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{"created":"2022-01-31T14:31:28.468892+00:00","id":"lit32002","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Schneider, G. H.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 40: 252-279","fulltext":[{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nDie Orientierung der Brieftauben.1\nVon\nDr. G. H. Schneider.\nI. Vorbemerkungen.\nIm Jahre 1886 hatte ich eine Anzahl experimenteller Versuche \u00fcber die Orientierung der Brieftauben angestellt und in der Zeitschrift \u201eVom Fels zum Meer\u201c ver\u00f6ffentlicht.\nIm darauf folgenden Jahre erhielt ich dann vom Preufa. Kriegsministerium den Auftrag, eine genauere systematisch-experimentelle Untersuchung \u00fcber dieses Thema anzustellen und dar\u00fcber zu berichten.\nDas Ministerium bewilligte mir 1500 Mk. zur Bestreitung der Unkosten, und der P\u00f6fsnecker Brieftaubenverein stellte mir hundert junge Tauben zur Verf\u00fcgung, die freilich nicht alle zur Verwendung kamen, weil sich f\u00fcr die Besitzer das h\u00e4ufige Em-fangen denn doch als zu l\u00e4stig erwies. Nachdem ich meinen Bericht eingereicht hatte, erteilte mir das Ministerium auf meine Anfrage hin die Erlaubnis, die rein wissenschaftlichen Resultate zu ver\u00f6ffentlichen. Das will ich nun hiermit tun.\nDie Orientierung der Brieftauben erweist sich als von so verschiedenen Faktoren abh\u00e4ngig, und eine genauere Unter-\n1 Anrn, der Red. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit ist der Autor des i. J. 1880 erschienenen und mit Anerkennung aufgenommenen Buches \u201eDer tierische Wille\u201c. Der Aufsatz sollte einen Teil der zweiten Auflage dieses Buches bilden. Der Verfasser ist aber \u00fcber der Neubearbeitung durch den Tod hinweggerafft worden und hat sonst nichts Vollst\u00e4ndiges f\u00fcr die neue Auflage hinterlassen.\nAnscheinend sollte der Arbeit noch eine Kartenskizze zur besseret Veranschaulichung der Versuche beigegeben werden. Der Leser wird ihnen aber auch so unschwer zu folgen verm\u00f6gen.\tE.","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n253\nBuchung des Gegenstandes w\u00fcrde deshalb einen so enormen Umfang einnehmen, dafs eine ganze Reihe von Jahren erforderlich w\u00e4re, um alle einzelnen Einfl\u00fcsse bis zu einem relativen Abschluss zu erforschen. Dazu sind diese Untersuchungen, die eine Menge Reisen mit Gehilfen und mit Tauben erfordern, auch ziemlich kostspielig. Ich mufs mich also auf die Untersuchung der Hauptfragen beschr\u00e4nken. Diese sind: \u201eWerden die Tauben durch einen uns unbekannten, angeborenen \u201eRichtsinn1 * * oder durch das Auge geleitet, und in welcher Weise werden sie, diesen zweiten Fall angenommen, durch topographische Verh\u00e4ltnisse, wabrgenommene Ortschaften usw. beeinflufst?\u201c\nDenn trotz der vorz\u00fcglichen Schriften von Lenzen,1 Chap\u00fcis,8 La Pebbe be Roo,8 Lepineux,4 * Wittouck 6 u. a., die f\u00fcr Brieftaubenz\u00fcchter sehr wertvolles Material enthalten, ist man \u00fcber die Annahme eines mystischen Richtsinns bisher meist nicht hinausgekommen.\nII. Methode der Untersuchung.\nDie Tauben, welche mir der P\u00f6fsnecker Brieftaubenverein zu meinen Versuchen freundlichst \u00fcberlassen hatte, wurden zun\u00e4chst numeriert und in eine Liste eingetragen, in der zugleich die F\u00e4rbung resp. die besonderen Erkennungszeichen jeder Taube angegeben wurden.\nFehlten solche Erkennungszeichen, und konnte eine Taube aus einiger Entfernung leicht mit einer anderen desselben Schlages verwechselt werden, dann wurde sie* in auff\u00e4lliger Weise gezeichnet und diese Zeichnung ebenfalls bei der Nummer vermerkt. Die Besitzer, welche ihre Tauben genauer kannten, wufsten von jeder, die sie auf einem Dache erblickten, zu sagen, welche Nummer es war.\nDann liefe ich mir zum Transport besondere K\u00f6rbe anfertigen, die je in sechs F\u00e4cher eingeteilt waren, bo dafs immer nur zwei bis drei Tauben in einem Fache waren. Es geschah dies deshalb, weil ich jede Taube allein herausnehmen wollte,\n1 Lraim: \u201eDie Brieftaube.\u201c Dresden 1873.\n*\tF. Chafuis: \u201eLe pigeon voyageur.\u201c Verviers 1876.\n*\tLa Pkbbe sb Roo : \u201eLe pigeon messager.\u201c Paris 1877.\n4 V. Lepineux: \u201eTrait\u00e9 de la propi\u00e9t\u00e9 de pigeon.\u201c\n*\tSylva\u00bb Wittouck : \u201eDe Reieduif.\u201c Kortryk 1878.","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"264\nO, H Schneider\nohne die anderen zu viel zu beunruhigen. Beim Transport sorgt\u00ae ich in erster Linie f\u00fcr frisches Wasser (in jedem Fache war ein besonderer Trinknapf), weil das Bed\u00fcrfnis zum Saufen st\u00e4rker und h\u00e4ufiger ist als das zum Fressen. Der Transport geschah bei den Versuchen Nr. 1\u201413 zu Wagen, bei den anderen durch Eisenbahn. Am Auflafsorte nahm ich selbst die Tauben einzeln aus dem Korbe, notierte di\u00a9 Nummer, Zeit, Wetter und Windrichtung, liefe die Taube fliegen und zeichnete dann ihre scheinbare Flugbahn auf, w\u00e4hrend zwei Gehilfen, von denen der eine mit einem guten Feldstecher bewaffnet war, den Flug der Taube ebenfalls verfolgten, damit sie nicht zu bald aus dem Gesichtskreis verloren w\u00fcrde.\nDa ich den Tauben einzeln die Freiheit gab, so konnten sie nicht, wie bei den gew\u00f6hnlichen Reisen, einer F\u00fchrerm folgen, sondern jede von ihnen war gen\u00f6tigt, sich ihren Weg selbst zu suchen. Aus der Beobachtung der anf\u00e4nglichen Flugbahn mufste sich dann ergeben und zeigte sich auch, welche Gegenst\u00e4nde und welche topographischen Verh\u00e4ltnisse der n\u00e4chsten Umgebung einen psychischen Einflufs auf die Tauben aus\u00fcbten ; und die Berechnung der Flugzeit mufste einen Schlufs darauf zulassen, unter welchen Bedingungen den Tieren die Orientierung erschwert oder erleichtert worden war.\nAlle Tauben, mufs ich hinzuf\u00fcgen, waren einj\u00e4hrig, also im Jahre 1886 geboren ; und wenn auch einige etwas \u00e4lter waren, und mehr gefeldert hatten, als andere, die erst im Sp\u00e4tsommer geboren wurden, so hatte doch keine der Tauben eine gr\u00f6fsere Reise gemacht.\nUnzweifelhaft war es nicht gleichg\u00fcltig, welchen Geschlechts und welcher Abstammung die Tauben waren, welchen Besitzer sie hatten und in welchem Grade das Heimatsgef\u00fchl je nach Pflege und F\u00fctterung und je nach den Erfahrungen beim Feldern entwickelt worden war. Allein vollst\u00e4ndig gleiche Individuen mit genau denselben F\u00e4higkeiten und Dispositionen sind absolut nicht zu schaffen. Alle Tauben waren ans Feldern gew\u00f6hnt.\nDa die Taubenbesitzer, die alle vielbesch\u00e4ftigte Gesch\u00e4ftsleute sind, nicht immer auf die Zur\u00fcckkunft der Tauben aufpassen konnten, engagierte ich zehn gr\u00f6fsere, zuverl\u00e4ssige Knaben zum Aufpassen und teilte jedem Taubenbesitzer mindestens einen solchen zu. Bei den ersten Versuchen mufsten die Knaben,","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n255\nsobald sie eine Taube ankommen sahen (die Schl\u00e4ge blieben an Versuchstagen nat\u00fcrlich geschlossen), dem Besitzer davon Anzeige machen, und dieser notierte nun die Zeit, die Nummer und die Erkennungszeichen. Nachdem die Knaben ihre Tauben kennen gelernt hatten, bekam jeder von ihnen eine Uhr mit auf seinen Beobachtungsposten und machte alle Notizen selbst. S\u00e4mtliche Knaben haben ihre Aufgaben mit grofser Geduld und Gewissenhaftigkeit gel\u00f6st. Ein Junge hatte sich nach nur zweimaligem Aufpassen seine acht Tauben schon so gut gemerkt, dafs er eine von Tilsit zur\u00fcckkehrende Taube sofort als eine solche erkannte, mit der ich nicht experimentierte, und die Meldung machte: \u201eEs ist eine Taube angekommen, aber es ist keine von denen, die der Herr Doktor fliegen l\u00e4fst.\u201c Der betreffende Besitzer gewann dadurch einen Preis. Am Abend brachten mir die Knaben die Resultate schriftlich, oder ich gin\u00e7 selbst zu den Besitzern und sammelte sie ein, wobei ich dann wieder die Uhren verglich. Um Irrt\u00fcmer zu vermeiden, mufsten die Knaben immer nicht nur Zeit und Nummern, sondern auch die Erkennungszeichen notieren.\nAufser den eigenen Versuchen suchte ich Material bei den Brieftaubenvereinen und verschickte an s\u00e4mtliche hundertund-zehn deutsche Vereine gedruckte Formulare mit der Bitte um Ausf\u00fcllung. Aber das Resultat war ein negatives. Die Vereine hatten kein Material in meinem Sinne gesammelt. Damit sie dies h\u00e4tten tun k\u00f6nnen, h\u00e4tte ich die Formulare schon mehrere Jahre vorher verschicken m\u00fcssen.\nUL Voruntersuchung.\nSchon bei meinen fr\u00fcheren Versuchen im Jahre 1886 war mir eine T\u00e4uschung in der Absch\u00e4tzung der Entfernung aufgefallen, in welcher man eine Taube noch zu sehen glaubt; es-schien mir deshalb unerl\u00e4fslich, vor der Aufzeichnung irgend welcher scheinbarer Flugbahn zu bestimmen, wie weit eine Taube sichtbar ist.\nEine fliegende Taube scheint sich oft \u00fcber einem drei bis vier Kilometer weit entfernten Dorfe zu bewegen und ist doch, noch nicht einen Kilometer weit geflogen. Es ist das eine bekannte optische T\u00e4uschung, der wir oft begegnen. Man sieht eine Schar V\u00f6gel fliegen. Sie scheinen wenigstens einige.","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nH. Sch\u00ee\u00eff(({(*)'\nKilometer weit von ans entfernt zu sein; sie lassen sich nieder und nun bemerkt man zu seinem Erstaunen, dafs sie h\u00f6chstens 100 bis 200 m weit von uns entfernt sind. Oder man steht anf \u2022einem mehrere hundert Fnfs hohen Ufer eines Flusses, etwa an der oberen Elbe in der s\u00e4chsischen Schweiz. Allem Anschein nach h\u00e4lt es nicht schwer, einen Stein an das jenseitige Ufer w werfen. Man wirft, verfolgt den Stein in seiner Bahn und ge winnt den Glauben, er m\u00fcsse weit \u00fcber das jenseitige Ufer hinaus-fliegen, und siehe da, er erreicht noch nicht einmal den Flofs.\nDie Ursache dieser T\u00e4uschung ist eine zweifache. Einmal \u25a0erscheint uns eine Entfernung in radi\u00e4rer Richtung von unserem Standpunkt geringer, als dieselbe Entfernung in der Sehne eines Kreises, von dem unser Standpunkt das Zentrum ist. Und dann scheint sich ein K\u00f6rper \u00fcber der Fl\u00e4che zu befinden, auf welcher er sich abzeichnet, weil wir ihn gewohnheitsgem\u00e4fs dort suchen. K\u00f6rper, welche auf der Erde stehen, wie H\u00e4user, B\u00e4ume und Menschen, befinden sich immer ungef\u00e4hr da, wo sich wenigstens <lie unteren Teile auf dem Boden abzeichnen. Ein sich durch die Luft bewegender K\u00f6rper wirft sein Bild aber auf eine um so entferntere Fl\u00e4che, je h\u00f6her er steigt. Die am\u00fcsanteste Beobachtung hier\u00fcber machte ich, als ich eine Anzahl Tauben rom Turm der Leuchtenburg in Freiheit setzte. Es waren aufser meinen Gehilfen sechs fremde Herren zugegen. Als nun die Tauben einzeln abflogen und sich allm\u00e4hlich auf den diesseitigen Wiesen des Saalegrundes, auf der Stadt Kahla, dann auf den Feldern jenseits der Saale, schliefslich auf den Wiesen \u25a0des Reinst\u00e4dter Grundes (6\u20147 km) abzeichneten, waren die s\u00e4mtlichen anwesenden fremden Herren der festen \u00dcberzeugung, dafs sich die Tauben wirklich schon im Reinst\u00e4dter Grund, ja in der N\u00e4he von Gumperda (10 km) bef\u00e4nden, w\u00e4hrend sie doch erst vor 1 '/a Minuten abgeflogen waren, und bei ihrem Hin- und Herfliegen die Saale (1 km) kaum erreicht hatten.\nDie Entfernung, bis zu welcher man eine Taube noch au sehen vermag, ist nat\u00fcrlich sehr verschieden, je nach der Farbe und der Beleuchtung des Tieres sowie des Hintergrundes durch die Sonne, je nach der Klarheit der Luft, und je nachdem die Taube ruhig sitzt oder sich bewegt. Eine exakte Untersuchung der gestellten Frage mit R\u00fccksicht auf alle hier in Betracht kommenden Faktoren w\u00fcrde sehr viele Experimente und viel Zeit erfordert habeD. Ich beschr\u00e4nkte mich deshalb auf eine ann\u00e4hernde Bestimmung","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n267\ndurch einige wenige Versuche. Ich nahm hierzu eine weifse und eine dunkle Taube und ging mit zwei Gehilfen auf das freie Feld in der N\u00e4he eines Hauses. Einer der Gehilfen mufste sich, mit der Taube in der Hand, zun\u00e4chst an das Haus mit weifser Wand stellen, sp\u00e4ter auf das freie Feld, so dafs der geackerte Boden, und dann so, dafs der blaue Himmel den Hintergrund bildete. Ich entfernte mich nun mit dem anderen Gehilfen allm\u00e4hlich so weit, bis die Unterscheidung der Taube unsicher wurde, und bis sie nicht mehr m\u00f6glich war. Nachdem ich verschiedene Versuche mit den ruhenden Tauben gemacht hatte, beobachtete ich sie in der Bewegung. Der Gehilfe, welcher die Taube hielt, hatte sie an den Beinen gefafst. So oft ich nun mit einer Fahne ein Zeichen gab, mufste er durch Bewegungen mit der Hand die Taube zum Flattern bringen. Die ruhende dunkle Taube auf dunklem Hintergrund konnte ich in einer Entfernung von 280 Schritt (233 m) soeben noch sehen, in der Entfernung von 300 Schritten (250 m) war mir dies schon nicht mehr m\u00f6glich. Auf hellem Grunde sah ich dieselbe Taube noch in der Entfernung von 500 Schritt (416 m), bei gr\u00f6fserer Entfernung aber nicht mehr. Die ruhende weifse Taube auf hellem Grund verlor ich schon bei 260 Schritt (216 m) aus dem Auge, aber auf dunklem Hintergrund konnte ich sie bis auf 600 Schritt (500 m) noch sehen. Die flatternde, dunkle Taube konnte ich auf dunklem Hintergrund bei 600 Schritt (500 m), auf hellem Grunde hei 1460 Schritt (1216 m) Entfernung noch eben unterscheiden. Die flatternde, weifse Taube sah ich auf hellem Grund in einer Entfernung von 540 Schritt (450 m) eben nicht mehr; dagegen vermochte ich sie auf dunklem Grunde (geackertes Feld) noch in einer Entfernung von 1740 Schritt (1450 m), und als sie grell von der Sonne beleuchtet wurde auf eine solche von 2400 Schritt (2000 m) noch zu sehen. Ich selbst vermag also eine fliegende Taube h\u00f6chstens bis zu zwei Kilometer Entfernung mit dem blofsen Auge zu verfolgen. Nun bin ich zwar kurzsichtig und trage eine Brille (Nr. 10), allein wegen der vielfachen \u00dcbung war ich imstande, die Tauben noch l\u00e4nger im Gesicht zu behalten resp. auf gr\u00f6fsere Entfernungen noch sehen zu k\u00f6nnen, als andere Personen mit normalen oder gar weitsichtigen Augen (z. B. als Herr Rittergutsbesitzer Berger in Kr\u00f6lpa, der mehreren Versuchen beiwohnte). \u00dcber die Unterscheidung der Tauben mit Hilfe des Feldstechers machte ich\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie *0,\t17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nG U. Sckneider\nkeine Versuche, weil ich einen solchen beim Aufaeichnen der scheinbaren Flugbahnen nicht benutzen konnte.\nIT. Hauptnntersvchang.\n1. Experimente.\nZum ersten Versuch nahm ich acht Tauben mit nach dem \u00d6pitzer Gipsberge, in einer Entfernung von 3 km von P\u00f6fsneck, in westlicher Richtung gelegen. Von der genannten Anh\u00f6he kann man die n\u00e4chste Umgebung P\u00f6fsnecks ganz gut sehen; und da die Tauben alle schon sechs bis zw\u00f6lf Monate gefeldert hatten, mufste ihnen diese Umgebung wohl bekannt sein. S\u00e4mtliche Tauben schlugen deshalb auch gleich die Richtung nach der Heimat ein, wenn auch einige davon kleine Schleifen machten, Nr. 1, 2, 3, 4, 5 hatte ich vom Auflafsort in der Richtung nach P\u00f6fsneck in Freiheit gesetzt. Nr. 6 liefs ich in der entgegengesetzten Richtung abfliegen, sie machte aber sofort einen Bogen und flog, ohne Schleifen zu machen, direkt auf ihren Schlag zu. Nr. 7 und 8 liefs ich vom Auflafsort II, die eine in n\u00f6rdlicher, die andere in s\u00fcdlicher Richtung abfliegen. Beide Tauben beschrieben zwar einige Kreise, hielten aber sofort die Richtung nach P\u00f6fsneck ein.\nSehr klar zeigten die scheinbaren Flugbahnen sofort den Einflufs topographischer Verh\u00e4ltnisse. Alle acht Tauben flogen zun\u00e4chst dem Tale zu. Diese Neigung, sich dem Tale entlang der Heimat zu n\u00e4hern, hat verschiedene, gleichzeitig wirkende Ursachen, auf die wir unten zur\u00fcckkommen werden. Alle Tauben kamen nach wenigen Minuten im Schlage an.\nAm zweiten Versuchstage f\u00fchrte ich dieselben Tauben und aufserdem zwei andere in die N\u00e4he von K\u00f6nitz (7\u2019/* km von P\u00f6fsneck) und liefs Nr. 9 und 10 einen halben Kilometer \u00f6stlich , die anderen einen halben Kilometer n\u00f6rdlich, in der Richtung nach der Heimat abfliegen: Die topographischen Verh\u00e4ltnisse sind hier folgende : Beim Auffliegen konnten die Tauben den in der heimatlichen Richtung gelegenen Ort Kr\u00f6lpa, ferner das etwa in gleicher Entfernung, aber in entgegengesetzter Richtung liegende Dorf Unterwellenbom und aufserdem das ganz in der N\u00e4he befindliche K\u00f6nitz ganz gut sehen, P\u00f6fsneck und Opitz dagegen waren ihnen durch die vorliegenden \u00d6pitzer Gipsberge verdeckt, und erst bei einer Erhebung von etwa","page":258},{"file":"p0259.txt","language":"de","ocr_de":"Dit Orientierung der Brieftauben.\t250\n600 m konnten sie auch diese \u00d6rtlichkeiten in der Ferne wahrnehmen. Die westlich gelegene Stadt Saalfeld vermochten sie schon bei geringerer Erhebung ins Gesicht zu bekommen. Ein Bauernhaus befindet sich kaum 100 m vom Auflafsort Nr. 4 entfernt. Die Auflafsorte Nr. 3 und 4 liegen beide im Tale, das bei \u00d6pitz sehr eng, bei K\u00f6nitz aber sehr breit ist. Nr. 9 machte vom Ort Nr. 3 eine grofse Schleife, verschwand aber sehr bald in der heimatlichen Richtung. Nr. 10, die auch in dieser Richtung freigelassen worden war, beschrieb einen kurzen Bogen und flog in entgegengesetzter Richtung nach K\u00f6nitz, wo sie mir dann dem Auge entschwand. S\u00e4mtliche am Auflafsorte Nr. 4 in der heimatlichen Richtung abgelassenen Tauben Nr. 1\u20148 fliegen auffallend unsicher hin und her. Nr. 1 zeigt ihre Unsicherheit in einer unregelm\u00e4fsigen Schleife und verschwindet in der Richtung nach P\u00f6fsneck nach einem Kilometer Entfernung dem Auge. Nr. 2 fliegt ganz unsicher hin und her, wird in derselben Entfernung und Richtung unsichtbar, kehrt aber bald um und verschwindet, nachdem sie zwei Schleifen gemacht, in der Richtung nach Unterwellenbom resp. nach Saalfeld. Nr. 3 wendet Bich ebenfalls ganz unsicher, Haken, Bogen und Schleifen beschreibend, zun\u00e4chst nach K\u00f6nitz, verschwindet dann in der Richtung nach Unterwellenbom, kehrt aber bald um und wird in heimatlicher Richtung unsichtbar. Nr. 4 fliegt l\u00e4nger hin und her, wendet sich nach einem grofsen Bogen dem nahe gelegenen Bauernhause zu und verschwindet dann in \u00f6stlicher Richtung. Nr. 5 macht nur eine regelm\u00e4fsige Schleife und entschwindet dem Auge in \u00f6stlicher Richtung. Nr. 6 verschwindet in derselben Richtung, nachdem sie drei Schleifen gemacht hat. Nr. 7 und 8 sind Tauben, die schon ein volles Jahr alt sind, sie steigen h\u00f6her als die anderen und machen Kreisbogen von scheinbar 11/\u201e\u20142 km Durchmesser. Aber ehe sie dazu kommen, fliegen sie sehr unsicher hin und her, machen unregelmftfsige Haken, Schleifen und Bogen und wenden sich dann beide in grofsem Kreisbogen nach K\u00f6nitz, ehe sie in der Richtung nach P\u00f6fsneck dom Auge entschwinden. Nr. 8 ist nach sehr unsicherem Herumfliegen in dieser Richtung nach einer Minute verschwunden, kehrt aber in etwas mehr als einer halben Minute um, wendet sich in grofsem Bogen erst Unterwellenbom, dann K\u00f6nitz und schliefslich der Heimat zu. Hierzu mufB ich nun bemerken, dafs, wenn Tauben in dieser\n17*","page":259},{"file":"p0260.txt","language":"de","ocr_de":"260\nO. ff, Sehnnd-cr.\nRichtung unsichtbar wurden, damit nicht gesagt ist, dafs sie dann auch dies\u00a9 beibehalten hatten, sondern sie k\u00f6nnen noch mehrmals umgekehrt sein, ohne dafs ich sie sehen konnte. Die ganz auffallende Unsicherheit, welche die Tauben bei diesen Versuchen zeigten, erkl\u00e4rt sich daraus, dafs sie zum ersten Male in fremder Gegend in Freiheit gesetzt wurden. Dazu sahen sie nacheinander drei der Heimatsstadt \u00e4hnlich sehende Ortschaften, Kr\u00f6lpa, K\u00f6nitz und Unterwellenborn. Nr. 7 und 8 hatten dazo auch noch Saalfeld sehen m\u00fcssen. Hatte schon der erste Versuchstag gezeigt, welchen Einflufs topographische Verh\u00e4ltnisse auf den Flug der Tauben haben, so wurde es am zweiten schon ganz deutlich, dafs die Tauben nicht durch einen besonderen, vererbten, mystischen Richtsinn geleitet werden; denn sonst w\u00e4re nicht die auffallende Unsicherheit zutage getreten, die sich bei den (absichtlich gew\u00e4hlten) Schwierigkeiten zur Orientierung zeigte.\nAls ich nach P\u00f6fsneck zur\u00fcckkam und die Notizen \u00fcber die Zeit der Zur\u00fcckkunft entgegennahm, fiel mir sofort die aufserordentlich lange Zeit auf, welche die Tauben zu ihrer kleinen Reise gebraucht hatten. Die Durchschnittszeit betrug, soweit ich mich noch entsinne, (die betreffenden Notizen fehlen mir leider) mehrere Stunden, w\u00e4hrend Brieftauben eine Entfernung wie diejenige von K\u00f6nitz nach P\u00f6fsneck (7*/* km) in sechs Minuten zur\u00fccklegen k\u00f6nnen. Sp\u00e4ter wiederholte ich den Versuch mit einer gr\u00f6fseren Anzahl Tauben, die ich noch nicht hatte fliegen lassen, um noch mehr Material \u00fcber die Flugzeit zu sammeln. Die Flugbahnen zeichnete ich diesmal nicht auf, weil ich sofort dieselbe Erscheinung des unsicheren Hin- und Herfliegens beobachtete. Zu dem n\u00e4chsten Versuch konnte ich leider nur sechs, zu dem \u00fcbern\u00e4chsten aber 24 Tauben mitnehmen. Von den Tauben Nr. 12 bis Nr. 17 kamen zur\u00fcck:\nNr.\t12\tnach\t\u2014 Stunden 13 Minuten\nn\t13\t\u201e\t3\t\u201e\t2\t\u201e\n\u201e\tU\t\u201e\t-\t\u201e\t36\nn\t15\tn\t2\t-\t52\t\u201e\n16\n17\n2\n8\nn\nn\nn\nn\n13\n57\nWie konnten die Tauben so lange ausbleiben? Es wir\u00a9 ja denkbar, dafs sie gefeldert oder Spazierfl\u00fcge gemacht h\u00e4tten,","page":260},{"file":"p0261.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n261\nehe sie nach dem Schlage zur\u00fcckkehrten, aber dies ist ganz unwahrscheinlich ; denn wenn Brieftauben stundenlang auf einem Wagen transportiert und dann aus dem Korb genommen werden, dann haben sie nicht mehr die Ruhe, um zu feldern oder zu ihrem Vergn\u00fcgen herumzufliegen; Bie suchen dann m\u00f6glichst rasch in ihren sicheren Schlupfwinkel zu kommen (siehe unten). Viel -wahrscheinlicher ist, dafs die meisten Tauben nach Unter-wellenbom und Saalfeld geflogen sind und in der einen oder anderen Richtung das Saaletal verfolgt haben. Saalfeld mufsten sie schon bei geringerer Erhebung sehen als P\u00f6fsneck, beide Orte haben aber als St\u00e4dte von ungef\u00e4hr gleicher Gr\u00f6fse gewisse \u00c4hnlichkeiten.\nAm vierten Versuchstage nahm ich dieselben sechs Tauben und aufserdem achtzehn neue, die ich noch nicht hatte fliegen lassen, wieder mit nach K\u00f6nitz und setzte sie am Aufflugsorte Nr. 4 in heimatlicher Richtung in Freiheit.\nVon den sechs Tauben, welche beim vorhergehenden Versuch die Reise schon einmal gemacht hatten und jetzt zum zweiten Male dieselbe Strecke zu fliegen hatten, kamen zur\u00fcck\nNr. 12 in 2 Stunden 3 Minuten\n13 \u201e\t\u2014\tn\t37\t71\n14 \u201e\t\u2014\t71\t15\tn\n15 \u201e\t2\tn\t18\tn\n16 \u201e\t\u2014\tn\t27\t11\n17 \u201e\t3\tn\t16\t71\nDurchschnittlich ist diesmal die Zeit der Orientierung etwas geringer als beim vorhergehenden ersten Flug. Allein einige (Nr. 15 und 17) scheinen ihre ehemaligen Irrfahrten wiederholt zu haben. Ganz auffallend ist, dafs Nr. 12, welche bei der ersten Reise schon nach 13 Minuten in ihrem Schlage angekommen war, das zweite Mal zu genau derselben Reise 2 Stunden 3 Minuten brauchte.\nOffenbar ist sie diesmal auch erst nach Saalfeld gekommen und im Saaletal weiter geflogen. Die achtzehn neuen Tauben, welche ich zu demselben Versuche bei K\u00f6nitz noch in Freiheit setzte, kamen nach P\u00f6fsneck zur\u00fcck:","page":261},{"file":"p0262.txt","language":"de","ocr_de":"262\nG II Schneider.\nNr. 62\t\tin\t\t11\tMinuten\nft\t63\t\u00bb\t\t10\tn\nft\t54\t\u00bb\t\t16\trt\nft\t55\tn\t\t24\ttt\nft\t56\tn\t\t11\tft\nft\t57\ttt\t\t25\tft\t'\nft\t58\tft\t\t21\ttt\ntt\t59\ttt\t\t15\tft\ntt\t60\tn\t\t22\tft\nn\t61\ttt\t\t15\tn\ntt\t62\tn\t\t21\ttt\ntt\t63\tft\t\t28\ttt\ntt\t64\tn\t\t20\ttt\ntt\t65\ttt\t1\tStunde 52\tn\ntt\t69\ttt\t1\tft\tn\ntt\t70\ttt\t1\tn\tH\t4\ntt\t71\tft\t\u2014\t\u2014\t34\tn\ntt\t72\tn\t\u2014\t\u2014 26\ttt\nAuch von diesen\t\tTauben sind vermutlich mehrere <\t\t\t\nSaalfeld geflogen. Allein die meisten haben auffallend viel weniger Zeit zur Orientierung gebraucht als die anderen sechs Tauben, welche dieselbe Reise doch zum zweiten Male machten. Die Ursache hierzu finde ich in folgenden Umst\u00e4nden: An diesem Tage war ausnehmend klares Wetter, so dafs die Orientierung verh\u00e4ltnism\u00e4feig erleichtert war. Diese Erleichterung kam aber nur den Tauben zustatten, welche diese Reise zum ersten Male machten; die anderen haben dieselben Irrwege verfolgt, die sie beim ersten Male gemacht hatten. Alle diese Versuche bei K\u00f6nitz zeigen, dafs junge Tauben auch bei geringer Entfernung von der Heimat lange Zeit zur Zur\u00fcckkunft brauchen, wenn ihnen die Orientierung besonders erschwert wird, besonders wenn sie in falscher Richtung Ortschaften sehen, die mit dem Heimatsorte gewisse \u00c4hnlichkeit haben und die sie deshalb leicht irre f\u00fchren. Um mich noch zu vergewissern, ob Tauben, die in geringer Entfernung von der Heimat in Freiheit gesetzt werden, dazu neigen, zu feldem oder Spazierfl\u00fcge zu machen, ehe sie ihren Schlag aufsuchen, liefs ich zwanzig Tauben g&ni in der N\u00e4he der Heimat bei K\u00f6stitz (2 km) auf. S\u00e4mtlich\u00ab Tauben flogen sofort ihrem Schlage zu und kamen nach l1/, bis 3 Minuten dort an.","page":262},{"file":"p0263.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n263\nNach den Versuchen bei K\u00f6nitz schien es, dafs naheliegende Ortschaften grofse Anziehung auf die Tauben aus\u00fcbten, einerlei ob dieselben in der Richtung der Heimat oder in entgegengesetzter gelegen sind. Um weiteres Material hier\u00fcber zu bekommen, nahm ich 20 Tauben mit nach Weira, einem Dorf, das in etwa 10 km Entfernung von P\u00f6fsneck in \u00f6stlicher Richtung liegt. Die Situation von Weira ist so hoch, dafs man aus der n\u00e4chsten Umgebung die Stadt P\u00f6fsneck bei klarem Wetter ganz gut, bei tr\u00fcbem Wetter undeutlich am Horizont sieht. Die Versuche an einem 200 m von Weira gelegenen erh\u00f6hten Orte wurden sehr interessant Beim ersten Versuche war die Luft tr\u00fcbe und P\u00f6fsneck nur undeutlich am Horizont sichtbar. Der Auflafsort liegt westlich von Weira, also zwischen diesem Dorfe und P\u00f6fsneck. Von den 20 Tauben flogen nur zwei sofort nach dem Tale, die anderen kreisten alle erst l\u00e4ngere Zeit \u00fcber dem nahen, aber in der, der Heimat entgegengesetzten Richtung hegenden Weira, ehe sie sich dem Tale zuwandten. Ich hatte wenigstens von den Tauben Nr. 28 bis 33 erwartet, dafs sie gleich die Richtung nach der sichtbaren Heimat einschlagen w\u00fcrden. Das traf aber nicht ein. Einige Tauben kreisten Behr lange, eine sogar 37 Minuten \u00fcber dem Dorfe Weira, als glaubten sie, ihren Schlag dort unter allen Umst\u00e4nden finden zu m\u00fcssen. Keine einzige Taube flog den Berg hinan, alle Tiere wandten sich nach dem Kreisen \u00fcber der n\u00e4chsten H\u00e4usergruppe dem Tale zu und zwar in der Richtung nach einem der sichtbaren D\u00f6rfer oder St\u00e4dte (Neustadt, Oppurg etc.). Wie wir unten sehen werden, machte ich dieselbe Erfahrung bei anderen Versuchen.\nNur zwei Tauben hatten die Heimat bald gefunden und kamen nach 12 resp. 15 Minuten dort an. F\u00fcnfzehn brauchten je 1 bis 31/* Stunden dazu, zwei Tauben kehrten erst am anderen Tage und eine erst nach vier Tagen zur\u00fcck. In acht Minuten h\u00e4tten die Tiere die Heimat von dem etwa zehn Kilometer entfernten Auflafsort erreichen k\u00f6nnen. Dafs aber die Tauben nicht zu ihrem Vergn\u00fcgen umherirrten, hatten nicht nur die oben erw\u00e4hnten Versuche bei K\u00f6stitz gezeigt, sondern das wurde in einem der folgenden Versuche besonders klar. Bei herrlichem Wetter mit blauem Himmel und wunderbar klarer Luft nahm ich sp\u00e4ter dieselben Tauben noch einmal und aufserdem 22 andere, welche in K\u00f6nitz gewesen waren und schon einige \u00dcbung im Orientieren","page":263},{"file":"p0264.txt","language":"de","ocr_de":"264\n(\u00ef. S. Schneider.\nhatten, mit nach Weira und setzte sie an demselben Auflafsort in Freiheit. Die Luft war diesmal so klar, dafs man die einzelnen H\u00e4user von P\u00f6fsneck ganz deutlich sehen konnte. Von den Tauben, welche schon einmal in Weira gewesen waren und damals lange \u00fcber Weira gekreist hatten, flog diesmal nicht eine einzige nach Weira zur\u00fcck, sondern alle wendeten sich sofort der Heimat zu, reap, sie flogen ins Tal, so dafs sie ungef\u00e4hr die diagonale Richtung von derjenigen der Heimat und der des n\u00e4chsten Talpunktes einschlugen. Dasselbe taten die meisten anderen Tauben, und nur zwei von ihnen flogen erst \u00fcber Weira, ohne jedoch l\u00e4ngere Zeit dort zu kreisen. S\u00e4mtliche Tauben trafen denselben Tag in P\u00f6fsneck ein, und zwar diejenigen, welche zum zweiten Male die kleine Reise machten, in durchschnittlich 10,1 Minuten. Drei Tauben hatten nur je sieben Minuten und andere drei nur je sechs Minuten dazu gebraucht. Die anderen zum ersten Male von Weira fliegenden Tauben kamen nach 24,9 Minuten Durchschnittszeit zur\u00fcck. An diesem Tage beobachtete ich einige sehr charakteristische Flugbahnen, welche ich bis dahin noch nicht gesehen hatte. Ihre Formen sind folgende :\nFig. 1.\nIch werde unten wieder darauf zur\u00fcckkommen. Wenn junge Tauben, an einem fremden Orte aufgelassen, zu Spazierfl\u00fcgen geneigt w\u00e4ren oder zum Feldern, so h\u00e4tten sie das diesmal bei dem herrlichen Wetter wohl gezeigt, und dies um so mehr, als sie der Anblick der sichtbaren Heimat beruhigen mufste. Aber die Tauben, welche den Weg bald fanden, eilten sofort der Heimat zu. Andere haben sich wohl bei Neustadt oder Oppurg etwas aufgehalten. Dieselbe Tatsache, dafs junge, unerfahrene Tauben bei einiger Erschwerung der Orientierung durch tr\u00fcbe","page":264},{"file":"p0265.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n265\nLuft usw. immer zuerst ihre Heimat in der n\u00e4chsten H\u00e4usergruppe suchen, zeigte sich noch auffallend bei den Versuchen auf der Leuchtenburg, bei Kahla, Triptis, Niederp\u00f6llnitz, Saalfeld und Weida.\nAm 19. Juli liefs ich vom Turme der Leuchtenburg bei bedecktem Himmel fr\u00fch 9 Uhr 15 Tauben in Freiheit, von denen 6 St\u00fcck keinen Probeflug gemacht hatten, w\u00e4hrend 9 St\u00fcck auf dem Opitzer Gipsberg gewesen waren. Die Luft war ziemlich tr\u00fcbe, doch konnte man, wenn auch nur sehr undeutlich, die Haselberge bei P\u00f6fsneck und das auffallende weifse Haus des Rittergutes Heroldshof bei Ranis wahrnehmen. Ich liefs die Tauben zum Teil von der n\u00f6rdlichen und \u00f6stlichen, zum Teil von der s\u00fcdlichen und westlichen Seite des Turmes abfliegen. S\u00e4mtliche Tauben flogen nach wenigen Kreisen und Bogen in das Saaletal \u00fcber die Stadt Kahla; und als ich dann weitere 15 Tauben im Tale in der N\u00e4he der KocHschen Fabrik bei Kahla von einem Punkte aus aufliefs, der vom Marktplatz der Stadt etwa */\u00ab Kilometer nach Rudolstadt zu entfernt ist, flogen davon zw\u00f6lf Tauben zur\u00fcck \u00fcber die Stadt und kreuzten dann l\u00e4ngere Zeit zwischen Kahla und dem noch weiter zur\u00fcckliegenden L\u00f6bsch\u00fctz hin und her als glaubten sie, in einem der beiden Orte die Heimat unter allen Umst\u00e4nden finden zu m\u00fcssen. Ich wollte an diesem Tage noch eine andere Frage durch die Versuche beantwortet wissen und hatte die Tauben teils auf der Leuchtenburg, teils im Saaletale in Freiheit gesetzt, um zu sehen, ob diese letzten gr\u00f6fsere Schwierigkeiten im Orientieren haben w\u00fcrden alB jene ersten.\nDie Tauben brauchten zur Zur\u00fcckkunft:\nVon der Burg:\tVom Tale:\nNr.\t42\t=\t3 St.\t\t43\tMin.\tNr.\t2\t=\t4 St. 17\n11\t44\t=\t3\t11\t41\t11\t11\t34\t=\t2 \u201e\t7\n11\t41\t=\t8\t11\t9\t11\t11\t39\t=\t5 \u201e\t1\n11\t43\t-\t5\t11\t22\t11\t11\t37\t=\t1 Tag\n11\t23\t=\t2\t11\t26\t11\t11\t36\t=\t1 \u201e\n11\t24\t=\t2\t11\t33\t11\t11\t4\t=\t1 \u201e\n11\t21\t=\t2\t11\t51\t11\t11\t38\t=\t2 Tage\n11\t22\t=\t3\t11\t41\t11\t11\t39\t=\t8 \u201e\n>1\t26\t=\t4\t11\t52\t11\t11\t1\t=\t2 \u201e\n11\t25\t=\t7\t\t34\t11\t11\t10\t\u2014\t8 \u201e","page":265},{"file":"p0266.txt","language":"de","ocr_de":"G. B. Schnridrr.\nIw\nNr.\t20\t= 2 Tage\t\tNr.\t8=8 Tage\n\t40\t- 8\tf\u00bb\t\t11 = 14\t\u201e\n\t18\t= 3\t>1\t\t3 = 9 \u201e\n\t19\t= 2\tJ\u00bb\t>1\t7 u. Nr. 9 blieben aus\n\t5\tblieb\taus.\t\t\nDer Unterschied in der Schwierigkeit der Orientierung von einem Berge und von einem Tale aus wurde aus diesem Versuche vollkommen klar; ich werde aber in anderen Versuchen wieder hierauf zur\u00fcckkommen.\nVon den 30 Tauben, welche ich teils von der Leuchtenburg teils vom Saaletal aufgelassen hatte, waren Nr. 1\u201410 schon in K\u00f6nitz gewesen, und dennoch kamen gerade diese zumeist erst nach mehreren Tagen und drei davon gar nicht zur\u00fcck.\nWie es zu erkl\u00e4ren ist, dafs junge Tauben auch dann erst \u00fcber der n\u00e4chsten H\u00e4usergruppe kreisen, wenn diese in entgegen gesetzter Richtung liegt, und wenn die Heimat, wenn auch undeutlich, am Horizont zu sehen ist, dies werden wir weiter unten sehen. Und -wie soll man es verstehen, dafs junge Tauben zur Zur\u00fcckkunft aus so geringer Entfernung wie die von Weira und von Kahla mehrere Stunden, ja Tage brauchen, w\u00e4hrend eine Brieftaube 60\u201470 Kilometer in der Stunde zur\u00fcckzulegen vermag ?\n\u00d6rtlichkeiten und Gegenst\u00e4nde, welche an die Heimat erinnern, wirken, wie die Versuche lehren, anziehend auf die Tauben (offenbar, weil sie ein angenehmes Gef\u00fchl der Freude erwecken), dagegen stofsen \u00d6rtlichkeiten und Gegenst\u00e4nde, welche den Tauben auffallend fremdartig Vorkommen, sie ab. Die Tauben fliegen einem ihnen in die Augen fallenden und ihnen bekannt scheinenden Gegenst\u00e4nde, der von allem Sichtbaren die meiste \u00c4hnlichkeit mit der Heimat hat, sofort zu, ohne zu \u00fcber legen, ob er auch die Heimat sein kann oder nicht. Sind mehrere \u00d6rtlichkeiten von einer gewissen \u00c4hnlichkeit mit dem Heiniah orte in der N\u00e4he, dann fliegen sie erst nach der einen, und so bald sie etwas auffallend Fremdartiges dort bemerken, wenden sie sich der anderen zu und pendeln oft sehr lange Zeit zwischen mehreren Orten hin und her. Eine junge Taube kann gleich zu Anfang leicht in eine falsche Richtung kommen und sich weit verirren.","page":266},{"file":"p0267.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n267\nL\u00e4fst sich z. B. eine Bolche, die bei K\u00f6nitz abfliegt, durch den Rauch des Eisenwerkes bei Unterwellborn verleiten, nach Westen zu fliegen anstatt nach Osten, dann kommt sie in das Saaletal, und wenn sie dies nun nach unten verfolgt, in die norddeutsche Ebene. Wird eine solche bei Weira in Freiheit gesetzt, und sie h\u00e4lt sich, Triptis bemerkend, \u00f6stlich, dann kommt sie nach Weida. Gelangt sie von dort in das nahe Elstertal, dann kommt sie entweder nach Leipzig und von da ebenfalls in die norddeutsche Ebene oder nach Plauen und in das s\u00e4chsische Oberland, von wo sie sich nach B\u00f6hmen verirren kann. Ich werde unten noch einmal auf diesen Gegenstand zur\u00fcckkommen.\nDie Versuche bei Kahla hatten gezeigt, dafs die Tauben viel mehr Orientierungsschwierigkeiten hatten, wenn sie vom Tale aus flogen, als wenn sie auf der hohen Leuchtenburg in Freiheit gesetzt wurden. Um hier\u00fcber noch mehr Material zu erhalten, nahm ich 29 Tauben, von welchen 22 schon in K\u00f6nitz gewesen waren, sieben dagegen noch keine Vortour gemacht hatten, mit nach Saalfeld und dem weiter westlich und sehr hoch gelegenen Arnsgereuth und liefs sechzehn Tauben von f\u00fcnf verschiedenen Punkten in und bei Saalfeld, die anderen von Arnsgereuth aus, fliegen. Ich hatte dazu einen voraussichtlich klaren Tag gew\u00e4hlt und vermutete nun, dafs die zweite H\u00e4lfte der Tauben von dem etwas weiter entfernten Arnsgereuth fr\u00fcher nach P\u00f6fsneck kommen w\u00fcrden als die anderen; allein die Luft wurde bald sehr tr\u00fcbe, so dafs die H\u00f6he des Auflaisortes den Tauben nichts n\u00fctzen konnte, 6ie vermochten bei der tr\u00fcben Luft doch nicht weit zu sehen. Die Orientierungszeit wurde deshalb diesmal vom hoch gelegenen Auflafsorte etwas gr\u00f6fser als vom Tale aus. S\u00e4mtliche in Saalfeld aufgelassenen Tauben kreisten erst l\u00e4ngere Zeit \u00fcber der Stadt, ehe sie nach verschiedenen Richtungen dem Auge entschwanden.\nAndere Versuche, die ich in geringerer Entfernung von P\u00f6fBneck (bei Kr\u00f6lpa) machte, zeigten dagegen wieder dasselbe Resultat, welches die Versuche bei Kahla und auf der Leuchtenburg ergeben hatten. Ich liefs bei klarer Luft 14 Tauben vom Gipsberg in der N\u00e4he von Kr\u00f6lpa und 13 Tauben von der .Gipsm\u00fchle aus fliegen. Die Entfernungen waren die gleichen (3\u2019/, km). Aber vom Berge aus konnten die Tauben die Heimat gleich Behen, vom Tale aus erBt nach einer Erhebung von 100 m.","page":267},{"file":"p0268.txt","language":"de","ocr_de":"268\nO, H, Schneider,\nEs flogen :\nvom Berge:\nNr.\t13\t6 Min\n11\t15 = 4\t\u201e\n11\t14 = 8\t\u201e\n11\t25 = 3 \u201e\nli\t18 \u2014 4\t\u201e\n11\t23 - 5\t\u201e\n11\t27 = 10 \u201e\nli\t19-9\t\u201e\n11\t12 = 7 \u201e\nil\t16 \u2014 7\t\u201e\n11\t4-6\t\u201e\n11\t9 = 9\t\u201e\n11\t6 = 6 \u201e\nvom Tale:\nNr, 26 \u2014: 26 Min.\n\u201e 28 = 1 St. 7 Min. \u201e 12 = 32 Min.\n\u201e 10 = 9 \u201e\n7 = 20 \u201e\n1\t= 15 \u201e\n2\t= 18 \u201e 3-12 \u201e\n17 = 2 Tage\nUm zu sehen, ob es einen EinfluTs auf die Orientierung haben w\u00fcrde, wenn sich die Tauben w\u00e4hrend des Transportes umsehen k\u00f6nnten oder nicht, nahm ich 28 Tauben mit nach K\u00f6nitz und transportierte die eine H\u00e4lfte derselben so, dafs sie sich beim Transport die n\u00e4chste Umgebung genan ansehen konnten, w\u00e4hrend die K\u00f6rbe der anderen H\u00e4lfte mit T\u00fcchern verh\u00e4ngt blieben. Ich hatte vermutet, dafs jene ersten fr\u00fcher zur\u00fcckkommen w\u00fcrden als die, welche verh\u00e4ngt transportiert worden waren. Zu meiner \u00dcberraschung zeigte der Versuch gerade das entgegengesetzte Resultat. Die verh\u00e4ngt transportierten Tauben kamen in 1 St. 26 Min. im Durchschnitt zur\u00fcck, w\u00e4hrend die frei transportierten hierzu 2 St. 15 Min. Durchschnittszeit gebraucht hatten. Die Erkl\u00e4rung dieser Erscheinung werden wir unten finden.\nNachdem ich noch acht Tauben (mehr gaben mir die Besitzer nicht mit, weil sie diesmal viel Verluste bef\u00fcrchteten) in Ziegenr\u00fcck in Freiheit gesetzt, dort aber keine neuen Erfahrungen gemacht hatte, ging ich zum zweiten Teil meiner Untersuchungen \u00fcber. Bisher hatte ich die Tauben nach vier verschiedenen Richtungen hin gef\u00fchrt und ihnen zumeist die Orientierung erschwert, um zu sehen, wie sich die Tiere dabei verhalten w\u00fcrden und welchen Einflufs naheliegende Ortschaften und T\u00e4ler ans\u00fcbten. Von jetzt ab trainierte ich die Tauben nur nach einer Richtung, und sehr bald stellte sich ein \u00fcberraschendes Resultat heraus.","page":268},{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n269\nZun\u00e4chst f\u00fchrte ich die Tauben nach dem hoch gelegenen Triptis. Die Orientierung war ihnen dort erleichtert. Diejenigen, welche schon in Weira gewesen waren, konnten bei ganz geringer Erhebung bekannte Gegenden-sehen. Aufserdem brauchten sie nur das Orlatal zu verfolgen, um ganz in die N\u00e4he von P\u00f6fsneck zu kommen. Trotzdem flogen viele Tauben erst noch \u00fcber die \u00f6stlich gelegene Stadt, ohne indessen lange dort zu kreisen. Die Tauben liefsen sich also noch von der n\u00e4chsten H\u00e4usergruppe beeinflussen. Im allgemeinen flogen sie aber nicht, wie etwa bei K\u00f6nitz, unsicher hin und her, sondern sie erhoben sich etwas h\u00f6her und beschrieben regelm\u00e4fsigere und gr\u00f6fsere Eireise. Sie hatten offenbar bei den fr\u00fcheren Versuchen etwas gelernt und sich daran gew\u00f6hnt, die Heimat in gr\u00f6fserer Entfernung zu suchen. Dann liefs ich sie von Niederp\u00f6llnitz aus fliegen, ohne eine auffallende neue Erscheinung zu bemerken. Hierauf nahm ich sie mit nach Weida, wo ich sie teilweise auf der Weidaer H\u00f6he, direkt beim Rittergut \u201eMosen\u201c, teils vom Schlofsturm in Freiheit setzte. Hier war den Tauben die Orientierung sehr erschwert. Nicht nur, dafs Weida sehr tief liegt, sondern es m\u00fcnden dort auch mehrere T\u00e4ler zusammen, und die Tauben haben die Wahl zwischen f\u00fcnf verschiedenen Talrichtungen. Der P\u00f6fBnecker Brieftaubenverein hat in Weida auch immer grofse Verluste an jungen Tauben gehabt. S\u00e4mtliche Tauben kreisten auch hier wieder l\u00e4ngere Zeit \u00fcber der Stadt, doch waren die Bahnen (wie bei Triptis) schon regelm\u00e4fsiger, als fr\u00fcher. Von den 31 Tauben kamen 21 am selben Tage zur\u00fcck, n\u00e4mlich:\nNr.\t19 nach\t\t5\tSt.\t6\tMin.\tNr. 36 nach\t\t\tl\tSt.\t5 Min\t\nn\t27\tYi\t2\tn\t24\tn\tn\t48\tn\t2\tn\t\u2014\tn\n\u00ab\t22\t\u00bb\t\u2014\tn\t28\tn\tn\t46\tn\t\u2014\tn\t47\tn\nn\t24\tn\t4\tn\t47\tn\tn\t49\tn\t3\tr)\t20\tn\nn\t63\tn\t2\tn\t39\t\u00bb\tn\t68\tn\t3\t\u00bb\t48\tn\nn\t64\t\u00bb\t2\t\u00bb\t53\tn\tTJ\t67\tn\t\u2014\t\u00bb\t46\tn\nn\t62\t\u00bb\t\u2014\tn\t56\t\u00bb\tn\t59\tn\t1\t\u00bb\t18\tn\nw\t38\t\u00bb .\t4\tn\t24\t\u00bb\tn\t58\t\u00bb\t1\tn\t18\tn\nn\t37\tn\t1\tn\t7\tn\tn\t31\tn\t1\tr)\t48\tn\nn\t10\t\u00bb\t1\tn\t7\t\u00bb\t\u00ab\t8\tn\t1\t*\t4\t\nn\t1\t\u00bb\t1\tTag\t\t\tn\t2\tn\t2 Tagen\t\t\t\nn\t47\tn\t2\tTagen\t\t\tr>\t66\tr>\t4\t\tn\t\nV\t65\t\u00bb\t7\tyj\t\t\tn\t4\t\u00bb\t5\t\t\u00bb\t\nn\t3\t\u00bb\t2\tn\t\t\t\u00bb\t33\tn\t2\t\tn\t","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270\n<t. H. Schnndrr.\nNr, 32 nach 1 Tag \u201e 35 gar nicht.\nAm 9elben Tage gelangten also nur 28 St\u00fcck, also 66,66', in die Heimat ; ihre durchschnittliche Flugzeit betrug 2 Stunden 3 Minuten. 30 Minuten zum Zur\u00fccklegen der 30 km Entfernung abgerechnet, bleibt eine Orientierungszeit von 1 Stunde 33 Minuten. Hierauf nahm ich 15 Tauben, welche in Weida gewesen waren und 11 andere mit nach Seelingst\u00e4dt (42 km) und lieb sie dicht vor der Stadt frei. Seelingst\u00e4dt liegt sehr hoch und die Talsenkung in der Richtung nach Weida resp. P\u00f6fsneck. Die Luft war ziemlich klar. Bei diesem Flug trat nun schon ganz auffallend die Erscheinung zutage, dafs sich die Tauben um die n\u00e4chste Umgebung nur noch sehr wenig oder gar nicht k\u00fcmmerten. Die Tauben beschrieben grofse Kreise, stiegen sehr hoch und flogen dann alle in heimatlicher Richtung ab. Einige machten allerdings eine Schleife \u00fcber dem r\u00fcckw\u00e4rts gelegenen Seelingst\u00e4dt, ohne sich aber dort l\u00e4nger aufzuhalten. Die Tauben machten den Eindruck, als wenn sie ihrer Sache sicher w\u00e4ren. Das war wohl der Fall und kam vielleicht allein daher, dafs das n\u00e4chste Tal (Elstertal) in heimatlicher Richtung lag, und weil sie bei geringer Erhebung Weida sehen mufsten. Oder begannen etwa die Tauben auch sich die Richtung zu merken, in welcher sie die Heimat zu suchen hatten? S\u00e4mtliche Tauben hatten ja ihren Schlag dreimal hinter einander in ein und derselben Richtung gefunden. Die n\u00e4chsten Versuche werden hier\u00fcber Aufschlufs geben. S\u00e4mtliche Tauben kamen an demselben Tage in P\u00f6fsneck an und zwar :\nNr. 24 nach \u2014 St. 45 Min. Nr. 63 nach 1 St. 10 Min.\n11\t\u201e\ti\t11\to\t11\t11\t4\u00bb\t11\ti\t11\ty\t11\n1)\t18 \u201e\t1\t11\t5\t11\t11\t48\t11\t\u2014\til\t49\t11\n11\t23\t\u201e\t1\t11\t54\t11\t11\t67\t11\t2\t11\t15\t11\n11\t21 \u201e\t5\t11\t20\t11\t11\t46\t11\t1\t11\t18\t11\n11\t20 \u201e\t1\t11\t35\t11\t11\t68\t11\t1\t11\t12\t11\n\u00bb1\t62 \u201e\t1\t11\t\u2014\t11\t11\t73\t11\t\u2014\t11\t59\t11\n11\t38\t\u201e\t\u2014\t11\t53\t11\t11\t76\t11\t1\t11\t61\t11\n11\t61 \u201e\t_\t11\t56\t11\t11\t1\tli\t\u2014\tli\t41\t11\n\t37\t\u201e\t\u2014\t11\t54\t11\t11\t8\t11\t1\t11\t29\til\n11\t59\t\u201e\t\u2014\t11\t53\t11\t11\t]0\t11\t\u2014\t11\t43\t11\n11\t58\t\u201e\t1\t11\t3\t11\t11\t74\t11\t\u2014\t11\t49\t11\n11\t64\t\u201e\t1\t11\t5\t11\t11\t75\t11\t3\t11\t17\tIT","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n271\nDi\u00a9 durchschnittliche Flugzeit war also 1 Stund\u00a9 23 Minuten \u25a0und etwa 40 Minuten f\u00fcr die 42 km grofse Entfernung abgerechnet, bleiben 43 Minuten durchschnittliche Orientierungs-aeit. Immerhin scheinen die Tauben bei Weida wieder ihr\u00a9 Schwierigkeiten gefunden zu haben; war doch eine Taube noch \u00fcber 5 Stunden unterwegs gewesen. Die meisten Tauben hatten, aber sehr wenig Zeit zum Orientieren gebraucht und mufsten demnach wenigstens ungef\u00e4hr die heimatliche Richtung eingehalten haben.\nDie n\u00e4chsten Versuche bei Crimmitschau und Meerane zeigten nun ganz deutlich, dafs sich die Tauben nicht mehr von nahen Ortschaften und T\u00e4lern beeinflussen liefsen, und dafs sie sich allm\u00e4hlich die ungef\u00e4hre Richtung gemerkt, in welcher sie bei den vorhergehenden Reisen die Heimat gefunden hatten. S\u00e4mtliche Tauben kamen auch bei diesen Versuchen am selben Tag\u00a9 des Abfliegens in die Heimat zur\u00fcck und da sie von Meerane 56 km fliegen mufsten, hatten sie sehr wenig Zeit zum Orientieren gebraucht. Zwei Tauben kamen schon nach einer Stunde im Schlage an. Man mufs sich das Merken der Richtung nicht etwa so denken, dafs die Tauben \u00fcberlegen und die Richtung aussuchen w\u00fcrden, sondern das Fliegen in westlicher Richtung wird den nach Osten trainierten Tauben mehr und mehr zum Bed\u00fcrfnis. Damit stimmten auch die Erfahrungen des P\u00f6fsnecker Brieftaubenvereins \u00fcberein, nach welchen die Tauben nach vielen Vortouren in derselben Richtung, weit verschickt (nach Posen oder Tilsit), beim Auflassen sofort die heimatliche Richtung eingeschlagen haben. Von Tilsit besonders war fast immer der Bericht gekommen, dafs di\u00a9 Tauben, kaum frei gelassen, sofort s\u00e4mtlich in der Richtung nach P\u00f6fsneck (WSW.) abgereist seien*\nUm mich \u00fcber diese so wichtige Frage noch mehr zu vergewissern, machte ich einen Gegenversuch und f\u00fchrte die Tauben irre, indem ich sie, nachdem sie in der Richtung ONO. trainiert waren, mit nach Gotha nahm. Hatten sich die Tiere wirklich die Richtung gemerkt, dann mufsten sie auch von dort aus in der Richtung WSW. fliegen, anstatt sich sofort nach SO., der Heimat zuzuwenden. Dabei mufsten sie aber bei Waltershausen auf die H\u00f6hen des Th\u00fcringer Waldes stofsen. Diejenigen, welche dann umkehrten, vermochten dann in kurzer Zeit, voraussichtlich am selben Tage die Heimat zu finden, besonders, wenn sie sich immer in der N\u00e4he des Th\u00fcringer Waldes hielten, dessen.","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nu. H, Schneider.\nAnblick ihnen ja nicht sehr fremd erscheinen konnte. Die anderen, welche den Th\u00fcringer Wald von Waltershausen aus weiter in beinahe westlicher Richtung verfolgten, gelangten in ganz fremde Gegenden und konnten sich leicht verfliegen. Der Versuch war im h\u00f6chsten Grade interessant.\nDie Luft war von einer so wunderbaren Klarheit, dafs ich die H\u00e4user auf dem Inselsberge ganz deutlich sehen konnte. Ich setzte die Tauben auf der Bahnhofbr\u00fccke in Gotha in Freiheit. S\u00e4mtliche Tauben flogen in westlicher Richtung. Dabei machte die eine und andere wohl einen Bogen nach der Stadt, oder auch eine Schleife \u00fcber derselben, aber dann verschwand aie dem Auge in der Richtung nach WSW. Einige Tauben hatte ich beim Freilassen nach Osten gehalten; auch diese machten sofort einen Bogen und wendeten sich nach Westen.\nDas Resultat, welches die Flugzeit ergab, war genau dasjenige, welches ich vermutet hatte. Leider besitze ich die einzelnen Notizen nicht mehr, doch weifs ich wenigstens, dafs ein Teil der Tauben noch am selben Tage und zwar nach durchschnittlich 3 Stunden ankamen, w\u00e4hrend von den \u00fcbrigen die meisten im Durchschnitt vier Tage ausblieben und drei gar nicht zur\u00fcckkehrten. In weniger als einer Stunde h\u00e4tten die Tauben, wenn sie nicht irregeflogen w\u00e4ren, im Schlage ankommen k\u00f6nnen.\nNachdem ich dieses auffallende und wichtige Resultat erhalten batte, brach ich die Untersuchung wegen ihrer Kostspieligkeit ab.\nY. Resultate and Erkl\u00e4rungen.\nDie Annahme, dafs die Brieftauben einen angeborenen Richtsinn haben, ist ein Irrtum; denn w\u00e4re diese Annahme richtig, \u25a0dann m\u00fcfsten auch junge Tauben ihren Weg gleich finden; die Versuche, besonders die bei K\u00f6nitz, haben indessen gezeigt, dafe junge Tauben, selbst bei relativ geringer Entfernung von ihrer Heimat die gr\u00f6fsten Schwierigkeiten haben, sie wieder zu finden, wenn ihnen die Gegend fremd ist und sie die Heimat nicht sofort sehen k\u00f6nnen. Die Tiere fliegen dann oft in ganz falscher Richtung, kommen leicht weit von der Heimat ab, brauchen oft Stunden und Tage, um nach ihrem Schlage zu kommen und gehen in vielen F\u00e4llen ganz verloren, dadurch, dafs sie sich vollst\u00e4ndig verfliegen. Wenn indessen die Tauben deutlich die Heimat sehen und nicht von einer n\u00e4herliegenden H\u00e4usergruppe","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n278\nabgefenfct Werden, so wenden sie sich sofort, ohne erst lange tmtherzuffiegen, der Heimst zu, wie das der Versneh auf dem \u00d6pitzer Gipsberge und der \u00abwerte Versuch bei Weira, sowie der bei K\u00fcstitz deutlich gezeigt haben. Jnnge Tauben werden bei ihren ersten Orientierungsversuchen von sichtbaren Ortschaften und T\u00e4lern \u00bbehr beeinflu\u00dft.' In fremder Gegend aufgelassen, fliegen sie immer zuerst der n\u00e4chsten H\u00e4usergruppe oder dem n\u00e4chsten Tale zu. Die n\u00e4chste H\u00e4usergruppe suchen sie auch dann zun\u00e4chst ab, wenn sie in entgegengesetzter Richtung von der Heimat hegt; und dies ist sehr nat\u00fcrlich und leicht zu erkl\u00e4ren.\nBeim Feldern haben sich die Tauben niemals sehr weit vom Heimatsorte entfernt; und bei der Heimkehr haben sie ihren Schlag stets in der n\u00e4chsten H\u00e2us\u00e8rgrnppe gefunden, einerlei ob s\u00e4e \u00f6stlich oder westlich, n\u00f6rdlich oder s\u00fcdlich liegende Felder \u00abufgesucht hatten. Gewohnheitsgem\u00e4fs werden sie auch in fremder Umgebung zuerst der n\u00e4chsten H\u00e4usergruppe zufliegen, einerlei in welcher Richtung sie diese erblicken. Die Wahrnehmung des Schlages ist ja h\u00e4ufig mit derjenigen einer H\u00e4usergruppe assoziiert worden; und der Effekt dieser wiederholten Assoziation der Wahrnehmungen ist dann der, dafs die Gef\u00fchle der Sicherheit, der Beruhigung, der Heimatsliebe, welche urspr\u00fcnglich nur beim Anblick des Schlages entstanden, nun auch schon bei Wahrnehmung der H\u00e4usergruppe geweckt werden.\nDafs aber junge Tauben selbst dann noch der n\u00e4chsten und \u00e0 entgegengesetzter Richtung liegenden H\u00e4usergruppe zufliegen, wenn zugleich die Heimat, sei es auch nur undeutlich am Hori-\u00abont, sichtbar ist, erkl\u00e4rt sich ebenfalls aus dieser einseitigen Erfahrung und der daran\u00ab resultierenden geistigen Kurzsichtigkeit der Tiere. Sie haben bis jetzt noch keine Veranlassung gehabt, ihre Kicke nach ferneren Gegenden zu richten und ihre Heimat am Horizont oder in dessen N\u00e4he zu vermuten, sie haben sie ja immer in der n\u00e4chsten H\u00e4usergruppe gefunden. In derselben Weise erkl\u00e4rt sich die Erscheinung, da\u00df die Tauben gleich dem Tale zufliegen.\nWenn die Heimat im Tale liegt, wie es in den meisten Fallen und auch mit P\u00f6fsneck der Fall ist, dann haben die Tauben bei jeder R\u00fcckkehr vom Felde ihren Schlag im n\u00e4chsten Tale gefunden. Dafs die Welt mit den n\u00e4chsten Bergen noch triebt zu Ende ist, dafs es viele T\u00e4ler gibt, da\u00df das N\u00e4chste\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 40.\t18","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\ner. II. Schneidn\nnicht das Heimatliche zu sein braucht, dais die Heimat vielleicht am Horizont zu suchen ist, alles dies m\u00fcssen junge Taubes durch die Erfahrung erat lernen, ganz wie der Mensch in der Jugend seinen Gesichtskreis nur allm\u00e4hlich durch die Erfahrung erweitert.\nErst nach h\u00e4ufiger Erfahrung gew\u00f6hnen sich die Tauben daran, ihre Blicke in die Feme zu richten; sie k\u00fcmmern sich dann weniger um die n\u00e4chste Umgebung und steigen in regel-mftfsigen Kreisen sehr hoch in die Luft.\nIch halte die Entwicklung der Erinnerungsbilder und somit des Ged\u00e4chtnisses bei den V\u00f6geln nicht nur f\u00fcr m\u00f6glich, sondern auch f\u00fcr wahrscheinlich und dies besonders bei den Brieftauben, die eine so intensive Heimatsliebe zeigen; trotzdem haben wir gesehen, dafs eine R\u00fcckkehr zur Heimat, ein Aufsuchen derselben, sich auch schon aus Trieben erkl\u00e4rt, die durch blofse Wahrnehmungen erzeugt werden. Wenn die Tauben in fremder Gegend in Freiheit gesetzt werden, so f\u00fchlen sie sich beunruhigt und fliegen umher, und dabei \u00fcben nun \u00d6rtlichkeiten, welche der Heimat irgendwie \u00e4hnlich sind, eine anziehende psychische Wirkung, dagegen besonders fremd erscheinende eine abstofsende aus, die einen erwecken wohl ein Gef\u00fchl der Freude, die anderen solche der Angst und Unruhe. Ich konnte im einzelnen nicht experimentell feststellen, welch andere Dinge aufser H\u00e4usergruppen und T\u00e4lern noch anziehend auf die Tauben wirken, indessen wiesen alle Versuche darauf hin, dafs Dinge, die irgend eine \u00c4hnlichkeit mit der Heimat zeigen, einen Einflufs auf die Tauben aus\u00fcben. So gelangten bei den Versuchen bei K\u00f6nitz und bei Kr\u00f6lpa s\u00e4mtliche anwesende Herren und auch ich za der \u00dcberzeugung, dafs der Rauch der Eisenwerke bei Unterwellenborn die Tauben sehr beeinflufste, weil sie in ihrer Heimat, der Fabrikstadt P\u00f6fsneck, ja t\u00e4glich den Essenrauch gesehen hatten.\nDa sie anfangs durch irgendwelche \u00c4hnlichkeiten mit der Heimat beeinflufst werden, gleichviel in welcher Richtung sie solche erblicken, k\u00f6nnen junge Tauben gleich von vornherein in eine falsche Richtung und, weil sie immer den T\u00e4lern folgen, leicht in ganz entfernte Gegenden und L\u00e4nder kommen. Hierdurch ist es zu erkl\u00e4ren, dafs junge unge\u00fcbte Tauben von einem Orte, der nur wenige Kilometer von der Heimat entfernt ist, oft Stunden und Tage dazu brauchen, am die Heimat wieder-","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n275\n.zufinden ; w\u00e4hrend doch gute P\u00f6fsnecker Tauben die enorme Reise von Tilsit nach P\u00f6fsneck oft in einem Tage gemacht haben.\nBei K\u00f6nitz sind offenbar die Tauben, welche nicht nach kurzer Zeit im Schlage ankamen, durch die Wahrnehmung der Orte K\u00f6nitz und Unterwellenborn mit seinen rauchenden Eisenwerken verleitet worden, ungef\u00e4hr die westliche Richtung einzuhalten, so dafs sie dann bei Saalfeld in das Saaletal kamen und dieses nach der einen oder anderen Richtung hin verfolgten. Die abw\u00e4rtsfliegenden konnten sich dann leicht in die norddeutsche Ebene, die aufw\u00e4rtsfliegenden unter Umst\u00e4nden nach S\u00fcddeutschland verirren.\nAuch erkl\u00e4rt dies die Erfahrung der Brieftaubenvereine, dafs sie oft schon bei den ersten Vortouren sehr grofse Verluste an jungen Tauben zu beklagen haben. Der P\u00f6fsnecker Brieftaubenverein hat besonders in Weida sehr viel junge Tauben eingeb\u00fcfst, und der Grund daf\u00fcr ist leicht zu finden. Weida liegt nicht nur sehr tief, sondern es m\u00fcnden dort auch mehrere T\u00e4ler zusammen, und die V\u00f6gel haben im ganzen die Wahl zwischen f\u00fcnf Talrichtungen. Die Versuche bei Kahla und Kr\u00f6lpa haben das weitere Resultat ergeben, dafs junge Tauben, welche von einem Orte aufgelassen werden, von dem aus sie einen weiten \u00dcberblick haben, sich leichter orientieren, als wenn sie von einem tief liegenden Tale abfliegen. In diesem letzten Falle scheinen sie besondere Schwierigkeiten zu haben, wenn sie innerhalb oder in der N\u00e4he einer H\u00e4usergruppe in Freiheit gesetzt werden, wie es bei Kahla der Fall war. Die H\u00e4usergruppe ist ja dem Heimatsorte \u00e4hnlich und veranlafst sie vermutlich, lange dar\u00fcber zu kreisen, ehe sie dazu kommen, sich weiter zu wenden. Dagegen haben die von einer erh\u00f6hten Stelle mit freier Aussicht abfliegenden Tauben sofort einen gr\u00f6fseren Gesichtskreis.\nWerden Tauben in der Weise transportiert, dafs sie sich w\u00e4hrend des Transportes umsehen k\u00f6nnen, so wird ihnen dadurch die Orientierung nicht erleichtert, sondern, wie es scheint, vielmehr erschwert. Das kommt offenbar daher, dafs die Tauben daran gew\u00f6hnt sind, sich hoch von der Luft aus zu orientieren. Wenn sie St\u00e4dte und D\u00f6rfer von den Strafsen aus sehen, durch die sie beim Transport kommen, und wenn sie die umliegenden Felder und etwaigen Anh\u00f6hen von unten statt von oben wahrnehmen, so m\u00fcssen ihnen die Gesichtsbilder fremd Vorkommen.\n18*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"S76\ntr. H Schnader.\nKlare Ltift und Sonnenschein erleichtern den Tauben ihre Orientierung in hohem Grade.\nIch m\u00f6chte nun hier auf einige charakteristische Flugbahnen kufmerksam machen, welche vier verschiedenen Situationen entsprechen, und an denen wir das psychische Geschehen in den Tauben gleichsam ablesen k\u00f6nnen. Die erste dieser Situationen ist die, dafg die Tiere die Heimat resp. deren Umgebung deutlich sehen, oder wie bei ge\u00fcbteren, nach einer Richtung trainierten Tauben, die Richtung kennen, in der sie die Heimat \u00f6fter gefunden haben. Sie fliegen dann in beinahe gerader Linie oder nach kleinen Schleifen und Bogen sofort der Heimat zu, wie dis In den Versuchen bei \u00d6pitz und bei K\u00f6stitz beobachtet wurde. Die Flugbahnen sind dann die folgenden:\nFig. 2.\n-=r\nDie zweite Situation ist die, dafa die Tauben zun\u00e4chst die Heimat nicht sehen k\u00f6nnen und auch die Richtung nicht kennen, in der sie zu suchen ist.\nSie fliegen dann unruhig in unregelm\u00e4faigen Bahnen umher, oder, wenn sie schon einige \u00dcbung haben, beschreiben regel-m\u00e4fsige Kreise. Die Flugbahnen wie sie besonders bei K\u00f6nitz beobachtet wurden haben dann etwa folgende Formen:\n(\u00a7)^~\nFig. 3.\nIn der dritten Situation befinden sich die Tauben, wenn sie zwei D\u00f6rfer sehen, die als H\u00e4usergruppen eine gewisse \u00c4hnlichkeit mit dem Heimatsorte haben. Die Tauben pendeln dann lange zwischen beiden Ortschaften hin und her und beschreiben folgende Bahnen :","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n277\nFig. 4.\nIn h\u00f6chst auffallender Weise kamen diese Flugbahnformen bei Kahla und bei Saalfeld zum Ausdruck.\nIn der vierten Situation sind es auch zwei Orte, welche die Tauben anziehen, die Wahrnehmung des einen Ortes verursacht aber eine gr\u00f6fsere Anziehung als die der anderen. Die Bahnen, welche ich beim zweiten Versuch bei Weira beobachtete, haben dann die folgenden interessanten Formen:\nDer eine Ort war die Heimat, der andere das in entgegengesetzter Richtung liegende Dorf Weira.\nDie Abnahme dar Schleifen, Bogen und Haken deutet auf die zunehmende Sicherheit, die entsteht, je mehr sich die Tauben -Vom fremden Orte entfernen und sich der Heimat n\u00e4hern.\n\u00c4ltere Tauben mit mehr Erfahrungen verhalten sich ganz anders als junge und unge\u00fcbte. Sie haben sich schon daran gew\u00f6hnt, die Heimat in gr\u00f6fserer Ferne zu suchen; k\u00fcmmern sich um ganz nahe gelegene OrtBohaften nur noch wenig, steigen h\u00f6her, beschreiben regelm\u00e4\u00dfige Kreise und, wenn sie f\u00fcr eine","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\nG. H Schneider,\nbestimmte Reise trainiert werden, merken sie sich allm\u00e4hlich die Richtung, in der sie in vorhergehenden F\u00e4llen die Heimat gefunden haben und schlagen diese sofort ein, sowie sie sich in fremder Gegend f\u00fchlen. Bei ge\u00fcbteren, f\u00fcr eine bestimmte Richtung trainierten Tauben kann man also von einem Richtsinne sprechen; allein dieser ist kein mystisches vererbtes Verm\u00f6gen, sondern eine, durch h\u00e4ufige Erfahrung erworbene Gewohnheit, eine bestimmte Richtung zu nehmen. Ich wiederhole aber, dafs wir zur Erkl\u00e4rung dieses Richtsinnes nicht n\u00f6tig haben, eine \u00dcberlegung und zweckbewufste Wahl vorauszusetzen. Schon die Wahmehmungstriebe gen\u00fcgen zur Erkl\u00e4rung der Tatsache. Wenn z. B. P\u00f6fsnecker Tauben in der Richtung ONO f\u00fcr die Tour von Tilsit nach P\u00f6fsneck trainiert werden, so haben sie auf den Vortouren Neustadt, Triptis, Seelingst\u00e4dt, Meerane und Posen beim Abflug, der ja in der Regel am fr\u00fchen Morgen stattfindet, immer die Sonne ungef\u00e4hr im R\u00fccken, oder etwas auf der rechten Seite gehabt. Werden sie nun in Tilsit in Freiheit gesetzt, so gen\u00fcgt di\u00a9 Wahrnehmung der der Sonne entgegengesetzten Richtung schon, dafs sie ungef\u00e4hr den richtigen Weg einschlagen. Da ge\u00fcbtere Tauben sehr hoch fliegen, so haben sie auch einen grofsen Gesichtskreis, k\u00f6nnen leicht aus grofser Entfernung bekannte Gegenden unterscheiden und so die Heimat auch ohne \u00dcberlegung finden.\nBei den gew\u00f6hnlichen Brieftaubentouren kommt aufserdem in Betracht, dafs die Tauben in der Regel einer F\u00fchrerin folgen, welche die Reise schon einmal oder \u00f6fter gemacht hat. Eine solche F\u00fchrerin f\u00fchlt sich sicher, fliegt sofort in bestimmter Richtung ab, ohne lange zu kreisen, und ihr folgen dann die anderen Tauben. W\u00e4hrend der Reise scheinen sie zwar wegen der verschiedenen Geschwindigkeit des Fluges bald wieder auseinander zu kommen, allein die F\u00fchrerin ist doch die Ursache davon gewesen, dafs s\u00e4mtliche Tauben gleich die ungef\u00e4hre Richtung genommen haben. Das alles schliefst nat\u00fcrlich nicht aus, dafs auch \u00e4ltere Tauben zuweilen irre geleitet werden, wenn sie n\u00e4mlich ein oder mehrere Male in etwas abweichender Richtung am Horizont Ortschaften oder Berge sehen, welche \u00c4hnlichkeiten mit der Heimat und deren Umgebung haben. Wenn andererseits erfahrene Tauben zuweilen die weit entfernte Heimat in einer Richtung finden, f\u00fcr welche sie nicht trainiert waren, so hat das auch nichts Auffallendes. In vielen F\u00e4llen spielen","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Die Orientierung der Brieftauben.\n279\ndann wohl Zuf\u00e4lligkeiten mit. Aber auch wenn die Tauben nicht zuf\u00e4llig ungef\u00e4hr die heimatliche Richtung einschlagen, ist das Wiederfinden der Heimat wohl m\u00f6glich und erkl\u00e4rbar. Wir m\u00fcssen hierbei bedenken, dafs eine gute Taube jeden Tag ganz Deutschland einmal durchqueren kann, und dafs gute Tauben oft nicht nur wochenlang, Bondern monatelang nach der Heimat tunhersuchen.\nIn P\u00f6fsneck machten wir eine hoch interessante Beobachtung. Auf einer der hohen Fabrikessen war eine Woche lang jeden Abend eine fremde Taube zu sehen, welche jeden Morgen mit Tagesanbruch verschwand, und Jeden Abend wieder nach derselben Esse zur\u00fcckkehrte, bis sie nach acht Tagen ganz ausblieb. Es machte den Eindruck, als wenn die Taube ihre Heimat ganz systematisch von einem Punkte aus in den verschiedensten Richtungen gesucht und nach acht Tagen gefunden habe.\n(Eingegangen am 18. September 1906.)","page":279}],"identifier":"lit32002","issued":"1906","language":"de","pages":"252-279","startpages":"252","title":"Die Orientierung der Brieftauben","type":"Journal Article","volume":"40"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:31:28.468897+00:00"}