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{"created":"2022-01-31T14:27:31.464014+00:00","id":"lit31945","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Martinak","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 285-286","fulltext":[{"file":"p0285.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbcrirht.\n285\nw. Ament. Die Entwickelang von Sprechen und Denken beim Kinde. Leipzig,\nE. Wunderlich, 1899. VIII u. 213 8.\nEine Monographie der Entwickelung von Sprechen und Denken beim Kinde umfafst, wie Ament 8. 1 klar formulirt, \u201eeine vollst\u00e4ndige Beschreibung des Entwickelungsganges der Worte und ihrer Verkn\u00fcpfungen und des Weges, auf welchem diese zur Repr\u00e4sentation von Vorstellungen und Vorstellungsverkn\u00fcpfungen emporgehoben werden, Begriffe, Urtheile und Schl\u00fcsse bedeuten.\u201c Der Verf. schickt eine kurze Er\u00f6rterung \u00fcber die Quellen und die Methoden und eine recht dankenswerthe Geschichte der Forschung und Litteratur voraus (8. 7\u201428). Hierauf behandelt er I. die Theorie der Beziehungen zwischen Sprechen und Denken (29\u201433), H. die Entwickelung der Worte und ihrer Bedeutungen mit einem Anhang \u00fcber Kinderzeichnungen (33\u2014161), III. die Entwickelung der S\u00e4tze und ihrer Bedeutungen (162\u2014183) und IV. die Entwickelung der Stilistik und Ge-sammtbedeutung des kindlichen Denkens und der kindlichen Weltanschauung (183\u2014196). Beigegeben ist ein Literaturnachweis, ein Namen- und ein Sachregister.\nIn dem I. theoretischen Abschnitte h\u00e4lt sich A. im Grofsen und Ganzen an Benno Ebdmann: er verwirft die Identit\u00e4t von Sprechen und Denken, er scheidet Sachvorstellungen, Wortvorstellungen und die beides verkn\u00fcpfenden Associationen. Doch wird das Ganze so knapp mit einigen Worten abgethan, dafs man von einer \u201eTheorie\u201c kaum sprechen kann. In dem einzigen Punkte, wo er von Ebdmann abweicht, in der Fassung des Begriffes \u201eBegriff\u201c, liegt nicht sosehr ein sachlicher als ein terminologischer Dissens vor, den ich gar nicht erw\u00e4hnen w\u00fcrde, wenn es nicht doch als recht bedauerlich bezeichnet werden ra\u00fcfste, dafs man in so fundamentalen Terminis noch immer nicht zu endg\u00fcltigen Festlegungen kommen will.\nAment scheidet Begriff im weiteren Sinne = Bedeutung eines jeden Wortes \u00fcberhaupt und Begriff im engeren Sinne = Inhalt einer wissenschaftlichen Definition. Hierbei identificirt er einerseits Begriff und Begriffsinhalt, und ignorirt andererseits das Auseinanderfallen von Vorstellungsinhalt und -Gegenstand und schafft sich so selbst eine st\u00f6rende Unklarheit.\nDer II. Abschnitt ist sowohl dem Umfange als dem Inhalte nach der wichtigste. Die Disposition \u2014 1. Entwickelung der Wortform, 2. Statistik der ersten Begriffe eines Kindes, 3. Entwickelung der Wortbedeutung \u2014 ist insofern nicht gl\u00fccklich, als die Natur der 8ache doch wohl verlangt h\u00e4tte, wenn schon das in der Wirklichkeit so mannigfach Durcheinanderspielende aus Gr\u00fcnden der wissenschaftlichen Darstellung getrennt werden muf8te, einerseits die Wort form als solche, andererseits die Bedeutungsvorstellung als solche und schliefslich deren associativen Zusammenschlu\u00df) zu behandeln. Der Verf. aber bespricht schon unter 1. durchaus nicht blos die Wortform, sondern schon bei der \u201edritten Stufe\u201c wird die Bedeutungsvorstellung herangezogen; ebenso sp\u00e4ter in der Wortbildungslehre. Der Uebergang von der zweiten Stufe, dem \u201eLallen\u201c, zur dritten Stufe, der Wortbildung, ist S. 35 etwas rasch abgethan. Gerade hier bei der dritten Stufe wird auch erst v\u00f6llig klar, was A. ganz besonders anstrebt. Durch Vergleichung der Gesetzm\u00e4fsigkeiten der Kindersprache bei verschiedenen","page":285},{"file":"p0286.txt","language":"de","ocr_de":"286\nLiteraturbericht.\nV\u00f6lkern, und andererseits durch Beleuchtung des Verh\u00e4ltnisses der Kinder-spr\u00e4che zur Volkssprache gelangt der Verf. nicht nur zu dem durchaus nicht einwurfsfreien Satze, dafs auch auf diesem Gebiete die ontogenetische Entwickelung eine kurze Wiederholung der phylogenetischen sei, sondern geradezu zur Forderung, es m\u00fcsse eben deshalb die Grammatik der Kinder-sprache Gegenstand einer eigenen Disciplin, einer \u201eKindersprachWissenschaft\u201c werden.\nWerthvoll durch das empirische Material ist die nun folgende descriptive Darstellung der Kindersprache, obwohl sie sich der Disposition, wie schon fr\u00fcher erw\u00e4hnt, nicht durchaus f\u00fcgt. Die oft recht k\u00fchn und weit ausgreifenden sprachwissenschaftlichen Schl\u00fcsse sind hierbei nicht immer v\u00f6llig \u00fcberzeugend. Die S. 76 -131 gegebene Statistik der ersten 200 Begriffe des Kindes ist wohl der. Kernpunkt der ganzen Arbeit zu nennen. Leider hat A., sowie noch allerneuestens A. Waag in seiner \u201eBedeutungsentwickelung unseres Wortschatzes\u201c (Lahr i. B. Schauenburg, 1901), die rein logische Kategorie der Umfangserweiterung und -Verengerung zum Hauptmerkmal seiner Darstellung gew\u00e4hlt, auf deren Mangelhaftigkeit der um die Bedeutungslehre so verdiente K. Schmidt j\u00fcngst (Berliner Zeitschrift f\u00fcr das Gymnasialtoe8en 1901, S. 667) so treffend hingewiesen hat. Hier sollten nur psychologische Gesichtspunkte entscheidend sein. \u2014 In dem Capitel \u201eEntwickelung der Wortbedeutung\u201c begegnen einige Fl\u00fcchtigkeiten. Die bei Kindern beobachtete Verwechselung von auf und ab, warm und kalt, u. \u00e4. mit Abel\u2019s \u201eGegensinn der Urworte\u201c direct in Parallele zu stellen, ist eine mifsliche Sache, m\u00fcfste jedenfalls reichlicher empirisch belegt werden, ja Abel\u2019s These selbst bed\u00fcrfte hierbei wohl der Ueberpr\u00fcfung. Trefflich und fundamental wichtig ist der Hinweis auf die inhaltliche Armuth der kindlichen \u201eBegriffe\u201c. Hierbei ist es jedoch mindestens schief ausgedr\u00fcckt, wenn A. (S. 141) sagt, dafs das Kind, welches z. B. mit \u201emedi\u201c nur seine Schwester bezeichnet, dem Begriffe einen \u201ezu reichen Inhalt\u201c ertheile. Dies ist nur \u00e4ufserlich richtig, psychologisch d\u00fcrfte die Sache wohl besser so zu beschreiben sein: das Kind wendet dieses Wort in dem engeren Sinne von Schwester an, da es den allgemeineren Begriff M\u00e4dchen \u00fcberhaupt noch nicht kennt. \u2014 Sehr lehrreich sind die Darlegungen \u00fcber die verschiedenen Ursachen der Umfangserweiterungen (S. 144ff.); ebenso mufs dankend entgegengenommen werden die wichtige und treffende Auf Stellung der \u201eUrbegriffe\u201c, jenes mehr minder chaotischen Vorstudiums sch\u00e4rferer Abgrenzung von Einzel- oder Allgemeinbegriffen. \u2014 Bei Besprechung der Entwickelung der S\u00e4tze und ihrer Bedeutungen wird manchmal vielleicht etwas zu \u00e4ufserlich registrirt; die Thatsache z. B., dafs ein Kind irgend einen Redetheil gebraucht, beweist noch nicht, dafs es ihn als solchen anwendet und darauf kommt es hierbei doch an. \u2014 Sehr interessant sind die unter \u201eEntwickelung der Stilistik\u201c gebrachten Einzelnheiten.\nDas Buch ist reich an Belehrung, insbesondere f\u00fcr die Durchforschung des kindlichen Denkens. Im Allgemeinen ist der Verf. vielleicht noch etwas zu sanguinisch in der Hoffnung auf eine bald erbl\u00fchende \u201eKindersprachwissenschaft\u201c. F\u00fcr das Thats\u00e4chliche, das er uns bietet und die vielen lichtvollen Einblicke in die Kindesseele mufs ihm auch die Psychologie Dank wissen.\tMartinak (Graz).","page":286}],"identifier":"lit31945","issued":"1902","language":"de","pages":"285-286","startpages":"285","title":"W. Ament: Die Entwickelung von Sprechen und Denken beim Kinde. Leipzig, E. Wunderlich, 1899. VIII u. 213 S","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:27:31.464020+00:00"}