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{"created":"2022-01-31T16:37:03.689003+00:00","id":"lit31702","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Busse","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 25: 273-274","fulltext":[{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Literatur bericht.\n273\nG borge Stuart Fullerton. Ol Spinosiftlc Immortality. Publications of the\nUniversity of Pennsylvania, Series in Philosophy Nr. 3. 164 S. 1899.\nDer Titel dieses vielfach anregenden Werkes entspricht nicht ganz seinem Inhalte; die Untersuchungen, die es enth\u00e4lt, betreffen nicht nur Spinoza\u2019s Unsterblichkeitslehre, sondern beziehen sich auf seine Metaphysik \u00fcberhaupt, deren vielfache innere Widerspr\u00fcche scharfsinnig er\u00f6rtert werden. Die vier Theile, in welche das Buch sich gliedert, tragen die Ueberschriften : The World of Existences, The World of Essences, From Bondage to Freedom und The Religious Element in Spinoza. In psychologischer Hinsicht am interessantesten ist das erste Capitel: The World of Existences, welches Spinoza\u2019s psychophysischen Parallelismus behandelt. Dafs dieser Parallelismus in der Durchf\u00fchrung sich bei Spinoza widerspruchsvoll gestaltet, wird richtig und klar dargelegt, doch hat F. den Grund, aus dem die von ihm scharfsinnig aufgedeckten inneren Widerspr\u00fcche entspringen und sich erkl\u00e4ren, nicht hinzugef\u00fcgt. Er ist in dem unklaren, d. h. zweideutigen Sinne zu suchen, welchen der ber\u00fchmte Satz : \u00fcrdo et connexio idearum idem est ac ordo et connexio rerum, Eth. II, Prop. 7 bei Spinoza hat. Dieser Satz wird von Spinoza psychophysisch, zugleich aber auch erkenntnifstheoretisch verstanden.\nPsychophysisch entsprechen unseren Vorstellungen als psychischen Acten parallele physische Vorg\u00e4nge, ohne dafs diese letzteren den Inhalten der ersteren zu gleichen brauchen. Die Vorstellung des Oirkels ist nicht eine cirkelf\u00f6rmige Vorstellung, also braucht ihr nach dem psychophysischen Parallelismus auch nicht ein cirkelf\u00f6rmiger k\u00f6rperlicher Vorgang zu entsprechen. Und ebenso erfordert eine etwa in cirkelf\u00f6rmiger Form verlaufende Bewegung im Gehirn nicht als psychisches Parallelglied eine Vorstellung, die diese Bewegung zum Inhalt hat. Also widerspricht es diesem Parallelismus auch nicht, wenn der Mensch die Vorstellung Gottes u. s. w. hat. Nun aber hat Spinoza\u2019s Satz f\u00fcr ihn zugleich auch noch die erkenntnifstheoretische Bedeutung, dafs unsere (wahren) Vorstellungen die Natur der Dinge richtig wiedergeben und der Zusammenhang, den wir durch richtiges Denken zwischen unseren Vorstellungen stiften, sich mit dem realen Zusammenh\u00e4nge zwischen den Dingen deckt. So gefafst spricht der Satz das Princip des rationalistischen Dogmatismus, die Harmonie von Erkennen und Sein aus, postulirt er einen erkenntnifstheoretischen Parallelismus. Und wenn nun die Lehre, dafs die Seele idea corporis ist, im Sinne dieses Parallelismus bedeutet, dafs die Seele die Vorstellung bezw. der Complex von Vorstellungen ist, welcher den K\u00f6rper zum Inhalt hat, so widerspricht es, wie F. gut darlegt, dieser Lehre allerdings, dafs die Seele die Vorstellung Gottes haben oder dafs sie, wenn sie die Wirkungen anderer K\u00f6rper auf ihren eigenen K\u00f6rper wahrnimmt, darin zugleich diese letzteren selbst mit wahrnehmen soll.\nDie drei \u00fcbrigen Capitel sind mehr f\u00fcr die Metaphysik, als f\u00fcr die Seelenlehre Spinoza\u2019s von Bedeutung. Im Mittelpunkt der Er\u00f6rterungen des Verfassers steht der widerspruchsvolle Begriff der Essentia. Die Essenzen haben einerseits den Charakter abstracter, zeitloser Universalien, andererseits werden sie doch als concrete individuelle Wesenheiten\n18\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 25.","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nLiteraturbericht.\ngedacht, di\u00a9 theils in, theils \u00fcber den Existenzen befindlich auf sie ein* wirken. Mit der Lehre Spoioza\u2019s, dafs die Existenzen \u00a9ine unendlich\u00a9 Causalkette bilden, in der jedes Glied durch di\u00a9 anderen vollst\u00e4ndig bedingt ist, ist diese Annahme freilich unvereinbar. Aber eben weil di\u00a9 unendliche Causalkette nie m Gott als der immanenten Ursache aller Dinge f\u00fchrt, m\u00fcssen diese durch das Schattenreich der Essenzen mit ihm in Zusammenhang gebracht werden. Die Einwirkung der Essenzen auf die Existenzen erm\u00f6glicht es sogar, dafs die individuellen Dinge sich aus der Causalkette losl\u00f6sen und sich in die Welt der Essenzen erheben, worin ihre Unsterblichkeit und Seligkeit besteht. Insofern aber Spinoza die \u2014 schliefe-lieh doch als unendliche Dauer gedachte \u2014 Unsterblichkeit nur der Seele (bezw. einem Theile derselben) zuschreibt, steht auch seine Unsterblichkeitelehre in einem unl\u00f6sbaren Widerspruche mit seinem ParallelIsmus, welcher \u00a9ine entsprechende Verklarung und Verewigung auch des zur idea corporis geh\u00f6renden corpus fordert. Ich m\u00f6chte indes der bei Spinoza sich findenden Ansicht, welche beide Lehren in Uebereinstimmung zu bringen sucht: daft n\u00e4mlich wie der Seele als ver\u00e4nderlicher und unvollkommener Existenz ein ver\u00e4nderlicher und unvollkommener existentieller K\u00f6rper entspricht* so auch ihr als unver\u00e4nderlicher und vollkommener Essenz ein\u00a9 gleich unver\u00e4nderliche und vollkommene Essenz des K\u00f6rpers parallel geht \u2014 ich m\u00f6chte dieser Ansicht doch eine gr\u00f6ftere Bedeutung f\u00fcr die Philosophie Spinoza\u2019s beimessen, als F. zuzugeetehen geneigt ist.\nEndlich f\u00fchrt F. aus, daft sowohl dem Gottesbegriff Spinoza's als auch seiner Unsterblichkeitslehre nach der Fassung, die er selbst ihnen giebt, jede eigentliche religi\u00f6se Bedeutung abgesprochen werden m\u00fcsse. Wenn Spinoza trotzdem beide auch in religi\u00f6s-erbaulicher Weise behandelt, so schiebt sich ihm unvermerkt seinem Gotteshegriff der gew\u00f6hnliche theologische, in dem er auferzogen war, und seinen Unsterblichkeitsbegriff der gew\u00f6hnliche unter. Solche Z\u00fcge religi\u00f6ser Begeisterung und religi\u00f6ser Sehnsucht geh\u00f6ren dem Menschen Spinoza an, in der apinozischen Philosophie haben sie, hat das religi\u00f6se Element \u00fcberhaupt, keine Stelle.\nIch bemerke noch, dafs Fullebton die in dem vorliegenden Werke behandelten Themata schon einmal in einem anderen Zusammenh\u00e4nge in einem Buche behandelt hat, das von mir in der Zeitschr. f. Philos. u. philos. Kritik 111, 206 kurz besprochen worden ist (The Philosophy of Spdjoia, 2nd edition, New York 1894). Er nimmt mehrfach auf dieses Werk Bezug, w\u00e4hrend er im Uebrigen die Spinoza Literatur unber\u00fccksichtigt lftftt. Das ist zu bedauern. H\u00e4tte er sie ber\u00fccksichtigt, so w\u00fcrde er gefunden haben, daft das Verh\u00e4ltnis der Essenzen und Existenzen bei Spinoza von mir vor Jahren schon in mit seiner Darlegung vielfach \u00fcbereinstimmender Weise dargestellt worden ist (Ueber die Begriffe essentia und existentia bei Spinoza* Vierteljahrsschrift f. vmsemchaftl. Philosophie 10, 283 f., und \u201eBeitr\u00e4ge zur Entwickelungsgeschichte Spinoza\u2019s\u201c, Zeitschr. f. Philos, u. philos. Kritik 00\u201498). Auch w\u00fcrden, glaub\u00a9 ich, manche seiner das HI. und IV. Buch der Ethik betreffenden Behauptungen sich anders gestaltet haben, wenn er T\u00f6nnus\u2019 Studie dar\u00fcber in Bd. VII der Viertdjahrsschrift f. wissenschaftl. Philosophie (8. 168 f.) gekannt und ber\u00fccksichtigt h\u00e4tte.\nBusse (K\u00f6nigsberg i. P.).","page":274}],"identifier":"lit31702","issued":"1901","language":"de","pages":"273-274","startpages":"273","title":"George Stuart Fullerton: On Spinozistic Immortality. Publications of the University of Pennsylvania, Series in Philosophy Nr. 3. 154 S. 1899","type":"Journal Article","volume":"25"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:37:03.689009+00:00"}