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{"created":"2022-01-31T16:36:27.977374+00:00","id":"lit32005","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Nagel, Wilibald","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 93-101","fulltext":[{"file":"p0093.txt","language":"de","ocr_de":"93\n(Aus der physikalischen Abteilung des physiologischen Instituts zu Berlin.)\nDichromatische Fovea, trichromatische Peripherie.\nVon\nWiltbald Nagel.\nDer Lokomotivf\u00fchrer Sch. hat vor seiner Einstellung in den Bahndienst sowie bei der regul\u00e4ren alle 5 Jahre erfolgenden Nachpr\u00fcfung die HoLMGBEXsche Wollprobe bestanden.1 Beanstandung bei einer aufsergewohnlichen Nachpr\u00fcfung mit Stillings Tafeln f\u00fchrte dazu, dafs ich um Untersuchung des Sch. ersucht wurde. Bei Untersuchung mit meinem Farbengleichungsapparat, mit meinen Farbentafeln und mit dem HELMHOLTZschen Farbenmischapparat erwies er sich als typisch gr\u00fcnblind (Deuteranop). Infolge der v\u00f6lligen \u00dcbereinstimmung dieses meines Befundes mit demjenigen des Bahnarztes und eines Bahnaugenarztes wurde Sch. aus dem Fahrdienst entfernt und in anderer Stellung bei der Eisenbahn besch\u00e4ftigt.\nAuf seine Reklamation hin wurden noch von verschiedenen Seiten zu wiederholten Malen mit ihm Versuche angestellt. Seinem eigenen Wunsche entsprechend wurde Sch. von einem anderen Bahnaugenarzt gepr\u00fcft, der feststellte, dafs Sch. die Wollprobe, die \u00dcAAEsche und STiLLiNGsche Probe und eine Pr\u00fcfung mit einer \u201eSignallateme\u201c (wohl der EvEBSBUscHschen ?) fehlerlos bestand.\nErneute eingehende Untersuchung durch denselben Bahnaugenarzt f\u00fchrte bez\u00fcglich der genannten Proben zum gleichen Resultat. Bei Pr\u00fcfung mit meinen Farbentafeln dagegen soll sich \u201eein gewisses Manko\u201c seines Farbensinnes ergeben haben,\n1 Die Sehsch\u00e4rfe des Sch., von verschiedenen Bahn\u00e4rzten gepr\u00fcft, wird zu \u2022/,, von einem Arzt auch als \u00fcber der Norm liegend angegeben. Ophthalmoskopische Untersuchung ist nicht unternommen worden.","page":93},{"file":"p0094.txt","language":"de","ocr_de":"94\nW\u00fcibald Nagel.\ndas nicht n\u00e4her bezeichnet wurde. Die Probe wurde \u201emit einem Fehler\u201c \u201ebestanden\u201c.\nAuf Wunsch des Ministeriums des Verkehrswesens habe ich alsdann den Sch. nochmals in Gegenwart des betreffenden Bahnaugenarztes am Spektralfarben-Mischapparat untersucht, wobei sich wiederum typische Deuteranopie (Gr\u00fcnblindheit) ergab.\nWenn Sch. ein kreisrundes Feld, das unter dem Gesichtswinkel von 3\u201440 erschien und dessen eine H\u00e4lfte rein rot (680 /i/i), dessen andere H\u00e4lfte gelbgr\u00fcn (550 p/i) war, betrachtete, erschienen ihm die beiden anderen H\u00e4lften gleichgef\u00e4rbt, und zwar gelb, sobald das Helligkeitsverh\u00e4ltnis der beiden Lichter so gew\u00e4hlt war, dafs f\u00fcr mein deuteranopisches Sehorgan die beiden H\u00e4lften gleichhell (und nat\u00fcrlich auch gleichfarbig) erschienen. War die eine H\u00e4lfte dunkler als die andere, so nannte Sch. die H\u00e4lften meist verschieden gef\u00e4rbt, bald die dunklere gr\u00fcn, die hellere gelb oder rot, bald die dunklere rot, die hellere gelb, ohne dafs die Angaben den tats\u00e4chlichen Verh\u00e4ltnissen im geringsten entsprochen h\u00e4tten. Es war ganz das charakteristische Verhalten der Dichromaten.\nWenn das eine Feld mit homogenem Gelb erleuchtet wurde, das andere mit einer Mischung von Rot und Gr\u00fcn (670 und 540 ufi) und die f\u00fcr den normalen Trichomaten g\u00fcltige Gleichung eingestellt wurde, erkannte Sch. sie als richtig an. Wurde aber die f\u00fcr den \u201eGr\u00fcnanomalen\u201c g\u00fcltige Gleichung eingestellt (bei der das Gemisch f\u00fcr den Normalen viel zu gr\u00fcn ist), so erkannte er sie ebenfalls an. Das reine Gelb gibt eben f\u00fcr ihn, wie f\u00fcr jeden Deuteranopen sowohl mit dem Rot, wie mit dem Gelb, wie mit jeder beliebigen Mischung dieser beiden Lichter eine vollst\u00e4ndige Gleichung.\nHiernach erschiene nun die Sachlage zun\u00e4chst sehr einfach, die Diagnose der Deuteranopie (Gr\u00fcnblindheit) gesichert. Folgende Umst\u00e4nde aber komplizieren den Fall.\nSch. besteht die Wollprobe so, dafs man nicht leicht an Farbenblindheit glauben kann. Freilich bestehen sie ja sehr viele Dichromaten, u. a. auch ich selbst, wenn das verwendete Wollsortiment nicht sehr reichhaltig an Verwechslungsfarben ist. Darum w\u00fcrde ich auch daran nichts allzu Auffallendes finden, dafs Sch. bei Untersuchung durch mehrere Bahn\u00e4rzte bzw. Bahnaugen\u00e4rzte die Probe bestand, da ich die verwendeten Woll-sortimente nicht kenne. Das Verhalten des Sch. gegen\u00fcber einem","page":94},{"file":"p0095.txt","language":"de","ocr_de":"Dichromatische Fovea, trichromatische Peripherie.\n95\nsehr guten, aus Upsala bezogenen, Sortiment war aber doch auffallend. Wir hatten aus einem Sortiment allen gr\u00fcnlichen, gelbgr\u00fcnen und blaugr\u00fcnen Wollen herausgenommen und nur die f\u00fcnf B\u00fcndel darin gelassen, die mit dem \u201emeergr\u00fcnen\u201c Probeb\u00fcndel Holmgbees farbentongleich waren. Sch. fand sie, allerdings sehr langsam, heraus, ohne auch nur eines der zahlreichen grauen und graubraunen B\u00fcndel dazu zu legen. Auch als die selben f\u00fcnf gr\u00fcnen B\u00fcndel ausschliefslich mit den Verwechslungsfarben untermischt vorgelegt wurden, fand er jene ohne Fehler heraus, ebenso f\u00fcnf gelbgr\u00fcne B\u00fcndel, die mit zahlreichen gelbbraunen und r\u00f6tlichbraunen gemischt waren.\nDas Gehngen dieser drei aufeinanderfolgenden Proben konnte kaum mehr ein Zufall sein. Ein bei der Untersuchung anwesender ebenfalls gr\u00fcnblinder Herr stimmte mit mir selbst darin \u00fcberein, dafs diese Auswahl f\u00fcr uns nicht m\u00f6glich gewesen w\u00e4re (ich machte auch bei einem entsprechenden Versuch sofort Fehler).\nWeiter kommt in Betracht das auffallende Verhalten des Sch. gegen die Stilling sehen pseudoisochromatischen Tafeln. Nachdem er fr\u00fcher einmal diese Probe nicht bestanden hatte, kam er eines Tages zu dem betreffenden Bahnarzt, Herrn Dr. Vakselow, der ihn damit gepr\u00fcft hatte und teilte ihm mit, er k\u00f6nne die Tafeln jetzt lesen, bei der ersten Pr\u00fcfung habe ihn nur da\u00df Neue \u00fcberrascht und verwirrt. In der Tat fand Herr Dr. Vanselow die Angabe best\u00e4tigt, und wies mir den Mann zur Nachpr\u00fcfung zu. Auch bei mir las Sch. die meisten Tafeln von Stilling (10. Aufl.) richtig, wenn auch einzelne mit Z\u00f6gern. Da er aber einer \u00e4lteren Auflage gegen\u00fcber, die er noch nie gesehen hatte, v\u00f6llig versagte, und auch bei Pr\u00fcfung mit meinen Tafeln und am Farbenmischapparat sich wieder als typisch gr\u00fcnblind erwies, glaubte ich zun\u00e4chst mich der Ansicht des Herrn Dr. Vanselow anschliefsen zu m\u00fcssen, dafs Sch. einfach die Tafeln auswendig gelernt hatte. In der Tat hatte er sie sich beschafft und hatte eifrigst ihre Entzifferung ge\u00fcbt. Unerkl\u00e4rlich blieb dabei allerdings, dafs Sch. es auch meistens bemerkte, wenn ihm ein Feld der SiiLLiNGschen Tafeln verkehrt vorgehalten wurde. Er sagte dann, die Zahlen stehen umgekehrt.\nDiese Leistungen w\u00e4ren f\u00fcr einen typischen Dichromaten sehr ungew\u00f6hnlich, und schienen schlechterdings nicht anders als durch raffiniertes Auswendiglernen erkl\u00e4rbar.\nNoch auffallender war das Verhalten des Sch. gegen meine","page":95},{"file":"p0096.txt","language":"de","ocr_de":"96\nWilibahl Sagtl.\nFarbentafeln, als ihm diese in einem Probedruck f\u00fcr die (noch nicht ver\u00f6ffentlichte) Neuauflage vorgelegt wurden. Ich verzichtete bei dieser Gelegenheit'auf die schematische Pr\u00fcfung, wie siebei erstmals Untersuchten zu empfehlen ist, da er schon bei zwei fr\u00fcheren Gelegenheiten die f\u00fcr den Deuteranopen charakteristischen Verwechslungen bei den Tafeln gemacht hatte. Ich gestattete ihm also, die Tafeln aus beliebig geringer Entfernung zu betrachten.1 Sch. machte nun hierbei Unterscheidungen, die ein gew\u00f6hnlicher Gr\u00fcnblinder niemals h\u00e4tte machen k\u00f6nnen. Andererseits hielt er wieder eine Tafel, auf der Gelbgr\u00fcn neben Gelbbraun in zwei Schattierungen stand, f\u00fcr einfarbig und war auf spezielles Befragen nicht imstande, die beiden Farben auseinanderzuhalten.\nDieser Irrtum passiert nun aber nicht nur Dichromaten, sondern auch den anomalen Trichromaten, und ist f\u00fcr diese sogar besonders charakteristisch. Der Befund ergab also unzweifelhaft \u201eFarbenunt\u00fcchtigkeit\u201c im Sinne der Eisenbahn (da in Preufsen jetzt die anomalen Trichromaten wie die Dichromaten vom Bahndienst ausgeschlossen werdeh sollen), aber nicht Farbenblindheit im \u00fcblichen Sinne.\nAus der Gesamtheit dieser Beobachtungen geht m. E. deutlich hervor, dafs, sobald nicht nur das rein foveale Sehen in Betracht kommt, wie beim Beobachten am Spektralapparat, an meinem Farbenapparat, oder an meinen Tafeln bei Betrachtung aus der vorgeschriebenen Entfernung von \u00ae/j ra, Sch. nicht als farbenblind im strengen (physiologischen) Sinn erscheint. Die aufser-\n1 Bei den gew\u00f6hnlichen Dichromaten, wie auch bei den normalen Trichromaten macht es sehr wenig aus, ob sie meinen Tafeln, wie vorgeschrieben aus */4 m Abstand oder ganz aus der N\u00e4he betrachten (einiger-mafsen gute Sehsch\u00e4rfe vorausgesetzt). Nur einen Fall kenne ich, in dem auch die Ergebnisse der Pr\u00fcfung mit meinen Tafeln je nach dem Abstand sehr verschieden ausfielen, trotz hinreichender Sehleistung, n\u00e4mlich in dem k\u00fcrzlich durch Pipbr beschriebenen Fall, der fr\u00fcher als Pseudomonochromat bezeichnet worden war. Zeigte man dem Patienten die Tafeln auf */4 m Abstand, so konnte er gar keine Farben (wohl aber Helligkeitsabstufungen) unterscheiden. Liefe man ihn die Tafeln nahe zum Auge bringen, so machte er die typischen Tritanopenverwechselungen. Wie Pipkb am Spektralapparat genauer feststellte, ist die Fovea des betreffenden Auges in der Tat total farbenblind, die Peripherie tritanopisch. Das foveale Sehen pr\u00fcft man also, wie aus den beiden F\u00e4llen hervorgeht, nur dann, wenn man den Abstand nicht \u00abu klein w\u00e4hlt.","page":96},{"file":"p0097.txt","language":"de","ocr_de":"Dichromatieche Fovea, trichromatische Peripherie.\n97\nhalb der Fovea liegenden Netzhautteile besitzen also h\u00f6chstwahrscheinlich trichromatischen Farbensinn. Bei der Stellung einer solchen Diagnose ist ja ftufserste Vorsicht geboten, da man bei sehr vielen Dichromaten, speziell Deuteranopen, versucht sein k\u00f6nnte, an \u00e4hnliches zu denken. Diese Personen, zu denen auch ich geh\u00f6re, machen bei Beobachtung auf relativ kleinem Felde (1\u201410\u00b0), namentlich am Spektralapparat, ihre ganz typischen Verwechslungen. An gr\u00f6fseren Feldern aber von 10 oder 15\u00b0 an ist selbst bei Verwendung spektraler Lichter und guter Helladaptation die Verwechslungsm\u00f6glichkeit bedeutend eingeschr\u00e4nkt. F\u00fcr Gr\u00fcn l\u00e4fst sich allerdings selbst auf gr\u00f6fstem Felde die geeignete Verwechslungsfarbe finden, je nach der Wellenl\u00e4nge des Gr\u00fcn ist es ein Gelb (bzw. Braun) oder Weifs (bzw. Grau). So kann man am Farbenkreisel, bei \u00fcblicher Scheibengr\u00f6fse und Betrachtung aus etwa 7* m Distanz, f\u00fcr jeden Deuteranopen eine absolut befriedigende (Tages-) Gleichung zwischen einem bl\u00e4ulichen Gr\u00fcn und einer Schwarz-Weifs-Mischung, oder zwischen einem gelblichen Gr\u00fcn und einer Schwarz-Weifs-Gelb-Mischung hersteilen.\nAnders bei Rot. Ich finde es g\u00e4nzlich ausgeschlossen, eine befriedigende Gleichung zwischen lebhaftem Rot und Gr\u00fcn oder Braun zu erhalten, solange die oben erw\u00e4hnten Gr\u00f6fsenverh\u00e4lt-nisse eingehalten werden, also bei einer Feldgr\u00f6fse von mindestens 10\u00b0.\nNat\u00fcrlich darf ein solcher Versuch nicht etwa mit dem Rot der RoiHEschen Kreiselscheiben angestellt werden, das etwa dem Spektralrot im Ton entspricht, denn die S\u00e4ttigung dieser Farbe ist f\u00fcr den Deuteranopen gr\u00f6fser als die irgend welcher Braun- oder Gr\u00fcnmischung, die sich mit RoTHEschen Scheiben erzielen l\u00e4fst. Man mufs also etwas Weifs oder Schwarz-Weifs zumischen. Hierin kann ich nun aber sehr weit gehen, m. a. W. ein sehr blasses Rot erzeugen, ohne die M\u00f6glichkeit aufzugeben, das Rot darin zu erkennen, d. h. die Mischung von der m\u00f6glichst \u00e4hnlichen Graugelb- oder Gr\u00fcnmischung zu unterscheiden. Ebenso bleibt f\u00fcr mich eine Gleichung zwischen Blaugr\u00fcn und Purpur immer unbefriedigend, sobald die Feldgr\u00f6fse \u00fcber 100 hinausgeht. . Ganz \u00e4hnlich habe ich das Verhalten zahlreicher anderer Deuteranopen gefunden, mit dem einzigen Unterschied, dafs bei mir selbst die gr\u00f6fsere \u00dcbung meistens etwas feinere Unterscheidungen erm\u00f6glicht.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie >9.\n7","page":97},{"file":"p0098.txt","language":"de","ocr_de":"98\nWilibald Hagel\nAus solchen Beobachtungen den Schlufs zu ziehen, es sei beim Deuteranopen die Netzhautperipherie dem Netzhautzentrum \u00fcberlegen, indem sich dort ein trichromatisches Farbensystem einstelle, w\u00e4re nat\u00fcrlich \u00fcbereilt und sehr wahrscheinlich falsch. Denn l\u00e4ge die Sache so, so m\u00fcfste die f\u00fcr den Deuteranopen foveal g\u00fcltige Gleichung Rot-Gelbgr\u00fcn extrafoveal bei gleicher Feldgr\u00f6fse ung\u00fcltig werden, was bekanntlich aber nicht der Fall ist, solange die extrafovealen Teile nicht dunkeladaptiert sind und sich somit extrafoveal das D\u00e4mmerungssehen nicht beimischt. Vermeidet man die Einmischung des D\u00e4mmerungssehens durch geeignetes Verfahren, so ergibt sich, dafs beim gew\u00f6hnlichen Deuteranopen das Farbensystem f\u00fcr die zentralen und die nicht allzuweit exzentrischen Netzhautteile ein durchaus \u00fcbereinstimmendes ist.\nNicht die Erregung peripherer Netzhautpartien an und f\u00fcr sich kann es also sein, die die bessere Unterscheidungsm\u00f6glichkeit beim Beobachten auf grofsem Felde bedingt, sondern es mufs die gr\u00f6fsere gereizte Fl\u00e4che mafsgebend sein. In welcher Weise man sich diesen Einflufs spezieller vorstellen k\u00f6nnte, darauf kann ich hier nicht eingehen, da es mir an dieser Stelle nur darauf ankommt, die Differenzen zwischen dem gew\u00f6hnlichen Deuteranopen und dem Fall Sch. zu betonen.\nEs mufs \u00fcbrigens noch darauf hingewiesen werden, dafs die anomalen Trichromaten, und zwar speziell die Gr\u00fcnanomalen, ein Verhalten aufweisen, das mit dem beschriebenen der Deuteranopen eine gewisse \u00c4hnlichkeit zeigt. Auch sie bemerken in Kreiselmischungen u. dgl. oft einen recht erheblichen Gr\u00fcnzusatz nicht, sie halten auch bei meinen Farbentafeln das Gr\u00fcn und Grau, sowie in den neuen (noch nicht ver\u00f6ffentlichten) Tafeln das Gelbgr\u00fcn und das Braun nur sehr unsicher auseinander, w\u00e4hrend sie bez\u00fcglich der Wahrnehmung eines Rotgehalts in einer Kreiselmischung sich fast v\u00f6llig wie die\" Normalen verhalten. Als Sch. bei der letzten Pr\u00fcfung mit meinen Farbentafeln die roten Punkte richtig herausfand, dagegen das Gr\u00fcn und Braun nicht unterschied, kam mir die Vermutung, er k\u00f6nnte ein Gr\u00fcn-anomaler sein. Am Spektralapparat erwies er sich ja nun freilich wieder deutlich genug als Dichromat.\nWas sein Verhalten von dem meinigen und dem aller sonstigen mir bekannten Deuteranopen wesentlich unterscheidet, ist folgendes :","page":98},{"file":"p0099.txt","language":"de","ocr_de":"Dichromatische Fovea, trichroniatische Peripherie.\n99\n1.\tGewisse, f\u00fcr mich nicht m\u00f6gliche Unterscheidungen an meinen Farbentafeln, auf die ich nicht n\u00e4her eingehe, weil diese Versuche nur ganz fl\u00fcchtig und in aller K\u00fcrze gemacht wurden.\n2.\tWichtiger ist die Leistung an den Wollb\u00fcndeln, die f\u00fcr mich, wie erw\u00e4hnt, g\u00e4nzlich ausgeschlossen w\u00e4re. Ich vermag wohl, die roten, rosaroten, ja selbst die r\u00f6tlichbraunen und r\u00f6tlichgrauen mit einiger Sorgfalt herauszufinden, ganz aussichtslos aber ist der Versuch, die gr\u00fcnen B\u00fcndel von den grauen und namentlich den graubraunen zu sondern, wie es Sch. in dreimaliger Wiederholung fehlerlos tat.\n3.\tDazu kommt als dritte Tatsache, die ebenfalls mit voller Sicherheit festgestellt ist, dafs Sch. auf STiLLiNGschen Tafeln die Zahlen herausfindet, die f\u00fcr andere Deuteranopen auch nicht einmal in Andeutungen sichtbar sind.\nDiese Tatsachen zusammengehalten ergeben m. E. die klare Diagnose, dafs irgendwo in seinen Augen, aufserhalb der Fovea, wahrscheinlich schon in der parafovealen Zone, ein vollkommenerer, komplizierterer Farbensinn lokalisiert sein mufs. Ob es sich da um ein normales oder ein anomales trichromatisches System handelt, ist auf Grund der vorliegenden Beobachtungen nicht zu entscheiden. Manche Beobachtungen weisen auf ein anomales System hin, so die charakteristische Gr\u00fcnbraun-Verwechslung und namentlich auch die Langsamkeit der Farbenunter-Bcheidung, die bei dem sonst sehr lebhaften und intelligenten Manne besonders auffallend ist, andererseits nach den Untersuchungen von Guttmann 1 f\u00fcr die Anomalen charakteristisch ist.\nLeider konnte ich die an und f\u00fcr sich sehr w\u00fcnschenswerten und naheliegenden Versuche, die volle Klarheit gebracht h\u00e4tten, nicht ausf\u00fchren, weil die letzte Untersuchung, die zu dem genannten Resultat f\u00fchrte, eigentlich nur zu dem Zweck vorgenommen wurde, \u00fcber die Tauglichkeit des Sch. f\u00fcr den Loko-motivdienst zu entscheiden, und zwar in Gegenwart einer gr\u00f6fseren Kommission von Beamten und \u00e4rztlichen Sachverst\u00e4ndigen. An dem durch das Ergebnis der Versuche schwer entt\u00e4uschten Manne konnten nat\u00fcrlich die Versuche zun\u00e4chst nicht fortgesetzt werden. Vielleicht wird es sp\u00e4ter noch m\u00f6glich.\n1 Untersuchungen am sogenannten Farbenschwachen. 1. Kongrefs f. experim. Psychol. Giefsen 1904.","page":99},{"file":"p0100.txt","language":"de","ocr_de":"100\nWilibM Nagel.\nTheoretisch besonders wichtig, wenn auch nicht gerade \u00fcberraschend ist die Tatsache, dafs Sch., der Rot und Gr\u00fcn doch als spezifisch vom Gelb verschiedene Empfindungen kennen mufs, bei fovealem Sehen Spektralrot und Gelbgr\u00fcn gelb nennt.1\nF\u00fcr die Praxis der Farbensinnspr\u00fcfung hat der Fall besonders die Bedeutung, dafs er wieder zeigt, dafs f\u00fcr die Zwecke der bahn\u00e4rztlichen Untersuchung die HoLMGBENsche Probe ungeeignet ist. Viermal ist Sch. nach Holmgben von verschiedenen \u00c4rzten gepr\u00fcft worden, ohne dafs Verdacht entstand. Dafs auch gew\u00f6hnliche Deuteranopen \u00fcbrigens diese Proben oft bestehen, darauf habe ich* * ja schon fr\u00fcher hingewiesen. Wenn Silexj mitteilt, dafs er mehr als 1000 Waisenkinder Wollb\u00fcndel sortieren liefs, und dazu schreibt: \u201ew\u00e4hrend in allen m\u00f6glichen B\u00fcchern steht, dafs ca. 3 \u00b0/0 der Menschen farbenblind seien, kam ich dort nur auf \u2019/. \u00b0/0\u201c, so wird das wohl von anderen nicht als Irrtum in allen m\u00f6glichen B\u00fcchern ausgelegt werden (die besseren B\u00fccher reden \u00fcbrigens von 3 % n u r unter den M\u00e4nnern), sondern als Zeichen f\u00fcr die Unsicherheit der Untersuchung. Ich habe fr\u00fcher die HoLMGRENsche Methode mehr gesch\u00e4tzt wie jetzt auf Grund vielfacher neuerer Erfahrung. Ich habe j\u00fcngst 300 Eisenbahnbeamte untersucht, die allesamt mindestens einmal (manche 3\u20144 mal) nach Holmgben untersucht waren, und unter denen sich trotzdem 5 \u00b0/0 (!) typische Farbenblinde befanden, also zuf\u00e4lligerweise sogar noch etwas mehr, als man allgemein als durchschnittlichen Prozentsatz unter den M\u00e4nnern annimmt, bei denen keine Auslese stattgefunden hat. Diese 5 \u00b0/0 sind nicht etwa nach einer einzigen Methode, sondern unter Zuhilfenahme aller gangbaren Methoden als farbenblind diagnostiziert, und es sind bei dieser Zahl auch nicht die anomalen Trichromaten mitgerechnet, die z. B. bei Pr\u00fcfung nach Stilling auch alle als farbenblind gerechnet worden w\u00e4ren (ca. 4,5 %).\n1 Wie v. Knies schon fr\u00fcher hervorgehoben und besonders \u00fcberzeugend neuerdings im Handbuch der Physiologie des Menschen Bd. 111 1906 dargelegt hat, ist eine solche Tatsache mit einer Dreikomponententheorie des Farbensinnes nicht unvereinbar, kann also nicht etwa als St\u00fctze der Theorie der Gegenfarben in HEBiNoscher oder M\u00fcLtzascher Formulierung heran gezogen werden.\n*\tArch. f. Augenfieilk. 1898.\n*\t\u00dcber das Sehverm\u00f6gen der Eisenbahnbeamten. Berlin 1894.","page":100},{"file":"p0101.txt","language":"de","ocr_de":"Dicht omatische Fovea, trichromatische Peripherie.\n101\nEs w\u00fcrde \u00fcbrigens der HoLMORENschen Probe doch sehr unrecht getan werden, wenn man solche erschreckenden Ergebnisse ausschliefslich ihr als solcher znr Last legen wollte. Ein guter Teil der Schuld f\u00e4llt auf die Untersucher, von denen manche in willk\u00fcrlichen Abweichungen vom vorgeschriebenen Verfahren Unglaubliches leisten, bei Lampenlicht untersuchen usw. Diese Farbensinnpr\u00fcfung in diesen H\u00e4nden ist schlimmer als keine. Gl\u00fccklicherweise ist die preufsische Eisenbahnverwaltung auf Abhilfe bedacht.\n(Eingegangen am 26. Januar 1905.)","page":101}],"identifier":"lit32005","issued":"1905","language":"de","pages":"93-101","startpages":"93","title":"Dichromatische Fovea, trichromatische Peripherie","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:36:27.977380+00:00"}