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Ueber die mechanischen Correlate von Raum und Zeit, mit kritischen Betrachtungen über die E. HERING'sche Theorie vom Ortssinne der Netzhaut. (Auf Grund eines Falles von monoculärem Doppeltsehen ohne physikalische Ursache)

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{"created":"2022-01-31T16:26:34.201989+00:00","id":"lit31444","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Storch, E.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 26: 201-226","fulltext":[{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die mechanischen Correlate von Kaum und Zeit, mit kritischen Betrachtungen \u00fcber die E. HERING\u2019sche Theorie vom Ortssinne\nder Netzhaut.\n(Auf Grund eines Falles von monocul\u00e4rem Doppeltsehen ohne physikalische Ursache.)\nVon\nDr. E. Storch,\nAssistenten der Kgl. Neurologischen Poliklinik zu Breslau.\nUnter den mannigfachen Theorien \u00fcber das Zustandekommen unserer Rauravorstellungen hat sich ganz allm\u00e4hlich die Hering-sche Lehre vom Ortsinne der Netzhaut ein immer gr\u00f6fseres Feld erobert, besonders in ophthalmologischen Kreisen, weniger bei Physiologen und Psychologen. Diese Anerkennung ist auch in vollem Maafse verdient, sobald man das r\u00e4umliche Sehen des gesunden Erwachsenen in Betracht zieht. Hier kommt man in der That mit der Annahme, dafs jeder Punkt der Netzhaut neben einer Lichtempfindung eine untrennbar damit verbundene Raumempfindung (sit venia verbo) vermittelt, vollkommen aus und es d\u00fcrfte vielleicht innerhalb der physiologischen Breite \u00fcberhaupt aussichtslos sein nach entgegenstehenden Thatsachen zu fahnden. Es ist auch weniger dieser f\u00fcr den Praktiker unwichtigere Kernpunkt, der die Entstehung der Raumvorstellungen an geht, als vielmehr die unleugbare Ueberlegenheit der Identit\u00e4tslehre \u00fcber die Projectionstheorie, welche den HERiNG\u2019schen Anschauungen zum Siege verhalf. Lassen wir alles Beiwerk zun\u00e4chst bei Seite, so l\u00e4fst sich die Hering\u2019scIig Lehre vom Ort-sinne der Netzhaut kurz folgendermaafsen fassen: Wird ein Netzhautpunkt gereizt, so empfinden wir einen Lichtpunkt im Raum.","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nE. Storch.\nDieser bestimmte Raumwerth, welcher jedem einzelnen Netzhautelemente inh\u00e4rirt, ist ein angeborener, dem einzelnen Elemente eigent\u00fcmlicher.\nNach Hering ist also der Raum sinnlich wahrnehmbar wie das Licht, der Schall, oder die W\u00e4rme.\nUnter Sinneselement verstehe ich diejenige organische Einheit, welche eine erfahrungsgem\u00e4fs einfache, niemals in Com-ponenten zerfallende Empfindung vermittelt; ich k\u00f6nnte auch sagen, welche die einfachste Empfindung von einer bestimmten Qualit\u00e4t ausl\u00f6st, die \u00fcberhaupt denkbar ist, an der sich also nur eine einzige Dimension (Intensit\u00e4t) entdecken l\u00e4fst. Aber da eine derartige Definition der Subjectivit\u00e4t einen zu weiten Spielraum lassen w\u00fcrde, und z. B. Hering unter der einfachsten Sehempfindung den Lichtfleck im Raum, Wundt den raumlosen Lichteindruck begreift, so \u00fcberlasse ich die psychologische Begriffserkl\u00e4rung lieber der Erfahrung. Zeigt diese in geeigneten pathologischen F\u00e4llen, dafs die bisher f\u00fcr einfach gehaltene Empfindung in Componenten auseinanderfallen kann, so w\u00e4re der bisher festgehaltene Begriff des Elementes im psychologischen Sinne entsprechend abzu\u00e4ndern, die Molekel in ihre Atome zu Zerf\u00e4llen.\nDer Begriff dieser einfachsten, reinen, oder elementaren Empfindung ist zun\u00e4chst eine wesenlose Abstraction, die in unserem Bewufstsein keine St\u00e4tte hat Denn alle unsere sinnlichen Empfindungen werden sofort mit zahlreichen anderen Bewufstseinsvorg\u00e4ngen associirt, die durchaus nicht immer der psychischen Analyse zug\u00e4nglich sind. Ja selbst wenn wir ein Bewufstsein als noch v\u00f6llig leer voraussetzen wollten, w\u00fcrde der strenge Begriff der Elementarempfindung, auch beim ersten Reize, der es trifft, nicht verwirklicht sein.\nDer Begriff des Bewufstseins ist ja \u00fcberhaupt nur m\u00f6glich als der einer fortw\u00e4hrenden Ver\u00e4nderung. Ein wirklich ruhendes Bewufstsein, d. h. ein solches, in dem keine Ver\u00e4nderungen, also keine Bewufstseinsvorg\u00e4nge stattfinden, w\u00e4re kein Bewufstsein. Man sieht schon hieraus, dafs es einen ersten Reiz f\u00fcr ein Bewufstsein nicht geben kann, denn als erster k\u00f6nnte er ja nur ein ruhendes Bewufstsein \u2014 eine Contradictio in adjecto \u2014 treffen. Aber sehen wir von dieser Schwierigkeit ab, so w\u00fcrde der erste Reiz einer bestimmten Qualit\u00e4t, z. B. ein Lichtreiz, der das jungfr\u00e4uliche Bewufstsein erweckt, keinen Dauerzustand,","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die mechanischen Correlate von Baum und Zeit\n203\nsondern eine fliefsende Ver\u00e4nderung hervorrufen m\u00fcssen. Der sinnliche Eindruck verblafst, wird Erinnerung, und ist in jedem Moment im Bewufsteein durch ein besonderes, von jedem fr\u00fcheren und sp\u00e4teren verschiedenes Erinnerungsbild vertreten. Jedes dieser Augenblickserinnerungsbilder umfafst alle fr\u00fcheren, oder ist, wie man sich ausdr\u00fccken k\u00f6nnte, mit ihnen associirt.\nDiese primitivste Th\u00e4tigkeit des Bewufstseins, associativer Natur wie alle Bewufstseinsth\u00e4tigkeit, ohne welche eine Sinnesempfindung nicht m\u00f6glich ist, ist die unumg\u00e4ngliche Eigenzuthat der Seele zu jeder, auch der einfachsten Empfindung. Mit ihr zugleich w\u00fcrden wir den Begriff des Bewufstseins aufheben, wir k\u00f6nnen sie also auch nicht in Gedanken von der elementaren Empfindung trennen.\nDiese Urth\u00e4tigkeit der Seele nun findet eine ganz eigene Bewerthung, jedem unmittelbar und auf das Allergenauste bekannt, aber eben deswegen, weil sie die Urth\u00e4tigkeit der Psyche darstellt, nicht weiter erkl\u00e4rbar, als \u2014 Zeit \u2014.\nH\u00e4tten wir eine Stimmgabel, welche angeschlagen dauernd den gleichen Ton in gleicher Intensit\u00e4t g\u00e4be, so w\u00fcrde der Beobachter immer den gleichen Ton h\u00f6ren und seine sinnliche Wahrnehmung w\u00fcrde sich nicht \u00e4ndern.\nTrotzdem w\u00e4re in 2 auf einander folgenden Momenten der Beobachtung sein Bewufstseinsinhalt nicht der n\u00e4mliche, man ist sich n\u00e4mlich in jedem Augenblicke der Zeit bewufst, welche die Stimmgabel schon t\u00f6nt.\nBezeichnen wir die im Augenblicke Tx dem stets gleichen Reize R entsprechende Wahrnehmung als Wx = TP, so ist im unmittelbar folgenden Zeitelement 1\\2 die Wahrnehmung Jfr2 r= IV -f- u\\ zu setzen, wobei u\\ die in W2 eingehende Com-ponente, das Ged\u00e4chtnifsbild von W1, darstellt\nin T:j ist = Ww2, und u\\2 ist wieder das nachklingende \u00cf\u00cfV\n11 n = 11 -j- ton _ i.\nDiese hier durch eine offenbar der Erfahrung entsprechende Formel ausgedr\u00fcckte Aenderung des Bewufstseinszustandes bei gleich bleibender Wahrnehmung ist gar nicht anders als auf den zeitlichen Ablauf unserer Wahrnehmung zu deuten; nur die Zeit \u00e4ndert sich im angegebenen Falle, sie mufs also repr\u00e4sentirt sein durch den sich\u00e4ndernden Summanden ic.","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nE. Storch.\nDieses w entspricht dem Ged\u00e4chtnifs ; und ist das psychische Correlat einer unabl\u00e4ssig von Statten gehenden materiellen Ver\u00e4nderung des Gehirns, auch wenn dasselbe zeitweise von \u00e4ufseren Reizen nicht beeinflufst ist.\nOhne diese Ver\u00e4nderung, die in \u00e4hnlicher Weise auch in der leblosen Welt von Statten geht, kein Ged\u00e4chtnifs.\nOhne Ged\u00e4chtnifs \u2014 keine Zeit Ohne Zeit \u2014 keine Bewegung Ohne Bewegung \u2014 kein Bewufstsein.\nDaher ist eine elementare Empfindung nur als zeitlich denkbar, und diese Zuthat der Psyche ist bei allen Empfindungen die n\u00e4mliche, unabh\u00e4ngig von der Natur des Reizes und des Sinnesorgans. Eine Sinnesempfindung ohne diese Association mit den eigenen Erinnerungsbildern giebt es nicht, aber wir k\u00f6nnen um den Begriff der reinen Sinnesempfindung aufzustellen, jede andere Association ausschliefsen. Die reinen Sinnesempfindungen liegen wohl in der Zeit, aber nicht im Raum.\nAuch in diesem Sinne kommen reine Empfindungen bei dem Erwachsenen nicht mehr vor. Was wir bei Reizung unseres Sensoriums wahmehmen liegt im Raume, oder hat, wie wir auch sagen k\u00f6nnen neben dem Zeitwerthe auch einen Raumwerth, und selbst die unbestimmtesten Organgef\u00fchle von unseren Ein-geweiden in der Bauch-, Brust- oder Kopfh\u00f6hle besitzen eine deutliche r\u00e4umliche Betonung; sie k\u00f6nnen uns h\u00f6chstens ahnen lassen, was eine reine Empfindung ist. Auch diese Thatsache,, dafs wrir keine Sinnesempfindung ohne Raumwerth kennen oder vorzustellen im Stande sind, \u2014 denn jeden Gegenstand sehen wir an einem bestimmten Ort, jeden Ton h\u00f6ren wir aus einer bestimmten Richtung, jede Ber\u00fchrung f\u00fchlen wir an einer bestimmten K\u00f6rperstelle, jeden Geschmack haben wir im Munde, den Geruch in der Nase, oder wir versetzen ihn in die umgebende Luft, ja schliefslich ein so vages Organgef\u00fchl wie das mit dem Denkprocefs verbundene haben wir in uns, diese Thatsache, sage ich, weist darauf hin, dafs die Raumvorstellung nicht von einem oder zwei Sinnesorganen geliefert wird, sondern dafs sie den Ausdruck, die Objectivation einer Bewufstseinsth\u00e4tigkeit darstellt, die ihr mechanisches Correlat in einer bei allen Sinnesreizungen in gleicherweise auftretenden Bewegungsgr\u00f6fse besitzt\nDafs der Ort, an welchem eine Sinnesfl\u00e4che gereizt wird, nicht im Geringsten eine r\u00e4umliche Vorstellung erregt, d\u00fcrfte","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Ueher die mechanischen Correlate von Baum und Zeit.\n205\neinleuchten, wenn man das Geh\u00f6rorgan betrachtet. Die Erregung verschiedener Stellen der peripheren Cochlearisausbreitung hat durch die Tonh\u00f6he verschiedene Empfindungen zur Folge, nicht aber Empfindungen, welche wir an verschiedene Stellen des Raumes verlegen.\nWarum also sollte die Reizung verschiedener Haut- oder Netzhautpunkte andere Componenten zum Bewufstsein bringen als die durch die zweifache Mannigfaltigkeit der Qualit\u00e4t und Intensit\u00e4t gegebenen, deren erstere f\u00fcr jedes Sinneselement eine besondere ist\nAllen Lebewesen ist nun, wie wir wissen, die Reizbarkeit eigen. Von der Empfindung der Bewufstseinsver\u00e4nderung, die auf den Reiz erfolgt, verm\u00f6gen wir aufser aus innerer Erfahrung nichts auszusagen; wohl aber von der Bewegung, der Energieabgabe, welche der Reiz, die Energieaufnahme zur Folge hat Dieser sogenannte Reflex tritt bei den niedersten und h\u00f6chsten Thieren in zweierlei Form auf, der positiven und der negativen. Bei ersterer zielt die Bewegung des Thieres auf eine Vergr\u00f6fse-rung des Reizes ab und findet ihr Ende, sobald ein Maximum oder Optimum des Reizes und damit auch der Empfindung erreicht ist Ich erinnere an den Sangreflex Neugeborener, an den Greifreflex kleiner Kinder bei sanfter Reizung des Handtellers, an das Fliegen der Insecten zum Licht u. A. in. Bei der negativen Form wird die erregte Sinnesfl\u00e4che dem Reize entzogen.\nDiese beiden Formen des Reflexes finden sich, wie gesagt, bei s\u00e4mmtlichen Lebewesen, und eben deshalb m\u00fcssen wir annehmen, dafs sie nicht erlernt werden, sondern angeboren sind. Es w\u00e4re auch ganz unbegreiflich, wie solch ein Reflex erworben werden sollte. Er ist dem lebenden Protoplasma eigen, wie der Magnetismus dem Eisen, die Fluorescenz dem Petroleum und k\u00f6nnte durch die Auslese wohl erhalten und verfeinert aber nicht geschaffen werden.\nWenn auch derartige Reflexe manchmal sich erst beim reifen Organismus nachweisen lassen, beim Neugeborenen aber fehlen, so mufs man doch die Annahme, dafs sie erlernt werden, weit abweisen. Sie treten in dem Augenblicke auf, wo das Sinnesorgan und der es bewegende Apparat die Entwickelungsreife erreicht haben.\nDas leuchtet besonders bei den rudiment\u00e4ren Reflexen, welche von dem Cheironti\u2019schen Nachen der Heredit\u00e4t aus der","page":205},{"file":"p0206.txt","language":"de","ocr_de":"206\nE. Storch.\nUrzeit her\u00fcbergerettet, noch eine Weile bewahrt werden, obgleich sie f\u00fcr das betreffende Thier nunmehr ohne allen Nutzen sind.\nEin Beispiel m\u00f6ge das erl\u00e4utern: Reizt man leicht die Fu\u00dfsohle eines erwachsenen Menschen, so kr\u00fcmmen sich die Zehen nach unten, ein positiver Reflex, der f\u00fcr Wesen, welche auf B\u00e4umen lebten, nicht ohne Nutzen gewesen sein mag. Eigen-th\u00fcmlicherweise findet sich dieser Reflex nicht beim Neugeborenen. Im Gegentheil kr\u00fcmmen sich hier die Zehen nach oben, und dieses Verhalten bleibt f\u00fcr die Dauer des ersten Lebensjahres, vielleicht noch l\u00e4nger, das n\u00e4mliche. Erkrankt nun aber beim Erwachsenen die Pyramidenbahn im R\u00fcckenmark, indem sie z. B. ihre Markscheiden verliert, so wird der Fufssohlenreflex dem des kleinen Kindes gleich. Bei diesem aber besitzt die genannte Nervenbahn ebenfalls keine Markscheiden.\nWer w\u00fcrde behaupten wollen, dafs dieser Reflex erlernt wird? Er tritt mit derselben Naturnothwendigkeit ein wie das Zuthalfliefsen des Wassers, sobald der Organismus seinen v\u00f6lligen Ausbau gefunden hat.\nJede Bewegung aber stellt eine Ver\u00e4nderung der Bewegungs-gr\u00f6fse des Organismus dar und es kann a priori keinem Zweifel unterliegen, dafs ihr auch eine Bewufstseinsver\u00e4nderung parallel geht. Wir haben ja auch unzweifelhaft bei jeder Muskelth\u00e4tig-keit gewisse Sinnesempfindungen, die von den Tastk\u00f6rperchen der sich verschiebenden Haut, von denen der Sehnen und Gelenke u. s. w. ausgel\u00f6st werden; wir k\u00f6nnen die Bewegungen unserer Glieder ja auch sehen. Aber die diesen Empfindungen entsprechenden Reize sind ja nur ein ganz unbedeutender Theil der Energieschwankung, der sich mit dem Namen des inneren Wiederstandes bezeichnen liefse. Der gr\u00f6fsere Theil wird durch diese sensoriellen Empfindungen nicht psychisch repr\u00e4sentirt, und doch mufs ihm ein Psychisches entsprechen, wenn es auch nicht sinnlicher Natur ist in der engeren Bedeutung des Wortes.1\n1 Dies w\u00fcrde aus der Theorie des psychophysischen Parallelismus folgen, der gem\u00e4fs jeder Aenderung der Bewegungsgr\u00f6fse unseres K\u00f6rpers eine Bewufstseins\u00e4nderung parallel geht. F\u00fcr solche, denen diese Art su schliefsen nicht behagen sollte, kann man auf andere Thatsachen verweisen. Bei der Erlernung complicirter Bewegungen findet eine gans allm\u00e4hliche Aenderung unseres Bewufstseins statt, die sich in dem Gef\u00fchl gr\u00f6fserer Leichtigkeit und Sicherheit bei der Ausf\u00fchrung der Bewegung","page":206},{"file":"p0207.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die mechanischen Correlate von Baum und Zeit.\n207\nWenn man auf dem Boden theoretischer Betrachtungen zu dem Schl\u00fcsse gelangt ist, dafs jeder Bewegung unseres K\u00f6rpers ein Psychisches entsprechen mufs, so hat man die Aufgabe auch die Nervenbahn, welche es vermittelt, zu suchen.\nUnter dem Zwange physiologischer und pathologischer Erfahrungen hat man die Meinung aufgeben m\u00fcssen, dafs eine Nervenfaser in doppelter Richtung leiten k\u00f6nne, und auch die n\u00e4here Einsicht in den anatomischen Bau unseres Centralnerven-systems hat zu eben dieser Anschauung gef\u00fchrt. Jeder Neurit leitet von der Zelle hinweg, jeder Dendrit zur Zelle hin. Die motorischen Vorderhornzellen des R\u00fcckenmarks nun haben nur einen Axenzylinderfortsatz, welcher durch die vorderen Wurzeln das R\u00fcckenmark verl\u00e4fst und sich zu den Muskeln begiebt; der reich verzweigte Dendrit bildet einen wichtigen Antheil der grauen Substanz. Wie soll man sich nun vorstellen, dafs die Function dieser motorischen Zelle in der Stirnrinde eine entsprechende Ver\u00e4nderung hervorbringt? Man hat wohl angenommen, dafs die functioneile Ver\u00e4nderung der spinalen Neurons mit einem Abflufs von Nervenerregung der corticalen Pyramidenzelle Hand in Hand geht Aber dieser Vorgang w\u00e4re ja schon psychisch durch den Willensact voll bewerthet, und es w\u00e4re paradox die anatomischen Einheiten, die wahrscheinlich psychische Elemente darstellen, noch aufserdem f\u00fcr die in Rede stehende Bewufstseins\u00e4nderung, welche mit dem Willen nichts zu thun hat, verantwortlich zu machen. Aber von diesen Pyra-\nkund giebt. Diesen Gef\u00fchlston wird wohl Niemand mit den bei der Muskelaction vorhandenen Sinnesempfindungen in Verbindung bringen. \u00a3r hat absolut nichts Sinnliches und ist eine psychische Componente die der Erwachsene, im Sprechen z. B. Ge\u00fcbte, \u00fcberhaupt nicht gesondert wahrnimmt. Trotzdem mufs sie vorhanden sein ; denn wenn derjenige Ge-himtheil, in welchem die Sprechbewegungen haupts\u00e4chlich ihre physische Ver\u00e4nderung erzeugen, das Centrum der Sprechvorstellungen, wie man sich sehr grob ausdr\u00fcckt, erkrankt, so fehlt dieser Gef\u00fchlston und das Sprechen kann bis zur Unm\u00f6glichkeit erschwert sein. Dafs man im besonderen Falle das psychische Correlat dieser localisirten physischen Ver\u00e4nderung als motorische Erinnerungsbilder bezeichnet, mag hingehen, wenn man meine Eingangs erw\u00e4hnte weite Fassung des Begriffes annimmt; nur darf man ach nicht verleiten lassen, darunter etwas an sich Reproducibles zu verstehen. Die motorische Sprechvorstelluug erm\u00f6glicht erst die motorischen Sprachfonctionen, tritt aber nie als etwas psychisch Beschreibbares allein ia unserem Bewusstsein auf.","page":207},{"file":"p0208.txt","language":"de","ocr_de":"208\nE. Storch.\nmidenzellneuriten gehen Collateralen zu anderen Rindengebieten und diese d\u00fcrften mit grofser Wahrscheinlichkeit die gesuchte Bahn darstellen. Man k\u00f6nnte aber auch an die Collateralen der Vorderhornzellneuriten denken.\nMan hat den Bewufstseinsvorgang, um den es sich hier handelt in dem Namen des Lage, Muskel- oder Bewegungsinnes eine recht ungl\u00fcckliche Bezeichnung gegeben, und dadurch veranlagst, dafs ihn viele Autoren unter anderem durch Hering mit den Spannungs- oder Druckempfindungen, welche wir bei Bewegungen wahrnehmen verwechselten. Die Bahn dieser Empfindungen ist lange bekannt, sie bildet den aufsteigenden Ast eines Reflexbogens, dessen Knotenpunkt im Kleinhirn liegt Hering hat in der That Recht, wenn er hiervon abgesehen einen eigenen Muskelsinn in Abrede stellt. Einen Sinn in der ex acton Bedeutung, dafs wir seine Empfindungen auf bestimmte Objecte z. B. K\u00f6rpertheile bez\u00f6gen, haben wir in unserer Muskulatur allerdings nicht, aber wir behaupten das auch gar nicht von dem hier in Rede stehenden Bewufstseinsvorgange, welcher das psychische Correlat unserer Bewegungen darstellt Dieses sind wir vorl\u00e4ufig aufser Stande n\u00e4her zu analysiren, entnehmen aber aus dej Grundthatsache der Reizbarkeit der Organismen, dafs es sich mit den Elementarempfindungen associirt. Diese vorl\u00e4ufig ganz unbestimmte psychische Componente verh\u00e4lt sich in der subjectiven Welt zur Empfindung, wie in der objectiven der Reflex zum Reiz, wie die Abgabe einer aufgespeicherten Energiemenge zu der Aufnahme einer von aufsen kommenden Be-wegungsgr\u00f6fse.1\n1 Diese nicht durch die Pforten unserer Sinnesorgane eingehenden psychischen Componenten werden h\u00e4ufig ganz \u00fcbersehen, wenn man sie nicht gar \u2014 horribile dictu \u2014 als unbewufste Vorstellungen brandmarkt. Unbewufste Vorstellung ist eine Contradictio in adjecto. Diese Bewu&t-seinsthatsachen sind aber ebensowenig unbewufst wie Vorstellungen. Ein Beispiel m\u00f6ge zeigen, was ich meine. Eine aufgezogene Spiralfeder aus Stahl befindet sich offenbar in einem anderen Zustande als die entspannte. Sie enth\u00e4lt eine gewisse Menge potentieller Energie, die sich Jahrtausende erhalten kann, ohne sich nach aufsen in Arbeit zu entladen. Und doch ist dieser Zustand keineswegs w\u00e4hrend dieser Dauer unwirksam. Schl\u00e4gt man sie mit einem Metallst\u00e4bchen an, so giebt sie einen anderen Ton als vor der Spannung u. a. m. Die potentielle Energie, die sie besitzt, giebt nunmehr jeder in ihr ausgel\u00f6sten Bewegung eine besondere Zugabe.\nAehnliche Vorstellungen kann man sich bez\u00fcglich des Gehirns und des Weiteren unserer Seele machen. W\u00e4hrend unserer Verdauung wird","page":208},{"file":"p0209.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die mechanischen Correlate von Raum und Zeit.\n209\nVersuchen wir nunmehr dieser Componente, die wir vorl\u00e4ufig mit dem Namen des psychischen Motalit\u00e4tswerthes (M) belegen wollen, n\u00e4her zu kommen so k\u00f6nnen wir aus der Aehn-lichkeit ihrer objectiven Erscheinung, der Muskelcontraction, welche ja bei allen durch noch so verschiedene Sinnesreize aus-gel\u00f6sten Reflexen im Grunde die gleiche ist, auch auf eine psychische Gleichheit schliefsen, unabh\u00e4ngig von der Elementarempfindung, der sie sich zugesellt. Dieser Schlufs ist wenigstens auf allen Gebieten unseres Sinnenlebens gerechtfertigt. Die Function aller Netzhautst\u00e4bchen und Zapfen hat dem \u00fcberein-j stimmenden Bau aller dieser Elemente und der wahrscheinlich durchgehends sehr \u00e4hnlichen Form ihrer Lichtreaction entsprechend eine ganz bestimmte psychische Vertretung, deren Gemeinsamkeit sich in umfassenden Ausdruck der Lichtempfindung wiederspiegelt. Ganz so steht es mit der Th\u00e4tigkeit der H\u00f6r- und Riechzellen u. s. w. Warum also nicht auch mit den Muskelfasern ?\nNun ist es klar, dafs der Reizung jeder einzelnen Stelle der ' Sinnesfl\u00e4chen, wenigstens bei den positiven Reflexen, welche im Weiteren allein in Betracht kommen, immer nur ein und dieselbe Endstellung als Reflexwirkung zukommt.\nSo wendet der Mensch sein Ohr nach der Richtung, aus welcher der Schall kommt und saugt mit weiten N\u00fcstern die\ngewifs unser Gehirn energetisch ver\u00e4ndert. Auch dem d\u00fcrfte im Reiche des Psychischen etwas entsprechen. Dieses Etwas ist freilich keine Vorstellung, aber es giebt den Vorstellungen eine besondere F\u00e4rbung.\nSo ist es zweifellos richtig, wenn ich sage: \u201eich besitze kein Bewufst* sein von meiner Bauchspeicheldr\u00fcse, von meinem Herzen u. s. w.u, wenn ich darunter verstehe, ich habe keine sinnliche Vorstellung davon. Es ist aber total falsch, wenn ich meinen w\u00fcrde, diese Organe haben keine ihre Bewegungsgr\u00f6fsen subjectiv wiederspiegelnden Repr\u00e4sentanten. Freilich k\u00f6nnen diese Repr\u00e4sentanten nicht objectivirt werden, aber sie sind nichtsdestoweniger in unserem Bewufstsein. Wir sind hier kaum an der Pforte des Wissens angekommen. Wir ahnen, dafs die Angst das psychische Aequivalent von Ver\u00e4nderungen unseres Blutgef\u00e4fssystemes ist, dafs der Affect der Mutterliebe sein physisches Correlat zun\u00e4chst in gewissen Vorg\u00e4ngen der Sexualsph\u00e4re haben d\u00fcrfte ; aber \u2014 das sind kaum bescheidene Andeutungen daf\u00fcr, dafs man medicinischerseits diese Frage bewufst aufgeworfen hat. Im Grofsen und Ganzen aber wissen wir aus dem Bereich der physiologischen Breite hier\u00fcber so gut wie nichts. Dafs die eingehende klinische Analyse der Geisteskrankheiten berufen ist uns die Wege zu weisen, ist meine pers\u00f6nliche Ueberzeugung.\nZeitschrift fur Psychologie 36.\n14","page":209},{"file":"p0210.txt","language":"de","ocr_de":"210\nE. Storch.\nLuft ein, wenn er einen Geruch wittert Trifft ein Lichtstrahl sein Auge, so wird dieses so bewegt, dafs er auf immer lichtempfindlichere Stellen f\u00e4llt, bis der Reiz endlich auf die Stelle der gr\u00f6fsten Sehsch\u00e4rfe, auf die Macula, zu liegen kommt Trifft ein Tastreiz die K\u00f6rperoberfl\u00e4che, so werden die Fingerspitzen einer oder beider H\u00e4nde an den Ort des Reizes gef\u00fchrt, und es wird die betreffende Stelle nochmals ger\u00fchrt Dadurch wird der erste Tastreiz nochmals ausge\u00fcbt, zugleich aber findet jetzt ein Optimum der Empfindung statt, da nun auch die Haut der Fingerspitzen, welchen mit den kleinsten Tastkreisen zugleich auch die gr\u00f6fste Tastsch\u00e4rfe zukommt, eine Empfindung ausl\u00f6st ; es wird auch hier, wie man sagen k\u00f6nnte, die Kernstelle der Tasthaut nach der Stelle des Reizes hinbewegt.\nAber wir haben den Vorgang erst ungen\u00fcgend geschildert, wenn wir als Wirkung eines Reizes eine f\u00fcr jeden Reiz eigen-th\u00fcmliche Endstellung des K\u00f6rpers oder Sinnesorganes betrachteten. Der Weg auf dem diese Endstellung erreicht wird, ist ebenso ein f\u00fcr jedes einzelne Sinneselement fest vorgeschriebener. Das scheint nun zun\u00e4chst f\u00fcr die Reizung von Hautstellen nicht zuzutreffen; aber wir haben trotzdem Grund zu der Annahme, dafs hier, in welcher Stellung der K\u00f6rper sich auch befinden m\u00f6ge, die Reflexbewegung, welche einer bestimmten Hautstelle entspricht, nur immer einen und denselben psychischen Motilit\u00e4tswerth besitzt.\nAus welchen Gr\u00fcnden diese Annahme berechtigt ist, hier auszuf\u00fchren, w\u00fcrde zu weitl\u00e4ufig sein. Die Verh\u00e4ltnisse sind beim Tastsinn, durch die unumg\u00e4nglich nothwendige Ber\u00fccksichtigung des Gleichgewichtsorganes sehr complicirte. Trotzdem sind sie im Prineip von denen f\u00fcr den Gesichtssinn nicht unterschieden, und da es hier nur auf die Entwickelung des Principes ankommt, werde ich mich von nun an lediglich auf letzteren beziehen.\nF\u00fcr das Auge n\u00e4mlich ist die Forderung, dafs jedem gereizten Netzhautelement nur eine einzige ganz bestimmte Augenbewegung zukommt, genau erf\u00fcllt, wenigstens f\u00fcr den Fall, dafs es sich in der Ruhelage befindet\nW\u00e4re nun die Elementarempfindung aller Netzhautstellen wirklich genau die n\u00e4mliche, so k\u00f6nnte es trotz allem vorher Gesagten nicht dazukommen, dafs sich die dem Element entsprechende Elementarempfindung Ey mit dem psychischen Mo-","page":210},{"file":"p0211.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die mechanischen Correlate von Raum und Zeit.\n211\n\u00fclit\u00e4tswerthe Mx zu einer unaufl\u00f6sbaren Einheit verbindet. Denn sind EEi, Es alle untereinander gleich, so mufs nat\u00fcrlich auch Af, 4- Ex = Mx -f- E.s \u2014 Jfj -j- Es sein, d. h. jede von der Netzhaut ausgel\u00f6ste Elementarempfindung k\u00f6nnte sich mit jedem beliebigen Motilit\u00e4tswerthe associiren. Trotzdem w\u00fcrden die psychischen Resultanten unter einander gleich sein.\nWie aber sattsam bekannt sein d\u00fcrfte sind Ex, E2, Es u. s. w. alle untereinander ungleich (Localzeichen) so dafs Mx -f- Et Mx + E2 ist.\nDie Verschiedenheit von Ex, E2, E6 ist experimentell nachgewiesen. W\u00e4re sie nicht vorhanden, so m\u00fcfsten ja auch die ihnen entsprechenden Bewegungsgr\u00f6fsen in der Hirnrinde 2?j = B* \u2014 Bs sein u. s. w., was nur m\u00f6glich w\u00e4re, wenn sie alle an v\u00f6llig gleich gebauten Stellen vorhanden w\u00e4ren, oder, da es solche gleichen Stellen in idealer Vollendung in der Hirnrinde nicht giebt, wenn sie alle an derselben Stelle localisirt w\u00e4ren. Dann aber w\u00e4re wieder nicht abzusehen wie von Bx, R2, nnd im absteigenden Reflexbogen ungleiche Muskelactionen ausgel\u00f6st werden sollten, welche wir doch jeden Augenblick zu beobachten in der Lage sind.1 Schon in der Thatsache der verschiedenen Localzeichen also liegt eine Gew\u00e4hr f\u00fcr die Richtigkeit der bisher entwickelten Theorie. Erst also durch die Verschiedenheit der Localzeichen wird die Zuordnung und unl\u00f6sliche Association der einzelnen Elementarempfindungen mit ihren eharkteristischen Motilit\u00e4tswerthen m\u00f6glich.\nF\u00fcr das Auge k\u00f6nnen wir den Mechanismus dieser Zuordnung noch etwas genauer verfolgen.\nWenn wir den widerspruchsvollen Angaben der Autoren \u00fcber die Vertheilung des Lichtsinnes im Gesichtsfelde kein Gewicht beilegen d\u00fcrfen, so ist doch eine allm\u00e4hliche Zunahme der Sehsch\u00e4rfe von der Peripherie nach dem Centrum f\u00fcr jeden Meridian festgestellt, und das Gleiche gilt f\u00fcr den Farbensinn. Mit anderen Worten: Die Empfindungen, welche die einzelnen Demente eines Netzhautmeridianes vermitteln, sind um so sch\u00e4rfer betont (umsomehr optimale) je n\u00e4her sie dem Centrum\n1 Der Satz, dafs 2 gleiche Bewufstseinsgr\u00f6fsen nur in derselben Hirnstelle ihr mechanisches Correlat haben k\u00f6nnen, ist ein Analogon zu dem raalytischen Satze, dafs wenn 2 nach steigenden Potenzen von x geordnete unendliche Reihen einander gleich sind, also f (x) = a -j- bx ex\u2019 ... , = h J- /ix -f- yx- . . ., dann auch a = <v, b = 3 . . .\n14*","page":211},{"file":"p0212.txt","language":"de","ocr_de":"212\nE. Storch.\nliegen. Bewegt sich daher ein Reiz auf einem Meridiane nach der Macula hin, so nimmt die Empfindung successive zu, und zwar in jedem kleinsten Theilchen der Bewegung um den denkbar gr\u00f6ssten Betrag. Jedes Abweichen von dem Meridian w\u00fcrde die Empfindungszunahme verlangsamen. Nun wissen wir, dafs sich nach dem LisTixo\u2019schen Gesetze die Macula stets auf einem Meridiane nach der Stelle des Reizes begiebt und verstehen diese Art der Bewegung als positiven Reflex, der schon im Bewegungsdifferential sein Princip deutlich hervortreten l\u00e4fst. Es ist begreiflich wie ungeheuer fest sich gerade bei dieser Einrichtung die Association zwischen M und E gestalten mufs, so dafs unweigerlich bei jedem E das zugeh\u00f6rige M mitt\u00f6nt, gleichg\u00fcltig, ob die dem M entsprechende Reflexbewegung wirklich ausgef\u00fchrt wird oder nicht.1\nZugleich mufs aber bemerkt werden, dafs eine andere wenngleich weniger feste Zuordnung auch zu Stande kommen k\u00f6nnte bei anderer Anordnung der Localzeichen. Ich habe die M\u00f6glichkeit dieser Association nachgewiesen unter der Voraussetzung bestimmter Localzeichen \u00fcberhaupt, nicht unter der bestimmten ihrer nat\u00fcrlichen Anordnung. Bewegte sich z. B. aus irgend einem Grunde nicht der Kernfleck, sondern eine andere Stelle, aber stets dieselbe auf dem Meridian nach dem Orte des Reizes hin, so k\u00f6nnte sich eine neue Reihe psychischer Werthe bilden, z. B. von der Formel M1 -f- En + t, M2 -f- En + a , ilf4 + 2?\u00bb + 3 u. s. w.\nDie Festigkeit dieser Association wird nun noch durch einen ganz besonderen Umstand erh\u00f6ht. Das Ende der Reflexbewegung n\u00e4mlich, das mit dem Optimum der Empfindung zusammenf\u00e4llt, erh\u00e4lt einen ganz besonderen psychischen Accent als Correlat des Bewegungsabschlufses. Dieser Accent kommt nur als die Beendigung einer Spannung, als ein Gef\u00fchl der S\u00e4ttigung oder Befriedigung zum Bewufstsein. Er findet sich \u00fcbrigens bei jeder Eigenth\u00e4tigkeit der Psyche, d. h. einer solchen, die nicht auf eine einfache Energieaufnahme zur\u00fcckzuf\u00fchren\n1 Es leuchtet ein, dafs diese Einrichtung eine gewisse Analogie bietet zu dem, was man bei Pflanzen und niederen Thieren Phototropismus genannt hat. Dieser treibt z. B. viele Insecten zum Hineinfliegen in die Flamme. Dafs es auch Menschen giebt, bei denen der Lichthunger, wenn auch nicht zur Selbstvernichtung, so doch zur Erblindung f\u00fchrt, lehrt jede Sonnenfinsternifs. Einzelne Individuen starren dabei so lange in die Sonne, bis ihre Macula verbrennt.","page":212},{"file":"p0213.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die mechanischen Correlate von Baum und Zeit.\n213\nist, sondern aufgespeieherte Energiemengen umsetzt. Ob diese Th\u00e4tigkeit reflectorisch im engeren Sinne ist, ob sie in einem verwickelten Denkprozesse besteht, ist principiell gleichg\u00fcltig. Man kann ihn bei gesteigerter Aufmerksamkeit wahmehmen, wenn man z. B. die Fixation eines peripheren Gesichtsreizes ausf\u00fchrt, oder wenn man bei geschlossenen Augen die Spitzen beider Zeigefinger aus gr\u00f6fserer Entfernung einander bis zur Ber\u00fchrung n\u00e4hert; er kann eine ungeheure H\u00f6he erreichen bei schwierigen Denkoperationen \\ und d\u00fcrfte dem ihm vorausgehenden Gef\u00fchl der Spannung, dem Gradmesser psychischer Th\u00e4tigkeit parallel gehen. Friedmann bringt diesen Affect mit einem Zustande chemischer S\u00e4ttigung im Gehirn in Verbindung und macht ihn verantwortlich f\u00fcr die Festigkeit gewisser Associationen.\nSelbst auf die Gefahr hin etwas abzuschweifen m\u00f6chte ich hier eine pathologische Beobachtung einflechten, welche dazu dienen soll diesen Affect zu veranschaulichen. Denn f\u00fcr gew\u00f6hnlich beachten wir ihn nicht, so innig ist er mit der Wahrnehmung verkn\u00fcpft. Er ist im Bewufstsein, kann aber von der Wahrnehmung selbst nicht getrennt werden, der er eine bestimmte F\u00e4rbung giebt.\nEine etwa 40 j\u00e4hrige Frau klagte von ihrer M\u00e4dchenzeit an die Gegenst\u00e4nde nicht mehr so wahrzunehmen wie fr\u00fcher. Sie sah aber und h\u00f6rte, f\u00fchlte und schmeckte ausgezeichnet, so dafs die eingehendste Pr\u00fcfung irgend einen objectiven Ausfall nicht nach weisen konnte. Ihre Sinnesorgane waren intact, ihr Ge-d\u00e4chtnifs besser als beim Durchschnittsmenschen. Sie hatte nur Volksschulbildung genossen und vermochte nicht sich besonders gewandt auszudr\u00fccken. Manchmal sei es ihr als ob sie gar nicht selber sehe, f\u00fchle oder h\u00f6re. Sie f\u00fchle ihren ganzen K\u00f6rper nicht, nicht ihre Augen, ihre Ohren. Es war im Ganzen ein recht qualvoller Zustand, der sehr an den des bekannten ('HARCOT\u2019schen Seelenblinden erinnert, nur dafs bei letzterem sich das Gef\u00fchl des Nicht-satt-werdens auf die Gesichtswahr-\n1 Von Newton erz\u00e4hlt man, dafs er bei der Berechnung der Be m hleunigung des Mondes in seiner Bahn, als er voraussehen konnte, dafs diese Beschleunigung die von seiner Theorie geforderte Function der Erd-rchwere w\u00e4re, vor Erregung die letzten Zahlen kaum mehr hinschreiben konnte.","page":213},{"file":"p0214.txt","language":"de","ocr_de":"214\nE. Storch.\nnehmungen beschr\u00e4nkte, bei unserer Patientin aber auf allen Sinnesgebieten zu Tage trat.\nEs d\u00fcrfte nicht zu k\u00fchn sein, wenn man da9 Gef\u00fchl des Mangelhaften, welches diese Patientin bei ihren Wahrnehmungen schildert, auf den thats\u00e4ehlichen Ausfall einer normalerweise vorhandenen, aber ganz in der Sinnes wahrnehmung aufgegangenen psychischen Componente deutet, n\u00e4mlich jenes Accentes, welchen das Zusammenfallen der optimalen Empfindung mit der Beendigung der Motilit\u00e4tswerthe hervorbringt. Dieser Accent w\u00e4re identisch mit einem Entspannungsaffect. Unsere Patientin steht auf der Grenzscheide zwischen Neurasthenie und Geisteskrankheit und es w\u00fcrde sehr gut mit unseren Vorstellungen von neurasthenischer Gehirnaffection \u00fcbereinstimmen, wenn die Entspannung und der sie begleitende Affect ausbliebe.\nDasselbe Manco wie bei der Wahrnehmung empfindet Patientin auch bei der Reproduction, und zwar leidet sie. an einem starken Reproductionszwange, vielleicht gerade deshalb, weil keine ihrer Wahrnehmungen einen befriedigenden Abschlufs findet. So kommt ihr z. B. die Erinnerung an einen gedeckten Tisch. Unter steigender Angst sucht sie das Gesichtsbild mit sinnlicher Deutlichkeit vor ihr geistiges Auge zu rufen. Aber umsonst, sie findet eine unvollkommene Art der Befriedigung erst, wenn sie sich den wirklichen Anblick eines gedeckten Tisches verschafft.\nEinen ganz \u00e4hnlichen Zustand finden wir bei gewissen Zust\u00e4nden von Melancholie, nur ist hier die St\u00f6rung eine viel intensivere. Diese Kranken klagen, dafs sie \u00fcberhaupt nichts mehr empfinden, dafs sie l\u00e4ngst gestorben seien; dabei beantworten sie, wenn auch z\u00f6gernd, alle Fragen; ihre Bewegungen und Aeufserungen zeigen, dafs sie alles wahmehmen. Auch hier d\u00fcrfte der in Rede stehende Affect fehlen, welcher bei jeder normalen Wahrnehmung den Knoten sch\u00fcrzt zwischen der Elementarempfindung \u2014 dem Correlat der Energieaufnahme, und dem Motilit\u00e4tswerth, der Eigenth\u00e4tigkeit der Psyche. Ist dieser Knoten gel\u00f6st, so stehen wir unserem psychischen Vorg\u00e4ngen als etwas Fremdem gegen\u00fcber.\nSo haben wir in groben Z\u00fcgen f\u00fcr alle Sinnesorgane, etwas eingehender f\u00fcr das Auge nachgewiesen, dafs sich zu jeder Elementarempfindung nothwendigerweise eine Componente gesellt, die eine psychische Repr\u00e4sentation der Muskelbewegung","page":214},{"file":"p0215.txt","language":"de","ocr_de":"Leber die mechanischen Correlate von Raum und Zeit\n215\nist. Von einem Standpunkte aus ist diese Bewegung nur abh\u00e4ngig von dem Orte der Reizung, vom Raum, sie ist in der That eine Umsetzung der Raumwerthe in Bewegungsgr\u00f6fsen, und vermag in dieser Eigenschaft allein unserem Bewufstsein Kunde zu geben vom Raum. Eine andere derartige Umsetzung von Raumwerthen in Bewegungsgr\u00f6fsen, und damit in Reize giebt es nicht Von einem anderen Standpunkte sind diese Reflexbewegungen eine Eigenth\u00e4tigkeit des Organismus ; ihr psychisches Correlat ist die Raumvorstellung, ohne welche es keine Wahrnehmung giebt, und deshalb liegen alle Objecte unserer Sinneswahmehmung im Raum.\nDie Psyche schafft Zeit und Raum als Medium unserer Wahrnehmungen. Einen treffenderen Ausdruck als den der rFormenu reiner Sinnlichkeit h\u00e4tte Kant daf\u00fcr nicht finden k\u00f6nnen.\nBezeichnen wir diese Association der Empfindungen mit den Raumwerthen als Wahrnehmungen, so ist klar, dafs jede Wahrnehmung etwas R\u00e4umliches haben mufs.\nAber die einzelnen Sinneswahrnehmungen sind mit Hinsicht auf die Bestimmtheit ihrer R\u00e4umlichkeit, wie schon angedeutet, sehr verschieden. Am fernsten localisiren wir mit dem Auge und der Haut Das h\u00e4ngt eben von der Beweglichkeit dieser I Organe und der festen Zuordnung ihrer Localzeichen zu ganz bestimmten Motilit\u00e4tswerthen ab. Bes\u00e4fsen wir ein Geh\u00f6rorgan, das anstatt unbeweglich in den festesten Sch\u00e4delknochen eingebettet zu sein, frei beweglich w\u00e4re z. B. an der Spitze eines Iusectenf\u00fchlers, und ausger\u00fcstet mit einer Stelle gr\u00f6fster H\u00f6rsch\u00e4rfe, welche sich stets auf dem k\u00fcrzesten Wege nach dem Reize hinbewegte, so w\u00fcrden wir wahrscheinlich ein r\u00e4umliches Geh\u00f6rsbild der Welt besitzen; doch das geht \u00fcber unser Vorstellungsverm\u00f6gen hinaus.\nNun begreifen wir auch, warum die HE\u00dfiNGsche Theorie vom Ortsinne allen praktischen Anforderungen gen\u00fcgt. Sobald n\u00e4mlich die unl\u00f6sliche Verbindung der Netzhautelemente mit den myogenen Raumwerthen zu Stande gekommen ist, brauche ich mich in der That nicht darum zu k\u00fcmmern, ob diese Raumwerthe mittelbar oder unmittelbar durch St\u00e4bchen und Zapfen ausgel\u00f6st werden, die Beschreibung der optischen Thatsaehen wird dadurch nicht ber\u00fchrt werden. Allerdings war ich bis vor Kurzem der Ueberzeugung, es g\u00e4be einen Punkt, wo das physiologische Experiment den Irrthum Hering\u2019s aufdecken k\u00f6nnte.","page":215},{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nE. Storch.\nNach der Theorie der myogenen Raumwerthe ist zu erwarten, dafs die Wahrnehmung eines leuchtenden Punktes, dessen Bild auf der Peripherie eines Elementes entsteht, sich unterscheidet von der des im Mittelpunkte entstehenden Bildchens. Nach Hering m\u00fcfsten beide Wahrnehmungen die gleichen sein. Legt man als Maafs der Sehsch\u00e4rfe den Winkel zu Grunde, unter welchem die Verbindungslinie zweier gerade noch gesondert wahrnehmbarer Punkte gesehen wird, so kommt man auf die bekannte Winkelminute v. Helmholtz\u2019s. In dieser Beziehung verlangen beide Theorien denselben Werth: Zwischen den Schenkeln dieses Winkels mufs vom Knotenpunkt des Auges aus gesehen ein Kernfleckelement bequem Platz finden.\nBekanntlich hat nun Hering nachgewiesen, dafs beim bin-ocul\u00e4ren Sehact alle Lichtpunkte, welche auf identische Netzhautstellen fallen, einfach und in einer Ebene, der Kemfl\u00e4che des Sehraums gesehen werden. Punkte, die auf nahezu identischen Stellen sich abbilden, werden auch einfach gesehen, treten aber k\u00f6rperlich vor oder hinter die Kernfl\u00e4che. Nun ist ja klar, dafs bei Hering zwei identische Punkte gleichbedeutend sein m\u00fcssen mit zwei identischen Netzhautelementen, mit anderen Worten, dafs ein Lichtpunkt einen Tiefenwerth erst erhalten kann, wenn seine Querdisparation im He ring\u2019sehen Einauge gleich der Gr\u00f6fse eines Netzhautelementes wird. Doch wufste man schon lange, dafs eine Tiefenwahmehmung schon bei weit geringerer Querdisparation auftritt, und dies verlangt die myo-gene Raumtheorie, denn nach ihr sind identische Punkte durchaus nicht von der Gr\u00f6fse der Netzhautelemente abh\u00e4ngig.\nNun hat Heine ganz neuerdings gezeigt, dafs die Sehsch\u00e4rfe und die Tiefenwahrnehmung, wenn man beide unter vergleichbaren Bedingungen pr\u00fcft, recht gut liarmoniren. Freilich fehlt die Pr\u00fcfung mit Punktobjecten.1\nSo lange diese aussteht, haben wir im Bereich der physiologischen Breite keinen Gegenbeweis gegen die HERiNG\u2019sche Auffassung.\nAuch auf pathologischem Gebiete gab es bisher keine zwingenden Beobachtungen, die gegen Hering gesprochen h\u00e4tten, denn die wenigen F\u00e4lle von Seelenblindheit, welche wir kennen, beruhen keineswegs auf dem Ausfall der optischen Raumwerthe.\n1 Gr\u00e4fe'8 Archiv f\u00fcr Ophthalmologie 51 (1): \u201eSehsch\u00e4rfe und Tiefenwahrnehmung\u201c.","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die mechanischen Correlate von Baum und Zeit.\n217\nln dieser Beziehung sind die F\u00e4lle cerebraler Tastl\u00e4hmung viel belehrender; hier fehlen in der That die tactilen Raumwerthe bei erhaltener Tastempfindung. Aber diese Analogie ist noch kein Beweis. Diesen bringt erst der von Bielschowski beschriebene Fall monocul\u00e4rer Diplopie, welcher im Archiv f\u00fcr Ophthalmologie 1897 ver\u00f6ffentlicht ist.\nDer Fall ist also von principieller Bedeutung:\nBei einem 18 j\u00e4hrigen Techniker, der von Jugend auf mit dem linken schwachsichtigen Auge nach einw\u00e4rts schielte, trotzdem aber einen leidlichen binocul\u00e4ren Sehact besafs, wurde wegen einer Erkrankung die Enucleation des rechten Auges nothwendig. Als er sich 8 Tage nach der Operation zur Besichtigung vorstellte, machte er die Angabe, dafs er nunmehr mit seinem linken Auge Alles doppelt sehe; links und etwas unterhalb von dem fixirten Gegenst\u00e4nde bef\u00e4nde sich ein \u201eTrugbild* von etwas matterem Aussehen. Forderte man ihn auf dieses Trugbild zu fixiren, so machte sein Auge eine kleine, etwa 5\u00b0 betragende, Einstellbewegung nach links und nun gewann der gesehene Gegenstand an Deutlichkeit. Mit der Zeit, um dies gleich vorweg zu nehmen, empfand Patient einen immer gr\u00f6fseren Zwang, auf das Trugbild einzustellen. Liefs man ihn das Flammenbild im Augenspiegel fixiren, so beobachtete man bei der Aufforderung, das Trugbild ins Auge zu fassen, dafs sich die Macula von der Schl\u00e4fenseite her einstellte.\nDiese ganz einzigartigen Erscheinungen veranlafsten den Verfasser, Hering um eine ausf\u00fchrliche Untersuchung des Falles zu bitten, und dieser stellte einwandsfrei fest, dafs irgend eine physikalische Ursache f\u00fcr die Entstehung zweier Netzhautbilder auszuschliefsen sei, sei es, dafs diese in einer doppelten Pupillenbildung oder in sprungweiser Ver\u00e4nderung der Brechungs-coefficienten der Augenmedien gesucht wurde.\nEs unterliegt keinem Zweifel, dafs auf der Netzhaut von jedem Gegenst\u00e4nde nur ein Bild entworfen wurde.\nDie Untersuchung stellte ferner fest, dafs der Sehwinkel, unter dem die Verbindungslinie der Doppelbilder erschien, f\u00fcr alle Entfernungen ann\u00e4hernd derselbe war, im Mittel 5\u00b0 28'.\nW\u00e4hlte man als Object eine kleine, weifse, kreisf\u00f6rmige Scheibe von wenigen Millimetern Durchmesser, so gelang es, wenn man von der Gesichtsfeldperipherie her eine zweite eben solche Scheibe einf\u00fchrte, das nat\u00fcrliche Bild dieser mit dem","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nE. Storch.\nTrugbild der ersteren zur Deckung zu bringen, und umgekehrt Nahm man hingegen zwei l\u00e4ngere schmale Streifen, so gelang es bei paralleler Lage derselben nicht, eine genaue Deckungslage zu erreichen. Das \u201eTrugbild\u201c des einen und das \u201enat\u00fcrliche\u201c Bild des anderen schnitten sich dann unter einem ann\u00e4hernd constanten Winkel von etwa 13 \u00b0. Dementsprechend gab Patient auch an, dafs das Trugbild eines einzelnen Streifens gegen diesen Streifen selbst stets geneigt erscheine, und zwar divergirten die Bilder bei senkrechtem Object nach oben.\nInteressant waren noch folgende Beobachtungen : Das Trugbild einer weifsen Scheibe auf schwarzem Grunde war dunkler, dasjenige einer schwarzen auf weifsem Grunde heller als das nat\u00fcrliche. Das Trugbild einer grauen Scheibe auf farbigem Grunde erschien wie durchsetzt von der Farbe der Umgebung, w\u00e4hrend das nat\u00fcrliche Bild, wie man nach den Gesetzen des simultanen Contrastes erwarten mufste, die Complement\u00e4rfarbe zeigte.\nLegte man eine blaue und eine gelbe Scheibe so vor den Patienten, dafs sich ein Trugbild und ein nat\u00fcrliches Bild deckten, so zeigte die mittelste die gleichen Erscheinungen, welche wir am Stereoskop oder Haploskop beobachten, wofern wir dem einen Auge ein blaues, dem anderen ein gelbes Object darbieten: den Wettstreit der Gesichtsfelder. Die mittlere Scheibe erschien bald blau, bald gelb, oder auch in einem neutralen Grau.\nWie wir gesehen haben, wendete Patient bei der Aufforderung, das Trugbild zu fixiren, das Auge so, dafs sich der Gegenstand auf der anatomischen Macula abbildete. Dann aber glaubte er links am Gegenst\u00e4nde vorbei zu sehen. Bemerkenswertherweise beantwortete er die Frage, warum er denn das links und unten gelegene Doppelbild als Trugbild von dem Gegenst\u00e4nde unterscheide, dahin, \u201edafs er fr\u00fcher mit dem anderen Auge so gesehen h\u00e4tte\u201c, eine Aeufserung, die doch nur den Sinn haben kann, dafs er jetzt beim Fixiren eines Gegenstandes das Gleiche zu thun glaube wie fr\u00fcher. Dieses Gef\u00fchl werden wir kaum auf etwas Anderes beziehen k\u00f6nnen, als auf die psychische Repr\u00e4sentation der Augenmuskelth\u00e4tigkeit, welche bei der neuen Fixirstellung des Auges thats\u00e4chlich genau gleich der vor der Operation geleisteten Fixationsth\u00e4tigkeit war. Der neue Kernfleck des linken Auges war nach innen verschoben. Denkt mau","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die mechanischen Correlate von Raum und Zeit.\n219\nsich bei der Ruhelage der Schieistellung die rechte Retina durch parallele Verschiebung mit der linken zur Deckung gebracht, so fiel die rechte Macula auf diesen neuen Kernfleck.\nBei etwa einj\u00e4hriger Beobachtungsdauer traten wesentliche Ver\u00e4nderungen in den geschilderten Erscheinungen nicht ein; die Sehsch\u00e4rfe besserte sich allm\u00e4hlich, w\u00e4hrend in dem Maafse, wie das nat\u00fcrliche Bild immer undeutlicher wurde, der Zwang, das Trugbild zu fixiren, zunahm. Immer aber hat er beim Fixiren des Trugbildes noch das Gef\u00fchl, am Gegenst\u00e4nde vorbei zu sehen.\nF\u00fcgen wir hinzu, dafs der Kranke sich dunkel erinnert, in fr\u00fcher Jugend eine Periode des Doppelsehens gehabt zu haben, so m\u00fcssen wir annehmen, dafs er zuerst einen guten binocul\u00e4ren Sehact besafs, ehe er zu schielen begann. Er sah die Gegenst\u00e4nde, welche sich bei symmetrischen Augenstellungen auf seiner linken Macula ab bildeten, gerade vor sich auf der senkrechten Halbirungslinie beider Knotenpunkte und vermochte sie als r\u00e4umlich nach allen drei Dimensionen ausgedehnte Objecte wahrzunehmen. Die Correspondenz seiner Netzh\u00e4ute war eine vollkommene.\nDurch den sich entwickelnden Schielact wurde das Einfachsehen mit identischen Netzhautstellen eine Unm\u00f6glichkeit. Die Bildchen derselben Objecte lagen nunmehr auf nicht identischen Stellen und mufsten an verschiedenen Orten erscheinen. An identischen Netzhautstellen aber lagen ungleiche Bilder, die zu einem einheitlichen Gesichtseindruck unter keiner Bedingung verschmolzen werden konnten.\nDieser Zustand, der der Theorie nach bei allen Schielenden einmal existirt haben mufs, w\u00fcrde die Orientirung im Raume nat\u00fcrlich sehr erschweren. Es war bis vor Kurzem strittig und d\u00fcrfte auch jetzt noch nicht spruchreif sein, in welcher Weise dieser Uebelstand behoben wird. F\u00fcr den streng unilateralen Strabismus aber d\u00fcrfte der hier erw\u00e4hnte Fall den zwingenden Beweis bringen, dafs aus Gr\u00fcnden, die uns hier nicht weiter interessiren, die Eindr\u00fccke von den identischen Stellen des nicht fixirenden Auges unterdr\u00fcckt werden k\u00f6nnen, w\u00e4hrend sich zugleich eine neue Correspondenz ausbildet zwischen den Punkten beider Netzh\u00e4ute, welche die Bilder d\u00e7r gleichen Gegenst\u00e4nde auffangen ; wenigstens gilt das f\u00fcr einen gr\u00f6fseren mittleren Bezirk der Netzhaut.","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nE. Storch.\nDer Beweis hierf\u00fcr, dafs sich an Stelle der angeborenen anatomisch begr\u00fcndeten Correspondes eine neue unter den genannten Bedingungen entwickeln kann, ist heutzutage schon mehrfach geliefert worden. L\u00e4fst man einen Menschen von normalem binocul\u00e4ren Sehact ein\u00e4ugig einen gl\u00fchenden horizontalen Faden in seiner Mitte fixiren, w\u00e4hrend man zugleich diese fixirte Stelle durch den Finger verdeckt, dreht darauf den Faden um seinen Mittelpunkt in die senkrechte Lage, und l\u00e4fst ihn nun von Neuem mit dem anderen Auge fixiren, so nimmt die Versuchsperson nach Schlufs beider Augen folgendes Nachbild wahr: Ein Kreuz, dessen senkrechter Schenkel durch die dunkel bleibende Mitte des wagerechten geht Genau so verhalten sich auch Leute mit Augenmuskell\u00e4hmungen und die meisten Schielenden. In gewissen F\u00e4llen aber geht der verticale Faden des Nachbildes nicht durch die dunkle Stelle des horizontalen, sondern mehr weniger seitlich davon. Es handelt sich dann immer um Schielende.1 Wie gesagt, sind die Bedingungen, unter denen diese Erscheinung auftritt, noch nicht genau bekannt.\nIn solchen F\u00e4llen hat also jedes Element der Netzhaut des schielenden Auges seinen nach Hering angeborenen Raumwerth vertauscht mit einem anderen nicht angeborenen, also erworbenen. Die HERiNG\u2019sche Theorie l\u00e4fst aber die M\u00f6glichkeit einer Erwerbung von Raumwerthen ausgeschlossen erscheinen; denn ist der Raumwerth thats\u00e4chlich eine Function des Netzhautelementes, so m\u00fcfste letzteres in F\u00e4llen von Pseudocorrespondenz eine Ver\u00e4nderung erfahren. Das ist sehr unwahrscheinlich. Wir wissen wenigstens nichts davon; aber wir wissen ganz bestimmt, dafs der Bewegungsapparat des Auges sich ver\u00e4ndert hat und m\u00fcssen in Folge davon ver\u00e4nderte Motilit\u00e4tswerthe fordern.\nNoch deutlicher als diese Beobachtungen zeigt der Fall von Bielschowski, dafs die Raumwerthe unserer Sehdinge nicht von den Netzhautelementen geliefert werden k\u00f6nnen.\nPatient erh\u00e4lt von jedem Lichtpunkte im Raum nur ein Netzhautbild, aber er nimmt zwei ihrem Lichtwerthe wie Raumwerthe nach verschiedene Sinneseindr\u00fccke wahr. Der Lichtpunkt,\n1 Dafs diese so selten monocul\u00e4r doppelt sehen \u2014 man verf\u00fcgt aufeer dem B.\u2019sehen Fall nur \u00fcber wenige Beobachtungen \u2014 d\u00fcrfte, wie des Weiteren klar werden wird, mit der Gr\u00f6fse des Schielwinkele Zusammenh\u00e4ngen.","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber die mechanischen Correlate von Raum und Zeit\n221\nden er zu fixiren meinte, \u2014 dem wirklichen Gegenst\u00e4nde entsprechend, erregte jene retinalen Elemente, welche vor der Operation die gleichen Bilder empfingen wie der Kernfleck seines f\u00fchrenden Auges. Diese Elemente vermittelten, wie es nach Hering sein soll, einen Lichtfleck im Raum, wenn sie gereizt wurden. Dafs ihre Raumwerthe erworbene waren, ist schon erw\u00e4hnt. Zugleich aber mit der Reizung dieser Elemente tritt noch eine andere Lichtempfindung, die des \u201eTrugbildes\u201c im Bewufstsein auf. W\u00fcrde diese wirklich das psychische Correlat des dioptrischen Netzhautbildchens sein, so m\u00fcfste man den Begriff des Sinneselementes fallen lassen, denn der Annahme, dafs etwa durch Irradiation auch andere Elemente gereizt w\u00fcrden, steht abgesehen von dem anatomischen Bau der Netzhaut, zu viel entgegen. Jedes Element w\u00fcrde zwei Lichtempfindungen vermitteln, ja noch mehr, diese beiden Lichtempfindungen w\u00e4ren nicht nur ihrer Intensit\u00e4t, sondern auch ihrer Qualit\u00e4t nach verschieden. Der Schlufs ist unabweislich, dafs h\u00f6chstens ein Lichtwerth, und zwar der zum \u201ewahren\u201c Bilde geh\u00f6rige einer Reizung der Retina entspricht.\nWir d\u00fcrfen also die Ursache des Trugbildes nicht in den Netzhautelementen suchen; denn dann m\u00fcfsten wir annehmen, dafs entweder\nein Netzhautelement eine Doppelwahrnehmung ausl\u00f6st, \u2014 das widerspricht dem Begriff des Elements \u2014\noder\ndafs ruhende, nicht gereizte Sinneselemente Wahrnehmungen vermitteln k\u00f6nnen \u2014 das ist ein Unsinn.\nOhne Schwierigkeit aber l\u00f6st die myogene Theorie der Raumwerthe alle Widerspr\u00fcche. Bevor Patient schielte, hatte jedes Netzhautelement seinen physiologischen Raumwerth, mit dem es in Folge der aufserordentlich festen Association auch dann noch verbunden blieb, als die Muskelbewegungen, welche ihn geschaffen hatten, ganz andere geworden waren. Als nun Patient zu schielen anfing, war die M\u00f6glichkeit gegeben, zu jedem Element einen neuen Motilit\u00e4tswerth zu schaffen, um so eher, wenn wir die hier berechtigte Annahme eines Strabismus concomitans unilateralis machen. Die Sinneswahrnehmung des linken Auges k\u00f6nnen wir nunmehr mit\tveranschau-\nlichen. Bei Ausbildung dieser neuen Association ist Folgendes zu beachten. Die Bewegungen des linken Auges waren keine","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nE. Storch.\nselbst\u00e4ndigen; sie standen dauernd und \u00fcberwiegend unter der Herrschaft des rechten. Die reflectorischen oder gewollten Impulse, welche retinale Erregungen ausl\u00f6sten, kamen alle von rechts nach dem Bewegungsapparat des Auges am Boden de\u00bb Aqu\u00e4ducts; die linksgelegenen Kerne wurden nur durch den commissuralen Apparat beschickt, bezw. durch Vermittelung der Coordinationscentren im H\u00f6hlengrau. Nennen wir die Stelle der linken Retina, welche in der neuen Prim\u00e4rstellung des Schielenden. der prim\u00e4ren Schiellage, das Bild desselben Sternes auffing, wie der Kernfleck des rechten, die Pseudomacula, so m\u00fcssen deren Bewegungen im Wesentlichen, wenigstens wenn sie eine gewisse Grenze nicht \u00fcberschritten, gleich denen der rechten wahren Macula gewesen sein. Freilich mit gewissen Einschr\u00e4nkungen, denn diese Pseudomacula bewegte sich aus ihrer Prim\u00e4rstellung heraus nicht in gr\u00f6fsten Kugelkreisen, der geometrische Ort s\u00e4mmtlicher Drehungsaxen des Auges in die ersten Secund\u00e4r-stellungen war nicht die Aequatorialebene. Es ist hier \u00fcberfl\u00fcssig, auf die unter gewissen Voraussetzungen m\u00f6gliche theoretische Ableitung des neuen Bewegungsmechanismus einzugehen ; es gen\u00fcgt, dafs die Drehung der beiden bei dem Ein\u00e4ugigen beobachteten Gesichtsfelder gegeneinander mit dieser Ableitung in Einklang ist. Bei der neuen Gleichgewichtslage waren die Ansatzpunkte des Rectus superior, inferior und internus einander gen\u00e4hert, die des Rectus externus und der beiden Obliqui von einander entfernt, Ob man f\u00fcr die Ableitung ein Ueberwiegen des Internus oder eine Schw\u00e4che des Externus annimmt, ist gleichg\u00fcltig. Die Hauptsache ist, dafs auf Reizung eines beliebigen Netzhautelementes hin die Pseudomacula eine ganz bestimmte Bewegung machte und die Association EMm, die neue Gesichtswahrnehmung des linken Auges entstehen konnte.\nThatsache ist, dafs, wie die Krankengeschichte lehrt, vor der Operation der Werth M keine Vorstellung hervorrief, er hat die neuen Gesichtswahrnehmungen jedenfalls nur in ihrer F\u00e4rbung beeinflufst. Warum das so war, wissen wir nicht, wir k\u00f6nnten sagen, dafs die \u00fcberwiegende Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmungen des rechten Auges die linkseitigen Werthe M unterdr\u00fcckte, w\u00fcrden aber damit nur eine Umschreibung des That-bestandes geben.\nDie zu beantwortende Hauptfrage ist nun, woher bezog nach\nOperation M seinen Lichtwerth, da ja das der retinalen","page":222},{"file":"p0223.txt","language":"de","ocr_de":"lieber die mechanischen Correlate von Raum und Zeit.\n223\nHeizung entsprechende E mit m zn einer Wahrnehmung verschmolz? Auch hierauf ist eine Antwort m\u00f6glich. Die neuerdings bekannter gewordene prim\u00e4re Endstation des Opticus im GgL geniculatum externum im Puloinar und vorderen Vierh\u00fcgel * zeigt, dafs hier jede noch so circumskripte Erregung eine grofse Ausbreitung erfahren mufs, und dafs demzufolge jeder Lichtreiz wahrscheinlich den gr\u00f6fsten Theil des occipitalen Lichtfeldes der Rinde mit schwingen l\u00e4fst. Nur von einem Wellengipfel in der Occipitalrinde kann die Rede sein. Dafs dieser Gipfel in der macul\u00e4ren Projection am steilsten ist, d\u00fcrfen wir aus der gr\u00f6fsten Sehsch\u00e4rfe der Macula schliefsen. Bei Reizung der Pseudomacula wird er diffuser sein und auch die Projection noch weiterer Netzhautgebiete mit bemerkenswerthen Energiemengen beschicken. Verbindet sich das psychische Correlat dieser irradirenden Energie mit dem urspr\u00fcnglichen Motilit\u00e4ts-werthe M des gereizten Netzhautelementes, so wird jetzt that-sichlich die Doppelwahrnehmung bei Reizung einer Netzhautstelle verst\u00e4ndlich.\nDurch Wilbrandt\u2019s Untersuchungen, die mit den Musischen experimentell fortgelegten Beobachtungen \u00fcbereinstimmen, steht es aufser Zweifel, dafs jedem Netzhautpunkte eine Stelle im eorticalen Lichtfelde zugeordnet ist und zwar so, dafs jedem fontinuirlichen Punktsystem auf der Netzhaut ein continuirliches Punktsystem in der Rinde entspricht. Daraus folgt, dafs die Rindenstelle, deren irradiirende Energie mit M in Verbindung tritt, auch einen Wellengipfel erhalten kann und zwar dann, wenn ein gewisser Punkt der Netzhaut gereizt wird.\nNehmen wir an, der Ein\u00e4ugige fixire gerade einen Lichtpunkt, so entsteht dessen Bild auf der Pseudomacula, deren Motilit\u00e4tscomponente wir gleich m0 1 setzen k\u00f6nnen. Das Trugbild erscheine an einer beliebigen Stelle im Raum und enk spricht dem Raumwerth M. Bietet man dem Patienten jetzt ein zweites kleines Object, welches man solange verschiebt, bis sein w'ahres Bild sich mit dem ersten Trugbild deckt, so wird jetzt ein Netzhautpunkt (or\u201e) gereizt, dessen Motilit\u00e4tscomponente\n1 Dieser Index \u201eo\u201c deutet an, dafs bei Reizung dieser Stelle reflectorisch keine Bewegung ausgel\u00f6st wird. W\u00fcrde ein anderes Element, dessen Mo-tilit\u00e4tscomponente m eine gewisse Bewegungsgr\u00f6fse darBtellt, gereizt, so w\u00fcrde der Reiz successive auf Stellen mit in diesem Sinne kleineren m gebracht, bis mo erreicht ist.","page":223},{"file":"p0224.txt","language":"de","ocr_de":"224\nE. Stoi'ch.\ngenau der des ersten Trugbildes gleich ist, wir bezeichnen'sie mit mH. Die Stelle der Hirnrinde, an welcher der bei Reizung von cr\u201e entstehende Wellengipfel liegt, ist es also, welche ihre Lichtenergie bei Reizung der Pseudomacula mit deren zweiten Raumwerthe M verbindet ; also M = mn. Wurde Patient nunmehr auf gef ordert, das zweite Object zu fixiren, so h\u00e4tte man mit H\u00fclfe des Augenspiegels constatiren k\u00f6nnen, dafs die wahre Macula an die Stelle der Pseudomacula trat. Daraus folgt, dafs die Pseudomacula den Bogen zwischen dem fingirten Orte des Trugbildes und der Macula anatomica genau halbirt Das Trugbild scheint also von einer Netzhautstelle herzur\u00fchren, welche in Bezug auf die Pseudomacula symmetrisch zum urspr\u00fcnglichen Kernpunkt liegt. Die Entfernung der beiden Kernfleeke ist gleich dem Schieiwinkel; je gr\u00f6fser dieser ist, desto weiter auseinander liegen die beiden Projectionen im Lichtfelde der Rinde, desto geringer also wird die f\u00fcr den Raumwerth der Trugbilder verwendbare irradiirende Energie. Es w\u00e4re also verst\u00e4ndlich, wenn bei grofsem Schieiwinkel trotz vorhandener Pseudo-correspondenz statt einer Doppel Wahrnehmung nur eine Unsicherheit in der Localisation auftritt, wie das in der That hin und wieder beobachtet worden ist.\nIst die hier entwickelte Theorie richtig, so mufs sie auch die \u00fcbrigen beobachteten Erscheinungen erkl\u00e4ren. Es wurde beobachtet, dafs, wenn man das Trugbild einer fixirten blauen Scheibe mit dem wahren Bilde einer peripherisch ins Gesichtsfeld gebrachten gelben zur Deckung brachte, ein Wettstreit der Gesichtsfelder eintrat. Das ist genau das Gleiche, was man wahrnimmt, wenn man im Stereoskop dem einen Auge ein blaues, dem anderen ein gelbes Object bietet. Im letzteren Falle inter-feriren an derselben Stelle des Lichtfeldes 2 qualitativ verschiedene Wellengipfel, das psychische Correlat ist der Wettstreit. Bei dem BiELscHowsKi\u2019schen Kranken traf der eine Wellengipfel mit dem abfallenden Schenkel einer Welle, die der Erregung der Pseudomacula entsprach, zusammen. Also auch hier entstand eine Interferenz, deren psychisches Correlat dem normalerweise auftretenden Wettstreit nat\u00fcrlich entsprach.\nBeobachtete Patient eine graue Scheibe auf rothem Grunde, so erschien ihr wahres Bild ihm nach dem Gesetze des simultanen Contrastes gr\u00fcn gef\u00e4rbt, das Trugbild aber wie durchsetzt von der Farbe des Grundes, also graur\u00f6thlich. Ob das letztere","page":224},{"file":"p0225.txt","language":"de","ocr_de":"Uebcr die mechanischen Correlate von Baum und 2kit.\n225\ngenau ist sei dahingestellt, vielleicht h\u00e4tte Patient besonders aufmerksam gemacht, die Scheibe bald mehr grau, bald mehr roth gesehen. Doch h\u00e4tte zu dieser Wahrnehmung eine besonders gesch\u00e4rfte Aufmerksamkeit geh\u00f6rt Der Ausdruck \u201ewie durchsetzt von der Grundfarbel\u00e4fst auf ein Befremdliches der Wahrnehmung schliefsen. Nun hat Hering \u00fcber jeden Zweifel sicher gestellt, dafs der simultane Contrast sein physisches Carrel\u00e2t in einer Function der Netzhaut hat; das stimmt mit unserer Anschauung vom wahren Bilde \u00fcberein.\nDiese Netzhautfunction fehlt nach unserer Auffassung beim Trugbilde; der Contrast trat hier nicht aut Danach k\u00f6nnen wir schliefsen :\nIm B1EL8CHOW8K1\u2019sehen Falle kommen jedem Elemente der Netzhaut 2 Raumwerthe zu.\nDieser Ver\u00e4nderung der Wahrnehmung entspricht keine nachweisbare Ver\u00e4nderung der Retina, wohl aber eine solche des Bewegungsapparates.\nDer Raumwerth der anatomischen Macula war ein einfacher, aber anderer geworden.\nFolglich ist der Raumwerth nicht als Function der Z\u00e4pfchen oder St\u00e4bchen, sondern als eine solche der Augenmuskeln zu betrachten.\nUnter dieser Annahme allein, erkl\u00e4ren sich alle Erscheinungen des sonderbaren Falles von Bielschowski ungezwungen.\nDer physiologische Begriff der Hering\u2019sehen Lichtempfindung ist also zu spalten in eine elementare Lichtempfindung, die der Erregung der Retina entspricht, und in eine damit allerdings aufs engste verkn\u00fcpfte Raum Wahrnehmung, welche die psychische Repr\u00e4sentation der Augenmuskeln darstellt\nIn pathologischen F\u00e4llen kann eine Trennung dieser Association auftreten; so dafs man zur Annahme getrennter Apper-ceptionsapparate f\u00fcr Raum und Licht gezwungen wird.\nWie wir fr\u00fcher sahen, bewirkt eine beliebige Wahrnehmung e + P eine Reflexbewegung, bei deren Beendigung \u00ab ein Optimum und p. = (x0 geworden ist. Diese Endwahmehmung erh\u00e4lt den als Affect beschriebenen Accent, welcher das Charakteristicum jeder normalen Wahrnehmung ist, allerdings aber uns nur auf-f\u00e4llt, wenn er nicht zur vollen Entwickelung kommt\nBei unserem Patienten ist nun die Bedingung einer normalen Wahrnehmung nie erf\u00fcllt. Fixirt er mit der Pseudomacula, so\nZdtMbrifl Or Psyckolptfe \u00bb.\t15","page":225},{"file":"p0226.txt","language":"de","ocr_de":"226\nE. Storch.\nist W = Wt -|- W9 \u2014 E -j- m0 -(- E + J/, E ist kein Optimum und m0 + M entspricht nicht genau dem Begriff fi0. Dem su Folge fehlte das Gef\u00fchl der S\u00e4ttigung und Patient f\u00fchlte einen inneren zunehmenden Zwang, das Trugbild zu fixiren. In diesem Falle ist W =\u00bb E -J- m -f- M0 \u2022 E ist hier allerdings ein Optimum aber m -f- wieder nicht gleich /i\u00ab. Nun hatte Patient zwar nicht das Gef\u00fchl, als ob nicht er es w\u00e4re der s\u00e4he, am Subject zweifelte er nicht, wohl aber nannte er die Wahrnehmung ein Trugbild, er zweifelte also am Object. Der Affect der normalen Wahrnehmung, welcher den Knoten sch\u00fcrzt zwischen den psychischen Correlaten des Reizes und der Bewegung* zwischen \u00e4ufserer und innerer Energie, oder zwischen Subject und Object, konnte nicht zur Entwickelung gelangen.\nBetrachten wir zum Schlufs nochmals den Wahmehmungs-vorgang bei unserem Ein\u00e4ugigen. Wir k\u00f6nnen die Wahrnehmung des linken Auges W unter dem Schema E + m -(- M darstellen, wobei m den erworbenen, M den urspr\u00fcnglichen Raumwerthen entspricht Wie dieses Schema vor der Operation auf die binocul\u00e4re Wahrnehmung ein wirkte, wissen wir nicht; jedenfalls hat Patient binocul\u00e4r einfach gesehen. Vielleicht konnte der zweite Raumwerth der linken Pseudomacula deswegen unterdr\u00fcckt werden, weil die ihm entsprechende Lichtenergie im Vergleich zu dem viel steileren Wellengipfel, den die Reizung des rechten Kernfleckes verursachte, sehr gering ausfiel\nSofort nach der Operation fehlte dieser Gipfel und allein die dem linken Auge entsprechende Erregung trat in das Licht-feld \u00fcber. Dadurch war eben die Differenz der Erregung der beiden Rindenstellen viel geringer geworden, und die Wahrnehmung E m M trat jetzt in 2 Wahrnehmungen aus einander, wobei W1 = E -|- m, Wa = E -f- M gesetzt werden kann, wenn E, wie oben dargelegt wurde, das psychische Correlat der Irradiation ist\nDiese Annahme findet ihre Best\u00e4tigung darin, dafs Patient bei Fixation des Trugbildes, d. h. wenn die anatomische Macula gereizt wurde, nur einfach sah, seine Wahrnehmung also der Formel E -f- M0 -f- m entspricht. In diesem Falle war eben der Wellengipfel zu steil um an der m zugeordneten Stelle des Lichtfeldes gen\u00fcgende Energiemengen zu entwickeln.\n(Eingegangen am 26. M\u00e4rz 1901.)","page":226}],"identifier":"lit31444","issued":"1901","language":"de","pages":"201-226","startpages":"201","title":"Ueber die mechanischen Correlate von Raum und Zeit, mit kritischen Betrachtungen \u00fcber die E. HERING'sche Theorie vom Ortssinne der Netzhaut. (Auf Grund eines Falles von monocul\u00e4rem Doppeltsehen ohne physikalische Ursache)","type":"Journal Article","volume":"26"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:26:34.201997+00:00"}

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