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{"created":"2022-01-31T16:26:38.102316+00:00","id":"lit31797","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Giessler","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 24: 396-398","fulltext":[{"file":"p0396.txt","language":"de","ocr_de":"396\nLiteraturbericht.\nhat mich trotz aller gegenteiligen Behauptungen nicht eines anderen belehren k\u00f6nnen.\nIch kann in dieser Ausgrabung de Sade\u2019s nichts sehen als eine Verirrung, und zwar eine Verirrung der bedenklichsten Art, die durch alle Gelehrsamkeit und den ganzen Apparat von Schmutz- und Schandliteratur jener Zeit nicht besser wird.\nWenn der Verf. selber zugiebt, dafs die Lect\u00fcre der Schriften kein Vergn\u00fcgen sondern eine Aufgabe sei, so stimmen wir dem zu mit dem Zus\u00e4tze, dafs sie eine f\u00fcr den gew\u00f6hnlichen Menschen nicht zu l\u00f6sende Aufgabe sei.\nV ie ein Werk, das einfach den \u00e4ufsersten Grad des Widerw\u00e4rtigen darstellt, von eulturhistorischem und zeitgeschichtlichem Werthe sein soll, will mir nicht recht einleuchten, und wenn der Verf. f\u00fcr sich den Ruhm in Anspruch nimmt, dafs sein Buch nach Anlage, Ausf\u00fchrung und Inhalt das erste wissenschaftliche Originalwerk \u00fcber den Marquis de Sade in einer lebenden europ\u00e4ischen Sprache sei, so wollen wir ihm diesen Ruhm gerne g\u00f6nnen, vorausgesetzt, dafs es auch das letzte sein m\u00f6ge. Pelman.\nWiniarski. L\u2019\u00e9nergie sociale et ses mensurations. Rev. philos. 49 (2), 113\u2014134; (3), 256-287. 1900.\nDas ^ ehikel der socialen Mechanik ist die Anziehung. Wir selbst sind Massen, welche sich nach dem Maximum des Vergn\u00fcgens hin bewegen d. li. nach der maximalen Anziehung und dem minimalsten Widerstande. Das sociale Band hat als Basis rein mechanische Anziehungen z. B. die sexuelle. Die biologische Energie selbst kann man nicht erkennen, ebenso wie die Elektricit\u00e4t, wohl aber ihre Bezeugungen, n\u00e4mlich unsere Gef\u00fchle, Ideen und Handlungen. Sie ist eine Umwandlung der chemischen Energie in thermische, welche sich in den Geweben vollzieht und zu allen Ph\u00e4nomenen des Lebens Veranlassung giebt. Gef\u00fchle, Ideen und Handlungen geh\u00f6ren zur kinetischen Energie. Zu der potentiellen geh\u00f6rt die Nahrung. Die treibenden Kr\u00e4fte der urspr\u00fcnglichen socialen Gemeinschaften sind Hunger und Liebe. Durch Ber\u00fchrung mit der umgebenden Natur und mit anderen Gemeinschaften werden dieselben umgewandelt in \u00d6konomische, politische, juristische, moralische, \u00e4sthetische, religi\u00f6se und intellectuelle Bed\u00fcrfnisse, also Umwandlung in innere psychische Energien. Umgekehrt kann jedes Bed\u00fcrfnifs die Quelle von socialer Bewegung, d. h. von Arbeit wTerden.\nEs existirt eine Tendenz, die Intensit\u00e4t der kinetischen Energie der verschiedenen socialen Aggregate auszugleichen. Ueberall n\u00e4mlich, wo in der Gesellschaft irgendwelche Differenzen in Bezug auf die Intensit\u00e4t der V \u00fcnsche existiren, sucht sich diese Differenz auszugleichen, indem sie den Streit, die Concurrenz und die Arbeit hervorruft. Ueberall herrscht die Tendenz nach Transformation aller Unterschiede in der Intensit\u00e4t des Bed\u00fcrfnisses und der Civilisationsarbeit. Das definitive Ende dieses Processes, dieses Kampfes ist die Unbeweglichkeit.\nDie Umwandlung der socialen Energie erfolgt nur in einer Richtung, n\u00e4mlich von Aggregaten, bei denen die Intensit\u00e4t der Energie h\u00f6her ist,","page":396},{"file":"p0397.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t.\n397\nauf solche, bei denen sie niedriger ist. Hieraus erkl\u00e4rt sich der zwingende, imperative Charakter der staatlichen Institutionen wie Staat, Recht, Religion, von den Erwachsenen zu den Jungen, von den Gelehrten zum Volk, von den Reichen zu den Armen, von dem Lehrer zu dem Sch\u00fcler.\nDer Marsch der Civilisation verlangsamt sich mit der Verminderung der Unterschiede der socialen Energie. Schliefslich haben wir eine gleich-m\u00e4fsige Diffusion der seelischen Energien, verbunden mit einem Verschwinden der rohen Energieen und Aufh\u00f6ren der Bewegung.\nAssimilation und Reproduction sind nichts als ein successive!* Austausch zwischen den Zellen und dem Medium, worauf die Zelle in den primitiven Zustand des Gleichgewichts zur\u00fcckkehrt. Die Reizbarkeit wird zur\u00fcckgef\u00fchrt auf die Anziehung, welche besteht zwischen der leblosen und belebten Materie. Auf die Reizbarkeit wiederum sind alle specifischen Energien der Organe zur\u00fcckzuf\u00fchren. Alle specifischen Energien sind nur Umwandlungen von Hunger und Liebe. Auf die Phase der physikochemischen Umwandlung folgt eine Phase der rein biologischen Assimilation. Die biologische Attraction offenbart sich in den Gef\u00fchlen des Vergn\u00fcgens und Mifsvergn\u00fcgens. Das Vergn\u00fcgen (pos. oder neg.) ist also nur eine bestimmte Reizbarkeit. Es ist gleichsam die obere Energie, die Triebfeder f\u00fcr alle \u00fcbrigen.\nJede Gesellschaft ist zusammengesetzt aus einer bestimmten Anzahl von Personen und Sachen, welche sich gegenseitig anziehen. Als Maats der Anziehung zwischen beiden nehmen wir die Intensit\u00e4t des Begehrens. Die Intensit\u00e4t der Anziehung h\u00e4ngt nicht allein ab von der Natur, sondern auch von der Quantit\u00e4t der Personen und Sachen. Die Soziologie ist also das Studium der Anziehungen zwischen den Individuen einer Gesellschaft. Wenn man das sociale System in seinem Gleichgewicht studirt, so hat man die Erkl\u00e4rung aller psychischen und socialen Ph\u00e4nomene.\nDer Werth, d. h. die quantitative Vergleichung einer gegebenen Materie mit einer anderen Materie, welche als Einheit genommen wird, ist nur der Ausdruck einer bestimmten Anziehung, welche besteht zwischen der belebten und unbelebten Materie eines socialen Aggregats. Wir verm\u00f6gen immaterielle G\u00fcter wie z. B. den Muth mit mateviellen z. B. mit dem Gelde zu vergleichen, weil wir sie nur in Bezug auf den Nutzen vergleichen, den sie f\u00fcr die Gesellschaft haben.\nDas pers\u00f6nliche Capital ebenso wie die geistigen und moralischen Eigenschaften eines Volkes machen dessen Reichthum aus.\nUm eine allgemeine Theorie der socialen Mechanik zu erhalten, miifste man sich mit folgenden Punkten besch\u00e4ftigen : erstens mit einer vollst\u00e4ndigen Statistik des Werthes des pers\u00f6nlichen Capitals, zweitens der materiellen G\u00fcter, drittens der immateriellen G\u00fcter z. B. des Werthes der Moralit\u00e4t, der allgemeinen und speciellen Erziehung des Menschen. Man m\u00fcfste mittlere Werthe erlangen nicht allein f\u00fcr jedes immaterielle Gut, f\u00fcr jeden Dienst, sondern auch f\u00fcr jede geistige Eigenschaft. Diese mittleren Werthe w\u00fcrden im Grunde nichts anderes sein als die verschiedenen Taxen der Umwandlung der Energie. Die Gesellschaft vermag ein gegebenes Gut in ein anderes zu verwandeln in einem bestimmten Ver-h\u00e4ltnifs des Werthes. Das Geld ist das Maafs dieser Umwandlungen von","page":397},{"file":"p0398.txt","language":"de","ocr_de":"398\nLiter aturbericht.\nEnergie, bis jetzt das einzige Maafs, welches wir besitzen, nm die sociale Energie zn sch\u00e4tzen. Die verschiedenen socialen Institutionen sind immaterielle Capitale, deren socialer Werth gemessen wird nach dem pecu-ni\u00e4rem Werthe der Energie, welche zu ihrer Unterhaltung n\u00f6thig sind. \u201eAuf diese Weise werden die meisten der immateriellen G\u00fcter wie die Ehre, Tugend, pers\u00f6nliche W\u00fcrde ... zu Waaren.\u201c \u201eDas allgemeine sociale Aequivalent, die reine Personification und Verk\u00f6rperung der social-biologischen Energie ist das Gold.\u201c\nIm ersten Theile der Arbeit werden Beziehungen zu mathematischen Eormulirungen aus dem Gebiete der h\u00f6heren Physik, speciell der W\u00e4rmetheorie, gesucht. Bez\u00fcglich des zweiten Theiles bemerkt Verf., dafs sich-die biologische Energetik noch in einem derartig rudiment\u00e4ren Zustande befindet, dafs man noch nicht auf Zahlendata rechnen kann. Bef. zweifelt, dafs es \u00fcberhaupt jemals m\u00f6glich sein wird, etwas Exactes darin zu erreichen.\tGiessler (Erfurt).\nLino Ferriani. Schlaue und gl\u00fcckliche Verbrecher. Ein Beitrag zur gerichtlichen und gesellschaftlichen Psychologie. Deutsch von A. Buhmann. Berlin, J. Cronbach, 1899. XXXI u. 492 S.\nDer ungemein fleifsige Verf. will eine Arbeit auf wissenschaftlicher Basis und mit sozialen Zielen liefern \u00fcber das heimliche und offene Verbrecherthum, das sich der Gerechtigkeit durch seine Verschlagenheit entzieht. Zu diesem Zwecke versucht er uns zun\u00e4chst das psychologische Problem des sozialen Lebens unter seinen verschiedenen Gesichtspunkten vorzuf\u00fchren, in seiner Wirklichkeit und in seiner literarischen Wiedergabe, und er thut dies an der Hand eines geradezu erdr\u00fcckenden Materiales. Was hat der Mann alles gelesen! Wir werden mit Citaten geradezu \u00fcbersch\u00fcttet und unwillk\u00fcrlich zu der Frage gedr\u00e4ngt, ob sich nicht der Meister in der Beschr\u00e4nkung gezeigt haben w\u00fcrde. Sicherlich ladet die italienische Sprache dazu ein, in einen gewissen Pathos zu verfallen, welcher der unseren nicht ganz so gut zu Gesichte steht, und wir h\u00e4tten Manches einfacher gew\u00fcnscht.\nAber Alles in Allem enth\u00e4lt das Buch eine Unsumme von gut beobachteten Thatsachen und einen Beichthum an Daten und geistreichen Bemerkungen.\nWer dar\u00fcber noch im Unklaren sein sollte, dafs unsere Strafgesetze mit der Entwickelung der Civilisation nicht gleichen Schritt gehalten haben, und der Schutz der Ehre neben dem Schutze an Person und Eigenthum nicht sehr im Biickstande geblieben sei, der w\u00fcrde sich frei eines Besseren belehren k\u00f6nnen und verstehen lernen, wie zur Zeit wenigstens der Kampf gegen eine Selbsth\u00fclfe auf diesem Gebiete der erforderlichen Unterlagen entbehrt.\nDies und noch vieles Andere kann er aus dem Buche lernen, das zu dem eine nicht gar zu schwere Unterhaltung gew\u00e4hrt.\tPelman.\nConrad Bieger. Die Castration in rechtlicher, socialer und vitaler Hinsicht.\nJena, G. Fischer, 1900. 113 S.\nEin eigenth\u00fcmliches Buch. Selten ist wohl in einer wissenschaftlichen Abhandlung eine sch\u00e4rfere Polemik getrieben worden, selten tr\u00e4gt ein","page":398}],"identifier":"lit31797","issued":"1900","language":"de","pages":"396-398","startpages":"396","title":"Winiarski: L'\u00e9nergie sociale et ses mensurations. Rev. philos. 49 (2), 113-134; (3), 256-287. 1900","type":"Journal Article","volume":"24"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:26:38.102321+00:00"}