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{"created":"2022-01-31T16:35:40.509682+00:00","id":"lit32008","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"D\u00f6ring, A.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 125-133","fulltext":[{"file":"p0125.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n125\nnach einer Lesung bei den separierten H\u00e4lften einer T- Reihe, das Gewu\u00dfte vollst\u00e4ndig aufgesagt werden mufste, und zwar dieses Verfahren so lange fortgesetzt wunie, bis die Reproduktion des Ganzen einmal fehlerlos gelang. Die Ergebnisse dieser Versuche best\u00e4tigen und erg\u00e4nzen hinsichtlich der Abh\u00e4ngigkeit, in welcher die Einpr\u00e4gung eines Gliedes zu seiner Stelle in der Reihe steht, die Resultate fr\u00fcherer, von den Verf. nicht erw\u00e4hnter, verwandter Versuche (man vergleiche M\u00fcller und Pilzeckre, S. 263 ff. und die daselbst angef\u00fchrte einschlagende Literatur und Ebbinghaus, Grundz\u00fcge, 8. 626 und 629). Die von M\u00fcller und Pilzecker mitgeteilten Resultate zeigen indessen, dafs die individuellen Verschiedenheiten in dieser Hinsicht gr\u00f6\u00dfer sind, als es nach den nur an 3 Versuchspersonen angestellten Versuchen der Verf. scheint. Die F\u00e4lle assoziativer Mischwirkung, auf welche die Verf. (S. 227) die Aufmerksamkeit der Philologen lenken, sind nur als einige Best\u00e4tigungen des einschlagenden, reicheren und vielseitigeren Beobachtungsmateriales anzusehen, das in der Abhandlung von M\u00fcllbb und Pilzeckeb (S. 226 ft.) enthalten ist, von welch letzterer die Verf. anscheinend keine Kenntnis genommen haben.\tG. E. M\u00fcllbb (G\u00f6ttingen).\nP. J. M\u00f6bius. Ausgew\u00e4hlte Wirke. Leipzig, J. A. Barth. Band 1. J. J. Rousseau. Mit einem Titelbild und einer Handschriftprobe. 1903. XII u. 312 S. Band IV. Schopenhauer. Mit 13 Bildnissen. 1904. XII u. 282 S. Band V. Nietzsche. Mit einem Titelbilde. 1904. XI u. 194 S. Jeder Bd. M. 3.\u2014, geb. M. 4.50.\nBand II u. III, die uns nicht zur Besprechung vorliegen, behandeln Goethe. In einer allgemeinen \u201eEinleitung zu den ersten vier B\u00e4nden\u201c macht der Verf. \u201eweil an jedem hervorragenden Menschen das Pathologische teilhat\u201c, das Recht des Neurologen geltend, vom Biographen als Sachverst\u00e4ndiger geh\u00f6rt zu werden. \u201eIch wei\u00df, dafs meine Worte den Leuten heute spanisch Vorkommen, aber die Zukunft wird mir Recht geben, und ihr diene ich.\u201c Anderenteils will er aber auch \u201eden Kollegen\u201c zeigen, wie der Seelenarzt zu diesem Zwecke zu Werke gehen mufs.\nDie drei mir vorliegenden B\u00e4nde treten hier zum zweiten Male vor das Publikum. Der Rousseauband ist bereits 1889 erschienen (in Bd. I d. Zeitschr. von Pelman kurz, aber anerkennend besprochen), Schopenhauer 1899, Nietzsche 1902. Tiefergreifende Ver\u00e4nderungen hat die neue Auflage nicht erfahren.\nDie B\u00e4nde \u00fcber Rousseau und Nietzsche zeigen eine \u00fcbereinstimmende Anordnung. In beiden handelt es sich ausschlie\u00dflich um das pathologische Gutachten; die Bezugnahme auf die Schriften dient nur diesem Zwecke und findet daher auch an ihm ihre Begrenzung. Vorangestellt wird die Diagnose in k\u00fcrzerer Formulierung; die gesamte Ausf\u00fchrung ist lediglich die Begr\u00fcndung der Diagnose durch die Krankheitsgeschichte, die von den Vorfahren beginnend alles erreichbare Material bis zur Katastrophe und dem Tode heranzieht. Der Schopenhauerband hat einen anderen Charakter. Hier bildet das neuropathische Gutachten nur einen Teil des Ganzen (8. 1\u201498), an den sich ein Paar interessante Abschnitte \u00fcber Schopenhauers Sch\u00e4del und die vorhandenen Bilder anschliefsen (8. 98\u2014132). Der gr\u00f6fsere","page":125},{"file":"p0126.txt","language":"de","ocr_de":"126\nBcnyreehungtn.\nTeil des Bandes bringt \u201eBemerkungen \u00fcber Schopenhauers Lehre1', in denen der Verf. als geistvoller und scharfsinniger philosophischer Kritiker des ScHOPENHA\u00fcEKschen Systems auftritt und an die sich noch ein Anhang \u201eBemerkungen zur Farbenlehre11 [S. 273\u2014282) anschliefst.\nHier lernen wir dann auch in etwa den eigenen Standpunkt des Verfassers kennen, den er ja \u00fcbrigens eingehender noch in einigen besonderen Schriften, vornehmlich in der \u201eStachyologie\u201c (1901) kundgegeben hat. Es ist vielleicht f\u00fcr die nachfolgende Einzelbeurteilung von Wert, wenn wir gleich an dieser Stelle im Zusammenh\u00e4nge mit dem Gesamteindrucke der schriftstellerischen Pers\u00f6nlichkeit des Autors auch \u00fcber diesen Punkt das Wesentliche beizubringen versuchen.\nDieser Gesamteindruck nun ist ein \u00e4ufserst sympathischer. Eine reiche nnd starke Pers\u00f6nlichkeit, die aus ihrem Herzen keine M\u00f6rdergrube macht. Er schreibt lebendig, geistvoll, aber auch herzenswarm, und offen, mit sehr bestimmter Stellungnahme zu den jeweilig zur Sprache kommenden Welt, und Lebensanschauungsfragen und daher in hohem Mafse anregend und fesselnd. In den neuropath! sch en Fragen erhebt er den Anspruch, als Fachmann das ausschlaggebende Votum zu haben und perhorresziert das Laienurteil, \u00fcber menschliche Dinge \u00fcberhaupt urteilt er mit einem gewissen medizinischen, speziell neurologischen Realismus. \u00dcber Lombbosos Buch vom genialen Menschen urteilt er, es sei das Ergebnis au\u00dferordentlichen Fleifses, doch sei bei der \u00fcbergro\u00dfen Weite des Gebietes eine gr\u00fcndliche Kenntnis des einzelnen unm\u00f6glich. Das Buch wimmle von Schnitzern; die Fahrl\u00e4ssigkeit im einzelnen habe den Erfolg der im Kerne wahren Lehre aufs Ernstlichste beeintr\u00e4chtigt (Schopenhauer 8. 3).\nEs wirkt zun\u00e4chst einigerma\u00dfen \u00fcberraschend, da\u00df dieser medizinische Realist sich \u2014 eben in der Auseinandersetzung mit Schopenhauer \u2014 als echten Fechnerianer kundgibt. Er bekennt sich ausdr\u00fccklich zu dessen Me\u00dfphysik und ist \u00fcberzeugt, die Mi\u00dfachtung Fbchnebb werde in Zukunft als eine Schande unseres Jahrhunderte gelten ; nur mit Achselzucken werde man k\u00fcnftig des Vorwurfs der Phantastik gedenken (Schopenhauer S. 1, 279). \u201eWie lange soll das Totschweigen Frchners noch dauern?\u201c (S. 179). \u201eSchopenhauers Zeit ist gerade jetzt gekommen, Fechnehs Zeit kommt erst\u201c (S. 2). In bezug auf die Erkenntnislehre meint er einmal, man k\u00f6nne sich Kants Lehre von Raun) und Zeit ruhig gefallen lassen (S. 143), da er aber der Bewegung und Ver\u00e4nderung Realit\u00e4t zuerkennt, scheint er sie mehr im Sinne des Leibniz sch en phaenomenon bene fundatum zu fassen, ln der Tat erkl\u00e4rt er die echte KANTsche Lehre von der Zeit f\u00fcr \u201ehaarstr\u00e4ubend\u201c (S. 144) und kommt in bezug auf das Apriorische \u00fcberhaupt zu einer Fassung, die an Spencer erinnert (S. 152 f., 156 f.). Er ist Willens-psychologe, aber nicht im Sinne des blinden und leeren Willens bei Schopenhauer, dessen Spaltung von Wille und Intellekt er aufs sch\u00e4rfste verwirft. Die Formel, da\u00df, was von au\u00dfen gesehen, Gehirn, von innen gesehen, Bewu\u00dftsein sei, hat seinen Beifall, und so ist ihm der psychophysische Parall\u00e9lismes anscheinend mir ein Ausdruck f\u00fcr einen pb\u00e4no-menalistischen Spiritualismus. Am deutlichsten tritt sein FECHNKRScher Standpunkt in dem Analogieschlu\u00df vom menschlichen Organismus als Zellenstaat auf die Erde als Ganzes zutage, hei der sich die einzelnen","page":126},{"file":"p0127.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n127\nOrganismen -wieder wie Einzelzellen zn dem grofsen Gesamtbau verhalten sollen. Es bleibt dabei nnr dunkel, wie er bei diesem Analogieschlufs mit der Masse des Unorganischen fertig werden will, obgleich er gelegentlich nicht unterl\u00e4fst zu betonen, dafs das Lebendige das Prius des Toten sei und dies nur ein Besiduum von jenem. Auch der FscHNEBSche \u201ePseudotheismus\u201c tritt wenigstens in Andeutungen zutage. In diesem Sinne ist auch der Satz zu verstehen : \u201eDie Behauptung, dafs ein allm\u00e4chtiger und allwissender Gott die Welt, wie sie ist, geschaffen habe, ist wirklich emp\u00f6rend\u201c (S. 241).\nDoch wir d\u00fcrfen bei diesem Gegenst\u00e4nde, der f\u00fcr die vorliegenden \u201ePathographien\u201c kaum von Bedeutung ist, nicht l\u00e4nger verweilen. Die Arbeit \u00fcber Rousseau ist meisterhaft, spannend und, soweit ein Laienurteil in Betracht kommen kann, \u00fcberzeugend. Die Diagnose lautet hier auf die \u201eals kombinatorischer Verfolgungswahn zu bezeichnende Form der Paranoia\u201c und zwar als \u201eendogenes\u201c, d. h. dem Keime noch erblich \u00fcberkommenes Leiden. Infolge der hohen Begabung des Patienten und seiner Neigung zur Selbstzergliederung bietet seine Krankheitsgeschichte ein geradezu ideales Beispiel f\u00fcr diese Form der Geisteskrankheit und die Schriften aus der Zeit des W\u00fctens der Krankheit sind unsch\u00e4tzbare Dokumente f\u00fcr diese Form der Paranoia. Der Verf. ist darauf bedacht, den Finger genau auf diejenige Stelle im Lebensgange Rousseaus zu legen, wo die Krankheit zum Ansbruch kommt. Die Aufregung, in die Rousseau durch die peinlichen Umst\u00e4nde bei der Ver\u00f6ffentlichung des \u201eEmile\u201c (1761/62, f\u00fcnfzigstes Lebensjahr) versetzt wurde, will er noch nicht als diesen Ausbruch gelten lassen. Er findet denselben in dem ausf\u00fchrlichen Anklagebriefe an Hume vom 10. Juli 1766, der in genauem Auszuge mitgeteilt wird.\nIn diese Zeit f\u00e4llt auch die Niederschrift der ersten H\u00e4lfte der \u201eConfessions\u201c. Der Verf. betrachtet diese Schrift als \u201edie Verteidigungsschrift eines Geisteskranken\u201c, der seinen guten Namen bei der Nachwelt durch ein raffiniertes Komplott bedroht glaubt und nun mit dem peinlichsten Wahrheitssinne alle wirklichen Verfehlungen seines Lebens auff\u00fchrt, um zu zeigen, dafs sie nichts sind gegen die Schandtaten, die ihm vermeintlich angedichtet werden. Selbstverst\u00e4ndlich konnte der Gedanke einer so zweckwidrigen Art der Selbstverteidigung nur in einem kranken Hirn entstehen (S. 13, 15 ff., 176 ff.). Die ber\u00fchmten Confessions werden hier in ein ganz neues, h\u00f6chst bedeutsames Licht ger\u00fcckt. Es sei jedoch bemerkt, dafs H\u00f6ffding in seiner feinen Monographie \u00fcber Rousseau (Fbommans Klassiker der Philosophie 1897), in der \u00fcbrigens unser Autor ebensowenig ber\u00fccksichtigt wird, wie M\u00f6bius in der neuen Ausgabe sie ber\u00fccksichtigt hat, f\u00fcr die Confessions drei sukzessive Phasen annimmt. In der ersten habe es sich um ein \u201epsychologisches Dokument\u201c, in der zweiten um ein \u201eBekenntnis\u201c (ohne Nebenzweck) und erst in der dritten, die er in' die Zeit nach der Flucht aus England verlegt, um eine eigentliche Verteidigungsschrift gehandelt \u201eunter dem Einfl\u00fcsse eines Argwohns, der sich beinahe zum Wahnsinn steigerte\u201c. Freilich findet H\u00f6ffding auch bei der Flucht aus England nur in \u201eeinzelnen Situationen\u201c \u201emomentanen Wahnsinn\u201c und will selbst in den 1773/76 niedergeschriebenen \u201eGespr\u00e4chen\u201c (Rousseau juge de Jean Jacques), die nns M\u00f6bius in vortrefflichem Auszuge als die genial ausgedachte, wahrhaft groteske Ausmalung eines ganz Frankreich um-","page":127},{"file":"p0128.txt","language":"de","ocr_de":"128\nBesprechungen.\nfassenden, unglaublich fein organisierten Komplottes gegen seinen guten Namen vor Augen f\u00fchrt, nur die Systematisierung der \u201efixen Idee einer von seinen fr\u00fcheren Freunden ausgehenden Verfolgung\u201c sehen.\nWir erhalten durch die verdienstvolle und sorgf\u00e4ltige Arbeit des Verls zun\u00e4chst den Eindruck des in allem Wesentlichen Unanfechtbaren und unbedingt \u00dcberzeugenden. Als Beweis, wie notwendig eine solche Arbeit, ganz abgesehen von ihrem psychiatrischen Werte, auch f\u00fcr die geschichtliche Betrachtung ist, m\u00f6gen die haltlosen Bemerkungen dienen, die sich bei \u00dcberweg - Heimze noch in der 9. Auflage (1901 S. 244) finden. \u201eR. war eine auf Bich stets selbst (sic 0 reflektierende, eitle und kalumniatorische Natur; er hat seine moralische Misere rhetorisch herauszuputzen und die Personen, die mit ihm in n\u00e4here Ber\u00fchrung kamen, in \u00fcblen Ruf zu bringen gewufst.\u201c Und selbst H\u00f6pfding sagt in seiner \u201eGeschichte der neueren Philosophie\u201c (I. S. 548), die allerdings schon 1896, also zwei Jahre vor der vorerw\u00e4hnten Monographie erschienen ist: \u201eDie Schattenseiten in Ra Charakter zeigen sich teils als Sentimentalit\u00e4t, teils als ein bis znm Wahnsinn steigender Argwohn.\u201c\nDer Verf. f\u00fchrt (S. 306 f.) mehrere Z\u00fcge in R.s Wesen an, durch die es ihm m\u00f6glich wurde, gegen ein v\u00f6lliges \u00dcberw\u00e4ltigtwerden durch die Krankheit zu reagieren, so dafs sich namentlich in den letzten Lebensjahren trotz des Festhaltens an den Wahnideen ein milderes Ansklingen des Leidens zeigt. Ob nicht zu diesen reagierenden Momenten auch die gewaltigen Spazierg\u00e4nge und Wanderungen bis ins h\u00f6chste Greisenalter geh\u00f6ren? Wir finden das gleiche bekanntlich bei Schopbnhauer und in gewissem Mafse auch bei Nietzsche. Sollte nicht in diesem Drange auch k\u00f6rperlicher Bewegung eine instinktive Reaktion gegen den mit den krankhaften Gehirnzust\u00e4nden doch wohl verbundenen Blutdruck, ein Linderangsmittel von erheblicher Wirkungsf\u00e4higkeit durch Herbeif\u00fchrung gleicb-m\u00e4fsigerer Blutverteilung zu erkennen sein, das als weitere heilsame Gegenwirkung auch dem ganzen Organismus erh\u00f6hte R\u00fcstigkeit und Widerstandsf\u00e4higkeit verleiht?\nUnd dann noch eins! Der Verf. bestreitet zwar in neuropathischen Fragen dem Laien jede Kompetenz. Dennoch m\u00f6chte ich mir erlauben, von seinen eigenen Voraussetzungen aus gegen die Endogenit\u00e4t wenigstens ein Bedenken geltend zu machen. Selbstverst\u00e4ndlich liegen dem Verfolgungswahn Ver\u00e4nderungen im Gehirn zugrunde (S. 171). Aber k\u00f6nnen nicht eben diese Ver\u00e4nderungen im Gehirn Wirkungen ungew\u00f6hnlich heftiger und andauernder seelischer Erregungen sein? Werden nicht alle empfindlicheren Organe, Herz, Lunge, Leber, Magen durch widernat\u00fcrliche Reizungen depraviert, zumal wenn sie von Natur partes minoris resistentiae sind? Mufs nicht auch der endogene Krankheitskeim irgend einmal entstanden sein? Liegen \u00fcberhaupt auf diesem Gebiete die Tatsachen so offen da, dafs mit einwandsfreier Sicherheit dar\u00fcber abgesprochen werden k\u00f6nnte?\nBei Rousseau k\u00f6nnten f\u00fcr das Entstandensein folgende Data angef\u00fchrt werden : 1. Das Belastetsein der Aszendenz im Sinne des Verfolgungswahns ist nicht erwiesen. 2. Sein Gef\u00fchlsleben war von ganz aufsergew\u00f6hnlicher Heftigkeit. Daf\u00fcr nur ein Beispiel. Im zweiten Briefe an Males herbes vom 12. Januar 1762 schildert er den Zustand, in den ihn 1753 die zuf\u00e4llige","page":128},{"file":"p0129.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n129\nLektfire der Preisfrage der Akademie von Dijon versetzt hat. Er gerat in \u201eunaussprechliche Verwirrung\u201c. Sein Kopf ist bet\u00e4ubt, als ob er betrunken w\u00e4re. Heftiges Herzklopfen droht ihn zu ersticken, ersch\u00fcttert ihm die Brust. Er vermag nicht mehr im Gehen zu atmen und wirft sich unter einen Baum. Da bringt er eine halbe Stunde in einer solchen Aufregung in, dafs er beim Aufstehen die ganze Vorderseite der Weste von Tr\u00e4nen benetzt findet, ohne zu wissen, dafs er solche vergossen (S. 118). 3. Sein ganzer Lebensgang von Jugend an ist \u00fcberaus reich an den heftigsten Gem\u00fctsersch\u00fctterungen. Insbesondere brachte ihm schon das Jahr 1757 solche Erregungen (S. 93); anl\u00e4\u00dflich der schon erw\u00e4hnten Vorg\u00e4nge von 1761 bezeugt er selbst eine bis zum Wahnsinn gesteigerte Aufregung, hinsichtlich deren der Verf. selbst in Zweifel ist, ob nicht in ihr schon die Paranoia zutage trete (S. 100\u2014105). Mehrfach behauptet er an absoluter Schlaflosigkeit zu leiden usw. 4. Der Verf. selbst betont mehrfach, dafs die Anlage bei Rousseau nur in m\u00e4fsiger St\u00e4rke vorhanden gewesen sei und unter ruhigen Lebensverh\u00e4ltnissen m\u00f6glicherweise h\u00e4tte unentwickelt bleiben k\u00f6nnen (S. 55, 306). Da ist doch nur noch ein kleiner Schritt bis zum Zugest\u00e4ndnis des autochthonen Entstehens.\nJa man k\u00f6nnte in diesen Erw\u00e4gungen noch einen Schritt weitergehen. K\u00f6nnte nicht zur Erkl\u00e4rung der unzweifelhaft irrsinnartigen Erscheinungen in R.s Geistesleben seine exzessive Gef\u00fchlsbewegbarkeit in Verbindung mit einer ungez\u00fcgelten Phantasie unter Lebens Verh\u00e4ltnissen, die beiden die st\u00e4rkste Nahrung geben, gen\u00fcgen?\nAuf alle F\u00e4lle bitte ich, in diesen Bemerkungen nicht dilettantische Anmafsung, sondern nur eine Anregung zu erneuter Erw\u00e4gung und einen Beweis des lebhaften Interesses erblicken zu wollen, mit den ich den Ausf\u00fchrungen des Verf.s gefolgt bin.\nBei Schopenhauer liegt die Sache sehr viel harmloser. Der Verf. richtet den pathologischen Abschnitt seiner Schrift ausdr\u00fccklich gegen Lombroso, der, verleitet durch das angebliche medizinische Gutachten eines Dr. v. Seidlitz (1873), das tats\u00e4chlich eine Schm\u00e4hschrift sei, aus Schopenhauer einen Geisteskranken im gew\u00f6hnlichen Sinne des Wortes mache und weiten Kreisen statt des wahren Schopenhauer eine abscheuliche Fratze zeige (S. VI. 2f.). Erbliche Belastung liegt unzweifelhaft von seiten der Grofsmutter v\u00e4terlicherseits und des Vaters vor. Die Mutter trifft nur der Vorwurf der Herzensk\u00fchle, der es ihr unm\u00f6glich machte, ihrem Sohne das zu sein, was \u2014 unter \u00fcberraschend \u00e4hnlichen Umst\u00e4nden \u2014 Goethes Mutter dem ihrigen gewesen ist. Die vorg\u00e4ngige Diagnose wird eingef\u00fchrt in der Form eines \u00e4rztlichen Gutachtens ohne Kenntnis biographischer Data, lediglich auf Grund der Schriften. Schon die in diesen zutage tretende aufser-ordentliche Begabung setzt eine partielle Hyperplasie des Gehirns voraus, die nicht ohne krankhafte St\u00f6rungen im engeren Sinne m\u00f6glich ist. Dies Pathologische tritt denn auch in den Schriften als Leidenschaftlichkeit, Wunderlichkeit, Schroffheit, Mafslosigkeit zutage, als Heftigkeit, Mifstrauen, liebloses Aburteilen und Dyskalie, d. h. als die Neigung, alles von der \u00fcblen Seite aufzufassen. Der Schriftsteller macht die allgemein menschliche Entwicklung vom Idealismus und der Schwermut der Jugend zum Realismus Zeitschrift fur Psychologie 39.\t9","page":129},{"file":"p0130.txt","language":"de","ocr_de":"130\nBwpreckungm.\nnnd der Behaglichkeit des Alters durch. Die pathologischen Momente machen keinen Prozefs durch; bis zum Ende bleibt der Geist klar und scharf und die erstaunlichen F\u00e4higkeiten unvermindert. Aleo : \u201eangeborene Disharmonie oder Nervosit\u00e4t\u201c, Zugeh\u00f6rigkeit \u201ezur Klasse der D\u00e9s\u00e9quilibr\u00e9s, in der sich bekanntlich die feinen K\u00f6pfe zusammenfinden. Zweifellos ist erbliche Belastung m\u00e4fsigen Grades vorauszusetzen\u201c (6. 8 ff.).\nDies Urteil nach den Schriften wird dann dnrch die Betrachtung des Lebens best\u00e4tigt. In der Zusammenfassung S. 98 wird darauf hiugewiesen, wie auf dem hier vorliegenden pathologischen Gebiet die mannigfaltigsten Kombinationen erwachsen k\u00f6nnen und wie f\u00fcr Schopenhauer besonders Heftigkeit, Schwarzseherei, Angstzust\u00e4nde und ann\u00e4hernd periodisch wiederkehrende grofse Depressionen charakteristisch sind.\nVon Einzelheiten sei hier nur auf die aus der Leidenschaftlichkeit abgeleiteten Eigenschaften: Neigung zum Extrem (Radikalismus), Stolz, Hartn\u00e4ckigkeit, Gewaltt\u00e4tigkeit, herrisches Wesen hingewiesen (S. 58ff,). Andere Spezialz\u00fcge d\u00fcrfen wohl als gen\u00fcgend bekannt \u00fcbergangen werden.\nDer Verf. ist ein grofser Verehrer der ScHOPENHAUERschen Lehre und Schriften. Wiederholt erw\u00e4hnt er des gewaltigen Eindrucks, den in seinen Studentenjahren die in den philosophischen Kollegien totgeschwiegene, von ihm zuf\u00e4llig in einer Leihbibliothek angetroffene Hauptschrift auf ihn gemacht hat. Er findet die monistische Willensmetaphysik Schopexhauebs der FscHNERschen verwandt, was ihn aber nicht abh\u00e4it, die einzelnen Lelir-punkte scharf zu kritisieren und namentlich die Einheitlichkeit des Systems einer vernichtenden immanenten Kritik zu unterwerfen. Eine hierher geh\u00f6rige Stelle, die sich schon in dem pers\u00f6nlichen Abschnitt bei der Begr\u00fcndung des herrischen Wesens findet, sei wegen dieses doppelten Interesses hier mitgeteilt. \u201eSchopenhauers System gleicht einem Reiche, in dem feindliche St\u00e4mme, von der Hand des Eroberers gebeugt, widerwillig Zusammenleben. Zu Plato und den Indern f\u00fchlte er sich durch sein dichterisches und religi\u00f6ses Empfinden hingezogen, Kant imponierte ihm durch seine scharfsinnigen Begriffeverbindungen, in den franz\u00f6sischen Materialisten fanden seine naturwissenschaftlichen Neigungen Befriedigungen. So mufsten denn die Todfeinde einander die Hand reichen.\u201c Nat\u00fcrlich mufs \u201edie unter den Untertanen fortglimmende Feindschaft\u201c . . . \u201enach dem Tode des Sultans das gewaltsam Verbundene auseinaudersprengen\u201c usw. (S. 60 f.).\nSollte nicht auch in der Entdeckung des blinden Willens als der metaphysischen Substanz des Menschen ein ungewolltes Gest\u00e4ndnis der pathologischen Veranlagung Schopenhauers gefunden werden m\u00fcssen?\nDer kurze Anhang \u201eBemerkungen zur Farbenlehre\u201c scheint mir durch die feinen Begriffssonderungen, die er gibt, von tiefgreifendem physiologischen und psychologischen Werte zu sein.\nBei Nietzsche steht m. E. die Sache so, dafs jede Stellungnahme zu ihm und seinen Schriften, die sieh nicht prinzipiell auf den Boden der M\u00d6Biusschen Schrift stellt, von vornherein als nichtig, halt- und wertlos betrachtet werden mufs. Die vorg\u00e4ngige Diagnose, sowie entsprechend auch die Darstellung des Lebens unter der Form der Krankheitsgeschichte ist einigermafsen kompliziert und wird insbesondere noch dadurch heein-","page":130},{"file":"p0131.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechung.\u00bb\u00bb.\n131\ntr\u00e4chtigt, dale, offenbar infolge des Gebots \u00e4rztlicher Verschwiegenheit, der Verf. an der entscheidendsten Stelle gen\u00f6tigt ist, eine L\u00fccke zu lassen.\nPie Data sind folgende. 1. Nietzsche war auf Grund erblicher Anlage abnorm, litt an Migr\u00e4ne, seine geistige Beschaffenheit war disharmonisch, der durch die Geburt schon gegebene Zustand wird geradezu als \u201eEntartung\u201c bezeichnet (S. 98). 2. In einem gegebenen Momente ist ein Gift in den K\u00f6rper eingetreten. Hier ist nun der Punkt, wo die absichtliche L\u00fccke vorliegt. In der Vorrede zur 2. Auflage findet sich folgende Stelle: \u201eManche Kritiker haben mich deshalb getadelt, weil ich an gewisser Stelle nicht alles gesagt habe. Aber meine Gr\u00fcnde zum Schweigen bestehen auch jetzt noch. Auf jeden Fall habe ich auch f\u00fcr.das von mir Angedeutete die Beweise\u201c (S. VI). Die \u201egewisse Stelle\u201c, von der hier die Bede, ist offenbar die Ausf\u00fchrung S. 60 \u00fcber geschlechtlichen Verkehr mit Prostituierten zur Zeit seines zweiten Leipziger Aufenthalts (seit Oktober 1868) und nachher. Wir m\u00fcssen damit die mehrfach wiederholte Feststellung kombinieren, dafs der Krankheitskeim vor 1870 in den K\u00f6rper gelangt sei (z. B. S. 87). Vorstehender 8atz bildet, da die Vorrede vom Herbst 1904 datiert ist, das letzte Wort des VerLs in einer unmittelbar vorhergegangenen bemerkenswerten Kontroverse. In der \u201eZukunft\u201c vom 30. Juli 1904 teilt der Herausgeber eine Zuschrift des Pathologen W. Hellfach in Karlsruhe mit, in der dieser, unter anerkennender Bezugnahme auf die Schrift von M\u00f6bius (Ausgabe von 1902), die \u00dcberzeugung ausspricht, dafs Nietzbchss Paralyse \u201eauf eine fr\u00fcher \u00fcberstandene luetische Durchseuchung\u201c mr\u00fcckzuf\u00fchren sei. Hiergegen brachte die \u201eZukunft\u201c vom 13. August 1904 eine sehr heftig gehaltene Entgegnung der Schwester, nach der die ganze von M\u00f6bius gebrachte Krankheitsgeschichte auf vollst\u00e4ndiger Unwahrheit nnd Erfindung beruhen soll. Der Herausgeber hat diese Erkl\u00e4rung vor der Ver\u00f6ffentlichung den Herren M\u00f6bius und Hellpaoh vorgelegt. M\u00f6bius schreibt: \u201eIch will darauf nichts erwidern, bitte nur die Teilnehmenden, mein Buch \u00fcber N. aufmerksam zu lesen.\u201c Hellpach verweist darauf, dafs M\u00f6bius die Akten der Universit\u00e4tsklinik in Jena \u2014 wohl in bezug auf Nietzsches Aufenthalt daselbst als Paralytiker i. J. 1889 \u2014 benutzt habe and dafs nach der Ansicht der meisten Psychiater und Neurologen die Paralyse eine \u201emetasyphilitische\u201c Erkrankung sei. Auch die anschliefsenden Anmerkungen des Herausgebers stellen sich auf M\u00f6bius\u2019 Seite und weisen n. a darauf hin, daft Bib sw angeb, der N. in Jena behandelt habe, wenn ihn nicht das Berufsgeheimnis b\u00e4nde, voraussichtlich den streitigen Punkt endg\u00fcltig w\u00fcrde aufkl\u00e4ren k\u00f6nnen. So bleibt es also auch jetzt noch bei dem Schluftsatz der Vorrede zur 1. Auflage: \u201eManches, das jetzt besser nicht ausgesprochen wird, kann vielleicht sp\u00e4ter ver\u00f6ffentlicht werden.\u201c Eigent\u00fcmlich ber\u00fchrt es, dafs in einem Ausschnitt aus dem im Erscheinen begriffenen Schluftband der von der Schwester verfaftten Biographie, ver\u00f6ffentlicht in der \u201eZukunft\u201c vom 16. Oktober v. J., anscheinend das ganze Leiden auf einen Schlagfluft zur\u00fcckgef\u00fchrt wird. Hatte doch nach M\u00f6bius (8. IX) die 8chwester fr\u00fcher die Paralyse zugegeben. 3. Nur ein Teil der in dieser \u201ebesonderen Weise Gesch\u00e4digten\u201c erkrankt an progressiver Paralyse. Und zwar kann dies auch bei solchen geschehen, die von Haus aus ganz gesund\n9*","page":131},{"file":"p0132.txt","language":"de","ocr_de":"132\nBesprechungen.\nwaren und ihr Gehirn nie sonderlich in Anspruch genommen haben. Dal\u00bb Nietzsches ungew\u00f6hnliche Gehirn beschaff enheit einerseits und die \u00dcberreizung des Gehirns (durch angestrengte Studien) andererseits die Affektion gerade des Gehirns durch das eingetretene Gift bewirkt hat, kann nur als Meinung ausgesprochen werden. Jedenfalls ist er sp\u00e4ter an progressiver Paralyse erkrankt und diese war exogen, d. h. sie war die Wirkung einer im Verlaufe seines Lebens in den K\u00f6rper eingetretenen Sch\u00e4dlichkeit (S. 2f.). 4. Die letzte Frage ist die: wann ist dieser erworbene krankhafte Gehirnzustand in dem Mafse wirksam geworden, dafs er auf sein Verhalten und seine schriftstellerische T\u00e4tigkeit einen bemerkbaren und nachweisbaren Einflufs \u00fcbt? (S. 3).\nDie Ausf\u00fchrung des Krankheitsbildes gliedert sich nun in folgender Weise. I. Der urspr\u00fcngliche Nietzsche. 1. Di e Ab s tamm un g (krankhafte Z\u00fcge in der Aszendenz). 2. Die Pers\u00f6nlichkeit. Hier erhalten wir eine sehr sorgf\u00e4ltige und eingehende Analyse des gesamten geistigen Habitus nach Charakterz\u00fcgen, Anlagen und Neigungen. Von besonderem Interesse ist hier die Ausf\u00fchrung \u00fcber das Verh\u00e4ltnis zur Philosophie nach Anlage und Ausbildung S. 31 ff. Hier tritt zuerst die herzerfrischende Unumwundenheit der Urteile des Verf.s \u00fcber den grofsen Tagesg\u00f6tzeu in erfreulicher Weise zutage. Nietzsche ist zur Philosophie erheblich veranlagt, aber mit vorwiegend moralistiseher Begabung. Seine Erkenntnislehre ist \u201ekonfuses Zeug\u201c. Seine Metaphysik findet \u201ean Naivetftt ihresgleichen nur bei den vorsokratischen Philosophen\u201c. II. Die Krankheit 1. Die Migr\u00e4ne. Hier wird das jammervolle Bild der Leidenszust\u00e4nde namentlich in dem Zeitraum von 1871\u201483 entworfen. Der Verf. l\u00e4fst es dahingestellt, ob die schon bestehende Migr\u00e4ne durch die Wirkung des die Paralyse verursachenden Giftes verschlimmert\u201c worden ist und ob die entsetzlichen Magenheschwerden, die mit der Migr\u00e4ne verbunden waren und jedenfalls sekund\u00e4r, nerv\u00f6ser Natur, waren, mit der Giftwirkung zusammen hingen. \u201eZiemlich oft ist gerade die der Giftwirkung folgende Nervosit\u00e4t mit Magenbeschwerden verkn\u00fcpft\u201c (S. 87f.)\t2. Die Entwicklung der\nprogressiven Paralyse. \u201eDie Paralyse ist eine lokalisierte Erkrankung, die sieh ihre Stellen aussucht\u201c (S. 110). Der physiologische Charakter ist der der sukzessiven Beseitigung von Hemmungen (S. 99, 118). Es ist dauernd dieselbe Wirkung, die der Alkohol vor\u00fcbergehend herbeif\u00fchrt. So ist die M\u00f6glichkeit gegeben, aus den Schriften und brieflichen \u00c4ufserungen mit einiger Wahrscheinlichkeit den Anfang des Wirksamwerdens aufzuzeigen. Tats\u00e4chlich hat schon Theob. Ziegler (Fr. Nietzsche, Berlin 1900t den Versuch gemacht, aus gewissen stilistischen Eigent\u00fcmlichkeiten der Schriften den Anfaug der Erkrankung festzustellen und diesen in die Zeit zwischen 1882 und 1885 verlegt. Der Verf. fiudet als erste Hemmung*, erscheinung eine krankhafte Euphorie, wie sie bei der Niederschrift der \u201eFr\u00f6hlichen Wissenschaft\u201c im Januar 1882 zutage tritt. Eine Vorstufe dazu bildete schon der Seelenzustand beim ersten Aufleuchten des Gedankens der \u201eewigen Wiederkehr\u201c im August 1881. Diese Lehre \u201eist das Schwachsinnigste, was N. vorgebracht hat . . . Wenn ein solcher Einfall, der zu des Pythagoras Zeiten nicht \u00fcbel war, einen Mann, der Kant gelesen hat, aus den Fugen bringt, dann ist etwas nicht richtig\u201c (S. 103). Generell wird f\u00fcr","page":132},{"file":"p0133.txt","language":"de","ocr_de":"Besprechungen.\n133\ndie Hemmung das Prinzip aufgesteilt, dafs sie sich bei einem stark intellektuell Veranlagten zun\u00e4chst nicht auf dem intellektuellen Gebiete \u00e4ufsert, sondern in der Form \u201egef\u00e4lschter Gef\u00fchle\u201c auftritt (8. 100). So f\u00e4llt denn auch die rapide Konzeption und Niederschrift schon der drei ersten Teile des Zarathustra (Januar und Juni 1883 und Januar 1884) in Phasen solcher krankhafter Erregung (8. 106 f.). Auch der gleichzeitig auftretende lyrische Drang ist dem Verf. ein Symptom dieser Erregung. Einen Xebeueinflufs, der m\u00f6glicherweise auch schon im Zarathustra in Anschlag zu bringen ist, r\u00e4umt er dem Chloralismus ein, dessen Einflufs freilich vielleicht dadurch verst\u00e4rkt wurde, dafs er auf ein Gehirn mit beginnender Paralyse traf (S. 116, 121). Es treten nun arge Geschmacklosigkeiten auf, aber auch der Gedankengehalt erscheint, aus dem glitzernden Kleide herausgesch\u00e4lt, nicht gerade neu und unerh\u00f6rt (8. 116 ff.). In derselben Weise werden dann auch die nun in rascher Folge hervortretenden weiteren Schriften (das 4. Buch des Zarathustra 1891, Jenseits von Gut und B\u00f6se 1886, Zur Genealogie der Moral 1887, der Fall Wagneb und G\u00f6tzend\u00e4mmerung 1888 usw., im Jahre 1888 sechs Schriften in acht Monaten 8. 147) durchgegangen. Es zeigen sich weitere Fortschritte in der Depravation besonders des Gef\u00fchlslebens. Exzessiver Gr\u00f6fsenwahn tritt auf, 8cheu und Scham schwindet (S. 124, 138). Neben Perversem (136) kommen noch gute Gedanken vor, aber das Ganze wird zur Karikatur (131). Verwandte Z\u00fcge werden dann f\u00fcr die Jahre 1884\u20141887 auch in den Briefen und im Privatverkehr auf gewiesen (142 ff.). Den Schlufs bildet 3. deroffene AuBbruch der Krankheit Anfang 1889, das Stadium heftiger Erregung w\u00e4hrend des 13 monatlichen Aufenthalts in der Irrenanstalt zu Jena und das der fortschreitenden Verbl\u00f6dung und schliefBlich auch k\u00f6rperlichen L\u00e4hmung bis zum Tode am 25. August 1900.\nDer Verf. hat m. E. mit diesen Studien, indem er statt in die Breite in die Tiefe ging, in die Tiefe hinsichtlich der Forschungsobjekte wie hinsichtlich des Verfahrens, der Neuropathie sehr wesentliche Dienste geleistet. Er hat aber auch den Nichtneurologen, indem er seinem Versprechen gem\u00e4fs dem Biographen als Sachverst\u00e4ndiger zur Seite trat, auf den einzig m\u00f6glichen Standpunkt der Betrachtung gestellt.\nA. D\u00f6biwo.","page":133}],"identifier":"lit32008","issued":"1905","language":"de","pages":"125-133","startpages":"125","title":"P. J. M\u00f6bius: Ausgew\u00e4hlte Werke. Leipzig, J. A. Barth. Band I. J. J. Rousseau. Mit einem Titelbild und einer Handschriftprobe. 1903. XII u. 312 S. Band IV. Schopenhauer. Mit 13 Bildnissen. 1904. XII u. 282 S. Band V. Nietzsche. Mit einem Titelbilde. 1904. XI u. 194 S.","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:35:40.509688+00:00"}