeit kaum hin und wieder gestreift worden ist, mir aber trotzdem von jeher das Richtige zu treffen schien, und dies um so mehr, je mehr1 di\u00a9 Discussion, sich von ihr entfernend, zur Klarheit und Einfachheit derselben in Gegensatz gerieth. Es ist kein\u00a9 andere, als, dafs di\u00a9 Einf\u00fchlung im Wesentlichen in einem Vorstellen von psychischen Thatsachen (zumeist emotionaler Natur) besteht \u2014 Nach dieser Auffassung f\u00fcgen sich die Thatsachen der Einf\u00fchlung geradezu \u00fcberraschend einfach und ungezwungen den allgemeinen Gesetzen des Vorstellungsverlaufes \u00a9in und steilen sich als ein vollkommen normales, keinerlei Besonderheit aufweisendes Ergebnife desselben dar. Dafs sich die Psychologie bisher trotzdem so entschieden ablehnend gegen sie verhielt, kommt offenbar daher, dafs man dem Vorstellen nicht jene emotional\u00a9 Lebhaftigkeit zutraut, die der Einf\u00fchlung eignet, dafs man nicht als ein blos vorgestelltes Psychisches ansehen zu k\u00f6nnen meinte, was alle Z\u00fcge gef\u00fchlsm\u00e4fsiger Erregung so klar und deutlich wiedergiebt; dafs man unter dem Vorstellen von Psychischem immer nur ein blasses, abstractes Denken an\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 25.\t1","page":1},{"file":"p0002.txt","language":"de","ocr_de":"2\nStepkm W\u00dctmek.\nPsychisches verstand. Stau Tergals, dais es neben dem unan-schaulichen Vorstellen noch ein anschauliches giebt\nIch werde daher' im Folgenden zun\u00e4chst, das Vorstelen de\u00bb Psychischen im Allgemeinen einer n\u00e4heren Betrachtung unterziehen- Dann, werde ich die analytische Begr\u00fcndung meiner Auffassung darlegen, ferner zeigen, wie sich auf Grund dieser Auffassung das Werden der Einf\u00fchlung nach den allgemeinen Gesetzen des V oretellnngsv erlauf es verstehen l\u00e4fet, und schliefe* lieh das Verh\u00e4ltnis der Ergebnisse dieser psychologischen Analyse zur Aesthetik darlegen.\nEs sei jedoch gleich hier ein f\u00fcr alle Mal betont, dafe sich meine Darlegungen nnr auf das-beziehen, was man mit liecht als Einf\u00fchlung in Anspruch nehmen darf. Der Zustand des \u00e4sthetischen Geniefeens enth\u00e4lt unter Umst\u00e4nden, auch abgesehen von der \u00e4sthetischen Lnst bezw. Unlust, wirkliche Gef\u00fchle oder wenigstens gef\u00fchlsartige Component\u00ab n. Die Trag\u00f6die weckt in uns \u201eFurcht und Mitleid\u201c mit ihrem Helden, und die dramatische Handlung ruft Spannung, Freude, Trauer, Bewunderung, Abscheu wach. Das sind fraglos gef\u00fchlsartige Erregungen, wenn auch ihr Gegenstand nichts Wirkliches ist und sie daher in gewissem Sinne r&thselhaft erscheinen. Und der Ausblick ins Grofse 'und Weite, den manche philosophisch angehauchte Dichtung erscMiefst, ist intensiv gef\u00fchlsbetont Auch das sind wirklich emotionale Thatbest\u00e4nde, sind Gef\u00fchle, die aber in uns bleiben und nicht Mnemverlegt werden in ein Wesen aufeer uns. Sie k\u00f6nnen daher nicht als Einf\u00fchlung angesehen werden.\nIch m\u00f6chte die Bemerkung vorausschicken, dafs ich die zuvor genannten Themen im \u2022 Folgenden nicht so ausf\u00fchrlich und allseitig behandle, als sie es zuliefsen, sondern dafs ich mich aus \u00c4ufseren Gr\u00fcnden mit der Vorlage von Skizzen begn\u00fcgen mufe. Daher auch die sp\u00e4rliche Bezugn.ah.me auf die einschl\u00e4gige Literatur, der ich \u25a0\u2014\u25a0 um Missdeutungen vorzubeegen sei es Mer ausdr\u00fccklich gesagt \u2014 f\u00fcr das Studium der Einf\u00fchlung reichliche F\u00f6rderung zu verdanken mir wohl bewufst bin.","page":2},{"file":"p0003.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n3\nI.\nDas Vorstellen von Psychische in.\nAuch, wer che Unterscheidung von Psychischem gegen\u00fcber. Physischem nicht anerkennt, mufs zugeben, dafs der Gedanke an ein Ding, etwa der Gedanke an di\u00a9 Some, etwas Anderes ist als der Gedanke an diesen- Gedanken. Das, wodurch sich dieser von jenem unterscheidet, ist es, worauf es ankommt, wenn ich im Folgenden vom Vorstellen von Psychischem rede* Es ist keine m\u00fcfsige Complidrang des Ausdrucks, von der Vorstellung der Vorstellung eines Dinges zu sprechen; denn es f\u00e4llt diese mit der Vorstellung des Dinges selbst keineswegs zusammen. Das geht schon daraus hervor, dafs nur durch die Verschiedenheit dieser beiden Gedanken di\u00a9 Aufstellung des, wenn auch von Manchen, f\u00fcr irrig gehaltenen, Gegensatzes des Psychischen und Physischen m\u00f6glich war.\nEmpirische Beweise, d. h. Beispiele daf\u00fcr, dafs Psychisches vorgestellt werden kann, und vorgestellt wird, lassen sich leicht h\u00e4ufen. Man braucht nur zu bedenken, dafs sich \u00fcber nichts ur-theilen und nichts begehren, nichts w\u00fcnschen l\u00e4fst, das nicht vorgestellt w\u00fcrde, und dafs Urtheile, Aussagen \u00fcber psychische Dinge sowie Begehnmgen, die sich, auf Psychisches richten, Jedermann gel\u00e4ufige Ereignisse sind. Gewisse Berafsarten, Richter, Seelsorger, Lehrer und Erzieher, haben vorwiegend damit zu thun, und die Wissenschaft der Psychologie ist zum Haupttheil daraus aufgebaut. Aber auch das gew\u00f6hnlich\u00a9 AEtagsleben ist in- seinem, Verkehr von Mensch, zu Mensch, in den Leiden, und Freuden des Einzelnen woU vertraut mit den mannigfachsten Vorstellungen des Psychischen, von den primitiven Leistungen des Kindes, das den Unwillen der Eltern f\u00fcrchtet, bis zur feinf\u00fchligen Gedankenarbeit des Lebensk\u00fcnstlers, des geriebenen Intriganten, der um den Seelenzustand ihres Kindes besorgten Mutter.\nDafa dieses Vorstellen von Psychischem mit Recht als solches bezeichnet wird, d. h. also wesensgleich jenem Vorg\u00e4nge ist, den wir gegen\u00fcber physischen Gegenst\u00e4nden als Vorstellen kennen, erhellt aus der Gleichheit der wesentlichen Punkte. Geradeso wie beim Vorstelen, des Physischen kann man auch Mer die Unterscheidung von Wahraehmungs- und Binbildungs- (Erinnernngs und Phantasie-) Vorstellungen machen; (nur dafs bei den Wahrnehmungs-Vorstellungen von Psychischem der Inh,.alt mit dem Gegenst\u00e4nde\n1*","page":3},{"file":"p0004.txt","language":"de","ocr_de":"4\nStephan Witasek.\nzusammenf\u00e4ilt.) Die einzige Quelle der Einbildungsvorstellung ist \u2014 mit den bekannten aber beiderseits gleichen Einschr\u00e4nkungen \u2014 Mer wie dort die Wahrnehmung; und die Gesetze des Vorstellungsablaufes, der willk\u00fcrlichen und unwillk\u00fcrlichen Reproduction (Association, Ged\u00e4chtnifs) gelten im Allgemeinen ebenfalls auf beiden Beiten.\nDiese Wesensgleichheit des Vorstellens von Psychischem und Physischem bew\u00e4hrt sich noch in einer weiteren, f\u00fcr uns jedoch, tufserst wichtigen Analogie : hier wie dort giebt es anschauliche und unanschauliche Vorstellungen.\nWorin der Gegensatz von anschaulicher und unanschaulicher Vorstellung besteht, ist theoretisch (definitorisch) zwar sehr schwer fafsbar1, dagegen an den der inneren Wahrnehmung ach darbietenden Beispielen sehr augenf\u00e4llig. In zwar laxer, aber nicht schlecht bezeichnender, bildlicher Ausdrucksweise k\u00f6nnte man sagen, die anschauliche Vorstellung bietet ein v\u00f6llig angef\u00fchrtes Abbild des vorgestellten Gegenstandes, w\u00e4hrend ihn die unanschauliche nur durch ein Symbol, ein Zeichen, einen Hinweis in die Gedankenreihe einflicht. Die anschauliche Vor Stellung verh\u00e4lt sich zur unanschaulichen etwa So, wie allenfalls die Abbildung des Gegenstandes zu den Schriftzeichen seiner sprachlichen Bezeichnung, oder wie die phonographische Wiedergabe eines Gesanges zu seiner musikalischen Notirung ; auch wie die constructive L\u00f6sung einer geometrischen Aufgabe zur analytischen. Die unanschauliche Vorstellung ist wie der Kassenschein, der an sich werthlos, seinen Inhalt nur durch das Gold erh\u00e4lt, f\u00fcr das er unter g\u00fcnstigen Umst\u00e4nden eingewechselt werden kann. Die anschauliche Vorstellung dagegen tr\u00e4gt wie die Goldm\u00fcnze, was sie bedeutet, an und in sich; sie stellt das, was sie zur Vorstellung bringt, wirklich dar, weist nicht nur darauf hin.\nBo wie es nach einem bestimmten Ziele nur einen einzigen dixecten, geraden Weg, aber viele Umwege giebt, so giebt es von einem und demselben Gegenst\u00e4nde auch nur eine einzige, directe, anschauliche Vorstellung, w\u00e4hrend er sich unanscbaulieh in sehr verschiedenen Weisen, mit verschiedenen Mitteln vorstellen l\u00e4fst.\n1 Vergleiche die von Mbinong gegebene indirecte Charakteristik (\u201ePhantasievorstellung und Phantasie\u201c, Zeitschr. f. Philos. u. ph\u00fcos. Kritik 95 (188$), 8. 161 fl., bes. 8. 210).","page":4},{"file":"p0005.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n\u00a7\nDen Tone kann ick anschaulich (von derWahmehmungsvorsteUung abgesehen) nur so vorstellen, dafs ich ihn 'innerlich erklingen lasse; unanschaulich dagegen kann ich ihn denken als den \u201eTon dieser Taste\u201c, den \u201eTon dieser Note\u201c, als \u201evorhin angeschlagener Ton\u201c da \u201eOctave von ~c\u201c etc., kurz mit H\u00fclle aller jener unz\u00e4hligen Relationen, in denen er zu irgend welchen anderen bet stimmten Gegenst\u00e4nden steht Die 'unanschauliche Vorstellung bedient sich zumeist der \u201einhaltsleeren\u201c, abstracten Algemeinvorstellungen, die sie durch Relationen auf den bestimmten vorzu-sielenden Gegenstand individualisirt ; deshalb stehen die Theile (Merkmale) Ihres Inhalts in keinerlei Beziehung zu den Eigenschaften des vorgestellten Gegenstandes. Die anschaulich\u00a9 Vorstellung hingegen giebt durch ihren Inhalt den Gegenstand direct, unmittelbar wieder, indem jeder Inhaltsthe\u00fc, jedes Merkmal seinerseits als Abbild einem Theile (Eigenschaft, Bestimmung) des vorzustelenden Gegenstandes entspricht; der Inhalt der anschaulichen Vorstellung ist also dadurch ausgezeichnet, dafs sein\u00a9 Theile (Merkmale) den The\u00fcen des vorgestellten Gegenstandes nach Beschaffenheit und Anordnung entsprechen. Daher kommt es auch, dafs man zeitleh Ausgedehntes (z. B. \u00a9ine Melodie) anschaulch nur unter Aufwendung der entsprechenden Zeit, r\u00e4umlch Ausgedehntes nur unter Aufwendung (Ausf\u00fclung) des entsprechenden (Vorsteliungs-) Raumes anschaulch verstellen kann.1\nDieser im Vorstellen des Physischen so handgreifliche Unterschied des Anschaulichen und Unanschaulichen findet sich nun gerade so auch im Vorstelen des Psychischen. Es ist freilich nicht zu verkennen, dafs das .anschauliche Vorstelen auf dem Gebiete der psychischen Gegenst\u00e4nde gegen\u00fcber dem unanschaulichen noch mehr zur\u00fccktritt, als auf dem Gebiete der physischen Gegenst\u00e4nde. Schon hier \u00fcberwiegt bekanntlich das unansehauliehe Vorstelen weitaus das anschauliche ; denn dieses erfordert nat\u00fcrlich bedeutend gr\u00f6fseren Aufwand an psychischer Arbeit, ohne zumeist f\u00fcr den jeweiligen praktischen Zweck mehr zu leisten als jenes. Noch seltener sieht man sich, wie gesagt, veranl&fst, Psychisches anschaulch vorzustellen. Aber die\n1 Ich \u00fcbersehe keineswegs die metaphysisch-erkenntnifstheoretischen Schwierigkeiten, an welche di\u00a9 obige Darstellung r\u00fchrt, glaube jedoch, von pr\u00e4ciserer Passung an dieser Stelle Umgang nehmen zu d\u00fcrfen.","page":5},{"file":"p0006.txt","language":"de","ocr_de":"6\nStephan Witasek.\nMinderzahl der F\u00e4lle hebt ihre Thats\u00e4chlichkeit nat\u00fcrlich nicht auf, und es handelt sich also nur darum, solche F\u00e4lle aufzuzeigen. Der deutlichste und h\u00e4ufigste w\u00e4re freilich der der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung. Aber dieser Fall kann Mer nicht als Beleg angef\u00fchrt werden, weil er selbst erst als ein Fall des Vor-stellen\u00ab von Psychischem erwiesen werden solh Im gew\u00f6hnlichen, praktischen Leben dagegen kommt ein anschauliches Vorstellen von psychischen Vorg\u00e4ngen aufser Mn und wieder im ethischen Verhalten gegen den Nebenmenschen wohl nur in Augenblicken ruhigen Moditirons vor, wenn man sich einmal in die Betrachtung des eigenen oder eines fremden, gegenw\u00e4rtigen oder vergangenen Seelenlebens versenkt. Im Drange des Lebens, wo es sich um rasches und kr\u00e4ftiges Zugreifen handelt, haben wir keine Zeit und keine Kraft \u00fcbrig zu solch luxuri\u00f6sem Spiele, da begn\u00fcgen wir uns auch dort, wo wir m\u00f6glichst klarer Brkenntnifs seelischer Vorg\u00e4nge bed\u00fcrfen, mit dem abstracten unanschaulichen Erschliefsen; wie wenn wir etwa einem erbitterten Feind gegen\u00fcberstehen und dessen Gedanken und Gem\u00fcthsregungen sp\u00e4henden Auges verfolgen, um ihnen rechtzeitig zu begegnen. Nur bei intensiv ethischem Verhalten, sei es im Guten des Mitleids, sei es im B\u00f6sen der Grausamkeit, versetzen wir uns in den Seelenzustand des Anderen, das heilst, wir stellen uns m\u00f6glichst deutlich vor, wie es ihm zu Muthe ist; wir bilden uns eine anschauliche Vorstellung von seinen psychischen Zust\u00e4nden. Darin liegt das GeheimnJfs des othischen Genies.\nEs giebt also ein anschauliches Vorstellen psychischer That-Sachen ; und dieses zeichnet sich gegen\u00fcber dem unanschaulichen Vorstellen durch die gleichen Eigent\u00fcmlichkeiten aus, wie bei den physischen Gegenst\u00e4nden. Vor Allem auch dadurch, dafs es durch seinen Inhalt ein v\u00f6lliges Abbild ,\u2014 und dieser Ausdruck kann Mer im w\u00f6rtlichen, urspr\u00fcnglichen (nicht \u00fcbertragenen) Sinne verstanden werden \u2022 - des Gegenstandes giebt, so dafs die Inhaltsteile nach Beschaffenheit und Anordnung vollst\u00e4ndig den Theilen des vorgestellten Gegenstandes entsprechen. Dm anschauliche Vorstellen giebt also gewissermaafsen eine vollst\u00e4ndige Wiederholung der vorgestellten psychischen Thatsaohen im Bilde. Eine vollst\u00e4ndige Wiederholung insofern, als sie Alles das wiedergiebt, und in gleicher Beschaffenheit und Anordnung wiedergiebt, was die psychische Thatsache selbst an","page":6},{"file":"p0007.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n7\nsich zeigt. Die Zusammengesetztheit des Inhalts einer solchen anschaulichen Vorstellung ist daher \u2014 wenigstens ann\u00e4hernd \u2014 gleich der Zusammengesetztheit der vorgestellten psychischen Thatsache, und die einzelnen Bestandst\u00fccke, aus denen der Inhalt der Vorstellung zusammengesetzt ist, sind ihrerseits wieder Abbilder der entsprechenden Bestand theile des Vorgestellten. Zeitliche Dauer, sowie Art und Ordnung des zeitlichen Ablaufs sind daher ebenfalls aus dem Vorgesteilten in den Inhalt der anschaulichen Vorstellung her\u00fcbergenommen. Die unanschauliche Vorstellung ist auf all das nicht angewiesen; mit H\u00fclfe irgend einer abstracten Allgemeinvorstellung, die durch die Verbindung mit irgend einem Relationsgedanken individualism! wird, leistet aie den verlangten Hinweis auf den vorzustellenden psychischen Gegenstand : eine, weil nur indirecte, symbolische, zwar ungleich \u00e4rmere und farblosere, daf\u00fcr aber freilich um so handlichere und bequemere Darstellung desselben.\nDie anschauliche Vorstellung ist aber nur eine Wiederholung im Bilde. Ich will damit betonen, dafs sie nicht eine wirkliche Wiederholung, nicht eine neuerliche Actualisirung der vorgestellten psychischen Thatsache ist. Man kann sich den Be wufstseinszustand, die Ansichten und Anschauungsweisen eines Ununterrichteten, eines Kindes, anschaulich vorstellen, ohne dabei pl\u00f6tzlich selbst auf dieses niedere intellectuelle Niveau herabzusinken, die gleich mangelhaften Ansichten zu hegen und frisch zu urthe\u00fcen, Man kann sich sehr wohl ein Gef\u00fchl, eine Gem\u00fcthsstimmung, den Ausbruch einer Leidenschaft anschaulich vorstellen, ohne zur gegebenen Zeit oder der pers\u00f6nlichen Anlage mach \u00fcberhaupt im Stande zu sein, diese Seelenvorg\u00e4nge in sich wirklich zu erleben. Freilich stehen diese Vorstellungen mit den von ihnen dargestellten wirklichen Emotionen in mannigfaltiger Beziehung ; aber auch die Vorstellungen von Physischem, namentlich von Bewegungen unseres K\u00f6rpers und seiner Glieder stehen mit diesen selbst in enger Wechselbeziehung, ohne deshalb mit ihnen identisch zu sein.\nDafs solche vorgestellte Gef\u00fchle thats\u00e4chlich blos vorgestellte und nicht wirklich actuelle Gef\u00fchle sind, geht auch daraus hervor, dafs sich an ihnen nicht mehr die Gesetze des F\u00fchlens, \u00abondem die Gesetze des Vorstellens und der Vorstelhtagsmhalt\u00a9 bew\u00e4hren. Ich denke dabei vor Allem an die Abstraction, die sich an den Gef\u00fchkvorstellungen gerade so beth\u00e4tigt, wie an","page":7},{"file":"p0008.txt","language":"de","ocr_de":"8\n- Stt&han W\u00eetaaek.\nirgend welchen anderen Vorstellungen sonst, und die nun bisweilen in den Gesammteomplex der (M\u00fchlsvorstellung Bestandst\u00fccke so zu sagen ausl\u00f6scht, ohne die ein wirkliches Gef\u00fchl niemals actualisirt sein kann; gerade so, wie man bei der Vorstellung einer Farbe sehr wohl von der Gestalt abstrahiren kam, obwohl in Wirklichkeit nat\u00fcrlich niemals eine Farbe ohne Gestalt m\u00f6glich ist \u2014 Zur n\u00e4heren Erl\u00e4uterung diene folgendes Beispiel\nNach ziemlich allgemeiner Ansicht der heutigen Psychologen sind, die Seelenvorg\u00e4nge, die man im Leben und in der psychologischen Wissenschaft als Gef\u00fchle und Affecte zu bezeichnen pflegt, wie etwa Furcht, Schreck, Hoffnung, Zorn, Interesse, wohl auch Sehnsucht, Bafs, Demuth etc., hochzusammengesetzte psychisch\u00a9 Complexe, deren Elemente keineswegs s\u00e4mmtlich derjenigen von den Gnindclassen psychischer Gebilde angeh\u00f6ren, nach welcher der ganze Complex als Gef\u00fchl bezeichnet ist Vielmehr ist nur eines dieser Elemente, das allerdings den wesentlichen Kern des ganzen Complexes ausmacht, ein solches Gef\u00fchl im engeren Sinn, ein \u201eemotionelles Element\u201c, ein \u201eGef\u00fchlston\u201c nach A. Lehmann\u2019s Terminologie.1 Die anderen geh\u00f6ren dem Vorstellen und Urtheilen an, und auf ihre Rechnung kommen zuv\u00f6rderst die charakteristischen Unterschiede der verschiedenen Gef\u00fchle. Denn das emotionelle Element, das ihnen allen eigeft ist, bestimmt nur den Charakter nach Lust oder Unlust und zeigt keine weitere qualitative Differenzirung; es kehrt, von dem genannten Unterschied abgesehen, in allen den verschiedenen Gef\u00fchlen immer als der gleiche unver\u00e4nderte Besten dtheil wieder. Dagegen sind die Vorstellungs- und Ur-theilselemente in mannigfaltiger Weise an der Differenzirung der Gef\u00fchle und Affecte betheiligt. Zun\u00e4chst einmal dadurch, dafs sie den Gegenstand darstellen, auf welchen sich das Gef\u00fchl bezieht, den Anlafs, der es hervorruft. Die Vorstellungs- und Ur-theilselemente, die solcher Art die f\u00fcr jedes Gef\u00fchl normalerweise unerl\u00e4ssliche \u201eGef\u00fchlsvoraussetzung\u201c abgeben, geh\u00f6ren mit zu dem Gesammt-Bewufstseinszustand, der das Gef\u00fchl ausmacbt, und tragen in ihrer Mannigfaltigkeit bei zu dessen qualitativer Charakteristik. So ist Furcht jenes Unlustgef\u00fchl, das durch \u00a9inen ungewissen Sachverhalt hervorgerufen wird, w\u00e4hrend Trauer\n1 Die H\u00e4uptgesetze des menschlichen Gef\u00fchlslebens Leipzig 1892. S. 17.","page":8},{"file":"p0009.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\t9\noder Schreck die Geffihlsreaction auf den entsprechenden gewiesen Sachverhalt bedeuten; im gleichen Verh\u00e4ltnis stehen auf der LushSeite Hoffnung und Freude zu einander. Das emotionale Element der Unlust wird also zum Gef\u00fchle der Furcht dadurch, dafs es sich an das ungewisse Urtheil \u00fcber das Eintreten eines unangenehmen Ereignisses ankn\u00fcpft, mit dem zusammen es den psychisch concreten, compiexen Zustand der Furcht ausmacht1\nAber nicht nur in der Form der Gef\u00fchlsvoraussetzung tragen die intellectuellen Elemente des Seelenlebens zur qualitativen Mannigfaltigkeit der Gef\u00fchle bei. Eine wesentlich\u00a9 Rolle spielen dabei auch die physischen Vorg\u00e4nge in unseren k\u00f6rperlichen Organen, die erwiesenermaafsen in gr\u00f6fserer oder geringerer Intensit\u00e4t jede Gef\u00fchlserregung begleiten, verschieden je nach der Art der Erregung, als Empfindungen zum Bewu\u00dftsein kommen und dem gesammten Complex des Gef\u00fchls eine wesentliche und charakteristische F\u00e4rbung verleihen.\nWas durch die geschilderte Mitwirkung des Intellects an der qualitativen Mannigfaltigkeit der Gef\u00fchle noch unerkl\u00e4rt bleibt, das kommt auf Rechnung der Art des zeitlichen Ablaufes des Complexes und der dabei obwaltenden Intensit\u00e4tsverh\u00e4ltnisse. .\nDamit ist im Allgemeinen die Analyse des \u201eGef\u00fchls\u201c vollzogen. Die Bestandteile, aus denen sonach dieser complex\u00a9 psychische Thatbestand besteht, m\u00fcssen, wenn dieser anschaulich vorgestellt werden soll, ihrerseits zur Vorstellung gebracht werden, und zwar nat\u00fcrlich auch in der Anordnung und den Verh\u00e4ltnissen zu einander, in denen sie sich in - dem vorzustellenden psychischen Complex befinden. Es mufs das emotionale Grandelement die Lust, bezw. die Unlust vorgestellt sein, es m\u00fcssen jene intellectuellen Element\u00a9 vorgestellt sein, die die Gef\u00fchls-Voraussetzung abgeben, die begleitenden Organ- und Bewegungsempfindungen geh\u00f6ren in der Vorstellung ebenfalls dazu, und schMefsHch verlangt die volle Anschaulichkeit auch noch,-dafs dieser ganze, reiche Complex in seinem Ablauf nach den gleichen Zeit und Lutensit\u00e4tsVerh\u00e4ltnissen geordnet vorgestellt werde, wie es im Vorbild\u00a9 vorgezeichnet ist. Wenn das \u00c4\u00fces geleistet ist,\n* Vergl. Mkinox\u00f6 , Psychologisch-ethische Untersuchungen zur Werth-\ntheorie. Graz 1894. S. 66.\n\u00bb","page":9},{"file":"p0010.txt","language":"de","ocr_de":"10\nStephan Witasek.\nso haben wir thats\u00e4chlich ein vollst\u00e4ndiges Abbild des vorzustellenden Gef\u00fchles, d. h. eine anschauliche Vorstellung.\nUnd da bew\u00e4hrt es sich nun, was ich oben bemerkte, dafs an dem so zu gewinnenden psychischen Gebilde nicht die Gesetze des F\u00fchlens, sondern die des Vorstellens Geltung haben. Der reiche Inhalt, der das Gef\u00fchl zur vollst\u00e4ndigen anschaulichen Vorstellung bringt, ist der Abstraction \u2014 so weit dadurch die Anschaulichkeit nicht zerst\u00f6rt wird \u2014 an beliebiger Stelle zug\u00e4nglich. Vor Allem kann die Gef\u00fchlsvoraussetzung der Abstraction zum Opfer fallen. Ein wirkliches Gef\u00fchl ohne Voraussetzung ist normalerweise unm\u00f6glich. Auch in der Vorstellung verliert das Gef\u00fchl unter dieser Bedingung nat\u00fcrlich diejenige Bestimmung, die ihm eben durch die Art der Gef\u00fchlsvor&us-setzung zukommen w\u00fcrde. Die Vorstellung bleibt dabei trotzdem eine anschauliche Vorstellung von einem Gef\u00fchl, gerade so wie das Abstrahiren von der Gestalt die Anschaulichkeit der Farbenvorstellung unber\u00fchrt l\u00e4fst. Beispiele derartiger unvollst\u00e4ndiger aber doch anschaulicher Gef\u00fchlsvorstellungen werden wTir in der Folge kennen lernen.\nDiese kurzen Ausf\u00fchrungen d\u00fcrften gen\u00fcgen, die Thats\u00e4ch-lichkeit des Vorstellens und zwar auch des anschaulichen Vorstellens psychischer Ph\u00e4nomene darzuthun und gleichzeitig letzteres in seiner aufserordentliehen Ueberlegenheit an Reichhaltigkeit und Lebendigkeit des Inhalts gen\u00fcgend gekennzeichnet haben. Ich m\u00f6chte mir schhefslich die Bemerkung erlauben, dafs ich den Gegenstand in der vorstehenden Skizze nur insoweit zu behandeln die Absicht hatte, als es f\u00fcr das Folgende erforderlich ist, und ich nicht meine, ihn damit nach Umfang und Methode v\u00f6llig erledigt zu haben.\nII.\n\\\nZur Begr\u00fcndung der Vorstellungsansicht.\nEs sei mir f\u00fcr die Zwecke der vorliegenden Ausf\u00fchrungen gestattet, die von mir vertretene Ansicht, wonach die Einf\u00fchlung in einem Vorstellen psychischer Thatsaehen besteht, als \u201eVorstellungsansicht\u201c zu bezeichnen, im Gegensatz zur \u201eActualit\u00e4ts-ansicht\u201c, die die eingef\u00fchlten psychischen Thatsaehen als wirkliche actuelle Gef\u00fchle, Begehrangen etc. auffafst","page":10},{"file":"p0011.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyte der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n11\nIch m\u00f6chte nun einige Gesichtspunkte darlegen, von denen aus sich die Alternative zwischen Vorstellung\u00bb- und Actualit&ts-ansieht zu Gunsten jener entscheidet.\nDabei werde ich vorwiegend den Fall ber\u00fccksichtigen, dafs es sich um Einf\u00fchlung von emotionalen Thatsachen handelt. Denn gerade an diesem Falle treten die charakteristischen Eigent\u00fcmlichkeiten des Einf\u00fchlungsproblems am greifbarsten zu Tage, und wenn auch auf die Einf\u00fchlung von Thatsachen des Intellects nicht vergessen werden darf, so war sie doch stets von geringerem Interesse und ist theoretisch in der Hauptfrage mit jenem Kernfalle gewifs zugleich erledigt.\n1.\nDi\u00a9 Frage, ob ein gegebener Complex von psychischen Thatsachen als \u00a9in Complex von Gef\u00fchlen oder von Vorstellungen zu verstehen ist, wird, wenn die directe Anschauung der inneren Wahrnehmung versagt, am .ehesten noch dadurch ihrer Beantwortung zugef\u00fchrt werden k\u00f6nnen, dafs man untersucht, ob sich am Werden und Vergehen der in Frage stehenden Thatsachen die allgemeinen Gesetze des Vorstellens oder die des F\u00fchlens wieder erkennen lassen. Denn zeigt sich, dafs die im sonstigen psychischen Leben herrschenden Gesetze des F\u00fchlens auf die zu untersuchende Thatsachengmppe nicht passen, so ist dadurch die M\u00f6glichkeit freilich noch nicht ausgeschlossen, dafs diese Thatsachengmppe als eine Grappe zwar emotionaler, aber ganz eigener Art auch eigenen, sonst nirgend wirksamen Gesetzen folgt; aber diese Annahme wird als eme ad hoc willk\u00fcrlich aufgestellte Hypothese um so gegenstandsloser sein, je leichter sich die beobachteten Thatsachen den allgemeinen Gesetzen des Vor-steUungslebens einf\u00fcgen. \u2014\nEs 'wird also nothwendig sein, dafs wir in K\u00fcrz\u00a9 an die allgemeinen Hauptgesetz\u00a9 des Entstehens der Vorstellungen einer-, der Gef\u00fchle andererseits erinnern.\nF\u00fcr das Vorstellen sind bekanntlich deren vier maafsgebend. Eine Vorstellung kann \u00a9intreten\n1.\tals Wahmehmungsvorstellung, das Ergebnifs der in Folge Einwirkung \u00e4ufserer Beize auf unsere Sinnesorgane entstehenden Empfindungen;\n2.\tals (Einbildungs-), Phantasie- und Erinnerungsvorstellung\nt\tzun\u00e4chst durch Association, dann","page":11},{"file":"p0012.txt","language":"de","ocr_de":"12\nStephan Witasek.\n3.\tdurch \u2018die Einwirkung des Willens auf unser Bewusstsein\n(\u201ewillk\u00fcrliche Yorstellungs Verbindung\u201c * *, Apperception) und schliefslich\t\u25a0\t:\n4.\tbei Gegenst\u00e4nden h\u00f6herer Ordnung (Complexiorien, Gestaltqualit\u00e4ten, fundirten Inhalten) in Folge der unserer geistigen Organisation eigenth\u00fcmilchen, Vorstellung\u00ab-erzeugenden Thfttigkeit des Fun dirons. *\nAuf die sogenannten freisteigenden Vorstellungen braucht Mer keine R\u00fccksicht genommen zu werden, zumal ihr Entstehen und Vergehen ohnedies nicht Ms Gesetzm\u00e4fsigkeit dargestellt werden kann.\nF\u00fcr die Entstehung der Gef\u00fchle giebt es dagegen nur ein einziges den obigen gleichgeordnetes Hauptgesetz:\nDie Gef\u00fchle werden normalerweise angeregt durch irgend welche Merzu geeignete, actuelle psychische Thals ach en, so zu nennende \u201eGef\u00fchlsvoraussetzungen\u201c. Dieselben sind vorwiegend, vielleicht ausschliefslich Vorstellungen -und Urtheile; der Antheii der Gef\u00fchle und Begehrungen an dieser Function ist noch unaufgekl\u00e4rt, tritt aber gegen den der Vorstellungen und Urtheile zweifellos weit zur\u00fcck. Allf\u00e4lliges Eintreten von Gef\u00fchlen aus rein physischen (physiologischen) Ursachen ohne psychisch actuelle Voraussetzung kann f\u00fcr uns aufser Betracht bleiben. .\nDiese Gef\u00fchlsvoraussetzung kommt aber in der Regel in zweifacher Function zur Geltung, in einer ph\u00e4nomenalen und in einer der inneren Wahrnehmung direct nicht zug\u00e4nglichen. Di\u00a9 erste besteht darin, dafs sie den Gegenstand des Gef\u00fchls' zum \u00d6ewufstsein bringt. Es giebt normalerweise kein Gef\u00fchl ohne Gegenstand. Wer sich freut, mufs sich \u00fcber etwas freuen, wer \u00e4sthetische Lust geniefst, mufs sich an etwas erg\u00f6tzen. Dieses \u201eEtwas\u201c ist der unerl\u00e4\u00dfliche Gegenstand des Gef\u00fchls, und die Vorstellung davon\u201c bezw. das Urtheil dar\u00fcber giebt in diesem Sinne die psychologische Voraussetzung des Gef\u00fchls ab. Das Gef\u00fchl \u201ebezieht\u201c sich auf seinen Gegenstand, die Vorstellung\n. 1 Vergl. meine Arbeit \u201eUeber willk\u00fcrlich\u00a9 Vorstellungsverbindung\u201c. Diese Zeitschr. 12, 186 ff.\n* Vergl. Em\u0153NVEiig, \u201eUeber Gestaltqualit\u00e2tes.u, Fiierteljahrsschr. f. wies. Philos. 1890, 249 fl., und Meinong, \u201eZur Psychologie der Complexion en und Relationen\u201c, dime Zeitschr. 2, 245 fl.","page":12},{"file":"p0013.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyst der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n13\ndesselben ist gewissermaafsen in - das \u2022 Gef\u00fchl eingeschlossen, sie steht zum Gef\u00fchl in einer engen, innerlich wahrnehmbaren Relation, in der das Bewufsteein von der Zusammengeh\u00f6rigkeit dieses Gef\u00fcUs und dieser Vorstellung liegt\nDie zweite Function der Gef\u00fchlsvpraussetzung besteht darin, dafs sie die (psychische) Ursache des Gef\u00fchls darstellt (in demselben Sinne, in dem bei der Association von Vorstellungen die eine Vorstellung Ursache des Eintretens der zweiten ist). Diese Function ist nat\u00fcrlich durch di\u00a9 innere Wahrnehmung ' nicht fafsbar, da ja das Causalverh\u00e4ltnifs immer und \u00fcberall unwahrnehmbar bleibt. Di\u00a9 Entscheidung dar\u00fcber, ob ein\u00a9 gegebene Vorstellung bezw. ein gegebenes Urtheil di\u00a9 Ursache eines be stimmten, actuellen Gef\u00fchles ist oder nicht, kann demnach theoretisch niemals den Charakter von Evidenz der Gewifsheit gewinnen, vielmehr stets nur mit jener wenn auch unter Umst\u00e4nden hohen Wahrscheinlichkeit abgegeben werden, an der es sich alle unsere Erkenntnis \u00fcber Ursachen gen\u00fcgen lassen mufs, und die, so sehr sie der Gewifsheit praktisch gleichkommt, die M\u00f6glichkeit des Irrthums durchaus nicht ausschliefst\nDi\u00a9 Regel ist . nun allerdings, dafs beide Functionen von ein und derselben Vorstellung (Urtheil) ausge\u00fcbt werden, die dann \u00fc\u00a9 Rolle der vollst\u00e4ndigen Gef\u00fchlsvorraussetzung, der ph\u00e4nomenalen sowie der causal en, spielt Die Vorstellung, auf deren Gegenstand sich, der inneren Wahrnehmung nach, das Gef\u00fchl bezieht, ist gleichzeitig die psychisch\u00a9 Ursache, durch die das Gef\u00fchl, erregt worden ist\n. Trotz dieser die Regel bildenden Coincidenz m\u00fcssen die beiden Functionen dennoch von einander unterschieden werden; denn erstens sind sie tfiats\u00e4chlich und begrifflich von einander verschieden, und zweitens kommen in der psychologischen Empirie . wirklich F\u00e4lle vor, in denen diese Coincidenz gest\u00f6rt Ist und die beiden Functionen auf verschiedene Thatsachen vertheilt sind. In solchen F\u00e4llen behauptet sich, eben wegen der Unwahmehmbarkeit des Causal Verh\u00e4ltnisses, in Folge der Analogie mit der Norm, freilich zumeist die Meinung, der Gegenstand, auf den sich das Gef\u00fchl bezieht, sei zugleich auch Ursache desselben, also die ph\u00e4nomenale Gef\u00fchlsvoraussetzung falle zusammen mit der causalen. Aber das ist dann eben ein Irr-thum; wie es ja zuweilen vorkommt, dafs man sich \u00fcber die Ursachen der eigenen Gef\u00fchle t\u00e4uscht. \u2014\t*","page":13},{"file":"p0014.txt","language":"de","ocr_de":"14\nStephan Witatek.\nDiese kurze Recapitulation des Gesetzes der GefiUserregung gen\u00fcgt f\u00fcr unsere Zwecke, und wir k\u00f6nnen nun zur Anwendung\nauf unsere Frage schreiten.\nNach dem Vorstehenden ist klar, dafs wir hei der Untersuchung dar\u00fcber, ob die Thatsache der Einf\u00fchlung durch actuelle Gef\u00fchle ausgemacht wird, einfach nachzusehen haben, ob die f\u00fcr diese fraglichen Gef\u00fchle durch das allgemeine Gesetz der Gef\u00fchlserregung geforderten Voraussetzungen vorhanden sind.\nAls Gef\u00fchlsvoraussetzungen kommen, wie schon erw\u00e4hnt, zun\u00e4chst Vorstellungen und Urtheile in Betracht Nun ist es kein Zweifel, dafs es in den Bewufstseinszust\u00e4nden, die wir als Einf\u00fchlung kennen, an solchen durchaus nicht fehlt Frage ist nur, ob sich unter dieser Menge von Vorstellungen auch solche finden, denen nach sonstigen Analogien der Erfahrung die zweifache Rolle der Voraussetzung zugeschrieben werden kann.\nWas steht an Vorstellungsmateriale zur Verf\u00fcgung? Vor Allem die WahrnehmungsVorstellungen von den Kunst- oder Naturobjecten, welche Gegenstand des jeweiligen \u00e4sthetischen Genusses sind, also die Einf\u00fchlung anregen.\nDiese Vorstellungen k\u00f6nnen \u2014 der Umfang m\u00f6glicher Gegenst\u00e4nde \u00e4sthetischer Betrachtung ist ja geradezu unersch\u00f6pflich \u2014 allerverschiedensten Inhalts sein. Ich begn\u00fcge mich mit einigen Beispielen; das Ergebnifs l\u00e4fst sich verallgemeinern.\nIch sehe eine tragische Person auf der Buhne dargestellt; sie zeigt in packender Anschaulichkeit tiefe und schmerzliche innere Erregung. Auch mein ganzes Innere geht auf in der dargestellten Situation, und die seelische Erregung der Person auf der B\u00fchne wird auch in mir lebendig.\nOder : Ich versenke mich in eine plastische Darstellung des Atlas, wie er, unter der ungeheuren Last des Weltalls seufzend, sich durch \u00e4ufserste Anspannung aller Kr\u00e4fte gegen das Erdr\u00fccktwerden stemmt ; meine Muskeln zucken und spannen sich, und ich f\u00fchle f\u00f6rmlich die angstvolle Anstrengung. \u2014 Noch ein Beispiel : Eine \u00dfiegesfanfare. Freudiges, stolzes Kraftgef\u00fchl durchrieselt meine Glieder.\nWir sehen sofort : Die Wahrnehmungsvorstellungen sind nicht geeignet, als Vorraussetzungen dieser (eingef\u00fchlten) Gef\u00fchle in Anspruch genommen zu werden, weder als ph\u00e4nomenale noch als causale. Man ist nicht \u00fcber den Anblick des Schauspielers","page":14},{"file":"p0015.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n15\nschmerzlich erregt\u00bb die Angst und Anstrengung hat nicht den Anblick der plastischen Figur zum Gegenstand und nicht \u00fcber den Trompetenstofs ist man erfreut. Das sagt die innere Wahrnehmung deutlich genug. Und dafs diese Wahrnehmungsvor-stellungen nicht die directe Ursache der eingef\u00fchlten Gef\u00fchle sein k\u00f6nen, lehrt jede Analogie.\nDie Wahmehmungsvorsteilungen sind\u2019s also nicht. Das h\u00e4tte aber noch nichts zu sagen. Es sind genug Einbildungs- (Erinne-rungs- und Phantasie ) Vorstellungen da. Unter diesen kann sich ja finden\u00bb was die Voraussetzung der eingef\u00fchlten Gef\u00fchle ab-giebt\nSo wollen wir sehen, was da zur Auswahl vorliegt\nFast Alles\u00bb was wir erfahren, wenn wir dem Spiele auf der B\u00fchne mit Verst\u00e4ndnis folgen, wird durch reproducirte Vorstellungen geleistet. Der Sinn der Beden, das Verst\u00e4ndnis der Gesten\u00bb der Gang der Handlung, die ganze dramatische Situation wird uns auf diesem Wege vermittelt Und in diesem ganzen \u00fcberreichen Complex von Vorstellungen findet sich that-s\u00e4chlich das, was, sofern nur die Dichtung lebenswahr ist, Gegenstand und Ursache der schmerzlichen Erregung der dargestellten Person bildet. Sie ist ungl\u00fccklich, betr\u00fcbt, etwa \u00fcber verlornes Gl\u00fcck\u00bb fiber\u2019s Versagen der Kr\u00e4fte. Die nat\u00fcrliche Voraussetzung ist gefunden, aber die Voraussetzung f\u00fcr das Gef\u00fchl \u2014 der B\u00fchnenperson. F\u00fcr mich, den Zuschauer, ist das Ungl\u00fcck dieser zweiten Person wohl nicht gleichg\u00fcltig, es hat oder h\u00e4tte gef\u00fchlserregende Bedeutung; aber ebensowenig, als ich die Schmerzen meines krank darniederliegenden Freundes, so wie er, f\u00fchle, ebensowenig leide ich unter dem Ungl\u00fcck eines Andern \u2014 dessen Schicksal mit dem meinen nicht weiter zusammenh\u00e4ngt \u2014 in gleichem Sinne wie dieser ; ich f\u00fchle nicht den gleichen Schmerz wie er, sondern einen andersartigen, n\u00e4mlich Mitleid. Die Schicksale und Ereignisse, die die dargestellte Person ungl\u00fccklich machen, d. h. also von ihr zur Voraussetzung ihres Schmerzgef\u00fchls vorgestellt werden, k\u00f6nnen \u2014 abgesehen davon, dafs sie nicht wirklich sind \u2014 schon deshalb als die gesuchte Voraussetzung f\u00fcr das nach der Actualit\u00e4tsansicht vom Zuschauer ausgel\u00f6st\u00a9 und in di\u00a9 B\u00fchnenperson verlegt\u00a9 Gef\u00fchl nicht angesehen werden, weil sie f\u00fcr den Zuschauer die causale Function versagen. F\u00fcr diesen k\u00f6nnen sie h\u00f6chstens Voraussetzung anderer Gef\u00fchle, etwa des Mitleids, werden.","page":15},{"file":"p0016.txt","language":"de","ocr_de":"16\nStephan Witasek.\nAber, k\u00f6nnt\u00a9 man nun sagen\u00bb das Eigent\u00fcmliche uni Wesentlich\u00a9 der Einf\u00fchlung Hegt ja eben, darin, dafe man sich in die Person oder Sache\u00bb die ihren Gegenstand abgiebt\u00bb gewisser-maafsen hineinversetzt, sich mit ihr identificirt, eins f\u00fchlt Dann m\u00fcssen die Schicksale der auf der B\u00fchne dargestellten Person auf die Gef\u00fchle des emf\u00fcUenden Zuschauers ganz ebenso wirken, wie auf jene selbst, und was f\u00fcr jene causale und ph\u00e4nomenale Voraussetzung ist, mufs es dann auch f\u00fcr diesen sein. \u2014\nWas heilst das\u00bb sich in eine andere (dargestellte) Person hineinversetzen? Der von dieser metaphorischen Ausdrucksweise getroffene\u00bb Jedermann aus der eigenen psychologischen Erfahrung wohlbekannt\u00a9 psychische Sachverhalt ist meines Erachtens nichts Anderes als ein anschauliches Vorstellen des Seelenzustandes der einzuflihlenden. Person. Das giebt di\u00a9 Actualit\u00e4tsansicht jedoch nicht zu. Was kann sie also unter diesem \u201eSich-hineinversetzen\u201c verstehen?\nMeines Erachtens dreierlei \u2014 aber darunter nichts Brauchbares. N\u00e4mlich zun\u00e4chst\u00bb dafs der Zuschauer wirklich urtheilt, er sei mit der dargestellten Person identisch\u00bb er sei di\u00a9 dargestellte Person; ein solches Urthe\u00fc ist \u2014 den Fall der Psychose nat\u00fcrlich ausgenommen \u2014 erstens psychisch unm\u00f6glich\u00bb zweitens nach dem Zeugnifs unserer inneren Erfahrung in der zu analysirenden psychischen Situation thatsftchlich nicht vorhanden; und drittens ist es sehr fraglich, ob die Hinzuf\u00fcgung eines solchen Urtheils zu der f\u00fcr den Zuschauer noch unwirksamen Voraussetzung \u00fcberhaupt im Stande sein k\u00f6nnte\u00bb deren gef\u00fchlserregende Wirksamkeit herbeizuf\u00fchren.\nAus ganz \u00e4hnlichen Gr\u00fcnden ist auch die zweit\u00a9 Auffassung, welche die Actualit\u00e4tsansicht dem, \u201eSich-hinein-versetzen\u201c unterlegen k\u00f6nnte, unannehmbar. Sie best\u00fcnde darin, dafs nicht geradezu das wirkliche Urtheil der eigenen Identit\u00e4t mit der dargestellten Person gef\u00e4llt, sondern nur eine Annahme\u00bb eine Fiction1 dieses Inhalts gemacht wird. Eine Psychose w\u00e4re dazu nicht mehr n\u00f6thig. Aber thats\u00e4chUch denke ich in dieser Situation fingirend ebensowenig wie urtheilend an mein Ich oder an eine Relation meines Ichs zu einem andern; das ist\n1 Die psychologisch - definitorische Bestimmung des Thatfoestands der Annahme wird demn\u00e4chst von anderer Seite gegeben werden.","page":16},{"file":"p0017.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n17\ndem Zeugnifs der inneren Wahrnehmung deutlich genug zu entnehmen.\nDie dritte m\u00f6gliche Auffassung w\u00e4re die: Ich betrachte die dargestellte Person, ihr Thun und Lassen, ihre \u00e4ufsere Lage, ihre Schicksale und ich mach\u00a9 in jedem einzelnen Falle dazu die Fiction (Annahme), mich in gleicher Lage zu befinden. Es M gewifs richtig, dafs unter Umst\u00e4nden das \u201eSich-Mnein-ver-setzen\u201c in die Lage eines anderen dadurch erheblich gef\u00f6rdert wird, dafs man sich vorstellt, man werde vom gleichen Geschicke getroffen. Aber wer immer seine eigene Erfahrung daraufhin pr\u00fcft, wird finden, dafs er sich beim Geniefsen von szenischen Darstellungen dramatischer Kunstwerke nur h\u00f6chst selten und ganz ausnahmsweise dieses so complieirten Umweges bedient, dafs die Einf\u00fchlung viel unmittelbarer und ohne ausdr\u00fccklichen Gedanken an das eigene Ich vor sich geht. Uebrigens l\u00e4fst sich ja di\u00a9 Probe aufs Exempel machen. Man stelle irgend ein Breigmfs vor, das, wenn es wirklich eintr\u00e4te, heftige gef\u00fchlserregende Wirkung aus\u00fcben m\u00fcfste; etwa, dafs man sich in Todesgefahr bef\u00e4nde, oder den Verlust eines geliebten Wesens erleide; v\u00f6llig gleichg\u00fcltig f\u00fcrs Gef\u00fchl sind solche Fictionen (Annahmen) wohl nicht, aber die Gef\u00fchle, die sie thats\u00e4chlich zumeist anregen, sind von so k\u00fcmmerlich geringer Intensit\u00e4t, dafs sie gewifs nicht ausreichen, die Einf\u00fchlung in ihrer bisweilen geradezu ergreifenden Gewalt auszumachen. Sind wir doch gegen\u00fcber den meisten nur einigermaafsen ungew\u00f6hnlichen Situationen, wenn wir sie noch nicht selbst erlebt haben und wir uns nur in sie hineindenken, kaum im Stande zu ver-muthen, welche Gef\u00fchlsreaction sie in uns im Falle ihrer Verwirklichung anregen w\u00fcrden : eine Folge davon, wie schwach die thats\u00e4chlich\u00a9 Gef\u00fchlswirkung blofser Fictionen (Annahmen) ist.\nScUiefslich : Mufs denn der Einf\u00fchlende immer von gleichen Gef\u00fchlsdispositionen sein wie die dargestellte Person? Mufs denn auf den Zuschauer das, was di\u00a9 dargestellte Person erlebt, wenn er es selbst erlebte, die gleiche Gef\u00fchlswirkung aus\u00fcben, wie auf diese? Nur unter solcher Bedingung ist n\u00e4mlich \u00a9in\u00a9 Einf\u00fchlung im Sinne der Aetualit\u00e4tsansicht m\u00f6glich. Diese Bedingung ist jedoch gewifs nicht \u00fcberall, wo Einf\u00fchlung stattfindet, erf\u00fcllt Ich kann mich sehr lebhaft einf\u00fchlen in die geldgierigen Geizhalsleiden- und freuden eines Shylock, obwohl ich selbst derartiger Regungen in Wirklichkeit nicht im Ge-\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 25.\t2","page":17},{"file":"p0018.txt","language":"de","ocr_de":"18\nStqjhan Witasek.\nringstan f\u00e4hig bin; und die feigste Seele, die im Theater sitzt; nimmt Theil an der Furchtlosigkeit Jung-Siegfried\u2019s.\nAlso auch diese Art, das Sich-hineindenken in ein fremdes Wesen zu verstehen, f\u00fchrt nicht zu jenen actuellen Gef\u00fchlen und nicht zu jenen Gef\u00fchlsvoraussetzungen, deren die Actualit\u00e4ts-ansicht f\u00fcr ihre Auflassung der Einf\u00fchlung bedarf. Eine andere, bisher noch unbesprochene Art d\u00fcrfte aber kaum auszudenken sein. Uebrigens m\u00fcfste sie gewifs auch \u2014 sollte sie nicht zu* sammenfallen mit der gleich Anfangs erw\u00e4hnten Auffassung der Vorstellungsansicht \u2014 irgend welche das eigene Ich in seinem Verh\u00e4ltnifs zum szenisch Dargestellten betreffende Urtheile oder Annahmen zu H\u00fclfe nehmen, und das widerspricht als viel zu k\u00fcnstlich und complicirt offenkundig den Daten der directen inneren Wahrnehmung.\nNur einen Weg, ohne derartige Urtheile oder Annahmen das \u201eSich-hineindenken in ein fremdes Wesen\u201c auf dem Boden der Actua\u00fct\u00e4tsansicht zu verstehen und als gef\u00fchlserregend darzustellen, k\u00f6nnte man noch versuchen, indem man an die pers\u00f6nlichen Lebenserinnerungen des Zuschauers, die ihm durch die scenischen Vorf\u00fchrungen etwa angeregt werden, denkt. Dafs solche Erinnerungen unter Umst\u00e4nden angeregt werden, ist Thatsache, und dafs sie zumeist nur verschwommen und undeutlich zum Bewusstsein kommen und sich kaum bedeutend \u00fcber dessen Schwelle erheben, mag der beabsichtigten Auffassung \u00a9her dienlich als abtr\u00e4glich sein. Aber die Gef\u00fchle der Freude, der Trauer, die durch solche Erinnerungen allenfalls angeregt werden, sind dann Gef\u00fchle, die mich und mein Schicksal betreffen, also unmittelbar zur Einf\u00fchlung nicht zu brauchen; denn die Einf\u00fchlung verlangt, dafs man die Freude, die Trauer f\u00fchlt, die in der dargestellten Person steckt, die also mit der Vorstellung von deren Schicksal als mit ihrer ph\u00e4nomenalen Voraussetzung verbunden ist. Aufserdern aber w\u00e4re es ja doch nur dem Zufall anheimgegeben, dafs der Zuschauer entsprechende Erinnerungen \u00fcberhaupt zur Verf\u00fcgung hat und schliefslich k\u00f6nnten derartige gef\u00fchlsbetonte Reminiscenzen pers\u00f6nlichster Natur den \u00e4sthetischen Genufs nur st\u00f6ren, keineswegs heben. Der auch die \u00e4sthetische Empf\u00e4nglichkeit, besonders die Ein* f\u00fchlung f\u00f6rdernde Einflufs eines reichen eigenen Lebens wird dadurch nicht in Abrede gestellt, er ist aber in anderer Weise zu verstehen. \u2014","page":18},{"file":"p0019.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n19\nDieses eigenth\u00fcmliehe Sich-hinein-versetzen in die Lage \u25a0 der \u00e4sthetisch betrachteten dargestellten Person ist also auf dem Boden der Actualit\u00e4tsansicht selbst nicht mehr psychologisch zu begreifen. Es ist daher auch nicht geeignet, di\u00a9 dargestellten Geftihlsvoraussetzungen zu wirklichen, causalen und ph\u00e4nomenalen Gef\u00fchlsvoraussetzungen des Zuschauers zu machen. Und damit sind wir zur Erkenntnifs gelangt, dafs es an diesen Gef\u00fchlsvoraussetzungenf wenigstens im , eben analysirten Falle, \u00fcberhaupt fehlt. \u2014\u25a0\nWir mufsten das, was wir eben nicht fanden, unter den durch die Betrachtung des \u00e4sthetischen Gegenstandes angeregten Einbildungs- (Erinnerungs- und Phantasie-) Vorstellungen1 suchen. Diese sind nat\u00fcrlich je nach dem Gegenst\u00e4nde verschieden. Was ihnen in einem Fall\u00a9 abgeht, k\u00f6nnten sie in einem anderen m\u00f6glicherweise doch enthalten, und ich untersuche daher noch weitere Beispiele.\nIch h\u00f6re eine Trauermusik. Sie bringt die Gef\u00fchl\u00a9 ersch\u00fctternden Schmerzes, herber Trauer ergreifend zum Ausdruck und ich stehe ganz in ihrem Banne. Ueber 'die Musik selbst, die ich h\u00f6re, trauere ich nicht; dar\u00fcber haben wir uns schon geeinigt Wo sind nun aber die erforderlichen psychologischen Voraussetzungen der Trauer, die ich \u2014 im Sinne der Actualit\u00e4tsansicht \u2014 f\u00fchle? Meine Trauer mufs Gegenstand und Gfund haben, man kann nicht \u00fcber Nichts trauern. \u2018Nur unter den durch das Anh\u00f6ren der Musik reproducirten Einbildungsvor-stellungen k\u00f6nnen wir diese erforderliche Voraussetzung suchen.\nSolcher Vorstellungen giebt es freilich genug und mannigfachster Art. In mehr oder minder deutlichen Z\u00fcgen geht das Bild einer Leichenfeier an unserem geistigen Auge vor\u00fcber ; wir sehen den dunklen Katafalk, di\u00a9 Fackeln und di\u00a9 schwarzbeh\u00e4ngten Pferde, das ganze d\u00fcstere und feierliche CeremonielL Aber wie oft kommen wir, besonders in den grofsen St\u00f6dten, zuf\u00e4llig zum wirklichen Anblick dieser Dinge : sie lassen ms ganz kalt; um wie viel weniger k\u00f6nnen 'wir erwarten, dafs eie uns in der blofsen Vorstellung zur Trauer bringen! Der blofse iufsere Anblick ist an sich \u00fcberhaupt kein Gegenstand der Trauer, er entlehnt seine allf\u00e4llige emotionale Wirkung nur durch Gef\u00fchls\u00fcbertragung vom Anlafs der ganzen Ceremonie\n1 Sowie den sich daran schliessenden tJrtheilen. oder Fictionen.\n2*","page":19},{"file":"p0020.txt","language":"de","ocr_de":"20\nStephan Witasek.\nher: Der Tod hat ein, Menschenleben, genommen. In. diesem Anlafs liegt die Wurzel der Trauer. Wo er fehlt, wo an ihn nicht gedacht, wird, fehlt auch die nothwendige Voraussetzung zu diesem Gef\u00fchl; da kann es keine Trauer gehen,. Aber vielleicht kommt uns im Strome der von der Musik angeregten Vorstellungen und Gedanken auch diese .Fiction? Wir sielen uns vor, es sei Jemand gestorben. Doch, was k\u00f6nnte das ausmachen? Hundertmal h\u00f6ren und ^ erleben wir es in Wirklichkeit \u2014 es ist uns kein Anlafs zur Trauer. Jedes irgend beliebigen Menschen Tod kann mich nicht r\u00fchren,;' nur dessen, der mir nahe stand, oder der zu jenen wenigen \u2022 Gestalten geh\u00f6rt, die der ganzen Menschheit nah\u00a9 stehen. Die geforderte Fiction wird also complicirter; entweder \u00fcber den Tod eines Freundes, eines Bradera oder \u201esulla morte d\u2019un ero\u00f6\u201c. Und zwar nicht nur im Allgemeinen; an eine ganz\" bestimmte Person mufs sie sich halten; denn, das blofse Abstractum wirkt, nicht, vollends nicht in der Annahme. \u2014 Nun frage ich : wer mufs, um den Trauermarsch der Eroica zu verstehen und zu geniefsen, in Gedanken seinen Freund sterben lassen oder den Tod seines Herrschers denken? Wer th\u00e4te so? Wer macht, wenn er diese Musik h\u00f6rt, so weite, verwickelt\u00a9 Gedankenumwege, ehe er versp\u00fcrt, was sie ihm ausdr\u00fcckt? Der offenkundig\u00a9 Cirkel. Denn freilich.: Ge-' danken solcher Art k\u00f6nnen ja, m\u00fcssen nicht kommen; aber nicht als Voraussetzung, sondern als Folge des Gef\u00fcMseindrucks der geh\u00f6rten Musik. Wie sollte man\u2019s denn sonst verstehen, dafa eine und dieselbe Musik Vorstellungen und Gedanken von an sich beliebigem, verschiedenstem Gegenst\u00e4nde anregt, die nur di\u00a9 gleiche Gef\u00fchlswirkung gemeinsam haben ? Der Gef\u00fcMseindruek ist das Einheitliche, das, nicht \u00fcber gedankliche Voraussetzungen, unmittelbar von der Musik ausgeht; Vorstellungen, Phantasien, Fictionen folgen allenfalls nach.\nVielleicht auch Erinnerungen. Wer Trauermusik h\u00f6rt, f\u00fchlt neuerdings die Wunde bluten, die ihm der.Tod eines geliebten Wesens j\u00fcngst geschlagen. Das ist nicht Einf\u00fchlung, das ist eigener Schmerz. Der macht an sich \u00e4sthetischen Genufs zu r\u00e4chte; kann aber auch, wenn Einf\u00fchlung bereits im Gang und \u00fcberhaupt noch, m\u00f6glich, sie unterst\u00fctzen. Davon noch, sp\u00e4ter.\nAuch mancher philosophische Gedanke, etwa \u00fcber die Verg\u00e4nglichkeit alles Gewordenen, \u00fcber irdisches Leben und ewiges","page":20},{"file":"p0021.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n21\n\"Leben, mag sich vor\u00fcbergehend regen. Solche Gedanken greifen an die Seele. Aber was sie von Gef\u00fchlen anregen, bleibt zun\u00e4chst noch im H\u00f6rer, tr\u00e4gt unmittelbar nichts bei zur Einf\u00fchlung, und w\u00e4re auch viel, viel zu wenig dies\u00a9 zu erkl\u00e4ren. \u2014\nWir finden auch in diesem Beispiel\u00a9 die Gef\u00fchlsvoraussetzungen nicht, die von der Actualit\u00e4tsansicht gefordert werden. All das bereitwillige, weitgehend\u00a9 Entgegenkommen, das wir ihr auf der Suche nach den Voraussetzungen erwiesen haben, liefs sie uns nicht entdecken, die wohlgemeinten Interpretationen und Constructionen, die wir aus .gutem Willen, entgegen der offenkundigen Unmittelbarkeit der musikalischen Einf\u00fchlung, versucht haben, waren vergeblich. Sehr bezeichnend schon deshalb, weil es ja doch eine ph\u00e4nomenale Function der Voraussetzung giebt, und man es also dem Gef\u00fchle, wenn anders wirklich eines da ist, sozusagen vom Gesicht m\u00fcfste ablesen k\u00f6nnen, worauf es sich bezieht, so dafs ein Hin- und Hersuchen und ProMren ausgeschlossen ist Wir finden keine Gef\u00fchls Voraussetzung ; demnach kann, was die Einf\u00fchlung ausmacht, auch in diesem Beispiele nicht wirkliches Gef\u00fchl sein. \u2022\u2014\nZwei Beispiele k\u00f6nnten nat\u00fcrlich zur Verallgemeinerung dieses Ergebnisses nicht gen\u00fcgen. Aber die Evidenz etwa durch sogenannte vollst\u00e4ndige Induction anzustreben, w\u00e4re ein aussichtsloses Beginnen. Viel eher kommen wir zum Ziele, wenn wir uns vor Augen halten, wie viel an sich bereits .allgemein G\u00fcltiges in den beiden eben ausgef\u00fchrten Beispielen, zumal im ersten, enthalten ist Es ist geradezu typisch f\u00fcr ales, was an k\u00fcnstlerischen Darstellungen den Menschen und sein Dasein /um Gegenstand hat\nIn den Werken der Dichtkunst, die auf scenische Darstellung verzichten und sich lediglich des geh\u00f6rten oder gelesenen Wortes bedienen, werden menschlich\u00a9 Gestalten und Schicksale geradeso vors geistige Auge gestellt wie auf der B\u00fchn\u00a9 vors leibliche: f\u00fcr di\u00a9 Einf\u00fchlung im Wesentlichen der gleiche Fall; nur die Anregung der Einf\u00fchlung geschieht hier und dort auf zum The! verschiedenem Wege. \u2014 Was Epik und Lyrik von den DarsteUungsmitteln des aufgef\u00fchrten Dramas verschm\u00e4hen, mache\u00ae sich Skulptur und Malerei zu eigen. Auch Mer im Wesentlichen der gleiche Fall. Der blofse Anblick des vaticani-8chen Apoll giebt keine ad\u00e4quat\u00a9 Voraussetzung zu stolzen, hochgemuthen Gef\u00fchlsregungen ab, schon deshalb nicht, weil","page":21},{"file":"p0022.txt","language":"de","ocr_de":"22\nStephan Witas\u00e9k.\nStolz ein Urtheilsgef\u00fchl ist, d. h. ein solches, das ein Urtheil, ein (wahres oder falsches) Wissen um eigenen Besitz und eigenes K\u00f6nnen zu seiner Voraussetzung hat, w\u00e4hrend der Anblick ja nur blofses Vorstellen ist Und die Gedanken, die der Anblick anregt, betreffen nicht des Beschauers Vollkommenheit und Kraft, geben ihm also auch nicht den Anlafs zu jenen stolzen Hochgef\u00fchlen. Wohl aber ist es umgekehrt der Ausdruck jener Gef\u00fchle, den der Beschauer sofort versteht, d. h. der ihn zun\u00e4chst zur Vorstellung jener Gef\u00fchle bringt und der ihm dann erst jene Gedanken an Vollkommenheit und Kraft anregt Es ist im Ganzen dasselbe wie in den vorhin ausgef\u00fchrten Analysen.\nNur die Raumk\u00fcnste, Architektur und Ornamentik, scheinen sich nicht f\u00fcgen zu wollen, und thats\u00e4ehlich haben auch die Vertreter der Actualit\u00e4tsansicht ihre Beispiele zumeist diesen Gebieten entnommen. Lipps\u2019 ber\u00fchmte dorische S\u00e4ule ist ein Typus geworden. Was thut die S\u00e4ule? Sie regt in mir Vorstellungen von gewissen Bewegungen und Bewegungstendenzen an. Diese Vorstellungen regen ihrerseits bestimmte Gef\u00fchle an, die dann in die S\u00e4ule hineinverlegt, eingef\u00fchlt werden. \u2014 Es ist gewifs wahr, dais die Vorstellungen von Bewegungen, seien sie nun visueller oder kin\u00e4sthetischer Art, in der Regel eine gewisse Gef\u00fchlsbetonung zeigen; und zwar gilt das nicht nur von den Wahmehmungsvorstellungen, sondern auch, freilich in bedeutend abgeschw\u00e4chtem Maafse, von den Einbildungs- (Phantasie und Erinnerungs-) Vorstellungen der Bewegungen. Auch ist dabei die Beziehung auf eine Person, ob auf die eigene oder eine andere, gleichg\u00fcltig, genauer \u00fcberfl\u00fcssig; denn das Gef\u00fchl kn\u00fcpft sich als sinnliches Gef\u00fchl an die (Wahmehmungs- etc.) Vorstellung, nicht an die Constatirung einer Thatsache, etwa der Actualisirang dieser Bewegung, und Einbildungsvor-stellungen der bezeichneten Art werden, das giebt Jedermann aus seiner pers\u00f6nlichen Erfahrung zu, durch den Anblick von Gestaltungen der Architektur, der Ornamentik wirklich ausgel\u00f6st\nAber man gebe sich nun einmal ehrlich Rechenschaft dar\u00fcber, ob diese sinnlichen Gef\u00fchle, von denen wir die visuellen und besonders die kin\u00e4sthetischen Bewegungsvorstellungen in der Regel begleitet finden, qualitativ und intensiv dem entsprechen, was man in derart wirksame Werke der Raumkunst durch Einf\u00fchlung hineinlegt Es kommt nur auf eine Probe an und die Probe kann Jeder an sich machen, nur darf er dabei","page":22},{"file":"p0023.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\t23\nnicht vergessen, dafs es ganz stricte w\u00f6rtlich zu verstehen ist, wenn Mer von den durch Bewegungsvorstellungen ausgel\u00f6sten Gef\u00fchlen die Rede ist. Er hat nichts Mneinzulegen, nichts hinein zu interpretiren ; er hat ganz ungezwungen in der nat\u00fcrlichen Verfassung seines Ich, nicht als ein \u201ein sich gesteigertes, \u00a9in ideales Ich\u201c1 schlicht und einfach auszuprobiren, wie das Gef\u00fchl aussieht, das sich ein stellt, etwa wenn er sich aus gebeugter Stellung \u201eaufrichtet\u201c, oder wenn er ein schweres Gewicht emporstemmt, oder einem Druck durch Gegendruck mit Erfolg Widerstand leistet. Er wird finden, dafs das qualitativ wie intensiv h\u00f6chst k\u00fcmmerliche Gef\u00fchle sind. Dagegen spricht man von einem \u201estolzen\u201c Bau, von einem \u201egedr\u00fcckten\u201c Gew\u00f6lbe, von \u201eand\u00e4chtigen\u201c Bogen und \u201egebieterischen, majest\u00e4tischen\u201c Fassaden, und wie die verschiedenen mehr oder weniger \u201centsprechenden Ausdr\u00fccke heifsen, die man auf die mannigfaltigen emotionalen Werthe architektonischer Kunstwirkung \u2022\u00fcbertr\u00e4gt Man merkt sofort, dieser qualitativ\u00a9 wie quantitative Reichthum kann unm\u00f6glich durch jene k\u00fcmmerlichen, sinnlichen Gef\u00fchl\u00a9 ausgemacht sein. Man merkt aber auch, dafs es durchaus nicht sinnliche Gef\u00fchl\u00a9 sind, die man in die betrachteten Kunstwerke hinein verlegt, sondern viel h\u00f6her gebildete, etwa Stolz, Selbstgef\u00fchl oder Demuth, Sehnsucht und Andacht. Die -reproducirten Bewegungsvorstellungen f\u00fchren Ausdrucksbewegungen vor, und ihre Function ist nicht die der ph\u00e4nomenalen oder causalen Gef\u00fchlsvoraussetzung, sondern sie erinnern lediglich an jene emotionalen Zust\u00e4nde, denen sie als Ausdrucks-bewegungen entsprechen, und diese Zust\u00e4nde sind dann das Material der Einf\u00fchlung. Dies\u00a9 Zust\u00e4nde k\u00f6nnen aber aus demselben Grande nicht als wirkliche Gef\u00fchle gegeben sein, der schon durch di\u00a9 fr\u00fcheren Beispiele dargethan ist. \u2014\nEs legt mir v\u00f6llig fern, zu meinen, mit diesen cursori-schen Ausf\u00fchrungen allen den mehr oder minder feinen Nuancen des Einf\u00fchlungsthatbestandes Rechnung zu tragen. Auch gebe ich sie nicht f\u00fcr1 eine gen\u00fcgende W\u00fcrdigung der reichhaltigen, im Einzelnen h\u00f6chst interessanten Untersuchungen aus, die die Einf\u00fchlung vom. Standpunkt der Actualt\u00e4tsansicht aus erfahren hat Sie sollen nur eine Skizze der Hauptgedanken und Hauptst\u00fctzen der Vorstellungsansicht sein. Und als solche\n1 Lipps, diese Zeitschrift 22, S. 432.","page":23},{"file":"p0024.txt","language":"de","ocr_de":"24\nStephan Witas\u00e9k.\nk\u00f6nnen sie sich damit begn\u00fcgen, deutlich und Mar zum Ausdruck gebracht zu haben, dafs di\u00a9 psychologischen Voraussetzungen zu den Gef\u00fchlen, die durch die Einf\u00fchlung in den \u00e4sthetisch betrachteten Gegenstand Mneinverlegt werden, im Bewufstsein des Einf\u00fchienden nicht gegeben sind, dies\u00a9 \u201eGef\u00fchle\u201c in diesem Bewufstsein daher auch nicht als wirkliche, actuelle Gef\u00fchle gegenw\u00e4rtig sein k\u00f6nnen.\n2,\nDie Actualit\u00e4tsansicht findet noch an. einem anderen Punkt\u00a9 der Einf\u00fchlungsthatsache betr\u00e4chtliche Verst\u00e4ndnifsschwierig-keiten und zwar bezeichnenderweise gerade an der Grand- und Kernfrage des ganzen Problems: Wie ist di\u00a9 die Einf\u00fchlung \u25a0ausmachende \u201eGef\u00fchls\u00fcbertragung\u201c psychologisch zu begreifen?\nDie Existenz -einer \u201eGef\u00fchls\u00fcbertragung\u201c wird Jedermann auf Grund seiner inneren Erfahrung zu best\u00e4tigen geneigt sein. Auch kann man zugeben, dafs der Ausdruck \u201eGef\u00fchls\u00fcbertragung\u201c sehr treffend ist, 'und selbst den Laien unter den Gegenst\u00e4nden seiner inneren Erfahrung sofort das finden l\u00e4fst, was damit gemeint ist. Uebrigens war die Psychologie um bezeichnende Bilder f\u00fcr di\u00a9 Sache nicht verlegen; sie spricht davon, dafs man die eigenen Gef\u00fchl\u00a9 in den Gegenstand der \u00e4sthetischen Betrachtung \u201eMneinverlegt\u201c, ins Object \u201eprojicirt\u201c; dafs man dem Gegenst\u00e4nde \u201edie eigen\u00a9 Seele leiht\u201c etc. \u2014 Das sind aies gute Metaphern; aber gerade die beste Metapher ist die schlechteste Analyse, und die Psychologie verlangt Analyse. -Doch damit ist es der Actualit\u00e4tsansicht in diesem Punkt sehr schlecht gegangen, und unter den zahlreichen, zumeist recht gezwungenen,, unnat\u00fcrlichen Versuchen, die Gef\u00fchls\u00fcbertragung von ihrem Boden aus zu erM\u00e4ren, finden sich sogar solche, di\u00a9 sich bis zu metaphysischer Speculation versteigern Eine Kritik \u2022aller dieser Versuche w\u00e4re f\u00fcr den vorliegenden Zweck viel-zu ausschweifend; ich begn\u00fcge mich, dam.it, den meines Erachtens klarsten vorzuf\u00fckren und- auf das Ergebnifs aufmerksam zu machen, zu dem er, vermuthlich eben verm\u00f6ge der Klarheit seiner Conception, scMiefsiich gelangt.\nEs ist das so ziemlieh der j\u00fcngste, n\u00e4mlich der Steen\u2019s,1 'Dort heifst es:\n1 P. Stern, Einf\u00fchlung and Association, in der neueren Aesthetik.","page":24},{"file":"p0025.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n2b\n\u201eDie Thatsache, dafs das in der \u00e4sthetischen Betrachtung , .. verwirklichte Gef\u00fchl, .. . unmittelbar durch die Wahrnehmung .. . bedingt, also an eine objective Thatsache gebunden erscheint,, verleiht auch dem Gef\u00fchlsinhalt den Charakter eines objective\u00bb Ph\u00e4nomens. Es wird demnach psychologisch verbunden mit jener Wahrnehmung, die uns zur Verwirklichung des Gef\u00fchls-inhaltes n\u00f6thigte.\u201c\nDazu ist, den Standpunkt der Actualit\u00e4tsansicht zun\u00e4chst vorausgesetzt, vor Allem zu bemerken:\n1.\tEs ist nicht wahr, dafs ein Gef\u00fchl in Folge des Umstandes, dafs es durch die Wahrnehmung verursacht ist, objec-tivirt wird ; denn dann m\u00fcfste nicht nur \u00fcberall dort, wo Gef\u00fchle durch Wahrnehmung\" hervorgerufen werden, Einf\u00fchlung entstehen, es m\u00fcfsten auch alle sinnlichen Gef\u00fchle dieser Objec-tivirung unterliegen. Weder das Eine noch das Andere ist that-s\u00e4chlich der Fall. Wenn ich vor einem daherrasenden Automobil erschrecke, so h\u00e4nge ich den Schreck nicht dem Automobil an; und die Subjectivit\u00e4t des Schauders, den das Kratzen des Messers auf dem Porzellan hervorruft, oder des Schmerzes einer allzu grellen Lichtempfindung steht aufser aller Frage, \u2014 was sich sehr gut damit vertr\u00e4gt, dafs man die Lichtempfindung oder gar das Licht selbst schmerzhaft, eine Farbe sch\u00f6n, h\u00e4fslich nennt\n2.\tIm Sinne der ' Actualit\u00e4tsansicht Hegt- gar keine Gelegenheit mehr dazu vor, das Gef\u00fchl erst noch mit der Wahrnehmung zu verbinden, weil nach ihr das Gef\u00fchl ohnedies bereits an die Wahrnehmung* 1 als an seine Voraussetzung psychisch gebunden ist Es handelt sich vielmehr darum, das Gef\u00fchl dem Gegenstand der Wahrnehmung zu verbinden. Diese Verbindung oder Einf\u00fcgung wird offenbar in irgend einer Weis\u00a9 ^tats\u00e4chlich vollzogen, es besteht in .ihr das Wesentliche der Einf\u00fchlung. \u201eEs fragt sich nur, w i \u00a9 wir hier verbinden m\u00fcssen. Offenbar .. \u25a0. nicht anders, als wie wir \u00fcberhaupt mit Erscheinungen der raumzeitlichen objective\u00bb Wirklichkeit psychische Ph\u00e4nomene zu verbinden pflegen. Das heifst nicht anders, als wie wir mit den K\u00f6rpern lebender Wesen die Vorstellung ihres geistigen\nHamborg und Leipzig 1898. (Beitr\u00e4ge zur Aesthet\u00fce, herausg. v. Lipps und Webxeb, Bd. 5.) S. 681.\n1 Richtiger an di\u00a9 durch die Wahrnehmung angeregten. Vorstellungen.","page":25},{"file":"p0026.txt","language":"de","ocr_de":"26\nStephan Witasek.\nLebens verbinden.\u201c 1 Der Verfasser trifft in diesem durch den psychischen Sachverhalt au\u00dferordentlich nahegelegten nat\u00fcrlichsten Ausdruck, vermuthlieh ohne an die w\u00f6rtliche Bedeutung und Tragweite desselben zu denken, aber eben in dieser w\u00f6rtlichen Bedeutung das Richtige. Auf die Vorstellung kommt es an. Wir erzeugen, sagt Steen weiter, \u201edie Gef\u00fchlsinhalte auf Grund von Wahrnehmungen der \u00e4sthetischen Objecte in uns, um sie dann in gleicher Weise an die Object\u00a9 gebunden vorzustellen.\u201c Auch das heifst nichts Anderes, als dafs zur Einf\u00fchlung ein Vorstellen der einzuf\u00fchlenden psychischen That-sachen erforderlich ist. Denn etwas an ein Object gebunden \u2022vorstellen heifst doch, es in einer bestimmten Relation, Beziehung zu diesem Object denken, oder anders, eine Relation zwischen diesem Etwas und dem Objecte denken; und es ist doch gewifs unm\u00f6glich, eine Relation vorzustellen, ohne die Glieder vorzustellen, zwischen denen sie besteht.\nEin entschiedener Anh\u00e4nger der Actualit\u00e4tsansicht ist Mer hei der Erkl\u00e4rung der Gef\u00fchls\u00fcbertragung, weil er die Klarheit .des Denkens wahrt, unversehens auf den Boden der Vorstellungsansicht gerathen : Ein vollst\u00e4ndig begreifliches Ergebnifs f\u00fcr jeden, der sich einmal deutlich macht, auf welch geradezu widersinnige Paradoxie es f\u00fchrt, die Gef\u00fchls\u00fcbertragung mit der Actualit\u00e4tsansicht combiniren zu wollen. Es ist freilich richtig, dafs man normalerweise an die Zugeh\u00f6rigkeit der eigenen, actuellen Gef\u00fchle etc. zur eigenen Person nicht ausdr\u00fccklich \u25a0denkt; daraus folgt aber nicht, dafs zum. Zwecke der Gef\u00fchls-\u00dcbertragung nicht erst eine Abl\u00f6sung der Gef\u00fchle von der .eigenen Person n\u00f6tfaig sei. Denn das normale, actuelle Gef\u00fchl ist allerdings weder von einem Urtheil der Zugeh\u00f6rigkeit zur Person des F\u00fchlenden begleitet, noch tr\u00e4gt es in sich selbst eine variable Bestimmung dieser Function. Sondern es ist nur .dadurch, dafs es ist (und so lange, als es ist), ohne dafs ich daran denke, eben \u201emein.\u201c Gef\u00fchl; und wenn es \u00fcberhaupt actualisirt ist, so ist es ohne Weiteres, unmittelbar und implicite als \u201emein\u201c Gef\u00fchl actualisirt. Da giebt es also, wenn es ein wirkliches Gef\u00fchl ist, kein, Uebertragen mehr. Soll das Gef\u00fchl in ein anderes Subject verlegt werden, so ist das nur durch.\n1 Stkbn, a. a. 0. 8. 69. Die typographische Hervorhebung der W\u00f6rter .wie and Vorstellung ist von mir hinzugef\u00fcgt.","page":26},{"file":"p0027.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n27\neinen aufserhalb des Gef\u00fchls, neben diesem stehenden ausdr\u00fccklichen Beisatz m\u00f6glich, der es in Verbindung mit dem anderen Subject bringt, d. h. in (Zugeh\u00f6rigkeits-) Relation mit diesem vorstellt, also doch wieder das Gef\u00fchl zur Vorstellung bringt. \u2014\nAber vielleicht gelingt es von der entgegengesetzten Seite aus, die Thatsache der Einf\u00fchlung immittelbar und ohne den Umweg \u00fcber das Vorstellen des Psychischen zu verstehen? Nicht das Gef\u00fchl wird vom Einf\u00fchlenden gewissermaafsen aus seinem Inneren heraus in das Object hineinverlegt, sondern der Beschauer f\u00fchlt sich selbst identisch mit dem Object, so dafs ihm nothwendigerweise das in seinem Bewufstsein actuelle Gef\u00fchl als im Objecte actuell vorhanden erscheinen mufs. So d\u00fcrfte es unter Anderen z. B. auch R. Vischeb gemeint haben, wenn er sagt, dafs die Einf\u00fchlung durch \u201eSelbstvorstellung\u201c zu Stande kommt, indem sie in das Object hin\u00fcberwandert und ihm dadurch den Schein der Beseeltheit verleiht.1\nUm diesen Versuch zu pr\u00fcfen, mufs man sich zun\u00e4chst dar\u00fcber Mar sein, welcher psychische Thatbestand denn die (scheinbare) Identification des eigenen Ich mit dem Objecte vermitteln k\u00f6nnte. Denn dafs dazu eine eigene psychische Function erforderlich ist, mufs in demselben Maafse zugegeben werden, .als es selbstverst\u00e4ndlich ist, dafs die fragliche Identification etwas Eigenes neben den Gef\u00fchlen Bestehendes und \u00fcber diese Hinausgehendes ist, das angesichts derselben Gef\u00fchle auch aus-bleiben k\u00f6nnte, wodurch dann auch die Einf\u00fchlung entfiele und die Gef\u00fchle schlechtweg actuelle Gef\u00fchle des Subjectes blieben. Was f\u00fcr eine psychische Function k\u00f6nnte das also leisten? Wir hatten diese Frage schon im vorigen Abschnitt zu erledigen. Nur ein Scheinurtheii (eine Fiction, Annahme) des Inhalts, dafs mein Ich identisch ist mit dem \u00e4sthetisch betrachteten Gegenst\u00e4nde k\u00f6nnte f\u00fcr diese Leistung in Betracht kommen. Damit jedoch diese Annahme gedacht werde, mufs nat\u00fcrlich das \u201eIch\u201c, das ist die Complexion, die, von Anderem abgesehen, aus den zum mindesten im Augenblick der Annahme actuellen psychischen Thatbest\u00e4nden des Betrachters gebildet ist, vorgestellt werden. Man sieht sofort, dafs auch dieser Weg zu dem erwarteten Ziele nicht f\u00fchrt. Denn abgesehen davon, dafs, wenn der \u201eIch\u201c - Complex vorgestellt wird,\n1 Nach Stern, a. a. O., S. 21.","page":27},{"file":"p0028.txt","language":"de","ocr_de":"28\nStephan Wita&k.\noffenbar auch die darin enthaltenen einzuf\u00fchlenden Gef\u00fchle vorgestellt werden, sind in diesem Complex auch eine Reihe psychischer Thatbest\u00e4nde enthalten, die gewifs nicht in das Object gelegt werden sollen, so vor Allem das \u00e4sthetische Lustgef\u00fchl, aufserdem noch eine Menge anderer ; schaltet man diese aus dem Complex aus, so verlegt man wieder nur einen The\u00fc der eigenen psychischen Thatsachen in das Object, so wie es schon nach dem ersten Analysenversuch gemeint war.\nUeberdies wird man gerne zugeben, dafs sich diese Auffassung im Zusammenhalt mit den Thatsachen als viel zu k\u00fcnstlich und unnat\u00fcrlich darstellt Wer \u00e4sthetischer Betrachtung hingegeben ist, der denkt dabei nicht an sich und sein Ich \u2014 gleichviel oh die Ich-Vorstellungen auf Gemeinempfindungen, auf dem Gesichtsbild vom eigenen K\u00f6rper oder auf was sonst beruht \u2014 gar um es in Identit\u00e4tsrelation zum Object zu setzen ; sondern der ist mit seinem Vorstellen und F\u00fchlen ganz bei dem \u00e4sthetischen Gegenst\u00e4nde.\nSo r\u00e4thselhaft und complicirt demnach die Thatsache der Gef\u00fchls\u00fcbertragung bleibt, so lange man sie vom Standpunkt der Aetualit\u00e4tsansicht aus betrachtet, so klar und einfach stellt sie sich sofort dar, sobald man diesen Standpunkt mit dem der Vorstellungsansicht vertauscht, und sich damit begn\u00fcgt, dafs das einzuf\u00fchlende Gef\u00fchl nicht wirklich, sondern nur in der Vorstellung dem \u00e4sthetischen Gegenst\u00e4nde eingef\u00fcgt werde.\nEigentlich ist das nicht einmal ein \u201eSich-begn\u00fcgen\u201c ; denn es handelt sich dabei um die anschauliche Vorstellung, und von dieser gilt, dafs ihr Inhalt ebenso reich an Bestimmungen ist, wie das Gef\u00fchl selbst, dessen getreues Abbild sie darstellt, so dafs bei der Vertauschung des Gef\u00fchls mit der anschaulichen Vorstellung nichts verloren geht \u2014 oder eigentlich nur gerade das, dessen thats\u00e4chliches Fehlen in der Einf\u00fchlung der Aetualit\u00e4tsansicht ein neues schweres R\u00e4thsel bleibt, n\u00e4mlich das, was man f\u00fcglich die actuelle Emotion, den Gef\u00fchlsact nennen k\u00f6nnte. Wer Canova\u2019s herrliches Grabmal der Erzherzogin Marie Christine beschaut, der trauert in jenen ergreifenden Gestalten, ohne dabei selbst traurig zu sein; wer Faust\u2019s Monolog anh\u00f6rt, braucht selbst nicht zu verzweifeln, wenn er auch Faust\u2019s Verzweiflung noch so getreulich mitmacht ; und wer Beethoven\u2019s Pastorale geniefst, kann deren naiven Frohsinn bei sentimentalster eigner Stirn-","page":28},{"file":"p0029.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\t29\niniing verstehen; kurz: Wer einf\u00fchlt, f\u00fchlt nicht selbst, ist selbst nicht in der gleichen Weise emotional afficirt.1 * Das ist f\u00fcr die Actuahtfttsansicht einfach unbegreiflich, f\u00fcr die Vor-stellungsansicht selbstverst\u00e4ndlich, Denn die Vorstellung eines Gef\u00fchls ist selbst eben kein Gef\u00fchl und in ein und derselben wirklichen Stimmung kann ich, ohne dafs sich daran etwas \u00e4ndert, nat\u00fcrlich mehr oder minder gut, die verschiedensten Gef\u00fchle zur Vorstellung bringen.\nNun macht sich die \u201eGef\u00fchls\u00fcbertragung\u201c auf h\u00f6chst nat\u00fcrlichem und einfachem Wege. Der Schauspieler auf der B\u00fchne vermittelt mir durch Aug und Ohr eine Menge zun\u00e4chst mehr oder weniger isolirter Empfindungsdaten; die werden zu Wahrnehmungen, regen das reiche Spiel der Reproduction und Phantasie an, und verbinden sich mit dem, was sie da wachrufen, zu einem grofsen einheitlichen Complex, der mir das Ganze des auf der B\u00fchne vorgef\u00fchrten Menschen darstellt, sein Aeufseres und sein Inneres; in diese Complerions-yorstellung geht auch die Vorstellung des von ihm zum Ausdruck gebrachten Gef\u00fchls einfach als Bestandst\u00fcck mit ein. Analog in anderen Einf\u00fchlungsfallen. UeberaU nichts Anderes, als dafs in die complexe Vorstellung, die den \u00e4sthetischen Gegenstand in seiner G\u00e4nze darstellt, auch die Vorstellung des Gef\u00fchls mit eingeht. Man stellt von solchen \u00e4sthetisch betrachteten Wesen nicht nur das \u00e4ufsere, sondern auch ihr Innenleben vor, und das zusammen giebt erst die GesammtvorsteHung dieses Wesens. Nimmermehr ist es m\u00f6glich, in diese Gesammtcomplexionsvorstellung im Sinne der Actuaht\u00e4tsansicht nicht die Vorstellung des Gef\u00fchls, sondern das wirkliche Gef\u00fchl selbst aufzunehmen ; was The\u00fc einer Vorstellung 1st, mufs doch selbst auch Vorstellung sein.\nEinf\u00fchlung ist also gleich Einf\u00fcgung des Gef\u00fchls, genauer der Gef\u00fchls Vorstellung, in das Gesammtbild. Das ist die \u201eeigent\u00fcmliche seelische Leistung\u201c Voukelt\u2019s, die ihm das \u201eIneinander der beiden Inhalte \u2014 des sinnlichen \u00e4ufseren und des ihn beseelenden inneren \u2014 darstellt\u201c und in der er das Wesen der Einf\u00fchlung erblickt.3 Und auch das, was man unter der Be\n1 Damit soll nicht geleugnet werden, dafs die Einf\u00fchlung der an-\nf\u00e4lligen wirklichen Actualisirung des vorgestellten Gef\u00fchls f\u00f6rderlich ist.\n* Volkelt, Zur Psychologie der \u00c4sthetischen Beseelung. Zeitschr. f\u00fcr Ph\u00fcosophie IIS, S. 164.","page":29},{"file":"p0030.txt","language":"de","ocr_de":"m\nStephan WUmdk,\nZeichnung \u201eEinsf\u00fchlung\u201c zuveileni als die zweite charakteristische Seite des ganzen Vorganges hervorgehoben hat, wird leicht begreiflich. Man fohlt sich eins mit dem Objecte, oder besser, man geht ganz auf im Vorstellen des Objectes, ohne\u00bb wie ja die Regel, an sich selbst zu denken; tmd stellt dabei gewissen\u00abaaften doch auch ein St\u00fcckchen ans dem eigenen Selbst vor, weil man die Vorstellungen der Gef\u00fchle nur ans sich selbst, nie ans der Auftenwelt haben kann. Auch wie die \u201eSelbstt\u00e4uschung\u201c, in der man ebenfalls das Wesen der Einf\u00fchlung zu erkennen glaubte, verstanden weiden rauls, wird darnach klar. \u201eMan. t\u00e4uscht sich seihst vor, daft man irgend etwas Lebendiges sehe oder h\u00f6re oder irgend eine Stimmung habe, wahrend man doch thats\u00e4ch\u00fcch nur toten Marmor oder tote Leinwand sieht und vielleicht eine ganz andere Stimmung hat\u00bb als einem der K\u00fcnstler octroyiren wiH\u201c 1 Man t\u00e4uscht sich vor\u00bb will sagen, man stellt sich \u2014 etwas Lebendiges oder irgend eine Stimmung vor, wahrend die blofee Wahrnehmung nur todten Marmor bietet und man selbst in Wirklichkeit etwas ganz Anderes f\u00fchlt.\nm.\nMechanismus der Einf\u00fchlung im Sinne der Vorstellungsansicht\nDie Gesetze des Gef\u00fchlslebens sind, wie wir gesehen haben\u00bb im Einf\u00fchlungsacte nicht wiederzufinden; die Einf\u00fchlung ist demnach kein wirkliches, actuelles F\u00fchlen. Durch Exclusion w\u00e4re somit die Entscheidung zu Gunsten der Vorstellungsansicht gegeben. Positiv gest\u00fctzt erweist sich diese Ansicht dadurch, dafe sie ein Hares Verst\u00e4ndnifs des Vorganges der Gef\u00fchla-\u00dcbertragung erm\u00f6glicht Ist sie aber wirklich im Recht, so mufe gewissermaafsen als Gegenprobe die Einf\u00fchlung auf die Gesetze des Vorstellens zur\u00fcckgef\u00fchrt und ihr Entstehen und Vergehen aus den Gesetzen des Entstehens und Vergehens der Vorstellungen verstanden werden k\u00f6nnen.\n1 C. Lange, Gedanken au einer Aesthetik auf entwickelungsgeschicht-licher Grundlage, Diese Zeitschr. 14, S. 255.","page":30},{"file":"p0031.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u201c\u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n31\nDafs dies thats\u00e4chlich der Fall ist, soll im vorliegenden Abschnitt gezeigt werden. Der Mechanismus der Einf\u00fchlung Ififst sich meines Erachtens in die Wirksamkeit der vier Vor* stellensgesetze : Empfindung (Wahrnehmung), Association, will* k\u00fcrliehe Vorstellungsverbindung und Fundirung restlos aufl\u00f6sen,\nIch schicke voraus, dafs Vieles von dem, was zur Erkl\u00e4rung des Entstehens der Einf\u00fchlung bereits von verschiedenen Seiten im Sinne der Aetualit\u00e4tsansicht vorgebracht worden ist, hier, mutatis mutandis, gleichsam unter dem Schl\u00fcssel der Vorstellungs-ansicht gelesen, zur Geltung kommen wird. \u2014\nBetrachten wir zun\u00e4chst den Fall, der die Einf\u00fchlung in ihrer nat\u00fcrliche! und leichtest begreiflichen Form erscheinen l&fst : Die Einf\u00fchlung gegen\u00fcber den Leistungen der Schauspielkunst\nDie Person, die der Schauspieler auf die B\u00fchne stellt, bringt durch Worte und Geberden ein Innenleben zum Ausdruck. Das Wort hilft dazu in verschiedenem Sinne. Es bezeichnet die \u00e4ufsere Situation, die auf das Innenleben bestimmend einwirkt; es charakterisirt die Handlungen, die aus diesem Innenleben entspringen und dadurch nat\u00fcrlich indirect auch dieses selbst; es handelt schUefsUch bisweilen ganz direct vom Innenleben der sprechenden Person. Der mimische Ausdruck unterst\u00fctzt das Verst\u00e4ndnifs des Wortes. Beides wirkt zun\u00e4chst nach demselben psychologischen Gesetze: dem der Contiguit\u00e4tsassociation. So wie durch das Wort die Vorstellung des dadurch bezeichneten Gegenstandes associativ hervorgerufen wird, so wird auch die Geberde unmittelbar verstanden, d. h. auch sie bringt associativ die Innenvorg\u00e4nge, denen sie entspringt, zur Vorstellung. Beide geben direct oder indirect eine Vorstellung von den seelischen Zust\u00e4nden der sprechenden Person, die mit den Vorstellungen der \u00fcbrigen Charakteristika derselben zur Gesammtcomplexions* Vorstellung dieser Person verbunden werden kann.\nDieses Ereign\u00fcs tr\u00e4gt sich aber keineswegs nur im Theater zu Es ist etwas ganz Allt\u00e4gliches und wiederholt sich immer und immer wieder in unserem Verkehr mit Menschen. Denn die Auflassung des jeweiligen Gem\u00fcthszustandes der uns umgebenden Personen ist eine fast ebenso gew\u00f6hnliche Sache, wie die Ihres Aeufseren,\nSie ist aber im Allgemeinen freilich auch lange noch nicht das, was wir unter Einf\u00fchlung verstehen, ja nicht einmal deren","page":31},{"file":"p0032.txt","language":"de","ocr_de":"32\nStephan Witasek.\nunerl\u00e4ssliche Voraussetzung. Wir verstehen wohl die Zeichen des Innenlebens und 'wissen, welche Gef\u00fchle, Begehmngen etc. in der Seele der sprechenden Person rege sind, wir \u201ef\u00fchlen\u201c sie aber nicht mit, d. h. wir stellen sie nur unanschaulich, nicht anschaulich vor. Li fps 1 thut nicht gut daran, diesen Fall als Rudiment des Bmf\u00fchlens hinzustellen ; er ist wesentlich von ihr verschieden, zum Mindesten ebenso wesentlich, wie das unanschauliche Vorstellen vom anschaulichen; in wie weit noch mehr, wird sp\u00e4ter zu zeigen sein.\nEs ist also, die Einf\u00fchlung zu erkl\u00e4ren, noch die Frage: Wann und wodurch kommen wir \u00fcber dieses oberfl\u00e4chliche Verstellen hinaus zum ausgef\u00fchrten, anschaulichen?\nDa ist vor Allem darauf hinzuweisen, dafs in der Kegel \u201eder -gute Wile dazu\u201c da sein mufs. Es ist eine bekannte Erfahrung, dafs man, an schauspielerische wie auch an ander\u00a9 k\u00fcnstlerische Darbietungen, um des \u00e4sthetischen Genusses theil-haffcig zu werden, die richtige Verfassung oder Stimmung heranbringen, dafs man selbst etwas dazu thun mufs. Dieser uner-l\u00e4fsliche, active Antheil des \u00e4sthetisch Geniefsenden ist zum Thel gewifs durch die auf Einf\u00fchlung gerichtete Willensth\u00e4tig-keit ausgemacht. Denn die Erfahrung lehrt, dafs das Gelingen der Einf\u00fchlung durch Absicht gef\u00f6rdert werden kann. Gestalten, die ganz unwillk\u00fcrlich packen und uns unversehens gleichsam, in sich hineinziehen, sind selten, in und aufser dem Schauspielhaus.\nDie (Willens-) Arbeit, die der k\u00fcnstlerisch Geniefsend\u00a9 zum Zustandekommen der Einf\u00fchlung hinzuzubringen hat, ist nat\u00fcrlich je nach der Art und Vollendung der k\u00fcnstlerischen Darbietung, um die es sich handelt, verschieden, bald gr\u00f6fser, bald geringer. Der Schauspieler erleichtert sie dem Zuschauer durch eine gute Mimik. Da spielt aber dann die Mimik nicht mehr blos jene symbolische, zeichengebende \u00e4ufser\u00fcche Rolle, sondern ist viel wesentlicher, selbster (man verzeihe den Ausdruck) an der Vorstellungserzeugung betheiligt.\nUm das geh\u00f6rig zu w\u00fcrdigen, erinnere man sich daran, wodurch die jedem Gef\u00fchl specifisch charakteristische, qualitative Eigenart ausgemacht wird. Nicht die qualitativen Verschiedenheiten des rein emotionalen Elements leisten es \u2014 denn dieses\n1 Lxpps, Aesthetische Einf\u00fchlung. IHese Zeitschrift 22, S. 417 f.","page":32},{"file":"p0033.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n\nzeigt nur die Zweierleiheit von Lust und Unlust \u2014 sondern zum Theil die inteiiectuellen Bestandsticke des das concret\u00a9 Gef\u00fchl darstellenden Gesammtcomplexes, zum Theil di\u00a9 jeweiligen Verh\u00e4ltnisse der Intensit\u00e4t und des zeitlichen Ablaufes dieses Ge-sammtcomplexes. Die inteiiectuellen Bestendst\u00fccke sind an der Charakteristik des Gef\u00fchls sowohl in Gestalt der Voraussetzung, als auch durch di\u00a9 von den physischen Begleiterscheinungen der Gef\u00fchle herr\u00fchrenden Empfindlingen betheiligt. Diese Empfindungen sind es ganz besonders, die dem Gef\u00fchl das ihm eigen-th\u00fcmlich\u00a9 Gepr\u00e4ge verleihen.\nEin wesentlicher Theil dieser Empfindungen nun, n\u00e4mHeh der den Ausdrucksbewegungen entsprechende, wird durch \u00a9me gute Mimik leicht zur Reproduction gebracht Wenn wir mit gespannter Aufmerksamkeit und vollem Interesse dem Beschauen einer handelnden Person zugewendet sind, so passirt es uns leicht, dafs wir ganz unwillk\u00fcrlich die Bewegungen, die wir an ihr sehen, mitmachen, zum wenigsten, dafs die zugeh\u00f6rigen km\u00e4sthetischen Bewegungsempfindungen (anschaulich) in uns reproductif werden. Das geschieht nun auch beim Anblick der Ausdrucksbewegungen des Schauspielers ; und dadurch ist bereits ein wichtiges Bestendst\u00fcck des Gef\u00fchlscomplexes in anschaulicher Vorstellung gegeben. Eben dadurch wird aber auch der zeitliche und intensiv\u00a9 Ablauf in der Vorstellung geregelt F\u00fcr di\u00a9 Vorstellung der Gef\u00fchlsvoraussetzung kommt das gesprochen\u00a9 Wort auf; und es ist zur anschaulichen Vorstellung des Gef\u00fchls nat\u00fcrlich nicht erforderlich, dafs das, was die Worte besagen, anschaulich vor gestellt werde, es kommt vielmehr darauf an, dafs die Vorstellungen und Urtheile, deren Ausdruck sie bei der dargestellten Person sind, anschaulich vorgestellt werden; und das ist keineswegs etwa eine unbillige Forderung, sondern eine, di\u00a9 schon im gew\u00f6hnlichen Leben oft genug erf\u00fcllt ist, und di\u00a9 im vorliegenden speciellen Fall um so leichter zur Befriedigung gelangt, als das Vorstellen des Zuschauers ohnedies bereits dem .Innenleben der dargestellten Person zugewendet ist Eben diesem Umstande mag auch die Anregung der Vorstellung des Kerns des ganzen Complexes, des emotionellen Lust- bezw. Unlustelementes, zugeschrieben werden ; die von vielen Seiten her wirkend\u00a9 Association sowie die Anschaulichkeit des ganzen Vorganges f\u00f6rdern auch die Anschaulichkeit dieses wichtigsten Bestandst\u00fcckes. \u25a0\u2014\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 25.\n3","page":33},{"file":"p0034.txt","language":"de","ocr_de":"34\nStephan Witasek.\nDie Mimik, sowohl die der Geberde wie die des Wortes, ist also dabei nicht conventioneiles Zeichen, das nur \u00e4ufserlich mit dem bezeichneten Zustande zusammenh\u00e4ngt, sondern das nat\u00fcrliche \u00e4ufsere Abbild der inneren Zust\u00e4nde, die sie dem Beschauer durch Association zur Anschauung bringen. Daher die Wirkungslosigkeit einer verkn\u00f6cherten, schablonenhaften Schauspielerei.\nGerade so nun, wie die Ausdrucksbewegungen am Schauspieler gesehen, also in das Bild der dargestellten Person aufgenommen? werden, so werden auch die damit verkn\u00fcpften Empfmdungsj Vorstellungen etc. wegen der nat\u00fcrlichen Zusammengeh\u00f6rigkeit von Ausdrucksbewegung und Ausgedr\u00fccktem in den Complex eingehen. Das heifst also, das anschaulich vorgestellte Gef\u00fcM wird in die Complexionsvorstellung der dargestellten Person hineingenommen, in diese \u201ehinein verlegt\u201c.\nDie Einf\u00fchlung gegen\u00fcber dem Schauspieler geht also auf ganz nat\u00fcrlichem Wege vor sich; und wenn ich auch keineswegs verkenne, wie \u00fcberaus skizzenhaft und im Einzelnen 'unausgef\u00fchrt die vorliegend\u00a9 Analyse des Einf\u00fchlungsmechanismus noch ist, so beweist sie, glaube ich, im Allgemeinen doch, dafs die Vorstellungsgesetze gen\u00fcgen. \u2014\nSo also d\u00fcrfte im Grofsen und Ganzen der Einf\u00fchlungsmechanismus gegen\u00fcber den Darbietungen der Schauspielkunst beschaffen sein. \u25a0 Da die verschiedenen Kunstgattungen mit verschiedenen \u00e4ufseren Mitteln arbeiten, uns also ihren Gegenstand durch verschiedenartige Wahrnehmungsvorstellungen darbieten\u00bb so ist das Ausgangsmaterial der Einf\u00fchlung in den verschiedenen Kunstgattungen ein anderes und daher wahrscheinlich auch ihr Mechanismus verschieden.\nImmer aber bat man, soll dieser Mechanismus in einem bestimmten Falle ergr\u00fcndet werden, diese Aufgabe in folgende Theilfragen zu zerlegen.\n1.\tIn was f\u00fcr einen Gegenstand wird eingef\u00fchlt? d. h. was ist der Gegenstand der Complexionsvorstellung, die durch Einf\u00fcgung von anschaulichen Vorstellungen psychischer Thatsachen bereichert werden soll?\n2.\tWas f\u00fcr psychische Thatsachen werden eingef\u00fchlt?\n3.\tDurch welche Wahmehmungsdaten wird die Einf\u00fchlung angeregt? d. h. welche \u00e4ufseren Daten sind Ursache davon, dafs die anschaulichen Vorstellungen der einzuf\u00fchlenden psychischen Thatsachen actuell werden?","page":34},{"file":"p0035.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n35\n4. Auf welchem Wege, nach welchen psychologischen G\u00ear seteen vollzieht sich von diesen Anregungsdaten aus die Einf\u00fchlung? Und zwar:\na) Nach welchem psychologischen Gesetz werden die Vorstellungen der einzuf\u00fchlenden psychischen Thatsachei* von den Anregungsdaten aus wachgerufen?\n. b) Nach welchem psychologischen Gesetz werden die so gewonnenen anschaulichen Vorstellungen der einzuf\u00fchlenden psychischen Thatsachen in die Complexions-Vorstellung des Gegenstandes, in welchen eingef\u00fchlt wird, als Bestandst\u00fccke eingef\u00fcgt? \u2014\nIm Sinne dieses Schemas wollen wir nun einen fl\u00fcchtigen B\u00fcck werfen auf die je nach der Kunstgattung verschiedene Entwickelung der Einf\u00fchlung.\nEpik und Lyrik bieten, geradeso wie die Schauspielkunst, der Einf\u00fchlung zumeist den Menschen als Gegenstand dar, legen ach aber im Allgemeinen eine Beschr\u00e4nkung in dieser Beziehung nicht auf; alles Erdenkliche k\u00f6nnen sie gef\u00fchlsm\u00e4fsig vermenschlichen. Diesem gr\u00f6fseren Reichthum in der Mannigfaltigkeit des Gegenstandes steht andererseits eine, in der Regel wenigstens, \u00e4rmere Bestimmtheit desselben entgegen. Der Gegenstand ist nicht durch die Wahrnehmung, sondern durch die Einbildungskraft gegeben ; er wird daher, abgesehen davon, dafs er der sinnlichen Lebhaftigkeit entbehrt, nur in den seltensten F\u00e4llen ann\u00e4hernd so reich an Merkmalen sein. Es kommt oft vor, dafs gerade das, was bei scenischer Auff\u00fchrung bis ins Kleinste ausgef\u00fchrt und deutlich im Vordergrund des Bewusstseins steht, der \u00e4ufsere Anblick der dargestellten Person, Mer ganz vernachl\u00e4ssigt und nur indirect in unausgef\u00fchrter Vorstellung angedeutet im Gesammtcomplex enthalten ist, dagegen die die eingef\u00fchlten psychischen Thatsachen darstellenden Bestendst\u00fccke dieser GesammtcomplexionsVorstellung die Aufmerksamkeit voll in Anspruch nehmen.\nDabei k\u00f6nnen die sonach vernachl\u00e4ssigten Bestandst\u00fcck\u00a9 der Complexionsvorstellung unter Umst\u00e4nden auch durch die Bestimmungen aufsermensch\u00fccher Wesenheiten schlankweg ersetzt sein, und diese k\u00f6nnen, wie z. B. in lyrischer Naturschilderung in voller Deutlichkeit und Anschaulichkeit zur Vorstellung gelangen. Das giebt den merkw\u00fcrdigen Fall der Einf\u00fchlung in nicht menschliche, wohl auch unbelebte Gegenst\u00e4nde,\n3*","page":35},{"file":"p0036.txt","language":"de","ocr_de":"S\u00df\nStephan W\u00eetasek.\nder somit durch eine Complexionsvorstollung verwirklicht ist, welche di\u00a9 anschaulichen Vorstellungen von psychischen That* Sachen mit Vorstellungen von nichtmenschlichen Gegenst\u00e4nden geradeso verbindet, wie sie sonst mit den physischen Eigen: sch\u00e4ften menschlicher Wesen verbundeh gedacht werden. \u2014\nDabei kommen auch hier in erster Linie Gem\u00fcthsstimmungen, Gef\u00fchl\u00a9, Affecte, Strebungen als die einzuf\u00fchlenden psychischen Thatsachen in Betracht, die Vorg\u00e4nge des Intellects nur ausnahmsweise. \u2022\u2014\nDi\u00a9 \u00e4nfser\u00a9 Anregung zur Ausl\u00f6sung der f\u00fcr die Einf\u00fchlung erforderlichen anschaulichen Vorstellungen leisten Epik und Lyrik ausschlie\u00dflich durch die Sprache : direct durch den Klang der Worte, das musikalische Element der Sprache; indirect einerseits durch die Bedeutung der Worte, andererseits durch das, was sich associativ an diese Bedeutung ankn\u00fcpft\nAuf welchem Wege aber bringen es diese \u00e4ufseren Daten zu Stande, di\u00a9 anschaulichen Vorstellungen der einzuf\u00fchlenden psychischen Thatsachen hervorzurufen ? Diese Hauptsache zu kl\u00e4ren, erfordert zun\u00e4chst wohl neuerliche Berufung auf die ausdr\u00fcckliche Mitwirkung des Willens. Aber es w\u00e4re nat\u00fcrlich ein\u00a9 sehr schlechte, ihre Bestimmung v\u00f6llig verfehlende Dichtung, wenn sie ihrerseits zur Erleichterung dieser Willens-th\u00e4tigkeit gar nichts hinzubr\u00e4chte ; darin liegt es ja, was wir an Dichtungen stimmungsvoll, gem\u00fcthstief nennen, dafs sie selbst schon durch Form und Inhalt dem guten Willen, d. i. der aufnahmef\u00e4higen Stimmung des Lesers in hohem Grade entgegen-kommen, will sagen, die Ausl\u00f6sung der entsprechenden anschaulichen Gef\u00fchlsvorstellungen auch unwillk\u00fcrlich (durch Association) f\u00f6rdern. Die Analyse der Mittel, die der Dichtkunst f\u00fcr diesen Zweck zu Gebote stehen, ist die vornehmste Aufgabe einer auf Psychologie gegr\u00fcndeten Poetik. Hier soll nur darauf hinge-wiesen werden, dafs der Sprachmusik dabei ein Hauptantheil zukommt; die Mechanik der Wirksamkeit dieses Elementes f\u00e4llt daher im. Wesentlichen mit der der Musik zusammen. Das zweit\u00a9 Element, die Bedeutung der W\u00f6rter, wird f\u00fcr die Anregung der anschaulichen Vorstellung in mehrfacher Hinsicht wirksam. Zun\u00e4chst durch die einfache Mittheilung der Gef\u00fchlsvoraussetzung. Dann durch die Schilderung des einzuf\u00fchlenden psychischen Zustandes ; d. h. durch Zerlegung desselben in seine Bestimmungen, wobei das anschauliche Vorstellen der allm\u00e4h-","page":36},{"file":"p0037.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n37\nliehen Vorf\u00fchrung dieser einzelnen Bestimmungen ungleich leichter folgt als der Nennung des Ganzen, Schhefslich durch die sehr wirksame Angabe der physischen Begleit- und Neben\u00ab* umst\u00e4nde. Je bezeichnender diese sind, d. h. in je innigerer gedanklicher Verkn\u00fcpfung sie mit den vorzustellenden psychischen Thatsachen stehen; je anschaulicher und je reicher sie vorgef\u00fchrt werden, desto unfehlbarer wird die sonach zusammengesetzte Association zum gew\u00fcnschten Erfolge f\u00fchren, \u2014\nH\u00f6chst lehrreich ist die Betrachtung0 der Einf\u00fchlung an Werken der Tonkunst\nSchon die erste Frage: Was ist Gegenstand der Einf\u00fchlung? f\u00f6rdert hier eigent\u00fcmliche, aber auch sehr bezeichnende Verh\u00e4ltnisse zu Tage. An wem werden die Gef\u00fchle, deren Ausdruck der H\u00f6rer in einem vorgetragenen Musikst\u00fcck findet, vorgestellt, wem werden sie zugeschrieben? Dem Zuh\u00f6rer selbst nicht ; denn er ist mit seinen Gedanken ganz und gar nicht der eigenen Person zugewendet, und je tiefer er in die Sch\u00f6nheit und den Gehalt des Tonwerks eindringt, desto weniger denkt er an sieh selbst Denn man vergesse nicht, dafs es sich hier keineswegs um wirkliches F\u00fchlen handelt, sondern um vorgestelltes F\u00fchlen; Niemand wird aber die musikalische Einf\u00fchlung darin wiederfinden, dafs man sich irgend welche Gef\u00fchle sozusagen andichtet Und Nebenwirkungen tats\u00e4chlich emotionaler und pers\u00f6nlicher Natur \u2014 von denen noch zu handeln sein wird \u2014 kommen wohl vor, haben aber mit der Einf\u00fchlung und zumeist mit dem \u00e4sthetischen Verhalten \u00fcberhaupt nichts mehr zu thun. \u2014 Ebensowenig wie der Zuh\u00f6rer ist der Vortragende Musiker Gegenstand der Einf\u00fchlung. Auch das bedarf eigentlich keines Beweises. Unsere Concertbesucher besch\u00e4ftigen sich freilich oft mehr mit der Person des Virtuosen als mit der Musik, die er ihnen bietet; aber eben deshalb kann uns der psychische Zustand solcher Concertbesucher f\u00fcr unsere Frage kein geeignetes Erfahrungsmaterial abgeben. Und wenn der Vortragende \u2014 unter gewissen Voraussetzungen kommt es ja dazu \u2014 wirklich in seinem Innern f\u00fchlt, was er durch sein Spiel zum Ausdruck bringt, so wird das der k\u00fcnstlerischen Vertiefung des Vortrages wohl sehr zu Statten kommen und dem Zuh\u00f6rer noch leichteres Verstehen vermitteln; aber zum \u00e4sthetischen Gen\u00fcsse des Tonwerkes braucht der Zuh\u00f6rer daran nicht zu denken und denkt auch nicht daran.","page":37},{"file":"p0038.txt","language":"de","ocr_de":"38\nStephan Witasek.\nZuh\u00f6rer und Spieler sind also die Tr\u00e4ger des musikalischen Ausdrucksgehaltes nicht. So ist es wohl der Tondichter? Das w\u00e4re eigentlich das N\u00e4chstliegende. Aus seiner Phantasie, aus seiner Brust und seinem Herzen str\u00f6mt die Musik, seiner Seele Lust und Leid ist\u2019s, das er durch T\u00f6ne offenbart. Und das wissen wir; deshalb m\u00f6gen wir auch Sinnes- und Seelenart des Tondichters aus seinen Werken erkennen. Aber \u2014 wer m\u00fcfste, um etwa die Neunte recht zu verstehen, sich erst des grofsen Meisters Gestalt vor Augen f\u00fchren? Wer denkt an Bbajhms, urn\u2019s zu begreifen, was uns sein deutsches Requiem sagt? Es kann geschehen, inufs aber nicht, geh\u00f6rt gar nicht zum \u00e4sthetischen Verhalten. Sollte denn auch dem, der nichts von diesen Grofsen weifs, ihr Werk verschlossen bleiben? Also nicht der einzelne, pers\u00f6nlich bestimmte Tondichter dieses oder jenes Namens kann es sein; wohl aber vielleicht der nur dadurch bestimmte, dafs er durch\u2019s Geh\u00f6rte zu uns spricht? Auch das ist noch nicht wahr. Denn der Gedanke ans musikalische Schaffen und den Sch\u00f6pfer spielt \u00fcberhaupt beim H\u00f6ren und Geniefsen keine Rolle. So schieben wir auch diese Bestimmung noch bei Seite; was bleibt? Eine fingirte, zun\u00e4chst v\u00f6llig eigenschaftslose Person, der in der Phantasie das zugeschrieben wird, \u2022was an Seelenleben die Musik zum Ausdruck bringt.\nGewifs wird das Mancher aus seiner Erfahrung zu best\u00e4tigen geneigt sein, vielleicht nur noch mehr, wenn wir weiter zugeben, dafs die Rolle dieser unbestimmten phantasirten Person auch von einer Vorstellung anderen Gegenstandes, etwa eines Naturbildes, gespielt werden kann. Und man mufs thats\u00e4ehlich zugestehen, dafs die Phantasie durch die Musik bisweilen zu allerlei Vorstellungen von physischen Dingen und Vorg\u00e4ngen, unter Anderem auch von handelnden und leidenden Personen, angeregt wird. Die durch die Musik zum Ausdruck gebrachten Gef\u00fchle k\u00f6nnen dann solchen Personen (Dingen, Vorg\u00e4ngen) zugeschrieben werden, es k\u00f6nnen dieselben Gegenstand der Einf\u00fchlung sein. Aber die Erfahrung scheint mir eher daf\u00fcr zu sprechen, dafs man sich doch nicht so innig und intensiv mit diesen Phantasiegebilden besch\u00e4ftigt, wie es die Einf\u00fchlung mit sich br\u00e4chte. Mit voller Bestimmtheit jedoch l\u00e4fst sich sagen, dafs diese Phantasiegebilde oft genug trotz unzweifelhaft vorhandener Einf\u00fchlung gar nicht gegenw\u00e4rtig, also zum Zustandekommen der Einf\u00fchlung keineswegs unerl\u00e4fslieh sind. Ja unter","page":38},{"file":"p0039.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n39\nUmst\u00e4nden sind sie dem rein musikalischen Genufs geradezu abtr\u00e4glich und hinderlich, Gegenstand der Einf\u00fchlung mufs also doch noch etwas Anderes sein k\u00f6nnen als diese Gebilde der Einbildungskraft. Aufser ihnen ist aber nichts Anderes vorhanden als die geh\u00f6rte Musik selbst. Warum sollte es nicht einfach diese selbst sein k\u00f6nnen? Es w\u00e4re damit nichts weiter verlangt, als dafs die musikalischen Wahrnehmungsvorstellungen mit den\" Vorstellungen der einzuf\u00fchlenden Gef\u00fchle zusammen eine Complexion eingehen, so dafs diese Gef\u00fchle der geh\u00f6rten Musik gewissermaafsen anhaftend erscheinen m\u00fcfsten. Gerade das aber findet in der nat\u00fcrlichen und ungezwungenen Auffassung des wirklichen Sachverhaltes seine Best\u00e4tigung. Der Charakter der Trauer, der Fr\u00f6hlichkeit etc. haftet der Musik selbst an. Wir verbinden also durch irgend eine noch n\u00e4her zu bestimmende Relation die Vorstellungen der einzuf\u00fchlenden emotionalen Thatsachen mit der Wahmehmungsvorstellung der vernommenen musikalischen Gebilde, und die so entstehende, aus physischen und psychischen Bestandst\u00fccken zusammengesetzte Complexion ist Gegenstand des musikalischen Genusses.\nDie zweite Frage: \u201eWas f\u00fcr psychische Thatsachen werden ein gef\u00fchlt?\u201c ist bei der Musik ohne Weiteres zu beantworten: Emotionale; vorwiegend Gef\u00fchle, sowohl der Lust- wie der Unlustreihe. Diesen Gef\u00fchlen fehlt \u2014 es sind ja nur vorgestellte Gef\u00fchle \u2014 in der Regel die intellectuelle Voraussetzung, und daher auch die Charakteristik, die den Gef\u00fchlen unmittelbar durch ihre Voraussetzung gegeben ist. Dagegen eignet ihnen wohl die qualitative Charakteristik, welche durch die zeitlichen und intensiven Verh\u00e4ltnisse sowohl, wie durch die Empfindungen von den physischen Begleiterscheinungen ausgemacht wird. Daher die Schwierigkeit, meist Unm\u00f6glichkeit, die durch ein bestimmtes Musikst\u00fcck zum Ausdruck gebrachten Gef\u00fchle an bestimmte Vorg\u00e4nge anzukn\u00fcpfen, zu benennen, ihrer Art nach zu bestimmen. Man kann nur sagen, ob sie der Lust- oder Unlustreihe, den excitativen oder depressiven, ruhigen oder erregten Affecten zugeh\u00f6ren. Nicht eine Qualit\u00e4tenarmuth ist damit behauptet, sondern nur die zum Theil auch sprachlich begr\u00fcndete Unm\u00f6glichkeit der Einordnung in die concreten Ge-f\u00fchlsspecies.\nAuch die dritte Frage beantwortet sich von selbst. Geh\u00f6rseindr\u00fccke, und zwar geordnet in Melodie, Rhj\u00fchmus und Har-","page":39},{"file":"p0040.txt","language":"de","ocr_de":"40\nStephan WUasek.\nmonie, mit ihrem ganzen Reiehthum der Ton- und Klang-qualit\u00e4ten sowie Intensit\u00e4ten, sind es, die das Spiel der Einf\u00fchlung d. h. also die anschaulichen Vorstellungen der einzuf\u00fchlenden Emotionen anregen.\nDie ersch\u00f6pfende Beantwortung der vierten Frage f\u00fchrt in die tiefsten, musikpsychologischen Probleme, deren exacte, ins Einzelne gehende L\u00f6sung hier nicht wohl verlangt noch erwartet werden kann. Doch glaube ich wenigstens den Grundgedanken einer solchen auseinandersetzen zu k\u00f6nnen.\nEs wirken zum Zustandekommen der Gef\u00fchlsvorsteiiung mehrere Momente zusammen.\nJede Musik macht unmittelbar den Eindruck entweder positiver oder negativer Lustaffection, ist unmittelbar heiter oder traurig, d. h. erweckt unmittelbar die Vorstellung von Lust oder Unlust. Eine vor dem Forum exacter Psychologie standhaltende Erkl\u00e4rung daf\u00fcr kann ich nicht geben. Aber es ist Thatsache. Das Hauptmerkmal der zu reproducirenden Gef\u00fchlsvorsteiiung ist so geliefert.\nDie Musik ist jedoch bedeutend ausdrucksf\u00e4higer, sie l\u00e4lst eine viel reichere Variation in ihrem Ausdruck zu als die Zweiheit von Lust und Unlust; \u00fcberdies liefse sich blofse abstract\u00bb Lust, Unlust anschaulich gar nicht vorstellen. Aber gerade so wenig als es ein Gef\u00fchl (nicht als psychologische Abstraction, sondern als wirklichen lebendigen psychischen Zustand) giebt, das nur Lust oder Unlust w\u00e4re, und sonst keine anderen Bestimmungen h\u00e4tte, gerade so wenig giebt es eine concret\u00a9 Musik, die nur jene Bestimmung an sich hat, um deren willen sie Lustoder Unlustcharakter zeigt ; die concreten, rhythmischen, tonalen und dynamischen Verh\u00e4ltnisse gehen dar\u00fcber hinaus. Dies\u00a9 sind es, welche die Reproduction jener Elemente bewirken, die die Gef\u00fchlsvorstellung zur anschaulichen vervollst\u00e4ndigen.\nSolche Elemente haben wir zweierlei namhaft gemacht: Absolute, n\u00e4mlich die Empfindungen der physischen Begleit-thatsachen des Gef\u00fchls, und relative, Intensit\u00e4t^- und Zeitverh\u00e4ltnisse des Ablaufs. Die Reproduction dieser Elemente geschieht auf zweifachem Wege, der aber beide Male durch Aehn-lichkeitsassociation gebahnt ist.\nErstens ist es eine leicht und vielfach zu beobachtende Thatsache, dafs die (Wahrnehmungs- sowie Einbildungs-) Vorstellungen von musikalischen Gebilden Vorstellungen von Be-","page":40},{"file":"p0041.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n41\nwegnngen un.d zwar sowohl visuell\u00a9 wie kin\u00e4sthetische, associativ wachrafen. Es besteht eben eine gewisse Aehnlichkeit zwischen bestimmten Tongebilden einerseits und bestimmten Bewegungen andererseits : die Aehnlichkeit der \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c (des fundirten Inhalts), die vornehmlich durch das vollkommen gemeinsame Element der zeitlichen Vertheilung, des Rhythmus, wohl aber auch durch die Gleichartigkeit der Ver\u00e4nderung der Tonqualit\u00e4t (der Ton-\u201eBewegung\u201c) mit der der r\u00e4umlichen Bestimmung vermittelt wird. \u2014 Da nun im, complex\u00e9e, psychischen Zustand des \u201eGef\u00fchls\u201c die Empfindungen von Bewegungen ebenfalls enthalten sind, so werden diese reproducirten Bewegungsvorstellungen, besonders soweit es sich dabei um Ausdrucksbewegungen handelt, ihrerseits zur Vervollst\u00e4ndigung der Vorstellung des Gef\u00fchls beitragen. \u2014\nNoch -wichtiger und 'wirksamer Jedoch scheint mir der folgende zweite Weg.\nDie darzustellenden Gef\u00fchle sind, gerade so wie die zur Darstellung verwendeten musikalischen Gebilde, zeitlich ausgedehnte, complex\u00a9 Gebilde, jene psychische, diese physische. Wie jeder Complex ist auch der das Gef\u00fchl ausmachende Complex einerseits durch die Art seiner Elemente (Bestandst\u00fccke), andererseits wesentlich durch die Art der Zusammensetzung dieser Elemente, ihre Anordnung, ihre gegenseitigen Verh\u00e4ltnisse, kurz seine \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c charakterisirt Biese Gestaltqualit\u00e4ten k\u00f6nnen nun auch bei v\u00f6lliger Verschiedenheit der Elemente gleich sein. Man kann eine Gestaltqualit\u00e4t, die in einer bestimmten Complexion durch bestimmte Element\u00a9 gegeben ist, durch geeignete Zusammenordnung v\u00f6llig anderer Element\u00a9 nachbilden, wodurch man eine Complexion erh\u00e4lt, die zwar von den Elementen der ersten Complexion verschiedene Elemente, wohl aber mit ihr gleiche Gestalt hat, und ihr sonach \u00e4hnlich ist So l\u00e4fst sich eine Melodie transponiren. Bas Trans-poniren geht aber viel weiter und di\u00a9 Verschiedenheit der Elemente, di\u00a9 noch von m\u00f6glicher Gleichheit der Gestaltqualit\u00e4t \u00fcberspannt wird, ist bedeutend gr\u00f6fser, ja sie ist \u00fcberhaupt nur' dadurch begrenzt, dafs die verschiedenen Elemente geeignet sein m\u00fcssen, in die die Gestaltqualit\u00e4t ausmachenden bestimmten Verh\u00e4ltnisse zu einander zu treten, sie nachzubilden. Von der Aehnlichkeit zwischen Tongebilden und Bewegungen war schon oben die Rede. Sie beruht auf dem eben Bargelegten. Bas","page":41},{"file":"p0042.txt","language":"de","ocr_de":"42\nStephan Witasek.\nGleiche gilt von den Aehnlichkeitsbezieh ungen, die unleugbar zwischen gewissen Farbencombinationen und Gem\u00fcthsstimmungen bestehen. Das zarte Abendroth, das am fernen Horizont im d\u00e4mmerig leuchtenden, durchscheinenden Blau des Himmels zergeht, ist? ein Bild der Sehnsucht. Besonders aber scheinen die T\u00f6ne geeignet zu sein, gerade jene Gestaltqualit\u00e4ten nachzubilden, die die Gef\u00fchle zeigen ; und durch kein Material lassen sich Gef\u00fchle so gut anschaulich zur Darstellung bringen wie durch T\u00f6ne. Und indem sie die Gestaltqualit\u00e4t des darzustellenden Gef\u00fchles nachbilden, bringen sie diese Charakteristik desselben nicht etwa nur reproductiv, sondern ganz direct, geradezu durch Wahrnehmung zur Vorstellung. Daher die allgemein verst\u00e4ndliche Sprache der Tonkunst.\nDas sind meines Erachtens die beiden Hauptwege, auf denen sich die Einf\u00fchlungsvalenzen der Tonkunst geltend machen. Der \u00fcberaus wirksame Beitrag, den auch Klangfarbe und Harmonie zur musikalischen Charakteristik liefern, l\u00e4fst sich im Wesentlichen nach derselben Formel verstehen. Ich unterlasse die Aus f\u00fchrung der Analyse um mich nicht zu wiederholen. Es sei nur darauf aufmerksam gemacht, dafs auch der Klangfarbe und Harmonie, gerade so wie der Melodie, neben der charakteristischen Sch\u00f6nheit, besser dem Charakterisirungsgehalte, eine formale Sch\u00f6nheit zukommt.\nDie letzte Frage ist die, wie es kommt, dafs die Vorst eil ungen der eingef\u00fchlten Gef\u00fchle mit den geh\u00f6rten musikalischen Gebilden in eine Complexion verbunden werden. Die Schwierigkeit dieser Frage liegt darin, dafs sie eine Erkl\u00e4rung daf\u00fcr zu fordern scheint, wieso denn musikalischen Gebilden Gef\u00fchle zugeschrieben werden und werden k\u00f6nnen. Gef\u00fchle k\u00f6nnen doch nur menschlichen und menschen\u00e4hnlichen Wesen zukommen. Wenn solchen Wesen Gef\u00fchle zugeschrieben werden, d. h. wenn solche Wesen als f\u00fchlend vorgestellt werden, so ist das in der Natur der Dinge begr\u00fcndet und daraus ohne Weiteres verst\u00e4ndlich. Wohl aber verlangt es eine eigene Erkl\u00e4rung, wie man dazu kommt, mit einem nicht menschen\u00e4hnlichen, auch nicht als solchem vorgestellten Dinge die Vorstellung von Gef\u00fchlen zu verbinden, Musik als f\u00fchlend vorzustellen.\nDiese Schwierigkeit existirt jedoch in Wahrheit gar nicht. Denn sehe ich recht und verstehe ich das Zeugnifs der inneren Wahrnehmung richtig, so schreibt man der Musik nicht im","page":42},{"file":"p0043.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n43\nselben Sinne Gef\u00fchl zu wie einem menschlichen Wesen. Dieses \u201eZuschreiben\u201c \u201ein \u00a9ine Complexion zusammennehmen\u201c kann ja in verschiedenem Sinne geschehen, je nach der Bedeutung der Relation, durch welche di\u00a9 Verbindung des Gegenstandes der Einf\u00fchlung mit dem vorgestellten Gef\u00fchle gedacht wird. Ist dieser Gegenstand ein menschliches oder ein anthropomor-phdsirtes Wesen, so wird die Verbindung in der Regel so gedacht werden, wie sie zwischen dem Tr\u00e4ger psychischen Lebens und seinen psychischen Aeufserangen thats\u00e4chlich besteht, n\u00e4mlich als Function, d. h. es wird als f\u00fchlend vorgestellt In anderen F\u00e4llen w\u00e4re diese Art der Verbindung der nat\u00fcrlichen Sachlage entgegen und m\u00fcfste in besonderen, k\u00fcnstlichen Bedingungen sein\u00a9 Begr\u00fcndung finden. Dagegen m\u00f6gen sich hier -wieder ander\u00a9 Arten der Verbindung durch die thats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnisse als nat\u00fcrlich erweisen. Es giebt ja eine Mannig-faltigkeit von Relationen, die zwei Gegenst\u00e4nde zu einer Com-plexion verbinden k\u00f6nnen. .\nEine solche andere Relation mufs es auch sein, die das Gef\u00fchl der Musik eingliedert; denn wir stellen die Musik nicht als f\u00fchlend vor, nichtsdestoweniger aber h\u00e4ngt das Gef\u00fchl an der Musik, es haftet ihr an, liegt in ihr. Wodurch ist also die Verbindung gegeben, durch die sich uns die Vorstellung des Gef\u00fchls sofort in die geh\u00f6rte Musik einf\u00fcgt? Ich glaube in der * Hauptsache durch eben dasselbe, was ich auch schon als Ursachen der Entstehung der Gef\u00fchls Vorstellung \u00fcberhaupt anzuf\u00fchren hatte. N\u00e4mlich durch Folgendes.\nDas Gef\u00fchl ist ein psychischer Complex, die Vorstellung des Gef\u00fchls eine Complexionsvorstellung. Die Bestandst\u00fccke (Elemente) derselben sind theils emotionaler, theils iete\u00fcectueller Natur. Die Bestandst\u00fccke allein und f\u00fcr sich .liefern aber noch nicht Alles, was das Gef\u00fchl in seiner Eigenart ausmacht Ein wesentliches, gesondert ohne die Bestandst\u00fccke allerdings nicht vorstellbares, \u00fcberaus wichtiges Charakteristikum ist durch die Art des Zusammenseins, das gegenseitige Verh\u00e4ltnis etc., der Bestandst\u00fccke, durch die \u201eGestaltqualit\u00e4t\u201c (den fundirten Inhalt) der Complexion gegeben. -\u2014 Das Gleich\u00a9 gilt von den musikalischen Gebilden : auch -hier Bestandst\u00fccke und Gestaltqualit\u00e4t Die Bestandst\u00fccke sind hier von denen des Gef\u00fchlscomplexes verschieden, n\u00e4mlich T\u00f6ne. Die Gestaltqualit\u00e4t jedoch ist die \u2022gleiche, ja kurzweg dieselbe. Es liegen also zwei Complexionen","page":43},{"file":"p0044.txt","language":"de","ocr_de":"44\nStephan Witasek.\nvor, die eine aus keiner von beiden herausl\u00f6sbare Bestimmung gemeinsam haben, durch diese also aneinander gebunden erscheinen. \u2014\nBas mufs der Grundgedanke der L\u00f6sung des R\u00e4thsels sein, ln weiterer Anwendung und Ausgestaltung \u2014 ' di\u00a9 ich mir an dieser Stelle allerdings versagen mufs \u2014 wird er sich, hoffe ich, immer mehr und mehr bewahren. \u2014\nIch h\u00e4tte nun noch den Mechanismus der Einf\u00fchlung bei den Raumk\u00fcnsten, besonders der ArcMtectur zu behandeln. Indefs verweise ich Mer auf die eingehenden Auseinandersetzungen, die gerade dieser Sache schon vielfach gewidmet worden sind. Die reiche Menge von Beobachtungen, die sie enthalten, bew\u00e4hrt ihren Werth auch f\u00fcr die von mir vertretene Auffassung und l\u00e4fst sich unschwer in deren Sinne verstehen* Es ist ein Leichtes, sie auf die Formel der obigen Analysen zu bringen. Der Grundgedanke meiner Auffassung ist Mer der gleiche, wie in der Beantwortung der entsprechenden Fragen bei den vorhin behandelten Kunstgattungen. Ich unterlasse die Ausf\u00fchrung der Analyse, um Weitl\u00e4ufigkeiten zu vermeiden und nicht das von mir soeben und von Anderen bereits des \u00f6fteren Gesagte zu wiederholen.\nIV.\nEinf\u00fchlung und \u00e4sthetisches Verhalten.\nNun soll noch in K\u00fcrze das Verh\u00e4ltnis dargestellt werden, in welchem die Einf\u00fcMung, der eben entwickelten Analyse ge m\u00e4fs, zum \u00e4sthetischen Verhalten steht.\nEs ist wohl allgemein anerkannt, dafs der Kem des \u00e4sthetischen Verhaltens im Gef\u00fchl liegt Dabei ist nat\u00fcrlich mit \u00e4sthetischem Verhalten nicht \u00e4sthetische Kritik gemeint \u2014 diese ist, wie jede Kritik, Sache des Urtheils \u2014 sondern der Zustand des Bewufstseins, der sich, durch die Betrachtung des \u00e4sthetischen Gegenstandes unmittelbar hervorgerufen, entweder Ms Wohlgefallen oder Mifsfallen darstellt und erst die Grundlage eines allf\u00e4lligen \u00e4sthetischen Urtheils abgiebt Wohlgefallen oder Missfallen dagegen liegt dort vor, wo em Gegenstand unmittelbar durch seine blofse Betrachtung Lust bezw. Unlust erregt. Solche Lust oder Unlust ist dann \u00e4sthetisches Gef\u00fchl und das, worin das wesentliche Hauptmoment des \u00e4sthetischen Verhaltens liegt.","page":44},{"file":"p0045.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n45\nIst dem so, so kann di\u00a9 Einf\u00fchlung nicht das WesentHch\u00a9 des \u00e4sthetischen Verhaltens sein; denn di\u00a9 Einf\u00fchlung ist nicht wirkliches F\u00fchlen, sondern, Vorstellung von, Gef\u00fchlen.\nIch weifs, dafs ich damit in Gegensatz zu nachdr\u00fccklichst vertretenen Theorien gerathe, vornehmlich zu Lipps, der Einf\u00fchlung und \u00e4sthetisches Verhalten ohne Weiteres identificirt1 Es soi hier nicht untersucht werden, inwieweit dieser Gegensatz etwa nur in Verschiedenheiten der Terminologie liegt, und warum eine auf den Begriff der BmfuMimg eingeschr\u00e4nkte Bedeutung des Wortes \u201e\u00e4sthetisch\u201c unstatthaft erscheint Ich wiU vielmehr sofort noch einige weitere Gesichtspunkte zu Gunsten der bereits oben begr\u00fcndeten Auffassung, dafs Einf\u00fchlung und \u00e4sthetisches Verhalten nicht zusammenfallen, anf\u00fchren.\n1.\tDas \u00e4sthetische Verhalten ist entweder Wohlgefallen oder Mifsfallen. Die beiden gegens\u00e4tzlichen Zust\u00e4nde zeigen deutlich da\u00bb charakteristische gegenseitig\u00a9 Verh\u00e4ltnis von Lust und Unlust. Di\u00a9 Einf\u00fchlung an sich dagegen ist weder Lust noch Unlust. Wodurch auch sollte sie diesen Gegensatz erzeugen k\u00f6nnen? Die Einf\u00fchlung in \u00a9inen Zustand der Unlust kann lustvoll sein, und umgekehrt di\u00a9 Einf\u00fchlung in \u00a9inen Zustand der Lust unlustvoll; aber auch lustvoll, welch letzteres bei jeder Einf\u00fchlung der h\u00e4ufigste FaE sein d\u00fcrfte. Jedoch nicht an sich, ist sie Lust oder Unlust; sie ist nur deren Quelle, Anregung, Ursache, Voraussetzung.\n2.\tEs giebt \u00e4sthetisch\u00a9 Lust und Unlust ohne Einf\u00fchlung. Der Anblick einer gef\u00e4lligen Tapete, einer geschmackvollen Damentoilette gew\u00e4hrt \u00e4sthetisches Vergn\u00fcgen, ohne doch f\u00fcr gew\u00f6hnlich der Einf\u00fchlung Raum zu bieten. Auch aus dem, Gebiete des Kunstsch\u00f6nen lassen sich Beispiele daf\u00fcr aufzeigen; freilich hat da v\u00f6llige Ueberzeugungskraft fast nur die lebendige, wirkliche Praxis der Kunstbetrachtung, denn es l\u00e4fst sich kaum von einem Dinge reden, das nicht, als Gegenstand der Einf\u00fchlung gedacht werden k\u00f6nnte, wenn es auch, im Leben gelegentlich doch \u00e4sthetisch genossen wird, ohne eben Einf\u00fchlung anzuregen. Am leichtesten, d\u00fcrfte es sich an Gegenst\u00e4nden relativ einfacher Art aus der Empirie best\u00e4tigt finden, dafs sie \u00e4sthetisches Wohlgefallen oder Mifsf allen ohne Einf\u00fchlung her-vorrufen, so an Farben, T\u00f6nen. Aber auch an manche zu-\n1 Vgl. z. B. diese Zeitschrift 22, 8. 418.","page":45},{"file":"p0046.txt","language":"de","ocr_de":"46\nStephan Witasek.\nsammengesetztere Gegenst\u00e4nde mag hier erinnert werden. Regel-m\u00e4fsige geometrische K\u00f6rper, in kleinem Maafsstab ausgef\u00fchrt, z. B. ein Octaeder, ein Tetraeder, sind entschieden \u00e4sthetisch wohlgef\u00e4llig, ohne, wenigstens f\u00fcr gew\u00f6hnlich, von Einf\u00fchlung viel versp\u00fcren zu lassen. Das Gleiche gilt von manchen \u2014 meist geringe Dimensionen aufweisenden \u2014Naturgegenst\u00e4nden; z. B. den bunt gef\u00e4rbten Kieselsteinen, an denen sich das Kind erfreut, oder sonst einem sch\u00f6nen Mineral.\nGewisse Farbencombinationen, vor allem die von Comple-ment\u00e4rfarben, sind unmittelbar wohlgef\u00e4llig, andere mifsf\u00e4llig; dies zu versp\u00fcren bedarf es keiner Einf\u00fchlung. Ja, kommt diese dazu, so kann sogar die unmittelbar mifsf\u00e4llige Combination \u00e4sthetischen Werth erhalten. Die satten Farben sind unmittelbar wohlgef\u00e4lliger als die matten, durch Einf\u00fchlung jedoch kann der Werth der letzteren erheblich gesteigert werden.\nMan kann bisweilen gegebenen Gegenst\u00e4nden gegen\u00fcber vom Einf\u00fchlungsfactor ganz gut absehen, ohne dadurch deren Absch\u00e4tzung nach sch\u00f6n und weniger sch\u00f6n und das Gef\u00fchl daf\u00fcr aufzuheben. Fechnee\u2019s Rechtecke von gleichem Fl\u00e4cheninhalt aber verschiedenem Seitenverh\u00e4ltnis d\u00fcrften ein brauchbares Beispiel daf\u00fcr abgeben.\nSchliefslich erinnere man sich daran, dafs zum Zustandekommen der Einf\u00fchlung immerhin ein gewisser Aufwand psychischer Energie erforderlich ist, der bei fl\u00fcchtigem, oberfl\u00e4chlichem, \u201eleichtem\u201c Kunstgenufs zumeist nicht aufgebracht wird. Der Bierphilister versenkt sich nicht in den Gehalt der Musik, die er h\u00f6rt, oder der Gem\u00e4lde, die er in der Ausstellung sieht ; ein grofser Theil der modernen Kunst ist ihm daher \u00fcberhaupt ganz verschlossen. An vielem Anderen aber hat er trotzdem seine Freude, \u00e4sthetische Freude.\nAus all dem geht hervor, dafs es \u00e4sthetisches Verhalten ohne Einf\u00fchlung giebt.\n3. Es giebt aber auch umgekehrt Einf\u00fchlung ohne \u00e4sthetisches Verhalten. Die markantesten F\u00e4lle dieser Art zeigen sich wohl im ethischen Zusammenleben der Menschen. Ein Grofstheil der Unterschiede ethischer Beanlagung liegt darin, dafs der eine mehr, der andere weniger, der dritte gar nicht im Stande ist, sich in die Lage seines Nebenmenschen zu versetzen und sich anschaulich vorzustellen, wie es ihm innerlich zu Muthe ist. Das herzlichste, w\u00e4rmste, unmittelbarste Mitgef\u00fchl ist im Gefolge","page":46},{"file":"p0047.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse, der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n47\nsolcher Verstellungen. Hohe ethische Entfaltung liegt oft nur in der F\u00e4higkeit begr\u00fcndet, sich einzudenken, einzuf\u00fchlen in den N\u00e4chsten. Und die sch\u00f6nste Bl\u00fcthe der Liebe und Freundschaft, ihr k\u00f6stlichster Genufs ist das Versenken der Seelen ineinander.\nAber auch sonst im Leben, nicht nur im ethischen Verhalten, spielt die aufser\u00e4sthetische Einf\u00fchlung eine Rolle. Der Erzieher malt sich ein Bild vom Seelenleben seines Z\u00f6glings aus, und je vollst\u00e4ndiger es ihm gelingt, desto eher erreicht er sein Zieh Der Richter, der Diplomat bedient sich oft des gleichen Weges, um zu seinem Zweck zu gelangen. Auch der Psychiater wird durch seine Berufst\u00e4tigkeit dazu gef\u00fchrt; und das aufser* berufliche Alltagsleben liefert noch in den retrospectiven Selbst* bespiegelungen mehr oder weniger sentimental, oft krankhaft veranlagter Individuen (Einf\u00fchlung ins eigene Ich vergangener Zeiten) ein deutliches Beispiel. Auch erinnere ich an die Praxis des Mimikers und eines Jeden, der den \u00e4ufseren Habitus, die Haltung und die Ausdrucksbewegungen verschiedener Personen gut nachzuahmen versteht. Er legt es nicht darauf an, die einzelnen charakteristischen Z\u00fcge und Bewegungen zu treffen, sondern er h\u00e4lt sich m\u00f6glichst anschaulich das Gesammtbild des inneren Zustandes der nachzuahmenden Person, wie es sich in ihrem Aeufseren spiegelt, vor Augen, er f\u00fchlt sich in sie ein, und gelingt ihm das, so l\u00f6sen sich ihm als unmittelbare Folge davon die dazu geh\u00f6rigen Ausdrucksbewegungen gewisser-ma&Tsen von selbst und viel sicherer aus, als wenn er nach dem aufseren Bild derselben eine nach der anderen einzeln nachzubilden sich bestrebte.\nEinf\u00fchlung und \u00e4sthetisches Verhalten sind also nicht identisch, sie stehen nur in naher Beziehung zu einander. Welcher Art diese Beziehung ist, wollen wir sogleich sehen. Es soll nur noch daran erinnert werden, dafs die Unterscheidung von \u00e4sthetischem Verhalten mit und ohne Einf\u00fchlung die Schwierigkeiten der begrifflichen Abgrenzung von formaler und charakteristischer Sch\u00f6nheit, sowie von Form und Gehalt, zu beheben in hohem Grade geeignet ist.\nIn welchem psychischen Zusammenh\u00e4nge, in welcher psychologischen Beziehung steht nun also die Einf\u00fchlung zum \u00e4sthetischen Verhalten?","page":47},{"file":"p0048.txt","language":"de","ocr_de":"48\nStephan Witanek.\nDer Kern des \u00e4sthetischen Verhaltens Hegt im Gef\u00fchl, das, je nachdem es Lust oder Unlust ist, Wohlgefallen oder Mifs-fallen ausmacht Dafs dieser Gef\u00fchlszustand zu einem specifisch-\u00e4sthetiachen \u2014 im Unterschied etwa zum ethischen etc. \u2014 wird, liegt in der Eigenart des Gef\u00fchls begr\u00fcndet: Nur das \u00e4sthetisch\u00a9 Gef\u00fchl leistet hier das Erforderliche. Durch welche Besonderheit wird nun ein Gef\u00fchl zum \u00e4sthetischen?\nWir sind der Ueberzeugung gefolgt, dafs die quahtativen Verschiedenheiten der concreten \u201eGef\u00fchle\u201c zun\u00e4chst nicht durch Qualit\u00e4tsverschiedenheiten ihres emotionalen Elementes bedingt sind, denn dieses ist nur zweierlei Qualit\u00e4ten f\u00e4hig: Lust und Unlust ; sondern dafs es vornehmlich die inteUectuellen Elemente des als concretes \u201eGef\u00fchl\u201c sich darstellenden psychischen Complexes sind, die seine Eigenart bestimmen. Zu diesen inte\u00fcec-tuellen Elementen geh\u00f6ren vor Allem die Gef\u00fchlsvoraussetzungen. Je nachdem dieselben Vorstellungen oder Urtheile sind, lassen sich Vorstei lungs- und Urtheilsgef\u00fchle unterscheiden.\nDie \u00e4sthetischen Gef\u00fchle sind Vorstellungsgef\u00fchle.1 Denn di\u00a9 \u00e4sthetisch\u00a9 Lust oder Unlust ist lediglich bedingt durch die Betrachtung des Objectes, durch das Vorhandensein der anschaulichen (Wahrnehmungs- oder Einbildungs-) Vorstellung von demselben. Seine wirkliche Existenz, ein wesentliches Erfordernde z. B. des ethischen Verhaltens, kurz alles, was Urtheilssache ist, bleibt f\u00fcr die \u00e4sthetische Betrachtung gleichg\u00fcltig.2 Zu bestimmen, welcher Art die Vorstellungen sein m\u00fcssen, die die Voraussetzung \u00e4sthetischer Gef\u00fchle bilden k\u00f6nnen, oder gar, wovon es abh\u00e4ngt, ob sie \u00e4sthetische Lust oder Unlust hervor-rufen, d\u00fcrfen wir uns an dieser Stelle ersparen. Denn wir haben bereits die Antwort auf unsere Frage: Dort, wo zum Zustandekommen \u00e4sthetischen Verhaltens die Einf\u00fchlung mitwirkt, ist sie, als anschauliches Vor-\n1 Diese Charakteristik des \u00e4sthetischen Gef\u00fchls scheint mir sehr gut in Einklang zu stehen mit der Auffassung maafsgebender Aesthetiker. Sie sagt \u2014 allerdings in psychologisch exactem Ausdruck \u2014 dasselbe, was Grqos mit dem \u201efreiwilligen Verweilen im Eindr\u00fccke\u201c (Spiele der Menschen, S. 421, u. an vielen anderen Orten) meinen d\u00fcrfte, und was auch Lipps z. B. wieder in seinem dritten \u00e4sthetischen Literaturbericht (Archiv f. syst Philosophie 6, 378 f ) als seine Ansicht zum Ausdruck gebracht hat.\na Vgl. Meinong, Psycholog -ethische Untersuchungen zur Werththeorie, Graz 1894, S. 31 ff. und H\u00f6fler, Psychologie, Wien 1897, S. 394 ff. \u2014","page":48},{"file":"p0049.txt","language":"de","ocr_de":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung.\n49\nstellen psychischer Thatsachen, Voraussetzung des \u00e4sthetischen Gef\u00fchls.\nIch gelbe damit nur die analysirende Beschreibung des psychischen Zusammenhanges zwischen Einf\u00fchlung und \u00e4sthetischem, Verhalten und lasse die Frage nach der Erkl\u00e4rung daf\u00fcr, wie es kommt, dafs die Vorstellungen psychischer Thatsachen Lust bezw. Unlust erregend wirken k\u00f6nnen, unbeantwortet. Erkl\u00e4rungen des Einf\u00fchlungsgenusses sind bereits mehrfach versucht worden. So sagt z. B. Lipps 1 : Der \u00e4sthetische Genufs \u201ehegt begr\u00fcndet in dem, Einklang des Eigenen und des Fremden, in der durch die Einwirkung von aufsen geweckten und durch di\u00a9 Einstimmigkeit mit ihr gesteigerten und in sich selbst frei gemachten Beth\u00e4tigung meines eigenen Wesens, in dieser eigenen Art, in einem, objectiv bedingten Erleben mich selbst frei auszuleben\u201c und findet den Kern des \u00e4sthetischen Genusses in \u201ebegl\u00fcckendem Sympathiegef\u00fchl\u201c. Solche Erkl\u00e4rungen liegen bereits jenseits der Ziele dieser Arbeit. Immerhin sei daran erinnert, dafs es von vornherein gar nicht ausgemacht ist, ob es \u00fcberhaupt ein h\u00f6heres Princip, eine allgemeinere Gesetzm\u00e4fsig-keit giebt, auf die sich zum Zwecke der Erkl\u00e4rung der Causal-zusammenhang zwischen anschaulicher Vorstellung von Psychischem und \u00e4sthetischem Gef\u00fchl zur\u00fcckf\u00fchren l\u00e4fst. Wenigstens haben sich, die Thatsachen, der formalen Sch\u00f6nheit einer allgemeinen erkl\u00e4renden, Zur\u00fcckf\u00fchrang bisher noch ziemlich widerspenstig erwiesen. Vielleicht mufs man, sich hier wie dort mit der blofsen Anerkennung des Causalverh\u00e4ltnisses als letzter That-sache begn\u00fcgen.\nIndessen kann ich mich in eine weitere Untersuchung dieser Angelegenheit nicht weiter einlassen und mufs es mir an dieser Stelle versagen, den zahlreichen F\u00e4den nachzugehen, die von, den, Ergebnissen der vorliegenden Arbeit zur kl\u00e4renden Beleuchtung so mancher \u00e4sthetischer Einzelfrage hin\u00fcberf\u00fchren.\n1 Diese Zeit sehr. 22, 426.\n(Eingegangen am 15. November 1900.)\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie \u00e45.\n4","page":49}],"identifier":"lit31424","issued":"1901","language":"de","pages":"1-49","startpages":"1","title":"Zur psychologischen Analyse der \u00e4sthetischen Einf\u00fchlung","type":"Journal Article","volume":"25"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:27:04.634970+00:00"}