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{"created":"2022-01-31T13:36:03.647941+00:00","id":"lit31810","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Cohn, J.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 23: 120-124","fulltext":[{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"\u00ce20\nIAteralurbericht.\nl\u00e4nglichkeit der DARWiij\u2019schen Lehre allein zur Erkl\u00e4rung des Entstehens der Arten.\nEinige der von H. aufgestellten S\u00e4tze sind folgende: Die F\u00e4higkeit, mit abstracten Begriffen zu arbeiten ist dem Menschen anerzogen, nicht angeboren. (S. 10). Das Verhalten von Mensch und Thier ist in jedem Falle nur die Wirkung eines sich abspielenden chemisch-physiologischen Processes (S. 13). Freude und Schmerz sind rein k\u00f6rperlicher Natur (S. 24). Die Erziehung wirkt nicht auf eine Seele ein, sondern auf den K\u00f6rper. Denn nur dieser, nicht aber eine Seele ist der allm\u00e4hlichen Entwickelung bed\u00fcrftig und f\u00e4hig (S. 34). Alle unsere Handlungen sind stets nur secund\u00e4r, niemals prim\u00e4r d. h. niemals von uns selbst direct veranlagt und vollzogen, sondern der prim\u00e4re Anlafs zu denselben liegt in den sie erzwingenden Umgebungen (8. 46). Es ist ungerechtfertigt, die planm\u00e4fsigen Handlungen des Menschen auf den Verstand als einen Bestandtheil der Seele zur\u00fcckzuf\u00fchren (S. 52). Thier und Pflanze denken auch ohne Sprache ganz gleich d. h. es denkt keine von ihnen, falls man mit dem Worte denken eine seelische Th\u00e4tigkeit bezeichnen will, sondern sie empfinden alle k\u00f6rperlich die Einwirkung der betreffenden Umgebung und passen sich, wenigstens einmal afficirt, derselben an. Da es \u00fcberhaupt ein Denken nicht giebt, so kann dasselbe auch nicht durch die Sprache erm\u00f6glicht werden (S. 76) u. s. w.\nIn solchen und \u00e4hnlichen Behauptungen geht Verf. zu weit, und wir Psychologen k\u00f6nnen sie nicht unterschreiben. Es zeigt sich hier wieder einmal, was der Philosoph Lange gesagt hat, dafs n\u00e4mlich der Materialismus als Methode und Forschungsmaxime n\u00fctzlich und unentbehrlich, aber als Princip, System, Weltanschauung unfruchtbar und unhaltbar ist.\nGncs\u00dfLRR (Erfurt).\nF. Rauh. De la m\u00e9thode dans la psychologie des sentiments. Paris, Alcan, 1899. 307 S.\nDarf man ein Buch systematisch referiren, das den Systemgeist in der Psychologie bek\u00e4mpft, ihn durch eine mannigfaltige Anwendung aller denkbaren Methoden und Gesichtspunkte ersetzen m\u00f6chte, und selbst ein Beispiel dieser frei-geistreichen Behandlungsart ist? Thut man damit seinem Verfasser nicht Unrecht, welchem man doch f\u00fcr eine h\u00f6chst anziehende Lekt\u00fcre, f\u00fcr vielseitige Anregungen zum Nachdenken, f\u00fcr eine F\u00fclle feiner Beobachtungen und Einzelbemerkungen zu grofsem Danke verpflichtet ist? In der That ist zu f\u00fcrchten, dafs auf diese Weise die Schw\u00e4chen des Werkes \u2014 darunter vielleicht solche, die ganz in der Absicht des Vert\u2019s liegen \u2014 ungeb\u00fchrlich vortreten und einen falschen Gesammteindruck zur\u00fccklassen. Darum sei im Voraus erkl\u00e4rt, dafs aufser den schon erw\u00e4hnten Verdiensten, welche sich als lebensvoller, im besten Sinne franz\u00f6sisch beweglicher Geist zusammenfassen lassen, das vorliegende Buch auch durch eine sehr ausgebreitete und gr\u00fcndliche Benutzung der einschlagenden Literatur aus* gezeichnet ist. Wie der Zweck des Verf.\u2019s das mit sich bringt, wird die Literatur vielfach als Gegenstand entschiedener Polemik eingef\u00fchrt, aber der Ton dieser Polemik ist stets von wohlthuender Urbanit\u00e4t und Sachlichkeit.","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"I\u00c0teraturbericht.\n121\nWenn nun trotz aller Bedenken an ein Referat der Hauptgedanken gegangen wird, so geschieht dies, weil methodologische Thesen aufgestellt, verfochten und auf die Theorie der Gef\u00fchle angewendet werden. Solche Aufstellungen verlangen eine sachlich-strenge Pr\u00fcfung, die nur durch Einsicht in ihren Zusammenhang denkbar ist. Man ist sonst in Gefahr, sich durch den Eindruck geschickter Raisonnements blenden zu lassen.\nDer Verf. unterscheidet die im weiteren Sinne wissenschaftlichen Erkl\u00e4rungsarten in \u201escientifiques\u201c, was wir obwohl dem franz\u00f6sischen Sinne nicht ganz entsprechend im Folgenden mit \u201enaturwissenschaftlich\u201c wiedergeben wollen, und in philosophische. Das Kennzeichen der naturwissenschaftlichen Haltung ist nicht ein besonderer Grad der Gewifsheit (24 f.), eben so wenig ein besonderer Begriffsinhalt (25 f.), sondern vielmehr eine besondere Abzweckung ihrer Theorien. Diese gehen entweder auf Vorher-sagung der Zukunft oder auf blofse \u201eInterpretation\u201c aus. Interpretation ist f\u00fcr Rauh die Uebersetzung der Thatsachen in eine ihnen zun\u00e4chst fremde Sprache, z. B. der Atomistik, der Mathematik. Eine philosophische Theorie dagegen ist vom Geist des Systems beherrscht und dient den Bed\u00fcrfnissen, besonders dem Einheitsbed\u00fcrfnifs unseres Geistes. \u2014 Gegen diese grundlegende Unterscheidung lassen sich die st\u00e4rksten Einw\u00e4nde erheben. Zun\u00e4chst scheint die \u201eInterpretation\u201c ein sehr unbestimmter Begriff zu sein, und ferner scheint sie, sofern sie nicht der bequemeren Vorhersage dient1, doch eben gerade aus dem Einheitsbed\u00fcrfnifs des Geistes zu entspringen. Diesem Einwand scheint die Bemerkung S. 199 ausweichen zu sollen, dais eine solche \u201eUebersetzung\u201c (traduction) nur dann naturwissenschaftlich ist, wenn die Thatsachen nur in dieser einen Sprache ausdr\u00fcckbar sind. Aber ein solcher Fall ist kaum denkbar. Newton\u2019s Theorie des Lichtes ist wissenschaftlich im Sinne der Physik, die Goethe\u2019s ist es nicht \u2014 aber die Thatsachen lassen sich recht wohl auch in der Sprache der GosTHB\u2019schen Theorie ausdr\u00fccken. Allerdings erlaubte Newton\u2019s Theorie die Entdeckung neuer Thatsachen \u2014 aber das macht ihren wissenschaftlichen Werth doch nicht allein aus. Vielmehr hat die \u201eSprache\u201c, in welche sie die Thatsachen \u00fcbersetzt, besondere Eigenth\u00fcmlichkeiten : sie setzt eine quantitativ bestimmbare Art von Ver\u00e4nderungen an Stelle einer Mannigfaltigkeit von Qualit\u00e4ten, sie erlaubt schliefslich, freilich erst nach vielen Umgestaltungen, eine Einf\u00fcgung in ein System physikalischer Erkl\u00e4rung, das alle k\u00f6rperlichen Vorg\u00e4nge auf r\u00e4umliche Aenderungen von Erhal-tnngsgr\u00f6fsen zur\u00fcckf\u00fchrt. Also \u201eBed\u00fcrfnisse des Geistes\u201c \u2014 wenn man diesen etwas bedenklich subjectivistischen Ausdruck hier, wo die tiefste er-kenntnifstheoretische Analvse nicht versucht werden kann, beibeh\u00e4lt. Da-mit wird Rauh\u2019s Grundunterscheidung ersch\u00fcttert. \u2014 Nun trifft aber vielleicht das, was er f\u00fcr alle Einzelwissenschaften behauptet, wenigstens f\u00fcr die Psychologie zu, die er als Wissenschaft des Concreten bezeichnet (S. 122).\n1 Dies thut z. B. auch die Darstellung einer Bewegung durch eine Curve, trotz der entgegenstehenden Behauptung S. 179. \u2014 Denn was soll die Curve anders leisten, als dafs das Resultat der Bewegung in jedem Zeitmoment an ihr ablesbar ist? \u2014","page":121},{"file":"p0122.txt","language":"de","ocr_de":"122\nLiteraturbei'icht.\nEr scheint damit verwandte Bestrebungen zu verfolgen wie Dilthby \u2014 nur ohne dessen besondere Tendenz auf die Geschichte. Indessen der abstract\u00a9 Charakter aller psychologischen Begriffe, ja des Begriffes \u201epsychisch\u201c selbst widerlegt eine solche Behauptung. Auf eine gr\u00fcndlichere Besprechung dieser These einzugehen, verbietet der einer Becension zukommende Baum \u2014 \u00fcberdies ist es unn\u00f6thig, da auch Eauh seine Behauptung nicht prin-cipiell begr\u00fcndet. Anstatt dessen beweist er die Noth Wendigkeit, die Psychologie frei, mit vielseitiger Benutzung aller Methoden und Theorien fast literarisch zu treiben, durch eine Art von indirectem Verfahren. Er pr\u00fcft n\u00e4mlich an dem Beispiel der Gef\u00fchle die verschiedenen Methoden und Theorien durch, und findet, dafs sie alle zwar Einiges leisten, dafs aber jede einzelne f\u00fcr sich genommen ungen\u00fcgend ist. Dieser Durchpr\u00fcfung liegt eine Eintheilung der m\u00f6glichen Ansichten zu Grunde.\nDie Gef\u00fchle werden (S. 40,42) als die subjectiven oder individuellen Be-wufstseinthatsaehen definirt. Individuell boII hierbei augenscheinlich so viel bedeuten als: auf das Ich bezogen. Die Gef\u00fchle sind nicht nothwendig mit Lust oder Unlust verbunden, sondern k\u00f6nnen auch indifferent sein, es giebt zwingende Gr\u00fcnde zur Annahme unbewufster Gef\u00fchle (Cap. III). Diese sind durch ihre Wirksamkeit bekannt und werden als \u201esentiments r\u00e9els\u201c den \u201esentements sentis\u201c gegen\u00fcbergestellt. Solche \u201ewirklichen\u201c Gef\u00fchle liegen den \u201egef\u00fchlten\u201c selbst \u00dcberall zu Grunde. Diese ganze Lehre vom Unbewufsten hat mit der von Lipps vertretenen viele Ber\u00fchrungspunkte. Weiter werden \u2014 unter Ablehnung einer reinen Aetualit\u00e4tslehre, Zust\u00e4nde und sich entwickelnde Tendenzen unter den Gef\u00fchlen unterschieden, und zwar sowohl sofern man die bewufeten als sofern man die unbewufsten \u201erealen\u201c Gef\u00fchle in Betracht zieht (Cap. IV und V). Die Theorien nun, die sich mit den Gef\u00fchlen besch\u00e4ftigen (Cap. VI), k\u00f6nnen die Gef\u00fchle entweder als Thatsachen ganz besonderer Art (faits sp\u00e9ciaux) oder als wesentlich intellectueller oder als wesentlich organischer Natur betrachten. In jedem dieser F\u00e4lle k\u00f6nnen auf sie die Methoden der mechanistischen Physik, der Chemie oder der (teleologisch-entwickelnngsgeschicht-lich aufgefafsten) Biologie angewendet werden. Wie man aber auch sonst vorgehen mag, jedenfalls mufs eine Classification der Thatsachen vorangehen. Unter diesen Eintheilungen wird zun\u00e4chst die zweite dadurch recht bedenklich, dafs Bauh annimmt, eine bestimmte Methode werde angewandt, um zu Gesetzen zu gelangen, die auch inhaltlich der methodisch vorbildlichen Wissenschaft entsprechen. So wird (S. 107) von den alB physico-mechanisch bezeichneten experimentellen Methoden behauptet, sie behandelten die Gef\u00fchle wie mefsbare und in mechanischen Beziehungen stehende Kr\u00e4fte. Das ist aber f\u00fcr die grofse Mehrzahl der experimentellen Untersuchungen unzutreffend, vielmehr bem\u00fchen sich diese fast stets nur mit H\u00fclfe von geh\u00e4uften Beobachtungen unter m\u00f6glichst gut bekannten, gleich-m\u00e4fsigen und regulirbaren Bedingungen einen Stamm fester Thatsachen und empirischer Gesetze zu gewinnen. Diese bleiben dann immer auf verschiedene Art theoretisch ausdeutbar. In Cap. VIII werden die Geringf\u00fcgigkeit der Besultate und die Widerspr\u00fcche der Experimentatoren unter einander in einer geistreichen Art zusammengestellt, die fast an Fbchner\u2019s Gewohnheit erinnert, widersprechende theoretische Ansichten zu einem","page":122},{"file":"p0123.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht\n123\nerg\u00f6tzlich widerspruchsvollen Mosaik zu verarbeiten. Der Sache wird, wie mir scheint, weder durch Fechner\u2019b noch durch Rauh\u2019s Verfahren gedient. \u2014 Theorien lassen sich so wenig durch herauagerissene Folgerungss\u00e4tze als Versuche durch Zusammenstellung widersprechender Ergebnisse be-tmd verurtheilen. Dazu geh\u00f6rt bei Theorien die Nachpr\u00fcfung der Voraussetzungen und der herrschenden Denkmotive, bei Versuchsreihen eine genaue Ber\u00fccksichtigung von Fragestellung und Methode.\nDie intellectualistische Theorie f\u00fchrt die Gef\u00fchle auf Vorstellungen, Urtheile etc. zur\u00fcck (S. 117, 175). Dabei macht sich der Doppelsinn des Wortes \u201eZur\u00fcckf\u00fchrung\u201c st\u00f6rend geltend. Man meint Anfangs, es handle sich um eine analytische Zur\u00fcckf\u00fchrung, wobei als Elemente des Gef\u00fchles intellectuelle Thatsachen gefunden werden, w\u00e4hrend es sich dann weiterhin um eine causale Erkl\u00e4rung der Gef\u00fchle aus intellectuellen Thatsachen handeln soll. Die Theorie der \u201efaits sp\u00e9ciaux\u201c f\u00e4llt demnach dann mit der Annahme einer besonderen Causalit\u00e4t der Gef\u00fchle zusammen, d. h. sie setzt einen (teleologisch wirkenden) Willen oder doch willensartig Tendenzen als psychische Kr\u00e4fte voraus. Daher wird sie auch als \u201evoluntaristische\u201c Theorie bezeichnet.\nW\u2019ir k\u00f6nnen den einzelnen Auseinandersetzungen nicht nachgehen, in denen allen diesen Theorien und Methoden zum Theil Recht, zum Theil Unrecht gegeben wird. Im ganzen sind die intellectualistische und voluntaristische Theorie \u2014 zur Zeit wenigstens \u2014 nach Ansicht des Verfassers brauchbarer als die organische \u2014 ebenso sind beschreibende und teleologisch-biologische Methoden (was methodisch unter letzteren gedacht wird, ist nicht v\u00f6llig klar) aussichtsreicher als physikalische. Aber alle sollen frei Zusammenwirken, keine soll herrschen \u2014 und neben ihnen beh\u00e4lt die Beschreibung von Einzelthatsachen ihr besonderes Recht.\nMan kann nicht sagen, dafs ein solches Resultat sehr bedeutsam und aufkl\u00e4rend wirkt. Bei aller Freude an vielen vortrefflichen Einzelheiten legt man das Buch unbefriedigt aus der Hand. Und das d\u00fcrfte an dem Plane der Arbeit liegen. Die principiellen Fragen der Methodologie k\u00f6nnen nur durch erkenntnifstheoretische Erforschung der Grundvoraussetzungen der Wissenschaft gel\u00f6st werden. Bei Rauh hat man h\u00e4ufig (besonders bei der Analyse des Selbstbewufstseins 225\u2014236) das Gef\u00fchl, dafs er in dieser Beziehung tiefere Untersuchungen f\u00fcr sich angestellt hat, als er mitzutheilen f\u00fcr gut findet \u2014 doch begegnet dazwischen ein so bedenklicher Begriff, wie der eines individuellen Gesetzes, das dem einzelnen Selbstbewufstsein zu Grunde liegt (227), ein Begriff, der nach Analogie der LEiBNiz\u2019schen Monade gebildet ist, und, wie diese, eine Hypostase des Unendlichen einschliefst. Jedenfalls fragt man bei den principiellen Grundlagen stets ungeduldig weiter, und weifs nicht, wie weit der etwas nebelhafte Charakter vieler Begriffe nur f\u00fcr den Leser \u2014 der den vollen Gedanken gang des Autors nicht kennt \u2014 inwieweit er auch f\u00fcr den Autor vorhanden ist.\nDie speciellen Fragen der methodischen Technik aber werden am sichersten stets durch musterhafte und zugleich mit methodologischem Be-wufstsein unternommene Einzeluntersuchungen \u2014 oder durch eingehende vergleichende Analyse solcher klassischer Einzeluntersuchungen (an denen es freilich in der Psychologie bes. der Gef\u00fchle noch g\u00e4r sehr fehlt) gekl\u00e4rt","page":123},{"file":"p0124.txt","language":"de","ocr_de":"124\nLiteratwrbericht.\nDie summarische Uebersicht des Verf.\u2019s, bei der theoretische und methodologische Fragen fortw\u00e4hrend vermischt werden, f\u00fchrt zu keiner wirklich eindringenden Behandlung.\tJ. Cohn (Freiburg i. B.).\nF. le Dantec. La th\u00e9orie biochimique de l\u2019h\u00e9r\u00e9dit\u00e9. Rev. philos. 47 (5), 457\u2014494. 1899.\nVon le Dantec sind bereits eine Reihe neuer Theorien auf dem Gebiete des Lebens zu verzeichnen. Ihnen schliefst sich die vorliegende biochemische Theorie der Vererbung an, welche nach Verf. mindestens ebenso vollst\u00e4ndige Erkl\u00e4rungen von allen Ph\u00e4nomenen des Lebens bietet wie die vitalistische, mittelst der man aber aufserdem nach Verf. neue Erscheinungen vorauszusehen vermag, welche die vitalistische nicht ver-muthen liefs. Nach der vitalistischen Theorie besitzen bekanntlich die organischen K\u00f6rper aufser den chemischen Eigenschaften noch vitale. Der biochemischen Theorie steht erstlich das Bedenken entgegen, dafs jeder leblose K\u00f6rper, welcher rein chemisch reagirt, dadurch in Bezug auf seine chemische Zusammensetzung zerst\u00f6rt wird, dafs beim lebenden K\u00f6rper dagegen durch chemisches Reagiren eine Vermehrung seiner Masse stattfindet. Um daher in beiden F\u00e4llen von chemischen Vorg\u00e4ngen reden zu k\u00f6nnen, stellt Verf. eine neue Definition von Chemie auf: Es ist die Wissenschaft von den Eigenschaften, welche einer chemischen Structur inh\u00e4riren. Ein zweites Bedenken ist Folgendes: Alle lebenden K\u00f6rper sind fortw\u00e4hrend in Activit\u00e4t, die chemischen dagegen k\u00f6nnen einige Zeit in chemischer Ruhe erhalten werden. Indessen giebt es auch niedere Organismen, wie z. B. die Sporen von Schimmelpilzen, welche man ebenso aufbewahren kann wie Chemikalien. Das ist latentes immanentes Leben.\nVon diesem biochemischen Standpunkte aus sucht Verf. nun die Lebenserscheinungen, namentlich die Vererbung, zu erkl\u00e4ren: Die Plastiden derselben Art unterscheiden sich nur durch quantitative Differenzen. Die lebenden Substanzen zeigen constructive (Assimilationen) und destructive (analytische) Reactionen. Erstere treten nur ausnahmsweise auf unter Umst\u00e4nden, welche die Bedingungen des elementaren Lebens realisiren, letztere in allen anderen F\u00e4llen von chemischer Activit\u00e4t. Erstere vermehren die Quantit\u00e4t der plastiden Substanzen, letztere bilden den Grund f\u00fcr Variationen. Nach Verf. entstehen demnach die Variationen durch Ver\u00e4nderungen der quantitativen Zusammensetzung. Nehmen wir einen Polyplastiden. Hier werden die einzelnen Elemente von ihrer Nachbarschaft aus beein-flufst. Nicht jedes wird in directem Contact mit dem \u00e4ufseren Medium stehen. Die Assimilation wird nicht mit derselben Schnelligkeit an allen Punkten erfolgen. Es wird Orte geben, wo die Abwesenheit von Nahrung momentan eine gewisse Destruction gewisser plastischer Substanzen herbeif\u00fchren w\u00fcrde. Hieraus entspringt die histologische Differentiirung in der individuellen Entwickelung des Polyplastiden.\nEs giebt eine beschr\u00e4nkte Zahl von specifischen Formen f\u00fcr eine Polyplastidenart. Die Reihe der successiven Formen wird immer dieselbe sein. Jedesmal die vorhergehende Variet\u00e4t wird Wesen hervorbringen, welche der n\u00e4chst folgenden Variet\u00e4t angeh\u00f6ren. Die Vererbung ist die Gesammtheit der Eigenschaften des Ei\u2019s. Die Eigenschaften offenbaren","page":124}],"identifier":"lit31810","issued":"1900","language":"de","pages":"120-124","startpages":"120","title":"F. Rauh: De la m\u00e9thode dans la psychologie des sentiments. Paris, Alcan, 1899. 307 S","type":"Journal Article","volume":"23"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:36:03.647946+00:00"}