Open Access
{"created":"2022-01-31T15:09:01.209325+00:00","id":"lit31427","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kramer, F.","role":"author"},{"name":"G. Moskiewicz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 25: 101-125","fulltext":[{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"(Ans dem psychologischen Laboratorium der Universit\u00e4t Breslau.)\nBeitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen.\nVon\nF. Kramer und G. Mosdbwicz.\nDie folgenden Versuche, die auf Anregung von Herrn Prof. Ebbinghaus angestellt sind, besch\u00e4ftigen sich mit der Reproduction von Lagen und Bewegungen unserer H\u00e4nde. Der gemeinsame Gesichtspunkt aller dieser Untersuchungen liegt darin, die Genauigkeit dieser Reproduction unter m\u00f6glichster Ver\u00e4nderung der beim Zustandekommen der Lage- und Bewegungsvorstellungen betheiligten Factoren festzustellen und so einigen Aufschlufs \u00fcber die Bedeutung dieser Factoren zu erhalten. Gleichzeitig konnten wir dabei auch der Frage nach der Unter-schiedsschwelle bei Bewegungsempfindungen n\u00e4her treten.\n1. Versuche \u00fcber Lageempfindungen.\nEs soll die Genauigkeit bestimmt werden, mit der eine von uns fixirte Lage reproducirt werden kann. Hierbei ist zu untersuchen, in wie weit sich die Genauigkeit \u00e4ndert, je nachdem die fixirte Lage von derselben oder von der anderen Hand reproducirt wird ; ferner je nachdem die Versuchsperson passiv in die zn reproducirende Lage gebracht wird oder sie activ einnimmt. Schliefslich wenn der Ort, in dem die Reproduction stattfindet, und die Spannung der bei der Bewegung betheiligten Muskeln variirt werden. A \u00e4hnliche Versuche sind bereits von M. A. Bloch1 gemacht worden. Unsere Versuchsanordnung ist der semigen nachgebildet und besteht in Folgendem:\n1 Revue scientifique (10). 1890.","page":101},{"file":"p0102.txt","language":"de","ocr_de":"102\nF, Kramer und G. Moskiexcicz.\nDie Versuchsperson safs mit verbundenen Augen vor einer horizontal ausgespannten Papierfl\u00e4che in ihrer Lage durch ein\u00a9 Kinnklammer fixirt. Auf der rechten Seite der Papierfl\u00e4che wurden 9 Punkte ausgew\u00e4hlt, welche in Reihen zu je 3 in verschiedenen Abst\u00e4nden vom, K\u00f6rper lagen. Die 3 Reihen waren vom, K\u00f6rper _ 20, 32 und 44 cm, entfernt Die Abst\u00e4nde der einzelnen, Punkte einer Reihe von der Medianlinie betrugen 8, 20 und 32 cm. Alle diese Punkte lagen, also in dem, der Hand bequem zug\u00e4nglichen Bereiche. Es wurde nun der Zeigefinger der Versuchsperson vom, Versuchsleiter auf je einen dieser 9 Punkte gebracht, einige Augenblicke dort, liegen gelassen und dann von, der Versuchsperson selbst wieder vom Tisch entfernt Nach einer kurzen durch das Metronom festgesetzten, Zeit (ca. 4 Sec.) versuchte nun die Versuchsperson diesen, Punkt mit derselben, Hand wieder zu finden. Eine 2. Versuchsreihe bestand darin, dafg die Hand der Versuchsperson vom, Versuchsleiter nicht auf den betreffenden Punkt gebracht wurde, sondern dieselbe sich von vornherein den zu reproducirenden Punkt von selbst w\u00e4hlte. Damit jedoch diese Punkte in ihrer Lage nicht zu sehr von den Punkten der ersten Versuchsreihe ab wichen* wodurch eine directe Vergleichung beider Reihen unm\u00f6glich w\u00e4re, wurde die Versuchsperson angehalten, sich in der Wahl der 9 Punkte m\u00f6glichst an, die 9 Punkte der ersten Versuchsreihe zu halten. So wurde es erreicht, dafg die Lage der 9 selbstgew\u00e4hlten Punkte von der der gegebenen nicht wesentlich ab wich und dadurch \u00a9ine Vergleichung beider Reihen erm\u00f6glicht. Diese Versuche sind l\u00e4ngere Zeit an, einer und derselben Person fortgesetzt worden. Es wurden je sieben Versuchsreihen verwerthet; die ersten noch ziemlich unzuverl\u00e4ssigen Resultate sind hierbei nicht ber\u00fccksichtigt.\nDie Resultate dieser Versuchsreihen sind folgende : Zun\u00e4chst zeigte sich eine deutliche stetig mit der Uebung wachsende Genauigkeit Diese wurde durch wochenlang fortgesetzte Uebung schliefglich so grofs, dafg, w\u00e4hrend bei der ersten verwerteten Versuchsreihe (Durchschnittswerth aus 54 Einzolversuchen) di\u00a9 Abweichung des reproducirten Punktes vom urspr\u00fcnglichen 3,6 cm war, sie nach der dritten Woche bei der letzten (7.) Versuchsreihe nur 1,1 cm betrag. Ja diese einmal erlangte Uebung war so fest erworben, dafs sie sich bei derselben Versuchsperson noch nach 1 Jahre, w\u00e4hrend dessen keinerlei Ver-","page":102},{"file":"p0103.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen. 103\nsuche gemacht worden waren, nachweisen liefs, indem bei einer einmaligen Wiederholung der Versuche der durchschnittliche Fehler aus 36 Einzelversuchen 1,6 cm betrug, im Gegensatz zu einem Fehler von 3,6 cm bei den ersten Versuchen des Jahres\nvorher.\nDie Resultate weisen ferner einen deutlichen Unterschied in der Genauigkeit der Reproductionen auf, je nachdem der zu reproducirende Punkt der Versuchsperson gegeben, oder von ihr frei gew\u00e4hlt wurde. Es seien zun\u00e4chst einige Einzelversuche angef\u00fchrt, und zwar sind die Resultate der ersten Versuchsreihe mit gegebenem Punkte den der zweiten mit frei gew\u00e4hltem Punkte gegen\u00fcbergestellt\nVersuchsperson Herr cand. med. Walther EL\n(Die Zahlen bedeuten die Entfernung des reproducirten Punktes vom\ngegebenen in mm ausgedr\u00fcckt.)\nVersuchs-\tDer Punkt ist\tDer Punkt wird\nreihe\tgegeben\tfrei gew\u00e4hlt\n1.\t4,0\t2,8\n2.\t5,5\t2,7\n3.\t3,8\t. 2,8\n4.\t2,2\t1,5\n6.\t3,4\t2,7\n6.\t2,7\t2,1\n7.\t1,6\t1,5\n8.\t2,6\t1,4\n9.\t2,2\t1,3\n10.\t1,1\t0,8\nNehmen wir den Durchschnittswerth aus s\u00e4mmtlichen 189 Einzelversuchen, so betr\u00e4gt im ersten Falle die Abweichung 2,6 cm im zweiten Falle 1,9 cm. Bei frei gew\u00e4hltem Punkte wurde also dieser um 27 \u00b0/0 genauer reproducirt als bei gegebenem. Die Ursache dieser Erscheinung ist folgende:\nIm zweiten Falle bei frei gew\u00e4hltem Punkte war die zweite Bewegung, durch welche der Punkt wiedergefunden wurde, eine genaue Wiederholung der ersten Bewegung, mit der die Versuchsperson die Lage des Punktes bestimmte. Die Bewegungsempfindungen waren daher in beiden F\u00e4llen genau dieselben, deshalb mit einander gut vergleichbar, weshalb Fehler leicht gemerkt und vermieden werden konnten. Im ersten Falle, wo sich die Hand das erste Mal passiv, das zweite Mal activ be-","page":103},{"file":"p0104.txt","language":"de","ocr_de":"104\nF. Kramer und G. Moskiewicz.\nwegte, lagen die Bedingungen f\u00fcr eine Vergleichung viel ung\u00fcnstiger. Da n\u00e4mlich die einer activen Bewegung entstammenden Empfindungen den aus derselben aber passiven Bewegung hervorgehenden zwar \u00e4hnlich aber durchaus nicht gleich sind, da ja bei ersterem noch ein ganz anderer Factor, n\u00e4mlich das Bewnfstsein des willk\u00fcrlichen Handelns hinzukommt, so sind beide Empfindungscomplexe nicht unmittelbar mit einander vergleichbar. Fehler k\u00f6nnen also hier leicht entstehen, ohne gemerkt zu werden. Ein Unterschied in der Gr\u00f6fse der Abweichung bei den einzelnen Punkten, die wie gesagt alle dem Zeigefinger der Hand bequem erreichbar waren, liefs sich nicht nach weisen.\nUm den Einflufs festzustellen, den etwa die Muskelspannung auf die Lageempfindung aus\u00fcbt, wurde untersucht, in wie vreit sich durch k\u00fcnstlich\u00a9 Beeinflussung derselben die Genauigkeit der Reproduction \u00e4ndert. Diese Ver\u00e4nderung wurde dadurch erreicht, dafs die Bewegung bei der Reproduction gegen einen Widerstand erfolgte, zu dessen Ueberwindung eine vermehrte Spannung der betheiligten Muskeln erforderlich war. Dieser Widerstand wurde erreicht durch ein Gummiband oder durch ein Gewicht, die beide von dem Zeigefinger der rechten Hand in einer der Bewegung entgegengesetzten Richtung zogen. Das Gewicht war an einem Faden befestigt, der \u00fcber ein\u00a9 hinter der Versuchsperson angebrachte Rolle lief. Bei der Belastung mit dem Gewichte war die Muskelspannung bei der Reproduction gegen die erste Bewegung erh\u00f6ht, blieb aber w\u00e4hrend der ganzen Bewegung constant Unter dem elastischen Zuge des Gummibandes jedoch, dessen Spannung w\u00e4hrend der Bewegung stets gr\u00f6fser wird, mufsto dementsprechend auch die Muskel-Spannung stetig zunehmen. Hierbei ergab sich, dafs durch Einschaltung dieser Widerst\u00e4nde die Genauigkeit nicht wesentlich beeinflufst wurde.\nDie Abweichung vom gegebenen Punkte betrug (Versuchsperson Herr cand. med. Walther H.) :\n1.\tbei\tfrei\tsich bewegender Hand\t=\t2,05\tcm\n2.\tbei\tmit\tGewicht belasteter Hand\t=\t2,50\tcm\n3.\tbei\tmit\tGummiband belasteter Hand\t\u2014\t2,25\tcm.\nDie Differenzen der einzelnen Resultate sind hierbei so gering, dafs sich aus ihnen keine weiteren Schl\u00fcsse ziehen lassen.","page":104},{"file":"p0105.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen. 105\nDiese Resultate zeigen also, dafs trotz der ver\u00e4nderten \u00e4ufseren Bedingungen die Genauigkeit der Reproduction last die gleiche geblieben ist Eine Aenderung in der Spannung der Muskeln mufs nun auch auf die aus diesen stammenden Empfindungen ver\u00e4ndernd einwirken. Da wir nun trotz dieser Ver\u00e4nderungen keine wesentliche Beeintr\u00e4chtigung der Genauigkeit finden, so giebt uns dies wohl einen Hinweis darauf, dafs die ans den Muskeln stammenden, uns \u00fcber ihren Spannungszustand benachrichtigenden Empfindungen zur Beurtheilung einer Lage bezw. der zu ihrer Erreichung nothwendigen Bewegung ver-h\u00e4ltnifsm\u00e4fsig unwesentlich sind. Vielmehr geben uns die \u00fcbrigen Empfindungen gen\u00fcgend Anhalt f\u00fcr die Beurtheilung und erm\u00f6glichen es uns, dem st\u00f6renden Einflufs der ver\u00e4nderten Muskelspannung auszuweichen.\nGegen\u00fcber dieser Beobachtung, dafs die Beeinflussung des Muskels, eines bei der Bewegung doch ^wesentlich betheiligten Factors, die Genauigkeit der Reproduction nicht beeintr\u00e4chtigt, ist das Resultat der jetzt zu erw\u00e4hnenden Versuchsreihe doch immerhin recht auffallend.\nVon wesentlicher Bedeutung f\u00fcr die Genauigkeit erwies sich n\u00e4mlich die Lage des zu reproducirenden Punktes zum K\u00f6rper. Einer wirklich genauen Reproduction sind wir \u00fcberhaupt nur f\u00e4hig im Bereich eines Feldes, in dem unsere Hand sich vorliegend zu bewegen gewohnt und daher genauer abgemessene Bewegungen auszuf\u00fchren im Stande ist. In einer Lage aufser-halb dieses Bereiches, die auch die Versuchsperson als unbequem wahrnimmt, verringert sich sofort die Genauigkeit, und es macht sich deutlich die Neigung geltend, bei der Reproduction in das Feld der bequemeren Lage zur\u00fcckzukehren.\nDas von uns untersuchte Feld entsprach, wie oben erw\u00e4hnt, ungef\u00e4hr diesem Bereich der bequemen Lage. Es lag zwischen 8 und 32 cm von der Mittellinie und zwischen 20 und 44 cm vom K\u00f6rper entfernt. Daher war in diesem Felde bei den einzelnen Punkten eine Abnahme der Genauigkeit nicht zu finden, doch bestand schon die Neigung, die am meisten lateral oder oben gelegenen Punkte bei der Reproduction nach der Mitte zu verlegen. Auch Bloch hat bei seinen an einem vertical aufgespannten Schirme gemachten Versuchen gefunden, dafs die gr\u00f6lste Genauigkeit in einer mittleren Lage vorhanden war, w\u00e4hrend die Fehler wuchsen, je weiter das Feld nach aufsen zu","page":105},{"file":"p0106.txt","language":"de","ocr_de":"106\nF. Kramer und Gr. Moskiewicz.\nliegen kam. Weit deutlicher und; ins Auge fallend kann der Einflufs der bequemen Lage durch folgende Yersuchsanordnung.. gezeigt werden.\t...\nDer Zeigefinger der einen Hand wurde auf -einen Punkt der, horizontalen . Papierfl\u00e4che gelegt,, der . nicht mehr im Bereich der bequemsten Lage, aber doch von den Grenzen der Bewegungsf\u00e4higkeit noch einigermaafsen entfernt war. : Die Versuchsperson wurde nun aufgefordert, nat\u00fcrlich immer mit verbundenen Augen, den Zeigefinger der anderen Hand auf den entsprechenden (symmetrischen) Punkt der anderen Seite zu bringen und dort liegen zu lassen. Sodann wurde die erste Hand vom Tische heruntergenommen, und die Versuchsperson hatte nun die Aufgabe diese wiederum in eine zur zweiten Hand symmetrische Lage zu bringen, und so abwechselnd zwischen beiden H\u00e4nden in immer gleichen Zwischenpausen. Jeder reproducirte Punkt diente somit einer neuen Reproduction\nFig.\nLinke Hand.\nDie beiderseits mit gleichen Buchstaben bezeiehneten Curven w\u00fcrden von beiden H\u00e4nden gleichzeitig nach , dem im Texte angegebenen Ter-","page":106},{"file":"p0107.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Beivegungsempfindungen. 107\nzum Ausgangspunkt. Es w\u00e4re nun bei dieser Versuehsanordnung zu erwarten, dafs die Abweichungen auf beiden Seiten in entgegengesetzter Richtung erfolgten. \"Wenn z. B. die linke Hand bei der Reproduction des rechts gelegenen Punktes dabei etwa um eine gewisse Gr\u00f6fse vom symmetrisch gelegenen Punkte abweicht, so m\u00fcfste dann die rechte Hand bei der Reproduction dieses links gelegenen Punktes ungef\u00e4hr dieselbe Abweichung nach der entgegengesetzten Richtung zeigen, also ungef\u00e4hr wieder zu dem Ausgangspunkte zur\u00fcckkehren. Es w\u00fcrden sich dann bei fortlaufender Reproduction die angegebenen Punkte regellos beiderseits um die Anfangspunkte gruppiren. Dies war jedoch durchaus nicht der Fall, vielmehr erfolgten die Abweichungen beid\u00e9rseits nach derselben Richtung, so dafs ein stetiges Fortschreiten zu constatiren war. In beifolgender Figur sind die einzelnen Punkte, wie sie aufeinander folgten, mit fortlaufenden Ziffern bezeichnet, so dafs also immer die ungeraden\nI\nBeeilte Hand,\nfahren beschrieben. (Versuchsperson Herr cand. med. Ludwig 0.) (3faehe Verkleinerung der Originaleurven.)","page":107},{"file":"p0108.txt","language":"de","ocr_de":"Die Curven G, Id, K sind auf. dieselbe Weise, wie die in\nZahlen der einen (n\u00e4mlich der anfangenden) Hand, die geraden der anderen zugeh\u00f6ren. Hat z. B. die rechte Hand begonnen, so ist Punkt 6 die von der linken Hand ausgef\u00fchrte symmetrische Reproduction des von der rechten Hand gegebenen Punktes 5 und andererseits ist Punkt 7, den die linke Hand angiebt, die symmetrische Reproduction zu Punkt 6. Bo schritten beide H\u00e4nde stufenweise fort, und wenn man die einzelnen Punkte jeder Seite mit einander verbindet, so geben die so erhaltenen Gurven ein anschauliches Bild von dem Wege, den","page":108},{"file":"p0109.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen. 109\nII.\nRechte Hand.\nW S'\nFig. I entstanden. (Versuchsperson Herr stud.phil. OttoS.)\nbeide H\u00e4nde auf diese Weise zur\u00fccklegten. Die Anfangspunkte dieser Curven liegen, wie bereits erw\u00e4hnt, in verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig unbequemer Lage, entweder zu nahe oder zu entfernt vom K\u00f6rper, sowohl medial als auch lateral vom K\u00f6rper. Von allen diesen Punkten aus zeigte \u2018sich die deutliche Neigung den reproducirten Punkt in der Pichtung nach einem mittleren Felde, das der bequemen Lage der Hand entsprach, zu verlegen, so dafs, wenn die Reproduction eine gewisse Zeit lang fortgesetzt wurde, die Wege von allen Punkten aus sich in derselben","page":109},{"file":"p0110.txt","language":"de","ocr_de":"110\nF. Kramer und O. Moskiewicz.\nGegend trafen. Das Fortsehreiten der H\u00e4nde war zuerst ein so grofses, dafs sie sich schon nach wenigen Wiederholungen vom Anfangspunkte um mehrere Centimeter entfernt hatten. Allm\u00e4hlich nahm das Fortschreiten ab. Auch die Constanz der Richtung wurde nicht mehr scharf inne gehalten, bis die Hand, in der ihr bequemsten Lage angekommen, nur noch geringe nnregelm\u00e4fsige Abweichungen nach den verschiedensten Richtungen zeigte. Individuelle Unterschiede waren nat\u00fcrlich bei den einzelnen Personen deutlich zu bemerken.\nWir sehen also, dafs wenn wir symmetrisch\u00a9 Punkte angeben sollen, die Lage von grofsem Einfl\u00fcsse ist, in der sich die Punkte befinden. Bei nur ziemlich unbequemen Lagen sind wir nicht im Stande, symmetrische Punkte genau anzugeben und k\u00f6nnen uns der Neigung den zweiten Punkt in die 'bequemere Lage zu verlegen, nicht entziehen, trotz der dauernden Contr\u00f4le, die uns der jedesmalige Vergleich mit der anderen ruhenden Hand bietet. Dies wiederholt sich immer von Neuem, bis das Feld der bequemsten Lage erreicht ist, wo die Reproduction entsprechend viel genauer wird. Dabei war sich aber di\u00a9 Versuchsperson nach eigener Angabe schon nach einigen Wiederholungen deutlich bewufst, sich vom Anfangspunkt\u00a9 merklich entfernt zu haben. Da aber f\u00fcr die 'Wahl des symmetrischen Punktes einzig und allein die Lage der anderen Hand maafs-gebend war, und di\u00a9 Versuchsperson im einzelnen Falle di\u00a9 Abweichungen nicht merkte, sondern vielmehr die beiden Punkte f\u00fcr durchaus symmetrisch hielt, so vermochte sie nicht der ihr bewufst werdenden Abweichung entgegen zu arbeiten.\nF\u00e4llt dagegen der stetige Anhaltspunkt fort, den di\u00a9 \u00a9ine Hand der anderen bietet, so ist es der Versuchsperson m\u00f6glich, sobald sie die Abweichung merkt, diese zu comgiren.\nFolgende Versuche zeigen das:\nEs sollten nicht mit beiden H\u00e4nden symmetrische Punkte festgestellt werden, sondern die eine Hand sollte in sich immer gleich bleibenden Zwischenr\u00e4umen denselben Punkt wiederholt hinter einander aufsuchen. Auch hier trat deutlich die Neigung hervor nach einer bequemeren Lage fortzuschreiten. Sobald sich jedoch die Versuchsperson dieser Abweichung bewufst wurde, kehrte sie um und schlug eine ungef\u00e4hr nach dem Ausgangspunkte zur\u00fcckf\u00fchrende Richtung \u00a9in, was nach dem oben","page":110},{"file":"p0111.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen. Hl\nGesagten v\u00f6llig verst\u00e4ndlich ist (siehe die beiden Curven E E1 in Fig. HI)\nFig. UI.\nDie Curven E und Ex wurden von der linken reap, rechten Hand gesondert nach der oben angegebenen Methode beschrieben. Die Curven F und Fx sind auf dieselbe Weise wie die Curven in Fig. I u. II ausgef\u00fchrt und vergleichsweise den Curven E und Ex beigef\u00fcgt, um den Unterschied beider Methoden zu demonstriren. Die den Curven F u. Fx entsprechenden Curven der anderen Hand sind weggelassen.\n(Versuchsperson Herr stud. phil. Otto S.)\nDer jedesmaligen Abweichung wurde sich also die Versuchsperson trotz der recht betr\u00e4chtlichen Distanz nicht bowulst. Erst wenn durch Summirung der Fehler immer gr\u00f6fser wurde, trat mit einem Male der Augenblick ein, wo die Versuchsperson ihre Abweichung vom Anfangspunkte merkte und sofort die n\u00f6thige Correction eintreten lassen konnte. Indem man ihre Aufmerksamkeit durch die Frage erh\u00f6hte, ob die Reproduction auch recht genau sei, wurde das Eintreten der Correction beschleunigt, und die Umkehr trat um so deutlicher hervor. Diese Versuchsreihen demonstriren deutlich die Thatsache, dafs eine eimgerma&fsen genaue Reproduction und ein deutliches Bewufst-sein von schon geringer Abweichung nur im Felde bequemer Lage m\u00f6glich ist, und dafs in unbequemer Lage die Abweichungen gr\u00f6fser werden und eine deutliche Neigung besteht, beim Reproduciren in die bequemere Lage zur\u00fcckzukehren.","page":111},{"file":"p0112.txt","language":"de","ocr_de":"112\nF. Kramer und G. Moskiewicz.\nDie Erkl\u00e4rung dieser Erscheinung ist wohl folgende : da die Bewegungsvorstellungen durch Association einer Reihe von Empfindungen zu Stande kommen, so wird die Beurthe\u00fcung von Lagen und Bewegungen dem Grade entsprechen, in welchem wir Gelegenheit haben, diese Associationen mehr oder weniger einzu\u00fcben. Sie wird also dort am genauesten sein, wo unsere Hand feinere Bewegungen auszuf\u00fchren gewohnt ist. Aufser halb dieses Bereiches mufs die Sch\u00e4tzung entsprechend ungenau werden.\n2. Bewegungsempfindungen.\nDer zweite The il der Versuche besch\u00e4ftigt sich mit der Frage, mit welcher Genauigkeit wir im Stande sind, Bewegungen ihrer Gr\u00f6fse nach zu vergleichen und zu reproduciren. Hierbei wurde einmal untersucht, wie diese Vergleichung ausf\u00e4llt bei verschiedener L\u00e4nge der zur\u00fcckzulegenden Strecken, d. h. also die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr verschiedene Bewegungsgr\u00f6fsen. Ferner, wie die Vergleichung zweier Bewegungen ausf\u00e4llt, die sich in ihrer Lage zum K\u00f6rper sowie in ihren Richtungen von einander unterscheiden. Diese letzten Versuche stehen in einer gewissen Beziehung zu unseren Lageversuchen mit wechselnder Lage des zu reproducirenden Punktes, insofern als auch hier Ab\u00e4nderungen von Factoren, die von vornherein mit den Bewegungsvorstellungen nichts zu tliun zu haben scheinen, die Vergleichung und Reproduction wesentlich beeinflussen.\na\u00ef Einflufs der Gr\u00f6fse der zu reproducirenden Streck\u00a9 auf die Genauigkeit der Keproduction.\nEine Untersuchung \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit bei Bewegungen erw\u00e4hnt Wundt1; sie wurde von Segbwobth angestellt und bestand, soweit sich aus den kurzen Bemerkungen ersehen l\u00e4fst, in Folgendem : Die Versuchsperson vollf\u00fchrte an einem vertical aufgestellten Brette durch Drehung im Oberarmgelenk 2 Bewegungen von demselben Anfangspunkte aus. W\u00e4hrend die erste dieser Bewegungen constant blieb, wurde die zweite variirt und die Versuchsperson auf gefordert die zur\u00fcckgelegten Strecken der Gr\u00f6fse nach zu vergleichen. Daraus wurde vermittels der Methode der eben merklichen Unterschiede die\n1 Wottdt, Physiol. Psychol., IV. Aufl., Bd. I, S. 429.","page":112},{"file":"p0113.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen. H3\nUnterschiedsschwelle festgestellt. Es ergab sich dabei das Resultat, dafs bei Bewegungen verschiedener Gr\u00f6fse bis zu einem Bewegungsumfange von 60\u00b0 die absolute Unterschiedsschwelle I Ar) bei gleich bleibender Geschwindigkeit ann\u00e4hernd constant blieb. Dieses Resultat erscheint schon deshalb von vornherein ziemlich unwahrscheinlich, weil es den Beobachtungen auf fast allen Sinnesgebieten direct widerspricht, wo nicht die absolute, sondern die relative Unterschiedsschwelle constant ist. Vor Allem l\u00e4fst sich gegen die ganze Versuchsanordnung der Ein-wand erheben, dafs es sich hierbei anscheinend gar nicht um eine Vergleichung von Bewegungsgr\u00f6fsen gehandelt hat; denn da die Bewegungen, so viel sich nach der Beschreibung des Verfahrens urtheilen l\u00e4fst, stets von demselben Anfangspunkte aus erfolgten und bei den verschieden grofsen Strecken nur die Endlagen um Geringes variirten, so mufste die Versuchsperson in ihrem Urtheil \u00fcber die Gr\u00f6fse beider Strecken sich haupts\u00e4chlich darnach richten, ob sie dieselbe Endlage erreicht hatte oder nicht, und f\u00fcr diese Beurtheilung ist nat\u00fcrlich die Gr\u00f6fse der Strecke ziemlich belanglos, so dafs also hier die Bewegungsgr\u00f6fsen an sieh gar nicht verglichen wurden. Diese Fehlerquelle wird vermieden, wenn die beiden zu vergleichenden Bewegungen nicht von demselben Anfangspunkte ausgehen, sondern die zweite, am Endpunkte der ersten beginnend, sich unmittelbar an diese anschliefst. Hierbei werden sicher nur Bewegungen ihrer Gr\u00f6fse nach mit einander verglichen, wobei allerdings zu ber\u00fccksichtigen ist, dafs die BetheiJigung der Muskeln bei den beiden Vergleichsstrecken eine etwas andere ist, worauf wir sp\u00e4ter noch zur\u00fcckkommen werden.\nNach diesem Plane untersuchten wir die Unterschiedsempfindlichkeit f\u00fcr Bewegungsempfindungen nach der Methode der mittleren Fehler und der richtigen und falschen F\u00e4lle. Verwandt wurden hierbei reine Bewegungen im Ellbogen und Schultergelenk.\nDie Versuchsanordnung war folgende:\nDie Versuchsperson safs mit verbundenen Augen vor einer horizontal ausgespannten Papierfl\u00e4che, in ihrer Stellung durch eine Kinnklammer fixirt. Das Ellbogengelenk lag auf dem Tische an bezeichneter Stelle, und der Bogen, den der Zeigefinger in dieser Stellung bei reiner Winkelbewegung im Ellbogengelenk zur\u00fccklegt, war auf der Papierfl\u00e4che aufgezeichnet. Auf\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 25.\t8","page":113},{"file":"p0114.txt","language":"de","ocr_de":"114\nF. Kramer und G. Moskiewicz.\ndiesem Bogen legte die Versuchsperson Strecken von bestimmter L\u00e4nge zur\u00fcck, deren Anfangs- und Endpunkte durch senkrecht zur Bewegungsrichtung straff ausgespannte d\u00fcnne Dr\u00e4hte bezeichnet waren.\nBei der Methode der mittleren Fehler wurde die Versuchsperson nun angewiesen, bei der Marke, die das Ende der ersten Strecke bezeichnet, einen Augenblick anzuhalten und sodann, in der Bewegung fortschreitend, eine zweite Strecke von m\u00f6glichst gleicher L\u00e4nge zur\u00e4ekzulegen. Die Endlagen wurden alsdann bezeichnet, die erste (Normal-) Strecke betrug abwechselnd 40, 80, 120, 160 mm (dies entspricht ungef\u00e4hr einer Winkelgr\u00f6fse von 6, 12, 18, 24\u00ae). Jede von diesen Strecken wurde in einer Versuchsreihe je 30 Mal reproducirt, jedoch so, dafs dieselbe Normalstrecke immer nur 3 Mal hinter einander der Reproduction zu Grand\u00a9 gelegt wurde. Dadurch wurde vermieden, dafs die Versuchsperson die jeweilig erreichten Endlagen in Erinnerung behalten und sich darnach richten konnte. Um zu vermeiden* dafs die Tasteindr\u00fccke an der Papierfl\u00e4che irgend welche Anhaltspunkte geben konnten, war die Hand mit einem d\u00fcnnen Handschuh bekleidet.\nDi\u00a9 zweit\u00a9 (reproducirte) Strecke fiel dabei constant k\u00fcrzer aus als di\u00a9 Normalstrecke; eine Thatsache, deren Begr\u00fcndung wir weiterhin ausf\u00fchrlich behandeln werden. Der mittlere Fehler mufste nat\u00fcrlich dementsprechend auf den Mittelwerth der reproducirten Strecke bezogen werden.\nResultate.\nDi\u00a9 Versuche wurden bei verschiedenen Personen mit demselben Ergebnifs angestellt. Es seien hier die zuverl\u00e4ssigsten an einer Person angestellten wiedergegeben. (8. nebenstehende Tabelle.)\nHier betragen di\u00a9 relativen Unterschiedsschwellen\n3,15\t5,43\t8,0\t11,73\n30,3\t59,9\t91,1\t130,1\n1\t1\t1\t1\n9,6\t\"11,0\"\t11,4\t11,4\nBei der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle wurde folgende Versuchsanordnung angewandt:\nAnstatt dafs die Versuchsperson, wie bei der Methode der mittleren Fehler, die zweite Streck\u00a9 der ersten gleich lang zu","page":114},{"file":"p0115.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungaempfindungen. 115\nVersuchsperson Herr stud, phil, Otto S.\na bezeichnet die mittlere reproducirte Strecke, b den mittleren Fehler aus 30 Einzel versuchen.\n\t\t\tNormalstrecke =\t\t\t\t\t\nVersuchs-\t40\t\t80\t\t120\t\t160\t\nreih\u00a9\t\t\t\t\t\t\t\t\n\ta\tb :\ta\t\u00bb ! i\ta\tb\ta\tb\n1\t31\t2,7\t67\t6,4\t1\t101\t7,7\t148\t8,1\n2\t26\t2,7\t60\t4,0\t79\t6,9 ;\t124\t11,0\n3\t30\t3,0\t68\t6,1\t87\t8,0 i\t131\t16,4\n4\t34\t3,2\t61\t6,4\t94\t6,9 !\t130\t11,3\n5\t31\t3,9\t60\t\u00e0,2 !\t90\t8,5\t133\t12,6\n6\t31\t8,4\t63\t6,6\t96\t11,0 !\t116\t12,2\nSumme;\t182\t18,9\t369\t32,6\t647\t48,0\t781\t70\nMittel :\t30,3\t3,16\t69,9\t6,43\t!\t91,1\t8,0 1\t130,1\t11,73\nmachen suchte, durchlief sie hier mit dem Zeigefinger der Hand zwei abgegrenzte Strecken von verschiedener Gr\u00f6lse in derselben Weise nach einander, und hatte anzugeben, ob sie die zweite f\u00fcr kleiner, gleich oder gr\u00f6fser als die erste hielt. Die Endpunkte der beiden Strecken wurden durch d\u00fcnne quer ausgespannte Dr\u00e4hte markiri W\u00e4hrend die erste Strecke constant blieb, wurde die zweite in Abst\u00e4nden von je B mm vanirt Die Reihenfolge, in der die verschiedenen Vergleichssteeeken vorgelegt wurden, wurde durch das Loos bestimmt. Die Grenzen der Vergleichsstrecken nach oben und unten wurden so bemessen, dafs die gr\u00f6fsten und kleinsten von ihnen stets und mit voller Sicherheit f\u00fcr gr\u00f6fser bezw. kleiner als die Normalsteecke erkl\u00e4rt wurden. Als Normalstreeken wurden Strecken von 40, 80, 160 mm angewandt (also ungef\u00e4hr 6, 12, 24\u00b0). Als Ver-gleichssteecken dienten nach dem oben angegebenen Principe Strecken zwischen 30 und 50 mm, 60 und 95 mm und 115 und 170 mm. Aus den abgegebenen Urtheilen wurden die Gleich-heitsurtheile herausgesucht und aus den Vergleichsstrecken, bei denen diese Urtheile gef\u00e4llt worden waren, die Mittelwerthe gezogen, wobei jede Vergleichsstrecke so oft in Anrechnung gebracht wurde, als bei ihr Gleichheitsurtheile abgegeben wurden. Indem wir die Differenzen der von Gleichheitsurtheilen begleiteten Vergleichsstrecken gegen\u00fcber der zugeh\u00f6rigen Normalstrecke berechneten, und aus diesem Werthe den Mittelwerth\ng*","page":115},{"file":"p0116.txt","language":"de","ocr_de":"116\nF. Kramer und G. Moskiewicz.\nnahmen, erhielten wir den mittleren Fehler. Diese Art der Berechnung entsprach vollst\u00e4ndig dem bei der vorigen Methode angewandten Verfahren.\nResultate.\n1. Versuchsperson Herr cand. mpd. Walthek H.\nNormalstrecke 80\t160\nab\tab\n77,3\t8,65\t155,1 6,65\nalso die relative Unterschiedsschwelle\n3,65\t6,65\t1\t1\n77,3\t155,1\t\u201c\t21,2\t23,3\n2. Versuchsperson Herr cand. med. Eenst F.\nNormalstrecke 40\t80\nab\tab\n39\t2,7\t75,3\t5,2\nalso die relativen Unterschiedsschwellen\n2,7\t5,2\n75,8\n1\n39\n1\n14,4\n14,5\n160\na b 136,9 7,85\n7,85\n136,9\n1\n17,4\nDie relativen Unterschiedsschwellen sind also bei ein und derselben Versuchsperson nicht wesentlich von einander verschieden.\nEntsprechende Versuche wurden nun auch angestellt mittels reiner Bewegung im Schultergelenk an einer verticalen Fl\u00e4che. Die Normal strecken waren 150 und 300 mm (ungef\u00e4hr 13 und 26 Grad); die Vergleichsstrecken bewegten sich zwischen 110 und 160 resp. 200 und 265 mm.\nVersuchsperson Herr cand. med. Ebnst F.\nNormalstrecke 150\t300\nab\tab\n132\t7,75\t232\t13,4\nalso die relativen Unterschiedsschwellen\nVib\tJL3,4\n132\t232\n1\t1\n17\t17,3","page":116},{"file":"p0117.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Beicegungsempfindungen, X17\nAuch hier sind die Abweichungen der Einzelwerthe von einander nicht bedeutend und k\u00f6nnen wohl, wie auch bei den \u00fcbrigen Versuchsreihen, als im Bereiche zuf\u00e4lliger Variationen liegend, betrachtet werden.\nAus allen diesen Versuchen geht hervor, dafs in den untersuchten Grenzen die absolute Unterschiedsschwelle durchaus nicht constant bleibt, wie dies Segswoeth angegeben hatte, sondern den entsprechenden Normalstrecken proportional zunimmt Es ist vielmehr die relative Unterschiedsschwelle in diesen Grenzen ann\u00e4hernd constant. Also haben wir auch hier auf dem Gebiete der Bewegungsempfindungen die Thatsache vor uns, dafs die Unterschiedsempfindlichkeit in directem Ab-h\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnifs steht zur Gr\u00f6fse der Bewegung, eine Thatsache ganz in U ebereinstimmun g mit der G\u00fcltigkeit des Weber-schen Gesetzes z. B. beim Augenmaafs.\nb) Einflufs der Lage und Richtung der zu reproducirenden Strecke auf die Genauigkeit der Reproduction.\nUnsere Versuche \u00fcber die Reproduction von Punkten hatten die Thatsache ergeben, dafs das Verh\u00e4ltnifs der Lage des betreffenden Punktes zu unserem K\u00f6rper von wesentlichem Einfl\u00fcsse auf die Genauigkeit ist. Eine ganz analoge Erscheinung begegnet uns bei der Vergleichung und Reproduction von Strecken. Eine hierher geh\u00f6rige Beobachtung ist bereits von I. Loeb1 gemacht worden. Er liefs beide H\u00e4nde an einem horizontal ausgespannten Faden gleiche Strecken in gradliniger Richtung zur\u00fccklegen. Befanden sich dabei die Anfangspunkte in gleicher Entfernung vom K\u00f6rper und bewegten sich die H\u00e4nde nach derselben Richtung, so wurden von beiden H\u00e4nden ann\u00e4hernd gleiche Strecken zur\u00fcckgelegt. Lag jedoch der Anfangspunkt der einen Hand vom K\u00f6rper weiter ab als der der anderen, so legte sie, wenn beide H\u00e4nde sich vom K\u00f6rper wegbewegten, constant k\u00fcrzere Strecken zur\u00fcck, obwohl die Versuchsperson stets der Ansicht war, gleiche Strecken zur\u00fcckgelegt zu haben. Erfolgte die Bewegung in umgekehrter Richtung, so legte die dem K\u00f6rper n\u00e4here Hand die k\u00fcrzere Strecke zur\u00fcck. Allgemein gesprochen,\n1 J. Loeb. Pfl\u00fcoer\u2019s Archiv Bd. 41 u. 46.","page":117},{"file":"p0118.txt","language":"de","ocr_de":"118\nF. Kramer und G. Moskiewicz.\nes legte diejenige Hand die k\u00fcrzere Strecke zur\u00fcck, deren An* fangspunkt bereits vor Beginn der Bewegung gegen\u00fcber dem der anderen Hand im Sinne der Bewegung verschoben war. Diese Erscheinung wurde von ihm unter den verschiedensten Variationen beobachtet Gegen diese Versuchsanordnung erhebt W\u00fcndt 1 den principiellen Einwand, dafs es sich bei diesen gradlinigen Bewegungen entweder um eine complicirte Bewegung in zwei Gelenken oder um die Projection der Bewegung eines Gelenkes auf eine gerade Linie handelt; dadurch k\u00f6nne die Verk\u00fcrzung hervorgerufen werden. Ein wandsfrei seien hierbei nur Versuche mit einer einfachen Winkelbewegung in einem Gelenk.\nBei der Widerlegung der Ein w\u00e4nde Wundt\u2019s haben wir zun\u00e4chst die Resultate der LoEB\u2019schen Versuche in \u00e4hnlicher Weise nachgepr\u00fcft und dann festzustellen gesucht, ob sich dieselbe Verk\u00fcrzung ergiebt, wenn die Bewegungen nur in einem Gelenke, also kreisf\u00f6rmig ausgef\u00fchrt werden.\nUnsere Versuchsanordnung war folgende :\nDie Versuchsperson safs mit verbundenen Augen in ihrer Stellung fixirt vor einer auf einem Tische gew\u00f6hnlicher H\u00f6he horizontal ausgespannten Papierfl\u00e4che, auf der beiderseits, 18 cm von der Medianlinie entfernt, in sagittaler Richtung zwei d\u00fcnne Dr\u00e4hte ausgespannt waren. Die Zeigefinger beider H\u00e4nde wurden passiv auf die Anfangspunkte gebracht, und die Versuchsperson wurde angewiesen, auf ein gegebenes Zeichen die Zeigefinger l\u00e4ngs der Dr\u00e4hte vom K\u00f6rper weg mit gleicher Geschwindigkeit so lange zu bewegen, bis das Zeichen zum Anhalten gegeben wurde. Dies fand statt, sobald die eine Hand (Normalhand, bald rechts, bald links) eine Strecke von 20 cm zur\u00fcckgelegt hatte. Dann wurde die L\u00e4nge der von der anderen Hand zur\u00fcckgelegten Strecke gemessen. Bei dem ersten Theil der Versuche waren die Anfangspunkte der H\u00e4nde vom K\u00f6rper gleich weit entfernt, gleich 12 cm. Beim zweiten war die Normalstrecke ebenfalls 12 cm, die anderen hingegen 36 cm vom K\u00f6rper entfernt. Die Versuchsperson erkl\u00e4rte bei allen diesen Versuchen mit Bestimmtheit, stets die deutliche Empfindung gehabt zu haben, gleiche Strecken zur\u00fcckzulegen.\ni\nWundt. Physiol. Psychol., 4. \u00c0ufl., Bd. I, S. 427.","page":118},{"file":"p0119.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Beicegungsemp\u00dfndungm. HQ\nResultate:\n(Die einzelnen Zahlen, sind Durchschnittswerthe ans je 25 Einzelversuchen. Versuchsperson Herr cand. jur. Georg H.)\nI. Die Anfangspunkte liegen, vom K\u00f6rper gleich weit = 12 cm\nentfernt.\t\nNormalhand\tV ergleichsstrecke\nr\u201e\t20,,0\t18,36\n1. 20,0\t20,68\nIL Der Anfangspunkt der Normalhand liegt 20 cm, der der anderen 36 cm vom K\u00f6rper entfernt.\nNormalhand Vergleichsstrecke\nr.\t20,0\t15,24\n1.\t20,0\t15,80\nVereinigt man die Resultate beider H\u00e4nde so erh\u00e4lt man:\ni\nNormal- gleicher Abstand ungleicher Abstand strecke\tvom K\u00f6rper\n20\t19,5\t15,5\nDiese an einer Versuchsperson ausf\u00fchrlich angef\u00fchrten Versuche wurden an anderen kurz wiederholt und ergaben, dieselben Resultate. Wurden die beiden Strecken nicht gleichzeitig, sondern von beiden H\u00e4nden nach einander zur\u00fcckgelegt oder legte dieselbe Hand beide Strecken, sie auf einander aufbauend, zur\u00fcck, so ergaben sich dieselben Resultate. Es finden sich also di\u00a9 LoEB\u2019schen Resultate v\u00f6llig best\u00e4tigt\nUm, den Einwand Wundt's zu entkr\u00e4ften, wurden dieselben Versuche mit reinen Winkelbewegungen ausgef\u00fchrt und zwar so, dafs beide H\u00e4nde, deren Ellenbogen an fixirten Punkten festlagen, auf dem Tische Kreisb\u00f6gen zur\u00fccklegten. Einmal begannen die Bewegungen von symmetrischen Anfangspunkten mus, das zweite Mal begann die \u00a9ine Hand wieder an demselben Punkte, der Anfangspunkt der anderen lag aber 20 cm Bogenl\u00e4nge vom symmetrischen entfernt. Auch hier zeigte sich die entsprechende Verk\u00fcrzung. Dieselbe Erscheinung der Verk\u00fcrzung zeigte sich auch, wenn, nicht beide H\u00e4nde die Bewegungen aus-","page":119},{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nF. Kramer und G. Moskicivicz.\nf\u00fchrten, sondern wenn eine Hand zwei Strecken, sie an einander anschliefsend in derselben Richtung zur\u00fccklegte, mit der Aufforderung dieselben gleich zu machen. Es befand sich dann die Hand beim Beginn der zweiten Strecke unter denselben Bedingungen, wie bei unseren ersten Versuchen die vom K\u00f6rper entferntere Hand schon beim Anfang ihrer Bewegung gewesen. Daher mufste die zweite Strecke auch hier constant k\u00fcrzer aus-fallen als die erste. Dies haben wir sowohl bei geradlinigen Bewegungen auf horizontaler und verticale Ebene beobachtet als auch bei Kreisbewegungen, wie die oben angef\u00fchrten Versuche \u00fcber die Unterschiedsempfindlichkeit zeigen. Dies Alles best\u00e4tigt die Resultate Loeb\u2019s und entkr\u00e4ftigt die Einw\u00e4nde Wukdt's. Loeb erkl\u00e4rt diese Erscheinung folgendermaafsen :\nBei der vom K\u00f6rper entfernteren Hand befinden sich die bei der Bewegung betheiligten Muskeln in coiitrahirterem Zustande als die der anderen. Die Muskeln sind daher weniger reizbar, werden also auf die gleiche Innervation mit einer geringeren Verk\u00fcrzung reagiren. Die Hand wird also eine kleiner\u00a9 Strecke zur\u00fccklegen.\nDaraus, dafs trotzdem beide Strecken f\u00fcr gleich gehalten werden, schliefst Loeb, dafs bei der Beurtheilung nicht die peripheren Empfindungen, sondern nur die in beiden F\u00e4llen gleiche Innervation maafsgebend ist, woraus er das Vorhandensein der Innervationsempfindungen folgert. Diese Erkl\u00e4rung erscheint von vornherein unwahrscheinlich, weil sie Innervationsempnndungen zu H\u00fclfe nimmt, gegen deren Bestehen berechtigte Zweifel erhoben werden. Wir wollen darum versuchen, die von Loeb beobachteten Erscheinungen auch ohne diese zu erkl\u00e4ren.\nZun\u00e4chst ist zu erw\u00e4hnen, dafs die Verk\u00fcrzung der \u00a9inen Strecke durchaus nicht nur unter den von Loeb angef\u00fchrten Bedingungen vorkommt, sondern eine viel allgemeinere Erscheinung ist. Sie wird auch dann beobachtet, wenn von einer st\u00e4rkeren Contraction der Muskeln einer Hand keine Rede ist Legt z. B. von demselben Anfangspunkte aus die \u00a9ine Hand eine Strecke in sagittaler, die andere in darauf senkrechter Richtung zur\u00fcck, so f\u00e4llt die erste stets k\u00fcrzer aus und zwar ist es dabei gleichg\u00fcltig, ob die Bewegungen gleichzeitig oder nach einander stattfinden. Oder folgender Versuch:\nBeide H\u00e4nde legen von entsprechenden Anfangspunkten ans Strecken zur\u00fcck, die zur Sagittalen der Versuchsperson Winkel","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Ixuje- und Beicegungscnipfin'lungen. 121\nvon 450 bilden. Hier lassen sich, zwei F\u00e4lle unterscheiden. Entweder die H\u00e4nde bewegen sich beide nach entgegengesetzten Richtungen (di\u00a9 rechte nach rechts, die linke nach links), wobei beide Bewegungen an beiden H\u00e4nden in v\u00f6llig analoger Weise vor sich gehen, oder beide H\u00e4nde bewegen sich in der angegebenen schr\u00e4gen Richtung parallel mit einander nach einer Seit\u00a9 (entweder nach rechts oder nach links), wobei die Bewegungen einander nicht analog, die Muskelapparate verschieden, die Gelenkexcursionen ganz andere sind. Im, ersten Falle sind die zur\u00fcckgelegten Strecken ann\u00e4hernd gleich, im zweiten legt diejenige Hand stetig k\u00fcrzere Strecken zur\u00fcck, die sich nach der entgegengesetzten Seite des K\u00f6rpers bewegt, also die rechte k\u00fcrzere Strecken bei der Bewegung nach links und umgekehrt\nBas Gemeinsame aller Bedingungen, unter denen eine Verschiedenheit in der L\u00e4nge beider Strecken ein tritt, ist nach alledem die Thatsache, dafs die Bewegungen beider H\u00e4nde nicht gleichartig, sondern dafs die Muskel- und Gelenkexcursionen bei beiden verschieden\u00a9 sind. Die von Loeb angegebenen Bedingungen fallen unter diesen Gesichtspunkt, da ja bei der verschiedenen Entfernung des Anfangspunktes vom K\u00f6rper der ganz\u00a9 Muskel- und Gelenkapparat bei beiden verschieden ist. Und zwar ist diejenige Strecke die k\u00fcrzere, die nach dem Urtheil aller Versuchspersonen die unbequemere ist, wovon man sich durch eigene Versuche leicht \u00fcberzeugen kann. Die Ursachen ftr die Unbequemlichkeit sind wahrscheinlich ganz verschiedene, z. B. die Ungewohntheit der Bewegung, eine ung\u00fcnstige Wirkungsweise der Muskeln; di\u00a9 von Loeb angegebene Abnahme der Reizbarkeit mag in den einzelnen F\u00e4llen eine mehr oder weniger grofse Rolle spielen.\nEs liegt nun auf der Hand, dafs wir stets die Neigung haben, eine unbequemere Bewegung langsamer auszuf\u00fchren, darum eine k\u00fcrzere Strecke zur\u00fcckzulegen. Bemerkenswerth und der Erkl\u00e4rung bed\u00fcrftig ist nur die Thatsache, dafs man den Unterschied der L\u00e4nge nicht merkt, sondern die beiden Strecken f\u00fcr gleich h\u00e4lt. Es liegt nun nahe, daraus, dafs uns die peripheren Bewegungsempfindungen diesen Unterschied nicht zum Bewusstsein bringen, zu folgern, dafs diese bei der. Be-urtheilung von Bewegungsgr\u00f6fsen auch sonst keine Rolle spielen, sondern dafs, wie Loeb behauptet, die centralen Innervationsempfindungen das Maafsgebende sind. Dieser Schlufs ist jedoch","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nF. Kramer und G. Moskieiricz.\nnicht berechtigt. Denn wenn uns die peripheren Empfindungen auch eicht Alles leisten, so ist dies noch kein Beweis daf\u00fcr, dafs sie gar nicht in Betracht kommen. Ferner d\u00fcrfen wir auch den Ein Aufs anderer, mehr \u00e4ufserer Factoren zur Beurtheilung von Bewegungen eicht untersch\u00e4tzen. Unter diesen w\u00e4re wohl die Zeit, die zur Bewegung n\u00f6thig ist, als besonders maafsgebend zu erw\u00e4hnen. Zwei Empfindungen k\u00f6nnen wir nur dann quantitativ gen\u00fcgend genau mit einander vergleichen, wenn sie qualitativ keine oder nur geringe Unterschiede zeigen. Wie wir z. B. Farben ihrer Helligkeit nach nur dann genau vergleichen k\u00f6nnen, wenn sie in ihrer Nuance einigermaafsen \u00fcbereinstimmen, bei der Vergleichung von Helligkeiten verschiedener Farben uns sehr leicht t\u00e4uschen, so k\u00f6nnen uns Bewegungsempfindungen nur dann zur quantitativen Vergleichung von Bewegungen dienen, wenn sie sich qualitativ einigermaafsen entsprechen, d. h. aus den gleichen Bewegungsapparaten stammen. Dies ist offenbar nur dann der Fall, wenn entweder eine Hand von dem gleichen Anfangspunkte aus zweimal hinter einander sich in derselben Richtung bewegt, oder sich beide H\u00e4nde von entsprechenden Anfangspunkten aus in einer zur Medianebene des K\u00f6rpers symmetrischen Weise bewegen. Unter diesen Bedingungen fallen auch, wie wir gesehen haben, die Strecken ann\u00e4hernd gleich aus. Entsprechen die Bewegungsmechanismen einander nicht, sind also auch die zugeh\u00f6rigen Empfindungen nicht analog, so ist auch ihre Vergleichung dementsprechend erschwert Wir sind daher in der Beurtheilung der Gr\u00f6fse beider Strecken st\u00f6renden Einfl\u00fcssen mehr ausgesetzt und erhalten somit von den dadurch entstandenen Abweichungen durch die peripheren Empfindungen keine gen\u00fcgende Nachricht. Wer selbst einmal derartige Versuche ausgef\u00fchrt hat, weifs, wie schwer unter solchen Umst\u00e4nden Beurtheilung und Vergleichung von Bewegungsgr\u00f6fsen ist, und wie wenig wir uns dabei auf die Bewegungsempfindungen selbst verlassen k\u00f6nnen.\nWir haben uns nun den Vorgang bei unseren Bewegungsempfindungen etwa folgendermaafsen zu denken:\nDie Versuchsperson soll mit beiden H\u00e4nden gleiche Strecken zur\u00fccklegen, giebt daher von vornherein beiden H\u00e4nden den gleichen Impuls. Unter den oben angegebenen Umst\u00e4nden bewegt sich jedoch die eine Hand langsamer als die andere. Die Empfindungen, die uns aus den Bewegungen beider H\u00e4nde zu-","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen. 123\nkommen, sind nicht gleichartig genug, um mit einander verglichen werden zu k\u00f6nnen; die Unterschiede in der Bewegung beider H\u00e4nde k\u00f6nnen daher nicht deutlich zum Bewufstsein kommen. Nun hat aber die Versuchsperson die Aufgabe, gleiche Strecken zur\u00fcckzulegen, hat daher beiden H\u00e4nden den gleichen Impuls gegeben und sich mit beiden H\u00e4nden gleich lange Zeit bewegt. Da sie nun von der Differenz der Bewegungen keine Kermtnifs erh\u00e4lt, so liegt f\u00fcr sie kein Grund vor anzunehmen, dafs sie die gestellte Aufgabe und die gewollte Leistung nicht richtig ausgef\u00fchrt hat. Sie h\u00e4lt daher die Strecken f\u00fcr gleich. Das Vertrauen zu der Gleichheit der Strecken ist auch, wie sie selbst angiebt, kein allzu grofses; doch so gut sie konnte, habe sie gleiche Strecken zur\u00fcckgelegt\nDie bisherige Darstellung bezieht sich im Wesentlichen auf die Versuche, bei denen sich beide H\u00e4nde gleichzeitig bewegten. Bewegen sich die H\u00e4nde nach einander, so ist der Vorgang ein ganz analoger. Nach der ersten Bewegung beh\u00e4lt die Versuchsperson den zuerst gegebenen Impuls und die Zeit der Bewegung noch in der Erinnerung, so dafs sie bei Beginn der zweiten Bewegung denselben Impuls giebt und sich vornimmt, auch die zweite Bewegung in derselben Zeit auszuf\u00fchren.\nEiner n\u00e4heren Erkl\u00e4rung bed\u00fcrfen noch die Versuche, die nach der Methode der richtigen und falschen F\u00e4lle gemacht sind. Hier handelt es sich darum, dafs die Versuchsperson zwei gegebene Strecken, die sie nach einander durchl\u00e4uft, mit einander vergleichen und ihr Urtheil dar\u00fcber abgeben soll, ob die zweite Strecke kleiner oder gr\u00f6fser als die erste ist. Wir haben uns die Vergleichung etwa so zu denken:\nAuch hier dient im Wesentlichen nur der gegebene Impuls und die zur Bewegung nothwendige Zeit zur Vergleichung. Nachdem die Versuchsperson die erste Strecke mit einem gewissen Impulse und in einer bestimmten Zeit zur\u00fcckgelegt hat, \u00fcbertr\u00e4gt sie diese Gr\u00f6fsen auch auf die Zur\u00fccklegung der zweiten Strecke, um dadurch einen Anhaltspunkt f\u00fcr die Be-urtheilung der Gr\u00f6fse beider zu haben. Sie will nun unter demselben Impulse eine Strecke von gleicher Zeitdauer zur\u00fccklegen. Entspricht diesem nun die zweite Strecke, so wird sie der ersten f\u00fcr gleich gehalten, wird die Hand jedoch vorher in der Bewegung gehemmt, so wird die Strecke f\u00fcr k\u00fcrzer gehalten. Da nun aus den oben angegebenen Gr\u00fcnden die zweite Strecke bei","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nF. Kramer und G. Moskiewicz.\ngleichem Impuls und in der gleichen Zeit k\u00fcrzer als die erste ausf\u00e4llt, so mufs auch diese Methode zu denselben Resultaten\nwie die fr\u00fchere f\u00fchren.\nDie Einstellung der Aufmerksamkeit ist also der wesentliche Factor bei der Vergleichung zweier Strecken, die nach einander zur\u00fcckgelegt werden. Ganz analoge Verh\u00e4ltnisse finden wir bei der Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6fsen wie dies von Schumann 1 angegeben worden ist. Wird hier eine constante Zeit mit einer unmittelbar darauf folgenden variablen verglichen, so stellt sich die Aufmerksamkeit bald auf die Normalzeit so ein, dafs da\u00bb zweite Signal gerade dann, wenn es ert\u00f6nt, und das dritte nach einem der Normalzeit gleichem Intervall erwartet wird. Tritt dieses fr\u00fcher ein, so sind wir \u00fcberrascht und halten die Vergleichszeit f\u00fcr k\u00fcrzer. Tritt es sp\u00e4ter ein, so haben wir ein Gef\u00fchl der Spannung und halten die Vergleichszeit f\u00fcr l\u00e4nger.\nUm Mifsverst\u00e4ndnisse zu vermeiden, soll noch hervorgehoben werden, dafs der von uns zur Erkl\u00e4rung herangezogene Impuls etwas durchaus Verschiedenes von den Innervationsempfindungen ist\u00bb W\u00e4hrend wir unter diesen Empfindungen zu verstehen haben, die uns \u00fcber den jeweiligen Innervationszustand der motorischen Ganglienzellen benachrichtigen, verstehen wir unter dem Impuls nichts weiter als die sicherlich jeder Bewegung vorausgehende Vorstellung der zu ihr noth wendigen Energie.\nZum Schl\u00fcsse sei noch eine Erscheinung erw\u00e4hnt, die un\u00bb bei allen Versuchen begegnet ist und die auch Lqeb kurz anf\u00fchrt, die auch wieder beweist, dafs eine, wenn auch noch so geringe Incongruenz der Bewegungsapparate die Vergleichung in einem ganz bestimmten Sinne beeinflufst. Wir haben oben immer gesagt, dafs, wenn beide H\u00e4nde von entsprechenden Anfangspunkten aus und nach entsprechenden Richtungen sich bewegten, die Strecken ann\u00e4hernd gleich ausfielen (s. S. 121). Dies ist jedoch nicht ganz richtig. Thats\u00e4cHich legten fast alle Versuchspersonen unter diesen Bedingungen mit der linken Hand gr\u00f6fsere Strecken zur\u00fcck als mit der rechten. Nur die linksh\u00e4ndigen Versuchspersonen machten davon eine Ausnahme, indem bei ihnen da\u00bb Umgekehrte der Fall war.\n1 F. Schumann. Feber Sch\u00e4tzung kleiner Zeitgr\u00f6fsen. Zeitschrift f\u00fcr Psychologie I, 5.","page":124},{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen. 125\nDies ist wohl so zu erkl\u00e4ren:\nDie geschicktere Hand, gew\u00f6hnlich die rechte, ist im Stande feinere Bewegungen auszuf\u00fchren als die andere, besitzt darum auch feinere Bewegungsempfindungen; d. h. es wird von dieser Hand eine Bewegung schon wahrgenommen, die von der anderen als solche noch nicht empfunden wird. Denken wir nun zwei gleiche Strecken in die beiden H\u00e4nden zugeh\u00f6rigen Schwellen-werthe zerlegt, so erhalten wir offenbar bei der rechten Hand eine gr\u00f6fsere Anzahl solcher The\u00fce als bei der linken. Wir werden also geneigt sein, Bewegungen der rechten Hand im Vergleich zu denen der linken zu \u00fcbersch\u00e4tzen, mit ersterer also kleinere Strecken zur\u00fccklegen als mit der anderen, sie aber doch f\u00fcr gleich halten.\nBei Linksh\u00e4ndern wird das Verh\u00e4ltnifs nat\u00fcrlich umgekehrt sein.\n(Eingegangen am 29. October 1900.)","page":125}],"identifier":"lit31427","issued":"1901","language":"de","pages":"101-125","startpages":"101","title":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von den Lage- und Bewegungsempfindungen","type":"Journal Article","volume":"25"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:09:01.209330+00:00"}