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{"created":"2022-01-31T16:24:40.777165+00:00","id":"lit31600","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 26: 436-439","fulltext":[{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"436\nLiteraturbericht\nbei ihnen gering, die Erm\u00fcdbarkeit grofs; die Einpr\u00e4gung erfolgte bei ihnen vornehmlich visuell.\nSo gewissenhaft und sorgf\u00e4ltig auch die vorliegende Arbeit ist, so wenig d\u00fcrfte sie das letzte Wort \u00fcber dieses Thema sein. Ihr wichtigstes Ergebnifs scheint mir der Einblick in die aufserordentliche Complicirtheit dieser scheinbar einfachen Vorg\u00e4nge zu sein. Auch mufs man dem Verf. unbedingt zugeben, dafs sein Verfahren sich als fruchtbar und leicht ausf\u00fchrbar erwiesen hat und dafs \u201eeine Fortsetzung derartiger Untersuchungen uns ein brauchbares Werkzeug zur genaueren Zergliederung bisher nur in ihren gr\u00f6bsten Umrissen bekannter St\u00f6rungen liefern und damit unser Verst\u00e4ndnifs krankhafter Seelenzust\u00e4nde wesentlich zu f\u00f6rdern im Stande sein wird.\u201c Trotzdem wird es mancherlei Verbessungen unterzogen werden m\u00fcssen. Namentlich erscheint mir die durch die geringe Zahl der Buchstaben wie Ziffern bedingte Wiederkehr der n\u00e4mlichen Reize h\u00f6chst bedenklich; jedenfalls mufs die Wiederkehr der n\u00e4mlichen Constellation derselben Reize, obenein noch an denselben Stellen unter allen Umst\u00e4nden vermieden werden. Nicht gen\u00fcgend ber\u00fccksichtigt ist der Einflufs des Aussprechens der aufgefafsten oder gemerkten Reize auf die Leistung. Bei dem Vergleich zwischen Auffassungen und Einpr\u00e4gungen in Bezug auf den Einflufs fr\u00fcherer Eindr\u00fccke ist die Thatsache des Merkens nicht beachtet, obgleich es doch nat\u00fcrlich einen grofsen Unterschied macht, ob ich einen Eindruck sofort abthue oder mich mit ihm angestrengt 2 bis 80 Sec. lang besch\u00e4ftige, um ihn im Ged\u00e4chtnifs zu behalten ; auch sonst ist der Vergleich zwischen Merken und Auf fassen zu schablonenhaft. In der Reizzahl w\u00e4re ein gr\u00f6fserer Wechsel bei Constanz der Versuchszahl w\u00fcnschenswerth. Schliefslich w\u00e4re in der Darstellungsweise gr\u00f6fsere Einfachheit und Durchsichtigkeit willkommen ; es kostet viel M\u00fche, sich durch diese Arbeit durchzuwinden.\tWreschner (Z\u00fcrich).\nL\u00e9on Brunschvicg. Introduction \u00e0 la vie de l\u2019esprit. Paris, Alcan, 1900. 175 S.\nDer mehr philosophische als psychologische Gehalt dieses anregenden Buchs gestattet hier nur eine kurze Notiz. B. behandelt im ersten Capitel das Bewufstseinsleben im Allgemeinen, in den folgenden das wissenschaftliche, \u00e4sthetische, moralische und religi\u00f6se Leben des Geistes; dies Alles vom Standpunkt des franz\u00f6sischen Neukriticismus aus. Dem entspricht bereits im ersten Capitel eine Vernachl\u00e4ssigung des Gef\u00fchls- und Willenslebens gegen\u00fcber dem Vorstellungsleben und in den weiteren Darlegungen eine einseitig intellectualistische Auffassung. Trotzdem und obgleich \u00fcber der popul\u00e4ren Absicht die zureichende Begr\u00fcndung oft unterbleibt, machen Eigenart und W\u00e4rme der Darstellung die Lekt\u00fcre genufsreich.\n,\tEttlinger (M\u00fcnchen).\nvon Feldegg. Beitr\u00e4ge zur Philosophie des Gef\u00fchls. Leipzig, J. A. Barth,\n1900. 122 S.\nDie geistvolle Schrift behandelt vom idealistischen Standpunkte aus einige Fragen aus dem Gebiete der Psychologie, Metaphysik, Erkenntnistheorie und Ethik. Es wird viel Anregendes geboten. Verf. beabsichtigt,","page":436},{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n437\nin Stelle des Willens ein neues metaphysisches Princip zu setzen, welches lugleich die subjective und objective Wesenheit der Welt in sich zu fassen vermag, n\u00e4mlich das Gef\u00fchl. Nur schade ist, dafs die Schrift sogleich mit heftigen Angriffen auf die so hochverdiente Wissenschaft der physiologischen Psychologie beginnt.\nDie bez\u00fcgliche Kritik wird an Ziehen\u2019s Leitfaden vollzogen. Verf. wirft Ziehen vor, dafs das Bewufstsein bei ihm erst mit der Empfindung auftaucht, nicht schon beim Reflex, obwohl doch die Reflexe aus urspr\u00fcnglich psychischen Acten hervorgegangen sind. Die Selbstbeobachtung beweise nicht die Existenz eines psychischen Vorganges, da es der nicht beobachteten psychologischen Thatsachen Tausende g\u00e4be. Verf. vergifst dabei, dafs das Bewufstsein mit einer Art von Anpassung verbunden ist, welche zu ihrer Entwickelung eine gewisse Zeit braucht und beim Reflex nicht zu Stande kommt Weiter wird getadelt, dafs Z. behauptet, das Entstehen der Empfindungen aus \u00e4ufseren Reizen verfolgt zu haben. Das psychische Correlat der Empfindung k\u00f6nne man nicht aus Reizen ableiten. Auch d\u00fcnkt es dem Verf. unpsychologisch zu sein, wenn Z. die Spuren als etwas Materielles auffafst Bez\u00fcglich beider Punkte m\u00f6chte Ref. darauf aufmerksam machen, dafs die physiologische Psychologie keinen besonderen Werth darauf legt, die Grenzen zwischen dem Physiologischen und Psychischen festzustellen bezw. Grenzstreitigkeiten zu schlichten, sondern dafs es ihr vor Allem darauf ankommt, die Ber\u00fchrungspunkte d. h. die Punkte der Wechselwirkung zwischen beiden nachzuweisen. Ferner glaubt Verf. an den zweifellos richtigen Behauptungen, dafs die Gef\u00fchle der Lust und Unlust, desgleichen dafs der Wille nichts Selbst\u00e4ndiges sei, sofern beide nur mit Beziehung auf etwas mehr oder weniger Vorgestelltes hervortreten, r\u00fctteln zu m\u00fcssen. Er sieht in letzterer Behauptung eine Gefahr f\u00fcr die Willensfreiheit. Offenbar h\u00e4ngt aber gerade die Willensfreiheit mit einem regen Wechsel der Vorstellungskreise eng zusammen. Endlich ber\u00fchrt Verf. die Ichthatsache. Er bezweifelt, dafs ein Gesammtempfinden entgehen k\u00f6nne aus einer Summe von Bewegungen, welche keine Empfindung herrorrufen. Jedenfalls aber versteht auch Z. unter diesen Einzelbewe-gnngen nichts rein Materielles, sondern Vorg\u00e4nge, welche bereits mit Vor* rtadien der Empfindung verkn\u00fcpft sind, denen jedoch der Name \u201eEmpfindung\u201c noch nicht zuerkannt werden kann. Z. sagt am Schlufs seines Baches, dafs das h\u00e4ufige Auftreten der Ichvorstellung und der jeder Handlung vorausgehenden Vorstellungsreihe den Grund daf\u00fcr bildet, dafs wir unsere Ichvorstellung als Ursache unserer Handlungen betrachten. Verf. behauptet, dafs wir dadurch aus uns herausgehen und unsere eigenen Zuschauer geworden sind. Und doch haben wir auch innerhalb der thieri-schen Entwickelung zuerst Bewegungen ohne Bewufstsein. Erst sp\u00e4ter kommt das Bewufstsein hinzu. Dieser Folge der Thatsachen kann sich auch unser menschliches Sein nicht entziehen.\nEs folgen allgemeinere Er\u00f6rterungen: Eine Verbindung zwischen der Welt als Materie (Realgrund) und als Bewufstsein (Idealgrund) besteht im Gef\u00fchl. Verf. wirft Spinoza, Kant, Fichte, IIeoel, Schellino und von Hartmann vor, dafs sie, statt von einer concreten Vorstellung auszugehen, von einem abstracten Bewufstseinsbegriff ausgingen. Feldegg geht vom Ge-","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438\nLiteraturberick t\nf\u00fchlsbewafistsein aus. Er stimmt mit du Pbel darin \u00fcberein, dafs der Zu-sammenhang zwischen dem Metaphysischen und dem Real-Empirischen an keiner Stelle unterbrochen ist, nur f\u00fcr unser Vorstellen, und zwar da, wo das zeit- und raumfreie Princip zur zeitlichen und rftumlichen Erscheinung wird, da wo f\u00fcr unser Selbstbewufstsein das Gef\u00fchl einerseits zum Willena-act sich verdichtet, andererseits zur Vorstellung sich erweitert. Diese Grenze wird f\u00fcr h\u00f6here Wesen, als wir sind, eine andere sein, sie wird zum Theil die transcendente Sph\u00e4re umfassen, welche f\u00fcr uns noch aufser-halb liegt. Bei ihnen wird ein gr\u00f6fserer Theil des Gef\u00fchlslebens in anschauliches Verstandes- und Vernunftbewufstsein umgesetzt sein. Solche Wesen werden daher von der Welt mehr erkennen, wiewohl nicht mehr f\u00fchlen als wir. Diese Verschiebung wird sich im Verlaufe des biologischen Processes so lange erneuern, bis das letzte Residuum des Gef\u00fchls ersch\u00f6pft und in erkennendes Bewufstsein umgesetzt sein wird. Im Sinne seiner Theorie fortfahrend weist F. am entgegengesetzten Ende des geschilderten biologischen Processes dem Thiere ein unvermindertes Gef\u00fchlsbewufstsein zu als latentes Erkenntnifsbewufstsein. \u2014 Die Wirklichkeit ist nach F \u201erealph\u00e4nomenale Causalit\u00e4t\u201c, die, soweit sie mit dem Subjecte in Verbindung tritt, zum Wahmehmungsprocefs wird. In letzterem giebt es objective und subjective Elemente. Wo liegt die Grenze zwischen beiden? Die Empfindung ist einerseits ein subjectives Element, andererseits r\u00fchrt sie von rAn sich\u201c der Wirklichkeit. Dies ist nur dann m\u00f6glich, wenn das \u201eAn sich\u201c der Wirklichkeit selbst ein subjectives Element ist. Dieses \u201eAn sich\u201c ist die Kraft. Sie ist nichts Materielles, nichts Gegenst\u00e4ndliches, sondern etwas Zust\u00e4ndliches und kann daher mit dem Bewufstsein, das ebenfalls etwas Zust\u00e4ndliches ist, in Beziehung treten. Das Bewufstsein ist das \u201eAn sich\u201c im Subject. Mit mehrfacher Bezugnahme auf Kant und mit einem Seitenhieb auf Brentano wird die Subject-Objectgrenze er\u00f6rtert. Man mufs annehmen, dafs wir schon, bevor ein Reiz sich in Empfindung umsetzt, psychisch zwar nicht afficirt, aber constituirt sind. Das Wesen dieser unserer metaphysischen Constitution besteht im Reizverm\u00f6gen. Ferner ist wahrscheinlich, dafs die psychophysische Schwelle sich allm\u00e4h* lieh verschiebt, dafs allm\u00e4hlich mehr vom transcendentalen Weltst\u00fcck erkannt wird. Die Subject-Objectgrenze liegt somit im erkennenden Wesen selbst.\nDiese Ausf\u00fchrungen des Verf.\u2019s enthalten viel Wahres. Dafs das Gef\u00fchl das Urph\u00e4nomen ist, best\u00e4tigt die Psychologie ohne Weiteres. Es bildet so recht den Durchgangspunkt vom Physiologischen zum Seelischen, von da zu h\u00f6heren seelischen Aeufserungen. Denn jeder physiologische Vorgang, der eine seelische Wirkung hervorbringen soll, mufs eine Verbindung mit dem Gef\u00fchl eingehen. Alle Einwirkungen der Aufsenwelt sind urspr\u00fcnglich gef\u00fchlsm\u00e4fsig erfafst worden, woraus sich erst allm\u00e4hlich differentienterc Auffassungsweisen entwickelt haben.\nEs folgen noch drei Aufs\u00e4tze aus dem Gebiete der Ethik: Die ethische Bewegung der Gegenwart erstrebt einerseits Unabh\u00e4ngigkeit vom Dogma, andererseits Toleranz gegen die bestehenden Religionen. Der erste Grundgedanke der ethischen Bewegung ist der : \u201eSuche zu ergr\u00fcnden, was deine h\u00f6chste Pflicht und Schuldigkeit ist.\u201c Dieses Motiv der Moral mufs h\u00f6herer","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n439\ntranscendental-eud\u00e4monologischer Natur sein. Ein nur durch Utilit\u00e4ts-gr\u00fcnde geleitete Moral ist armselig gegen\u00fcber einer Moral, welche von dem Glauben an eine \u00fcbersinnliche Ordnung geleitet wird, von der Ansicht, dafs die Moral nicht nur menschliche G\u00fcltigkeit habe, sondern \u00fcbermenschliche. \u2014 Ein wichtiges Moment ist hierbei der Glaube an eine Seelenwanderung. Eine solche ist unter der Voraussetzung einer blos empirir sc-hen Fassung dieses Ich schlechterdings undenkbar. Das Ganze unseres Seelenlebens bildet eine Reihe aufeinanderfolgender Bewufstseinsacte. \u201eUnsere transcendentale Seelenh\u00e4lfte ist Tr\u00e4ger einer uns zukommenden transcendentalen Individualit\u00e4t und durchl\u00e4uft in einer Anzahl empirischer Re\u00efncarnationen, indem sie jedesmal mit einer neuen empirischen Seelenr h\u00e4lfte, als Tr\u00e4gerin unserer empirischen Erscheinung, verbindet, eine Reihe von Daseinsstufen.\u201c Dafs dazu die Erinnerbarkeit keine noth wendige Bedingung ist, zeigt die Thatsache,. dafs auch die Tr\u00e4ume derselben Nacht zusammenhangslos sind (?). -\u2014 Die Beziehung auf fremdes Wohlergehen ist kein ersch\u00f6pfendes Kriterium der moralischen That. Es ist nicht richtig, wenn man das handelnde Subject nur als Reflex der fremden Person gelten lassen will. Jede moralische Bewerthung mufs vielmehr im Sinne des transcendentalen Egoismus erfolgen. Den Beweis f\u00fcr die Existenz einer h\u00f6heren moralischen Weltordnung bildet das Gewissen. Was empirisch als Verneinung des Willens erscheint, kann zugleich eine Bejahung im transcendentalen Sinne bedeuten. Das in Entwickelung begriffene transcenden-tale Subject kann nur auf dem Wege der Steigerung befindlich gedacht werden (?) \u201eJede sp\u00e4tere Incarnation des Subjects kann in diesem Sinne nur als eine weitere Vollendungsphase dieses Subjects im Vergleiche zur vorhergehenden angesehen werden.\u201c\nVerf. verr\u00e4th in diesen Er\u00f6rterungen einen hohen ethischen Schwung. Seine Auffassungsweise zeigt Ber\u00fchrungspunkte mit der christlichen. Jedoch ruhen die erbrachten Beweise offenbar auf unsicheren F\u00fcfsen.\nGiessleb (Erfurt). \u25a0\nWabneb Fite. Art Indnstry and Science. Psychol. Review 8 (2), 128\u2014144. 1901.\nDer Verf. versucht eine \u201epsychologische\u201c Begriffsbestimmung des Sch\u00f6nen als verschieden vom Guten und Wahren. Er betont, dafs der Mensch eine Reihe von Dingen als zum Leben absolut nothwendig betrachtet, dafs diese nothwendigen Dinge jedoch g\u00e4nzlich verschieden sind auf verschiedenen Culturstufen. Ein civilisirter Mensch k\u00f6nnte nicht ohne Kleider leben, w\u00e4hrend der Feuerl\u00e4nder trotz seines kalten Klimas sie als einen Luxusgegenstand betrachtet. Dinge, die zuerst nur um ihrer \u00e4sthetischen Wirkung willen gesch\u00e4tzt wurden, geh\u00f6ren schliefslich zur Lebens-nothd\u00fcrft und verlieren dann nach Fite ihre \u00e4sthetische Wirkung. Die Grenze zwischen dem Sch\u00f6nen und Guten ist daher keine absolute, sondern abh\u00e4ngig vom Culturzustand des Individuums. Aehnlich unterscheidet er das Sch\u00f6ne vom Wahren. Aesthetischer Genufs ist m\u00f6glich nur unter der Bedingung, dafs das Object des Genusses keine Stelle im wissenschaftlichen System der Wirklichkeit hat. Das Vergn\u00fcgen, das der Duft von Blumen uns gew\u00e4hrt, w\u00fcrde nicht mehr \u00e4sthetisch sein, wenn wir eine deutliche","page":439}],"identifier":"lit31600","issued":"1901","language":"de","pages":"436-439","startpages":"436","title":"von Feldegg: Beitr\u00e4ge zur Philosophie des Gef\u00fchls. Leipzig, J. A. Barth, 1900. 122 S","type":"Journal Article","volume":"26"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:24:40.777170+00:00"}