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{"created":"2022-01-31T16:29:07.647438+00:00","id":"lit31532","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stern, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 26: 130-133","fulltext":[{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nLitera turberich t.\nVersuchen wir jetzt, die Ursachen zu ergr\u00fcnden. Durch die Action der Netzhaut nehmen wir wahr, dafs ein Punkt sich links oder rechts vom anderen befindet. Bei einem leuchtenden Punkt im Dunkeln k\u00f6nnen wir nur in Beziehung zu uns sagen, ob er rechts oder links, oben oder unten sich befindet. Einen wichtigen Antheil an der Bestimmung der Lage eines Punktes haben die tactilen Empfindungen der Augenlider. Um die Empfindlichkeit der Augen an der Oberfl\u00e4che zu messen, stellte Verf. ein Experiment mit einem optischen Apparat an, desgleichen Experimente ohne Apparat, welche s\u00e4mmtlicli im Original nachgelesen werden m\u00f6gen. Verf. fand, dafs diese Empfindlichkeit nicht oder nur zum kleinsten Theil von der Hornhaut, vorherrschend von den Augenlidern herr\u00fchrt. Die Action der Augenlider erg\u00e4nzt die Action der Netzhaut in denjenigen F\u00e4llen, wo letztere bei der Perception keine directe Rolle spielt. \u2014\nEs ist das Verdienst des Verf.\u2019s, die Bewegungen der Augenlider zur Erkl\u00e4rung der Perception von Bewegungen der K\u00f6rper herangezogen zu haben. Eine vollst\u00e4ndige Kl\u00e4rung in dieser Hinsicht wird jedoch erst durch weitere bez\u00fcgliche Experimente und Beobachtungen erzielt werden k\u00f6nnen.\tGiessleb (Erfurt).\nS. Freud. Die Traumdeutung. Leipzig und Wien, Deuticke, 1900. 371 S.\nDas merkw\u00fcrdige Buch des Wiener Nervenarztes sucht dem so oft bearbeiteten und doch noch immer nicht gekl\u00e4rten Problem des Traume\u00bb von einer g\u00e4nzlich neuen Seite her nahe zu kommen. Wie schon der Titel ergiebt, sieht F. im Traum nicht ein Ph\u00e4nomen, das lediglich in seiner, der Wahrnehmung und Erinnerung zug\u00e4nglichen, unmittelbaren Beschaffenheit aufgefafst und beurtheilt werden will, sondern ein solches, das auf irgend etwas nicht direct Gegebenes deutet, das einen wirklichen Sinn hat. Nat\u00fcrlich ist seine Traumauslegung nicht mit der der alten Seher und der neuen Traumb\u00fccher zu identificiren ; sie geht nicht auf etwas Aeufseres, Objectives, Zuk\u00fcnftiges, sondern auf etwas Subjectives, auf tieferliegende, vollwichtige und sinnvolle psychische Acte, durch welche der so absurde, ideenfl\u00fcchtige, verworrene und unzusammenh\u00e4ngende Trauminhalt in allen seinen Theilen Bedeutsamkeit und innige Beziehungen zu wesentlichen Z\u00fcgen der tr\u00e4umenden Pers\u00f6nlichkeit erhalten soll.\nDie Hauptgedanken des Werkes lassen sich in folgenden S\u00e4tzen zusammenfassen: Jeder Traum stellt eine Wunscherf\u00fcllung dar. Nicht so sehr W\u00fcnsche momentaner Art, sondern chronische, meist schon von der Kinderzeit her im Unbewufsten schlummernde Wunschtendenzen sind es, die im Traume Verwirklichung erfahren. Nur selten freilich ist der manifeste Trauminhalt eine directe Darstellung des Wunschzieles (so-wenn das Kind den von den Eltern versagten Genufs als erreicht tr\u00e4umt). Meist dagegen zeigt der unmittelbare Aspect nichts von einem Wunsche, oft vielmehr sehr Unerw\u00fcnschtes, Trauriges und Aengstliches, oft auch g\u00e4nzlich Indifferentes; aber hier l\u00e4fst eine an der Traumerinnerung arbeitende Analyse erkennen, dafs die scheinbar sinnlosen Bestandteile des Traumes verm\u00f6ge mannigfacher oft h\u00f6chst krauser Associationen (die stets an indifferente Eindr\u00fccke des letzten Tages ankn\u00fcpfen) auf Vor-","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht\n131\nStellungen zur\u00fcckweisen, welche mit W\u00fcnschen des Tr\u00e4umenden in innigem Zusammenhang stehen; diese so nachgewiesenen W\u00fcnsche bilden den eigentlichen Bestimmungsgrund und Sinn des Traumes, f\u00fcr den das unmittelbare Traumerlebnifs daher nur symbolischen Charakter hat. Die Frage, warum denn aber die Traumw\u00fcnsche sich meist in solchen absonderlichen Verstellungen kundgeben, beantwortet F. durch Einf\u00fchrung einer h\u00f6heren psychischen Instanz, die eine Art von Censur \u00fcbt und die er schematisch zwischen das Unbewufste und das Bewufstsein als das \u201eVor-bewufste\u201c einschiebt. Sie spielt etwa eine \u00e4hnliche Rolle dem latenten Vorstellungsinhalt gegen\u00fcber wie die WuNDT\u2019sche \u201eApperception\u201c und bewirkt im Traum, nur im minderen Maafse, das, was sie beim Wachen in viel vollkommeneren Maafse leistet: n\u00e4mlich kritische Unterdr\u00fcckung oder nun mindesten Unsch\u00e4dlichmachung jener Nachtseiten des psychischen Daseins, deren Entfesselung unsere Existenz st\u00f6ren oder entw\u00fcrdigen m\u00fcfste. Diese Censur \u00fcbende Th\u00e4tigkeit nun ist durch die besonderen Bedingungen des Schlafes zwar nicht aufgehoben, aber doch herabgesetzt. Kann sie daher die im Unbewufsten weilenden W\u00fcnsche auch nicht wie im Wachzust\u00e4nde unterdr\u00fccken, so ist sie doch stark genug, sie nicht nackt and unverh\u00fcllt ins Bewufstsein passiren zu lassen und unterzieht sie daher einer Umgestaltung, unter der sie einen harmlosen, ja sinnlosen Eindruck machen \u2014 \u00e4hnlich etwa wie die Theatercensur irgend eine in ihren Beziehungen durchsichtige Pers\u00f6nlichkeit durch eine mit anderem Namen oder anderem Kost\u00fcm ersetzt.\nZu dieser Wunschtraumtheorie ist F. offensichtlich durch \u00e4hnliche Gedankeng\u00e4nge hingeleitet worden wie es jene waren, die ihn schon fr\u00fcher zum Versuch einer Erkl\u00e4rung und darauf basirten neuen Therapie der Hysterie gef\u00fchrt hatten: auch in den hysterischen Symptomen sieht er die an ganz indifferente Aeufserlichkeiten sich klammernde Symbolik f\u00fcr unbewufste Wanschtendenzen ; es gilt nur, diese letzteren durch eine vom Patienten aelbet vorzunehmende Analyse seiner seelischen Verflechtungen ins Be-Tn\u00fcstsein zu ziehen, um sie unsch\u00e4dlich zu machen und ihre Symptome zu beseitigen. \u2014\nWir m\u00fcssen gestehen, dafs diese neuartige Betrachtung des Traumlebens und seine an vielen Stellen vorgenommene Analogisirung zu pathologischen Zust\u00e4nden uns manche interessanten Perspectiven er\u00f6ffnet, obgleich die Theorie selbst aus gleich zu besprechenden Gr\u00fcnden Ablehnung finden mufs. Werthvoll erscheint mir vor Allem das Bestreben, sich bei der Erkl\u00e4rung des Traumlebens nicht auf die Sph\u00e4re des Vorstellungslebens, des Associationsspiels, der Phantasieth\u00e4tigkeit, der somatischen Beziehungen zu beschr\u00e4nken, sondern auf die mannigfachen, so wenig bekannten F\u00e4den hinzuweisen, die in die kernhaftere Welt der Affecte hin an ter lei ten und vielleicht erbt in der That die Gestaltung und Auswahl des Vorstellungsmaterials verst\u00e4ndlich machen werden. Auch sonst enth\u00e4lt \u2022las Buch viel Einzelheiten von hohem Anregungswerth, feine Beobachtungen und theoretische Ausblicke; vor Allem aber ein aufserordentlich reichhaltiges Material an sehr genau registrirten Tr\u00e4umen, das jedem Arbeiter auf diesem Gebiete hochwillkommen sein mufs.\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nLiteraturbericht.\nDagegen mufs leider der Hauptinhalt des Buches als verfehlt und unannehmbar bezeichnet werden. Wie n\u00e4mlich beweist Yerf. seine oben geschilderte Theorie? Durch eine Reihe durch gef\u00fchrter Deutungen von Tr\u00e4umen seiner selbst und seiner Patienten. Diesen Deutungen aber steht der n\u00fcchterne Leser zuerst abwartend, dann zweifelnd, endlich aber mit einem immer energischeren Sch\u00fctteln des Kopfes gegen\u00fcber. Die angewandte Methode ist die folgende: Zun\u00e4chst wird der Trauminhalt einfach verzeichnet. Dann beginnt die \u201ePsychoanalyse\u201c. Der Getr\u00e4umthabende nimmt sich sein Traumreferat vor und l\u00e4fst bei jedem Punkt desselben seine Gedanken beliebig schweifen, hierbei aber immer sich selbst beobachtend und alle auftauchenden Associationen, Gedankenspr\u00fcnge, Einf\u00e4lle, Ankl\u00e4nge, Gleichnisse, Wortspiele sofort registrirend. Hierbei st\u00f6fst irgendwo die sich selbst \u00fcberlassene Wachphantasie auf W\u00fcnsche, die man fr\u00fcher gehabt hat oder jetzt hat. Oft zeigt sich, dafs man von einem oder mehreren Bestandtheilen desselben Traumes auf den verschiedensten Wegen zu denselben Wunschmomenten kommt (was psychologisch, sobald ein solches Wunschmoment nur einmal bemerkt und psychisch betont worden, ganz nat\u00fcrlich ist). Nunmehr wird die Hypothese aufgestellt, dafs dieses freie Associationsspiel entsprechend, nur in umgekehrter Folge, auch im Traum gearbeitet hat \u2014 und der Zusammenhang zwischen dem W\u00fcnschen und dem Trauminhalt ist hergestellt; was die Wachanalyse zuf\u00e4llig gefunden, wird f\u00fcr die Traumsynthese zum Hauptinhalt gemacht.\nAn diesem Verfahren ist nicht weniger als Alles zu bestreiten. Weder ist die \u201eSelbstbeobachtung\u201c eine so einfache Sache, namentlich, wenn man, wie der Verf. durch seine Theorie, und wie seine Patienten durch sehr eindringliche Austragung und Belehrung, \u00fcber den Wunschcharakter des Traumes, beeinflufst ist; noch ist auch nur die geringste Veranlassung daf\u00fcr vorhanden, in den Wachphantasien eine Wiederholung der Traumarbeit zu sehen und das, worauf jene als End- oder Knotenpunkt zuf\u00e4llig gestofsen, bei dieser als unbewufsten Ausgangspunkt anzunehmen. Hier wird einfach eine Behauptung an Stelle des,Beweises gesetzt. \u201eLegt ihr\u2019s nicht aus, so legt ihr\u2019s unter.\u201c\nNur einige wenige Beispiele aus der F\u00fclle: Wenn eine Dame \u2014 die sich einmal f\u00fcr einen Musiker interessirt hat \u2014 tr\u00e4umt, sie h\u00f6re ein Wagnerconcert, in welchem Hans Richter von einem mitten im Saale stehenden, hohen, oben umgitterten Thurme dirigirt, so bedeutet dies, dafs der Mann, den sie an Hans Richter\u2019s Stelle w\u00fcnscht, der aber leider geisteskrank ist (das Gitter!), die anderen thurmhoch \u00fcberragen solle. \u2014 Wenn der Verf. tr\u00e4umte, dafs Freund R., der vergebens Professor werden m\u00f6chte, sein Onkel sei, so f\u00e4llt ihm bei der Analyse sein wirklicher Onkel J. ein, von dem sein Vater einmal gesagt habe, er sei ein Schwachkopf. Folglich bedeutet der Traum : ich w\u00fcnschte, dafs R. (den ich im Wachen sehr sch\u00e4tze) ein Schwachkopf w\u00e4re; dann d\u00fcrfte ich hierin und nicht in confessionellen Gr\u00fcnden (die in Wirklichkeit bei ihm und bei mir ma\u00dfgebend sind) das Motiv seiner Zur\u00fccksetzung sehen ; folglich h\u00e4tte ich, der ich kein Schwachkopf bin, Aussicht, Professor zu werden. \u2014 Eine specielle Tendenz, n\u00e4mlich allen m\u00f6glichen und unm\u00f6glichen Trauminhalten sexuellen Sinn unterzulegen, spielt in dem Buche eine solche Rolle, dafs es zwecklos","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n133\nist, ein einseines Beispiel zu bringen; wahrscheinlich ist das vorwiegend von Hysterikern herr\u00fchrende Material Schuld daran.\nDie Unzul\u00e4ssigkeit dieser Traumdeuterei als wissenschaftlicher Methode uiulste mit aller Sch\u00e4rfe betont werden; denn die Gefahr ist grofs, dafs unkritischen Geistern dieses interessante Vorstellungsspiel behagen k\u00f6nnte and wir damit in eine v\u00f6llige Mystik und chaotische Willk\u00fcr hinein-geriethen \u2014 man kann dann mit Allem Alles beweisen.\nNicht unerw\u00e4hnt will ich lassen, dafs eine Bibliographie von 78 Nummern und eine sehr \u00fcbersichtliche Einleitung \u00fcber die bisherigen Erkl\u00e4rungsversuche der Traumph\u00e4nomene orientiren. W. Stern (Breslau).\nJ. 31. Vold. Heber Hallucinationen, vorz\u00fcglich Gesichts - Hallucinationen, auf der Grundlage von cntan-mo tor lachen Zust\u00e4nden und auf derjenigen von vergangenen Gesicht8 - Eindr\u00fccken. Zeitschrift f\u00fcr Psychiatrie 57, 834\u2014865.\nNach Ansicht des Verf.\u2019s erhalten cutan-motorische Latenzzust\u00e4nde <ler der Willk\u00fcr unterworfenen K\u00f6rperpartien nicht allein im normalen, sondern auch im abnormen Leben h\u00e4ufig einen bestimmten psychischen Ausdruck nicht in sogenannten Bewegungsempfindungen, sondern in Gesichtsbildern, welche sich auf die betreffenden K\u00f6rpertheile beziehen. Verf. hat durch Experimente gefunden, dafs das Traumleben durch motorische, weniger durch cutan\u00e9 Beizungen beeinflufst wird. Bei cutanen Einwirkungen nahm der Tr\u00e4umende den dr\u00fcckenden Gegenstand mehr oder weniger genau, mit guter oder schlechter Localisirung an sich selbst oder an einem Anderen wahr, oder der Druck verfl\u00fcchtete sich in eine Vorstellung, oder man hatte einen Gegenstand vor sich, der dem Reizmittel oder dem gedr\u00fcckten Gliede in einer Beziehung (visuell, phonetisch) \u00e4hnlich war. Bei cutan-motorisehen Einwirkungen, z. B. bei umbundenen Fufsgelenk, gekr\u00fcmmter Hand, tr\u00e4umt man, dafs man selbst Bewegungen aasf\u00fchrt, von denen die reale Lage des Versuchsgliedes ein integrirendes Moment bildet, oder man sieht Andere solche Bewegungen ausf\u00fchren. Bisweilen treten Passivbewegungen im Traume auf, z. B. tr\u00e4umt man bei \u2666dner bestehenden Plantarbeugung beider F\u00fcfse, dafs man selbst gefahren wird. Verf. sucht nun eine Anwendung dieser Thatsachen auf Wach-h\u00e2llucinationen zu machen. Er behauptet, dafs die an der Grenze des Schlafes auftretenden \u201ehypnagogischen-* Hallucinationen, die in Alkohol-und anderen Intoxicationsdelirien sowie in hysterischen und epileptischen Zust\u00e4nden auftretenden ebenfalls auf cutan-motorische Spannungen zur\u00fcck-zuf\u00fchren seien. Bei den hypnagogischen Hallucinationen erscheinen bekannte Personen oder Gespenster oder der eigene Doppelg\u00e4nger oder Thierbilder. Die Schwebeerscheinungen, die Aeuderungen in der Heftigkeit der Bewegungen und Volumen\u00e4nderungen sind auf eine allgemeine motorische Unruhe zurtickzuf\u00fchren. Selten sieht man andere Personen in ruhiger Lage. Der Grund daf\u00fcr ist darin zu suchen, dafs die ruhige Lage gew\u00f6hnlich nicht wie die Bewegung stark gef\u00fchlsbetont ist, weshalb die Ged\u00e4cht-nifsbilder der ersteren nicht so leicht wie die der letzteren dem Schlaf-bewufstsein zur Verf\u00fcgung stehen. H\u00e4ufiger ist eine Verthei lung der eigenen Empfindungen an andere Wesen nachweisbar, \u00e4hnlich wie bei progressiver Dementia und Paralysis generalis. Oft sieht der Tr\u00e4umende","page":133}],"identifier":"lit31532","issued":"1901","language":"de","pages":"130-133","startpages":"130","title":"S. Freud: Die Traumdeutung. Leipzig und Wien, Deuticke, 1900. 371 S","type":"Journal Article","volume":"26"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:29:07.647443+00:00"}