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{"created":"2022-01-31T16:11:03.775037+00:00","id":"lit31876","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kiesow, F. ","role":"author"},{"name":"R. Hahn","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 80-94","fulltext":[{"file":"p0080.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus der von Dr. Kiesow geleiteten Abtheilung f\u00fcr experimentelle Psychologie des physiologischen Instituts der Universit\u00e4t Turin.)\nlieber Geschmacksempfindungen im Kehlkopf.\nVon\nF. Kiesow und R. Hahn.\nIm J. 1868 beschrieb E. Vebson1 2 im zweiten Viertel der hinteren Epiglottisfl\u00e4che des Menschen Gebilde, die er mit einigen Abweichungen in allen wesentlichen Punkten als mit denen \u00fcbereinstimmend erkannte, die kurz zuvor von G. Schwalbe* und Ch. Lov\u00e9n 3 4 gleichzeitig und unabh\u00e4ngig von einander in der Zunge des Menschen und einiger S\u00e4ugethiere gefunden und von diesen Forschem als die Elementarorgane des Geschmackssinnes gedeutet waren, nachdem schon F. E. Schulze * 1863 die 1851 von Leydig 5 im geschichteten Epithel der S\u00fcfswasserfische gesehenen \u00e4hnlichen Gebilde als Geschmacksorgane erkannt und diese mit den von ihm selbst in der Gaumenschleimhaut der Fische, sowie 1861 von Axel Key 6 in den pilzf\u00f6rmigen Papillen der Froschzunge entdeckten Organen als in functioneller Hinsicht gleichbedeutend bezeichnet hatte. Auf Grund der erw\u00e4hnten Beobachtung leugnete Vebson die Auffassung dieser Gebilde als Geschmacksorgane, da sie eben auch an einer Stelle gefunden w\u00fcrden, wohin keine Geschmacksstoffe gelangen. So auch noch Fosteb 1881 (s. u.).\n1\tE. Verson, Wienei' Sitzungsberichte 57 (1), 1093.\n2\tG. Schwalbe, Arch. f. mikroskop. Anat. 3, 504 ; 4, 154.\n3\tCh. Lov\u00e9n, Ebenda 4, 96.\n4\tF. E. Schulze, Zeitschr. f. wiss. Zoologie 1*2, 218.\n5\tLeydig, Ebenda 3, 1.\n6\tA. Key, Arch, von Reichert u. Du Bois-Reymond 1861, 346.","page":80},{"file":"p0081.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Geschmacksempfindungen im Kehlkopf.\n81\nDie yon Verson an der Epiglottis des Menschen gefundenen Gebilde wurden am gleichen K\u00f6rpertheil von Krause 1 beim Schaf und Kaninchen, von H\u00f6nigschmied 2 beim Reh und Kalbe, von Shofield1 * 3 bei der Katze und dem Hund, von Davis4 * aufser bei der Katze, dem Hund, dem Kaninchen, dem Kalb und dem Schwein auch beim Menschen, von Rabl 8 ebenfalls beim Menschen (manchmal Papillen aufsitzend) gesehen, w\u00e4hrend Arthur Hoffmann 6, der seine histologischen Untersuchungen auf alle Schmeckfl\u00e4chen des Menschen ausdehnte, an der Epiglottis niemals \u201ewirkliche Geschmacksknospen\u201c aufzufinden vermocht hatte. Er giebt aber an, dafs seine Erfahrungen f\u00fcr die Feststellung dieser Verh\u00e4ltnisse auf der Epiglottis nicht vollst\u00e4ndig ausreichend waren. Davis sah die Becher beim Menschen wie bei Thieren in den Larynx hineinreichen. Er fand aber die Vertheilung bei den einzelnen Thierarten noch wieder verschieden. Beim Hund sah er sie auch in der Schleimhaut des Lig. epigl. aryt. und auf der Innenfl\u00e4che des Giefskannenknorpels, ebenso zeigten sich \u201eeinige Male Becher auf den Stimmb\u00e4ndern, und zwar in m\u00e4fsiger Zahl auf dem oberen, sp\u00e4rlicher auf dem unteren Band\u201c; bei der Katze, dem Kaninchen, dem Kalb und dem Schwein waren sie auf die hintere Fl\u00e4che der Epiglottis und die Giefskannen-knorpel beschr\u00e4nkt Ueber die am Menschen gefundenen Verh\u00e4ltnisse schreibt Davis : \u201eBeim erwachsenen Menschen beginnen die Becher bereits 3,5 mm unter der Spitze des Kehldeckels und erstrecken sich soweit als die nicht flimmernde Auskleidung des Larynx reicht, mit Ausnahme der Stimmb\u00e4nder. Sie finden sich hier also mehr in den oberen Partieen der Hinterfl\u00e4che. Die Innenfl\u00e4che der Schleimhaut der Ligamenta epiglottideo arytaenoidea besitzt keine Becher, wenigstens nicht in den oberen Partieen, dagegen enth\u00e4lt die Innenfl\u00e4che des Processus arytaenoideus deren eine grofse Zahl, und einige tr\u00e4gt dessen Aufsenseite dicht unter der Spitze. Solche finden sich auch auf dem Kehldeckel, an den rings vom Flimmerepithel umgebenen\n1 W. Krause, Handb. d. Anat. 1876, 198.\n3 J. H\u00f6nigschmied, Zcitschr. f. iriss. Zoologie 23, 433.\n3 Shofield, Joum. of Anat. and Physiol. 10. 1876. Cit. nach den angegebenen Arbeiten von Michklson und Davis.\n*\tC. Davis, Arch. f. mikroskop. Anatomie 14, 158. 1877.\n3 H. Rabl, Anat. Anzeiger 11, 153. 1896.\n*\tA. Hoffmann, Virchoic's Archiv 62, 516. 1875.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 27.\n6","page":81},{"file":"p0082.txt","language":"de","ocr_de":"82\nF. Kiesoto und R. Hahn.\nInseln aus platten Zellen. Kommen die Becher vereinzelt im Flimmerepithel vor, so sind sie immer mit mehreren Lagen platter und kubischer nicht flimmernder Zellen bedeckt. Sie reichen in diesem Fall nicht bis zum Niveau des Flimmer\u00fcberzuges, es finden sich in diesen also kleine Vertiefungen, in deren Grund die Becher m\u00fcnden.\u201c 1 * 3 In ihrem Bau fand Davis diese becherf\u00f6rmigen Gebilde des Kehlkopfes sehr \u00fcbereinstimmend mit denen der Zunge. Die von Vebson gefundenen Abweichungen sucht er daraus zu erkl\u00e4ren, dafs von jenem Forscher wahrscheinlich Pr\u00e4parate benutzt wurden, bei denen bereits cadaver\u00f6se Ver\u00e4nderungen eingetreten waren. Die Vertheilung der Becher ist somit nach Davis im Kehlkopf gr\u00f6fser als nach Verson. In der flimmerlosen Epiglottisschleimhaut des Menschen z\u00e4hlte er 20\u201425 Becher pro mm-. Obwohl im Kehlkopf in der Gr\u00f6fse der Becher erhebliche Differenzen vorkamen, \u00fcberschritt die Gr\u00f6fee der einzelnen Gebilde doch niemals die der Zunge.\nVon Simanowsky 2 endlich wurden die in Rede stehenden Gebilde auch auf den wahren Stimmb\u00e4ndern des Menschen gefunden.\nW\u00e4hrend somit die von Vebson gemachte Entdeckung des Vorhandenseins jener becherf\u00f6rmigen Organe im Kehlkopf theils best\u00e4tigt, theils erweitert ward, hat die Forschung der hieraus gezogenen Schlufsfolgerung nicht zustimmen k\u00f6nnen. Namentlich die \u00fcberaus verdienstvollen Arbeiten von Vintschgau\u2019s und Honig-schmied\u2019s8 erbrachten im Jahre 1877 durch das physiologische Experiment endg\u00fcltig den Beweis, dafs jene Gebilde der Zunge in der That die wahren peripherischen Organe des Geschmackssinnes seien, und schon 18 74 konnte A. Hoffmann schreiben: \u201eAn allen Stellen, welche der physiologischen Erfahrung nach Geschmacksempfindungen besitzen, existiren Geschmacksknospen.\u201c4 5 Wenn aber somit die Aeufserung M. Foster\u2019s 6 : \u201eDie sogenannten Geschmacksknospen\n1 Cit. Arbeit 163.\n8 N. Simanowsky, Arch. f. mikr. Anat. 22, 709. 1883.\n3\tM. v. Vintschgau u. J. H\u00f6nigschmied, Pfl\u00fcger's Archiv 14, 443.\nM. v. Vintschgau, ebenda 23, 1. 1880. Vgl. auch Ranvier, Trait\u00ab technique d\u2019histologie, 949. 1882.\n4\tCitirte Arbeit 528. Vgl. auch J. H\u00f6nigschmied, Zeitschr. f. \u00abm 29, 255. 1877; 34, 452. 1880.\n5\tM. Fo8teb, Lehrbuch der Physiologie, deutsche Uebersetzung von N. Kleinenbebg 1881, 493.","page":82},{"file":"p0083.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Geschmacksempfindungen im Kehlkopf.\n83\nsind nicht als speeifische Geschmacksorgane aufzufassen, da sie auch an Stellen (z. B. an der Epiglottis) Vorkommen, welche durchaus nichts mit dem Geschmackssinn zu thun haben\u201c, zur\u00fcckgewiesen werden mufste, so enthielt sie andererseits noch unbeantwortete Fragen, n\u00e4mlich die, ob die hier gefundenen becherf\u00f6rmigen Organe Geschmackssensationen vermitteln und welchen Zweck sie hier erf\u00fcllen. Dafs solche Organe hier regelrecht Vorkommen, konnte, wie im Vorstehenden gezeigt, nicht mehr bezweifelt werden. Und wenn A. Hoffmann sie hier nicht fand, so d\u00fcrfte der Grund daf\u00fcr aufser in dem erw\u00e4hnten, von ihm selbst zugestandenen Umstande wohl, wie Rabl hervorhebt, besonders darin zu suchen sein, dafs er Pr\u00e4parate von Regionen anfertigte, wo sich \u00fcberhaupt keine Becher finden (Spitze, Bereich des flimmernden Ueberzugs). Die Thatsache an sich war nach allen sonstigen Beobachtern unzweifelhaft erwiesen. Aber sind diese Gebilde geschmacksf\u00e4big? Diese Frage war immer noch zu beantworten. Einen erst\u00e8n Versuch mit positivem Ergebnifs stellte hier\u00fcber Gottschau 1 an sich selbst an. Sodann hat i. J. 1891 P. Michelson 2 auf Langendorff\u2019s Anregung und unter seiner Mitwirkung mit H\u00fclfe des laryngoskopischen Experiments versucht, hier\u00fcber zu entscheidenden Ergebnissen zu gelangen. Michelson benutzte eine passend gebogene ScHK\u00f6TTEn\u2019sche Kehlkopfsonde, deren Spitze mit Geschmacksl\u00f6sungen versehen war und ber\u00fchrte mit dieser unter Leitung des Kehlkopfspiegels vorsichtig den oberen Theil der Innenfl\u00e4che der Epiglottis. Hierbei wurde aufserdem ein NoLTENius\u2019scher Demonstrationsspiegel als Gegenspiegel benutzt, um den Vorgang durch einen zweiten Beobachter controliren zu lassen. Nach der Application der Schraecksubstanz wurde die Sonde dann mit gleicher Vorsicht schnell wieder herausgezogen. Er giebt weiter an, dafs diese Ber\u00fchrung bei den meisten, aber nicht bei allen Personen von einem kurzen Hustenstofs gefolgt war. Michelson untersuchte auf diese Weise an 25 Versuchspersonen, die im Alter von 15 bis zu 60 Jahren standen, die Schmeckf\u00e4higkeit der Innenseite des Kehldeckels f\u00fcr S\u00fcfs- und Bitterstoffe (concentrirte Saccharin-und Chininl\u00f6sungen unter Zusatz eines minimalen Quantums\n1 Gottschau, Verhandl. der phys.-med. Gesellschaft in W\u00fcrzburg, N. F. 15. Citirt nach Rabl, Anat. Anzeiger 11, 153. 1896.\na P. Michelson, Virchow's Archiv 123, 389. 1891.","page":83},{"file":"p0084.txt","language":"de","ocr_de":"84\nF. Kieaow und B. Hahn.\nvon Salicyls\u00e4ure und zwei Tropfen von Mucilago gummi arab.l An einer Person wurde aufserdem festzustellen gesucht, ob auch die bei elektrischer Reizung auftretenden Geschmacksempfindungen hier stattf\u00e4nden. Die Resultate des Verl\u2019s lassen sich kurz dahin zusammenfassen, dafs die weitaus grofse Mehrzahl der untersuchten Personen den Geschmacksstoff in beiden F\u00e4llen empfand, und dato auch bei der elektrischen Pr\u00fcfung die betreffende Versuchsperson den sowohl an der Anode wie an der Kathode auftretenden Geschmack bestimmt erkannte und unterschied. Auf Einzelheiten der Angaben kommen wir weiter unten zur\u00fcck Michelson selbst schliefst diesen Theil seiner Mittheilungen mit den Worten: \u201eAuf Grund des Ergebnisses der soeben mitgetheilten Versuche halten wir \u2014 0. Langendobff und ich \u2014 es f\u00fcr erwiesen, dafs dielnnenfl\u00e4chedes Kehldeckels Geschmacksempfindungen besitzt Die Auffassung der Schmeckbecher als Endorgane der geschmackpercipirenden Nerven erh\u00e4lt durch die von uns constatirteThatsache eine weitere St\u00fctze.1\nEs schien uns werth zu sein, diese sehr interessanten Versuche Michelson\u2019s einer Nachpr\u00fcfung zu unterziehen und zugleich zu versuchen, \u00fcber ihn, wenn m\u00f6glich, noch etwas hinauszukommen. Wir haben daher die Innenfl\u00e4che der Epiglottis auf alle vier Geschmacksqualit\u00e4ten hin gepr\u00fcft und dann, soweit dies m\u00f6glich war, das Minimum perceptibile einiger der verwandten Reizstoffe festzustellen versucht Aufserdem wurden Versuche im Innern des Larynx angestellt. Die erhaltenen qualitativen Befunde wurden dann noch durch die elektrische Reizung zum Theil controlirt. Die Anzahl unserer Versuchspersonen war f\u00fcr die Pr\u00fcfung mit Geschmacksstoffen leider keine so grofse wie die, \u00fcber welche Michelson verf\u00fcgte, wir mufsten uns hier auf im Ganzen drei beschr\u00e4nken, die im Alter von 15 bis zu 42 Jahren standen, und im Larynx selbst konnten wir nur an einer Versuchsperson arbeiten. Gl\u00fccklicher waren wir bei den elektrischen Pr\u00fcfungen, die wir an sechs Personen anstellen konnten. So glauben auch wir zur L\u00f6sung der Frage beigetragen zu haben.\nDie verwandten Schmecksubstanzen waren w\u00e4sserige L\u00f6sungen von Rohrzucker (ca. 40\u00b0/0), Kochsalz (ca. 10%), Salzs\u00e4ure (ca. 0,4 %), Schwefels\u00e4ure (ca. 0,2 %) und Quassin (concentrirtl\n1 Citirte Arbeit 399.","page":84},{"file":"p0085.txt","language":"de","ocr_de":"lieber Geschmacksempfindungen im Kehlkopf.\n85\nDie Versuche wurden an Kiesow mit den erw\u00e4hnten L\u00f6sungen von Rohrzucker und Quassin begonnen. Wir benutzten wie Michel-son eine passend gebogene ScHBOETTEE\u2019sche Kehlkopfsonde, deren vorderstes Ende mit ein wenig Watte fest umh\u00fcllt war. Diese wurde mit der Schmeckfl\u00fcssigkeit getr\u00e4nkt, die bei einigen Controlversuchen noch mit ein wenig Methylenblau gef\u00e4rbt war, und die Sonde dann unter Leitung des Kehlkopfspiegels und unter Benutzung eines Reflectors in die Mundh\u00f6hle eingef\u00fchrt. Nachdem die zu untersuchende Stelle einmal damit bestrichen war, wurde die Sonde schnell wieder herausgezogen. Die Versuchsperson hatte mit der Hand oder dem Fufs ein verabredetes Zeichen zu geben, wenn bei der Ber\u00fchrung mit der Sonde eine Geschmackssensation erfolgte und den Vorgang sp\u00e4ter zu beschreiben. Tr\u00e4nkt man auf diese Weise die Sondenspitze vorsichtig mit der Schmecksubstanz, so ist ein Abtr\u00f6pfeln der letzteren ausgeschlossen. Eine Fehlerquelle kann nur durch hervorgerufene Reflexe oder den Speichel verursacht werden. Ein in der Laryngoskopie einigermaafsen erfahrener Beobachter wird aber derartige Fehlerquellen erkennen. Wo, wie bei unseren Controlversuchen, die Schmeckfl\u00fcssigkeit aufserdem noch gef\u00e4rbt ist, ist dies noch erleichtert Versuche, die uns nicht v\u00f6llig rein und unzweifelhaft erschienen, wurden verworfen. Mit einer Geschmacksl\u00f6sung wurde eine Versuchsreihe, die sich oft auf viele Tage erstreckte, nie abgeschlossen, bevor sie uns zu absolut \u00fcberzeugenden Resultaten gef\u00fchrt hatte.\nBei den ersten Versuchen, die an Kiesow mit der oben erw\u00e4hnten Rohrzuckerl\u00f6sung angestellt wurden, haben wir noch ein Uebriges zu thun versucht, indem wir den ganzen Mundraum, soweit hier Geschmacksfl\u00e4chen nachweisbar sind und dies m\u00f6glich war, mit Gymnemas\u00e4ure (5 \u00b0/0 in 58 procentigem Alkohol)1 wiederholt pinselten, um jede S\u00fcfsempfindung im Mundraum selbst auszuschalten und dann die erw\u00e4hnte Epiglottisfl\u00e4che in der angegebenen Weise mit der Sonde untersucht. Die allerersten Versuche f\u00fchrten wegen auftretender Reflexe zu keinen sicheren Ergebnissen. Nachdem sich die Versuchsperson aber an die Experimente gew\u00f6hnt und die n\u00f6thigen Vorsieh ts-maafsregeln (Herausholen und Festhalten der Zunge, richtiges Athmen u. s. w.) gelernt hatte, gelangen die Versuche eindeutig\n1 Vgl. A. Rollett, Pfl\u00fcger's Archiv 74, 399. 1899.","page":85},{"file":"p0086.txt","language":"de","ocr_de":"86\nF. Kiesmc und B. Hahn.\nmit durchaus positiven Ergebnissen. Die Empfindung wurde hierbei so tief localisirt, wie dies gew\u00f6hnlich nicht zu geschehen pflegt. Bei den weiteren Versuchen haben wir aber die Pinselungen mit Gymnemas\u00e4ure unterlassen und ebensowenig haben wir bei Application der Quassinl\u00f6sung den Mundraum mit Cocain behandelt, wie wir Anfangs beabsichtigten. Wir kamen hiervon zur\u00fcck, weil wir uns \u00fcberzeugten, dafs durch jene Pinselungen den Versuchspersonen unn\u00f6thige Bel\u00e4stigungen auferlegt wurden, da auch ohne diese Mittel die Versuche eindeutig und rein gelingen. Ebenso sei schon hier bemerkt, dafs uns ein Gegenspiegel, wie Michelson verwandte, nicht zur Verf\u00fcgung stand. Die Reinheit der Versuche d\u00fcrfte deswegen aber nicht im Mindesten zu beanstanden sein.\nDie Versuche mit der Rohrzuckerl\u00f6sung wurden demnach auch an Kiesow ohne voraufgegangene Pinselung mit Gymnemas\u00e4ure wiederholt. Hervorgehoben sei hier noch, dafs auch bei unseren Versuchen die Ber\u00fchrung der Innenseite der Epiglottis besonders zu Anfang oft, wie bei Michelson\u2019s Experimenten, von einem kurzen Hustenstofs gefolgt war. Dies war aber nicht immer der Fall. Es gelang manchen Personen vielmehr zuweilen, den Reflex ganz zu unterdr\u00fccken. Solche Versuche waren f\u00fcr uns von ganz besonderem Werth. Kaum erw\u00e4hnt zu werden braucht, dafs auch die \u00fcbrigen Personen zuvor einge\u00fcbt wurden. Die ersten Resultate sind von keiner einzigen als endg\u00fcltig angenommen worden.\nAufser den angegebenen Personen nahmen an diesen Versuchen mit L\u00f6sungen noch Herr Cerruti und der 15 j\u00e4hrige H\u00fclfsdiener unseres Instituts Michele Giordano theil. Letzterem sind wir f\u00fcr seine stete Bereitwilligkeit und Hingabe an unsere Arbeit zu besonderem Danke verpflichtet.\nBlicken wir auf die zahlreichen Versuche zur\u00fcck, die in der angegebenen Weise angestellt wurden, so k\u00f6nnen wir kurz zusammenfassend sagen, dafs sowohl bei Kiesow, wie bei Herrn Cerruti und Giordano in den weitaus meisten F\u00e4llen alle verwandten Geschmacksstoffe an der larvngealen Seite der Epiglottis Geschmacksempfindungen ausl\u00f6sten. Die Empfindung blieb freilich mitunter aus, aber diese Thatsache erkl\u00e4rt sich wohl hinreichend daraus, dafs man bei der gebotenen Vorsicht nicht in jedem Falle absolut sicher sein kann, die betreffenden Organe zu treffen oder die Epiglottisfl\u00e4che mit","page":86},{"file":"p0087.txt","language":"de","ocr_de":"Ueber Geschmacksempfindungen im Kehlkopf.\n87\neinem hinreichenden Quantum der Schmecksubstanz zu befeuchten, zumal die Watte nicht so stark benetzt werden durfte, dafs die Fl\u00fcssigkeit abtr\u00f6pfeln konnte. Ebensowenig d\u00fcrfte die weitere Thatsache etwas Auffallendes an sich haben, dafs die auftretenden Empfindungen manchmal von st\u00e4rkerer, manchmal von geringerer Intensit\u00e4t waren. Im Ganzen aber, dies sei schon hier bemerkt, waren die Empfindungen hier immer von geringerer Intensit\u00e4t, als die, welche die gleichen L\u00f6sungsstufen an der Zunge hervorriefen. Was die Angaben \u00fcber die Localisation der erzeugten Geschmacksempfindungen betrifft, so konnten diese nur eine weitere Best\u00e4tigung der erhaltenen positiven Ergebnisse sein. Die Versuchspersonen gaben ausnahmslos an, dafs sie nie zuvor in einer solchen Tiefe Geschmacksempfindungengehabt h\u00e4tten. Sie waren nach Beendigung des Versuches angewiesen, an der Aufsenseite des Halses die Stelle zu bezeichnen, wohin sie den Geschmack localisirten. Diese Angaben entsprachen durchaus dem untersuchten Ort Was die Erkennung der einzelnen Geschmacksreize betrifft, so sei erw\u00e4hnt, dafs die Versuchspersonen den S\u00fcfs- und den Bitterstoff ohne Schwierigkeiten ad\u00e4quat empfanden. Die Salz-und S\u00e4urel\u00f6sungen wurden Anfangs von Herrn Cerrutti und Giordano verwechselt, nach einiger Uebung aber h\u00f6rte diese Verwechselung mehr und mehr auf. Anders war dies bei Keesow. W\u00e4hrend er die Salzl\u00f6sung ad\u00e4quat empfand, war dies bei der Salzs\u00e4urel\u00f6sung niemals der Fall. Dieser Schmeckstoff wurde in allen F\u00e4llen, in denen eine Empfindung auftrat, immer und ausnahmslos als salzig empfunden. Wir haben hierauf statt der Salzs\u00e4ure Schwefels\u00e4ure applicirt. Aber auch bei diesem Schmeckstoff zeigte sich dieselbe Erscheinung. Dabei sei hervorgehoben, dafs beide Substanzen an der Zunge ausgesprochen sauer und brennend empfunden wurden. Eine Nachpr\u00fcfung der Epiglottisfl\u00e4che mit Schwefels\u00e4ure an Giordano ergab, dafs auch diese Substanz hier von ihm sauer empfunden ward. Auf die Verwechselung von Salz- und Sauerstoffen (namentlich bei Kindern) hat Kiesow in seinen Arbeiten wiederholt hingewiesen. Worauf aber die eben angef\u00fchrte Erscheinung zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, ist schwrer zu entscheiden. Nach dem gegenw\u00e4rtigen Stand der Forschung d\u00fcrfte man anzunehmen geneigt sein, dafs die f\u00fcr saure Stoffe adaptirten becherf\u00f6rmigen Organe hier bei Kiesow fehlen, und dafs auf die Reizung mit","page":87},{"file":"p0088.txt","language":"de","ocr_de":"88\nF. Kiesow und R. Hahn.\ndiesen Substanzen die f\u00fcr Salz adaptirten reagirten.1 Die Sache soll hier aber nicht endg\u00fcltig entschieden werden. Wir finden bei Michelson einen Fall, wo die applicirte Chininl\u00f6sung am Kehldeckel als \u201eetwas gesalzen\u201c angegeben ward.2 In zwei weiteren F\u00e4llen wurde an der Kehldeckelinnenfl\u00e4che Chinin als \u201ebitterlich\u201c resp. bitter empfunden, w\u00e4hrend Saccharin hier keine Geschmacksempfindungen ausl\u00f6ste.3 Von diesen Versuchspersonen war die eine, ein 17 j\u00e4hriges M\u00e4dchen, \u201edas fr\u00fcher lange an Coordinations-st\u00f6rungen im Bereich der Kehlkopfmuskulatur, dann an \u00fcberaus hartn\u00e4ckigen, ebenso wie jene Affection auf hysterischer Basis entstandenen hypokinetischen Motilit\u00e4tsst\u00f6rungen gelitten hatte; zm* Zeit der Untersuchung bestand Aphonie in Folge von L\u00e4hmung der Glottisschliefser\u201c. Die andere Versuchsperson, ein 16 j\u00e4hriges M\u00e4dchen war gesund. Beide schmeckten Saccharin auf der Zungenspitze s\u00fcfs. Wenigstens der erste wie der dritte dieser F\u00e4lle geh\u00f6ren wohl in dieselbe Kategorie. In einem vierten Fall (30j\u00e4hr. Mann) berichtet Michelson, dafs die Chininl\u00f6sung an der Innenfl\u00e4che des Kehldeckels eine s\u00fcfsbitterliche Empfindung hervorrief, aber in diesem Falle trat der gleiche Geschmack bei der gleichen L\u00f6sung auch auf der Zungenspitze auf, wenn diese mit der Sonde ber\u00fchrt ward. Michelson f\u00fcgt hinzu, dafs der betreffende Geschmack aber \u201eintensiv bitter\u201c war, sobald die Versuchsperson die Zunge gegen den Gaumen dr\u00fcckte.4\nWas die Perceptionszeiten der einzelnen Qualit\u00e4ten betrifft, so wurde bei Rohrzucker, Salz und S\u00e4ure angegeben, dals das Auftreten der Empfindung mit der Ber\u00fchrung zusammenfiel,5 nur bei der Bitterl\u00f6sung wurde zuweilen eine geringe Verz\u00f6gerung der Perception angegeben. Ohne Zweifel sind auch hier wie sonst auf den Schmeckfl\u00e4chen Unterschiede in den Perceptionszeiten der einzelnen Geschmacksempfindungen vorhanden, die eben unter den gegebenen Bedingungen nur nicht bemerkt werden. Ebenso ist bekannt, dafs die Bitterempfindung die\n1 Vgl. H. Oehrwall, Skand. Arch. f. Physiologie 2, 1; ferner F. Kiesow, Philosophische Studien 14, 591.\n8 Citirte Arbeit 397.\n3\tEbenda 397 u. 398.\n4\tEbenda 398.\n6 Zum selben Ergebnifs kam auch Michelson, Cit. Arb. 398.","page":88},{"file":"p0089.txt","language":"de","ocr_de":"[Jeher Geschmacksempfindungen im Kehlkopf.\n89\nl\u00e4ngste Perceptionszeit hat.1 Besondere Messungen hier\u00fcber anzustellen, war uns aus leicht ersichtlichen Gr\u00fcnden nicht m\u00f6glich.\nNach Feststellung dieser Verh\u00e4ltnisse haben wir unsere Aufmerksamkeit einigen quantitativen Bestimmungen zugewandt, um zu erfahren, bis zu welchem Grade die Schmeckf\u00e4higkeit des Kehldeckels reiche. Diese Pr\u00fcfungen wurden fast ausschliefs-lich an Michele Giordano angestellt, f\u00fcr einige wenige Nachpr\u00fcfungen zeigte sich uns Herr Cerruti gef\u00e4llig. Hierzu sei aber bemerkt, dafs wir die Pr\u00fcfung der Schmeckf\u00e4higkeit f\u00fcr S\u00e4uren von diesen Bestimmungen ausschlossen, um die Versuchsperson nicht gar zu viel zu bel\u00e4stigen. Es wurde bereits erw\u00e4hnt, dafs die am Kehldeckel hervorgerufenen Geschmacksempfindungen nach unseren Beobachtungen in ihrer Intensit\u00e4t gegen diejenigen zur\u00fcckstanden, die von den gleichen Reiz-werthen auf der Zunge ausgel\u00f6st wurden. Die Bestimmungen ergaben nun bei Giordano unter den hervorgehobenen Bedingungen f\u00fcr die hintere Epiglottisfl\u00e4che folgende Schwellen-werthe :\nRohrzucker: 4\u20145\u00b0/0 Kochsalz: ca. 2%\nQuassin: 0,00005 % -\nDiese Werthe wurden durch viele Bestimmung und unter Zuh\u00fclfenahme von Control versuchen mit destilhrtem Wasser schliefslich als die niedrigsten gefunden. Bei Herrn Cerruti lag die Schwelle f\u00fcr Salz ebenfalls bei 2%, f\u00fcr Zucker und Quassin war sie ungleich h\u00f6her. Da wir an ihm aber nur wenige Versuche anstellen konnten, so liegt die Vermuthung nahe, dafs sich bei Fortsetzung dieser Bestimmungen auch die Schwellenwerthe f\u00fcr diese Substanzen noch vermindert h\u00e4tten.\nNachpr\u00fcfungen, die unter v\u00f6llig gleichen Bedingungen an Kjesow (Selbstversuch) und Giordano am vorderen Zungenrande angestellt wurden, ergaben folgende Schwellenwerthe:\nRohrzucker: 0,4\u20140,5 %\nKochsalz:\t0,3\u20140,4\u00b0/o\nQuassin: 0,000001\u20140,000002 % 2\n1\tVgl. hierzu M. v. Vintschgau, Hermann\u2019s Handbuch III, 2, 205.\n2\tAbgeleitet aus dem Verh\u00e4ltnis von 0,01 : 100, soviel sich hier von reinem Quassin in Wasser von Zimmertemperatur l\u00f6ste.","page":89},{"file":"p0090.txt","language":"de","ocr_de":"90\nF. Kiesorc und R. Hahn.\nWir sind uns wohl bewufst, dafs bei diesen Messungen von einer Exactheit im eigentlichen Sinne keine Rede sein kann. Aber auch zugegeben, dafs selbst der Vergleich der gefundenen Werthe unter einander noch keine exacte Deutung zul\u00e4fst, lassen sie doch erkennen, dafs in der Schmeckf\u00e4higkeit der hinteren Epiglottisfl\u00e4che gegen\u00fcber den sonstigen Schmeckfl\u00e4chen des Mundraumes eine Herabsetzung bestehen d\u00fcrfte.1 Diese Herabsetzung erstreckt sich wahrscheinlich auch auf die Umgebung des I^ehldeckels. Schleim, der aus dem Halse aufsteigt, pflegt man erst zu schmecken, wenn er in den eigentlichen Mundraum gelangt\nNachdem die Arbeit soweit gediehen war, haben wir die Geschmacksempfindlichkeit dieser Epiglottisfl\u00e4che noch elektrisch gepr\u00fcft. Die Reizung war eine unipolare. Wir benutzten wie Michelson eine bis zur \u00e4ufsersten Spitze isohrte Sonde als Elektrode. Der andere Pol wurde, wie bei v. Fbey\u2019s und Kiesow\u2019s Versuchen \u00fcber den Tastsinn mit einer breiten Metallmanschette verbunden, die dem einen Unterarm der Versuchsperson umgelegt ward. Als Stromquelle dienten drei kleinere Danielelemente. Durch Um Schaltung des Stroms mittelst einer Pohl -schen Wippe konnte die Sondenspitze das eine Mal als Anode und ein anderes Mal als Kathode fungiren. Dieses Um schalten des Stromes geschah stets ohne Wissen der Versuchspersonen, wie \u00fcberhaupt unser Versuchsverfahren \u00fcberall und stets ein imwissentliches war.\nWir konnten hierbei nat\u00fcrlich nicht auf alle die Einzelheiten eingehen, die seit dem zuerst von S\u00fclzek (1752) beobachteten und dann von Volta (1792) wieder entdeckten elektrischen Geschmack von den einzelnen Forschern beschrieben worden sind. Hierzu waren die uns auferlegten Versuchsbedingungen nicht geeignet. Wir mufsten uns vielmehr lediglich auf die Beobachtung der Erscheinungen beschr\u00e4nken, die auftraten, wenn die Sondenspitze, wie angegeben, entweder als Anode oder als Kathode zur Verwendung kam. Wir bezweckten mit diesen Versuchen daher nichts weiter, als eine einfache Nachpr\u00fcfung der von Michelson mitgetheilten Ergebnisse. Er fand an der Anode einen s\u00e4uerlichen, an der Kathode einen schwach laugenartigen Geschmack.\n1 Vgl. F. Kiesow, Philos. Studien 10, 362.","page":90},{"file":"p0091.txt","language":"de","ocr_de":"Ueher Geschmacksempfindungen im Kehlkopf.\n91\nUnsere elektrischen Pr\u00fcfungen konnten, wie bereits angegeben, an im Ganzen sechs Versuchspersonen angestellt werden. Diese waren aufser Herrn Ceeruti, Giordano und Kiesow drei Patienten im Alter von 15, 24 und 40 Jahren.\nHerr Cerruti gab an, wrenn die Sonde als Anode fungirte, einen eigenartig bitterlichen, wenn sie als Kathode verwandt ward, einen salzigen Geschmack zu versp\u00fcren.\nBei Giordano erhielten wir in wiederholten Versuchen folgende Ergebnisse : Anode: Kein Geschmack, bitterlich sauer (5mal), Geschmack, aber nicht erkannt (2mal), s\u00e4uerlich bitter; Kathode: Eigenartiger, undefinirbarer Geschmack (mehrere Male), eigenartig salzig (mehrere Male). Die Pr\u00fcfung an Kiesow ergab an der Anode einen eigenartig gemischten Geschmack mit unangenehmer Gef\u00fchlsbetonung, ander Kathode war derselbe ausgesprochen laugenartig. Die Empfindung salzig bei C. und G. ist wohl mit dem Laugenartigen anderer Beobachter identisch.\nVon den drei Patienten erhielten wir von dem 15 j\u00e4hrigen kein sicheres Resultat. Die beiden anderen gaben in jedem Falle an, einen schwachen Geschmack zu versp\u00fcren, den sie aber nicht definiren konnten.\nWie bemerkt, kann hier auf die Analyse des elektrischen Geschmacks nicht eingegangen wrerden. Dazu sind aufserdem auch die Angaben der meistens nicht hierauf einge\u00fcbten Personen zu ungenau. Uns gen\u00fcgt aber die Feststellung der Thatsache, dafs die elektrische Reizung an der Epiglottis Geschmack erzeugt und dafs die durch die Strom rieh tun gen hervorgerufenen qualitativen Unterschiede im Allgemeinen als solche erkannt werden.\nSomit halten auch wir es auf Grund unserer Erfahrungen f\u00fcr erwiesen, dafs die hintereEpiglottisfl\u00e4che geschmacksempfindlich ist.\nDie Versuche im Larynx wurden nur an Kiesow angestellt. Anfangs wurde die mit dem Schmeckstoff armirte Sonde unter den angegebenen Vorsichtsmaafsregeln einfach in den Larynx eingef\u00fchrt, wobei alle erw\u00e4hnten Geschmackssubstanzen aufser der Schwefels\u00e4ure verwandt wurden. Da aber diese Versuche nicht ann\u00e4hernd so rein sein konnten wrie die vorhin beschriebenen, sofern in Folge der auftretenden Reflexe eine Ber\u00fchrung der Innenfl\u00e4che des Kehldeckels nicht ausgeschlossen","page":91},{"file":"p0092.txt","language":"de","ocr_de":"92\nF. Kiesow und R. Hahn.\nblieb, und aufserdem ein mit Salzs\u00e4ure angestellter Versuch eine lang anhaltende schmerzhaft kratzende und unangenehme Empfindung wachrief, so sind wir f\u00fcr diese Pr\u00fcfungen zur Benutzung von Cocain und Gymnemas\u00e4ure zur\u00fcckgekehrt und haben uns auf die Reizung von Rohrzucker, Kochsalz und Quassin beschr\u00e4nkt.\nDie mit Cocain und Gymnemas\u00e4ure angestellten Versuche, resp. Versuchsreihen, beschr\u00e4nken sich auf im Ganzen vier. Wir beschreiben die Versuche im Nachstehenden so, wie sie angestellt wurden:\n1.\tVersuch. Die Versuchsperson sucht Mund und Rachen m\u00f6glichst von Schleim zu reinigen. Dann werden die beiden oberen Drittel der Innenfl\u00e4che des Kehldeckels mit 10 proc. Cocainl\u00f6sung bestrichen. Es tritt hier die vom Cocain hervorgerufene Bitterempfindung auf, die ca. 3\u20144 Minuten anh\u00e4li Ebenso erscheint die ziemlich andauernde adstringirende, pappige, dem Cocain charakteristische Tastempfindung. Nachdem die Bitterempfindung vor\u00fcber ist, wird die gleiche Fl\u00e4che ein zweites Mal mit der gleichen Cocainl\u00f6sung bestrichen. Es tritt hier wiederum die Bitterempfindung auf, die ca. 2 Minuten anh\u00e4lt. Die Empfindung dauert zusammen mit einer eigenartigen L\u00e4hmungsempfindung fort. Nachdem die Bitterempfindung vor\u00fcber ist, wartet man kurze Zeit und es wird dann die mit der Quassin-l\u00f6sung armirte Sonde vorsichtig in den Larynx bis auf die in Phonationsstellung sich befindenden wahren Stimmb\u00e4nder herabgef\u00fchrt, wobei wahrscheinlich auch die Schleimhaut der Aryt\u00e4noidknorpeln mit ber\u00fchrt wird. Gem\u00e4fs der verl\u00e4ngerten Perceptionszeit der Bitterempfindung tritt nach kurzer Zeit tief im Larynx unzweideutig die Bitterempfindung hervor. Nach einiger Zeit diffundirt die Empfindung, wohl in Folge aufsteigenden Schleims und Speichels in den hinteren Mundraum. Die beiden Phasen sind aber sehr deutlich von einander zu unterscheiden.\n2.\tVersuch, angestellt am folgenden Vormittage. Die Versuchsperson sucht wiederum Mund und Rachen vom Schleim m\u00f6glichst zu reinigen. Dann wird in einem Zeitraum von 10 Minuten der gleiche Theil der Innenfl\u00e4che des Kehldeckels mit 10 proc. Cocainl\u00f6sung 7 mal kr\u00e4ftig gepinselt, wobei nat\u00fcrlich auch der Kehlkopfeingang sowie indirect auch Theile des Pharynx mitcocainisirt werden. Die Epiglottis ist bei Ber\u00fchrung mit der","page":92},{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"ZJeher Geschmacksempfindungen im Kehlkopf.\n93\nSonde unempfindlich f\u00fcr Tast- und Geschmacksreize. Die mit Quassin armirte Sonde wird vorsichtig bis auf die in Phonations-stellung sich befindenden wahren Stimmb\u00e4nder herabgef\u00fchrt. Pl\u00f6tzlich tritt tief im Larynx eine Bitterempfindung auf. Kehldeckel und Umgebung sind f\u00fcr Bitterreize, auch nachdem die erste Empfindung verschwunden ist, unempfindlich. Erst nach l\u00e4ngerer Zeit verbreitet sich langsam eine schwache Bitterempfindung im Mundraum.\n3.\tVersuch, angestellt am Sp\u00e4tnachmittage des gleichen Tages. Mund und Rachen werden vom Schleim zu reinigen gesucht. Dann wird die Epiglottis und deren Umgebung mit der oben erw\u00e4hnten L\u00f6sung von Gymnemas\u00e4ure 2 mal kr\u00e4ftig bestrichen und darauf die nun mit einer 40proc. Rohrzuckerl\u00f6sung armirte Sonde in gleicher Weise in den Larynx eingef\u00fchrt. Tief im Larynx tritt die S\u00fcfsempfindung, wenn auch nicht sehr intensiv, so doch unzweifelhaft und klar hervor.\n4.\tVersuch. Die beiden oberen Drittel der hinteren Epiglottisfl\u00e4che werden wie fr\u00fcher 7 mal mit lOproc. Cocainl\u00f6sung gepinselt. In Folge der durch den Reflex auftretenden Contraction wird der Kehlkopfeingang mitcocainisirt. Die Sonde wird mit der lOproc. Kochsalzl\u00f6sung armirt und bis auf die Stimmb\u00e4nder herabgef\u00fchrt, die sich in der Phonationsstellung befinden. Es erfolgt keine Sensation. Der Versuch wird in gleicher Weise wiederholt. Es tritt tief unten im Kehlkopf eine sehr schwache Salzempfindung auf. Die Sonde wird mit der Quassinl\u00f6sung armirt und zweimal in der beschriebenen Weise eingef\u00fchrt. Beide Male tritt die Bitterempfindung auf. Ein viertes Mal wird die Sonde mit der Rohrzuckerl\u00f6sung armirt eingef\u00fchrt. Es tritt tief unten eine schwache S\u00fcfsempfindung auf.\nWelche Theile des Kehlkopfinnern, von der Epiglottisfl\u00e4che abgesehen, beim Herausziehen der Sonde etwa mitber\u00fchrt wurden, konnte nicht sicher controlirt werden.\nHier haben wir diese Versuche abgebrochen. Nach der L\u00f6sung der principiellen Frage glaubten wir von gesonderten und immer schwierig auszuf\u00fchrenden Untersuchungen dar\u00fcber, \"eiche Theile der Knospen tragenden Innenfl\u00e4chen des Larynx den auftretenden Geschmack vermittelten, absehen zu k\u00f6nnen.\nWollte man diese Versuche nicht als entscheidend ansehen, 80 w\u00fcrde man den aus ihnen gewonnenen Ergebnissen doch \"e\u00fcigstens einen im h\u00f6chsten Grade wahrscheinlichen positiven","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nF. Kiesoxc und R. Hahn.\nWerth zugestehen d\u00fcrfen. Wir haben aus diesen Versuchen die Ueberzeugung gewonnen, dafs auch die im Innern des .Larynx gefundenen knospenf\u00f6rmigen Gebilde ge* schmacksf\u00e4hig sind.\nMit dem Vorstehenden ist freilich die Frage noch nicht gel\u00f6st, welchen Zweck diese Organe auf der hinteren Kehldeckelfl\u00e4che und im Innern des Larynx haben ; denn so gewifs es sein d\u00fcrfte, dafs sie geschmacksf\u00e4hig sind, so gewifs ist es auch, dafs f\u00fcr gew\u00f6hnlich und normalerweise keine Geschmackssubstanzen dorthin gelangen. Man hat geglaubt, auf die Oberfl\u00e4che der Epiglottis die intensiven Nachgeschm\u00e4cke verlegen zu d\u00fcrfen1, aber f\u00fcr die normalen Nachgeschm\u00e4cke kann die Innenfl\u00e4che des Kehldeckels, wie auch das Innere des Larynx nicht in Anspruch genommen werden. Wir haben es hier wohl mit Ueber-resten der phylogenetischen Entwickelungsreihe zu thun, die sich vielleicht erhalten haben, weil sie zum Reflexmechanismus in besonderer Beziehung stehen. Wir betrachten aber hiermit die Frage noch nicht als gel\u00f6st, sie sei vielmehr im Zusammenhang mit anderen einer besonderen Bearbeitung Vorbehalten.\n1 W. Krause, Handb. d. Anatomie 1876, 190 u. 198. Kr. giebt ebenso an, dafs sich die Becher auch auf der oberen Fl\u00e4che und auf den R\u00e4ndern finden, obwohl in geringerer Anzahl als auf der unteren Fl\u00e4che (S. 197). Auch hier\u00fcber erfolgen sp\u00e4ter genauere Angaben.\nH. Rabl, cit. Arbeit 154.\nF. Kiesow, Philos. Stud. 12, 276 (lies H\u00f6nigschshed, Krause!).\n{Eingegangen am 22. Juli 1901.)","page":94}],"identifier":"lit31876","issued":"1902","language":"de","pages":"80-94","startpages":"80","title":"Ueber Geschmacksempfindungen im Kehlkopf","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:11:03.775043+00:00"}