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{"created":"2022-01-31T16:26:15.713779+00:00","id":"lit31938","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schultze, Ernst","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 220-222","fulltext":[{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nLiteraturbericht.\nWlllenspsychologie bringt zun\u00e4chst in dem ersten Abschnitt bis 6. 88 \u00aban Zurtickf\u00fchrung der Willens-, Instinct- und Reflexvorgftnge auf die Tritt\u00ab in Anlehnung an die WuNDT\u2019sche Psychologie. Doch ist mit Absicht benik viefe Metaphysik \u00fcber die Entstehung von Bewulstsein ans K\u00f6rperliches in die wissenschaftlichen Darlegungen eingemengt. Im zweiten allganen psychologischen Theil 8. 210\u2014343 wird dann der Aufbau der Bewu\u00dftsein\u00bb einheit mit ihrer einheitlichen Gemtithsbewegung aus \u201eEinzehmpul\u00ab\u00ae1 systematisch durchzuftihren versucht, um die Grundlegung zu der B\u00bb Schreibung der Aeufserung jener entwickelten Einheit zu gewinnen. D\u00ab \u201eEinzelimpuls\u201c ist aber keineswegs als psychologische Hypothese auf Gnad der Bewufstseinsanalyse gewonnen, sondern rein physiologisch als Vorgang in einer Muskelfaser (bezw. als Analogon hierzu) gedacht. Die Verallgemeinerung des Begriffes, die Verf., wenigstens nach der Vorrede, ik etwas Neues anzusehen scheint, geschieht durch eine ganz \u00e4u\u00dferliche Analogie des motorischen Vorganges zur Actualit\u00e4t \u00fcberhaupt, wie sie auch bei der Empfindung vorliegt; da aber nun Verf. f\u00fcr das Bewu\u00dftsein, \u00e8m jederzeit einem Zusammenarbeiten solcher Einzelimpulse entspricht, kemi andere Grundqualit\u00e4t als die Empfindung kennt, so wird schliefslich du Bewulstsein der Th\u00e4tigkeit doch wiederum den Muskelempfindungen benr. \u201eAnschauungen\u201c, etc. gleichgesetzt. Daneben besteht, nicht recht verarbeitet, der Gegensatz von Intellectus und Voluntas. An der Hand viel\u00bb und umfangreicher Schemen und nach Aufz\u00e4hlung vieler Principien werden dann alle einzelnen Qualit\u00e4ten, Baum- und Zeitvorstellung, die Erkenntnis \u201eF\u00fchlung\u201c und Strebung auf das Zusammenarbeiten von Einzelimpt\u00dcMB zur\u00fcckgef\u00fchrt, h\u00e4ufig sogar unter Anwendung mathematischer Formeln \u00fcber Ver\u00e4nderungsrichtungen. Verf. f\u00fchlt sich vor Allem mit Hinweis sof Schopenhauer berufen, die Fachwissenschaft auf die voluntarische Psychologie hinzuweisen und das \u201ew\u00fcste und leer liegende\u201c Gebiet der V\u00f6lker psychologie zu cultiviren. Wundt\u2019s V\u00f6lkerpsychologie I, 1 war erst kan vor Herausgabe des Buches erschienen und nicht mehr ber\u00fccksichtigt Auch wer mit der Methode des Verf.\u2019s principiell nicht einverstanden ist, wird seinem ernsten Streben nach einheitlicher Gestaltung einer Psychophysiologie auf Grund eigener Intuition die Anerkennung nicht versag\u00ae k\u00f6nnen und sich \u00fcber das Interesse freuen, das von einem nicht beruf\u00bb m\u00e4fsigen Psychologen den Fragen entgegengebracht wird, die auch di\u00ab Fachwissenschaft in neuerer Zeit immer mehr besch\u00e4ftigen.\nWirth (Leipzig).\nAlexander Pilez. Die periodischen Geistesst&nmgen. Eine klinische Stiih.\nMit 57 Curven im Texte. Jena, Gustav Fischer, 1901. 210 S.\nDa seit dem 1878 erschienenen Werk von Kirn die periodisch\u00ae Psychosen keine monographische Bearbeitung erfahren haben, so ist die vorliegende Arbeit sicherlich ein berechtigtes Unternehmen, zumal sie eingehend die bisher verh\u00e4ltnifsm\u00e4fsig wenig studirten somatischen St\u00f6rungen ber\u00fccksichtigt und hinsichtlich der meisten zur Discussion stehenden Fragen sich auf eigene Beobachtungen st\u00fctzen kann.\nEs sei im Voraus bemerkt, dafs P. unter periodischen Psychosen aua-","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Literatur bericht.\n221\nschliefslich solche Krankheitsfortaen versteht, deren einzelne Anf\u00e4lle ohne bekannte ftu\u00fcsere Veranlassungsursache in ihrer eigenth\u00fcmlicheh Erscheinungsweise regelm\u00e4\u00dfig periodisch wiederkehren ; es ist somit zweierlei noth wendig, eine mehr oder minder regelm\u00e4\u00dfige Wiederholung und eine gewisse Aehnlichkeit der einzelnen Anf\u00e4lle unter einander.\nNach einem ersch\u00f6pfenden und kritischen Ueberblick, der auf manches bereits Vergessene wieder hinweist, bespricht Verf. die allgemeine und individuelle Disposition. Das weibliche Geschlecht und nach des Verf.'s pers\u00f6nlichen Beobachtungen die j\u00fcdische Bev\u00f6lkerung \u00fcberwiegt bei dem periodischen Irresein. Als die haupts\u00e4chlichsten Factoren spricht er an die angeborene Degeneration durch heredit\u00e4re Belastung, bei welcher das Individuum gerade zur Zeit der Pubert\u00e4t oder des Klimakteriums besonders gef\u00e4hrdet ist, und eine erworbene Veranlagung durch Sch\u00e4deltraumen oder cerebral-organische L\u00e4sionen, vor Allem Gehirnnarben. Diese letztere Gruppe, welche oft durch besondere Schwere der Symptome und durch st\u00e4rkeres Hervortreten der sog. \u201ehim-cong\u00e7stiven Erscheinungenu (allerlei Halbseitensymptome, vor\u00fcbergehende Sprachst\u00f6rungen, Convulsionen, L\u00e4hmungen etc.) ausgezeichnet ist, f\u00fchrt eher zu einer Demenz, w\u00e4hrend bei den auf dem Boden der angeborenen Degeneration entstandenen periodischen Psychosen die intellectuellen F\u00e4higkeiten meist intact zu bleiben pflegen.\nDie ausl\u00f6senden, determinirenden Ursachen sind von Belang vorzugsweise bei den sogenannten reflectorisch-periodischen Psychosen ; hier gen\u00fcgt die Disposition allein nicht, es bedarf noch eines veranlassenden, \u00e4ufseren Moments wie der Menstruation, einer Neuralgie. Diese secund\u00e4r ausgel\u00f6sten periodischen Psychosen verdienen eine Sonderstellung nur mit R\u00fccksicht auf ihre Aetiologie und ihre durchweg g\u00fcnstigere Prognose.\nVerf. unterscheidet bei dem periodischen Irresein folgende Formen:\n1. Circul\u00e4res Irresein (Aufeinanderfolge von melancholischen und manischen Phasen); 2. periodische Manie; 3. periodische Melancholie; 4. periodische Amentia, bei der keine affectiven und associativen St\u00f6rungen, sondern vielmehr massenhafte Sinnest\u00e4uschungen, ein den Delirien entsprechender Stimmungswechsel, Verworrenheit das Krankheitsbild beherrschen; \u00f6. periodische Paranoia (prim\u00e4re Wahnbildung, klares 8ensorium, fehlende oder nur dem Inhalte der Wahnideen entsprechende, secund\u00e4r bedingte Stimmungsanomalien) ; 6. periodisches Irresein in der Form krankhafter Triebe wie Dipsomanie, Psychopathia sexualis periodica, wobei geb\u00fchrend hervorgehoben wird, dafs die Stellung dieser Form in der psychiatrischen Nosologie noch strittig ist, und 7. periodische d\u00e9lirante Verworrenheitszust\u00e4nde (kurzdauernde Anf\u00e4lle schwerer Bewufstseinsst\u00f6rung, massenhafte, meist schreckhafte Sinnest\u00e4uschungen, heftige motorische Entladungen, eine Form, welche in naher Beziehung zur Epilepsie steht).\nAllen diesen verschiedenen St\u00f6rungen ist gemeinsam eine Differenz der Pers\u00f6nlichkeit des erkrankten Individuums w\u00e4hrend des Anfalls und im anfallfreien Zwischenraum ein periodischer Charakter des Verlaufs, br\u00fcskes Einsetzen und eine meist kritische L\u00f6sung des Anfalls, gewisse Aehnlichkeit der einzelnen Anf\u00e4lle unter einander, bestimmte, f\u00fcr jeden Anfall stereotype Prodromi, die k\u00f6rperlichen Begleiterscheinungen und die Aetiologie. Gerade","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nLiteraturbericht.\nin den ersten drei Gruppen finden sich bei der jeder Schilderung spottenden Mannigfaltigkeit alle m\u00f6glichen Uebergangsformen, so dafs eine scharfe Grenze zwischen den einzelnen Gruppen nicht zu ziehen ist.\nAn der Hand von Krankheitsgeschichten entwirft Verf. ein anschauliches Bild der Symptomatologie jeder Form, ihres Verlaufs und ihres Ausgangs, ihrer Aetiologie, Diagnose und Therapie; besonders eingehend wird das circul\u00e4re Irresein behandelt, welches die anderen Formen in der Praxis an Bedeutung bei Weitem \u00fcberragt. Die den periodischen St\u00f6rungen gemeinsamen k\u00f6rperlichen Symptome werden eingehend gew\u00fcrdigt; aufser der Beschaffenheit des Pulses und dem Verhalten der Menstruation verdienen gewisse, vom Verf. zuerst erhobene Harnbefunde sicherlich alle Beachtung. Bemerkungen \u00fcber den Einflufs intercurrenter k\u00f6rperlicher Krankheiten, \u00fcber die Combination von periodischem Irresein mit anderen Psychosen und Neurosen, die pathologische Anatomie beschliefsen die anregend geschriebene Abhandlung. Welcher Fleifs darin steckt, m\u00f6ge schon daraus erhellen, dafs das beigegebene und im Text auch ausgiebig benutzte Literaturverzeichnifs mehr denn 700 Nummern aufweist.\nErnst Schultze (Andernach).\nA. Baer. Der Selbstmord im kindlichen Lebensalter. Eine social-hygienische Studie. Leipzig, Georg Thieme, 1901. 84 S. Mk. 2.\u2014.\nVersteht man unter Kinderselbstmord nur den Selbstmord, der von Personen unter 15 Jahren ausgef\u00fchrt wird, so lehrt die Statistik, dafs auch die Zahl des Kinderselbstmordes in den letzten Jahrzehnten erheblich zugenommen hat, so dafs es nicht nur berechtigt, sondern nothwendig ist, den Ursachen dieser Erscheinung nachzuforschen. Das thut B. in der vorliegenden Brosch\u00fcre in der bei dem Verf. bekannten streng sachlichen und kritischen Weise.\nVerf. bespricht zun\u00e4chst die H\u00e4ufigkeit des Selbstmordes im kindlichen Lebensalter und weist nachdr\u00fccklich darauf hin, dafs er noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts wenig verbreitet und wenig bekannt war. Das hat sich, wie zahlenm\u00e4fsig nachgewiesen wird, wie bei den verschiedensten Cultur-v\u00f6lkern, so auch in Deutschland ge\u00e4ndert, welches Siegert geradezu das klassische Land des Selbstmordes genannt hat. Nach den amtlichen statistischen Angaben f\u00fcr das K\u00f6nigreich Preufsen, welche nat\u00fcrlich auf Vollst\u00e4ndigkeit keinen Anspruch machen k\u00f6nnen und hinter den wirklichen Verh\u00e4ltnissen noch Zur\u00fcckbleiben, ist bei den 1708 Kinderselbstmorden in der Zeit von 1869\u20141898 das m\u00e4nnliche Geschlecht mit fast 79\u00b0/0 betheiligt Die unverkennbare Zunahme zeigt sich darin, dafs der j\u00e4hrliche Durchschnitt in der ersten f\u00fcnfj\u00e4hrigen Periode 38, in der letzten 68 betr\u00e4gt; oder es kommt, wenn man die Bev\u00f6lkerungsziffer zu Grunde legt, in der Zeit von 1869\u20141873 ein Selbstmord auf 666022, in der Zeit von 1894\u20141898 ein Selbstmord auf 497 815. Die Zahl der Selbstmorde \u00fcberhaupt ist in den 30 Jahren etwas st\u00e4rker gestiegen als die der Kinderselbstmorde. Ein Parallelismus oder irgend eine Abh\u00e4ngigkeit zwischen diesen beiden Zahlen l\u00e4fBt sich nicht erweisen, und das spricht daf\u00fcr, dafs dem Kinderselbstmord","page":222}],"identifier":"lit31938","issued":"1902","language":"de","pages":"220-222","startpages":"220","title":"Alexander Pilez: Die periodischen Geistesst\u00f6rungen. Eine klinische Studie. Jena, Gustav Fischer, 1901. 210 S","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:26:15.713784+00:00"}