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{"created":"2022-01-31T16:27:36.355580+00:00","id":"lit31789","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Geiger","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 24: 386-387","fulltext":[{"file":"p0386.txt","language":"de","ocr_de":"38fr\nLitera turbericht.\nTh. Lipps. Die Quantit\u00e4t in psychischen Gesammtvorg\u00e4ngen. Sitzungsberichte der philos. -philol. und der hist. Classe der Kgl. bayer. Akad. der Wiss. (3), 349\u2014421. 1899.\nDie Thatsache, dafs gewisse Qualit\u00e4ten von Empfindungsinhalten mit dem gemeinsamen Namen Intensit\u00e4t, Kraft, Quantit\u00e4t bezeichnet wrerden \u2014 bei T\u00f6nen -z. B. die Lautheit, bei Farben die Helligkeit \u2014, w\u00e4hrend doch Ton und Farbe nichts Gemeinsames haben, aufser dafs sie beide Empfindungsinhalte sind, findet ihren Grund in dem Vorhandensein eines die Inhalte begleitenden Gef\u00fchls, des Quantit\u00e4tsgef\u00fchls. Dieses Gef\u00fchl beschr\u00e4nkt sich nicht auf Empfindungsinhalte. Es findet sich \u00fcberall, wo wir etwTas als bedeutsam, gewaltig, erhaben, \u00fcberw\u00e4ltigend bezeichnen, \u00fcberall, wo wir sagen, dafs etwas unsere Aufmerksamkeit in hohem Maafse in Anspruch nimmt. Dagegen ist die Nothwendigkeit, unsere Aufmerksamkeit auf ein Object zu richten, damit es von uns beachtet wTerde, gleichbedeutend mit einem Mangel an psychischer Quantit\u00e4t, die als Grundlage des Quantit\u00e4tsgef\u00fchls bezeichnet wird. Denn da Bewufstseinsinhalte nicht auf einander wirken, sondern psychische Wirksamkeit einzig den unbewussten Vorg\u00e4ngen zukommt, die den Bewusstseinsinhalten zu Grunde liegen (N\u00e4heres siehe bei Lipps, Suggestion und Hypnose), so ist es auch hier das verschiedenartige Wirken der psychischen Vorg\u00e4nge und die H\u00f6he ihrer davon abh\u00e4ngigen Quantit\u00e4t, denen das Quantit\u00e4tsgef\u00fchl seine gr\u00f6fsere oder geringere St\u00e4rke verdankt.\nUnter Gesammtvorg\u00e4ngen versteht der Verf. jeden Complex von Vorg\u00e4ngen, der mit Eigenschaften ausgestattet ist, die nicht Eigenschaften der Einzelvorg\u00e4nge oder die Summe dieser Eigenschaften sind. Ein Wort z. B. setzt sich zusammen aus einzelnen Lauten, eine Melodie aus T\u00f6nen und doch haben Wort und Melodie von ihren Elementen gesonderte Eigenschaften, das Wort z. B. seinen Sinn, die Melodie Lustwirkung. In diesen Gesammtvorg\u00e4ngen sieht Lipps die eigentliche Bedeutung der psychischen Thatsachen, die Ehrexfels irrth\u00fcmlich als Gestaltqualit\u00e4ten bezeichnet. Neben der Wirkung der Gesammtvorg\u00e4nge als Ganzen freilich bleibt eine relative Selbst\u00e4ndigkeit der Elemente bestehen, die jedoch um so geringer ist, je fester die associativen Beziehungen sind, die die Elemente zum Ganzen vereinigen, je gr\u00f6fser also die Einheit des Ganzen wird. So bilden die Kl\u00e4nge eines Quintenaccords verm\u00f6ge der Verwandtschaft der T\u00f6ne eine gr\u00f6fsere Einheit als ein Accord aus relativ disharmonischen Kl\u00e4ngen. Andererseits mindert sich mit der Enge der associativen Beziehungen das Maafs der Aufmerksamkeit, das jedes Element beansprucht, also seine Quantit\u00e4t \u2014 man vergleiche z. B. einen Septimenaccord mit einem Octaven-accord \u2014 und damit das davon abh\u00e4ngige Maafs der Aufmerksamkeit, das dem Ganzen zu theil wird. Die Quantit\u00e4t ist daher am gr\u00f6fsten in einem Ganzen von m\u00f6glichster Mannigfaltigkeit bei m\u00f6glichster Einheit. Jedes neue Element, das zu einem Ganzen hinzutritt, beansprucht umsoweniger Aufmerksamkeit, je mehr Elemente schon vorhanden sind, ein Mensch, der zu einer Anzahl von zwTanzig hinzukommt weniger als einer, der zu einer Gruppe von dreien tritt. Ebenso vermehrt sich die Aufmerksamkeit, die auf ein Ganzes gerichtet wird, bei gleichem Zuwachs an Elementen um so langsamer, je gr\u00f6fser das bereits vorhandene Ganze ist, und zwar ge-","page":386},{"file":"p0387.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n387\nschieht dies in einer dem psychophysischen Gesetz analogen Weise. Die Lust und Unlustwirkung eines Ganzen geht der Quantit\u00e4t des Ganzen parallel. Der ziffernm\u00e4fsige Nachweis, dafs die Aufmerksamkeit von einem ungegliederten Ganzen in geringerem Maafse in Anspruch genommen wird als vom gegliederten, bildet den Schlufs des Aufsatzes.\nGeigeb (M\u00fcnchen).\nA. Ohlert. Das Studium der Sprachen und die geistige Bildung. Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der p\u00e4dagogischen Psychologie und Physiologie von Schiller und Ziehen 2 (7). 50 S. 1899.\nIn der Zeit der Preufsisehen Schulreformen verdient die vorliegende Arbeit besondere Beachtung, um so mehr, da Verf. bem\u00fcht ist, seine p\u00e4dagogischen Demonstrationen auf psychologischem Grunde aufzubauen.\nDie Arbeit verbreitet sich zun\u00e4chst \u00fcber die Bildungsgesetze der Sprache und ihre Leistungen : \u201eDie Beziehung des Sprachbegriffs und der sprachlichen Beziehungsformen zu dem durch sie vertretenen sachlichen Inhalt ist durchaus einseitig, derart, dafs dem sprachgeformten Beziehungsmerkmal eine fast unbegrenzte Menge sachlicher Merkmale gegen\u00fcbersteht, die sprachlich nicht ausgedr\u00fcckt sind.\u201c Einmal geformt und einmal in Gebrauch genommen, werden solche Spraehformen und Sprachbeziehungen als blofse Symbole, d. h. ohne Kenntnifs der den Sprachbegriffen anhaftenden Merkmale, d. h. v\u00f6llig unbewufst angewendet. Die Sprache geh\u00f6rt also der psychologischen Gruppe der geistigen Leistungen an, denn jeder logische Act ist ein bewufster Denkact.\nDie psychischen Vorg\u00e4nge beim Sprechen und Verstehen sind das Ergebnifs einer im Unbewufsten wirkenden Association: \u201eDie Namengebung geschieht in der Weise, dafs bei einer zusammengesetzten sinnlichen Erscheinung das am meisten in die Augen fallende Merkmal apper-cipirt und diese Erscheinung zum ersten Male durch einen eigenartigen, jenem in die Augen fallenden Merkmale entsprechenden Laut von der \u00fcbrig bleibenden Summe der Erscheinungen abgesondert werde.\u201c \u201eDurch die Verkn\u00fcpfung des Namens mit dem sinnlichen Merkmal entstand der Begriff.\u201c Also die Begriffsbildung erfolgte einseitig. Aus der Gesammt-vorstellung wird je ein hervortretendes Merkmal hervorgehoben. Dadurch entsteht der sprachliche Satz. Die Differenzirung der Satzglieder erfolgt stets in Doppelgliedern (bin\u00e4re Verbindung nach Wundt).\nDie Volkssprache, Umgangssprache entsteht auf urw\u00fcchsige Weise, bei der \u201eGemeinsprache\u201c l\u00e4fst sich die Einwirkung bewufster Ueberlegung nachweisen. Die Culturform besitzt ein systematisch gereinigtes Lautsystem. Die allm\u00e4hlich entstandene literarische Kunstform ist aber nicht Erfolg des logischen Denkens. Die st\u00e4rksten Beeinflussungen seitens der Cultur haben die Begriffe erfahren bez\u00fcglich ihrer virtuellen Bedeutung, d. h. bez\u00fcglich der Summe der hinter dem Namen verborgenen Merkmale.\nDie Leistungen der Sprache bestehen darin, dafs sie \u201edie Continuit\u00e4t des geistigen Fortschritts, eine Steigerung des Denkens und des Gedachten ins ungemessene m\u00f6glich macht.\u201c Die Namengebung verleiht den Begriffen Haltbarkeit und Klarheit. Ohne Sprache ist kein h\u00f6heres geistiges Leben denkbar: Denken und Sprache stellen gleichsam zwei Seiten derselben\n26*","page":387}],"identifier":"lit31789","issued":"1900","language":"de","pages":"386-387","startpages":"386","title":"Th. Lipps: Die Quantit\u00e4t in psychischen Gesammtvorg\u00e4ngen. Sitzungsberichte der philos.- philol. und der hist. Classe der Kgl. bayer. Akad. der Wiss. (3), 349-421.1899","type":"Journal Article","volume":"24"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:27:36.355585+00:00"}