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{"created":"2022-01-31T14:00:46.566653+00:00","id":"lit31812","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Offner","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 23: 126-128","fulltext":[{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nLi teraturberich t.\nBisher nahm Verf. immer nur ein elterliches Individuum an. Jetzt geht er zur sexuellen Vererbung \u00fcber. Die sexuellen Elemente stellen unvollkommene Plastiden dar. Sie sind unf\u00e4hig zu assimiliren und besitzen kein Gleichgewicht. Die aus der Befruchtung hervorgehenden Individuen dagegen besitzen Gleichgewicht. Das Resultat der Befruchtung von Sperma und Ei enth\u00e4lt beide Geschlechter. Demnach scheint der Hermaphroditismus die Regel zu sein. Es giebt also in dem jungen Individuum zwei Gruppen von desequilibrirten Individuen, deren eine das genitale Gewrebe des M\u00e4nnchens, die andere das genitale Gewebe des Weibchens zusammensetzt. Bei den wirklichen Hermaphroditen gelangen beide Gewebe zur Reife. Bei den eingeschlechtlichen atropirt das eine von beiden. Sind a, b, c, d, e, f die Elemente des K\u00f6rpers, so wird das weibliche Organ gebildet sein aus den Elementen af, bf, Cf, df .. ., das m\u00e4nnliche aus den Elementen am, bm, Cm - \u25a0 \u2022 Nehmen wir nun an, dafs von zwei sich befruchtenden Individuen das eine drei Molec\u00fcle am hat, das andere zwei Molec\u00fcle af, so werden sich nur je zwei Molec\u00fcle befruchten k\u00f6nnen und zwei neue Molec\u00fcle a bilden. Also immer die kleinsten der entsprechenden Coefficienten kommen zur Befruchtung. Sind alle Coefficienten des Sperma kleiner als die des Ei\u2019s, so wird das befruchtete Ei dem Vater gleichen, sind sie gr\u00f6fser, so der Mutter; sind einzelne Coefficienten kleiner, andere gr\u00f6fser, so wird das Junge ein Mittelding werden. Dies nennt le Dantec das sexuelle Gesetz vom kleinsten Coefficienten, welches den Gipfelpunkt der ganzen Abhandlung bildet. \u2014\nMan kann nicht l\u00e4ugnen, dafs die Ausf\u00fchrungen le Dantec\u2019s etwas Bestechendes an sich tragen, obwohl zu wenig Beispiele aus der Praxis herangezogen sind. Die ganze Richtung ist jedoch bedenklich. Wir werden niemals dahin gelangen k\u00f6nnen, die eigentlichen seelischen Vorg\u00e4nge in biochemische aufzul\u00f6sen. Unerfindlich ist mir, wie Verf. mit H\u00fclfe seiner Theorie z. B. die Beherrschung der Leidenschaften erkl\u00e4ren will, wo doch offenbar das Seelische der nat\u00fcrlichen Zusammenfassung des jeweilig k\u00f6rperlichen Atomzustandes als etwas Selbst\u00e4ndiges gegen\u00fcbertritt, wo also gerade eine Abstraction vom Biochemischen stattfindet.\nGiessler (Erfurt).\nE. Blum. La p\u00e9dologie. Ann\u00e9e psychologique 5, 299\u2014331. 1899.\nDie P\u00e4dagogik hatte in Frankreich nach einer kurzen Periode raschen Aufbl\u00fchens und \u00fcbertriebener Erwartungen geraume Zeit geringes Ansehen genossen. Erst in den letzten Jahren hat sie sich wieder mehr Beachtung errungen, freilich nicht ohne an dem alten Vorurtheile, welches nicht unterscheidet zwischen Kindererziehung und Kinderforschung, manchen z\u00e4hen Widerstand zu finden. Als Buisson\u2019s besonderes Verdienst r\u00fchmt es Blum, dafs er in Frankreich die kinderpsychologischen Arbeiten Deutschlands, Amerikas, Italiens bekannt machte und allm\u00e4hlich in weiteren Kreisen der Ueberzeugung zum Durchbruch verhalf, dafs eine wirklich wissenschaftliche Theorie der Erziehung keine Unm\u00f6glichkeit ist. Es ist ja auch die nothwendige Consequenz der experimentellen und physiologischen Psychologie der letzten Jahrzehnte. Heifssporne der neuen Richtung, die sich auch bald zeigten, sahen bereits mit Verachtung auf die alte P\u00e4dagogik","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Litera turberich t\n127\nzur\u00fcck, verkannten aber ganz das wahre Verh\u00e4ltnis zwischen dieser alten und ihrer neuen P\u00e4dagogik. Zwischen diesen beiden besteht gar nicht der Gegensatz, den jene und manche andere zu sehen vermeinen. Die sog. neue P\u00e4dagogik will Wissenschaft sein, will die kindliche Entwickelung psychologisch und physiologisch erforschen, die sog. alte P\u00e4dagogik ist eine Technik, wenn man will, eine Kunst; sie will ein Gegebenes umbilden, vervollkommnen, mit einem Wort, sie will das Kind erziehen, aber nicht erforschen.\nAber indem beide ihren Zielen nach verschieden sind, die erstere eine feste Erkenntnifsgrundlage schaffen will f\u00fcr die Th\u00e4tigkeit der zweiten, ist doch gezeigt, inwiefern sie Zusammenh\u00e4ngen. Neue Aufschl\u00fcsse \u00fcber die psychisch-physische Entwickelung des Kindes werden nat\u00fcrlich auch die Methode der Erziehung \u00e4ndern. Aber wie gesagt, beides sind ganz verschiedene Dinge und verschiedene Dinge sollten auch verschiedene Namen haben. Der alte Name \u201eP\u00e4dagogik\u201c f\u00fcr Erziehung m\u00f6ge bleiben, die wissenschaftliche Erforschung der f\u00fcr jene die Voraussetzung bildenden psycho-physischen Thatsachen heifse \u201eP\u00e4dologie\u201c nach Chrisman\u2019s gutem Vorschlag. Die P\u00e4dologie zerf\u00e4llt in P\u00e4diatrie, welche sich mit dem durch St\u00f6rungen irgend welcher Art in der Entwickelung behemmten Kinde be-fafst; die P\u00e4dologie des Laboratoriums w\u00fcrde umfassen die P\u00e4dometrie, P\u00e4dophysiologie und die anthropologische P\u00e4dologie; dazu k\u00e4me endlich die introspective P\u00e4dologie, welche sich auf die Aussagen von Erwachsenen und Kindern \u00fcber sich und andere u. dgl. st\u00fctzt. Dafs dabei sich manche Arbeit zweifelhaften Werthes ergeben wird, welche zur Kenntnifs und Erziehung des Kindes wenig beitr\u00e4gt, ist selbstverst\u00e4ndlich. Das ist aber in allen Forschungsgebieten gleich. Dafs weiterhin oft nur die Erfahrungen fr\u00fcherer Zeiten best\u00e4tigt werden, ist vorauszusehen. Das ist auch nicht anders in den anderen Gebieten der exacten Forschung. Das Werthvolle liegt hier in der wissenschaftlich gesicherten Fixirung dieser alten Erfahrungen. Eine gute Vermuthung, eine gl\u00fcckliche Beobachtung wird erst durch Messung und Experiment zu einer wissenschaftlichen, unbestreitbaren Thatsache.\nUebrigens hat die P\u00e4dologie, so jung sie ist, doch nicht blos Best\u00e4tigungen alter Ansichten geliefert; sie hat auch bereits manchen Irrthum unter den \u00fcblichen Anschauungen nachgewiesen. So fand Vit. Vitali, dafs die gewohnte Meinung, in der Jugend herrsche die Phantasie vor und besonders die weibliche Jugend zeichne hierin sich aus, wenigstens f\u00fcr die Mittelschuljugend seines Untersuchungsgebietes, der Romagna, nicht zutreffe. Und wie kl\u00e4rend wirkte in der so viel und doch so oberfl\u00e4chlich behandelten Frage der Erm\u00fcdung und Ueberb\u00fcrdung die treffliche Abhandlung von Binet und Henri: La Fatique intellectuelle! Auch das Capitel der Disciplin und Strafen wird eine Vertiefung erfahren, wenn die Gefahr der Suggestion und Nachahmung, der nach Alter und Geschlecht sich \u00e4ndernden Aufmerksamkeit bei gesunden und kranken Kindern, in welcher Richtung die TR\u00dcPEB\u2019sche Zeitschrift: \u201eDie Kinderfehler\u201c schon einen erfolgversprechenden Anfang gemacht hat, hinreichend erkannt und gew\u00fcrdigt sind.","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nLitera turberich t.\nFreilich mufs man sich in der n\u00e4chsten Zeit noch sehr vor weitergehenden Schl\u00fcssen h\u00fcten. Vorl\u00e4ufig kommt es nur darauf an, m\u00f6glichst reichliches und m\u00f6glichst sicheres Thatsachenmaterial zu sammeln und zu ordnen* Das sonst so vortreffliche Buch von Binet und Henri lieferte in einem Falle, in der Untersuchung \u00fcber das Verh\u00e4ltnifs zwischen Erm\u00fcdung und Nahrungsaufnahme, ein gutes Beispiel, wie gef\u00e4hrlich es ist, auf ungen\u00fcgend breiter Erfahrungsbasis Folgerungen zu ziehen. Eine andere Aufgabe ist gegenw\u00e4rtig, die Forschungsmethoden auszubilden und zu vermehren. In dieser Richtung liegt ein Hauptverdienst des BiNET-HENRi'schen Buches. Die Forscher haben eine vollkommene Methodologie geschaffen \u2014 oder, um uns genauer als der Verf. dieses Artikels auszudr\u00fccken, sie haben die Methoden, die andere, Deutsche und Amerikaner, angewendet haben, kritisch gepr\u00fcft und zusammengestellt. Einen weiteren Beweis f\u00fcr die Leistungsf\u00e4higkeit der noch so jungen Wissenschaft der P\u00e4dologie geben die Arbeiten des schon erw\u00e4hnten Vit. Vitali: Studi antropoligici in servizio della pedagogia (1896). Auf ihre Ergebnisse einzugehen, ist hier nicht der Ort. Aber jedenfalls geben sie Blum recht, wenn er der P\u00e4dologie ein weites Feld der Forschung zuspricht. Uebrigens hat man in Frankreich den Werth derartiger Untersuchung auch endlich erkannt. Nicht nur an der Sorbonne, sondern auch in Lille ist ein Institut f\u00fcr Erziehungswissenschaft nach dem Vorbild der amerikanischen Child-Study-Institute errichtet worden. Mit der Hoffnung, dafs bald jede Universit\u00e4t solch ein p\u00e4do-logisches Institut besitzt, schliefst der beredte Sachwalter der P\u00e4dologie sein Pl\u00e4doyer f\u00fcr die junge Wissenschaft.1\tOffner (M\u00fcnchen).\nM. A. MacDonald. Observations et exp\u00e9riences psycho-physiologiqves sur les enfants. Revue scientifique 12 (3), 70\u201473. 1899.\nDie Beobachtungen beziehen sich auf Kinder in den Schulen der vereinigten Staaten Nordamerika^.\nBei den Kindern der Berge von Nord-Karolina findet man einen gr\u00f6fseren Procentsatz von Dolichocephalen und einen geringeren von Brachycephalen als bei den Sch\u00fclern von Washington. Der Localisations-sinn ist weniger entwickelt und die Kraft der H\u00e4nde st\u00e4rker bei ersteren als bei letzteren. Ebenso verh\u00e4lt es sich mit den M\u00e4dchen. Der Unterschied der Empfindlichkeit zwischen rechter und linker Handwurzel ist variabler auf den Bergen als in den Schulen von Washington.\nBei den Sch\u00fclern von New-Haven bemerkte Verf. eine graduelle Vermehrung der Geschicklichkeit, Gewichte zu unterscheiden vom 6. bis zum 13. Jahre. Nach 12 Jahren erlangen die M\u00e4dchen eine gr\u00f6fsere Lungen-capacit\u00e4t, die Knaben nicht vor dem 14. Jahre. Die Lebenswende erfolgt sp\u00e4ter bei den Knaben als bei den M\u00e4dchen. Die Geschicklichkeit steigt mit dem Alter, die Geschicklichkeit der Bewegung entspricht dem K\u00f6rper-\n1 Mit diesem Aufsatze deckt sich in mancher Beziehung der vom gleichen Verf. stammende Artikel: Le mouvement p\u00e9dologique et p\u00e9d* gogique. Rev. philos. 46 (11), 1898. Vgl. die Besprechung desselben in dieser Zeitschr. 22, 61 ff.","page":128}],"identifier":"lit31812","issued":"1900","language":"de","pages":"126-128","startpages":"126","title":"E. Blum: La p\u00e9dologie. Ann\u00e9e psychologique 5, 299-331. 1899","type":"Journal Article","volume":"23"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:00:46.566659+00:00"}