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{"created":"2022-01-31T16:16:28.270092+00:00","id":"lit31941","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Nagel, W. A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 264-266","fulltext":[{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"Stereoskopie\nund Tiefenwahrnehmung im D\u00e4mmerungssehen.\nVon\nProf. Dr. W. A. Nagel (Freiburg i. Br.).\nHeine hat unl\u00e4ngst in seiner Abhandlung \u00fcber \u201eSehsch\u00e4rfe und Tief en Wahrnehmungw 1 gezeigt, wie \u00fcberraschend fein unter geeigneten Bedingungen die Tiefenwahmehmung mittels beider Augen sein kann. Das sehr einfache und elegante Versuch* verfahren, von v. Helmholtz herr\u00fchrend, besteht darin, dafs drei verticale St\u00e4bchen in einer frontalen Ebene vor einem gleich-m\u00e4fsig hellen Hintergrund aufgestellt und binocular betrachtet werden, und nun festgestellt wird, um wie weit das mittlere St\u00e4bchen vor oder hinter die durch die beiden \u00e4u&eren St\u00e4bchen gegebene Ebene verschoben werden mufs, damit die Verschiebung erkannt wird und der Eindruck verschiedener Entfernung vom Beobachter ein tritt.\nOhne auf die theoretischen Folgerungen Heine\u2019s \u00fcber \u201eDoppelversorgung\u201c des macularen Netzhautbezirks n\u00e4her dm\u00bb* gehen, m\u00f6chte ich hier nur erw\u00e4hnen, dafs die Ausf\u00fchrungen Heines mir den Gedanken nahe legten, ob eine derartige Tiefen* Wahrnehmung und stereoskopisches Sehen auch den Netzhaut* St\u00e4bchen zukommt, oder etwa nur durch die Zapfen vermittelt wird. Von vomeherein m\u00f6chte man vielleicht sagen, es sei selbstverst\u00e4ndlich, dafs auch mittels der St\u00e4bchen allein stereoskopisch gesehen werden k\u00f6nne und Tiefenwahmehmung m\u00f6glich sei. Selbstverst\u00e4ndlich ist dies indessen keineswegs und auch meines Wissens bis jetzt nicht bewiesen. Die Verschiedenheit der Bedingungen, unter denen St\u00e4bchen und Zapfen functioniren, und die Verschiedenheit ihrer anatomischen Beziehungen zum Sehnerven lassen gewifs an die M\u00f6glichkeit denken, dafs die St\u00e4bchen hinsichtlich des binocularen Zusammenwirkens gewisse\n1 L. Heute. Sehsch\u00e4rfe und Tiefenwahmehmung. Arch. f. Ophthalm. 51, 146.","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Stereoskopie und Tiefen Wahrnehmung im D\u00e4mmerungssehen.\n265\nUnterschiede gegen\u00fcber den Zapfen zeigen. Auch Heins sieht sich ja veranlafst, f\u00fcr die besonders feine Tiefenwahrnehmung im macularen Gebiete Besonderheiten der Innervation anzunehmen.\nDafs man im reinen D\u00e4mmerungssehen, wo die St\u00e4bchen allein functioniren, z. B. bei n\u00e4chtlichem Gang auf schlechtbeleuchtetem Wege, k\u00f6rperlich zu sehen glaubt, beweist nicht allzuviel; man weifs ja, wie man sich hier\u00fcber t\u00e4uschen kann, und auch k\u00f6rperlich zu sehen glaubt, wenn man ein Auge schliefst Der k\u00fcrzlich von mir gemeinsam mit Herrn Professor E. v. Hippel untersuchte total farbenblinde Herr konnte, wie es bei einigen allerdings nur fl\u00fcchtigen Versuchen schien, mittels des Stereoskops kein k\u00f6rperliches Sehen erzielen. So wenig ich hieraus den Schlufs ziehen wollte, dafs die St\u00e4bchen zum stereoskopischen Sehen ungeeignet seien, so war diese Beobachtung doch mit ein Anlafs f\u00fcr mich, die nachstehend beschriebene Versuchsreihe auszuf\u00fchren, in welcher ich feststellen wollte, ob unter den Bedingungen des reinen D\u00e4mmerungssehens oder Stftbchensehens in analoger Weise k\u00f6rperlich gesehen wird und Tiefenwahmehmung m\u00f6glich ist, wie mit helladaptirten Augen.\nDie Versuche ergaben aufs Unzweideutigste, dafe dies in der That der Fall ist\nZun\u00e4chst l\u00e4fst sich zeigen, dafs die gut dunkeladaptirten Augen Stereoskopbilder gut vereinigen und k\u00f6rperlich sehen, wenn die Beleuchtung derselben unter der fovealen Schwelle bleibt Die Figur einer vierseitigen abgestumpften Pyramide z. B., von oben gesehen, wird ausgesprochen k\u00f6rperlich gesehen, ja wie mir scheint, mit noch gr\u00f6fserer Tiefe als bei Betrachtung im Hellen. Sie war durch dicke weifse Linien auf schwarzem Grunde hergestellt\nMit nur einem Auge betrachtet, erscheint sie nat\u00fcrlich v\u00f6llig flach.\nBeleuchte ich das eine Halbbild, wie in dem eben erw\u00e4hnten Versuche, so schwach, dafs es foveal unsichtbar ist, das andere dagegen st\u00e4rker, so dafs es foveal sichtbar ist, und betrachte nun das erstere mit einem dunkeladaptirten, das andere mit helladaptirtem Auge, so wird ebenfalls ganz deutlich k\u00f6rperlich gesehen. Dabei war durch geeignete Regulirung der Helligkeit Sorge getragen, dafs dem Hellauge sein Bild in der gleichen Helligkeit erschien, wie dem Dunkelauge das seinige.","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"266\nW. A. Nagel.\nIch habe mir sodann eine Versuchsanordnung hergerichtet, entsprechend derjenigen von Heine, und mich zun\u00e4chst davon \u00fcberzeugt, dafs ich bei Beobachtung im Hellen Resultate erhielt, die mit denjenigen Heine\u2019s gut \u00fcbereinstimmen. Die St\u00e4bchen waren 2,25 m von meinen Augen entfernt, die beiden \u00e4ufseren hatten einen Abstand von 10 cm von einander, das mittlere war durch Schnurlauf verschieblich ; die St\u00e4bchen erschienen schwarz auf weifsem Grunde, ihre Enden waren abgedeckt Meine Sehsch\u00e4rfe betr\u00e4gt 2 1/4 bis 2 J/2\u00bb meine Pupillardistanz 64 mm.\nUnter diesen Bedingungen lag die Grenze der Tief en Wahrnehmung f\u00fcr mich bei einer Verschiebung des Mittelst\u00e4bchens um 3 mm vor oder hinter die Ebene der Seitenst\u00e4bchen. F\u00fchrte ich den Versuch im Dunkelzimmer aus und liefs die St\u00e4bchen auf monochromatisch rothem Grunde erscheinen, so war die Tiefenwahmehmung etwas weniger vollkommen, die Grenze bei + 5 bis 6 mm.\nNun schw\u00e4chte ich die Helligkeit des Hintergrundes (nach Entfernung der Rothscheibe) so ab, dafs sie unter der fovealen Schwelle war und beobachtete wiederum in gleicher Weise. Auch in diesem Falle, wobei also die Bedingungen des reinen D\u00e4mmerungssehens eingehalten waren, war Tiefenwahrnehmung in deutlichster Weise m\u00f6glich, die Grenze war weniger verschoben, als ich erwartet hatte, sie lag bei + 10 bis 12 mm\nEs verdient noch erw\u00e4hnt zu werden, dafs ich auf denselben Werth (10 bis 12 mm) kam, wenn ich im Hellen, mit hell-adaptirten Augen beobachtete, aber durch unvollkommene Correction meiner Myopie V auf 1/5 bis 710 herabdr\u00fcckte, also etwa auf den Betrag, der dem Sehen mit der paracentralen Zone des dunkeladaptirten Auges entspricht.\nAlle die hier angegebenen Werthe w\u00fcrden vielleicht durch l\u00e4ngere Uebung noch ein wenig heruntergehen ; mir kam es jedoch nur auf eine ungef\u00e4hre Orientirung \u00fcber die quantitativen Verh\u00e4ltnisse an, nicht auf die Gewinnung genauer absoluter Werthe f\u00fcr die Feinheit der Tiefenwahrnehmung.\n(Eingegangen am 18. October 1901.)","page":266}],"identifier":"lit31941","issued":"1902","language":"de","pages":"264-266","startpages":"264","title":"Stereoskopie und Tiefenwahrnehmung im D\u00e4mmerungssehen","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:16:28.270097+00:00"}