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{"created":"2022-01-31T16:10:38.626927+00:00","id":"lit31429","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Lipps, Th.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 25: 161-203","fulltext":[{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\nVon\nTh. Liffs.\nEinleitu n g.\nDas urspr\u00fcnglich \u201ePsychische\u201c sind die Bewusstseinsinhalte als solche, d. h. die Bewufstseinsinhalte, die oder sofern sie als \u201emein\u201c, als mir zugeh\u00f6rig, als durch .mich bedingt von mir unmittelbar erlebt werden. Diesem urspr\u00fcnglich \u201ePsychischen\u201c steht gegen\u00fcber das urspr\u00fcnglich \u201ePhysische\u201c. Dies ist gegeben in denjenigen Bewusstseinsinhalten, die und sofern sie als objectiv wirklich, d. h. hinsichtlich ihres Daseins 'und ihrer Beschaffenheit als nicht durch mich bedingt, als von mir unabh\u00e4ngig, als \u201eohne mich\u201c, kurz als \u201eNicht-Ich\u201c, mir unmittelbar sich darstellen.\nDiese Scheidung des Psychischen und des Physischen ist die urspr\u00fcngliche, d. h. sie ist di\u00a9 rein ph\u00e4nomenologische. Bei ihr1 aber bleibt es nicht. F\u00fcr den rein ph\u00e4nomenologischen Standpunkt sind auch die Hallucinationen Empfindungen, ihre Inhalte Empfindungsinhalte ; sie sind also auch, f\u00fcr eben diesen Standpunkt, objectiv wirklich und demnach physisch. Sie werden aber dann als nicht physisch erkannt Es findet sich eben fir sie in der realen physischen Welt keine Stelle. Erfahrung zwingt sie dem Gebiet des rein Psychischen zuzuweisen.\nDamit hat nun aber das Wort \u201epsychisch\u201c, zugleich mit dem Worte \u201ephysisch\u201c, eine v\u00f6llig neue .Bedeutung gewonnen, n\u00e4mlich eine solche, die nicht mehr auf die Ph\u00e4nomene geht, sondern den realen Grund ihres Daseins betrifft. Hallucinationen sind, obgleich sie als physisch erscheinen, in Wahrheit rein psychisch, d. h. sie sind lediglich Product\u00a9 \u2014 des Gehirns f\u00fcr den physiologisch-materialistischen Standpunkt, der Psyche f\u00fcr den Standpunkt des Psychologen, der als solcher vom Gehirn\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie i\u00f6.\t11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nTh. Lipps.\nnichts weifs, im Uebrigen Grund hat, jenen materialistischen Standpunkt nicht blind sich zu eigen zu machen. Jener ph\u00e4nomenologische Begriff des Psychischen hatte zum Inhalt die unmittelbar erlebte Beziehung zum unmittelbar erlebten Ich. Dieser ErkenntniTsbegriff des Psychischen hat zum Inhalt die erkannte Beziehung zum erschlossenen realen Ich, d. h. zur Psyche, wenn man will, zum Gehirn.\nDas Psychische wird auch bezeichnet als das \u201eSubjective\u201c. Demgem\u00e4fs h\u00e4tte ich hier ebensowohl von einem Gegensatz des Subjectivenim ph\u00e4nomenologischen Sinne, und des Subjectiven im Sinne eines realen Thatbestandes reden k\u00f6nnen. \u201eSubjectiv\u201c ist zun\u00e4chst das dem ph\u00e4nomenalen Subject, und es ist dann das dem realen Subjecte Zugeh\u00f6rige. Hallucinationen sind rein subjectiv im letzteren Sinne. Indem die Psychologie sie rein subjectiv nennt, hat sie also ohne Weiteres den Begiff des realen Subjects.\nDieser Begriff besteht nun freilich schon vorher. Das reale Ich oder die Psyche ist zun\u00e4chst dasjenige Reale, das dem unmittelbar erlebten Ich, d. h. dem in jedem Gef\u00fchl erlebten Ich, also dem Gef\u00fchls-Ich oder dem Ichgef\u00fchl zu Grunde gelegt wird. Es ist dann weiterhin dasjenige, das den Bewufstseins-inhalten zu Grunde gelegt wird, die und soweit sie an dies Ich unmittelbar gebunden erscheinen. Dieser Begriff des realen Ich oder der Psyche erf\u00e4hrt nun aber hier eine Bereicherung. Die Psyche ist auch das Substrat und das alleinige Substrat der Hallucinationen.\nDie Psychologie nun will nicht blos die psychischen Ph\u00e4nomene beschreiben, sondern sie will sie auch verst\u00e4ndlich machen, d. h. sie will sie in einen l\u00fcckenlosen Causalzusaminen-hang einordnen. Es ist Dasselbe, wenn ich sage, sie will die Gesetzm\u00e4fsigkeit einseben, nach welcher sie da sind. Die Psychologie hat hierin ihre eigentliche Aufgabe.\nIn dieser Aufgabe stimmt die Psychologie mit der Physik \u00fcberein. Nun findet die Physik die gesuchte Gesetzm\u00e4fsigkeit in dem unmittelbar Gegebenen nicht vor. Sie mufs erg\u00e4nzen. Die Atome, der Aether, die Aetherbewegungen etc. sind solche Erg\u00e4nzungen. Schliefslich erg\u00e4nzt sie nicht nur, sondern setzt eine im Einzelnen ganz anders beschaffene Welt an die Stelle der sinnlich wahrgenommenen. Die Elemente dieser letzteren sind \u201eZeichen\u201c \u2014 des zu Grunde liegenden physisch Realen.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Caumlit\u00e4t.\n16B\nWie nun verh\u00e4lt es sich in diesem Punkte mit der Psychologie? Darauf ist die Antwort theilweise schon gegeben. Es steht zun\u00e4chst fest, und zwar, ich betone dies, unbedingt und f\u00fcr Jedermann, dafs die Psychologie der Erg\u00e4nzung nicht \u00fcberhaupt entrathen kann. Die Psyche oder das Gehirn ist eine solche Erg\u00e4nzung; das Reale, das wir so nennen, ist im Be* wufsteeinsleben nicht unmittelbar mit vorgefunden, sondern es ist dazu hinzugedacht. Und wir k\u00f6nnen gleich n\u00e4her bestimmen : Diese Psyche ist einmal, wiederum f\u00fcr Jedermann, eine so oder so beanlagte, organisirte, disponirte. Und sie tr\u00e4gt zweitens in sich das System der Ged\u00e4chtnifsspuron. Hiermit haben wir also schon zwei Arten jenseits der Bewusstseinsinhalte liegender, also realer oder unbewufster Factoren des psychischen Lebenszusammenhangs. Sie sind unbewufst in dem Sinne, in welchem alles Reale unbewufst ist, in dem Sinne, dafs sie zwar gedacht, und insofern \u201eGegenst\u00e4nde\u201c des Bewufstseins werden k\u00f6nnen, ihr Dasein aber nicht im Dasein f\u00fcr mich oder f\u00fcr mein Be-wufstsem besteht, dafs sie also da sind, gleichg\u00fcltig ob ich von ihnen ein Bewufstsein habe oder nicht\nEndlich zieht die Psychologie, und zwar wiederum allgemein, zur Erkl\u00e4rung des Bewufstseinslebens die physiologischen Reize herbei. Sie werden speciell dem Dasein der Empfindungsinhalte zu Grande gelegt. Auch diese physiologischen Reize sind im obigen Sinne reale oder unbewufste Faetoren.\nIn dreifacher Weise also wird, von Jedermann, zur Erkl\u00e4rung des Bewufstseinslebens Unbewufstes herangezogen. In dreifacher Weise wird demselben ein solches zu Grunde gelegt.\nJetzt erhebt sich die Frage: Mufs die Psychologie, um das Bewufstseinsleben zu verstehen, vielleicht noch Weiteres erg\u00e4nzend hinzudenken? Setzt am Ende auch die Psychologie, indem sie den urs\u00e4chlichen Zusammenhang des psychischen Lebens denkend herstellt, an die Stelle der Bewufstseinsinhalte durchaus etwas Anderes? Besteht vielleicht der ganze Sinn der Psychologie darin, eine in sich gesetzm\u00e4fsige reale Welt aufzubauen, f\u00fcr welche die BewufstseinsinhaLe und ihr Zusammenhang nur Zeichen oder Symptome sind?\nGehirnvorg\u00e4nge und psychische Vorg\u00e4nge.\nWas ich meine, wird am leichtesten deutlich, wenn ich mich f\u00fcr einen Augenblick auf den Standpunkt des physiologischen","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nTh. Lippi.\nMaterialismus stelle. F\u00fcr ihn sind Bewufstseinsinhaite Begleiterscheinungen mechanischer Gehimvorg\u00e4nge. Diese liegen jenen zu Grunde oder jene sind an diese gebunden. Und damit pflegt sich die Ueberzeugung zu verbinden, es bestehe kein directer Causal Zusammenhang zwischen Bewufstseinsinhalten, sondern jeder solche Causalzusammenhang sei durch die Gehimvorg\u00e4nge vermittelt. Scheine etwa ein Bewufstseinsinhalt a einen Bewufst-seinsinhalt b hervorzurufen, so sei der Sachverhalt der : Der Gehirnvorgang A, an welchen der Bewufstseinsinhalt a gebunden ist, ruft den Gehimvorgang B hervor, an welchen b gebunden ist, und damit kommt dann auch der Bewufstseinsinhalt b zu Stande.\nDiese Betrachtungsweise eignen wir uns nun durchaus nicht ohne Weiteres an. Aber das Thats\u00e4chliche, was ihr zu Grunde liegt, hat nat\u00fcrlich auch f\u00fcr uns seine volle Bedeutung. Auch wir leugnen nicht, dafs Bewufstseinsinhaite an materielle Gehirnvorg\u00e4nge gebunden erscheinen. Wir wissen nur nicht oder zweifeln, ob die materiellen Gehimvorg\u00e4nge das den Bewufstseinsinhalten zu Grunde Liegende seien d. h. ob mit dem Hinweis auf diese Gehirnvorg\u00e4nge das R\u00e4thsel des Daseins der Bewufstseinsinhaite durchaus gel\u00f6st sei. Wir entnehmen der Erkenntnifs des Physiologen dies, dafs es nicht blos ein Substrat der Bewufstseinsinhaite, sondern dafs es auch, in diesem Substrat, Vorg\u00e4nge giebt, und dafs nicht nur das Dasein jenes Substrates, sondern dafs zugleich das Dasein dieser Vorg\u00e4nge f\u00fcr das Dasein der Bewufstseinsinhaite Bedingung ist. Wir identificiren nur nicht ohne Weiteres diese Vorg\u00e4nge mit den Gehimvorg&ngen, so wie wir nicht ohne Weiteres jenes Substrat mit dem Gehirn identificiren. Sondern wir sehen in den mechanischen oder r\u00e4umlichen Vorg\u00e4ngen im Gehirn dasjenige, was sie zweifellos zun\u00e4chst sind, d. h. wir sehen darin die Weise, wie das, was thats\u00e4chlich in uns geschieht oder \u201evorgeht\u201c, der sinnlichen Erkenntnis eines draufsen stehenden Beobachters sich darstellt Und wir lassen zugleich dahingestellt, ob dies thats\u00e4chliche Geschehen in dem Bilde mechanischer oder r\u00e4umlicher Vorg\u00e4nge, wie es der draufsen stehende Beobachter gewinnt, sein ganzes Wesen kund giebt.\nUnd schliefslich f\u00fcgen wir hinzu: Gesetzt auch, es best\u00e4nde gar kein Zweifel an der Identit\u00e4t dessen, was in oder an dem Substrat des psychischen Lebens vorgeht und den Bewufstseins-","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n165\nInhalten zu Grande liegt, einerseits, und den mechanischen Gehirnvorg\u00e4ngen andererseits, so w\u00fcrden doch jene Vorg\u00e4nge f\u00fcr uns nicht Gehirn Vorg\u00e4nge sein. Sie w\u00e4ren f\u00fcr uns auch in diesem Falle \u201epsychische\u201c und nur psychische Vorg\u00e4nge. Sie w\u00e4ren dies aus dem gleichen Grunde, aus dem das Substrat der Bewufstseinserscheinungen, in welchem sie stattfinden, f\u00fcr ans nicht Gehirn sondern Psyche oder Seele ist. Der Grund ist einfach der, dafs Psychologie \u2014 Psychologie ist und nicht Physiologie.\nGiebt es nun aber f\u00fcr uns psychische Vorg\u00e4nge, an welche die Bewufstseinsinhalte gebunden sind, dann hat f\u00fcr uns auch weiter jene Anschauung von der Natur der psychischen Causalit\u00e4t Bedeutung. Ein Bewusstseinsinhalt a kann auch f\u00fcr uns nicht ohne Weiteres den Bewufstseinsinhalt b ins Dasein rufen. Sondern es mufs zun\u00e4chst der dem b zu Grunde liegende psychische Vorgang ins Dasein gerufen werden. Sonst w\u00e4re ja eben der Bewufstseinsinhalt thats\u00e4chlich nicht an diesen Vorgang gebunden. Und bedingen sich Bewufstseinsinhalte wechselseitig, so mufs auch dies zun\u00e4chst ein Bichbedingen der psychischen Vorg\u00e4nge sein, das nur mittelbar als Sichbedingen der Bewufstseinsinhalte sich darstellt. Nun ist aber der psychische Lebenszusammenhang \u00fcGe r a 11 ein wechselseitiges Sichbedingen. Es ist also der psychische Lebenszusammenhang seiner eigentlichen Natur nach ein Zusammenhang der psychischen Vorg\u00e4nge und nur mittelbar ein solcher der Bewufstseinsinhalte.\nDa die fraglichen Vorg\u00e4nge reale Vorg\u00e4nge sind, also solche, deren Dasein nicht darin besteht, selbst Bewufstseinsinhalte zu sein, so k\u00f6nnen wir dies auch so ausdr\u00fccken :\nDer psychische Lebenszusammenhang ist durchaus ein Zusammenhang des Realen. Es ist Dasselbe, wenn ich sage : Er ist durchaus ein Zusammenhang des Unbewufsten.\nPsychische Ph\u00e4nomene und realer psychischer\nZusammenhang.\nDazu nun sind wir hier gelangt von physiologischen Einsichten her. Aber wir bed\u00fcrfen dieses Ausgangspunktes nicht, um zum gleichen Ziele zu gelangen.\nWie sonst, so interessrrt mich auch hier zun\u00e4chst die Anschauung des naiven Bewufstseins, die nie grundlos ist Ich frage: Wenn ich behaupte, ein Gesicht erinnere mich an einen","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\n71. I\u00c4fp*.\nBekannten, heilst, dies nach gemeiner Anschauung, 'das Gesicht, dies Wahrgenommene oder dies Wahmehmungsbild, sei die unmittelbare Ursache oder auch nur die unmittelbare Theilursache fur das Vorgestellte oder das. Vorstellungsbild \u201emein Bekannter\u201c? Meint man, der eine Bewufstseinsinhalt lasse den .anderen Bewufstseinsinhalt unmittelbar aus sieh oder, wenn man Heber will, aus dem Nichte entstehen?\nIch vermuthe, Jedermann wird antworten : Nicht jener Inhalt erzeugt diesen Inhalt, sondern die Wahrnehmung jenes erzeugt die Vorstellung dieses. Und dabei ist, soviel ich sehe, unter der Wahrnehmung und ebenso unter der Vorstellung der reale Vorgang verstanden, dem die Inhalte ihr Dasein verdanken. Es ist gemeint, dadurch, dafs ich das Gesicht sehe, werde in mir ein an sich dem Bewufsteein sich entziehender, ganz und gar nicht unmittelbar beobachtbarer oder belauschbarer Vorgang ausgel\u00f6st, es kn\u00f6pfe sich an jene Gesichtswahmehmung ein Procefs oder eine Erregung, deren Ergebnifs eben das Dasein des Vorstellungsbildes sei Das. Sich-Erinnern, so scheint mir, ist f\u00fcr das gemeine Bewusstsein durchaus nicht einfach das Dasein des Erinnerungsbildes, nachdem dasselbe vorher nicht da war, sondern es ist eine an sich jenseits des Bewusstseins liegende \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c, ein reales inneres 'Geschehen.\nUnd wenn nun einige Psychologen Mene machen, dies reale Geschehen auszuschalten, woran. Hegt dies ? Ich meine, dies liegt an der ungl\u00fcckseligen, '\u00fcberall Verwirrung stiftenden Nichtunterscheidung von Wahmehmungsinhalt und Vorstellungsinhalt einerseits und Vorgang des Wahmehmens und Vorstellens andererseits. Man redet von Empfindungen und Vorstellungen und meint, ohne sich dar\u00fcber klar zu sein, bald die Inhalte, also das Empfundene bezw. Vorgestellte, bald das Empfinden oder Vorstellen, d. h. das Geschehen oder Thun, wodurch die Inhalte ins Dasein gerufen werden. Man sieht ein, dafs Empfindungen und Vorstellungen wirken, sich beeinflussen, und meint, man h\u00e4tte damit eine psychische Causalit\u00e4t der Inhalte festgestellt Ich glaube allen Ernstes, ohne diese Verwechselung, die nicht etwa vom gemeinen Bewufsteein, sondern erst von den Psychologen geschaffen ist, w\u00e4re von einer psychischen Causalit\u00e4t der Be-wufsteeinsinhalte niemals geredet worden.\nIndessen lassen wir diese Berufung auf das gemeine Be-wufstsein. Sehen wir auch vorerst noch ab von allen einzelnen","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische CausaUt\u00e4t.\n167\nThatsachen, die f\u00fcr unsere Frage in. Betracht kommen m\u00f6gen. Es scheinen sich dann zun\u00e4chst zwei einander entgegengesetzte wissenschaftliche Anschauungen verm\u00f6ge ihrer Einheitlichkeit und Consequenz zu empfehlen; n\u00e4mlich die eine, die durchaus Bewu\u00dftseinsinhalt\u00a9 aus Bewusstseinsinhalten hervorgehen J\u00e4fst, die andere, di\u00a9 durchaus Reales aus Realem hervorgehen und die Bewufstseinsinhalte daran sich kn\u00fcpfen l\u00e4fst.\nWir sahen nun aber schon, jene erster\u00a9 Anschauung ist that* s\u00e4chlich unm\u00f6glich. Jede Wirkung eines physiologischen Reizes und jedes Eingreifen einer Anlage, urspr\u00fcnglichen oder erworbenen Disponirtheit der Psyche, jedes Wirksamwerden einer Ged\u00e4chtnifsspur durchbricht sie: Und jedermann nimmt ja dergleichen an. So sehr man es also bedauern mag \u2014 weil damit- eine Anschauung zerst\u00f6rt wird, der man gerne sich hingeben m\u00f6chte \u2014 es ist nun einmal so : Bas Bewufstsemsleben ist an Reales, also an etwas, das jenseits des Bewufstseinslebens liegt, gebunden.\nSo bleibt f\u00fcr denjenigen, der nicht der anderen ebenso einheitlichen Anschauung sich anschliefsen will, nur der Com pro mils, die Halbheit, das Schweben zwischen beiden Anschauungen : Bewu\u00dftseins erlebnisse haben den Grand ihres Daseins in Be wufstseinserlebnissen, und sie haben ihn andererseits auch wiederum nicht darin, sondern in einem zu Grande liegenden Realen.\nAber ich frage : Ist dies nicht etwa so, als ob man ein Verm\u00f6gen, das man im, Traum\u00a9 gewonnen bat, zu dem auf der Bank- liegenden realen Verm\u00f6gen hinzuaddiren und nun mit beiden zusammen ein Gesch\u00e4ft anfangen wollte? L\u00e4fst sich in solcher Weise Ideelles und Reales an einen und denselben Karren spannen, mit der Zumuthung, dais Beides zusammen den Karren von der Stelle bringe?\nHiermit kommen wir auf das eigentlich Entscheidende. Ideelles l\u00e4fst sich nur an einen ideellen Karren spannen, und zwar wiederum nur ideell, und mit aussehliefslich ideellem Er-folg. Oder ohne dies grobe Bild: Bewufstseinsmhalt\u00a9 oder Be-wufstsemserlebnisse sind, so lange ich sie lediglich als solche betrachte d. h. nicht \u00fcber sie hinaus zu einem Realen fortgehe, schlechterdings nichts als Bewufstseinsinhalte, oder wie ich schon soeben sagte, sie sind etwas Ideelles. Ich kann auch sagen: Sie sind nichts als Erscheinungen oder Ph\u00e4nomene. Dies alles","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nTh. Lipps.\nheilst: Sie haben kein. Dasein als das Dasein in meinem Be-wufstsein.\nUnd dies heilst zugleich, dals es keinen Sinn hat, Bewu\u00dftseinsinhalten als solchen Merkmale zuzuschreiben oder Pr\u00e4dicate zuzuerkennen, die irgendwo anders sich finden, als wiederum \u2014 im Bewulstsein, oder die diesen Bewulstseinsinhalten auch abgesehen vom Bewulstsein zukommen. Gebe ich Bewusstseinsinhalten solche reale Pr\u00e4dicate, so betreffen diese, eben weil sie reale, also auch aufserhalb meines Bewufstseins bestehende oder fortbestehende Pr\u00e4dicate der \u201eBewufstseinsinhalte\u201c sind, nicht mehr die Bewu\u00dftseinsinhalte als solche, sie beziehen sich nicht mehr auf das nur im Bewulstsein Existirende, das Ideelle, Ph\u00e4nomenale, sondern sie beziehen sich nothwendig auf etwas, oder sind Pr\u00e4dicate von etwas, das gleichfalls nicht nur f\u00fcr das Bewulstsein, sondern auch aufserhalb desselben besteht oder fortbesteht; kurz sie sind Pr\u00e4dicate eines Realen.\nNun ist der psychische Lebenszusammenhang, den die Psychologie zu erkennen sich bem\u00fcht, ein realer. Er ist kein blofses Ph\u00e4nomen ; er ist nicht ein Zusammenhang, der nur ideelle Existenz hat, oder dessen ganzes Dasein sich ersch\u00f6pft im Dasein f\u00fcr mein Bewulstsein. Sondern derselbe besteht, mag er nun mir bewufst sein oder nicht. Also hat es keinen. Sinn, diesen Zusammenhang als einen, Zusammenhang der Bewufst-seinsinhalte zu betrachten, oder zu fordern, dafs er als ein Zusammenhang von Bewulstseinsinhalten, ein Zusammenhang des Ideellen als solchen, ein Zusammenhang von psychischen Erscheinungen, gedacht werde. Sondern dieser Zusammenhang ist unweigerlich und ist durchaus ein Zusammenhang des Realen.\nSagen wir dies noch bestimmter. Fassen wir dabei zugleich die Frag\u00a9 m\u00f6glichst einfach und ganz concret Der von der Psychologie gesuchte reale Zusammenhang ist ein causaler. Ein solcher causaler Zusammenhang ist jedesmal, zun\u00e4chst ein zeitlicher, n\u00e4mlich ein realer zeitlicher Zusammenhang.\nBleiben wir hierbei einen Augenblick. Eie Psychologe statuire eine reale zeitliche Beziehung zwischen Bewufstsems-inhalten. Er behaupte nichts weiter als dies : Ein Vorstellungsinhalt A war in mir oder war in. einem anderen Individuum thats\u00e4chlich oder realiter vor einem Vorstellungsinhalt B. Dann sage ich, und ich. hoffe, ich thue dies in Uebereinstimmung mit Jedermann: Die Frage, in welchem","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n169\nzeitlichen Verh\u00e4ltnisse diese zwei Vorstellungsinhalte rein als solche, also eben als Vorstellungsinhalte, zu einander stehen, hat entweder gar keinen Sinn, oder sie hat den Sinn: In welchem zeitlichen Verh\u00e4ltnis stehen die Inhalte als vorgestelltev <Lh. in welchem zeitlichen Verh\u00e4ltnis stehen sie f\u00fcr meine Vorstellung; anders gesagt, als in welchem zeitlichen Verh\u00e4ltnis zu einander stehend sind die Inhalte vorgestellt. Ich wiederhole nur oben bereits Gesagtes, wenn ich hinzuf\u00fcge: Da die Vorstellungsinhalte als solche \u00fcberhaupt nur in der Vorstellung oder allgemeiner gesagt, im Bewufstsein da sind, so kann ihnen, als solchen, auch nur in der Vorstellung oder im Bewufstsein eine zeitliche Beziehung anhaften.\nDarum nun aber handelt es sich in jener Aussage nicht. Die Meinung derselben ist nicht, dafs die fraglichen Inhalte als in der bestimmten zeitlichen Beziehung stehend von mir oder dem anderen Individuum vorgestellt werden, sondern die Aussage hat dfen Sinn, die zeitliche Beziehung bestehe, gleichg\u00fcltig, wie es mit ihrem Vorgestelltwerden sich verhalte. Sie behauptet eine Weise des Eingeordnetseins der Inhalte nicht in die ideelle Zeit, die in meinem oder der anderen Person Bewufstsein ihr Dasein hat, sondern in die reale Zeit, in ganz dieselbe reale Zeit, in welche etwa die realen physikalischen Thatsachen von uns eingeordnet werden. Also redet sie in Wahrheit nicht von den Bewufstseinsinhalten als solchen. Sie bewegt sich nicht mehr in der rein ideellen Welt, der Welt der Erscheinungen oder Ph\u00e4nomene, sondern in der Welt des Realen, das einzig und allein in realen zeitlichen Beziehungen stehen kann. Schon jene einfache Aussage also spricht zwar von Bewufstseinsinhalten, hat aber in Gedanken etwas Anderes, n\u00e4mlich ein zu Grunde liegendes Reales mit hinzugenommen. Sie meint die Bewufstseinsinhalte, sofern sie an ein solches Reales gebunden sind.\nVielleicht ist es zura vollen Verst\u00e4ndnifs dessen, was ich hier eindringlich machen will, n\u00fctzlich, wenn ich zum Vergleich auch noch die r\u00e4umlichen Beziehungen heranziehe. Zwei Vorstellungsinhalte befinden sich als solche in einer gewissen r\u00e4umlichen Entfernung von einander. Dies kann gewifs nichts Anderes heifsen, als, sie werden als in dieser Entfernung von einander befindlich vorgestellt. Umgekehrt, soll es einen Sinn haben zu sagen, die Entfernung sei eine nicht nur vorgestellte, sondern","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nTh. Lippi.\nbestehe auch, abgesehen, davon, ob sie vorgestellt sei* sei \u2018also real., so ist vorausgesetzt, dals es sieh nicht mehr um blofee Vorstellungsinhalte handelt, sondern um etwas Reales. Indem ich von der realen Entfernung spreche, mache ich unweigerlich aus den Vorstellungsinhalten in meinen 'Gedanken etwas Reales oder lege ihnen etwas Reales zu Grunde. Nur Reales kann in. realen, r\u00e4umlichen Beziehungen oder kann, im realen Raum in diesen oder jenen Beziehungen stehen.\nPli Ino me naler und Causalzusammenhang.\n.Nehmen wir das Ideelle und Reale, das wir Mer einander gegen\u00fcberstellen, jetzt im Ganzen. Wir m\u00fcssen dam zun\u00e4chst betonen: Es giebtgewifs nicht nur einzelne Bewu\u00dftseinsinhalte, einzelnes Ideelle, Ph\u00e4nomenale, unmittelbar Vorgefundene, sondern es giebt ganz gewifs auch einen Zusammenhang desselben. Aber dieser Zusammenhang, das ist eben der ideelle, ph\u00e4nomenale, der unmittelbar Vorgefundene Zusammenhang. Derselbe ist, genauer gesagt, zun\u00e4chst Beziehung aller gegenst\u00e4ndlichen Bewufstseinsinhalte auf mich, n\u00e4mlich auf das unmittelbar erlebte oder ph\u00e4nomenale Ich, das Gef\u00fchis-Ich oder das Ich-gef\u00fchi Der fragliche Zusammenhang ist weiter der r\u00e4umliche oder zeitliche Zusammenhang, in welchen die wahrgenommenen Inhalte f\u00fcr die Wahrnehmung, die vorgestellten f\u00fcr die Vorstellung stehen.\nUnd besonders ist noch hervorzuheben : Es findet eich in diesem Zusammenhang auch ein mannigfaches \u201eBedingen\"4 und \u201eBedingtsein\u201c, allerlei Arten der \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c, des \u201eHervorgehens44. D. h. es finden sich darin die besonderen Icherlebnisse und Weisen meines unmittelbar erlebten Bezogenseins auf gegenst\u00e4ndliche Bewusstseinsinhalte, die wir eben mit diesen Namen bezeichnen, und die zugleich einzig und allein den urspr\u00fcnglichen Sinn alles Bedingen\u00ab, Bedingtseins etc. ausmachen.\nDieser Zusammenhang ist nun, im Ganzen genommen, weder \u201epsychisch\u201c noch \u201ephysisch\u201c, sondern er ist ein dem Psychologen und dem Physiker Gegebenes. Er ist ein dem Physiker Gegebenes, oder wie wir oben sagten, ein \u201eurspr\u00fcnglich Physisches44, soweit er zugleich unmittelbar als objectiv wirklich erscheint, d. h. insbesondere, soweit er wahrgenommener Zusammenhang des Wahrgenommenen ist Er ist im Uebrigen","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Caumlit\u00e4t.\n171\nein dem Psychologen Gegebenes oder ein urspr\u00fcnglich \u201ePsychisches\u201c.\nVon diesem unmittelbar gegebenen Zusammenhang ist nun aber wohl zu unterscheiden der reale Zusammenhang, den der Physiker sucht und statuirt. Und nicht minder der reale Zusammenhang, den der Psychologe denkend aulbaut\nBeide, der Physiker und der Physiologe, verhalten sich, indem sie einen realen Zusammenhang aufbauen, zu dem ideellen, ph\u00e4nomenalen, Vorgefundenen Zusammenhang nicht gleich aber gleichartig. Der Physiker nimmt in seinen realen Zusammenhang aus dem ph\u00e4nomenalen die unmittelbar als objectiv wirklich sich darstellenden r\u00e4umlichen und zeitlichen Zusammenh\u00e4nge her\u00fcber, nicht durchaus, sondern soweit die Erfahrung ihn nicht zur Correctur derselben n\u00f6thigt. Der Psychologe dagegen weifs nichts von realen r\u00e4umlichen Zusammenh\u00e4ngen. Er statuirt aber gleichfalls zeitliche, n\u00e4mlich reale zeitliche Zusammenh\u00e4nge. Und beide endlich statuiren sie Gausal-zusammenh\u00e4nge, die in keiner Weise unmittelbar vorgefunden werden, also ganz und gar jenseits jenes ph\u00e4nomenalen Zusammenhanges liegen.\nAuch diese Causalzusammenh\u00e4nge bezeichnen wir nun freilich als ein \u201eBedingen\u201c, \u201eBedingtsein\u201c, \u201eHervorgehen\u201c etc. Aber wir m\u00fcssen wohl beachten, was dies besagen will Causaler Zusammenhang ist an sich nichts, als gegebene, von uns nur anzuerkennende, kurz, reale Gesetzm\u00e4fsigkeit, damit zugleich Gesetzm\u00e4fsigkeit des Realen, n\u00e4mlich des realen Daseins und Geschehens: Wenn Eines ist oder geschieht, so ist oder geschieht ein Anderes, nicht in unserer Vorstellung, sondern realiter, d. h. wir m\u00f6gen es vorstellen oder nicht.\nIn diese Gesetzm\u00e4fsigkeiten tragen wir dann aber von uns aus jene Icherlebnisse, das Bedingen, das Hervorgehen, die Th\u00e4tigkeit hinein. Wir objectiviren sie. Und dies keineswegs ohne Anlafs. Der Gedanke an die Ursache, oder unser Denken derselben, das Bewufstsein, dafs sie existire, \u201ebedingt\u201c in der That den Gedanken an die Wirkung. D. h. genauer: Ich erlebe in der That mich, der ich, oder sofern ich die Ursache denke, als den Gedanken an die Wirkung bedingend. Der Gedanke an die Wirkung \u201egeht\u201c, so kann ich dies auch ausdr\u00f6cken, aus mir, sofern ich die Ursache denke, \u201ehervor\u201c, er geht hervor aus dieser meiner \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c. Ich f\u00fchle","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nTh. Lipp%.\nihn daraus hervorgehend. Daraus nun machen wir ein Bedingt-sein der Wirkung durch die Ursache, eine Th\u00e4tigkeit der Ursache, ein Hervorgehen der Wirkung aus dieser Th\u00e4tigkeit.\nUnd wir verstehen auch wohl, wie dies zugeht. Das soeben Gesagte darf ich ja ohne weiteres auch so wenden, dafs ich sage: Die Ursache bedingt die Wirkung, sofern n\u00e4mlich jene und diese von mir gedacht wird, oder allgemein gesagt, sofern beide mein geistiger Besitz und Gegenst\u00e4nde meiner Th\u00e4tigkeit sind. Diese Bestimmungen nun, die der Ursache und Wirkung zukommen und immer zukommen, wenn und sofern sie von mir gedacht sind, lasse ich ihnen dann auch mit R\u00fccksicht auf die Zeiten, wo sie von mir nicht gedacht sind. Und das Gleiche gilt vom \u201eHervorgehen\u201c und von der \u201eTh\u00e4tigkeit\u201c. Und so scheinen die Ursachen an sich bedingend, th\u00e4tig, die Wirkungen an sich bedingt, hervorgehend.\nDarum haben doch die Causalzusammenh\u00e4nge an sich, d. h. als diese, vom Gedachtwerden unabh\u00e4ngige Thatsachen, mit diesen Icherlebnissen ganz und gar nichts zu thun. \u2014 Ich f\u00fcrchte sehr, dafs auch die mangelnde Klarheit hinsichtlich dieses Sachverhalts, d. h. der Mangel an Klarheit in der Scheidung jener Icherlebnisse einerseits und des realen Causalzusammenhanges, in den, wenn er von uns gedacht wird, diese Icherlebnisse unweigerlich hinein spielen, andererseits, Antheil haben an der von uns bek\u00e4mpften Hinein mengung dieses realen Causalzusammenhanges in die Welt des unmittelbar Erlebten.\nSo verschieden nun die beiden Zusammenh\u00e4nge, der ideelle und der reale, von einander sind, so sehr wir, wenn wir den einen und den anderen gegenw\u00e4rtig haben, in zwei v\u00f6llig verschiedenen Welten uns bewegen, so besteht nun doch zwischen ihnen eine Beziehung. Das Ideelle, das an sich nur einen Ort hat in dem ideellen Zusammenhang, gewinnt einen Ort in dem realen zeitlichen und causalen Zusammenhang, indem wir es gedanklich an ein Reales und speciell an die realen psychischen Vorg\u00e4nge kn\u00fcpfen. Auch das Ideelle wird auf diese Weise so-zuzagen real - zeitlich und causal localisirt. Aber dies heilst nur: Indem wir das Ideelle gegenw\u00e4rtig haben oder erleben, denken wir, wenn auch v\u00f6llig unbestimmt, einen realen Vorgang, und verbinden diesen mit jenem Ideellen zu einem einzigen Inhalt des Denkens. Wir haben dann also Eines, dessen zwei Seiten das Erlebte und dies Hinzugedachte sind. Das Hinzu-","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n173\ngedachte aber denken wir als real, und demgem\u00e4fs als einer realen Zeit und einem realen Causalzusammenhang angeh\u00f6rig. Wir loca\u00fcsiren es in der realen Welt. Damit loea\u00fcsiren wir indirect auch das Ideelle, das damit Eines ist. Diese Localisation ist- eine Pseudolocalisation, vergleichbar der r\u00e4umlichen Localisation der T\u00f6ne, di\u00a9 darin besteht, dafs wir mit dem Tone ein\u00a9 sichtbare Tonquelle, mitunter auch v\u00f6llig unbestimmt, zur gedanklichen Einheit verbinden, und nun diesem Sichtbaren ein\u00a9 r\u00e4umliche Stelle zu weisen. Der Ton, an sich allen Raumbegriffen unzug\u00e4nglich, ist irgendwo in der Aufsenwelt, d. h. das von ihm gedanklich nicht getrennte Sichtbare ist in dieser Welt irgendwo. So ist auch das von mir Vorgestellte psychisch irgendwo, n\u00e4mlich irgendwo im realen zeitlichen und Causal-zusammenhange des psychischen Lebens, d. h. der von ihm gedanklich nicht getrennte psychische Vorgang ist irgendwo in dieser Welt.\nPhysik und Psychologie.\nWie verh\u00e4lt sich nun der reale psychische zum realen physischen Zusammenhang? Zun\u00e4chst gilt von Beiden Gleiches: Die Farbe, das gesehen\u00a9 Roth etwa, ist f\u00fcr die fortgeschrittener\u00a9 physikalische Erkenntnifs nicht mehr ein Reales sondern ein Ph\u00e4nomen. Das Roth hat demnach auch keinen Ort im realen Raum und keine Steile in dem realen physischen Zusammenhang. Aber das Roth wird zusammengedacht mit einem Realen, mit der Oberfl\u00e4chenbeschaffenheit eines K\u00f6rpers, die Lichtstrahlen bestimmter Wellenl\u00e4nge reflectirt; es wird gedacht i\u00fce die Erscheinungsseite dieses Realen. Und damit hat es indirect doch seinen Ort im realen Raum und seine Stelle im physischen Zusammenhang.\nStatt als Erscheinungsseite einer realen Beschaffenheit eines Dinges, k\u00f6nnen wir das Roth auch bezeichnen als Zeich en dieses Realen oder als Bewufstseinssymptom seines Daseins. Es ist ein von dem Bezeichneton durchaus verschiedenes Zeichen. So sind auch f\u00fcr den Psychologen die Bewusstseinsinhalte oder die psychischen Ph\u00e4nomene Zeichen oder Symptome eines von ihnen v\u00f6llig verschiedenen Realen.\n' Eben Mer aber besteht ein erster wesentlicher Unterschied. Be ist der schon angedeutete. Die r\u00e4umlichen und die zeitlichen Beziehungen, die Gestalten, die Bewegungen, die. der Physiker","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nTh. Lippu.\nwahrnimmt, sind ihm nicht blofse Zeichen. Diese Wahrnehmungsinhalte, die ihm ja eben als Wahrnehmungsinhalte unmittelbar real oder objectiv wirklich erscheinen, nimmt ver in seine reale Welt mit hinein. Er corrigirt sie nur, soweit es f\u00fcr den Aufbau dieser realen Welt sich als nothwendig erweist Im Uebrigen l\u00e4fst er ihnen die Realit\u00e4t, die sie haben.\nDagegen ist dem Psychologen alle R\u00e4umlichkeit gleichfalls nur Zeichen oder Symptom, n\u00e4mlich Zeichen oder Symptom f\u00fcr Beziehungen zwischen psychischen. Vorg\u00e4ngen. Lediglich die wahrgenommenen zeitlichen Beziehungen nimmt er, wiederum soweit nicht eine Correctur sich als erforderlich erweist, gleichfalls in seinen realen Zusammenhang mit hinein. Man hat gesagt, f\u00fcr den Physiker seien die Bewufstseinsinhalte nur Zeichen, f\u00fcr den Psychologen seien sie die Sache selbst. In Wahrheit verh\u00e4lt sich die Sache so : F\u00fcr keinen von beiden sind alle Bewufstseinsinhalte blofse Zeichen, f\u00fcr den Psychologen aber sind sie es in weiterem Umfange.\nEndlich ist der wesentlichste Unterschied des realen physischen und des realen psychischen Zusammenhanges der : Dieser ist den Ph\u00e4nomenen unmittelbar zu Grunde gelegt, jener mittelbar, n\u00e4mlich so, dafs die Sinne, oder allgemeiner gesagt, dafs ein St\u00fcck der realen Welt dazwischen liegt. Oder von der entgegengesetzten Seite her betrachtet: In der Welt der Be-wufstseinserscheinungen offenbart sich die Welt des psychisch Realen unmittelbar, die des physisch Realen, soweit n\u00e4mlich sie darin sich offenbart, mittelbar, insbesondere durch die Sinne hindurch. Damit sind zugleich die Welt des psychisch und die Welt des physisch Realen in neuer Weise begrifflich von einander geschieden. Der reale psychische Zusammenhang, das ist eben der den Bewufstseinsinhalten unmittelbar, der reale physische Zusammenhang, das ist eben der ihnen mittelbar zu Grunde gelegte reale Zusammenhang. Der Psychologe und der Physiker, sie unterscheiden sich dadurch, dafs jener in solcher unmittelbaren N\u00e4he der Bewufstseinsinhalte bleibt, dieser sich davon entfernt.\nPsychische Vorg\u00e4nge. Genauere Bestimmung.\nDie im Vorstehenden angestellte Ueberlegung tr\u00e4gt in sieh, soviel ich sehe, volle Ueberzeugungskraft Aber wir begn\u00fcgen uns damit nicht. Die sicherste St\u00fctze sollen uns die Thatsachen","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"JPsycImcAc Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n175\nsein. Ehe wir aber dazu \u00fcbergehen, vervollst\u00e4ndigen wir erst den Begriff der \u201epsychischen Vorg\u00e4nge\u201c. Sie sind reale Vorg\u00e4nge, die dem Dasein der Empfindlings- und Vorstellungsinhalte 'unmittelbar zu Grunde liegen. Aber dies \u201eunmittelbar\u201c ist keine gen\u00fcgende Bestimmung. Dem Ton, diesem Empfindungs-inhalt liegt ein aus vielen zeitlich aneinandergereihten Vorg\u00e4ngen bestehender Procefs zu Grunde. Der fragliche Procefs beginnt mit der Schwingung des t\u00f6nenden K\u00f6rpere, setzt sich fort in den (Schwingungen der umgebenden Luft, der Beizung des peripheren Organs, der Erregung der Fasern der Geh\u00f6rnerven etc. Was ist nun hier der dem Bewusstseinsinhalt- unmittelbar zu Grunde liegende Vorgang? Nat\u00fcrlich das Endglied des Procefses, der Theil des Procefses, der unmittelbar vor dem Punkte liegt, wo der Empfindungsinhalt ins Dasein tritt. Aber von wo an, rechnen wir dies Endglied? Wo also beginnt jener Gesammtprocefs \u201epsychischer Vorgang\u201c zu sein?\nDie Antwort hierauf ergiebt sich daraus, dafs die \u201epsychischen\u201c Vorg\u00e4nge, wie der Name sagt, Vorg\u00e4nge sind in der Psyche, Erregungen derselben. Die \u201ePsyche\u201c definirten wir bisher als das unmittelbare Substrat des Bewufstseinslebens. Aber die Psyche ist f\u00fcr uns zun\u00e4chst das Substrat des Bewufstseinslebens d. h das einheitliche Substrat, nicht eie Haufe von Substraten der einzelnen Bewufstseinserlebnisse.\nDiese Einheitlichkeit erkennen wir aus der Einheitlichkeit der psychischen Erlebnisse. Oder vielmehr, dieselbe ist gar nichts-Anderes als die Einheitlichkeit der psychischen Erlebnisse auf den.Begriff der Psyche \u00fcbertragen.\nDies wird deutlich, wenn ich frage: Was ist denn \u00fcberhaupt Einheitlichkeit eines Beaien, das wir einer Mannigfaltigkeit von Erscheinungen zu, Grunde legen ? Die Antwort mufs lauten : Solche Einheitlichkeit besagt jederzeit, dafs die E r s c h e i n u n g e n aneinander gebunden sind. Das Atom etwa ist eine Einheit, weil die von ihm ausgehenden Wirkungen aneinander gebunden sind. Die Einheit des Atoms ist eine sachliche oder eine substanzielle Einheit, sofern die Wirkungen sachlich oder causal aneinander gebunden sind. Sie ist zugleich ein\u00a9 r\u00e4umliche Einheit, sofern die Wirkungen auch r\u00e4umlich aneinander gebunden sind: Sie weisen auf einen einzigen, r\u00e4umlichen Ort,\nVon einer r\u00e4umlichen Einheit der Psyche .nun-wissen wir nichts. Die psychischen Erlebnisse weisen nicht auf einen","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"17t'\nTh. Lipps.\nr\u00e4umlichen Punkt. Kein Wunder, da sie \u00fcberhaupt auf kein\u00ab r\u00e4umlichen Qualit\u00e4ten ihres Substrates hinweisen. \u2014 Dagegen ist die Psyche eine substanzielle Einheit Sie ist es, weil ihre Wirkungen, oder weil die Erscheinungen, denen sie zu Grunde ge-legt ist, sachlich an einander gebunden sind, oder weil das psychische Leben des Individuums sich als ein einheitlicher sachlicher oder \u2022causaler Zusammenhang darstellt. Man bedenke Mer noch besonders : Wir wissen von einer Psyche \u00fcberhaupt nur, sofern sie wirkt, wir wissen also von einer Einheit der Psyche nur sofern sie einheitlich wirkt. Die einheitliche Wirkung aber kann f\u00fcr lins nichts anderes sein als die Einheit oder der Zusammenhang der Wirkungen.\nPsychische Vorg\u00e4nge sind also Vorg\u00e4nge in der einheitlichen Psyche. Und diese Behauptung ist identisch mit der Behauptung: Sie sind Elemente in dem einheitlichen psychischen Lebenszusammenhang, d. h. sie sind an den ganzen gleichzeitigen psychischen Lebenszusammenhang causal gebunden. Psychische Vorg\u00e4nge sind im Uebrigen, wie schon gesagt, solche Vorg\u00e4nge, die auf das Dasein von Empfindungsinhalten und ihnen entsprechenden oder ihnen gleichartigen Vorstellungs-inhalten unmittelbar abzielen. Fassen wir Beides zusammen, so -ergiebt sich die Definition der psychischen Vorg\u00e4nge: Wir benennen mit diesem Namen die auf das Dasein von Empfindungs-Inhalten und ihnen entsprechenden Vorstellungsinhalten abzielen-den Vorg\u00e4nge, die und soweit sie zum einheitlichen psychischen Lebenszusammenhang sich zusammenschliefsen, d. h. unter einander oder mit allen gleichartigen Vorg\u00e4ngen in durchg\u00e4ngiger unmittelbarer Abh&ngigkeitsbeziehung stehen.\nVielleicht bedarf hier noch das \u201eAbzielen\u201c einer genaueren Bestimmung. Mit diesem Worte ist gesagt, dafs die psychischen Vorg\u00e4nge, wofern sie nur gen\u00fcgende Kraft gewinnen, und Hemmungen, die der Erreichung des in ihnen liegenden Er-folges im Wege stehen, fehlen oder \u00fcberwunden werden, thal-s\u00e4chlich, und aus sich selbst, zum Dasein eines bestimmt beschaffenen Empfindungs- oder entsprechenden Vorstellungsinhaltes hinf\u00fchren.\nVielleicht bem\u00e4ngelt man auch den Ausdruck \u201eVorgang8. Dann bemerke ich, dafs es Jedem frei steht daf\u00fcr einen anderen, \u25a0etwa den Ausdruck \u201eErregung\u201c oder \u201eErregungszustand\u201c oder auch \u201eErregtheit\u201c zu setzen. Ja, ich bin bereit auf jeden","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalitiit.\n177\nbesonderen Namen \u00fcberhaupt zu verzichten und zu sagen : Psychische Vorg\u00e4nge sind das an sich Unbekannte, das den positiven und actuellen psychischen Grund f\u00fcr das Dasein der Empfindungs und der ihnen entsprechenden oder ihnen gleichartigen Vorstellungsinhalte in sich schliefst. Dabei ist das \u201epsychisch\u201c wiederum im oben bezeichneten Sinne zu nehmen. Indem ich die psychischen Vorg\u00e4nge den actuellen Grund des Daseins der Empfindungs- und entsprechenden Vor-stellungsinlialte nenne, stelle ich sie in Gegensatz zu den nicht actuellen Bedingungen desselben, d. h. zu den zust\u00e4nd-lichen Bedingungen, die an sich wirkungslos, erst durch das Auftreten eines actuellen Grundes oder eines psychischen \u201eVorganges \u201c, eines \u201eErregungszustandes44, einer \u201eErregtheit\u201c, zur Wirkung oder Mitwirkung gebracht werden. Solche zust\u00e4ndlichen Bedingungen sind die Beschaffenheiten der Psyche und die in ihr ruhenden Ged\u00e4chtnifsspuren oder Ged\u00e4chtnifsdispositionen. Wiefern die actuellen psychischen Gr\u00fcnde als \u201epsychische\u201c den physiologischen Beizen entgegenstehen, braucht nicht wiederholt zu werden.\nEndlich mache ich darauf aufmerksam, dafs ich nur von psychischen Vorg\u00e4ngen rede, die auf das Dasein von Empfindungs- und ihnen entsprechenden Vorstellungsinhalten abzielen, oder demselben zu Grande liegen. Neben diesen Gattungen von Bewufstseinsinhalten stehen noch zwei andere Gattungen von Bewufstseinsinhalten, n\u00e4mlich die r\u00e4umlichen und zeitlichen Beziehungen, Formen, Daseins weisen, und die Gef\u00fchle. Aber diesen liegen keine besonderen psychischen Vorg\u00e4nge zu Grunde. Sondern die erstere Gattung verdankt ihr Dasein gewissen Beziehungen zwischen psychischen Vorg\u00e4ngen; und die Gef\u00fchle sind das unmittelbare Bewufstseinssymptom f\u00fcr die Weise, wie sich die auf Empfindungs- und ihnen entsprechende Vorstellungsinhalte abzielenden Vorg\u00e4nge, sei es an sich betrachtet, sei es verm\u00f6ge ihrer Beziehungen zu anderen psychischen Vorg\u00e4ngen, zur Psyche oder ihren Zust\u00e4ndlichkeiten verhalten.\nDie Einheit des psychischen Lebenszusammenhangs, von der wir oben redeten, k\u00f6nnen wir an dieser Stelle nicht im Einzelnen aufzeigen. Wir bezeichnen sie am einfachsten durch Zuh\u00fclfe-n\u00e4hme des, Begriffs der Aufmerksamkeit, der freilich gleichfalls hier seinen eigentlichen Sinn nicht gewinnen kann.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 2b.\n12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nTh. Lipps.\nJedes psychische Erlebnifs erfordert zu seinem Vollz\u00fcge Aufmerksamkeit, und entzieht die Aufmerksamkeit, die ihm zu Thefl wird, der Gesammtheit der \u00fcbrigen Erlebnisse. Jede Zuwendung der Aufmerksamkeit zu Einem ist relative Abwendung der Aufmerksamkeit von allem Anderen.\nDieser Ablenkung der Aufmerksamkeit steht gegen\u00fcber die Hinlenkung. Jedes psychische Erlebnifs lenkt die Aufmerksam keit auf andere, sofern sie zu ihm in Beziehung stehen, sei es in erfahrungsgem\u00e4fser, sei es in irgendwelcher Aehnlichkeits-beziehung. Diese die Aufmerksamkeit von Erlebnifs zu Erlebnils hinlenkenden Beziehungen nennen wir auch Associationen. Audi diese zweite Art der Wechselwirkung der psychischen Erlebnisse ist eine durchg\u00e4ngige oder allgemeine* Es giebt keine zwei psychischen Erlebnisse, die nicht irgend etwas mit einander gemein h\u00e4tten, also in Association der Aehnlichkeit st\u00e4nden. Kein psychisches Erlebnifs steht einem anderen absolut fremd gegen\u00fcber.\nUnd andererseits besagt ein Grundgesetz des psychischen Lebens : Treffen psychische Erlebnisse zusammen, so verweben sie eben durch dies Zusammentreffen zu einem Ganzen oder treten in Erfahrungsassociation. Dabei ist abgesehen von den Erfahrungsassociationen, die in uns bereits von fr\u00fcherer Erfahrung oder fr\u00fcherem Zusammentreffen psychischer Erlebnisse her bestehen. Da es f\u00fcr uns Erwachsene nichts absolut Neues mehr giebt, so giebt es f\u00fcr uns auch nichts, das nicht schon in solchen Associationen st\u00e4nde, und durch dieselben mit Anderem, und schliefs\u00fcch mit Allem, irgendwie direct oder indirect verkn\u00fcpft w\u00e4re.\nZwei Arten der durchg\u00e4ngigen Wechselwirkung der psychischen Erlebnisse bestehen also. Wir k\u00f6nnen die eine, n\u00e4mlich die zuerst genannte, kurz als negative, die andere, die zuzweif genannte, als positive Wechselwirkung bezeichnen. Nat\u00fcrlich kann ich ebensowohl sagen: Es besteht ein durchg\u00e4ngiger Zo sammenhang der psychischen Erlebnisse, der aber einerseits in jener negativen Weise, d. h. die Aufmerksamkeit ablenkend, andererseits in dieser positiven Weise d. h, die Aufmerksamkeit hinlenkend wirkt Dabei sind die psychischen \u201eErlebnisse\u201c \u00a9in Ausdruck von beabsichtigter Zweideutigkeit Derselbe l\u00e4fet dahingestellt und soll einstweilen dahingestellt lassen, ob das, was damit gemeint ist, als Bewufetsemserlebnifs oder","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Camalit\u00e4t.\n179\nob es als zu Grande Hegender psychischer Vorgang zu verstehen sei.\nUnsere Aufgabe ist nun aber eben die, zwischen diesen beiden M\u00f6glichkeiten zu entscheiden. Fest steht dabei von vornherein, dafs dasjenige, von dem die Aufmerksamkeit abgelenkt, und dasjenige, dem sie zugelenkt wird, psychisch ist. Allgemeiner gesagt, die Sph\u00e4re der Aufmerksamkeit oder die Region, in welcher ihre Ablenkung oder Zulenkung geschieht, das ist die Sph\u00e4re des psychischen Lebens: Sie ist \u00a9s aus keinem anderen Grunde, als weil sie die Sph\u00e4re der Wechselwirkung des Psychischen ist.\nEin Beispiel. Terminologisches.\nWenden wir uns jetzt zur\u00fcck zu jenem, mit den Schwingungen eines t\u00f6nenden K\u00f6rpers beginnenden Gesammtprocefs oder jener Kette von Vorg\u00e4ngen, die zum Endpunkt einen Geh\u00f6rsempfindungsinhalt hat. Dieser Empfindungsinhalt sei genauer bestimmt als das Tiktak der in meinem Zimmer h\u00e4ngenden Wanduhr. Wahrend ich arbeite, h\u00f6re ich dies Tiktak in der .Regel nicht Hier l\u00e4uft eben jener Procefs nicht bis zu Ende ab. Es greift etwas hindernd \u00a9in. Das was eingreift, ist der sonstige psychische Lebenszusammenhang, d. h. das womit ich sonst psychisch besch\u00e4ftigt Mn. Damit ist ohne Weiteres gesagt, dafs der Punkt, wo der Eingriff geschieht, dem \u201epsychischen Vorgang\u201c angeh\u00f6rt. Er ist ein Punkt innerhalb jenes Processes, aber ein Punkt, an welchem derselbe psychischer Vorgang ist Dies aus keinem anderen Grunde, als weh der Procefs hier zum gesammten psychischen Lebenszusammenhang in Beziehung steht.\nNehmen wir jetzt an, die Concentration der Aufmerksamkeit auf meine Arbeit mindere sich. Dann h\u00f6r\u00a9 ich vielleicht das Tiktakger\u00e4usch. Jener Procefs ist jetzt frei gelassen. Er kann bis zu Ende ablaufen. Er kann es, weil der sonstige psychisch\u00a9 Lebenszusammenhang es ihm verstattet. Oder jemand macht eine Bemerkung, die sich auf die Uhr bezieht Jetzt ist es sicher, dafs ich das Ger\u00e4usch h\u00f6re. Es ist eben vom sonstigen psychischen Lebenszusammenhang her die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt. \u2014\u25a0 In jedem dieser beiden F\u00e4lle ist der Punkt oder Moment, wo die Wirkung geschieht, ein Punkt oder Moment des\npsychischen Vorganges. Und auch hier wiederum erf\u00e4hrt nur\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nTh. Lipps.\n\\\nder psychisch\u00a9 Vorgang* nicht der Bewufstseinsinhalt die Wirkung, Der Bewufstseinsinhalt soll ja erst durch diese, Wirkung entstehen..\nAllgemein gesagt : Ob ein Empfindungsinhalt entsteht oder nicht, dies h\u00e4ngt niemals ausschliefslich ab vom Dasein des physiologischen Reizes. Sondern es ist dabei immer zugleich die Frage: Wie ist es bestellt mit der \u201eAufmerksamkeit\u201c, d. h. wie wirkt das sonstige psychische Geschehen ein?\nUnd dabei ist dasjenige, worauf die Wirkung geschieht, niemals der Bewufstseinsinhalt. Dessen Dasein oder Niehtdasein ist ja vielmehr die Folg\u00a9 dieser Wirkung. Sondere, was die Wirkung erleidet, das ist der den Bewufstseinsinhalten zu Grunde liegende psychisch\u00a9 Vorgang. Dies heifst nichts Anderes als: Es ist dei* mit dem Reiz anhebende und mit dem Dasein, des Bewufstseinsinhaltes abschliefsend\u00a9 Procefs an einer Stelle, wo derselbe, eben verm\u00f6ge jener Einwirkung des sonstigen psychischen Lebens, als Element des psychischen Lebenszusammen-banges sich erweist.\nMit anderen Worten : Die Processe, die durch einen \u00e4ufseren Reiz ausgel\u00f6st, auf das Dasein eines Empfindungsinhaltes abzielen, passiren auf dem Weg zu diesem, Ziel eine Sph\u00e4re, in welcher sie sich unter einander, und zugleich mit den gleichzeitigen Geschehnissen, die, ohne Wirkung eines \u00e4ufseren Reizes, in dieser Sph\u00e4re selbst ihren Ursprung nehmen, in Wechselbeziehung treten. Diese Sph\u00e4re nun, das ist die von der Sph\u00e4re des Bewufstseins-lebens unterschiedene Sph\u00e4re des realen psychischen Geschehens. \u201eIn der Psyche\u201c, dies heifst zun\u00e4chst: In' dieser Sph\u00e4re,\nDer Punkt, an welchem der psychische Vorgang beginnt\u00bb oder an welchem jener Procefs beginnt psychischer Vorgang zu sein, heifse die \u201epsychische Schwelle\u201c des Vorganges. Der Punkt\u00bb wo der Bewufstseinsinhalt ins Dasein tritt, heifse seine \u201eRewufst-seinsschwelle\u201c. Mit Verwendung dieser Ausdr\u00fccke d\u00fcrfen wir dann auch sagen: Wir haben erkannt, dafs es psychisch\u00a9 Vorg\u00e4nge giebt, deren psychische Schwelle mit ihrer Bewusstseinsschwelle nicht zusammenf\u00e4llt, d. h. die allemal zun\u00e4chst eine Strecke weit ohne ihren zugeh\u00f6rigen Bewufstseinsinhalt sind, und die schliefslich auch, \u00fcberhaupt ohne diesen zugeh\u00f6rigen Bewufstseinsinhalt bleiben k\u00f6nnen. Und wk haben erkannt, dafe diese Vorg\u00e4nge Wirkungen erfahren, die, weil sie zwischen der psychischen, Schwelle' und der Bewusstseinsschwelle liegen, nur","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n181\neben als Wirkungen auf diese Vorg\u00e4nge, und in keiner Weise als Wirkungen auf die Bewufstseinsinhalte gefafst werden k\u00f6nnen. Dafs diese Wirkungen bestehen, dies ist zugleich dasjenige, was das B\u00e2se\u00een der'psychischen Vorg\u00e4nge beweist.\nF\u00fcgen wir nun gleich weitere terminologische Bestimmungen hinzu. Wir nennen den an sich jederzeit unbew\u00f6lkten psychischen Vorgang, der dem Dasein des Empfindungsinhaltes zu Grunde liegt, kurz den Empfindungsyorgang ; den psychischen Vorgang, der dem Vorstellungsinhalt zu Grunde liegt, kurz den Vorstellungsvorgang. Wir nennen \u201ebewufste Empfindung\u201c den Empfindungsvorgang, der die Schwelle des Bewufstseins erreicht oder \u00fcberschritten hat, dem also ein Empfindungsinhalt entspricht oder an den ein solcher gebunden ist. Die \u201ebewufste Empfindung\u201c bezeichnet kurz gesagt das Ganze aus Vorgang und Inhalt. Dagegen ist die \u201e un bewufste Empfindung\u201c der Empfindungs-vorgang, der noch unter der Schwelle des Bewufstseins ist oder \u00fcberhaupt unter der Schwelle des Bewufstseins bleibt, also der Vorgang, der seinen zugeh\u00f6rigen Empfindungsinhalt noch nicht ins Dasein gerufen hat oder \u00fcberhaupt nicht ins Dasein ruft. Es ist kurz gesagt der Vorgang ohne daran gebundenen Bewu\u00dftseinsinhalt Einen genau entsprechenden Sinn haben die Ausdr\u00fccke \u201ebewufste\u201c und \u201eunbewufste Vorstellung\u201c.\nHinzugef\u00fcgt darf werden, dafs dies \u00fcberhaupt der einzige Sinn ist, in welchem ein Gegensatz der bewufsten und der un-bewufsten Empfindungen oder Vorstellungen statuirt werden kann. Es geht nicht etwra an, den Inhalt ins Unbewufste hinabsinken und da als denselben Inhalt weiterexistiren zu lassen. Es geht ebensowenig an, den Vorgang als solchen ins Bewufstsein sich erheben zu lassen. Jenes Hinabsmken kann nur heifsen: Der Inhalt verschwindet \u2014 ohne dafs darum ohne Weiteres auch der Vorgang verschwindet. \u2014 Und wenn wir sagen, der Vorgang \u00fcberschreite die Schwelle des Bewufstseins, so heifst dies: Er gewinnt die H\u00f6he oder erreicht das Stadium, bei welchem der Bewufstseinsinhalt ins Dasein tritt. Endlich sei noch ausdr\u00fccklich gewarnt vor der Vorstellung, der Vorgang gehe in den Inhalt \u00fcber, oder schlage in denselben um. Auch dies Umschlagen eines Realen in ein Ideelles g\u00e4be keinen Sinn. Sondern der Vorgang bleibt derjenige, der er ist, und zugleich tritt \u00a9in Inhalt ins Dasein.","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\nTh. Lipp\u00ea.\n\u201eBewufstseinsvorg\u00e4nge\u201c statt der psychischen\nV org\u00e4nge.\nGegen das oben mit Bezeug auf das Uhr^erftusch Gesagte wird man nicht einwenden\u00bb der \u201epsychische\u201c Vorgang der Empfindung des Uhrger\u00e4usches sei in Wahrheit ein physiologischer Vorgang. Dieser Ein wand w\u00fcrde verraten, dafs man nicht beachtet hat, worum es sieh hier handelt Vielleicht aber macht man den Einwurf, das Ticken der Uhr sei auch schon, solange es \u201e\u00fcberh\u00f6rt\u201c wurde, Bewufstsemsmhalt gewesen, nur ein \u201ewenig beachteter\u201c. Daraus erkl\u00e4re sich zugleich, dafs ich nachher, wenn ich dasselbe beachte, mich seines vorangehenden Daseins nicht erinnere, also meine, es sei nicht dagewesen. \u2014 Damit sind wir auf eine Interpretation der angef\u00fchrten Thateache gestofsen, die unsere ganze darauf gegr\u00fcndete Beteachtungsweise illusorisch zu machen droht.\nIch habe aber zun\u00e4chst, was diesen specieUen Fall angeht, zu erwidern, dafs ein Unterschied besteht zwischen der Nichterinnerung an etwas, das da war, und der Erinnerung daran, dafs etwas nicht da war; und dafs ich nur die letztere M\u00f6glichkeit Mer im Auge habe. D. h. ich rede hier von den zweifellos vorkommenden F\u00e4llen, in denen ich mich erinnere\u00bb oder in denen ich das bestimmte Bewufstsein habe, es sei etwas\u00bb das meinem Bewufstsein jetzt vorschwebt, vorher l\u00e4ngere oder k\u00fcrzere Zeit in meinem Gesammtbewufstsebi nicht vorgekommen, es sei etwa das Ticken der Uhr\u00bb das ich jetzt h\u00f6re, vorher bis zu einem gewissen Zeitpunkt von mir nicht geh\u00f6rt worden. Ich rede kurz, gesagt von den F\u00e4llen, in welchen das Auftreten des Bewufet-seinsinhaltes als das in einem bestimmten Momente geschehende Eintreten eines Neuen in den gesammten Bewufstseinsthatbestaad sich mir unmittelbar darstellt. Vielleicht habe ich in dem Augenblicke, wo ich jene Bemerkung h\u00f6re, die mich auf das Ticken der Wanduhr aufmerksam macht, freilich das Bewufstsein, es seien dem jetzt erklingenden Schlage bereits andere vorangegangen. Dann habe ich doch zugleich das Bewufstsein, dafs die Reihe der geh\u00f6rten Schl\u00e4ge an einem bestimmten Punkte an fing, und vorher in meinem Bewufstsein nichts dergleichen war.\nGesetzt aber\u00bb man will auch f\u00fcr dies Bewufstsein die Unsicherheit der Erinnerung haftbar machen, man erkl\u00e4rt, also, das jenige, was ich zu wissen glaube, sei eine Erinnerungst\u00e4uschung,","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische CausaUt\u00e4t.\n183\nDann ist dies freilich sehr einfach. Aber es ist zu bedenken, dafs\ni\nes doch f\u00fcr die Entscheidung unserer Frage gar keine andere Erfahrungsgrundlage giebt, als eben die Erinnerung, und dafs schliefslich gar keine M\u00f6glichkeit der Constatimng von That-Sachen, auch nicht von naturwissenschaftlichen Thatsachen, besteht, wenn die Erinnerung an unmittelbar oder N\u00e4chstvergangenes keinen Geltungsanspruch hat. Unsere Behauptung hat also eine Erfahrungsgrundlage. Dagegen hat die gegenteilige Behauptung keine solche. Sie operirt lediglich mit M\u00f6glichkeiten. Wes schon kann uns gen\u00fcgender Grund sein, bei unserer Auffassung des Sachverhaltes zu bleiben, solange wenigstens bis \u2014 nicht Vorurteile, sondern Erfahrungen sie widerlegen.\nFassen wir aber diese gegnerische Auffassung allgemeiner: Wir sahen : Jenes Ticken der Uhr wird dieser Auffassung zufolge nicht jetzt erst geh\u00f6rt, weil die Aufmerksamkeit sich darauf richtet, sondern es wird nur das schon vorhandene Geh\u00f6rsbild aus einem minder beachteten in ein beachteteres verwandelt So l\u00e4fst diese Theorie \u00fcberhaupt, sofern n\u00e4mlich sie consequent ist, alle Reize, die ihrer Natur nach Empfindungsinhalte erzeugen k\u00f6nnen, diese jederzeit tats\u00e4chlich erzeugen, nur dafs diese Empfindungsinhalte in unendlich vielen Graden vom Zustand des vollen Beachtetseins entfernt bleiben k\u00f6nnen. Die fragliche Anschauung vergleicht mit Vorliebe den Gesammtbewufstseins-Inhalt eines Momentes mit dem Sehfeld, die beachteten Bewufst-seinsinhalte mit dem im Blickpunkt dieses Sehfeldes befindlichen und darum \u201edeutlicher\u201c gesehenen Objecte, die minder beachteten mit den Objecten, die den seitlichen und schhefshch den seitlichsten Theilen des Sehfeldes angeh\u00f6ren, und demgem\u00e4fs immer weniger \u201edeutlich\u201c gesehen werden. Und sie l\u00e4fst die Grenzen des psychischen Sehfeldes d. h. die Grenzen des Ge-sammtbewufstseins eines Momentes mit den Grenzen des in diesem Momente stattfindenden psychischen Geschehens \u00fcberhaupt zusammenfallen.\nJenen Vergleich nun, des Gesammtbewufstseinsinhaltes eines Momentes mit dem optischen Sehfelde, k\u00f6nnen wir uns, obgleich er in seinen Consequenzen sehr in die Irre f\u00fchren kann, hier zun\u00e4chst gefallen lassen. Auch wir leugnen ja nicht, dafs Bewufstseinsinhalte mehr und minder beachtet sein k\u00f6nnen. Wir thun dies so wenig, als wir leugnen, dafs jener Unterschied der Theile des Sehfeldes besteht. Aber wir f\u00fchren jenen","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nTh. Lippu.\nVergleich, wenn wir uns ihn einmal gefallen lassen, noch etwas weiter. Das Sehfeld f\u00e4llt nicht mit der Gesammtheit des jetzt f\u00fcr mich \u00fcberhaupt Sichtbaren zusammen, sondern es ist ein Ausschnitt aus demselben. Auch von Objecten, die aufserhalb des Sehfeldes liegen, gehen Lichtstrahlen aus. Nur treffen diese nicht unser Auge, und ergeben darum weder ein deutliches noch ein undeutliches, sondern gar kein Gesichtsbild. Sie ergeben ein solches erst, wenn wir das Auge ihnen zuwenden. So nun ist uns auch das psychische \u201eSehfeld\u201c eines Momentes, mit seinen Unterschieden der gr\u00f6fseren oder geringeren N\u00e4he an dem Blickpunkt, d. h. mit den mannigfachen Graden des Beachtet- und Minder-beachtetseins seiner einzelnen Inhalte, nur ein Ausschnitt am der Gesammtheit der Bewufstseinsm\u00f6glichkeiten dieses Momentes. D. h. es giebt f\u00fcr uns psychische Vorg\u00e4nge, die freilich ihrer Natur nach auf einen Bewufstseinsinhalt abzielen, aber thats\u00e4ch-lieh keinen Bewufstseinsinhalt ins Dasein rufen, weil sie das geistige Auge nicht treffen, oder weniger bildlich gesprochen, weil sie nicht auf den r\u00e4tselhaften Punkt treffen, wo, niemand weifs wie. das absolut Neue ins Dasein tritt, das wir eben Bewufstseinsinhalt nennen.\nMit dem soeben Gesagten wollte ich zugleich andeuten, worauf der hier vorliegende Gegensatz der Anschauungen im letzten Grund\u00a9 hinausl\u00e4uft. Jene uns gegnerische Anschauung kennt, ebenso wie wir, unendlich viele Grade der Wirksamkeit psychischer Elemente innerhalb des psychischen Lebenszusammenhanges. Diese Grade sind aber f\u00fcr sie ebensoviel\u00a9 Grade des Bewu\u00dftseins ; der Nullpunkt jener Wirksamkeit ist f\u00fcr sie der Nullpunkt des Bewufstseins. Damit wird ein stetiger Uebergang oder ein stetiges Hin\u00fcbergleiten des Bewufstseins in di\u00a9 Unbe-wufstheit, und umgekehrt, statuirt\nDavon nun wissen wir nichts. Grade der Bewufstheit ist uns \u00a9in undenkbarer Gedanke. Das Dasein f\u00fcr das Bewu\u00dftsein, das ideelle Dasein, die Ph\u00e4nomenalit\u00e4t, das Erscheinen, das Vorgefundenwerden kann keine Grade haben. Sowenig das Unbewusste, idealiter nicht Existirende, nun auch noch in h\u00f6herem und immer h\u00f6herem Grade ideell nicht existiren kann, so wenig kann das ideell Existirende mehr oder minder ideell existiren. Sondern das Ideelle existirt oder es existirt nicht, d. h. etwas hat das ideelle Dasein oder es hat dasselbe nicht","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Caumlit\u00f6t.\n185\nNur dafs freilich das in solcher Weise Existirende mehr oder minder beachtet sein kann,\nUnd demnach kann auch die ideelle Existenz oder die Bewusstheit nicht stetig von einem Nullpunkt an werden. Es giebt \u00fcberhaupt kein Bewu\u00dft werden, sondern nur ein Bewufst-sein von einem Momente an. Diesen Moment nennen wir Bewufstseinsschwelle. Warum sie Schwelle des Bewufstseins ist, wissen wir nicht. D. h. wir wissen so wenig wie irgend jemand, wie Bewufstsein gemacht wird. Wir kennen nicht seinen Grund. Aber wir k\u00f6nnen die Bedingungen auf zeigen, unter denen die Schwelle des Bewufstseins erreicht, d. h. unter denen dieser unbekannte Grund wirksam wird.\nWeitere Thatsachen.\nMag man nun aber \u201eBewufstseinsgrade\u201c kennen oder nicht, mag inan demnach Bewufstheit aus der Nichtbewufstheit heraus allm\u00e4hlich werden und wachsen lassen, oder mag man unf\u00e4hig sein hiermit einen Sinn zu verbinden : Die Anschauung, auf die es uns in diesem Zusammenhang eigentlich ankommt, st\u00e4nde und fiele damit noch keineswegs. Wir k\u00f6nnten durchaus dabei bleiben zu sagen : Jedem Bewufstseinsinhalt liegt ein an sich unbewufster psychischer Vorgang zu Grunde; und wir k\u00f6nnten fortfahren: Alle psychische Causalit\u00e4t besteht lediglich zwischen diesen Vorg\u00e4ngen. Wir m\u00fcfsten nur hinzuf\u00fcgen: Jedem psychischen Vorgang entspricht von seinem ersten Anfang, also von der psychischen Schwelle an, ein Bewufstseinsinhalt, wenn auch zun\u00e4chst ein m\u00f6glichst wenig bewufster.\nIndessen so meint jene Theorie die Sache nicht Die Causalit\u00e4t der Bewufstseinsinhalte zu retten, das ist das eigentliche Ziel der fraglichen Ansicht Und best\u00e4nde diese, dann allerdings verl\u00f6ren die psychischen Vorg\u00e4nge ihr eigentliches Daseinsrecht Da sie nur als die Tr\u00e4ger der psychischen Causalit\u00e4t eingef\u00fchrt sind, so sind sie \u00fcberfl\u00fcssig, sobald die Bewufstseinsinhalte diese Rolle \u00fcbernehmen.\nDagegen nun k\u00f6nnte ich zun\u00e4chst wiederholen, was ich oben sagte: Die Bewufstseinsinhalte sind ja doch keinenfalls die Tr\u00e4ger der psychischen Causalit\u00e4t, sondern die Beschaffenheiten der Psyche oder des Gehirns, die Ged\u00e4chtnifsdispositionen, die physiologischen Reize spielen herein. Und auch die mecha-","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nTh. Lipp8.\nnischen Gehirnvorg\u00e4nge wird man nicht los. Die \u201eBewufstseins-vorg\u00e4nge\u201c bleiben daran \u201egebunden\u201c, also doch auch wohl dadurch bedingt Und weiter k\u00f6nnte ich wiederholen, was ich \u00fcber den Gedanken eines realen Zusammenhangs des Ideellen oben ganz im Allgemeinen gesagt habe.\nAber darauf komme ich nat\u00fcrlich nicht zur\u00fcck. Wir gehen statt dessen weiter in der Betrachtung der Thatsachen. Jene oben erw\u00e4hnten Thatsachen sollten ja durchaus nicht f\u00fcr sich beweisen. Unsre Frage lautet \u00fcberhaupt nicht, welche Anschauung hier oder dort m\u00f6glich, sondern, welche allgemein durchf\u00fchrbar sei.\nWir redeten bisher von Empfindungsvorg\u00e4ngen, d. h. Vorg\u00e4ngen, die Empfindungsinhalten zu Grunde liegen. Nehmen wir diese Vorg\u00e4nge an, so m\u00fcssen wir zweifellos den Vorstellungsinhalten, die den Empfindungsinhalten entsprechen, gleichartige Vorg\u00e4nge zu Grunde legen. Umgekehrt, m\u00fcssen wir f\u00fcr das Dasein dieser Vorstellungsinhalte zu Grunde liegende psychische Vorg\u00e4nge annehmen, so m\u00fcssen wir gleichartige Vorg\u00e4nge auch den Empfindungsinhalten zu Grunde legen.\nDas Dasein der Vorstellungsinhalte setzt nun zun\u00e4chst voraus, dafs von fr\u00fcheren psychischen Vorg\u00e4ngen, und zuletzt von Empfindungsvorg\u00e4ngen, Ged\u00e4chtnifsspuren oder Ged\u00e4chtnife-dispositionen in mir zur\u00fcckgeblieben sind. Es setzt zweitens ein gegenw\u00e4rtiges Erlebnifs voraus, das diese Spur oder Disposition erregen, kurz gesagt, das als reproductiver Reiz dienen kann. Es erfordert drittens eine Beziehung zwischen jenem Erlebnifs und der zu erregenden Spur oder der zu reproduciren-den Vorstellung, wodurch jenes zum Reiz f\u00fcr die Reproduction dieser Vorstellung werden kann; kurz also eine Association.\nNun bedenke man etwa Folgendes : Ein A sei mit vielen B, z. B. ein Name mit vielen Personen verkn\u00fcpft Trotzdem geschieht es, dafs das A nur eines der B, etwa ein Blt ins Be-wufst8ein ruft: Ich h\u00f6re den Namen und stelle mir nur eine Person als Tr\u00e4ger vor. Warum nun wirkt das A auf das B, in solcher Weise? Vielleicht weil die Association mit diesem B besonders eng gekn\u00fcpft ist. Aber dies kann nicht heifsen: A wirkt auf ein B \u00fcberhaupt nur unter Voraussetzung einer Association von dieser bestimmten Enge. Bedingt die weniger enge Association gar keine Wirkung, so ist nicht einzusehen, wie die engere eine solche bedingen sollte. Sondern wir m\u00fcssen an-","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n187\nnehmen, dafs das A auf alle di\u00a9 B, genauer auf di\u00a9 Ged\u00e4chtnifs-spuren aller der B wirkt, nur dafs die st\u00e4rkere Wirkung siegt, webe! vollkommen dahin gestellt bleiben soll, wie man. jene Wirkungen oder diesen Sieg sich vorstellen mag. Vielleicht meint man, die Spuren aller B mit Ausnahme des Bt werden nur in einen Zustand gr\u00f6fserer oder geringerer Funktionsbereitschaft gesetzt. Auch dann \u201egeschieht\u201c doch etwas an den Spuren. Dies Geschehen ist intensiver bei dem Bt und hat darum den Bewusstseinsinhalt Bt zum Erfolg, w\u00e4hrend das, was an. den Spuren der \u00fcbrigen B geschieht, diesen Erfolg nicht hat. \u2014 Im Uebrigen giebt es Thatsachen, die zur Annahme zwingen, das A \u201eerrege\u201c alle die B. Doch w\u00fcrde ihre Erw\u00e4hnung hier zu weit f\u00fchren,1\nVielleicht auch bin ich in einem Falle sicher, dafs statt des By ein2?s thats\u00e4chlich zum Bewufstsein k\u00e4me, wenn zuf\u00e4llig die st\u00e4rkere Association ABX nicht best\u00e4nde. Dann wird also die Reproduction des \u00df.2 durch di\u00a9 Wirkung dieser st\u00e4rkeren Association aufgehoben. Nun, auch dies\u00a9 Aufhebung .ist etwas Thats\u00e4chliches. Auch sie ist ein Geschehen oder ein\u00a9 Bestimmtheit an einem Geschehen, n\u00e4mlich an der Reproduction des By. \u2014 Alles dies aber entzieht sich dem Bewufstsein. Alles dies geh\u00f6rt ins Gebiet der unbewufsten Repro ductionsvorg\u00e4nge.\n\\ Man achte weiter auf dies: Es sei mir der erste Theil eines Namens gegeben und ich soll den Namen vervollst\u00e4ndigen. Bios thue ich leicht und. ohne Zeitverlust, wenn \u00a9s f\u00fcr mich nur eine M\u00f6glichkeit der Vervollst\u00e4ndigung giebt. Ich f\u00fcge etwa sofort zu Desiderius \u2014 Erasmus, zu Baruch \u2014 Spinoza. Dagegen stocke ich, wenn ich Namen, die in sehr verschiedener Weise vervollst\u00e4ndigt werden k\u00f6nnen, vervollst\u00e4ndigen soll, etwa Carl oder Jacob etc. Ich thue dies, obgleich, mir \u201eCarl der Grofse\u201c, \u201eCarl Vogt\u201c etc., \u201eJacob der Erste\u201c, \u201eJacob Grimm\u201c etc. ebenso gel\u00e4ufig sind wie jene anderen Namen.. Ich habe eben die Wahl 'und w\u00e4hle thats\u00e4chlich. Dies ist aber kein Bewufst-seinsvorgang. Ich habe nicht die Namen vor mir und w\u00e4hle, sondern, dafs ich einen Namen vor mich hinstelle, dies ist das Resultat der Wahl, Ich f\u00fchle auch etwas w\u00e4hrend des Vorgangs der Wahl, eine Hemmung, Unsicherheit, Verlegenheit Aber in diesem Gef\u00fchl besteht doch eicht der Vorgang. Sondern\n1 S. \u201eSuggestion und Hypnose\u201c in: Sitzungsberichte d. bair. Akad. 1897*","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nTh. Lipps.\nderselbe besteht in einer Concmrenz der Associationen. Er besteht also, allgemeiner gesagt, in einer Wirkung derselben. Die Associationen beharren nicht im Ruhezustand, sondern werden erregt, oder die Ged\u00e4chtnifsspuren werden erregt verm\u00f6ge der bestehenden Associationen. In. jedem Falle haben wir einen dem bewufsten Dasein eines Namens vorausgehenden an sich unbewussten V o r g a n g.\nNoch andere Momente k\u00f6nnen wir Mer gleich Mnzunehmen. Was mir bei irgend einem AnJafs einf\u00e4llt, das h\u00e4ngt vielfach ab von dem, womit ich mich vorher besch\u00e4ftigt habe. Es helfen die Ged\u00e4chtnifsspuren dieser vorangehenden Erlebnisse mit Sie wirken steigernd. Aber sie k\u00f6nnen unm\u00f6glich so wirken, solange nichts da ist, worauf sie in solcher Weise-wirken k\u00f6nnen. Sie beg\u00fcnstigen den Vorgang der Reproduction, aber nat\u00fcrlich einen vorhandenen, nicht etwa einen nicht vorhandenen Vorgang. Und davon ist der betreffende Bewufstseinsinhalt das Resultat\nUnd wie ist es mit dem Besinnen, etwa auf einen Namen? Di\u00a9 Person, die den Namen tr\u00e4gt, steht vor mir. Und ich habe ein Gef\u00fchl der Aufmerksamkeit und des Besinnens. Aber alles dies l\u00e4fst nicht den Namen sofort mir ins Bewufstsein treten; sondern es vergeht Zeit. Jenes Bewufstseinserlebrdfs ist als\u00a9 nicht die Ursache des Erinnerungsactes. Es ist nur der he w\u2019iifste Ausgangspunkt f\u00fcr ein Geschehen, n\u00e4mlich dasjenige, das jene Zeit ausf\u00fcllt. Die psychische Bewegung geht vielleicht erst nach allerlei Irrwegen den richtigen Weg. Oder sie \u00fcberwindet ein Hindemifs. Mag, aber das Eine oder das Andere stattfinden, in jedem Falle geschieht etwas, und in jedem Falle spielt sich dies Geschehen nicht in meinem Bewufstsein ab. Ich sehe nicht das Hindemifs, und die Weise, wie es beseitigt wird. Ich schliefe\u00a9 nur, dafs etwas Dergleichen vorliegen m\u00fcsse.\nHieran anschliefsende Ueberlegungen sollen uns -nachher weiter besch\u00e4ftigen. Einstweilen gen\u00fcgt, dafs Mer \u00fcberall ein an sich unbewu\u00dftes Geschehen angenommen werden mufs und sehHefslieh von Jedermann angenommen wird. Ueberail sehen wir Bewu\u00dftseinsinhalte als Ausgangs- und Zielpunkte. Aber der causale Zusammenhang ist hergestellt durch das unbewufste Geschehen. Es kann nicht etwa die Causalit\u00e4t von den Schultern der unbewufsten Vorg\u00e4nge weggenommen, und daf\u00fcr minder beachteten Bewufstseinsinhalten aufgeb\u00fcrdet werden. Ich betone, die letzteren spielen hier nirgends \u00a9ine Rolle.","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Camalit\u00e4f.\n189\nIch sagte nun schon, wenn es an sich unbewufste Vorg\u00e4nge gebe, die dem Dasein von Vorstellungsinhalten zu Grunde liegen, so m\u00fcssen gleichartige Vorg\u00e4nge den Empfindungsinhalten zu Grunde liegen, Kurz gesagt : Den Vorstellungsvorg\u00e4ngen m\u00fcssen gleichartige EmpfindungsVorg\u00e4nge entsprechen, Und geht bei den Vorstellungen die Berufung auf die minder beachteten Be-wufstseinsinhalte nicht an, so k\u00f6nnen diese auch bei den Empfindungen nicht Tr\u00e4ger der causalen Beziehungen sein.\nEs ist aber Einiges von dem, was im Obigen von den Vorstellungen gesagt wurde, von den Empfindungen auch experimentell festgestellt Wenn eine Reaction, etwa auf einen Schalleindruck, rascher erfolgt bei eintretender Uebung, dann wiederum langsamer bei ein tretender \u201eErm\u00fcdung\u201c, n\u00e4mlich Erm\u00fcdung der \u201eAufmerksamkeit\u201c, was ist damit eigentlich gesagt? Zun\u00e4chst bestehen hier, was den Grund der Ausl\u00f6sung der Reaction angeht, zwei m\u00f6gliche Anschauungen. Entweder das Dasein des Bewufstseinsinhaltes, \u201eSchall\u201c genannt, ist das die Reaction Ausl\u00f6sende, oder die Reaction wird ausgel\u00f6st von dem psychischen Vorgang, der diesem Bewufstseinsinhalt zu Grunde liegt\nIn diesem letzteren Falle nun ist der Streit zu Ende : Der an sich unbewufste Empfindungsvorgang ist anerkannt und zwar als der in uns wirkende Factor. Aber auch im ersteren Falle ist dieser Vorgang anerkannt Die Beschleunigung bezw. Verlangsamung der Reaction ergiebt sich unter dieser Voraus-setzung nat\u00fcrlich aus einer Beschleunigung bezw. Verlangsamung der Entstehung des Empfindungsinhaltes. Diese Beschleunigung bezw, Verlangsamung wird durch die Uebung bezw. Erm\u00fcdung, diese psychischen Dispositionen, bewirkt Und diese Wirkung geschieht nicht auf den Bewufstseinsinhalt, da dieser ja eben durch diese Wirkung schneller oder langsamer ins Dasein gerufen wird. Sondern sie geschieht auf den Vorgang, sie ist eine Beschleunigung bezw. Verlangsamung des psychischen Vorganges, der dem Dasein des Bewufstseinsinhaltes zu Grunde liegt.\nOder will man auch hier sagen : Es werde nur das st\u00e4rkere Beachten des Empfindungsinhaltes beschleunigt oder verlangsamt? Es sei also ein Bewufstseinsvorgang, n\u00e4mlich die Verwandlung eines minder in einen mehr beachteten Bewufstseins-inhalt, das Beschleunigte oder Verlangsamte? Dann mufs ich erwidern: So sehr man sonst sich berechtigt glauben mag, das","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nTh. Lipps.\nreale psychische Geschehen mit \u201eBewufstseins Vorg\u00e4ngen\u201c, insbesondere mit dem bewnfsten Uebergang von minder beachteten zu mehr beachteten Bewufstsemsinhalten zu identifie! ren, Mer jedenfalls geht dies nicht am Man bedenke doch di\u00a9 Sachlage : Ich will, sobald ich den Schah h\u00f6re, re agir en. Demgem\u00e4fs richte ich auf den bevorstehenden Schall meine volle Aufmerksamkeit ; ich richte sie, allgemeiner gesagt, auf das bevorstehende Empfin-dungs- oder Bewufstseinserlebnifs. Damit sind, schon ehe das Empfindungserlebnifs sich verwirklicht, die Bedingungen gegeben f\u00fcr die volle Beachtung desselben. Und nun soll dies Empfindungserlebnifs im Dasein eines Empfindungsmh\u00e2\u00efteg bestehen, der zuerst als nicht oder wenig beachtet, dann als beachtet sich mir darstellt. Das, worauf alle Aufmerksamkeit gerichtet oder dem mein\u00a9 volle Beachtung zugewendet ist, soll f\u00fcr mich, und indem ich es beachte, zuerst ein gar nicht oder wenig Beachtetes sein.\nDies ist ein Widersprach. Jedenfalls finde ich in mir keinen solchen Bewufstseinsvorgang. Eben weil ich von vornherein auf das, was ich erlebe, achte, weifs ich gewifs, dafs Mer Stadien des Beachtetseins nicht vorliegen, dafs der Empfindungsinhalt sofort als der beachtete ins Dasein tritt, dafs kein Emportauchen aus dem Nichtbeachtetsein in das Beachtetsein f\u00fcr mein Bewufst-sein vorliegt, dafs keine Ver\u00e4nderung an dem Empfindungsinhalte oder der Weise seines bewufsten Daseins f\u00fcr mich sich vollzieht, die ich mit solchen Namen bezeichnen k\u00f6nnte. Ich weifs demgem\u00e4fs insbesondere auch, dafs ich in dem Bewufstseinserlebnifs keinerlei Beschleunigung oder Verlangsamung irgend welcher Art vorfinde, keinerlei gr\u00f6fsere oder geringere Raschheit der Folge unterschiedener Stadien, wie auch immer diese Stadien beschaffen oder voneinander verschieden sein sollten, und wie auch immer sie genannt werden, m\u00f6gen.\nWas hier beschleunigt oder verlangsamt wird, liegt also jenseits des Bewufstseins. Das Auftauchen, das wirklich stattfindet, ist ein Auftauchen des Empfindungs vor ganges; es ist das, nat\u00fcrlich nicht r\u00e4umlich gemeinte, Sicherheben zur Schwelle des Bewufstseins.\nF\u00fcgen wir diesen Thatsachen gleich hinzu einen Fall der \u201eAnalyse\u201c von Empfindungen. Gar vielerlei nennen wir Analyse. Es w\u00e4re gut, wenn auch dieser Begriff seinen bestimmten Sirm gew\u00e4nne.","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n191\nHier denke ich an die Klanganalyse. Was ich im Bewufst-sein habe, wenn ich einen Klang h\u00f6re, ist \u2014 falls ich nur eben diesen Klang h\u00f6re \u2014 em schlechthin Einfaches, so einfach wie der einfachste Ton, Es ist nur durch die Klangfarbe von diesem verschieden. Ich h\u00f6r\u00a9 insbesondere, solange der Klang f\u00fcr mich als solcher bestehen bleibt, nicht mehrere sondern eine einzige Tonh\u00f6he. M\u00f6gen andere versichern, dafs sie \u201eim\u201c Klange die The\u00fct\u00f6ne, also verschiedene Tonh\u00f6hen, nebeneinander h\u00f6ren, nur dafs diese T\u00f6ne und Tonh\u00f6hen minder beachtete T\u00f6ne und Tonh\u00f6hen seien; ich meinestheils weifs. dafs es bei mir sieh nicht so in verhalten pflegt. Eben indem ich den Klang h\u00f6re und auf ihn achte, finde ich ihn als dies Einfache mit der eigen-th\u00fcmlichen Klangfarbe vor. Ich habe das unmittelbare Bewu\u00dftsein von etwas Einfachem. Wovon ich aber ein unmittelbares Bewu\u00dftsein habe, das ist es ja eben, worum es sich hier handelt. Und ich hoffe, niemand wird mir meine unmittelbar gegenw\u00e4rtigen Bewufstseinsinhalte abstreiten.\nDann aber kann ich freilich auch den Klang \u201ea n a ly siren\u201c. Ich kann The\u00fct\u00f6ne aus ihm \u201eheraush\u00f6ren\u201c. Dies heifst aber nie etwras Anderes als: Ich verwandle einen Bewufstseinsinhalt in einen anderen. Ich h\u00f6rte erst Eines, inbesondere eine einzige Tonh\u00f6he, jetzt h\u00f6re ich Mehr eres, d. h. insbesondere mehrere Tonh\u00f6hen.\t%\nUnd wie ging das zu ? Auch dar\u00fcber kann ich Rechenschaft geben. Ich vollzog die Vorstellung eines der T\u00f6ne, von denen ich wufste, dafs sie in dem Klang als The\u00fct\u00f6ne \u201estecken\u201c, oder weniger nachl\u00e4ssig ausgedr\u00fcckt, ich vollzog die Vorstellung eines der T\u00f6ne, von denen ich wufste, dafs der ihnen zugeh\u00f6rige Reiz da sei und wirke; und ich richtete auf diesen vorgestellten Ton meine Aufmerksamkeit\nUnd wie vollzog sich nun die Wirkung? \u2014 Man beachte die Voraussetzung: Der Reiz ist da und wirkt, oder vollst\u00e4ndiger gesagt: Es besteht jener mit dem physikalischen Vorgang des T\u00f6nens, etwa den Schwingungen einer Klaviersaite anhebende Ptocefs, dessen nat\u00fcrlicher Endpunkt der Empfindungsmhalt \u201eTon von dieser bestimmten H\u00f6he\u201c ist. Wenn dieser Procefs f\u00fcr sich, <L h. insbesondere von den anderen gleichzeitigen und gleichartigen Processen gesondert, bis zu Ende ab l\u00e4uft, dann und nur dann, entsteht 'der fragliche Ton. Nun, dafs er that-sfichJich f\u00fcr sich bis zu Ende abl\u00e4uft, das ist es, was jene Ton-","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nTh. Lippx.\nVorstellung und die darauf gerichtete Aufmerksamkeit bewirkt Nat\u00fcrlich ist dasjenige, was hier die Wirkung empf\u00e4ngt, eben jener Procefs, n\u00e4mlich an einer Stelle, wo er unter dem Einflufe der Aufmerksamkeit, also des psychischen Lebens, insbesondere unter dem Einflufe des Vorstellungslebens steht, mit anderen Worten, es ist der \u201epsychische\u201c oder der Empfindlings -Vorgang.\nAllgemeiner gesagt liegt beim H\u00f6ren und der Analyse von Klingen folgender Sachverhalt vor: Die \u201eTheilt\u00f6ne\u201c, die \u201eaus\u201c dem Klang \u201eherausgeh\u00f6rt\u201c werden k\u00f6nnen, sind s\u00e4mmtlich da als psychische Vorg\u00e4nge, genauer, die ihnen zu Grunde liegenden Empfindungsvorg\u00e4nge sind da. Sie wirken, solange ich den Klang h\u00f6re, zusammen zu dem Empfmdungsinhalt, den ich eben Klang nenne, ln diesem Zusammenwirken besteht das \u201eVerschmelzen\u201c der \u201eThe\u00fct\u00f6ne\u201c zum Klange. Die Aufmerksamkeit aber kann den einzelnen Vorg\u00e4ngen die F\u00e4higkeit verleihen, sich der N\u00f6thigung zu solchem Zusammenwirken oder Verschmelzen zu erwehren und das jedem Vorgang f\u00fcr sich zugeh\u00f6rige Ziel zu erreichen. Darin besteht das \u201eHeraus-h\u00f6ren\u201c.\nDas Entscheidende bei diesem Sachverhalt ist uns wiederum dies, dafg hier ganz und gar keine Rede ist von einem Bewnfst-seinsVorgang, .der in der Verwandlung eines, weniger beachteten Empfindungsinhaltes in einen mehr beachteten best\u00e4nde. Sondern ein Bewufstseinsinfaalt, der vorher nicht da war, insbesondere \u00a9ine Tonh\u00f6he, die vorher f\u00fcr mein. Bewufstsein nicht bestand, entsteht Und er entsteht durch Wirkung auf den \u201epsychischen Vorgang\u201c.\nIm Vorstehenden erschienen die psychischen Vorg\u00e4nge im Wesentlichen als das im psychischen Lebenszusammenhange Wirkimgen. Empfangende. In anderen F\u00e4llen erweisen sie sich als das die Wirkungen Uebende. Ich hin in Gedanken; und diese Gedanken werden verdr\u00e4ngt durch ein pl\u00f6tzliches lautes Ger\u00e4usch. Hier verh\u00e4lt sich die Sache, soviel ich irgend weife, nicht so, dafs das Ger\u00e4usch erst in meinem Bewufstsein neben den Gedankeninhalten st\u00e4nde und nun sie herausdr\u00e4ngte. Sondern das Ger\u00e4usch kommt zum Bewufstsein auf Kosten der Gedankeninhalt\u00a9. Dann ist das Verdr\u00e4ngende nat\u00fcrlich hiebt der Bewufstseinsinhalt \u201eGer\u00e4usch\u201c, sondern, der Vorgang, der ihn ins Dasein ruft.","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Camaiit\u00e4t.\n193\nWiederum erinnere ich zur Best\u00e4tigung an analoge Vorg\u00e4nge im reinen Vorstellung sleben. Auch der Gedanke an eine jetzt zu erf\u00fcllende wichtige Pflicht kann sonstige Gedanken verdr\u00e4ngen. Hier bin ich gewifs, dafs nicht etwa das Bewufst-seinsbild der zu erf\u00fcllenden Pflicht, sei es auch als wenig beachtetes oder \u201edunkel vorgestelltes\u201c, erst neben jenen anderen Gedan keninhalten stand, und dann, indem es vom Bewufstsein \u201eheller beleuchtet\u201c wurde, diese Inhalte beseitigte. Sondern jenes Bewufstseinsbild ist in meinem Bewufstsein, verm\u00f6ge der \u201eEnge\u201c desselben, an die Stelle der vorher vorhandenen Ge-dankeninhalte getreten. Das Bild der Pflicht konnte verm\u00f6ge der Enge des Bewufstseins nur entstehen, indem jene Gedanken wichen. Der Vorgang des Entstehens desselben also ist das Verdr\u00e4ngende, allgemeiner gesagt das Wirkende.\nWiederum in anderen F\u00e4llen leuchtet deutlich ein, dafs die an sich unbewufsten Vorg\u00e4nge Beides sind, sowohl das, was wirkt, als dasjenige, was die Wirkung erleidet. Ich blicke \u00fcber den abendlichen Himmel mit mehr oder minder Aufmerksamkeit, und mein Blick gleitet dabei \u00fcber einen Stern. Aber ich sehe ihn nicht. Und ich weifs, dafs ich ihn nicht sehe. Hier ist nicht mehr die Rede von Erinnerung. Ich finde einfach jetzt keinen Stern vor, es ist f\u00fcr mich jetzt thats\u00e4chlich nichts Dergleichen vorhanden.\nRun aber nehmen wir an, der Stern stehe neben vielen gleichen Sternen. Der Stern bilde mit vielen anderen gleich wenig leuchtenden Sternen einen Sternhaufen. Jetzt ist es, unter im Uebrigen v\u00f6llig gleichen Umst\u00e4nden, insbesondere auch unter Voraussetzung eines gleich intensiven oder gleich wenig intensiven actlven oder willk\u00fcrlichen Aufmerkens, sehr viel wahrscheinlicher, dafs ich den Stern sehe : Ich sehe den Haufen und in dem Haufen auch jenen einzelnen Stern. Es wird nichts Wesentliches ge\u00e4ndert, wenn wir an die Stelle des Haufens von Sternen, also an die Stelle einer Menge isolirter Lichtpunkte bezw. kleiner Lichtfl\u00e4chen eine zusammenh\u00e4ngende gr\u00f6fsere lichtfl\u00e4che setzen. Nur ist hier der Sachverhalt noch deutlicher. Es ist kein Zweifel, eine gr\u00f6fsere Fl\u00e4che wird, eben weil sie gr\u00f6fser ist, weniger leicht \u00fcbersehen als eine kleinere oder als \u00a9in einzelner Punkt\nMit dem Gesagten ist schon ausgeschlossen, dafs hief\u00fcr etwa \u00a9ine Verst\u00e4rkung der Reize verantwortlich gemacht werden\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 25.\t13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nTh. l\u00e4pp*.\nd\u00fcrfe. Gewifs liegen beim Haufen oder der gr\u00f6lseren Fl\u00e4che mehr Reize und zwar mehr gleiche Reize vor, n\u00e4mlich soviel\u00a9 als iioMrt leitende Nerven getroffen werden. Aber dies ist keine Verst\u00e4rkung der einzelnen Reize. Vielleicht freilich findet in einem einzelnen Falle auch eine solch\u00a9 Verst\u00e4rkung der Reize statt. Aber solche F\u00e4lle k\u00f6nnen wir ja aussch\u00fcefsen. Wir k\u00f6nnen uns beschr\u00e4nken auf diejenigen\u00bb in denen die gr\u00f6ssere Fl\u00e4che f\u00fcr uns die gleiche Helligkeit hat\u00bb welche der einzelne Punkt haben w\u00fcrde, wenn er gesehen w\u00fcrde. Endlich gilt ja aber die ausgesprochene Regel ebensowohl f\u00fcr die Fl\u00e4che, die nicht durch Helligkeit, sondern durch irgendwelche Verschiedenheiten der Farbe von der Umgebung sich abhebt Ja sie gilt selbst f\u00fcr die dunklere Fl\u00e4che auf hellerem Grund. Jedesmal wird hier lediglich durch die Gr\u00f6fse der Fl\u00e4che oder die Vielheit gleicher und zugleich r\u00e4umlich anemanderliegender Theile die Wahrscheinlichkeit der bewufsten Wahrnehmung des Ganzen und damit des einzelnen Theiles oder Punktes gesteigert.\nIst dem aber so, dann bleibt nur eine Erkl\u00e4rung \u00fcbrig. Niehl die Reize steigern sich, wohl aber die Empfindungen. Sie unterst\u00fctzen sich wechselseitig in ihrer Bewufstwerdung. Dies aber heifst wiederum nicht: Die Bewufstseinsinhalt\u00a9 unterst\u00fctzen sich, da diese ja erst durch die Unterst\u00fctzung zu Stande kommen. Die Unterst\u00fctzung ist also eine Unterst\u00fctzung in der Sph\u00e4re des Unbewussten, genauer eine wechselseitige Unterst\u00fctzung der psychischen Vorg\u00e4nge. Jeder der Vorg\u00e4nge lenkt die Aufmerksamkeit auf den anderen verm\u00f6ge der Gleichartigkeit und verm\u00f6ge der r\u00e4umlichen N\u00e4he bezw. verm\u00f6ge der Beziehung zwischen den Vorg\u00e4ngen, welche dem Bewufstsemsbild der r\u00e4umlichen N\u00e4he zu Grande hegt. Jenes geschieht nach dem Gesetze, nach dem auch sonst psychische Erlebnisse die Aufmerksamkeit auf gleichartige hinlenken.\nWie alle in diesem Zusammenhang angef\u00fchrten F\u00e4Ue, so ist auch dieser nur ein Beispiel f\u00fcr das, was jederzeit in uns geschieht. Immer wieder kommt es vor, dafs ein Ganzes aus vielen Elementen, ein complexer WahrneInnungs- oder auch Vorstellungsinhalt uns zum Bewufstsein kommt, nicht weil die Elemente diese Elemente sind, sondern weil sie sich zu diesem Ganzen verbinden. Dann gilt immer dies: Der Complex kann nur zum Bewufstsein kommen\u00bb indem die Elemente, die Hm constituiren, zum Bewufstsein kommen. Diese aber kommen zum","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"PifcAwe\u00c4\u00ab Vorg\u00e4nge und psychische Causalii\u00e4t.\n195\nBewu\u00dftsein, weil sie aneinander gebenden sind, also sich wechselseitig in der Bewufstwerdeng unterst\u00fctzen. Und dabei sind .immer das Unterst\u00fctzend\u00a9 und das die Unterst\u00fctzung Empfangend\u00a9 nicht die Bewusstseinsinhalte, sondern die Vorg\u00e4nge, die ihnen m Grunde liegen.\nStellung der Associationen.\nVon hier aus gelangen wir nun weiter zu einem Hauptpunkte. Was psychische Erlebnisse aneinander bindet, was also macht, dafs Vorstellungsinhalte so oder so zusammen auftreten \u25a0oder sich .'aneinander reihen, das nennen wir Associationen. Associationen aber sind keine Bewufstseinserlebnisse. Der causale Zusammenhang des Vorstellungslebens also ist, soweit er durch Associationen bedingt ist, durchaus durch Unbewufstes bedingt\nEs reproducirt etwa der Name Baruch in mir den Namen Spinoza, verm\u00f6ge der zwischen beiden bestehenden Erfahrungsassociation. Was reproducirt Mer, oder was ist die Ursache, dafs auf den Namen Baruch in meinem Bewufsteeim der Name Spinoza folgt? Der Bewusstseinsinhalt \u201eBaruch\u201c ? Aber der Name Baruch war mir schon bekannt, ehe ich von Spinoza wufste. Und er war damals der gleiche \u201eBaruch\u201c, der gleiche und gleichklingende Lautcomplex. Vielleicht hat sich dadurch, dafs ich Spinoza als Baruch Spinoza bezeichnen h\u00f6rte, der Gef\u00fchls-Charakter jenes Lautcomplexes ge\u00e4ndert, es hat sich etwas von der Verehrung daran geheftet, die ich f\u00fcr Spinoza empfinde. Aber es w\u00e4re doch auch m\u00f6glich, dafs schon vorher \u00a9in \u00e4hnliches Ghf\u00fchl sich an den Lautcomplex kn\u00fcpfte. Man hart\u00a9 mir etwa gesagt, Baruch he\u00fcse der Gesegnete. In jedem Falle aber ist es doch nicht so, dafs Lautcomplex\u00a9 je nach dem daran haftenden Gef\u00fchlscharakter diesen oder jenen bestimmten anderweitigen Bewufstseinsinhalt reproducirten. Sondern der Grand der Reproduction ist die Association.\nUnd diese Association ist, wie schon gesagt, keine Bewufst-seinsth at sache. Ihr Dasein oder Nichtdasein ist nicht eine Ver\u00e4nderung an den Bewufstseinsinhalten, weder an dem reproduction den . noch an dem reproducirten. Und doch rnufs \u00a9ine Ver\u00e4nderung dasein, es rnufs irgend etwas anders geworden sein, wenn die vor der Association nicht eintretende reproductive Wirkung jetzt \u00a9intreten soll. Diese Ver\u00e4nderung Hegt also jenseits des Bewufsteeine, Der \u201eBaruch\u201c ist durch di\u00a9 Association\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nTh, \u00eeApps,\nin gewisser Weise doch ein anderer geworden, d. h. der diesem Bewu\u00dftseinsinhalt entsprechende psychische Vorgang hat das an sich Unbekannte angenommen, das wir eben als Association des Namens Baruch mit dem Namen Spinoza oder auch-als Verflochtensein oder Verwobensein mit demselben bezeichnen..\nDie Association ist hier, wie gesagt, Erfahrungsassociation. Aber es verh\u00e4lt sich nicht anders mit der Aehnlichkeitsassociation. Freilich, wenn eine eigenth\u00fcmlich schillernde Farbe mich an eine fr\u00fcher gesehene Farbe erinnert, die ebenso eigenth\u00fcmlich schillerte, dann ist in diesen beiden Bewu\u00dftseinsinhalten etwas Gemeinsames. Und man k\u00f6nnte meinen, dies Gemeinsame in den Bewufstseinsinhalten bedinge hier die Reproduction.\nAber es giebt andere F\u00e4lle, in welchen dies\u00a9 Anschauung ausgeschlossen ist. Bestimmte T\u00f6ne und Kl\u00e4nge scheinen uns bestimmten Farben in nicht n\u00e4her definirbarer Weise gleichartig. Und sie erinnern uns demgem\u00e4\u00df mehr oder weniger bestimmt an dieselben. Tiefe T\u00f6ne z. B. haben etwas Gemeinsames mit tiefen, hohe mit hellen Farben, Trompetenkl\u00e4nge, sagt manv erinnern an Roth u. dgl. Vergleichen wir aber die Bewu\u00dftseinsinhalte, \u201eT\u00f6ne\u201c und \u201eFarben\u201c genannt, so finden wir in diesen nichts Gleichsames. Sie erscheinen uns v\u00f6llig disparat Es findet sich in jenen Gesichtsempfindungsinhalten nichts, kein Element, kein noch so abstraktes Merkmal, das auch in diesen Geh\u00f6rsempfindungsinhalten vork\u00e4me, oder das wir uns auch nur als geh\u00f6rt, als Gegenstand der Geh\u00f6rsempfindung, als durch den Geh\u00f6rssinn pereipirt denken k\u00f6nnten; und umgekehrt\nNur ein gleichartiges Gef\u00fchl, eine gleichartige F\u00e4rbung des Lustgef\u00fchles, ein gleichartiger Gef\u00fchlscharakter, begleitet allerdings die beiden; es ist mir den beiden gegen\u00fcber analog zu Muthe, sie machen mir einen \u00e4hnlichen Eindruck. Jetzt k\u00f6nnte man meinen, auf dieser Gleichartigkeit der Gef\u00fchle beruhe jenes Gef\u00fchl der Gleichartigkeit und beruhe jene Reproduction. Stellen wir diese Frage einstweilen zur\u00fcck. Dann erfordert doch in jedem Falle di\u00a9 Gleichartigkeit des Gef\u00fchles wiederum eine Erkl\u00e4rung. Das was den gleichartigen Eindruck macht, mufs etwas Gemeinsames in sich tragen. Dies findet sich wie gesagt nicht in den Bewu\u00dftseinsinhalten. Also mu\u00df es sich in den Vorg\u00e4ngen finden, die ihnen zu Grande liegen. Die Vorg\u00e4nge, die Erregungsweisen der Psyche, die Bewegungen, die in mir stattfinden, wenn ich einerseits die T\u00f6ne h\u00f6re, andererseits die Farben","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Varg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n197\nsehe, haben eine Eigent\u00fcmlichkeit, durch die sie vergleichbar werden, obgleich dieselbe in den gegenst\u00e4ndlichen Bewufstseins-inhalten kein Correlat hat. Sie kommt nur zum Ausdruck in der F\u00e4rbung des begleitenden Gef\u00fchls.\nWir sehen also hier zun\u00e4chst: Es giebt nicht nur psychische Vorg\u00e4nge, die den Empfindungsinhalten zu Grunde liegen, sondern diese Vorg\u00e4nge tragen auch Momente in sich, die in den Qualit\u00e4ten der Empfindungsinhalte sich nicht verrathen. Es giebt in den Vorg\u00e4ngen nicht blos die, die Beschaffenheit der Inhalte bedingende, die diesen zugewendete, wir k\u00f6nnen kurz sagen die gegenst\u00e4ndliche Seite, sondern es giebt in ihnen auch eine dem Inhalt abgewendete, gegen ihn gleichg\u00fcltige, eine \u201esubjective\u201c Seite.\n- Und dies ist auch am Ende nicht schwer zu verstehen. Offenbar spricht sich in jener gegenst\u00e4ndlichen Seite die specifische Natur der Reize aus; in unserem Falle das, was Tonreize im Vergleich mit Lichtzeizen, bezw. umgekehrt, specifisch Eigenartiges haben. Aber Empfindungen sind eben doch nicht einfache Ergebnisse der Reize; sie sind ebensowohl Ergebnisse der psychischen Organisation und des Gleichartigen in derselben. Dies nun macht uns das Dasein jener \u201esubjectiven\u201c Seite verst\u00e4ndlich. Empfindungsvorg\u00e4nge sind als psychische Vorg\u00e4nge zun\u00e4chst vergleichbare Arten der Erregung dieses Einen, das wir eben Psyche nennen. Sie sind freilich der Psyche durch die Beize abgen\u00f6thigte Vorg\u00e4nge, aber sie sind darum nicht minder Beth\u00e4tigungsweisen der Psyche. Und diese vergleichbaren Weisen der psychischen Erregung oder der Beth\u00e4tigung der Psyche, die den unvergleichbaren Empfindungsinhalten, oder allgemeiner gesagt, den unvergleichbaren gegenst\u00e4ndlichen Bewufstseinsinhalten, etwa T\u00f6nen und Farben, zu Grunde liegen, verrathen ihr Dasein nicht ebenso wie jenes specifisch Unterscheidende der Reize in der Beschaffenheit dieser Bewusstseinsinhalte. Sondern sie verrathen ihr Dasein nur in dem Charakter der Gef\u00fchle, d. h. in der eigenth\u00fcm\u00fcchen F\u00e4rbung der, sei es positiven, sei es negativen Gef\u00fchle, in der eigenartigen qualitativen Bestimmtheit, welche sowohl die Lust als die Unlustgef\u00fchle jederzeit, abgesehen davon, dafs sie Lust oder Unlustgef\u00fchle sind, an sich tragen.\nAuch hierauf werde ich noch einmal mit einem Worte zur\u00fcckkommen. Zun\u00e4chst wende ich mich zu der vorhin zur\u00fcckgestellten Frage, wo bei der reproductiven Wirkung der Aehnlich-","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nTh. l\u00e0pjM.\nkeit in den F\u00e4llen, von denen hier die Rede ist, die reproductiv wirkende Aehnlichkeit zu suchen sei. Ich stelle zu diesem Ende neben jene Reproduction von Farbenvorstellungen durch T\u00f6ne, bezw. umgekehrt, die Reproduction von T\u00f6nen durch T\u00f6ne auf Grund der musikalischen Verwandtschaft. Ein Ton weckt leichter das Bild des ihm musikalisch verwandtesten, der Octave, als das Bild eines ihm musikalisch minder verwandten Tones, etwa der grofsen Septime. Dies beruht wiederum nicht auf Aehnlichkeit der gegenst\u00e4ndlichen Bewufstseinsinhalte. Ein Ton C steht, soweit nur die Bewufstseinsinhalte in Frage kommen, seiner Octave c qualitativ nicht n\u00e4her sondern ferner als seiner grofsen Septime. Ebensowenig aber kann Mer die Reproduction in Zusammenhang gebracht werden mit einer Aehnlichkeit der Gef\u00fchle, die an den Bewusstseinsinhalten, \u201eTon Cu und \u201eTon cu genannt, haften. Das Gef\u00fchl, das ich dem Tone C gegen\u00fcber habe, ist nicht dem Gef\u00fchl, das sein\u00a9 Octave c begleitet, \u00e4hnlicher als das Gef\u00fchl, das seine Septime in mir weckt. Darnach giebt es also \u00fcberhaupt in meinem Be-wufstsein keinerlei Gemeinsames eines Tones und seiner Octave, was uns jene Thatsache, den besonders leichten Fortgang der Vorstellung von dem Ton zu seiner Octave, verst\u00e4ndlich machen k\u00f6nnte.\nUnd dennoch m\u00fcssen die T\u00f6ne etwas eigenth\u00fcmlich Gemein-sames haben. Dies Gemeinsame giebt sich ja auch wiederum in einem Gef\u00fchl unmittelbar zu erkennen, nicht in einer Gleichartigkeit der Gef\u00fchle, aber in einem Gef\u00fchl der Gleichartigkeit, n\u00e4mlich dem Gef\u00fchl der Gleichartigkeit, der U eberein Stimmung oder der Einstimmigkeit, das das Zusammen oder die unmittelbare Folge der beiden T\u00f6ne begleitet. Die Tonverwandtschaft ist eine eigene Art der Einstimmigkeit, n\u00e4mlich der rhythmischen Einstimmigkeit \u2014 nicht der Empfindungsinhalte, T\u00f6ne genannt, wohl aber der Tonempfindungsvorg\u00e4nge. Diese Anschauung ist, wie ich wohl weifs, nicht allgemein anerkannt. Aber Alles weist darauf hin, und nichts spricht dagegen. Jenes Gef\u00fchl der Einstimmigkeit ist daf\u00fcr nur eines der beweisenden Momente. Im Uebrigen kann ich hier nur sagen : Es mufs sich so verhalten, wenn \u00fcberhaupt irgendwelche musikalischen Thatsachen ver-\u00bb at\u00e4ndlich werden sollen.\nZu eben diesen musikalischen Thatsachen geh\u00f6rt nun auch jene Reproductionsthatsache. Ein Ton weist auf seine Octave","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge wid psychische Caumlit\u00e4t.\n199\nm besonderem Ma&fse hin verm\u00f6ge dieser Einstimmigkeit der Tonempfindungsvorg\u00e4nge.\nIst dem mm aber so, dann m\u00fcssen wir schliefsen, dafs es sich bei jener Reproduction von T\u00f6nen durch Farben und umgekehrt, ebenso verhalte, d, h. dafs auch hier die Uebereinsthn-mung, auf welcher die Reproduction beruht, eine Uebereinstim-mung in den psychischen Vorg\u00e4ngen ist Und von da m\u00fcssen wir dann noch weiter gehen. D. h. wir m\u00fcssen bei aller Reproduction durch Aehnlichkeit die \u201eAssociation\u201c der Aehnlichkeit fassen als eine Gleichartigkeit \u2014 nicht der Inhalte, noch auch der begleitenden Gef\u00fchle, sondern der psychischen Vorg\u00e4nge. Wir m\u00fcssen erkl\u00e4ren: Immer wenn wir sagen, dafs Gleichartigkeit, sei es der gegenst\u00e4ndlichen Bewufstseinsinhalte, sei es der Gef\u00fchle, den Fortgang des psychischen Geschehens leite oder bestimme, ist die Gleichartigkeit des an sich unbewufsten psychischen Geschehens dasjenige, was in Wahrheit jene leitende oder bestimmende Wirkung \u00fcbt\nDies nun liefse sich noch weiter im Einzelnen ausf\u00fchren. Aber hier kann dies nicht geschehen. Daf\u00fcr kehren wir, wie schon angek\u00fcndigt, noch einmal zur\u00fcck zu der Bedingtheit der Gef\u00fchle durch Eigenschaften \u2014 nicht der Inhalte, sondern der Vorg\u00e4nge. Freilich ist auch hier\u00fcber in diesem Zusammenhang nur noch eine Andeutung m\u00f6glich. Das Gef\u00fchl der musikalischen Einstimmigkeit, ebenso das Gef\u00fchl des Gegentheils beruht auf Beziehungen von psychischen Vorg\u00e4ngen. Schon vorher sahen wir das Gef\u00fchl der Gleichartigkeit von T\u00f6nen und Farben darauf beruhen. Dann d\u00fcrfen wir schliefsen, dafs es mit jedem Gef\u00fchl, oder wenn man lieber will, mit jedem Bewufstsein der Gleichartigkeit, Aehnlichkeit, Identit\u00e4t und des Gegentheils ebenso sich verhalten wird.\nEin Beispiel, das aber viele vertritt: Ich sehe ein Object, das ich vor einer Viertelstunde sah, jetzt von Neuem und sage, es sei durchaus dasselbe geblieben. Ist hier das jetzt gesehene Object gleich oder identisch mit demjenigen, das den Inhalt meiner Erinnerung bildet, d. h. decken sich hier Wahmehmungs-uod Erinnerungsbild? Soviel ich sehe, ganz und gar nicht. Meine Erinnerungsbilder zum mindesten pflegen mit meinen Wahmehmungsbildern nur geringe Aehnlichkeit zu haben. Was also ist hier gleich geblieben oder was erscheint mir hier als Dasselbe ?","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\n7%. Lippu.\nDarauf wird zun\u00e4chst jeder die Antwort geben: Nicht mit dem schattenhaften, abgeblafsten, farblosen Erinnenmgsbilde wird hier das gegenw\u00e4rtige Wahraehmungsbild verglichen, sondern mit dem ehemaligen Wahraehmungsbild, das durch das Erinnerungsbild rep r\u00e4sentirt ist, worauf dasselbe hin weist, das mit demselben \u201egemeint\u201c 'ist Aber dann frag\u00a9 ich : Was heilst dies? Wenn das ehemalige Wahrnehmungsbild f\u00fcr mich Gegenstand des Vergleiches ist, wenn es mein gegenw\u00e4rtiges Iden-tit\u00e4tsurthe\u00fc bestimmen soll, so mufs es doch irgendwie psychisch existiren. Nun \u00a9xistirt das ehemalige Wahraehmungsbild in mir thats\u00e4ch\u00fcch nicht. Es wirkt in mir nur nach. Diese Nachwirkung also mufs dem Act der gegenw\u00e4rtigen Wahr-nehxoung gleichartig sein. D. h. es mufs irgendwie dasjenige. WM jetzt im Acte der Erinnerung in mir geschieht, trotz der Verschiedenheit der Bilder, mit dem, was in mir geschah, als ich das Object wahraahm, zusammenstimmen. Vielleicht sagt man, das mit dem gegenw\u00e4rtig Erlebten Zusammenstimmende sei die Ged\u00e4chtnifsspur der ehemaligen Wahrnehmung. Dann ist doch diese Ged\u00e4chtnifssph\u00e4re jetzt nicht blos da, sondern sie wirkt, und zwar in gleicher Richtung oder in Richtung auf das gleich\u00a9 Ziel, wie die gegenw\u00e4rtige Wahrnehmung. Nicht blos die Ged\u00e4chtnifsspur, sondern auch dies Wirken und die Beziehung zwischen ihm und dem Wirken des Wahr-nekmungsvorganges ist aber meinem Bewufstsein v\u00f6llig verborgen. Ich finde unmittelbar vor lediglich das. Ergebnifs, das Identit\u00e4ts-bewufstsein, dies eigenth\u00fcmliche Ich- oder Apperceptionserlebnifs.\nIch sagte soeben, mit dem Erinnerungsbild sei das ehemals wahrgenommene Object \u201egemeint\u201c. 'Hiermit ist zugleich das Mer vorliegende Problem allgemeiner bezeichnet. Was ich nicht im Bewufstsein habe, aber meine, ist doch in mir, so ge-wifs es in mir wirkt Dann wirkt also in mir Unbewufstes. Es spielt sich in mir ein, 'unbewufstes Geschehen ab.\nDies gilt auch in anderen F\u00e4llen: Auch wenn ich einen Wahmehmungsinhalt erwarte, meine ich etwas, das meinem Bewufstsein jetzt nicht gegeben ist H\u00e4tte ich den Wahmeh-mungsinhalt, so brauchte ich ihn ja nicht zu erwarten. Zugleich weifs ich, was ich meine. Ich kann dar\u00fcber allerlei aussagen. Darin liegt eine gegenw\u00e4rtige Wirkung, also eine psychische Gegenwart des Gemeinten. Was ist da gegenw\u00e4rtig ?","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n201\nAuch hierbei kommt das Identit\u00e4tsbewufstsein in Frage. Habe ich den gemeinten Wahrnehmungsinhalt, so weifs ich; Was ich habe, ist eben Dasjenige, was ich vorhin meinte. Was \u201emeine\u201c ich da mit dem \u201eGemeinten\u201c. Was steht hier mit dem gegenw\u00e4rtigen Wahrnehmungsinhalte in Identit\u00e4tsbeziehung ? Ich \u201emeine\u201c, wir brauchen diese und viele \u00e4hnliche Fragen nur ernstlich zu stellen, und wir ersehen auch auf diesem Wege deutlicher und deutlicher : Der Ort, wo die causalen psychischen Wechselbeziehungen bestehen, ist nicht das Bewufstseinsleben. Aber hier k\u00f6nnen nicht alle diese Fragen gestellt, sie k\u00f6nnen noch weniger beantwortet werden. Die volle Antwort auf die Frage dieses Aufsatzes giebt eben \u2014 die Psychologie.\nNur mit einem Worte erinnere ich jetzt schliefslich noch an die Thatsachen, die ich in anderem Zusammenhang f\u00fcr die Nothwendigkeit von unbewufsten Vorstellungen zu sprechen in erster Linie angef\u00fchrt habe. Ich erinnere an die \u00e4sthetischen Wirkungen von T\u00f6nen, Farben, r\u00e4umlichen Formen u. dergl. Ich erinnere auch an unser Denken in Worten ohne bewufste Gegenwart dessen, was ihren Sinn constituirt. Zweifellos ist doch hier das mit den Worten \u201eGemeinte\u201c das in mir Wirksame, das mich von Wort zu Wort, von Satz zu Satz Fortleitende, und das zugleich meine Gef\u00fchle, der Bejahung und Verneinung, der Gewifsheit und des Zweifels Bedingende. Man bedenke hier vor Allem, dafs wir auch denken in allgemeinen Begriffen, und dafs das Allgemeine als solches dem Bewufstsein gar nicht gegenw\u00e4rtig sein kann. Dies Allgemeine ist kein m\u00f6glicher Bewu\u00dftseinsinhalt und doch ist es in uns, so gewifs es in uns wirkt Und es ist in uns f\u00fcr sich, abgesondert. Das Gemeinsame vieler psychischen Vorg\u00e4nge vermag eben allerdings f\u00fcr sich da zu sein, d.h. selbst\u00e4ndig zu wirken. Vielleicht redet man hier, um das \u201eBewufstsein\u201c zu retten, von einem bildlosen Bewufstsein. Aber jeder sieht, dafs dies nichts ist als ein Ton, der nicht t\u00f6nt, d. h. etwas, das sich selbst aufhebt.\nDies Wirken der an sich unbewufsten psychischen Vorg\u00e4nge, ihr Anspruch, Tr\u00e4ger der psychischen Causalit\u00e4t zu sein, das ist es, worauf es mir auch bei diesen Thatsachen ankommt. (Ich sagte schon fr\u00fcher, die psychischen Vorg\u00e4nge seien die einzigen Tr\u00e4ger der psychischen Causalit\u00e4t. Es leuchtet ein, dafs ich die Meinung, es k\u00f6nne doch nebenbei und gelegentlich auch einmal den Bewufstseinsinhalten ein St\u00fcck dieser psychischen","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nTh. Lippe.\nCausalit\u00e4t zukommen, nicht durch Thatsachen widerlegen, dafs ich diese Compromifstheorie nicht aus allen Schlupfwinkeln vertreiben kann. Wohl aber l\u00e4fst sich zeigen, dafs da, wo eine Entscheidung auf Grund von Thatsachen \u00fcberhaupt m\u00f6glich ist, allerdings die psychischen Vorg\u00e4nge und nicht die Bewufstseins-inhalte als das psychisch Wirkende und Wirkungen Empfangende erscheinen, also aller reale psychische Causalzusammenhang dem Gebiete des an sich Unbewufsten oder des Realen zugeh\u00f6rt. Und ich vertraue darauf, dafs dies Jedermann gen\u00fcgen wird.\nIm Uebrigen erinnere ich an unsere allgemeine Ueberlegung. Man kann im Gebiete des Ph\u00e4nomenalen bleiben und sich begn\u00fcgen das Ph\u00e4nomenale zu beschreiben. Will man mehr, sucht man einen realen Zusammenhang, so ist man im Gebiete des Realen. Und das Reale ist nun einmal dasjenige, das ist, auch wenn es f\u00fcr das Bewufstsein nicht besteht. Es ist \u201eunbe-wufst\u201c in dem einzig m\u00f6glichen Sinne dieses Wortes. Reale Gausalit\u00e4t der Bewufstseinsinhalte hat keinen Sinn. \u2014\nIch schliefse mit der Erkl\u00e4rung: Die Bewufstseinsinhalte, die das Bewmfstseinsleben constituiren, sind : Empfindungf-inhalte und Gef\u00fchle; in den letzteren f\u00fchle oder erlebeich \u201emich\u201c; weiter die diesen beiden entsprechenden Vorstellungsinhalte; ferner die w'ahrgenommenen oder vorgestellten r\u00e4umlichen und zeitlichen Daseins weisen, Beziehungen, Formen; endlich die unmittelbar erlebten Beziehungen der gegenst\u00e4ndlichen Bewufstseinsinhalte zum Ich oder umgekehrt; und weiter nichts.\nAndererseits : Die an sich unbewufsten Factoren, die den causalen psychischen Lebenszusammenhang constituiren, sind die Empfindungs- und Vorstellungsvorg\u00e4nge, die realen zeitlichen und sachlichen Beziehungen derselben zu einander, die Arten ihres Verwobenseins oder die Associationen, endlich die Psyche selbst mit ihren allgemeinen Zust&ndlichkeiten und den in ihr vorhandenen Ged\u00e4chtnifsdispositionen.\nNichts von jenen Elementen des Bew'ufstseinslebens findet sich als Factor in diesem Causalzusammenhang; und nie l\u00e4fst es sich einer dieser Factoren des psychischen Causa! Zusammenhanges einfallen, in das Bewufstseinsleben her\u00fcberzuwandern.\nDie Psychologie, die \u00fcber das Beschreiben hinaus und zum Erkl\u00e4ren fortgeht, baut aus diesen realen Factoren einen realen psychischen Lebenszusammenhang. Damit macht sie zugleich","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t.\n203\ndas daran gedanklich gekn\u00fcpfte Bewufstseinsleben in dem einzig m\u00f6glichen Sinne dieses Wortes \u201ecausal verst\u00e4ndlich\u201c. Darin besteht die Aufgabe der Psychologie als erkl\u00e4render Wissenschaft.\nErst nach dem Drucke dieses Aufsatzes habe ich Kenntnifs gewonnen von dem Inhalte des vortrefflichen Buches von M\u00fcller und Pilzecker \u201eExperimentelle Beitr\u00e4ge zur Lehre vom Ge-dfichtnifs\u201c. Ich mache aufmerksam auf die darin enthaltenen Best\u00e4tigungen der obigen Ausf\u00fchrungen, insbesondere auf die \u201efh\u00eeproductionstendenzen\u201c, die \u201eOoncurrenz der Reproductions-tendenzen\u201c, die \u201ePerseverationstendenzen\u201c. Letztere bed\u00fcrfen freilich noch einer genaueren Bestimmung. Dafs der Gegensatz' derM\u00dcLLER-PiLZECKER\u2019schen \u201eTendenzen\u201c und meiner \u201epsychischen Vorg\u00e4nge\u201c keinen sachlichen Gegensatz in sich schliefst, ergiebt sich aus meiner genaueren Bestimmung, oder wenn man lieber will, aus meinem geflissentlichen Verzicht auf eine genauere Bestimmung der \u201epsychischen Vorg\u00e4nge\u201c.\n(Eingegangen am 19. December 1900.)","page":203}],"identifier":"lit31429","issued":"1901","language":"de","pages":"161-203","startpages":"161","title":"Psychische Vorg\u00e4nge und psychische Causalit\u00e4t","type":"Journal Article","volume":"25"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:10:38.626932+00:00"}