Open Access
{"created":"2022-01-31T15:18:49.123554+00:00","id":"lit31971","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Saxinger, Robert","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 40: 145-159","fulltext":[{"file":"p0145.txt","language":"de","ocr_de":"145\nBeitr\u00e4ge zur Lehre von der emotionalen Phantasie.\nVon\nDr. Robebt Saxingek (Linz).\nInhalt.\n\u00a7 1. Die abstrakten Gef\u00fchle Ribots................................145\n\u00a7 2. DispositionspsychologiBche Bemerkungen.......................151\n\u00a7 3. Zur Charakteristik der Phantasiebegehrungen .................157\n\u00a7 1. Die abstrakten Gef\u00fchle Ribots.\nPsychologische Untersuchungen, die sich einem noch nicht erforschten Tatsachengebiete zuwenden, m\u00fcssen sich vor allem mit der Frage besch\u00e4ftigen, ob die zu untersuchenden Gegenst\u00e4nde zu den Tatsachen sui generis geh\u00f6ren, oder ob sie sich in bekannte psychische Vorkommnisse zerlegen lassen. Es war daher auch hinsichtlich der von Mein on o erschlossenen Tatsachen der emotionalen Phantasie notwendig, den Nachweis zu erbringen, dafs dieselben in Wahrheit letzte Tatsachen sind.1 Dieser Aufgabe habe ich mich in dem Aufsatze \u201e\u00dcber die Natur der Phantasiegef\u00fchle und Phantasiebegehrungen\u201c unterzogen.s Mit R\u00fccksicht auf die zur Verf\u00fcgung gestellte Zeit, innerhalb welcher diese Arbeit abgeschlossen werden raufste, konnte auf alles das, was zu dem Hauptthema nicht in unmittelbarer Beziehung stand und f\u00fcr dasselbe nicht von entscheidendem Belang war, nicht n\u00e4her eingegangen werden. So mufste ich auch Fragen, die sich im Laufe der Untersuchung aufdr\u00e4ngten, zur\u00fcckstellen und einer sp\u00e4teren Bearbeitung Vorbehalten. In diesem Zu-\n1 Mrdtong , \u00dcber Annahmen, Zeitschr. f. Psychol, w. Physiol, d. Sinnesorgane. ErgSnzungsband II, \u00a7 53. 1902.\n* Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie. Hrsgg. v. A. Meimong. (Leipzig, Joh. Ambr. Barth. 1904.) 8 . 579.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 40.\n10","page":145},{"file":"p0146.txt","language":"de","ocr_de":"146\nRobert Salinger.\nsammenhange soll nun einiges, was aus dem erw\u00e4hnten Grande dort unausgef\u00fchrt und ununtersucht blieb, beigebracht werden.\nEs mag aufgefallen sein, dafs in dem Aufsatze \u00fcber die Natur der Phantasiegef\u00fchle und Phantasiebegehrungen zwar untersucht wird, ob die Gef\u00fchlst\u00f6ne der Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen Phantasiegef\u00fchle sind, die abstrakten Gef\u00fchle Ribots dagegen mit Stillschweigen \u00fcbergangen wurden.1 Die RiBOTsche \u201eGef\u00fchlsabstraktion\u201c und die ELSENHAKSsche \u201eGef\u00fchlsverallgemeinerung\u201c sind in gewisser Beziehung verwandte Probleme und es w\u00e4re daher naheliegend gewesen, auch das erstere mit in den Kreis der Betrachtung zu ziehen.2 Indes es ist dies absichtlich unterlassen worden. Erstens deshalb, weil es sich dort nur um den Nachweis handelte, dafs die Phantasiegef\u00fchle auch in Verbindung mit Vorstellungen Vorkommen und hierzu die Berufung auf die Gef\u00fchlst\u00f6ne der Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen gen\u00fcgte. Zweitens darum, weil sich damals noch nicht mit Sicherheit entscheiden liefs, ob das Erkl\u00e4rungsprinzip, das sich in Ansehung der Gef\u00fchlst\u00f6ne der Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen bestens bew\u00e4hrte, auch eine sinngem\u00e4fse Anwendung auf die von Ribot beobachtete emotionale Erscheinung gestatte.\nSowie ich urspr\u00fcnglich geneigt war, die Gef\u00fchlst\u00f6ne gewisser Allgemein- und Wortvorstellungen f\u00fcr wirkliche Gef\u00fchle zu halten, so erblickte ich auch in den abstrakten Gef\u00fchlen Ribots nur wirkliche Gef\u00fchle und meinte, dafs im ersten Falle Allgemeinvorstellungen bzw. Wortvorstellungen, im zweiten abstrakte Vorstellungen die psychologische Voraussetzung dieser Gef\u00fchle seien. In der Berichtigung, die diese Auffassung hinsichtlich der Gef\u00fchlst\u00f6ne durch die Heranziehung der Phantasiegef\u00fchle erfahren hat, liegt nat\u00fcrlich keineswegs die Behauptung beschlossen, dafs die Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen keine wirklichen Gef\u00fchle hervorzurufen verm\u00f6chten. Denn unleugbar trifft man ab und zu F\u00e4lle an, in welchen auch wirk-\n1 Ebenda S. 595 ff.\n* Vgl. hierzu meinen Aufsatz \u201eDispositionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fchlskomplexionen\u201c, Zeitschr. f. Psychol, u. Physiol, d. Sinnesorg. 3\u00ae, S. 416 fl. ; Eibot , L'abstraction des emotions, L'ann\u00e9e, psychologique 3, S. 1\u20149, 1897, u. Elsenhans, \u00dcber Verallgemeinerung der Gef\u00fchle, Zeitschr. f. Psychol. 24 (3 u. 4).","page":146},{"file":"p0147.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge tur Lehre von der emotionalen Phantasie.\n147\nliehe Gef\u00fchle derartige Vorstellungen begleiten.1 Indes diese wirklichen Gef\u00fchle machen nicht die Gef\u00fchlst\u00f6ne aus, welche den Allgemein Vorstellungen und Wortvorstellungen etwa anhaften. Vielmehr zeigt es sich, dafs die als Gef\u00fchlston be-zeichnete emotionale Erscheinung und wirkliche Gef\u00fchle zugleich mit einer und derselben Vorstellung verkn\u00fcpft sein k\u00f6nnen. Auch den Gegenst\u00e4nden abstrakter Vorstellungen k\u00f6nnen sich ohne Zweifel wirkliche Gef\u00fchle zuwenden.* * Aber, dafs die \u201eabstrakten Gef\u00fchle\u201c nichts anderes sind als Gef\u00fchle an abstrakten Vorstellungen, das wird man bei n\u00e4herer Pr\u00fcfung nicht sagen k\u00f6nnen. Es bedarf somit der Feststellung, welcher Art die von Ribot ins Auge gefafste emotionale Erscheinung ist. In den diesbez\u00fcglichen Darlegungen wollen wir uns an zwei Beispiele halten, welche Ribot anf\u00fchrt, um das Vorhandensein abstrakter Gef\u00fchle zu beweisen.8\nWenn wir ein Kloster besuchen oder eine Reise in ein fremdes Land unternehmen, so erleben wir eine Reihe von Wahrnehmungsvorstellungen und Wahmehmungsurteilen, sowie Gef\u00fchle, die durch diese psychischen Geschehnisse hervorgerufen werden. Von dem, was wir beim Besuche des Klosters oder w\u00e4hrend der Reise gesehen und geh\u00f6rt haben, bleibt vieles im Ged\u00e4chtnis aufbewahrt und wir verm\u00f6gen uns mehr oder minder genau an die Gegenst\u00e4nde der WahrnehmungsVorstellungen und Wahrnehmungsurteile zu erinnern. Mit dem Auftreten der betreffenden Erinnerungsvorstellungen und Erinnerungsurteile pflegt dann auch eine Wiedererzeugung der seinerzeit erlebten Vorstellungs- und Urteilsgef\u00fchle Hand in Hand zu gehen.\nDie Erfahrung zeigt nun, dafs die Reproduktion h\u00e4ufig insofern ein abgek\u00fcrztes Verfahren einschl\u00e4gt, als sie aus einem bestimmten Kreise wahrgenommener Gegenst\u00e4nde die wichtigsten derselben in einer Vorstellung zusammenfafst und sich auf die Hervorbringung dieser einen Erinnerungsvorstellung beschr\u00e4nkt. Solche Erinnerungsvorstellungen, die das Wesentlichste der \u00e4ufseren Eindr\u00fccke, gleichsam in einem Bilde vereinigt wiedergeben, besitzen die Tendenz zum Auftauchen im Bewufstsein.\n1 z. B. Personennamen, welche uns mifsfallen.\n' Vgl. \u201eDispositionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fchlskomplexionen.\u201c S. 418.\n* Ribot ist der Ansicht, dafs z. B. der Besuch eines Klosters oder die Bereisung eines fremden Landes, einen allgemeinen Gef\u00fchlseindruck hinter-lftfst. Vgl. \u201eDispositionspsychologisches \u00fcber Gef\u00fchlskomplexionen\u201c. S. 417.\n10*","page":147},{"file":"p0148.txt","language":"de","ocr_de":"148\nRij>-rr' .<irin\u00fftr.\nEs erhellt dies daraas, dals, wenn die Reproduktion ins einzelne gebt und, soweit dies gegebenenfalls \u00fcberhaupt m\u00f6glich ist, einen vollst\u00e4ndigen Verlauf zu nehmen sucht, es stets diese Erinnerungsvorstellungen sind, die sich zuerst im Bewu\u00dftsein einstellen und sozusagen die Br\u00fccke f\u00fcr das reproduktive Vorstellen der anderen Gegenst\u00e4nde bilden. Diese so bevorzugten Erinnerungsvorstellungen gehen auch, \u2014 vermutlich eben infolge ihrer leichteren Reproduzierbarkeit, \u2014 Verbindungen mit Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen ein und bilden dann das anschauliche Substrat dieser Vorstellungen.1 * Im folgenden seien solche Vorstellungen, welche die Eignung besitzen, unter Umst\u00e4nden f\u00fcr Allgemein Vorstellungen und Wortvorstellungen das anschauliche Substrat abzugeben, kurzweg als Substratvorstellungen bezeichnet\nAuch in den oben angef\u00fchrten F\u00e4llen vom Klosterbesuch und der Reise in ein fremdes Land kommt es zur Entstehung von Substratvorstellungen. Diese Substratvorstellungen versorgen nunmehr die Allgemeinvorstellung Kloster, sowie den Namen (Wortvorstellung) des bereisten Landes mit dem entsprechenden anschaulichen Substrat, indem sie in beiden F\u00e4llen ein etwa fr\u00fcher vorhandenes anschauliches Substrat verdr\u00e4ngen und an die Stelle desselben treten. Eine genauere Pr\u00fcfung der Substratvorstellungen in unseren Beispielen ergibt nun, dafs diese Vorstellungen von eigenartigen emotionalen Zutaten begleitet sind und \u00e4hnlich wie gewisse Allgemein Vorstellungen und Wortvorstellungen ein gef\u00fchlsm\u00e4lsiges Gepr\u00e4ge, oder wie man auch sagen kann, einen emotionalen Hintergrund besitzen.\n\u00dcber die Natur dieser emotionalen Erscheinung k\u00f6nnen die Ansichten auseinander gehen. Es ist naheliegend zu vermuten, dafs die fragliche Erscheinung in nichts anderem als in reproduzierten Gef\u00fchlen bestehe. Wurde doch fr\u00fcher hervorgehoben, dafs sich an die Erinnerungsvorstellungen Vorstellungsgef\u00fchle und, insoweit Urteile hinzutreten, auch Urteilsgef\u00fchle anschliefsen k\u00f6nnen.9 Da auch die Substratvorstellungen Erinnerungsvorstellungen sind, so scheint zur Erkl\u00e4rung des emotionalen Hintergrundes der in Rede stehenden Substratvorstellungen der Hinweis auf wiedererzeugte Vorstellungs- und Urteilsgef\u00fchle zu gen\u00fcgen. Zugunsten dieser Anschauung spricht auch der Umstand,\n1 S. H\u00f6flkb, Logik. (Wien, Tempsky. 1890.) S. 32.\n* S. oben S. 147.","page":148},{"file":"p0149.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von der emotionalen Phantasie.\n149\ndafs die Qualit\u00e4t des emotionalen Gepr\u00e4ges der Substratvorstellungen \u201eKloster\u201c und \u201efremdes Land\u201c 1 mit der Qualit\u00e4t jener Gef\u00fchle, welche w\u00e4hrend der Besichtigung des Klosters und w\u00e4hrend der Reise im fremden Lande vorgeherrscht haben, \u00fcbereinstimmt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wird man n\u00e4mlich f\u00fcglich behaupten k\u00f6nnen, dafs die bei der Besichtigung eines Klosters erlebten Gef\u00fchle einen ernsten Charakter besitzen, und dafs der Besucher sich in den meisten F\u00e4llen einer d\u00fcsteren Stimmung kaum wird erwehren k\u00f6nnen. Vereinzelte Lustgef\u00fchle m\u00f6gen ja mit dabei sein, aber sicherlich \u00fcberwiegen in der Regel die Unlustgef\u00fchle. Gerade das Gegenteil wird sich von den Reiseeindr\u00fccken sagen lassen, \u2014 nat\u00fcrlich wiederum von einzelnen Ausnahmen abgesehen: Haben dort die Unlustgef\u00fchle die Oberhand, so pr\u00e4dominieren hier die Lustgef\u00fchle. Indessen bedingt die \u00dcbereinstimmung des emotionalen Gepr\u00e4ges mit den erw\u00e4hnten Gef\u00fchlserlebnissen im Punkte des qualitativen Vorzeichens keineswegs die Ansicht, dafs jenes aus der Reproduktion dieser bestehe ; vielmehr ist dieses Moment, wie sich sp\u00e4ter zeigen wird, auch von einem anderen Gesichtspunkte aus verst\u00e4ndlich.* * Die eben angedeutete Auffassung ist nun zun\u00e4chst hinsichtlich der Beteiligung der Urteilsgef\u00fchle an dem Zustandekommen des emotionalen Hintergrundes der Substratvorstellungen leicht widerlegt. Einmal l\u00e4fst sich wahmehmen, dafs die fragliche emotionale Erscheinung den Substratvorstellungen unmittelbar anhaftet und nicht auf eingeschobene Zwischenglieder zur\u00fcckgeht. Weiter zeigt die Beobachtung, dafs der emotionale Hintergrund der gedachten Substratvorstellungen auch vorhanden ist, wenn sich, was ja in jedem einzelnen Falle unschwer festgestellt werden kann, an die Substratvorstellungen keine Urteilsakte anreihen. Aus Urteilsgef\u00fchlen kann mithin der emotionale Hintergrund nicht bestehen. Der Versuch, diese emotionale Erscheinung in Vorstellungsgef\u00fchle aufzul\u00f6sen, versagt aber ebenfalls. Denn die Erfahrung zeigt, dafs der emotionale Hintergrund auch dann vorhanden ist, wenn die Substratvorstellungen Vorstellungsgef\u00fchle hervorrufen. Ein Nebeneinander des emotionalen Hintergrundes und der wirklichen Gef\u00fchle w\u00e4re nun nicht m\u00f6glich, wenn jener aus diesen best\u00e4nde. Das emotionale Gepr\u00e4ge\n1 Diese kurze Bezeichnung der gegenst\u00e4ndlichen Substratvorstellungen sei hier und im folgenden gestattet.\n* Vgl. Anmerkung 1 auf 8. 157.","page":149},{"file":"p0150.txt","language":"de","ocr_de":"150\nRobert {taxing\u00abr.\nder erw\u00e4hnten Substratvorstellungen ist also auch ein von den Vorstellungsgef\u00fchlen verschiedenes emotionales Erlebnis.\nFerner kommt in Betracht, dafs das in Rede stehende emotionale Ph\u00e4nomen wie die Gef\u00fchlst\u00f6ne der Allgemeinvor Stellungen und Wortvorstellungen in gewisser Beziehung ein anderes Verhalten aufweist als die wirklichen Gef\u00fchle. Von den Gef\u00fchlst\u00f6nen der Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen wurde an anderer Stelle dargetan, dafs sie weder in der Weise der wirklichen Gef\u00fchle der Abstumpfung unterliegen, noch durch aktuelle Gef\u00fchle beeintr\u00e4chtigt werden, noch selbst auf solche irgend welchen Einflufs nehmen.1 * Ganz dasselbe l\u00e4fst sich nun von dem emotionalen Gepr\u00e4ge der Substratvorstellungen \u201eKloster\" und \u201efremdes Land\u201c sagen. Diese Vorstellungen besitzen, wie die Erfahrung zeigt, ihren emotionalen Hintergrund auch noch zu einer Zeit, zu welcher die sie begleitenden wirklichen Gef\u00fchle bereits erloschen oder doch dem Erl\u00f6schen nahe sind. Man kann sich auch durch leicht anzustellende Gedankenexperimente davon \u00fcberzeugen, dafs der emotionale Hintergrund der er w\u00e4hnten Substratvorstellungen einerseits von vorhergehenden anderweitigen Gef\u00fchlszust\u00e4nden in keiner Weise ber\u00fchrt wir! und andererseits selbst weder auf die Entstehung, noch auf den Verlauf aktueller Gef\u00fchlsbewegungen einen Einflufs aus\u00fcbt.5\nDiese Tatsachen weisen nun analog wie bei den Gef\u00fchlst\u00f6nen der Allgemeinvorstellungen und Wort Vorstellungen darauf hin, dafs die Disposition, welcher die fragliche emotionale Erscheinung ihr Dasein verdankt, anders beschaffen ist, als die Dispositionen zu wirklichen Gef\u00fchlen. Mit anderen Worten: Das, was den besagten emotionalen Hintergrund der Substratvorstellungen ausmacht, sind \u00fcberhaupt nicht wirkliche Gef\u00fchle. Die hervorgehobenen Eigenschaften des emotionalen Hintergrundes der gedachten Substratvorstellungen sind genau die Eigenschaften, welche wir an den Gef\u00fchlst\u00f6nen der Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen wahmehmen k\u00f6nnen. Ferner zeigt die vergleichende Beobachtung, dafs jene Gef\u00fchlst\u00f6ne und der erw\u00e4hnte emotionale Hintergrund denselben \u00e4ufseren Aspekt aufweisen Da nun die Gef\u00fchlst\u00f6ne der Allgemeinvorstellungen und Wort-vorstellungen Phantasiegef\u00fchle sind, so werden wir angesichts\n1 Vgl. Untersuchungen zur Gegenstandstheorie u. Psychologie. S. 596 fl.\n* Ebenda S. 599.","page":150},{"file":"p0151.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von der emotionalen Phantasie.\t151\ndes Umstandes, dafs das die Substratvorstellungen \u201eKloster\u201c und \u201efremdes Land\u201c begleitende emotionale Ph\u00e4nomen alle Merkmale und Z\u00fcge der Gef\u00fchlst\u00f6ne an sich tr\u00e4gt, unbedenklich behaupten d\u00fcrfen, dafs dieses Ph\u00e4nomen gleichfalls aus Phantasiegef\u00fchlen besteht.\nEs w\u00fcrde keine Schwierigkeiten bereiten, auch an anderen verwandten F\u00e4llen nachzuweisen, dafs, sofern die Substratvorstellungen einen gef\u00fchlsartigen Hintergrund besitzen, die Phantasiegef\u00fchle daran ihren wesentlichen Anteil haben. Ich meine nun, dafs eben dieser emotionale Hintergrund diejenige emotionale Erscheinung ist, welche Ribot, \u2014 wahrscheinlich infolge ihrer Eigenart, \u2014 auffiel und welche er als \u201eGef\u00fchlsniederschlag\u201c, als \u201eallgemeinen Gef\u00fchlseindruck\u201c bezeichnete. Es ist jetzt auch ohne weiteres begreiflich, inwiefern das Problem der Gef\u00fchlsverallgemeinerung und das der Gef\u00fchlsabstraktion als verwandt anzusehen sind : Elsenhans und Ribot haben zwar die gleiche emotionale Erscheinung im Auge, nicht aber die gleiche intellektuelle Grundlage derselben. Der eine beobachtete sie bei den Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen, der andere bei den Substratvorstellungen.\n\u00a7 2. Dispositionspsychologische Bemerkungen.\nZu den in der mehrfach erw\u00e4hnten Schrift \u00fcber die Natur der Phantasiegef\u00fchle und Phantasiebegehrungen zur\u00fcckgestellten Fragen geh\u00f6rt auch die, wie denn die Verbindung zwischen Phantasiegef\u00fchlen einerseits und Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen andererseits zustande kommt. Die gleiche Frage erhebt sich auch hinsichtlich der Verbindung zwischen den Phantasiegef\u00fchlen und den Substratvorstellungen. Zun\u00e4chst soll die zweite der beiden Fragen er\u00f6rtert werden. Die Beantwortung der ersteren wird sich dann von selbst ergeben. Zu diesem Behufe wollen wir abermals auf die im vorhergehenden Paragraphen angef\u00fchrten Beispiele zur\u00fcckgreifen.\nEs ist oben darauf hingewiesen worden, dafs sich bei der Besichtigung eines Klosters und w\u00e4hrend einer Reise im fremden Lande sowohl Urteils- als auch Vorstellungsgef\u00fchle einzustellen pflegen.1 Mit der Aufz\u00e4hlung dieser Gef\u00fchle erscheint jedoch die Darstellung der emotionalen Begebenheiten, \u2014 von Begehrungs-\n1 Vgl. oben S. 147.","page":151},{"file":"p0152.txt","language":"de","ocr_de":"152\nRobert So\u0153is\u00ffW.\nerlebnissen vollst\u00e4ndig abgesehen, \u2014 noch nic\u00f9t ersch\u00f6pft. Wie dies gemeint ist, wird sogleich deutlich werden.\nNaturgem\u00e4fs werden sich verschiedene Personen bei der Besichtigung eines Klosters je nach ihrer Veranlagung verschiedenes denken. Und zwar wird sich dabei das Denken der meisten zwischen den Extremen einer Phantasie\u00fcberproduktion und einer sozusagen n\u00fcchternen Betrachtung bewegen. Insbesondere d\u00fcrften diejenigen selten sein, welche in einem Kloster nichts anderes als ein Geb\u00e4ude mit langen G\u00e4ngen, vergitterten Fenstern etc. sehen. Die Besucher werden wohl auch von dem im Kloster sich abwickelnden Leben etwas gewahr werden und, wenn man ihnen auch nicht allzuviel wahrnehmen l\u00e4fst, so sehen sie in der Regel doch genug, um sich dar\u00fcber Gedanken machen zu k\u00f6nnen. Dazu kommt, dafs alles das, was der Beschauer \u00fcber das Klosterleben geh\u00f6rt und gelesen hat, bei dieser Gelegenheit in ihm wieder lebendig wird. Die verschiedensten Faktoren werden die Phantasiefunktion anregen und unvermeidlich wird sich der Besucher im Geiste in die Lage der Bewohner hineinversetzen und im Gedanken das Leben im Kloster mitleben. Solchem sich \u201eHineinversetzen\u201c (Annehmen) entspricht nun auf emotionaler Seite das Auftreten von Phantasiegef\u00fchlen. Diese ersetzen, wie in anderen F\u00e4llen des Annehmens, die wirklichen Gef\u00fchle; sie geben ein anschauliches Bild der Gef\u00fchlsbewegung, die sich ein-stellen w\u00fcrde, wenn das, was im Geiste erschaut wird, wirklich w\u00e4re.\nIn analoger Weise werden sich auch bei der Bereisung eines fremden Landes und w\u00e4hrend des Aufenthaltes in demselben die verschiedensten Anl\u00e4sse zur Entfaltung der Phantasiet\u00e4tigkeit ergeben. Hier wie dort werden die betreffenden Annahmen von Phantasiegef\u00fchlen begleitet.\nSowie von den \u00e4ufseren Wahrnehmungen, so kann auch von den Erinnerungsvorstellungen die Anregung zur Bet\u00e4tigung der Phantasiefunktion ausgehen. In diesem Falle wiederholt sich das Spiel der Phantasie und das damit im Zusammenhang stehende Auftreten der Phantasiegef\u00fchle. Es k\u00f6nnte daher vielleicht die Ansicht entstehen, dafs die mit den Substratvorstellungen \u201eKloster\u201c und \u201efremdes Land\u201c verbundenen Phantasiegef\u00fchle durch Annahmen, welche sich an die bezeichneten Vorstellungen anschliefsen, hervorgerufen w\u00fcrden.\nDieser Meinung ist jedoch entgegenzuhalten, dafs erstens die","page":152},{"file":"p0153.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von der emotionalen Phantasie.\n153\nPhantasiegef\u00fchle, wie die innere Wahrnehmung zeigt, unmittelbar an den angef\u00fchrten Substratvorstellungen haften und zweitens auch dann auftreten, wenn sich an die betreffenden Vorstellungen keine Annahmen anschliefsen. Die Substratvorstellungen bilden also Belbst die psychologische Voraussetzung der zugeordneten Phantasiegef\u00fchle, d. h. sie sind die Erreger der diesen Phantasiegef\u00fchlen zugrunde hegenden Dispositionen. Es fragt sich nun, ob etwa die Phantasiegef\u00fchle von den Annahmen auf die Sub-stratvorstellungen in \u00e4hnlicher Weise \u00fcbergehen, wie wirkliche Gef\u00fchle von einer Vorstellung auf die andere.\nIm Gebiete der wirklichen Gef\u00fchle gibt es unleugbar Tatsachen, welche darauf hindeuten, dais innerhalb gewisser Grenzen ein Wechsel auf Seite des Dispositionserregers stattfinden kann, ohne dafs deshalb die Aktualisierung der Disposition unterbleibt. Fungiert z. B. f\u00fcr die Gef\u00fchlsdisposition D die Vorstellung des Gegenstandes A als Dispositionserreger, so vermag auch die Vorstellung eines dem A \u00e4hnlichen Gegenstandes die erw\u00e4hnte Gef\u00fchlsdisposition zu aktualisieren. Unter besonderen Umst\u00e4nden ist sogar eine noch viel betr\u00e4chtlichere Erweiterung des Umkreises der f\u00fcr eine und dieselbe Gef\u00fchlsdisposition in Betracht kommenden Dispositionserreger m\u00f6glich : Die unter dem Namen Gef\u00fchlsassoziation bekannten F\u00e4lle legen die Ansicht nahe, dafs Vorstellungen die Bef\u00e4higung erhalten k\u00f6nnen, Gef\u00fchlsdispositionen, f\u00fcr welche andere Vorstellungen die zugeh\u00f6rigen Erreger 6ind, zur Aktualisierung zu bringen.1 Weiter wissen wir, dafs bei unge\u00e4nderter Gef\u00fchlsdisposition gleichen oder \u00e4hnlichen Dispositionserregern gleiche oder \u00e4hnliche Korrelate entsprechen und das Entstehen verschiedener Korrelate bei gleichem Dispositionserreger in Ver\u00e4nderungen der Gef\u00fchlsdisposition seinen Grund hat. * * Wenn es sich nun zeigt, dafs eine Gef\u00fchlsdisposition, f\u00fcr welche eine bestimmte Vorstellung die intellektuelle Grundlage bildet, von einem gewissen Zeitpunkte an auch durch eine andere Vorstellung aktualisiert werden kann, so muls gleichfalls angenommen werden, dafs eine Ver\u00e4nderung der Gef\u00fchlsdisposition vorliegt. Das, was man als Gef\u00fchlsassoziation zu bezeichnen\n1 Vgl. H\u00f6fleb, Psychologie S. 413 und v. Ehbenfels, System der Werttheorie I., S. 121. S. auch Lehmann, Hauptgesetze des menschlichen Gef\u00fchlslebens. S. 263.\n* Vgl. meinen Aufsatz \u201e\u00dcber den Einflufs der Gef\u00fchle auf die Vorstellungsbewegung\u201c, Zeitschrift f. Psychol. 27, B. 24.","page":153},{"file":"p0154.txt","language":"de","ocr_de":"154\nh'ohrrt So x in g er.\npflegt, beruht also genau genommen auf dispositionellen Vorg\u00e4ngen. Die Bedingung endlich, unter welcher die Gef\u00fchlsassoziation zustande- kommt, ist bekanntlich die, dafs die mit einem Gef\u00fchle verbundene Vorstellung und die indifferente Vorstellung zusammen im Bewu\u00dftsein auftreten.\nVersucht man es nun, die Verbindung zwischen Phantasiegef\u00fchlen und Substratvorstellungen nach dem Schema der Gef\u00fchlsassoziation zu deuten, so k\u00f6nnte man sich jedenfalls darauf berufen, dafs Annahmen und Substratvorstellungen psychische Tatsachen sind, welche sich zusammen im Bewufstsein einfinden. Denn wie bereits fr\u00fcher erw\u00e4hnt wurde, k\u00f6nnen die Erinnerungsvorstellungen den Ankn\u00fcpfungspunkt f\u00fcr das Spiel der Phantasie abgeben und das, was in dieser Beziehung von den Erinnerungsvorstellungen im allgemeinen behauptet wurde, gilt im besonderen wohl auch von den Substratvorstellungen. Indes steht der Ansicht, dafs die Substratvorstellungen infolge des Zusammenseins mit den Annahmen im Bewufstsein die Eignung erhalten, die Phantasiegef\u00fchlsdispositionen, welche durch die betreffenden Annahmen in Aktivit\u00e4t versetzt werden, zu aktualisieren, eine schwerwiegende Tatsache entgegen. Die Beobachtung zeigt n\u00e4mlich, dafs, wenn sich an die Substratvorstellungen \u201eKloster\u201c und \u201efremdes Land\u201c Annahmen in der oben geschilderten Art anschliefsen, diese sowie jene von Phantasiegef\u00fchlen begleitet sind.\nNun ist aber einleuchtend, dafs eine Phantasiegef\u00fchlsdisposition, sowie eine Disposition zu wirklichen Gef\u00fchlen, selbst dann, wenn sie f\u00fcr mehrere Erreger empf\u00e4nglich w\u00e4re, bei gleichzeitigem Auftreten oder einer Sukzession der letzteren im Bewufstsein innerhalb einer gewissen Zeitstrecke doch wohl nur einmal aktualisierbar ist. Oder wie man auch sagen kann: Von mehreren zu einer Phantasiegef\u00fchlsdisposition geh\u00f6rigen Erregern, welche gleichzeitig oder in kleinen Intervallen im Bewufstsein auftreten, kann sich immer nur ein Erreger als Ausl\u00f6sekraft bet\u00e4tigen.\nSonach k\u00f6nnen in den angef\u00fchrten F\u00e4llen die den emotionalen Hintergrund der Substratvorstellungen bildenden Phantasiegef\u00fchle und die durch das erw\u00e4hnte sich \u201eHineindenken\u201c hervorgerufenen Phantasiegef\u00fchle nicht als Leistungen derselben Dispositionen angesehen werden. D. h. die bezeichneten Substratvorstellungen sind nicht Erreger derjenigen Phantasiegef\u00fchls-","page":154},{"file":"p0155.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von der emotionalen Phantasie.\n155\ndispositionen, welche sonst durch die betreffenden Annahmen aktualisiert wurden. Das Schema der Gef\u00fchlsassoziation ist also auf die Verbindung zwischen Phantasiegef\u00fchl und Substratvorstellung nicht anwendbar.\nSoviel ich nun sehe, kann man sich die Verbindung zwischen den Substratvorstellungen ..Kloster\u201c und \u201efremdes Land\u201c einerseits und den Phantasiegef\u00fchlen andererseits nicht anders verst\u00e4ndlich machen, als dafs man das Vorhandensein eigener, oder wie man vielleicht besser sagen wird, spezieller Phantasiegef\u00fchlsdispositionen annimmt, welche so beschaffen sind, dafs sie durch die bezeichneten Substratvorstellungen aktualisiert werden k\u00f6nnen. Dafs das, was von den die beiden genannten Substratvorstellungen begleitenden Phantasiegef\u00fchlen gesagt wurde, nat\u00fcrlich auch von den Phantasiegef\u00fchlen, welche andere Substratvorstellungen begleiten, gilt, bedarf wohl keines weiteren Nachweises.\nVon dem dargelegten Standpunkte aus ist auch die Verbindung zwischen Phantasiegef\u00fchlen und Allgemeinvorstellungen bzw. Wortvorstellungen ohne weiteres begreiflich. Man k\u00f6nnte zwar auch in dieser Beziehung entweder an einen \u00dcbergang der Phantasiegef\u00fchle von an die Allgemeinvorstellungen bzw. Wortvorstellungen sich anschliefsenden Annahmen oder an eine \u00dcbertragung der Phantasiegef\u00fchle von den Substratvorstellungen, insofern diese bereits Dispositionserreger sind, auf die Allgemeinvorstellungen bzw. Wortvorstellungen denken. Indes beiden Auffassungen steht die Tatsache entgegen, dafs einerseits die ersterw\u00e4hnten Vorstellungen und die anschliefsenden Annahmen, andererseits die Substratvorstellungen und die Allgemeinvor-stellungen bzw. Wortvorstellungen, wenn sie zusammen im Be-wufstsein auftreten, von Phantasiegef\u00fchlen begleitet sind. Wer hier ein Beispiel verlangt, der erinnere sich etwa an die Allgemeinvorstellung \u201eFerien\u201c, welcher ein emotionales Gepr\u00e4ge lustartigen Charakters anhaftet. Wenn nun diese Vorstellung Annahmen des Inhaltes hervorruft, dafs man sich im Gedanken in die Ferialzeit hineinversetzt, so l\u00e4fst sich beobachten, dafs sowohl die erstere als auch die betreffenden Annahmen von Phantasiegef\u00fchlen begleitet sind. Weiter zeigt es sich, dafs, wenn die erw\u00e4hnte Allgemeinvorstellung die ihr zugeordnete Substratvorstellung (anschauliches Substrat) nach sich zieht, beide Vorstellungen einen emotionalen Hintergrund besitzen. Die","page":155},{"file":"p0156.txt","language":"de","ocr_de":"156\nRobert Saxinger.\nPhantasiegef\u00fchle nun, welche an die erw\u00e4hnten, zusammen im Bewufstsein auf tretenden intellektuellen Vorkommnisse gebunden sind, k\u00f6nnen aber aus dem fr\u00fcher dargelegten Grunde nicht als Leistungen derselben Dispositionen betrachtet werden.1 Wir werden also annehmen d\u00fcrfen, dafs das emotionale Gepr\u00e4ge der Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen wie der emotionale Hintergrund der Substratvorstellungen in speziellen Phantasiegef\u00fchlsdispositionen seinen Ursprung hat. * *\nEs kann nun die Frage aufgeworfen werden, welchen psychischen Antezedentien die speziellen Phantasiegef\u00fchlsdispositionen ihre Entstehung verdanken. Dafs es emotionale Erlebnisse sind, auf welche die Gr\u00fcndung dieser Dispositionen zur\u00fcckzuf\u00fchren ist, wird vorweg zugestanden werden. Aber fraglich ist, ob dabei Phantasiegef\u00fchle oder wirkliche Gef\u00fchle beteiligt sind. Um hier klar zu sehen, ist es n\u00f6tig, auf ein in dem schon erw\u00e4hnten Aufsatze \u00fcber die Natur der Phantasiegef\u00fchle und Phantasiebegehrungen angef\u00fchrtes Beispiel zur\u00fcckzukommen.1 Ich habe dort mitgeteilt, dafs der Name Ebensee bei mir ein gef\u00fchlsm\u00e4fsiges Gepr\u00e4ge tr\u00e4gt, welches offenbar daher stammt, dafs ich im Jahre 1899 Augenzeuge der durch das Hochwasser entstandenen Verheerungen und Verw\u00fcstungen war. Vor der Hochwasserkatastrophe war dieser Name von der bezeichneten emotionalen Erscheinung nicht begleitet. Die Entstehung derselben h\u00e4ngt also zweifellos mit den damaligen emotionalen Erlebnissen zusammen. Ich entsinne mich nun, dafs ich mir bei der Besichtigung der Hochwassersch\u00e4den gelegentlich auch vorstellte, wie wohl den vom Schicksal Betroffenen zumute sein werde und auf diese Gedanken mit Phantasieunlustgef\u00fchlen reagierte. Aber diese Phantasiegef\u00fchle scheinen mir doch viel zu fl\u00fcchtige emotionale Erlebnisse gewesen zu sein, als dafs ich ihnen dispositionsgr\u00fcndende Kraft Zutrauen m\u00f6chte. Denn im Vordergr\u00fcnde des Bewufstseins ist damals nicht phantasiertes Mitleid, sondern wirkliches Mitleid und Mitgef\u00fchl, welches seine Quelle in der unmittelbaren Anschauung hatte, gestanden. Ich meine daher, dafs sich die Bildung der Phantasiegef\u00fchlsdispositionen, welchen der Name Ebensee sein emotionales Gepr\u00e4ge verdankt, unabh\u00e4ngig von dem Auftreten jener schwachen\n1 S. oben S. 154.\n*\tS. oben S. 155.\n*\tVgl. Untersuchungen zur Gegenstandstheorie u. Psychol. 8. 697.","page":156},{"file":"p0157.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von der emotionalen Phantasie.\n157\nPhantasiegef\u00fchle vollzogen hat und die Vermutung berechtigt ist, dafs die Entstehung der fraglichen Phantasiegef\u00fchlsdispo-Bitionen auf Rechnung der erlebten wirklichen Gef\u00fchle zu stellen ist.\nDas, was an dem Fall \u201eEbensee\u201c gezeigt wurde, liefse sich unschwer auch an der Hand anderer Beispiele nach-weisen. Man w\u00fcrde auch da zu dem Ergebnis gelangen, dafs die speziellen Phantasiegef\u00fchlsdispositionen, welchen die an Substratvorstellungen, Allgemeinvorstellungen und Wortvorstellungen gekn\u00fcpften Phantasiegef\u00fchle entspringen, durch wirkliche Gef\u00fchle begr\u00fcndet werden.\nWie im allgemeinen die Gef\u00fchlserlebnisse beschaffen sein m\u00fcssen, damit es zur Begr\u00fcndung von Phantasiegef\u00fchlsdispositionen kommt, f\u00fcr welche Vorstellungen die Erreger bilden, mufs k\u00fcnftiger Untersuchung anheimgestellt bleiben. Zurzeit l\u00e4fst sich in dieser Hinsicht nur soviel sagen, dafs leichte Gef\u00fchlswellen, wie sie die wechselnde Bewufstseinslage mit sich bringt, kaum ausreichen werden, um Phantasiegef\u00fchlsdispositionen entstehen zu lassen. Vielmehr ist, wenn man das Tatsachenmaterial \u00fcberblickt, zu vermuten, dafs die wirklichen Gef\u00fchle eine gewisse Intensit\u00e4t und Tiefe erlangen oder doch von l\u00e4ngerer Dauer sein m\u00fcssen, damit spezielle Phantasiegef\u00fchlsdispositionen entstehen k\u00f6nnen.1\n\u00a7 3. Zur Charakteristik der Phantasiebegehrungen.\nDie Phantasiebegehrungen, welche gleich den Phantasiegef\u00fchlen letzte Tatsachen sind, unterscheiden sich, wie an anderer Stelle gezeigt wurde, von den eigentlichen Begehrungen nicht durch die Provenienz ihrer psychologischen Voraussetzung, sondern durch das Fehlen der allem echten Begehren innewohnenden Realisierungstendenz.2 Nun gibt es noch ein Moment, wodurch sich die Eigenart der Phantasiebegehrungen gegen\u00fcber den wirklichen Begehrungen kundgibt.\nWie Meinong in seinen, f\u00fcr die Psychologie der Phantasiegef\u00fchle und Phantasiebegehrungen grundlegenden Ausf\u00fchrungen\n1 Dafs die Qualit\u00e4t der den speziellen Phantasiegef\u00fchlsdispositionen entstammenden Phantasiegef\u00fchle durch die Qualit\u00e4t der -wirklichen Gef\u00fchle, welchen jene ihre Entstehung verdanken, bestimmt wird, ist wohl einleuchtend.\n* S. Untersuchungen zur Gegenstandstheorie u. Psychologie. S. 603 ff.","page":157},{"file":"p0158.txt","language":"de","ocr_de":"158\nRobert Siixinger.\nhervorhebt, f\u00fchlen wir nicht blofs mit den in einer Erz\u00e4hlung vorgef\u00fchrten Personen, sondern wir begehren auch mit ihnen.1 Wenn nun eine Erz\u00e4hlung eine solche Wendung nimmt, dafs das, was die betreffenden fingierten Personen begehren, von ihnen erreicht wird, so findet in diesem Falle das Phantasie-begehren seine Erf\u00fcllung. Diese Art der Erf\u00fcllung, welche sich im Bereiche der Phantasie abspielt, wird man im Gegensatz zur Erf\u00fcllung des wirklichen Begehrens passend als Phantasieerf\u00fcllung bezeichnen k\u00f6nnen.\nW\u00e4hrend nun das wirkliche Begehren durch die Erf\u00fcllung zum Abschl\u00fcsse gelangt und das Bewufstsein der Erreichung des Zieles weitere diesbez\u00fcgliche Begehrungsakte unm\u00f6glich macht, ist dies bei den Phantasiebegehrungen nicht der Fall. Die Phantasieerf\u00fcllung hindert, wie die Erfahrung zeigt, keinesfalls das Wiederauftreten des betreffenden Phantasiebegehrens. Denn so oft man sich wieder in die Lage der dargestellten Pers\u00f6nlichkeiten versetzt, bzw. die Erz\u00e4hlung wieder liest oder h\u00f6rt, stellt sich auch das Phantasiebegehren wieder ein. Die Entstehung der Phantasiebegehrungen ist also insofern unserer Willk\u00fcr unterworfen, als wir den Gedankenverlauf, welcher die intellektuelle Grundlage jener Phantasiebegehrungen bildet, beliebig zu reproduzieren verm\u00f6gen. Und hierin liegt ein das Phantasiebegehren von dem wirklichen Begehren unterscheidendes Merkmal.\nNun noch eines. Sowie es Phantasiegef\u00fchle gibt, die aut vergangene wirkliche Gef\u00fchlserlebnisse zur\u00fcckweisen, so halten unter Umst\u00e4nden auch die Phantasiebegehrungen die Aufgabe, uns ein anschauliches Bild eines seinerzeit stattgefundenen wirklichen Begehrens, welches nunmehr bereits erf\u00fcllt ist, zu vermitteln. Man braucht in dieser Beziehung nicht lange nach Erfahrungstatsachen zu suchen: Dieselben sind im allt\u00e4glichen Leben leicht zu finden.\nWenn man ein bestimmtes Ziel A in das Auge fafst und an dessen Erreichung mit aller Kraft arbeitet, so dauert (las diesbez\u00fcgliche Begehren eben nur so lange, als das Erstrebte noch nicht verwirklicht ist. Ist das begehrte A erreicht, dann ist das auf diesen Gegenstand gerichtete Begehren ein f\u00fcr allemal beendet; es sei denn, dafs man des Gegenstandes A wieder verlustig w\u00fcrde. Indessen dieser letztere Fall bedeutet keine Aus-\n1 Vgl. Meinong, \u00dcber Annahmen. S. 238.","page":158},{"file":"p0159.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von der emotionalen Phantasie.\n159\nn\u00e4hme von der Regel, dafs mit der Erf\u00fcllung des Begehrens dieses aufh\u00f6rt. Gesetzt nun, man erinnert sich an die Zeit, wo man sich strebend verhielt und das Ziel noch ferne lag, so wird man finden, dafs sich hier den betreffenden Gedanken etwas, was wie ein Begehren aussieht, zugesellt. Aber dieses begehrungs\u00e4hnliche Begleitph\u00e4nomen ist kein eigentliches Begehren und kann auch keines sein; denn in Wirklichkeit ist das Begehrte ja erreicht worden. Auch ein vorgestelltes oder angenommenes Begehren ist das, was den Gedanken an die damalige Bewufst-seinslage beigemischt ist, nicht. Nach dem Zeugnisse der inneren Wahrnehmung handelt es sich in diesem Falle vielmehr um eine entschieden emotionale und nicht um eine intellektuelle Begebenheit. Das wesentlichste Merkmal der in Rede stehenden emotionalen Erscheinung ist, wie schon angedeutet, die Begehrungs\u00e4hnlichkeit. Da wir nun keine anderen emotionalen Tatsachen als die Phantasiebegehrungen kennen, die dieses Merkmal besitzen, so unterliegt es keinem Zweifel, dafs jenes emotionale Vorkommnis, welches die bez\u00fcgliche Erinnerung begleitet, seiner Natur nach eine Phantasiebegehrung ist.\n(Eingegangen am 20. Juni 1905.)","page":159}],"identifier":"lit31971","issued":"1906","language":"de","pages":"145-159","startpages":"145","title":"Beitr\u00e4ge zur Lehre von der emotionalen Phantasie","type":"Journal Article","volume":"40"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:18:49.123560+00:00"}