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{"created":"2022-01-31T16:28:08.552760+00:00","id":"lit31727","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Elbogen","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 24: 178-180","fulltext":[{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nLiteraturbericht.\nIn diesem Vorgehen liegt auch das befriedigende Gegengewicht gegen einzelne, leicht mifszuverstehende Ausf\u00fchrungen des Schlufsabschnittes. Verf. wirft dort die Frage nach dem Wesen des Urtheils auf und meint, dafs die Antwort darauf \u201enur in sehr unbestimmter Form gegeben werden kann, weil wir eben unter ,UrtheiP vielerlei Verschiedenartiges verstehen, weil jUrtheiF selbst eine Allgemeinvorstellung ist, die psychologisch Verschiedenes zusammenfafst, und deren Bedeutung daher gerade wie die des Wortes fe\u00fcfs oder Roth nicht in einer Definition, sondern nur durch Aufzeigung von Beispielen deutlich gemacht werden kann\u201c. Dieses Aufzeigen f\u00fchre auf das \u201eGeltungsbewufstsein\u201c als auf das Charakteristische des Urtheils; aber es sei damit nicht viel gewonnen, weil dieses Geltungsbewufstsein selbst wieder nur eine Zusammenfassung von vielerlei psychologisch Verschiedenartigem sei. Dagegen sei jedoch die Frage gestattet, warum dieses Geltungsbewufstsein, wenn es qualitative und intensive Variationen aufweist, deshalb weniger etwas Eigenartiges, sich seiner psychologischen TV esenheit nach immer gleich und ein und dasselbe Bleibendes sein soll, als etwa das Vorstellen, das F\u00fchlen und das Begehren, die sich ja in diesem Punkte ganz ebenso verhalten ? Das Geltungsgef\u00fchl ist eben, geradeso wie Vorstellen, F\u00fchlen und Begehren eine zwar verschiedene, f\u00fcr die psychologische und logische Betrachtung h\u00f6chst wichtige Variationen zeigende, aber in allen diesen Variationen wesentlich stets dieselbe, eigenartige psychische Elementarthatsache. Sie ist das Wesen und der Kern des Urtheils. Und deshalb scheint es mir auch zweckm\u00e4fsiger und entsprechender, sie gleich beim richtigen Kamen zu nennen und die immerhin leicht irref\u00fchrenden Ausdr\u00fccke \u201eGeltungsgef\u00fchl, Geltungsbewufstsein\u201c durch den Terminus Urtheil zu ersetzen. \u2014\nZum Schilds m\u00f6chte ich noch bemerken, dafs das vorliegende Referat viele, theils zur Kritik herausfordernde, theils \u00fcberaus befriedigende Einzelausf\u00fchrungen der besprochenen Arbeit v. Kries\u2019 unber\u00fccksichtigt l\u00e4fst.\nWitasek (Graz).\nR. Richter. Der Willenshegriff in der Lehre Spinoza\u2019s. Hab. Leipzig.\nAuch: Wundt, Philosophische Studien 14 (1 u. 2), 119\u2014156 u. 242\u2014338. 1898.\nDie grofse Anzahl von Monographien \u00fcber Spinoza, welche im letzten Jahrzehnt erschienen ist, hat zur Kl\u00e4rung der Anschauungen \u00fcber die Lehre und den Entwickelungsgang des Philosophen sowie die Entstehung seiner Wrerke wesentlich beigetragen. In solch Einzelschritten kann das einschl\u00e4gige Material weit gr\u00fcndlicher verarbeitet werden, es k\u00f6nnen die Aeufserungen des Philosophen \u00fcber die betreffenden Gegenst\u00e4nde vollst\u00e4ndiger zusammengestellt, seine Beweise genau untersucht, und die bei aller Consequenz im System doch oft recht schwankende und irref\u00fchrende Ausdrucks weise Spinoza\u2019s im Einzelnen auf ihren richtigen Sinn zur\u00fcckgef\u00fchrt werden. Welchen Nutzen diese Einzeluntersuchungen f\u00fcr die allgemeinen Darstellungen der Lehre gebracht haben, lehrt die Lekt\u00fcre von Pollock s neuer Auflage seines grofsen Werkes \u00fcber Spinoza und die eingehende Ber\u00fccksichtigung, die jene Literatur nunmehr bei Kuno Fischer gefunden hat. So wird auch die vorliegende gr\u00fcndliche Untersuchung","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n179\nan ihrem Theil zur Kl\u00e4rung beitragen und durch ihre \u00fcberzeugende Beweisf\u00fchrung das Yorurtheil \u00fcber die mangelnde Consequenz in dem wichtigsten Begriff der Psychologie des Denkers zerst\u00f6ren. Der Verf. behandelt den Willensbegriff, wie er auf der vollendeten Stufe, in der Ethik, zur Darstellung kommt, und giebt am Schlufs (S. 321 ff.) eine Uebersicht \u00fcber den Stand der Willenslehre im kurzen Tractat und ihre Entwickelung. Dem Inhalt der Ethik folgend, werden nach einander untersucht: der Wille in der Natur, d. h. in der natura naturans (120), in der nat. naturata (135) und der Wille im Menschen, d. h. in der Erkenntnifs (242), als Trieb, Begehren, Gef\u00fchl, Handeln (266), der ethische Wille (314). Die Art der Behandlung des Willensbegriffes durch Spinoza ist nur eine specielle Anwendung eines auch sonst bekannten Grundzugs seiner Lehre, n\u00e4mlich der fortschreitenden Intellectualisirung. Der Wille wird der Substanz uneingeschr\u00e4nkt abgesprochen und unter die bewirkte Natur versetzt, aber auch hier aus allen unendlichen Modi und unter den endlichen aus dem Wesen der menschlichen Seele sowie dem Urtheilen ausgeschieden. Die Freiheit des Willens wird als unm\u00f6glich hingestellt und die strengste Determination behauptet, das Willensverm\u00f6gen verworfen ; endlich wird der Wille in eine theoretische Function (Bejahung) und eine emotional-praktische (Begehren) gespalten, und die erstere dem Verst\u00e4nde gleichgesetzt, also in ihrer Besonderheit ebenfalls geleugnet. Soweit hat es die Untersuchung mit einfachen und bekannten Dingen zu thun und kann nur in der Erkl\u00e4rung und Richtigstellung von Einzelheiten Neues bieten. Die Schwierigkeit in der Willenslehre Spinoza\u2019s, deren originelleL\u00f6sung die vorliegende Schrift beabsichtigt, beginnt mit dem III. Buche der Ethik, dessen Lehren \u201edas Wesen aller Dinge ist Streben\u201c und \u201edas Begehren ist die menschliche Natur selber\u201c im schroffsten Widerspruch zu dem vorangehenden, auf eine Leugnung des Willens gerichteten Gedankengang zu stehen scheinen. Gegen diese Annahme einer ausgesprochenen Zerrissenheit in der Tendenz, wie sie besonders T\u00f6nnies scharf hervorhob und durch den Einflufs Hobbe\u2019s erkl\u00e4ren wollte, wendet sich der Yerf. und zeigt vielmehr, wie Spinoza der fortschreitenden Intellectualisirung und der Verneinung des Willens treu bleibt, wie er aber andererseits \u2014 und auch das ist eine Grundtendenz in der Lehre Spinoza\u2019s \u2014 die durch die Erfahrung gegebene Thatsache des Vorhandenseins von Begehrungen und Gef\u00fchlen mit seinem rationalistischen System in Einklang zu bringen versucht hat, freilich ohne dafs es ihm vollst\u00e4ndig gelungen w\u00e4re. Die r\u00e4thselhafte Gleichstellung des Strebens, des Selbsterhaltungstriebes mit dem Wesen der Dinge kl\u00e4rt sich dahin auf, dafs der Selbsterhaltungstrieb eins war mit der Urbestimmung der Dinge, mit dem Abflufs aller im Wesen der Dinge eingeschlossener Wirkungen (277). Das ist derselbe energetische Zug, der fr\u00fcher in der Substanz, in den Ideen nachgewiesen ist. Der Conatus Spinoza\u2019s ist kein Urwillen, vielmehr ein weiterer Versuch, auch Trieb und Begehren zu intellectualisiren. Das dem Conatus gleichgestellte Wesen ist das individuelle Wesen, die Summe inad\u00e4quater Vorstellungen, der Er-kenntnifstrieb ist die einzig wirkliche Beth\u00e4tigung des Selbsterhaltungstriebs; der Conatus wirkt in Allem, auch den ewigen Modi, denen darum\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nLiteraturbericht.\nauch eine, allerdings h\u00f6here, Art der Selbsterhaltung zukommt. Diese Be gierde als Wesen verdr\u00e4ngt nicht die fr\u00fcher gelehrte Vorstellung als Wesen, ist vielmehr deren Wesen, die Tendenz eines Gedankens zum anderen, Begehrendes wie Begehrtes sind Vorstellungen. Das Verh\u00e4ltnifs des Willens als Urtheil zum Willen als Begehren fafst der Verf. in den Satz zusammen: Es ist also der Selbsterhaltungstrieb, logisch ausgedr\u00fcckt, Bejahung, und die Bejahung biologisch Selbsterhaltungstrieb, psychologisch aber bleiben beide etwas Besonderes und Getrenntes (S. 291). Die Gef\u00fchle entstehen durch die Vergleichung verschiedener, auf einander bezogener Zust\u00e4nde, sind darum ebenfalls nur zu denken, wenn von ihnen die Ideen bereits vorhanden sind, und der Satz von der Association der Affecte bildet die beste Erkl\u00e4rung dieser Anschauung. Gef\u00fchl und Wille stehen im Verh\u00e4ltnifs gegenseitiger Abh\u00e4ngigkeit, jedes ist Product und Voraussetzung des Anderen. \u2014 So k\u00fchn nun aber auch Spinoza\u2019s Versuch ist, seine psychologischen Anschauungen als directe Folgerung seiner Metaphysik zu entwickeln, so unm\u00f6glich ist sein Gelingen. Der Verf. f\u00fchrt aus, wie die Theorie Spinoza s besonders an zwei Dingen scheitern mufste. Es ist undenkbar, wie die Bestimmung eines Dinges zu wirken in seinem Bewufstsein sich als Streben geben soll, wie eine k\u00f6rperliche Disposition ihre n\u00e4chste Wirkung als Tendenz enthalten soll (291). Bedenklicher noch ist im System selbst der Begriff des absoluten Wollens oder Verlangens, welches das Seelische und K\u00f6rperliche im Menschen umfafst und so das gew\u00f6hnliche Handeln als thatkr\u00e4ftiges Wirken erkl\u00e4rt, w\u00e4hrend sonst Wille und Vorstellung ohne Beziehung blieben (295). \u2014 Bei dem engen Rahmen, der dieser Besprechung angewiesen ist, hielt ich es f\u00fcr lichtiger, die mit grofsem Geschick und Nachdruck bewiesene These des Verf.\u2019s im Auszug wiederzugeben, als einige, doch immer strittig bleibende, Einzelheiten herauszugreifen und polemisch zu er\u00f6rtern. Es ist der M\u00fche werth, sich durch die nicht immer leicht verst\u00e4ndlichen Ausf\u00fchrungen Richter\u2019s durchzuarbeiten, um Spinoza\u2019s wahre Anschauung \u00fcber den Willen kennen zu lernen und auch um zu sehen, einen wie tiefen Einblick der Philosoph \u2014 trotz aller Paradoxie in der Form \u2014 in das Wesen der menschlichen Seele gethan hat.\tElbo&en (Florenz).\nR. S. Woodworth. The Accuracy of Voluntary Movement. Psychol, jRev., Monogr. Supplem. 3 (2). 114 S. $ 1.\u2014. 1899.\nDer Verf. hat vollkommen recht, wenn er darauf hinweist, dafs die heutige Psychologie, besonders die experimentelle, zu einseitig das Gebiet der intellectuellen Thatsachen bearbeitet und die Untersuchung der emotionalen vernachl\u00e4ssigt. Aber die v\u00f6llige Analogie, die er zwischen den Empfindungen und Wollungen in Bezug auf ihre Bedeutung als Elementarthatsachen zieht, entspricht doch nicht ganz dem wahren Sachverhalte, und das St\u00fcck, um das seine Analogie versagt, ist zum Mindesten eine theil-weise Rechtfertigung des heutigen Vorganges der Psychologie. Denn die Wollungen sind durchaus nicht im selben Sinne Elementarthatsachen wTie die Empfindungen, auch dann nicht, wenn der Autor recht hat zu sagen, dafs sie ebenso fr\u00fch wie diese im Leben des Individuums sowohl wie der Gattung auftreten. Sie sind vielmehr, da alles Wollen auf einen Gegen-","page":180}],"identifier":"lit31727","issued":"1900","language":"de","pages":"178-180","startpages":"178","title":"R. Richter: Der Willensbegriff in der Lehre Spinoza's. Hab. Leipzig. Auch: Wundt: Philosophische Studien 14 (1 u.2), 119-156 u. 242-338. 1898","type":"Journal Article","volume":"24"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:28:08.552765+00:00"}