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{"created":"2022-01-31T16:24:41.561423+00:00","id":"lit31576","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Weygandt","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 26: 297-299","fulltext":[{"file":"p0297.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turbericht.\n297\nWir sehen nnn, wie \u00fcberall und zu allen Zeiten im Leben der V\u00f6lker derselbe Aberglaube wirksam ist und bis auf den heutigen Tag als Unterstr\u00f6mung, als ein fr\u00fcher erworbener und daher festerer Besitz jede sp\u00e4tere religi\u00f6se Bewegung begleitet und durchzieht. Bei dieser Uebereinstimmung bedarf es nur eines verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig kleinen Anstofses, um ganze Massen nach der gleichen Richtung hin in Bewegung zu setzen und zu Handlungen anzufachen, die der Einzelne nicht unternommen h\u00e4tte.\nMit der zunehmenden Bewegung der Masse steigert sich die Erregbarkeit des Einzelnen, und die Suggestion w\u00e4chst zur krankhaften Nachahmung, zu hypnotischen nnd exstatischen Zust\u00e4nden hervor, die \u00fcberreizte Phantasie ergeht sich in Bildern von vision\u00e4rer Deutlichkeit, und es kommt zu wahren Paroxismen, zu rein automatischen Handlungen.\nDie Geschichte liefert hierf\u00fcr zahllose Beispiele, und es gelingt unschwer, an der Hand dieser Beispiele die Richtigkeit der vorstehenden Er-klirungsart zu beweisen. Dafs wir es hierbei kaum n\u00f6thig haben, in die Vergangenheit zur\u00fcckzugreifen, dafs uns auch die Gegenwart hinreichendes Material zur Verf\u00fcgung stellt, hat eigentlich etwas Besch\u00e4mendes.\nWenn wir aber die Erregung der Masse betrachten, wie sie z. B. noch vor Kurzem in K\u00f6nitz stattgefunden hat, und wie sie sich morgen in einem beliebigen anderen Orte wiederholen kann, dann werden wir finden, wie es stets derselbe Boden ist, auf dem sich diese Sumpfpflanze entwickelt.\nUnter anderem Aberglauben steckt auch der des Ritualmordes dem Volke so tief im Blute, dafs es nur eines Anstofses bedarf, um zur vollsten Ueberzeugung aufzulodern, die ebenso wie vormals bei den Hexenprocessen gegen die Beschuldigten keine Untersuchung, sondern einen wirklichen, blutigen Krieg f\u00fchrt. Diese Ueberzeugung bedarf keiner logischen Begr\u00fcndung, und so lange die Erregung anh\u00e4lt ist es unm\u00f6glich, mit Gr\u00fcnden der Vernunft gegen sie vorzugehen.\nFriedmann hofft von einer besonnenen Handhabung der Vernunft und einer Erziehung des Volkes zu einer verst\u00e4ndigen Weltanschauung eine Besserung. Gewifs w\u00e4re es von dem allerh\u00f6chsten Werthe, wenn wir die th\u00f6richten Ideen der Masse durch bessere ersetzten k\u00f6nnten. Vorderhand aber wird dies noch auf lange hinaus ein frommer Wunsch bleiben, und da wir uns darauf gefafst machen m\u00fcssen, auch fernerhin im V\u00f6lkerleben auf Wahnideen zu stofsen, so ist es von Werth, ihr Wesen an hervorragenden Beispielen zu studiren und uns einen Einblick in ihren Organisms zu verschaffen, wozu uns Friedmann hier eine g\u00fcnstige Gelegenheit geboten hat.\tPelma\u00fc.\nBichholz. Aufgaben bei Benrtheilong Imbeciller. AlUjem. Zeit sehr. f. Psychiatr. u. jtsychisch-gerichtl. Medicin 57, 340\u2014396. 1900.\nDie Arbeit befafst sich vorzugsweise mit den leichteren Formen des angeborenen Schwachsinns, die gerade wegen der fliefsenden Ueberg\u00e4nge zur Breite des Normalen im Gegensatz zu der scharfen Scheidelinie, die das Gesetz vorschreibt,. dem Gutachter besondere Schwierigkeiten bereiten. Die Grenze zwischen krankhafter geistiger Schw\u00e4che und mangelhafter Begabung ist nicht identisch mit der vom Gesetz durch den \u00a7 51 Str.G.B.","page":297},{"file":"p0298.txt","language":"de","ocr_de":"298\nLitera turbericht.\nverlangten Linie, vielmehr mufs letztere noch eine Strecke in das Gebiet der krankhaften Schw\u00e4che hinein verschoben werden.\nBesonders heikel sind die von B. anschaulich geschilderten F\u00e4lle, in denen der Imbecille auffallend viel Wissen aufgespeichert hat, das er jedoch nicht zu verarbeiten versteht. Meist tritt dabei ein Mangel an den entsprechenden, begleitenden Gef\u00fchlst\u00f6nen zu Tage; zugleich herrschen niedere Gef\u00fchle vor, die auf dem Nahrungs- und Geschlechtstrieb beruhen.\nBei der Begutachtung ist die ganze Entwickelung des Falls zu ber\u00fccksichtigen, vor Allem die Verh\u00e4ltnisse der Erblichkeit, die Umst\u00e4nde der Geburt und das Auftreten der fr\u00fchesten St\u00f6rungen, dann die Leistungen der Schulzeit und die Vorg\u00e4nge des Pubert\u00e4tsalters. Aus der Anamnese ergeben sich oft schon Anhaltspunkte f\u00fcr den vorwiegenden Egoismus, die Selbst\u00fcbersch\u00e4tzung, die ethischen Defecte.\nDie Zustandspr\u00fcfung mufs eingehend die intellectuellen F\u00e4higkeiten, den Wissensschatz und die Merkf\u00e4higkeit f\u00fcr neue Eindr\u00fccke pr\u00fcfen, fernerhin die Aufmerksamkeit, die Begriffsbildung und die Urteilsf\u00e4higkeit.\nIn irgendwie zweifelhaften F\u00e4llen ist klinische Beobachtung zu verlangen. Kein bestimmter Symptomencomplex giebt den Ausschlag f\u00fcr die Anwendbarkeit der Grenze des \u00a7 51, vielmehr mufs die Gesammtheit der psychischen Erscheinungen im Auge behalten werden. Neben den intellectuellen Defecten sind ganz besonders die gem\u00fcthlichen M\u00e4ngel zu betonen. Laien fassen oft fehlerhafterweise irgendwelche Raffinirtheit bei der Begehung der That als Beweis gegen die Annahme des Schwachsinns auf.\nGerichtlich k\u00f6nnen in Bezug auf Schwachsinnige wohl alle m\u00f6glichen Paragraphen des Strafgesetzbuchs in Betracht kommen, aber doch handelt es sich vorzugsweise um bestimmte Delicte: Vagabundage, Entwendung, Diebstahl, Unterschlagung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Sittlichkeitsverbrechen, besonders gegen Minderj\u00e4hrige, P\u00e4derastie, Sodomie. Vorzugsweise Subordinationsvergehen beim Milit\u00e4r bilden oft den ersten Anlafs zur Erscheinung angeborener Schwachsinnszust\u00e4nde leichteren Grades.\nManchmal gelangt \u00a7 56 zur Geltung, der bei Personen unter 18 Jahren den Nachweis der zur Erkenntnifs der Strafbarkeit einer Handlung erforderlichen Einsicht verlangt. Gelegentlich steht auch \u00a7 176 in Frage, der den Beischlaf mit willenlosen oder geisteskranken Frauenspersonen betrifft.\nCivilrechtlich ist zu betonen, dafs Imbecillit\u00e4t wohl im \u00e4rztlichen Sinne vielfach als Schwachsinn oder Geistesschw\u00e4che bezeichnet wird, womit aber nicht die Geistesschw\u00e4che des \u00a7 6 B.G.B. gemeint ist. Bei st\u00e4rkeren Defecten, vor Allem auch auf moralischem Gebiet, empfiehlt B. die Entm\u00fcndigung wegen Geisteskrankheit. Nur sehr leichte F\u00e4lle lassen Entm\u00fcndigung wegen Geistesschw\u00e4che zu, w\u00e4hrend die auf geistig gebrechliche Personen anwendbare Pflegschaft des \u00a7 1910 nach der Ansicht von B. nur ganz aufserordentlich selten angewandt werden darf.\nEs war dem Zweck der besprochenen Untersuchung, die ein Referat in einer Psychiatorversammlung darstellt, durchaus entsprechend, dafs die complicirte Frage nach den Beziehungen zwischen der angeborenen Geistesschw\u00e4che und dem Delinquente nato aufser Betracht blieben. Im Uebrigen ist die Darstellung der schwierigen. Stellungnahme zwischen klinischer und gerichtlicher Betrachtung des angeborenen Schwachsinns anschaulich und","page":298},{"file":"p0299.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n299\nersch\u00f6pfend dnrchgef\u00fchrt. Vielleicht h\u00e4tten die mannigfachen Versuche, intellectuelle Defecte durch Fragebogen und mittels psychophysischer Methoden festzulegen, noch eine Erw\u00e4hnung verdient. Fernerhin w\u00fcrde die Frage der forensischen Beurtheilung eine ungemeine Erleichterung erfahren, wenn die moderne, segensreiche Bewegung der H\u00fclfsschulen allgemein aufgenommen w\u00fcrde, welche f\u00fcr minderbeanlagte Kinder bestimmt sind und ihren Schulgang mit einem auch die psychischen Leistungen ber\u00fccksichtigenden Gesundheitsschein begleiten, der bei sp\u00e4teren Con-flicten ein \u00e4ufserst werthvolles Actenst\u00fcck zur Feststellung angeborener geistiger Defecte darbieten wird.\nIn der fast v\u00f6lligen Abweisung der Pflegschaft (\u00a7 1910 B.G.B.) f\u00fcr Geistesschw\u00e4che stimmt Ref. nicht mit dem Verf. \u00fcberein; in einzelnen F\u00e4llen, besonders bei anergetischen Imbecillen, h\u00e4lt er diese Form mildester gesetzlicher F\u00fcrsorge vielmehr ab und zu f\u00fcr ganz angebracht, so z. B. wenn eine schwach beanlagte Person, die Jahre lang im Schutz der Familie, bei Eltern, Gatten oder Geschwistern lebte, in vorger\u00fcckten Jahren durch Tod der Angeh\u00f6rigen pl\u00f6tzlich auf sich allein angewiesen ist.\nWeygandt (W\u00fcrzburg).\nG. \u00fcbici. Osservazioni nosologiche e cliniche tnl cosi detto \u201edelirio di nega-tiiii\u201c, Rivista sperimentale di freniatria 26, 1\u201429. 1900.\nObici, der in seinen Anschauungen Kraepelin aufserordentlich nahesteht, h\u00e4lt die nihilistischen Ideen f\u00fcr eine Erscheinung, die zwar in den verschiedensten Formen geistiger Erkrankungen sich zeigen kann, haupts\u00e4chlich aber in solchen, die auf Involutions- und Degenerationsprocessen beruhen. Am meisten zusammenh\u00e4ngend und systematisirt (CoTARD\u2019sche Krankheit) sind diese Verneinungs- und Vernichtungsideen in den Melancholien des R\u00fcckbildungsalters ; bei der periodischen Melancholie treten sie erst in h\u00f6herem Alter stark in den Vordergrund. Die Melancholie des R\u00fcckbildungsalters, deren Sonderexistenz Obici mit Kraepelin annimmt, ist ein Zeichen der beginnenden Abnahme der Geisteskr\u00e4fte. Der Verf. benutzt weiter seine Beobachtungen um der Frage der Paranoia n\u00e4her zu treten. Chronische, systematisirte Verfolgungsideen entstehen nur auf dem Boden einer tiefgreifenden Ver\u00e4nderung der Pers\u00f6nlichkeit und einer Unzul\u00e4nglichkeit der Intelligenz. Dagegen pflegt die geistige Schw\u00e4che bei der Paranoia im engsten Sinne nicht fortzuschreiten, w\u00e4hrend bei jugendlichen Individuen (Dementia praecox) ein vollst\u00e4ndiger Verfall der Geisteskr\u00e4fte eintritt.\tAschaffenburg (Halle).\nX. Yaschide e L. Marchaud. Ufflcio che le condizioni mentait hanno solle modltcazioni della resptrazione e della circolazione periferlca. Rivista sperimentale di freniatria 26, 512\u2014528. 1900.\nDie Verff. haben Gelegenheit gehabt, einen ungew\u00f6hnlich ausgepr\u00e4gten Fall von Erythrophobie (Err\u00f6thungsfurcht) genauer zu untersuchen. Bei dem Kranken gen\u00fcgte schon der Gedanke, dafs Jemand das Zimmer betreten k\u00f6nne, ja schon allein ein Blick in den Spiegel, um lebhafteste Angstempfindungen wachzurufen. Er hatte die Erfahrung gemacht, dafs Absinth diese Angstzust\u00e4nde erleichterte, und war dadurch zum Trinker","page":299}],"identifier":"lit31576","issued":"1901","language":"de","pages":"297-299","startpages":"297","title":"Buchholz: Aufgaben bei Beurtheilung Imbeciller. Allgem. Zeitschr. f. Psychiatr. u. psychisch-gerichtl. Medicin 57, 340-396. 1900","type":"Journal Article","volume":"26"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:24:41.561429+00:00"}