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{"created":"2022-01-31T16:21:35.270874+00:00","id":"lit31968","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Guttmann","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 40: 120-121","fulltext":[{"file":"p0120.txt","language":"de","ocr_de":"120\nLiteraturbericht.\nQ. TON Bongs. AlkoholvergifUlg ud Degeieratioa. Vortr. Leipzig. J. A.\nBarth 1904. 20 8. Mk. 0,40.\nDurch statistische Erhebungen konnte Vert, feststellen, date die chronische Alkoholvergiftung des Vaters die Hauptursache der Unf\u00e4higkeit inm Stillen bei der Tochter ist. Diese \u00fcbrigens vererbbare Unf\u00e4higkeit ist nur ein Symptom einer allgemeinen Degeneration. Ihr parallel gehen erbliche Nervenleiden und Geisteskrankheiten aller Art, sowie die Disposition zu chronischen Infektionskrankheiten, insbesondere der Tuberkulose, ferner die Zahnkaries. Letzteres gilt nat\u00fcrlich auch von den S\u00fchnen. Die Unterschiede in der H\u00e4ufigkeit von Tuberkulose und Nervenleiden bei den Kindern der M&fsigen und Unm\u00e4fsigen sind sehr auffallend.\nDie Alkoholvergiftung ist nicht die einzige Ursache, aber sie ist die Hauptursache, und sie l\u00e4fst sich vor allem gleich beseitigen. Mit der Totalabstinenz wird die Hauptursache der Verbrechen gegen die Person beseitigt. Diese Abstinenz mufs sein ein Kampf gegen das Kapital der Brauer und Brenner, der Alkoholinteressenten, der von allen Klassen der Gesellschaft und mit Unterst\u00fctzung der Wissenschaft gef\u00fchrt wird.\nEbnbt Schultzs (Greifswald'.\nFerdinanb Probst. Der Fall Otto Vein lug er. Eine psychiatrische Studie.\nGrenzfragen d. Nerven- u. Seelenlebens. 1904. 40 8.\nm\nDas Buch des 21 j\u00e4hrigen Dr. phil. Weiningeb \u201eGeschlecht und Charakter\u201c hatte 1901 grofses Aufsehen erregt. W\u00e4hrend die einen, an der Spitze Moebius, es f\u00fcr das Produkt eines pathologischen Geisteszustandes erkl\u00e4rten, glaubten andere in dem Verfasser den neuen Messias zu erkennen. Der sensationelle Selbstmord, den Wbiningkb im Sterbehause Beethovens 2 Jahre sp\u00e4ter beging, sowie sein nach seinem Tode erschienenes Buch \u00fcber \u201eDie letzten Dinge\u201c hatten einen der Herausgeber der obenbezeichneten Hefte, den M\u00fcnchener Neurologen L\u00f6wenfeld, veranlagt, den \u201eFall Weininger\u201c genauer zu studieren. \u00c4ufsere Umst\u00e4nde f\u00fchrten dazu, dafs Probst das von L\u00f6weh-fblb gesammelte biographische Material f\u00fcr diese Studie verwenden konnte. Eine weitere Grundlage gab ihm die Biographie Weiningebs von Rappapobt, einem seiner J\u00fcnger, die er aber nur vorsichtig benutzen konnte, da sie selbst einen \u201eexquisit pathologischen Charakter\u201c tr\u00e4gt. Die Berichte dieser beiden Kenner von Weiningebs Lebenslauf widersprechen sich auch teilweise sehr stark, gestatten aber schliefslich trotzdem ein Bild seiner eigent\u00fcmlichen Pers\u00f6nlichkeit zu gewinnen.\nDie Knabenzeit und die ersten Semester des jungen Studenten verlaufen nach Pbobst ohne besonders auff\u00e4llige Abweichungen vom Normalen. Erst nach dem 22. Jahre erfolgte eine grofse Umwandlung seiner Pers\u00f6nlichkeit, die sich darin \u00e4ufsert, dafs er sich zum Mystiker entwickelt, dafs die Natur ihm zum Symbol wird, dafs er sich zum Musiker geboren w\u00e4hnt, geschlechtlich abstinent wird und die Lehre vom ethischen Dualismus, dafs der Mensch z. T. von Gott, z. T. vom Staube stamme, aufstellt. Er wird sehr deprimierter Gem\u00fctsstimmung, geht f\u00fcr l\u00e4ngere Zeit auf Reisen, verfafst sein zweites Buch, kehrt nach Wien zur\u00fcck und erschiefst sich dort.\nWichtiger als diese \u201eAnamnese\u201c sind nach Pbobst die beiden B\u00fccher,","page":120},{"file":"p0121.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n121\ndie er f\u00fcr die absolut sichere und haupts\u00e4chliche Grundlage der Beurteilung von Wehoegbbs Geisteszustand erkl\u00e4rt, in denen dieser glaubt \u201edas psychologische Problem des Geschlechtsgegensatzes gel\u00f6st und eine abschlie\u00dfende Antwort auf die sogenannte Frauenfrage gegeben zu haben: eine v\u00f6llig phrasenfreie, biB zum letzten Ende menschlichen Wissens gef\u00fchrte Erforschung des Wesens der Frau und die Erh\u00f6hung der Streitfrage auf ein Niveau, auf dem die bisherigen Er\u00f6rterungen sich nicht bewegt haben\u201c. Pbobst folgt Wbikibqebs Ausf\u00fchrungen, sie fortgesetzt zitierend, kommentierend, widerlegend; er zeigt, dafs Wbiniegbbs \u201eEntdeckungen\u201c der beiden Idealtypen (des absoluten Mannes = M, des absoluten Weibes = W) und der sexuellen Zwischenstufen (die die Norm bedeuten w\u00fcrden) durchaus nicht originell waren, dafs Weinikgeb vielmehr eine Menge (besonders Moebius) gelesen hatte und \u2014 bestenfalls! \u2014 nicht mehr wufste, was sein eigener Gedanke, was Erinnerung war.1 Viel wichtiger sei aber, dafs die Schl\u00fcsse, die Weininghr aus diesen Gedanken ziehe, pathologisch seien. Es folgt eine Darlegung des Systems der WEramoEBschen \u201ePhilosophie\u201c: der Hauptfehler liegt nach Pbobst erstens darin, dafs Welntsger als Tatsachen hinstelle, was er erst beweisen m\u00fcfste und davon ausgehend zu den k\u00fchnsten Schl\u00fcssen komme, da\u00df er aber zweitens, wie Moebius sagt, \u201edadurch zu sachlichen Kenntnissen zu kommen suche, dafs er ohne R\u00fccksicht auf die Erfahrung verallgemeinere und das, was bedingungswe\u00dfe gilt, f\u00fcr bedingungslos erkl\u00e4re\u201c. Die aprioristische Annahme von gr\u00f6\u00dfter Tragweite, die dem Buch zugrunde liege, habe eben schon vor der Durchf\u00fchrung der Arbeit bestanden. Im einzelnen mu\u00df das nat\u00fcrlich im Original nachgelesen werden. Ebenso die Begr\u00fcndung der psychiatrischen Diagnose: \u201eHysterie mit exquisit manisch-depressivem Charakter bei einem sogenannten D\u00e9g\u00e9n\u00e9r\u00e9 sup\u00e9rieur\u201c, die neuerdings (wie die ganze PsoBsische Brosch\u00fcre) von Helrach scharf angegriffen worden kt. Probst pl\u00e4diert zum Schlu\u00df daf\u00fcr, Weimnger nicht von literarischem Standpunkt aus zu bek\u00e4mpfen oder gar zu verachten, sondern den Ungl\u00fccklichen, dessen gl\u00e4nzende Begabung von einem schweren Schicksal zum Wahnsinn gef\u00fchrt wurde, zu bedauern.\nGuttmamn (Berlin).\nJahrbuch f\u00fcr sexuelle Zwischenstufen unter besonderer Ber\u00fccksichtigung der Homosexualit\u00e4t. Herausgegeben im Namen des wissenschaftlich-humanit\u00e4ren Komitees von Dr. med. M. Hibschpeld. VI. Jahrgang. Leipzig, Max Spohr. 1904. 744 S.\nEine ausf\u00fchrliche Besprechung des VI. Jahrbuches kann der Referent wohl unterlassen, nachdem er Zweck und Ziele der Herausgeber in den letzten B\u00e4nden dieser Zeitschrift wiederholt genauer besprochen hat. Der neueste Band, gl\u00fccklicherweise erheblich k\u00fcrzer als die fr\u00fcheren Jahresberichte, bringt wieder zahlreiche Beweisst\u00fccke, die dem Kampfe gegen die jetzige Gestaltung des \u00a7 176 dienen. Es scheint sich auch nun eine st\u00e4rkere Str\u00f6mung \u2014 wenigstens unter den Gebildeten \u2014 geltend zu machen, die zur Aufhebung bzw. \u00c4nderung dieses Ungl\u00fccksparagraphen\n1 Vergl. das Referat \u00fcber das \u201eJahrbuch f. sex. Zwischenst.\u201c (diese Zeitschr. 36, Heft I/Il), wo dieselbe Theorie von Hibschfeld entwickelt wird.","page":121}],"identifier":"lit31968","issued":"1906","language":"de","pages":"120-121","startpages":"120","title":"Ferdinand Probst: Der Fall Otto Weininger. Eine psychiatrische Studie. Grenzfragen d. Nerven- u. Seelenlebens. 1904. 40 S.","type":"Journal Article","volume":"40"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:21:35.270879+00:00"}