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{"created":"2022-01-31T16:36:13.562018+00:00","id":"lit32010","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Heilbronner, Karl","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 161-205","fulltext":[{"file":"p0161.txt","language":"de","ocr_de":"161\nZur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\nVon\nKabl Heilbbonneb, Utrecht.\nMit seiner grundlegenden Studie hat Liepmann 1 der Apraxie (motorischen Asymbolie) das B\u00fcrgerrecht in der Neurologie verschafft; die Frage d\u00fcrfte weiteres allgemeines Interesse erregen und vermutlich durch Beibringung klinischer Beobachtungen reichliche F\u00f6rderung erfahren, nachdem neuerdings A. Pick* * in Erg\u00e4nzung und Erweiterung einer fr\u00fcheren Mitteilung* auf die H\u00e4ufigkeit der Erscheinung im Rahmen komplizierterer asym-bolischer Zust\u00e4nde hingewiesen hat. Die weitere Forschung wird sich vor allem, wie auch Pick ausf\u00fchrt, vor die Aufgabe gestellt sehen, die verschiedenen Modalit\u00e4ten, unter denen sich das Bild darstellen kann, klarzustellen; ein gewisses Schematisieren wird sich dabei, ganz wie es in einem gewissen Stadium der Aphasie-forschung n\u00f6tig und zweifellos n\u00fctzlich war, zun\u00e4chst nicht vermeiden lassen, wenn in der F\u00fclle der Erscheinungen Ordnung und \u00dcbersicht geschaffen werden soll.\nUnter diesem Gesichtspunkte m\u00f6chte ich mir zu der Frage einige Bemerkungen gestatten, die in gewissem Sinne eine Nachlese zu den Er\u00f6rterungen von Liepmann und Pick darstellen, und die im wesentlichen auch auf deren Ergebnissen aufbauen, noch mehr als dies in den speziellen Hinweisen auf einzelne Stellen zutage treten kann. Ihr Zweck ist vor allem, zwei Symptomenreihen strenge zu trennen, die zwar praktisch zweifellos \u2014 auch nach meinen eigenen Erfahrungen \u2014 h\u00e4ufig zu-\n1 Das Krankheitsbild der Apraxie (motorischen Asymbolie). Berlin, Karger. 1900.\n1 Stadien \u00fcber motorische Apraxie. Leipzig und Wien, Deuticke. 1904.\n* A. Pick. Zur Psychologie der mot. Apraxie. Neur. Zentralbl., 1902, Sr. 10, S. 1(00.\nZeitschrift far Psychologie 39.\n11","page":161},{"file":"p0162.txt","language":"de","ocr_de":"162\nKarl Hellbrauner,\nsammen Vorkommen, theoretisch \u00dcberg\u00e4nge bieten m\u00f6gen, aber immerhin Kennzeichen genug bieten, um sie einer gesonderten Betrachtung unterwerfen zu k\u00f6nnen. Ihre Trennung scheint nicht nur f\u00fcr die spezielle Frage der Apraxie von Belang, viel mehr noch wegen der aus den Beobachtungen zu ziehenden Folgerungen \u00fcber die Funktion des Motoriums beim Menschen.\nF\u00fcr die Kompliziertheit der hier in Frage stehenden Verh\u00e4ltnisse ist wohl der beste Beweis, dafs kein geringerer als Meynebt sich den Nachweis hat gefallen lassen m\u00fcssen \\ dafs sein Belegfall f\u00fcr die von ihm aufgestellte Form der motorischen Asymbolie den Beweis f\u00fcr die Richtigkeit seiner theoretischen Ableitungen nicht zu erbringen geeignet war. Die Bedenken, die gegen Meynerts Fall erhoben werden, sind zweierlei: einmal bestand gleichzeitig Seelenblindheit, zum anderen waren die motorisch-apraktischen Erscheinungen durch gleichzeitige Parese und Ataxie wenn nicht verursacht, zum mindesten in der kurzen Wiedergabe verdeckt.\nEs erscheint gleichwohl \u2014 nicht nur aus historischen Gr\u00fcnden \u2014 wertvoll, hier etwas genauer auf Meynerts Auffassung der motorisch en Asymbolie einzugehen, Meykebt schreibt:1 2 \u201eZu dieser motorischen Asymbolie ist nnr n\u00f6tig, dafs etwa durch einen Erweichungsherd in den mittleren H\u00f6hen der Zentralgegend die Innervationsbilder der oberen Extremit\u00e4ten nicht ausl\u00f6sbar sind.\u201c Der Terminus \u201eausl\u00f6sbar\u201c ist leider nicht eindeutig; was aber Meyxeht darunter verstanden wissen wollte, ergibt sich wohl aus dem anschliefsenden Satze : \u201eEs ist ganz derselbe Fall, ob bei motorischer Aphasie die Innervationsgef\u00fchle des klangbildenden Apparates sich mit dem Anblick der Kugel nicht verbinden k\u00f6nnen oder die der oberen Extremit\u00e4t, so dafs die Aphasie und der Gebrauehemangel nur Einzelf\u00e4lle von herdartig bedingter kortikaler assoziativer St\u00f6rung sind\u201c. \u00dcber Meykebts Auffassung dieser \u201ekortikalen assoziativen St\u00f6rung\u201c orientiert uns seine Erkl\u00e4rung f\u00fcr das Zustandekommen der motorischen Aphasie:* \u201eAlle Einzelbewegungen der Zunge, der Kehlkopfmuskulatur, des Facialis sind im Gange, daher man von keiner L\u00e4hmung, sondern nur von einer Assoziationsst\u00f6rung sprechen kann, indem einzig\n1 Liepmann 1. c. S. 69, Pick 8. 1.\ns Mrynert : Klinische Vorlesnijgen \u00fcber Psychiatrie, Wien 1890. S, 970. \u00bb 1. c. S. 69.","page":162},{"file":"p0163.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n163\ndie Zusammenf\u00fcgung der einzelnen Muskelbewegungen, ihre Koordination zum Ausdruck der W\u00f6rter nicht gen\u00fcgt.\u201c\nIch glaube, man wird daraus ohne Zwang zwei Folgerungen bez\u00fcglich der eigenen Auffassung Meyxerts bez\u00fcglich seiner motorischen Asymbolie ziehen d\u00fcrfen :\n1.\tsie f\u00fchrt zu einer St\u00f6rung im inneren Gef\u00fcge der Bewegungen selbst;\n2.\tsie kann bedingt werden durch eine L\u00e4sion innerhalb der motorischen Rindenprovinz.\nF\u00fcr die letztere Interpretation des MEYNERTschen Standpunktes spricht eindeutig seine Auffassung des Sektionsbefundes:1 M. erkl\u00e4rt die motorische Asymbolie aus der gefundenen kortikalen Encephalomalacie, und bringt die schwerere rechtsseitige anatomische Ver\u00e4nderung in Verband mit den intensiveren \u201easym-boli6chen\u201c St\u00f6rungen in der linken Hand.\nEs ist nun nicht ganz leicht, zu definieren, in welcher Weise sich die apraktische Bewegungsst\u00f6rung wirklich zu dokumentieren h\u00e4tte, wenn man, und auch ich mufs mich dieser Meinung an-schliefsen, die St\u00f6rungen bei der Kranken Meyneris nicht als apraktische, motorisch-asymbolische gelten l\u00e4fst. Es m\u00fcfste eine St\u00f6rung im Gef\u00fcge der Bewegungen vorliegen, die doch gleichwohl weder durch Parese noch durch Ataxie bedingt und \u2014 rei\u00fce F\u00e4lle vorausgesetzt \u2014 nicht einmal kompliziert sein d\u00fcrfte. Theoretisch lassen sich derartige F\u00e4lle sehr wohl konstruieren, und sie k\u00f6nnen zun\u00e4chst wenigstens als Beispiele daf\u00fcr dienen, was ich dabei im Auge habe : Liepmann 2 macht die feine Bemerkung, dafs die Hilflosigkeit eines 2\u20143j\u00e4hrigen Kindes auf Apraxie beruhe, und er exemplifiziert auf dessen Unf\u00e4higkeit, das Pusten oder Pfeifen nachzumachen. Man k\u00f6nnte weiter gehen und auch die Unf\u00e4higkeit des kleinen Kindes, zu gehen oder vom L\u00f6ffel abzutrinken, als Apraxie bezeichnen. Verlangt man kompliziertere Leistungen, so kann man beim Erwachsenen zahlreiche um so eindeutigere Beispiele aufstellen, weil hier der Nachweis ohne weiteres gef\u00fchrt werden kann, dafs eben weder Parese noch Ataxie vorliegen. Analog k\u00f6nnte man es so als Apraxie auffassen, wenn auch der Erwachsene, wenn er zum erstenmal mit Schlittschuhen aufs Eis\n1 1. c. S. 272. * 1. c. S. 74.\n11*","page":163},{"file":"p0164.txt","language":"de","ocr_de":"164\nKurl Heilbronnfr.\ngestellt wird, trotz erhaltener Motilit\u00e4t und Koordination des zweckm\u00e4fsigen Gebrauches seiner unteren Extremit\u00e4ten geradezu beraubt erscheint. Auch die Ratlosigkeit, die Wehnicke1 als typisch f\u00fcr den Asymboliker geschildert hat, wird man hier nicht vermissen, ebensowenig die von Lietjcakk und Pick gew\u00fcrdigten \u201evertrakten\u201c Bewegungen. Analoges gilt f\u00fcr das Schwimmen, Radfahren, Tanzen und zahlreiche \u00e4hnliche k\u00f6rperliche \u00dcbungen. Man wird vielleicht Bedenken tragen, das Nichtk\u00f6nnen von Bewegungskomplexen, die besonders gelernt werden m\u00fcssen und immerhin nicht Gemeingut aller Menschen sind, ohne weiteres der Apraxie gleichzusetzen; zweifellos aber w\u00fcrde man diese Auffassung akzeptieren d\u00fcrfen, wenn sich nachweisen liefse, dals derartige Fertigkeiten infolge einer Herderkrankung etwa ebenso verloren gegangen w\u00e4ren, wie dies (vgl. Pick S. 125) bez\u00fcglich der instrumentell-musikalischen Fertigkeiten in einer Reihe von F\u00e4llen und bez\u00fcglich des N\u00e4hens und Strickens in einem Falle von P\u00eetbes (zit. v. Pick) nachgewiesen ist. Auf die apraktische Form der instrumentalen Amnesie und auf die einschl\u00e4gigen Verh\u00e4ltnisse der motorischen Aphasie werde ich sp\u00e4ter einzu-gehen haben. Hier m\u00f6chte ich nur eine Fertigkeit besprechen, die mit den letztgenannten enge Beziehungen hat, das auch von Liepmann erw\u00e4hnte Pfeifen. Bekannt ist, dafs manche Men sehen \u00fcberhaupt nie pfeifen lernen, auch wenn sie sich M\u00fche geben; sehr verst\u00e4ndlich w\u00fcrde es auch erscheinen, dafs es bei motorisch Aphasischen mit allen anderen dabei so oft gest\u00f6rten Ausdrucksbewegungen verloren gehen kann. Man kann aber auch feststellen, dafs es einigermafsen isoliert ausf\u00e4llt. Einen derartigen Fall beobachte ich seit einigen Monaten erst klinisch, jetzt poliklinisch. Der Kranke hat nach einer Reihe leichtester Anf\u00e4lle (wahrscheinlich auf dem Boden einer senilen Encephalitis), die nie eine ausgesprochene L\u00e4hmung hinterliefsen, neben einer gewissen Unbeholfenheit und \u201eSteifigkeit\u201c aller Bewegungen eine leichte motorische Sprachst\u00f6rung zur\u00fcckbehalten ; bei der Pr\u00fcfung der Facialisinnervation aufgefordert zu pfeifen, erkl\u00e4rte er mir sofort, das habe er fr\u00fcher wohl gekonnt, jetzt gehe es nicht mehr. Der Fall ist um so bemerkenswerter, weil der Kranke tats\u00e4chlich seinen Mund spitzt, als ob er pfeifen wollte, sogar auf Verlangen oder nach Vorpfeifen einen h\u00f6heren und einen\n1 Lehrbuch der Gehirnkrankheiten. Kassel 1881. S. 553.","page":164},{"file":"p0165.txt","language":"de","ocr_de":"Zar Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n165\ntieferen hauchenden Ton produzieren kann, ohne dafs es ihm aber jemals gel\u00e4nge, einen wirklichen Pf eiflaut zu st\u00e4nde zu bringen. Dabei spricht er nur etwas verwaschen und unausgeglichen, kann aber s\u00e4mtliche Vokale und Konsonanten einzeln tadellos nachsprechen, singt Melodien mit geringem Stimmaufwand aber ganz rein \u2014 die naheliegende Annahme einer bul-bfiren resp. pseudobulb\u00e4ren St\u00f6rung mufs also ausgeschlossen werden und ich glaube, dafs diese Unf\u00e4higkeit, zu pfeifen1, tats\u00e4chlich als Apraxie, als Folge einer St\u00f6rung im Gef\u00fcge besonderer, erlernter Bewegungskomplexe aufgefafst werden darf.\nOb man selbst bei speziell darauf gerichteter Aufmerksamkeit derartige St\u00f6rungen auch auf anderen Gebieten h\u00e4ufig wird feBtstellen k\u00f6nnen, erscheint zweifelhaft; man kann aber jedenfalls Zust\u00e4nde finden, die ihnen nahe kommen. Ich darf hier vielleicht an eine Kranke erinnern, die ich ganz k\u00fcrzlich unter einem anderen Gesichtspunkte erw\u00e4hnte : sie zeigte Erscheinungen einer spastischen Hemiplegie, f\u00fchrte Einzeljtewe-gungen in den Gelenken des betroffenen Beines aus, konnte auch stehen, mufste aber das Gehen erst lernen; man k\u00f6nnte mit einigem Rechte auch hier von einer Apraxie des betroffenen Beines sprechen : zum mindesten erkl\u00e4rte der Grad der L\u00e4hmung keineswegs die St\u00f6rung des Ganges, und ich w\u00fcrde gar kein Bedenken tragen, hier wirklich Apraxie zu statuieren, wenn der Bewegungs k o m p 1 e x, der mangelhaft zu st\u00e4nde kam, nicht ein von dem fr\u00fcher gel\u00e4ufigen Gangtypus eben doch verschiedener gewesen w\u00e4re. Dafs die St\u00f6rung und zwar durch \u00dcbung zu beseitigen war, w\u00fcrde mich in dieser Auffassung eher best\u00e4rken als behindern. Man wird eine derartige Ausgleichsf\u00e4higkeit durch Wieder- resp. Neu\u00fcbung theoretisch f\u00fcr sehr wahrscheinlich halten d\u00fcrfen. Man w\u00fcrde deshalb auch \u2014 angenommen, dafs die MEYNERTsche Voraussetzung von der kortikal - motorischen Genese der St\u00f6rung als zutreffend angesehen wird \u2014, das Symptom immer nur passager zu erwarten haben: Bei nicht progredienten Prozessen wird es durch den Einflufs der \u00dcbung eliminiert, bei progredienten in der nachfolgenden Parese und Ataxie aufgehen resp. durch sie verdeckt werden. Diese Erw\u00e4gungen ergeben auch Hinweise darauf, unter welchen\n1 Der griechische Ausdruck, den ich zu bilden versuchte, geriet so ungeheuerlich, dafs ich nicht wage, ihn zu empfehlen.","page":165},{"file":"p0166.txt","language":"de","ocr_de":"166\nKarl Hfilbronner.\nBedingungen man nach entsprechenden Erscheinungen mit der meisten Aussicht auf Erfolg zu suchen h\u00e4tte.\nNoch auf eine zweite Erscheinung, die hier vielleicht einschl\u00e4gig ist, darf kurz hingewiesen werden: in F\u00e4llen von leichtester Monoparese des Armes f\u00e4llt zuweilen die extreme Ungeschicklichkeit auf, mit der der Kranke in bemerkenswertem Gegens\u00e4tze zu Liepmanns Krankem (cf. Liepmann S. 24) bei der Pr\u00fcfung des Tastverm\u00f6gens den Akt des Abtastens vollzieht, eine Ungeschicklichkeit, die weder aus der Parese der Fingerbewegungen noch aus der \u2014 durch spezielle Sensibilit\u00e4tspr\u00fcfung feststellbaren \u2014 Sensibilit\u00e4tsst\u00f6rung gen\u00fcgend erkl\u00e4rt zu sein scheint. Man ist versucht, auch hier wieder an die St\u00f6rung eines Bewegungsmechanismus zu denken, der ersichtlich zu den erhaltenen rein motorischen Leistungen in demselben Verh\u00e4ltnis st\u00fcnde, wie die F\u00e4higkeit des tastenden Erkennen\u00ab (NB. nur der prim\u00e4ren Identifikation im Sinne Webnickes) zu den sensiblen Einzelfunktionen.\n\u00c9inigermafsen analoge, aber doch nicht ganz \u00fcbereinstimmende Erw\u00e4gungen \u00fcber das Verh\u00e4ltnis der sensorischen zu den motorischen Leistungen stellt auch Liepmann (1. c. S. 76/77) an. Die Differenz dieser Auffassungen bedingt es, dafs Liepmann (eod. loc. Anm.) sich mit meiner fr\u00fcher ge\u00e4ufserten Vermutung nicht einverstanden erkl\u00e4ren kann, dafs motorisch-asymbolische Erscheinungen durch Sch\u00e4digung der motorischen Rindenfelder zu st\u00e4nde kommen k\u00f6nnten, w\u00e4hrend ich diese Annahme zun\u00e4chst noch zum mindesten als eine der m\u00f6glichen aufrecht erhalten m\u00f6chte, ganz besonders mit R\u00fccksicht auf die auch von Liepmann als hierhergeh\u00f6rig anerkannten Zust\u00e4nde motorischer Ratlosigkeit, wie sie bei Paralytikern nach Anf\u00e4llen auftreten k\u00f6nnen. Ich werde auf die Frage am Schl\u00fcsse nochmal zur\u00fcckzukommen haben.\nAllerdings mufs ich zugeben, dais der sichere anatomische Nachweis einer durch organische L\u00e4sion innerhalb der motorischen Rinde gesetzten motorischen Asymbolie im Sinne Mey-neets bis jetzt meines Wissens nicht erbracht ist, dafs er auch tats\u00e4chlich mit R\u00fccksicht auf die Eigenart der Umst\u00e4nde nur bei Konkurrenz einer Reihe ganz besonders g\u00fcnstiger Umst\u00e4nde m\u00f6glich w\u00e4re. Die weiteren Auseinandersetzungen sollen deshalb zun\u00e4chst von der Frage der speziellen anatomischen Lokalisation absehen und rein von klinischen Erfahrungen aus-","page":166},{"file":"p0167.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n167\ngehen, in deren Auffassung ich mich bez\u00fcglich aller Hauptpunkte im wesentlichen in \u00dcbereinstimmung mit Liepmann zu befinden glaube.\nIch habe in meiner fr\u00fcheren Besprechung der Asymbolie1 die zun\u00e4chst verwunderliche Erscheinung besprochen, dafs asym-bolische Kranke mit nachweislich nicht gesch\u00e4digten motorischen (und damit auch sensiblen) Projektionsfeldern gleichwohl zur \u201eVerwertung taktiler Eindr\u00fccke\u201c nicht imstande waren; zur Erkl\u00e4rung glaubte ich die Annahme heranziehen zu d\u00fcrfen, \u201edafs die Eindr\u00fccke, die wir durch Tasten empfangen haben, zumeist wohl unverz\u00fcglich auf dem Wege der Assoziation in die zugeh\u00f6rigen akustischen und optischen Erinnerungen umgesetzt werden und dafs erst unter Mithilfe dieser Erinnerungen die entsprechenden Reaktionen erfolgen\u201c. Diese Erkl\u00e4rung findet auch Liepmann zutreffend (1. c. S. 44). Ich habe aber weiter damals schon ausgef\u00fchrt, dafs eine Reihe besonders ge\u00fcbter manueller Fertigkeiten \u201enicht nur ohne die Kontrolle anderer Sinne, sondern wahrscheinlich auch ohne assoziative Miterregungen anderer Sinnescentra\u201c erfolgen k\u00f6nnen. Dem von mir angef\u00fchrten Beispiel des Strickens und des Weiterrauchens einer einmal angerauchten Zigarre f\u00fcgt Liepmann noch das sehr treffende des Auf- und Zukn\u00f6pfens bei. Liehmann l\u00e4fst die Funktion auf dem Wege eines zerebralen \u201eKurzschlusses\u201c zustande kommen; ich habe sp\u00e4ter 2 mich mit den analogen Leistungen auf sprachlichem Gebiete etwas eingehender besch\u00e4ftigt und sie als Eigenleistungen der motorischen Zentren charakterisiert ; zutreffender w\u00e4re es vielleicht, besonders wo es sich nicht um rein aphasische, sondern um asymbolische Zust\u00e4nde handelt an Stelle des Ausdrucks motorisches Zentrum Liepmanns \u201eSensomotorium\u201c zu setzen, demnach von Eigenleistungen des Sensomotoriums zu sprechen; (dagegen m\u00f6chte ich den Ausdruck \u201eKurzschlufs\u201c nicht unbedenklich akzeptieren; seiner Herkunft nach l\u00e4fst der Ausdruck Kurzschlufs an eine eingetretene St\u00f6rung denken, zum mindesten an eine neugeschaffene Verbindung; in diesem Sinne spricht Pick tats\u00e4chlich an mehreren Stellen (S. 47 und 65) von einer durch Kurzschlufs bedingten Fehlreaktion.\n1 Psychiatr. Abhandlungen herausgeg. von Wbbnickb. H. 3/4, 1897. Breslau, Schietter. 8. 46.\n* \u00dcber die transkortilcale motorische Aphasie. Arch. f. Psychiatrie 34, H. 2.","page":167},{"file":"p0168.txt","language":"de","ocr_de":"168\nKarl Htilbrouner,\nGanz im Gegensatz dazu erfolgen in den F\u00e4llen, die ich hier im Auge habe, richtige Reaktionen gerade auf sehr \u201ealten\u201c und lange benutzten Wegen).\nEin grofser Teil dieser Eigenleistungen des Sensomotoriums charakterisiert sich als Reihenleistungen; f\u00fcr alle trifft die Definition zu, dafs jeweils der letztvorausgegangene Akt (im weitesten Sinne) unmittelbar den n\u00e4chstfolgenden bestimmt; gerade diese Besonderheit der Leistung macht es verst\u00e4ndlich, dafs eben die aus und bei der beginnenden Leistung selbst fliefsenden sensiblen (taktilen etc.) Eindr\u00fccke allein f\u00fcr den weiteren Ablauf mafsgebend werden. Daraus werden auch die weiteren Besonderheiten dieser Eigenleistungen verst\u00e4ndlich : sie k\u00f6nnen nur in toto ablaufen, und wenn sie in ihrem Ablauf gest\u00f6rt sind, nicht willk\u00fcrlich an beliebiger Stelle wieder aufgenommen werden. Sie verlangen weiter f\u00fcr ihren ungest\u00f6rten Ablauf, dafs das Individuum tats\u00e4chlich bis zu einem gewissen Grade rein \u201eautomatisch\u201c arbeitet; deshalb versagen, wie ich an gleicher Stelle ausf\u00fchrte, manche Kranke unerwarteterweise beim Reihensprechen, wenn und sobald sie nicht einfach \u201eableiern\u201c. Auf diese erfolgsch\u00e4digende Wirkung der \u201eLenkung der Aufmerksamkeit auf den Einzelakt\u201c hat auch Weknicke1 2 aufmerksam gemacht; neuerdings hat Pick 2 die einschl\u00e4gigen Fragen unter Heranziehung literarischer Nachweise eingehender besprochen. Die hier in Frage stehenden Bewegungskomplexe haben endlich noch das Gemeinsame, dafs sie speziell erlernt und ge\u00fcbt sein m\u00fcssen; nicht in dem Sinne etwa, dafs der spezielle Bewegungsakt schon sehr h\u00e4ufig genau ebenso ausgef\u00fchrt sein mufs, aber doch in dem Sinne, dafs eine gewisse spezielle \u201eTechnik\u201c der Ausf\u00fchrung erlernt sein mufs: der Kranke, der \u00fcberhaupt noch Kn\u00f6pfbewegungen machen kann, wird nicht nur imstande sein, einen oder einige bestimmte Kn\u00f6pfe seines Rockes zu schliefsen, wenn seine Hand in jedesmal gleicher Stellung dem Knopfe gen\u00e4hert wird, sondern er wird jeweils kn\u00f6pfen, sobald \u00fcberhaupt seine Hand die entsprechenden Tastreize auf nimmt (wobei es zun\u00e4chst dahingestellt bleiben m\u00f6ge, ob der Kranke, sein \u201eIch\u201c, den Knopf erkannt hat und ob er weifs, dafs er kn\u00f6pft). Gerade\n1\tEin Fall von isolierter Agraphie. Monatsschr. f. Psychiatrie und Keurol. 13, S. 263.\n2\t1. c. S. 66 ff.","page":168},{"file":"p0169.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Fragt der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n169\ndieses Moment des Erlerntwerdens unterscheidet diese Bewegungskategorien von den reflektorischen und wird auch f\u00fcr die Entscheidung mafsgebend sein m\u00fcssen, wo wir sie zu lokalisieren haben: in der Hirnrinde. Dafs es sich nicht um grob lokalisierbare, aus der anatomischen Anordnung der nerv\u00f6sen Elemente unmittelbar erkl\u00e4rbare Vorg\u00e4nge handelt, ist schon daraus zu erschliefsen, dafs sie als Folgen gr\u00f6berer Rindenreizungen nicht auftreten. Dagegen l\u00e4fst es sich mit den oben entwickelten Anschauungen sehr wohl in Einklang bringen, dafs man derartige Bewegungsmechanismen nicht allzuselten im Stadium des Abklingens schwerer Rindenreizerscheinungen (nach epileptischen Anf\u00e4llen, eventuell auch nach JacKSONschen Anf\u00e4llen nur einseitig) sich einstellen sieht. Ich habe hier die viel zu wenig gew\u00fcrdigten postepileptischen (gelegentlich auch pr\u00e4epileptischen) automatischen Bewegungen im Auge, die schon in ihrer \u00e4ufseren Erscheinungsform von den eigentlichen Krampfbewegungen absolut verschieden sind: Hierher geh\u00f6ren die oft lange fortgesetzten Schmatz- und Leckbewegungen, die komplizierten, oft rhythmischen Greif- oder Fangbewegungen und als typischstes Bild die nicht gerade seltenen, oft einseitigen Erscheinungen des Gesichtwischens oder Schnurrbartstreichens. Es w\u00e4re meines Erachtens durchaus unrichtig, in diesen Bewegungen allein eine ausschliefsliche und noch dazu etwa willk\u00fcrliche Reaktion auf wahrgenommene (gleichviel ob peripher oder zentral ausgel\u00f6ste) Empfindungen zu sehen; sie stellen Reizerscheinungen dar, die zu den Kr\u00e4mpfen im engeren Sinn in demselben Verh\u00e4ltnis stehen, wie ich es oben zwischen den apraktischen Ausfallserscheinungen einerseits, den paretisch - ataktischen St\u00f6rungen andererseits herzustellen versuchte, ein Verh\u00e4ltnis, das sich \u00fcbrigens unschwer auch auf die Reiz- und Ausfallserscheinungen der sensorischen Gebiete \u00fcbertragen liefse.\nDie eingangs aufgef\u00fchrten erlernten Bewegungskomplexe lassen sich \u2014 zun\u00e4chst wieder abgesehen von der Frage der Lokalisation \u2014 ganz analog diesen Eigenleistungen des Senso-motoriums auffassen, sie teilen jedenfalls ihre klinischen Eigent\u00fcmlichkeiten. Ein besonders instruktives Bild der in Betracht kommenden Verh\u00e4ltnisse ergibt die Betrachtung des Efsaktes; wer \u00f6fter asymbolische Kranke untersucht hat, weifs, dafs die","page":169},{"file":"p0170.txt","language":"de","ocr_de":"170\nKarl Heilbrunner.\nMehrzahl dieser Kranken, auch wenn sie zu geordneter Nahrungsaufnahme unf\u00e4hig sind, ganz ungest\u00f6rt in den Mund Geschobenes \u2014 eventuell auch die ungeniefsbarsten Dinge \u2014 kaut, im Munde hin- und herbewegt und schluckt. Dafs dieser Kau- und Schluckakt nicht rein reflektorisch erfolgt, ergibt sich einmal aus der \u00dcberlegung, dafs er ja tats\u00e4chlich erst erlernt werden mufSj zum anderen aber aus F\u00e4llen, in denen der eben umschriebene Bewegungskomplex gest\u00f6rt ist, w\u00e4hrend der wirklich reflektorische Schluckakt ungest\u00f6rt vonstatten geht; von einer derartigen Beobachtung berichtet u. a. Knapp 1 ; mir selbst ist die Erfahrung seit langem so gel\u00e4ufig, dafs ich sogar therapeutisch davon Gebrauch machte; ich habe fr\u00fcher wiederholt senile Patienten, die ich jetzt vielleicht als motorisch-apraktisch bezeichnen w\u00fcrde, bei denen nicht nur die Verarbeitung fester Bissen, sondern auch das Trinken aus dem Glase oder vom L\u00f6ffel ab Schwierigkeiten machte, wie S\u00e4uglinge mit der Flasche ern\u00e4hrt ; der Saug-Schluckreflex funktionierte tadellos.1 2 Auf einige analog aufzufassende Bewegungskomplexe wird im Laufe der Er\u00f6rterungen noch einzugehen Gelegenheit sein ; durch das Angef\u00fchrte hoffe ieh wenigstens eine Basis f\u00fcr die weitere Betrachtung geschaffen zu haben.\nF\u00fcr die ganze Auffassung und Begriffsbestimmung der motorischen Asymbolie scheint es mir n\u00e4mlich von grundlegender Wichtigkeit, zu ber\u00fccksichtigen, ob imEinzelfalle diese Eigenleistungen des Sensomotoriums intakt oder mitgesch\u00e4digt sind. In Liepmanns Falle waren sie intakt; gerade die Untersuchungen und Er\u00f6rterungen, in denen ihre Intaktheit nachgewiesen und theoretisch verst\u00e4ndlich gemacht wird, bilden meines Erachtens den Angelpunkt der so wichtigen Studie. Der Umstand, dafs es aufserdem noch F\u00e4lle gibt, in denen sie gest\u00f6rt sind, beweist aber, wie berechtigt die von dem Autor. (S. 74) gemachte Einschr\u00e4nkung\n1 Ein Fall von motorischer und sensorischer Aphasie. Honateschr. f. Psychiatr. m. Xeurol. 15, S. 39.\n* Unter diesem Gesichtspunkte verdienten die von mir fr\u00fcher schon erw\u00e4hnten Beziehungen der motorisch-aaymbolischen St\u00f6rungen zu den pseudobulb\u00e4r-paralytischen noch eingehendere Pr\u00fcfung; das neuerdings eifriger betriebene Studium der Reflexe im Gebiete der Mund- etc. Muskulatur ergibt vielleicht auch f\u00fcr diese Fragen noch eine Ausbeute.","page":170},{"file":"p0171.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage da- motorischen Asymbolie (Apraxie).\n171\ni\u00e8t, dafs die von ihm erwiesene nicht die einzige m\u00f6gliche Entstehungsweise der Apraxie ist.\nBetreffs der Angaben \u00fcber diese weitergehenden St\u00f6rungen m\u00f6chte ich zun\u00e4chst an die weder bei Liepmann noch bei Pick erw\u00e4hnte Tatsache erinnern, dafs schon 1894 Bonhoeffee eine Kranke aus der Breslauer Klinik mit \u201emotorisch-asymboli-schen Erscheinungen\u201c demonstrierte1, die ein Bild vollkommener k\u00f6rperlicher Hilflosigkeit zu st\u00e4nde kommen liefsen. Die Kranke zeigte die schwersten St\u00f6rungen im Bereich der uns besch\u00e4ftigenden Bewegungskomplexe. Die gleichen St\u00f6rungen sind dann sp\u00e4ter u. a. von Knapp2 * beschrieben, ganz besonders aber an verschiedenen Stellen von Pick betont worden und speziell f\u00fcr den Nachweis des motorischen Charakters der Erscheinungen verwertet worden ; wer nur einigermafsen auf derartige Erscheinungen zu achten gewohnt ist, die in epileptischen Zust\u00e4nden, bei Paralytikern und ganz analog bei manchen Formen von Psychosen nicht allzu selten sind, wird das, wie auch Pick betont, schwer zu schildernde Bild kennen und in der Beschreibung wiedererkennen. Die grunds\u00e4tzliche Bedeutung der von Pick getroffenen Feststellungen sehe ich nun darin, dafs diese charakteristischen Bewegungseigent\u00fcmlichkeiten eben auch bei der Ausf\u00fchrung dieser Eigenleistungen des Sensomotoriums auftreten: beim Efsakt, bei der Korrektur einer unbequemen K\u00f6rperhaltung, beim Auf stehen usw. Es darf also f\u00fcr diese F\u00e4lle \u2014 zun\u00e4chst abgesehen von jeder lokalisatorischen Verwertung \u2014 angenommen werden, dafs auch innerhalb jener Gebiete, die der Ausf\u00fchrung dieser Bewegungsreihen vorstehen, eine Sch\u00e4digung eingetreten ist. In Libp-manns Falle besteht eine derartige Sch\u00e4digung nicht, und er hat in einer \u00fcberzeugenden Auseinandersetzung auch die Einw\u00e4nde widerlegt, die etwa auf Grund des Ergebnisses der Sensibilit\u00e4tspr\u00fcfung gegen diese Auffassung geltend gemacht werden k\u00f6nnten (S. 38ff.). Essen, Gehen, der Akt d(es Abtastens, das Weiterrauchen einer einmal angerauchten Zigarre und eine Reihe analoger Akte gelingen, sogar das Auf- und Zuschliefsen mit dem Schl\u00fcssel, wenn er einmal im Schl\u00fcsselloch steckt.8 Diese Bewegungen\n1 Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie 51, 8. 1014.\n*\t1. c.\n*\tS. 41.","page":171},{"file":"p0172.txt","language":"de","ocr_de":"172\nKarl Heilbrouner.\ngelingen hier aber weiterhin konstant, sie sind, wie Liepmann (S. 41 ff.) ausdr\u00fccklich hervorhebt, nicht von der Gunst oder Ungunst der Verh\u00e4ltnisse abh\u00e4ngig.\nNeben diesem positiven Merkmal zeigt aber der Liepmann-sche Fall gerade im Gegens\u00e4tze zum gel\u00e4ufigen Bilde des Asym-bolischen noch ein wichtiges negatives Symptom: die Seltenheit der Bewegungsverwechslung im engeren Sinne. Die meisten Asymbolischen, auch Picks Apraktische, manipulieren mit ihnen gereichten Gegenst\u00e4nden sehr h\u00e4ufig so, dafs der Beobachter \u2014 um einen sehr vorsichtigen Ausdruck zu gebrauchen \u2014 zu der Vermutung kommen k\u00f6nnte, der Kranke habe den Gegenstand verkannt und manipuliere nun dieser Verkennung gem\u00e4fs; zum mindesten vollf\u00fchren sie sehr h\u00e4ufig eine Reihe komplizierter Akte, die weder einfach den Eigenleistungen des Senso-motoriums entsprechen, noch in der Mehrzahl den vertrackten, grotesken Charakter tragen. Bei Liepmanns Krankem nun finden sich eigentliche Bewegungsverwechslungen, welche die erw\u00e4hnte Vermutung rechtfertigen k\u00f6nnten, nur ganz wenige: er steckt einen Kamm wie eine Schreibfeder hinters Ohr, \u201enachdem er unabsichtlich in die Gegend oberhalb des Ohres gekommen ist\u201c, er benutzt eine zu ungewohnter Zeit gereichte Zahnb\u00fcrste einmal als Federhalter, zweimal als ob er damit essen wollte. In den meisten F\u00e4llen aber, wo \u00fcberhaupt eine kompliziertere Reaktion versucht wird, kommt es nicht mehr zu einem irgend einem erkennbaren Zweck dienlichen Bewegungskomplex, sondern eben nur mehr zu einem erfolglosen Agieren.\nIch glaube, dafs dieses Verhalten, weit entfernt etwa Verwunderung zu erregen, geradezu nach der von Liepmann gegebenen Erkl\u00e4rung des Falles theoretisch verlangt werden muf8te. Er nimmt an, und der Sektionsbefund hat im wesentlichen diese Annahme best\u00e4tigt, dafs die Erscheinungen durch eine \u201eAbsperrung\u201c des \u2014 bei der Einseitigkeit der St\u00f6rung allein in Betracht kommenden \u2014 linken Sensomotoriums von der \u00fcbrigen Hirnrinde erkl\u00e4rbar seien, eine Absperrung, die allerdings nicht als absolute zu erachten w\u00e4re. Es ist ohne weiteres ersichtlich, dafs unter dieser durchaus begr\u00fcndeten Voraussetzung andere komplizierte Bewegungen als die vom Sensomotorium allein vermittelten \u00fcberhaupt nicht mehr korrekt zu st\u00e4nde kommen k\u00f6nnen.","page":172},{"file":"p0173.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolit (Apraxie).\n173\nWo einmal die Wege fehlen, auf denen dib Anregungen von den intakten r\u00fcckw\u00e4rtigen Regionen auf das Exekutivorgan \u00fcbertragen werden k\u00f6nnten, mufs diese Absperrung in gleicher Weise f\u00fcr die aus unmittelbarer Erregung fliefsenden richtigen wirksam werden, wie f\u00fcr die ged\u00e4chtnis- (oder gewohnheits)m\u00e4fsigen falschen, die sonst bei Asymbolischen (analog auch in der Zerstreutheit) die komplizierte Fehlreaktion erst m\u00f6glich machen; der geringe Rest von Verbindungen des Sensomotoriums mit dem \u00fcbrigen Kortex kann eventuell eben noch die Aktion total in Verwirrung bringen, dann entstehen eben die vertrakten Bewegungen, im g\u00fcnstigsten Falle noch etwa Resultate wie der von Liepmann (S. 58) besprochene Versuch, einen gemalten Gegenstand zu fassen. In anderen agiert das Sensomotorium \u00fcberhaupt ganz ohne R\u00fccksicht auf das, was gleichzeitig in anderen Rindenprovinzen vorgeht, selbst\u00e4ndig: w\u00e4hrend der Kranke mit der linken Hand Wasser in das mit der Rechten umfafste Glas eingiefet, f\u00fchrt diese das Glas zum Munde.\nLiepmann definiert kurz den Unterschied zwischen dem Agnostischen (sensorisch Asymbolischen) und dem Apraktischen (motorisch Asymbolischen) dahin, der Apraktische handle un-zweckm\u00e4fsig, weil er seinen Zweck nicht realisieren k\u00f6nne, der Agnostische, weil er verkehrte Zwecke verfolge. Sieht man von dem in dieser Scheidung enthaltenen Hinweis auf das subjektive Element (s. u.) ab, so wird man diese Charakterisierung als zutreffend anerkennen d\u00fcrfen. Es ist nun schon von Pick in seiner ersten Mitteilung \u00fcber die motorische Apraxie1 betont, dafs mit dieser Definition die Erscheinungen in seinem Falle in anscheinend unl\u00f6sbarem Widerspruche stehen, wenn der Kranke z. B. statt sein Glas aus dem Wasserkruge zu f\u00fcllen, damit aus dem Waschbecken schmutziges Wasser sch\u00f6pft; der Kranke handelt zweifellos unzweckm\u00e4fsig im objektiven Sinne; man kann aber nicht sagen, dafs er \u201eseinen Zweck nicht realisieren kann\u201c; auch das Sch\u00f6pfen aus dem Waschgef\u00e4fs ist eine komplizierte Handlung, die, wie es Liepmann f\u00fcr das Zustandekommen der Willk\u00fcrhandlung postuliert, das Wirksam werden von \u201eResten fr\u00fcherer Wahrnehmungen und ihrer Verkn\u00fcpfung, also Erinnerungen\u201c voraussetzt. Dafs der Kranke etwa im Sinne Liepmanns\n1 Neur. Zentralbl. 1902. 8. 997.","page":173},{"file":"p0174.txt","language":"de","ocr_de":"174\nKarl Heilbronner.\nMache Zwecke verfolgt habe, schliefst Pick aus, weil Agnosie (Nichterkennen der Gegenst\u00e4nde) nicht vorlag. Es handelt sich also hier um eine Form der St\u00f6rung, die unter keine der beiden LiEPMANNschen Alternativen f\u00e4llt. Die Frage ist zu beantworten: wie kommt es \u2014 ohne agnostische St\u00f6rung \u2014 zu Reaktionen, die objektiv unzweckm\u00e4fsig den Eindruck subjektiver Zweck-m\u00e4fsigkeit machen, also zu reinen Bewegungsverwechslungen beim motorisch Apraktischen.\nAuch ich glaube, dafs es nach den neuerdings gewonnenen Einblicken in das Wesen der Asymbolie unberechtigt w\u00e4re, in all diesen F\u00e4llen gewissermafsen r\u00fcckl\u00e4ufig aus der objektiv falschen Reaktion auf ein Manko, und dementsprechend auf eine Falschleistung auf sensorischem Gebiete schliefsen zu wollen. Die F\u00e4lle, in denen trotz richtiger Erkennung der Gegenst\u00e4nde diese doch so gebraucht werden, wie es einem anderen gem\u00e4fs w\u00e4re, sind nicht zu bestreiten. Die Feststellung, die nat\u00fcrlich nicht generell, sondern nur f\u00fcr jeden einzelnen Gegenstand und f\u00fcr diesen nur bei jeder Einzelpr\u00fcfung g\u00fcltig erfolgen kann, ist allerdings nicht immer einwandfrei zu treffen. Ich habe schon fr\u00fcher (Asymbolie S. 42) bei der Besprechung von Meynerts motorischer Asymbolie darauf hingewiesen , dafs wir \u201evon der richtigen Erkennung der Dinge keine Kunde mehr erhalten w\u00fcrden, wenn der motorische Apparat (inklusive der Sprache), der allein uns diese Kunde vermittelt, ungen\u00fcgend funktioniert\u201c. Auch Liepmann (S. 8) ist der Ansicht, \u201eein doppelseitig Apraktischer, der nat\u00fcrlich auch des richtigen Gebrauches der Sprachmuskulatur beraubt w\u00e4re, h\u00e4tte kein Mittel, kund zu tun, dafs er richtig versteht und auffafst, dafs er also kaum unterscheidbar w\u00e4re von einem sensorisch Apraktischen\u201c. Dafs Auffassung und Erkennung tats\u00e4chlich richtig erfolgen, wird sich auf zwei Wegen feststellen lassen; einmal, wenn die apraktische St\u00f6rung derartig zirkumskript ist, dafs noch motorische Apparate verf\u00fcgbar bleiben, die den richtigen Gebrauch der Gegenst\u00e4nde vermitteln ; das klassische Vorbild daf\u00fcr ist der LiEPMANNsche einseitig apraktische Kranke; die zweite M\u00f6glichkeit w\u00e4re die, dafs die Verbindung mit den Sprachzentren und diese selbst gen\u00fcgend funktionieren, um dem Kranken die Benennung der Gegenst\u00e4nde und eventuell auch die Angabe ihres Zweckes zu erm\u00f6glichen. Diese Voraussetzung war erf\u00fcllt bei dem ereten der von mir","page":174},{"file":"p0175.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolic (Apraxie).\n175\nseinerzeit beschriebenen Asymboliker. Ich darf die betreffende Stelle (Asymb. S. 17) wohl hier wiederholen: \u201eVon prinzipieller Bedeutung ist nun ein Symptom: Es ist n\u00e4mlich nicht selten zu beobachten, dafs Patient vorgelegte Gegenst\u00e4nde richtig benennt, ja sogar deren Zweck, wenn auch ungeschickt, doch einwandfrei anzugeben weifs, und dann dieselben Gegenst\u00e4nde gar nicht oder nur unrichtig zu gebrauchen weifs.\u201c\nIn ausdr\u00fccklichem Widerspruch mit Liepmaxns oben zitierter Annahme betont nun neuerdings Pick (S. 30), dafs der motorisch Apraktische (auch ohne sprachliche \u00c4ufserungen) daran erkannt werden k\u00f6nne, dafs er die Objekte zun\u00e4chst h\u00e4ufig richtig erfafst und allenfalls, aber nur zum Teil, richtig mit ihnen hantiert. Auch diese Eigent\u00fcmlichkeit bot mein oben erw\u00e4hnter Kranker. In dem kurzen Bericht \u00fcber die Demonstration1 habe ich damals erw\u00e4hnt, dafs (schon vor der Wiederkehr des Benennens) \u201eh\u00e4ufig der Eindruck gewonnen wurde, als ob Patient tats\u00e4chlich die richtige Bewegung urspr\u00fcnglich intendierte und erst im Verlauf der Ausf\u00fchrung zu Fehlreaktionen k\u00e4me\u201c.\nIch habe damals die asymbolischen St\u00f6rungen, wesentlich ausgehend von den MEYNERTschen Andeutungen \u00fcber die motorische Asymbolie, nicht als motorisch bedingt ansprechen zu d\u00fcrfen geglaubt, trotzdem der Kranke neben einer Reihe von Bewegungsverwechslungen2 bei einfachen Aufforderungen sogar die Erscheinung der Flexibilitas cerea geboten hatte. Ich k\u00f6nnte aber eine derartige Auffassung auch heute auf Grund unserer erweiterten Kenntnis der Apraxie nicht akzeptieren. Ich glaube vielmehr, dafs gerade das anf\u00e4ngliche richtige Hantieren gegen eine motorische Apraxie im Sinne Meynerts wie auch im Sinne Liepmanss verwertet werden mufs. Die erstere Form entf\u00e4llt von vornherein, schon das \u00e4ufsere Bild ist ein ganz anderes; aber auch mit einer einigermafsen vollst\u00e4ndigen Absperrung des Sensomotoriums von der \u00fcbrigen Hirnrinde, wie sie Liepmann verlangt, w\u00e4re es unvereinbar, dafs der Kranke \u00fcberhaupt zu komplizierten, geordneten Manipulationen f\u00e4hig ist und dafs er dieselben zweckm\u00e4fsig am richtigen Objekt und auf den sensorischen, nicht allein sensiblen\n1 Allg. Zeitschr. f. Psychiatrie 51, S. 1015.\n' Auch die \u201evertrakten\u201c Bewegungen habe ich schon damals eingehend geschildert (1. c. c. 19/20).","page":175},{"file":"p0176.txt","language":"de","ocr_de":"176\nKarl Hrilbronner.\nReiz hinvornimmt, der durch dieses Objekt gesetzt wird.\nDie Genese der eventuell folgenden, bei anderen Versuchen vielleicht von Anfang an zu konstatierenden geordneten Parapraxie (geordnet im Gegens\u00e4tze zu den vertrackten Bewegungen der Apraktischen im engeren Sinne) l\u00e4fst sich wohl am besten er\u00f6rtern an der Hand der LiEPMANNschen Auseinandersetzungen \u00fcber das Zustandekommen der Fehler, die sein Kranker bei den eingehend studierten Wahlreaktionen macht.\nDie Annahme von der Absperrung des Sensomotoriums erf\u00e4hrt nach Liepmanns eigenen Ausf\u00fchrungen auch f\u00fcr seinen Fall eine Einschr\u00e4nkung insofern, als sie \u2014 ganz abgesehen von anatomischen Bedenken, die sich gegen eine derartige Annahme erheben m\u00fcfsten \u2014 auch nach dem klinischen Befund nicht absolut sein kann. Eine absolute Absperrung m\u00fcfste den betroffenen Arm aus dem \u00fcbrigen Gehimmechanismus geradezu ausschalten ; er w\u00e4re, die Intaktheit der zu- und ableitenden Bahnen vorausgesetzt, theoretisch imstande, bei den Eigenleistungen des Sensomotoriums sogar korrekt zu funktionieren, aber er k\u00f6nnte von anderweitigen Rindentemtorien keinerlei Anregung zu Bewegungen mehr empfangen, er k\u00f6nnte auf optische, akustische Erregungen hin \u00fcberhaupt nicht mehr, weder richtig noch falsch, agieren; jede \u2014 auch noch so falsche und unzweck-m\u00e4fsige \u2014 Reaktion auf derartige Reize, soweit sie nicht etwa als subkortikal ausgel\u00f6ste Mitbewegung aufgefafst werden kann, beweist, dafs noch irgend welche derartige Verhinderungen erhalten sind.\nLiepmann hat nun an der Hand seiner Befunde in anschaulicher Weise entwickelt, wie eine recht sp\u00e4rliche derartige Verbindung und ein ziemlich grob arbeitender Mechanismus eben hinreicht, einfachste Reaktionen noch richtig zur Ausf\u00fchrung gelangen zu lassen. Er hat auch einige derjenigen Momente angef\u00fchrt, welche die Art der Falschreaktion bedingen. In seinem Falle bei der supponierten \u00e4ufsersten Sp\u00e4rlichkeit der verbleibenden Verbindungen sind die Verh\u00e4ltnisse f\u00fcr die richtigen und falschen Reaktionen noch relativ durchsichtige und die Analyse vermag der Entstehung der Fehlreaktion im Einzelfalle noch einigermafsen zu folgen. Wird die Abtrennung des Sensomotoriums noch unvollst\u00e4ndiger, die Zahl der erhaltenen Verbindungen gr\u00f6fser, so wird eine derartige Analyse unm\u00f6glich,","page":176},{"file":"p0177.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymholie (Apraxie).\n177\nweil die konkurrierenden Momente auch f\u00fcr eine Einzelreaktion nicht mehr \u00fcbersehbar werden. Gleichzeitig mufs aber auch das Zur\u00fccktreten, was eben der Apraxie ihren zpezifisch motorischen Charakter verliehen hat: die Unf\u00e4higkeit, einen Zweck zu realisieren, die Unm\u00f6glichkeit komplizierter motorischer Leistungen, die St\u00f6rungen im Gef\u00fcge der Bewegungen selbst und das \u00dcberwiegen der Eigenleistungen. Es ist nun sicher kein Zufall, dafs Liepmann gerade in diesem Zusammenhang sich mit dem Haftenbleiben besch\u00e4ftigt, und auch eine Reihe der einfachsten Fehlreaktionen seines Kranken (das Greifen nach dem fixierten statt nach dem verlangten Objekt) eigentlich als eine Art von Haftenbleiben anspricht (S. 58). Ich werde gerade durch diese Deduktion Liepmanns in meiner Auffassung best\u00e4rkt, dafs das Haftenbleiben oder die einzelne durch Haftenbleiben bedingte Reaktion keine von den anderen Fehlreaktionen abweichende Auffassung zul\u00e4fst, und ich kann mich darum auch Pick nicht anschliefsen, wenn er noch neuerdings1 * neben der sensorischen und motorischen Apraxie eine perseveratorische Pseudoapraxie annimmt, um so weniger als Pick selbst vor kurzem das Haftenbleiben als eine sekund\u00e4re durch den Ausfall anderer Vorstellungen bedingte St\u00f6rung bezeichnet hat.3 Ich m\u00f6chte dazu hier noch bemerken, dafs es im Einzelfalle auch sehr schwierig sein d\u00fcrfte, eine solche Pseudoapraxie auszuschliefsen ; gleich Pick habe auch ich mich \u00fcberzeugen k\u00f6nnen, dafs das Haftenbleiben \u00fcber viel gr\u00f6lsere Zeitr\u00e4ume hin seine Wirkung erstrecken kann, als fr\u00fcher wohl angenommen wurde. In einem grofsen Teile der F\u00e4lle erfolgt die Fehlreaktion in den hier besprochenen F\u00e4llen nun tats\u00e4chlich im Sinne des Haftenbleibens : wie ich fr\u00fcher angef\u00fchrt und auch Leepmanx (S. 58) akzeptiert, ger\u00e4t der Erregungsvorgang, dem die richtigen Wege nicht zur Verf\u00fcgung stehen, in andere, die sich im Zustande erh\u00f6hter Erregbarkeit befinden; der Grund dieser erh\u00f6hten Erregbarkeit l\u00e4fst sich im Falle des Haften-bleibens angeben : die eben abgelaufene Erregung hat eine erh\u00f6hte Anspruchsf\u00e4higkeit hinterlassen. In anderen F\u00e4llen wird nicht mit gleicher Sicherheit anzugeben sein, warum die zu einer bestimmten Aktion f\u00fchrenden Bahnen besonders beg\u00fcnstigt sind,\n1 S. 31 und an zahlreichen anderen Stellen.\n* Pick : Troubles de la conscience etc. Ann. meet, psych. 1903. S. A. S. 10.\nZeitschrift fur Psychologic 89.\t12","page":177},{"file":"p0178.txt","language":"de","ocr_de":"178\nKarl Bdlbronntr,\nwarum also gelegentlich, wie auch Pick festgestellt hat (S. 20), der Kranke gegen einen Revolver und eine Zigarre bl\u00e4st \u201egeradeso wie er perseveratorisch sich so h\u00e4tte verhalten k\u00f6nnen, wenn er vorher z. B. einmal ein Streichh\u00f6lzchen ausgeblasen h\u00e4tte\u201c. Man kann h\u00f6chstens, ohne damit freilich viel zu erkl\u00e4ren, darauf hin-weisen, dafs die gew\u00f6hnlichen, nicht perseveratorisch bedingten geordneten Fehlreaktionen der Asymboliker fast ausnahmslos sehr h\u00e4ufig ge\u00fcbten und dadurch beg\u00fcnstigten Bewegungen entr sprechen ; (ich habe nie weibliche Kranke alle m\u00f6glichen Gegenst\u00e4nde \u201erauchen\u201c sehen, wie das von den m\u00e4nnlichen fast in jedem Protokolle berichtet wird). Wichtig erscheint als Resultat all dieser \u00dcberlegungen nur das eine, dafs das Zustandekommen dieser Aktionen eine immerhin nicht allzu kleine Zahl sensorischmotorischer Verbindungen zur Voraussetzung hat, und dafs sie mit einer wirklichen Absperrung des Sensomotoriums nicht mehr vereinbar w\u00e4ren. Einige M\u00f6glichkeiten, der Genese einzelner dieser \u201ebevorzugten\u201c Reaktionen n\u00e4her zu kommen, habe ich fr\u00fcher (1. c. S. 59) schon erw\u00e4hnt.\nBez\u00fcglich der Auflassung dieser nicht sensorisch bedingten, gleichwohl aber auch des im engeren Sinne motorischen Charakters entbehrenden Asymbolien wird man, glaube ich, zurzeit nicht weiter gehen d\u00fcrfen, als dafs man sie, wie ich es seinerzeit f\u00fcr meinen ersten Fall angedeutet habe, als Leitungs-asymbolien bezeichnet1; darauf, dafs bestimmte Symptomen-gruppierungen auch innerhalb der f\u00fcr diese St\u00f6rung in Anspruch zu nehmenden Fasersysteme eine gewisse Lokalisation erm\u00f6glichen k\u00f6nnen, habe ich bei der eingehenderen Analyse des Falles auf Grund des differenten Verhaltens des Kranken beim Lesen und Benennen von Gegenst\u00e4nden einerseits, beim Schreiben und Hantieren der Gegenst\u00e4nde andererseits, schon hingedeutet ; ich nahm an, dafs die Sch\u00e4digung von den sensorischen, insbesondere optischen Regionen nach der Gegend der Armzentra erheblich gr\u00f6fser sein m\u00fcsse als von der sensorischen Region nach den basaler hegenden Zentren der Sprachbewegungen (1. c. S. 48).\nGanz abgesehen von der praktischen Scheidung im Einzelfall ergibt sich aus dem Vorstehenden, dafs auch theoretisch die Scheidung dieser Leitungsasymbolien von der Liep-\n1 1. c. S. 1015.","page":178},{"file":"p0179.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n179\nmann sch en motorischen Apraxie nicht strenge durch-gef\u00fchrt werden kann. Gemeinsam ist beiden die Intaktheit der sensorischen Seite, die allerdings eine praktisch vielleicht doch nicht ganz bedeutungslose Einschr\u00e4nkung insofern erf\u00e4hrt, als die Mitverwertung der Tasterinnerungen f\u00fcr das Erkennen bei der LiEPMANNs\u00e7hen Form fast g\u00e4nzlich aufgehoben, bei der anderen in mehr weniger hohem Grade gesch\u00e4digt sein mufs. Gemeinsam ist beiden ferner die Intaktheit des Sensomotoriums ; der Unterschied, der zwischen beiden besteht, ist ein gradueller, abh\u00e4ngig von dem Grade der St\u00f6rung in den Verbindungsbahnen zwischen den rein sensorischen Abschnitten und dem Sensomotorium ; je vollst\u00e4ndiger und je ausschliefslicher diese Verbindung unterbrochen ist, desto reiner wird sich das von Liep-mann gezeichnete Bild darstellen. Die Bedeutung des Liepmann-schen Falles liegt gerade darin, dafs die L\u00e4sion hier so vollst\u00e4ndig und ausschliefslich die angegebenen Verbindungen getroffen haben mufs, als dies aus anatomischen Erw\u00e4gungen eben noch erwartet werden kann. Ohne auf anatomische Details einzugehen, m\u00f6chte ich hier nur ganz kurz darauf hin-weisen, dafs jeder weiter, nach den sensorischen Abschnitten reichende Herd notwendig auch die gegenseitigen Verbindungen der rein sensorischen Abschnitte st\u00f6ren w\u00fcrde, so dafs also auch sensorisch-asymbolische (agnostische) St\u00f6rungen nach dem Typus der LissAUEEschen1 assoziativen Seelenblindheit entstehen m\u00fcfsten; (derartige St\u00f6rungen werden sich auch tats\u00e4chlich, wie ich fr\u00fcher schon darzulegen versuchte, auch bei der Leitungsasymbolie ein-stellen m\u00fcssen, und ihr den gemischten, von der motorischen Apraxie abweichenden Typus verleihen). Ein weiter nach vorne sich erstreckender Herd w\u00fcrde andererseits zu wirklichen Ausfallserscheinungen in der taktilen Sensibilit\u00e4t und zu paretischen resp. ataktischen St\u00f6rungen Anlafs geben; wie weit der Herd in Liepmanns Falle seine Wirkungen nach vorne erstreckte und damit dem Sensomotorium auch anatomisch nahe gekommen sein mufs, ergibt sich \u2014 abgesehen von dem sp\u00e4ter erhobenen Sektionsbefund * * \u2014 schon daraus, dafs der Kranke tats\u00e4chlich anfangs als Nachbarschaftssymptome Sensibilit\u00e4tsst\u00f6rungen und \u201ege-\n1 Lis8a\u00fcsr: Ein Fall von Seelenblindheit nebet einem Beitrage zur Theorie derselben. Arch. f. Psychiatrie 21, S. 222.\n* Neurol. ZentralM. 16, 8. 614.\n12*","page":179},{"file":"p0180.txt","language":"de","ocr_de":"180\nKarl Heilbronner.\nringe Ataxie\u201c (S. 36) und im weiteren Verlaufe ataktische St\u00f6rungen im Arm und paretische im Bein zeigte.\nDie Berechtigung der vorstehenden \u2014 wie ich mir nicht verhehle, vielfach rein theoretischen \u2014 \u00dcberlegungen erhellt erat im Zusammenhalt mit den einschl\u00e4gigen Erw\u00e4gungen und hier auch etwas ausgebreiteteren Erfahrungen \u00fcber die Aphasie, auf die deshalb noch eingegangen werden mufs.\nLiepmann meint, man k\u00f6nne die Apraxie als Aphasie der Extremit\u00e4ten bezeichnen, wobei dieselben Variet\u00e4ten Vorkommen d\u00fcrften, wie sie die Aphasie in ihren verschiedenen Formen aufweise. Ich glaube nun, nicht fehlzugehen in der Annahme, dafe die von Liepmann begr\u00fcndete Form die Variet\u00e4t darstellt, welche der transkortikalen motorischen Aphasie gleichzusetzen w\u00e4re. Wie diese setzt sie ihrem Wesen nach die Intaktheit des Exekutivorganes voraus. Mit ihr teilt sie aber auch noch eine weitere Eigent\u00fcmlichkeit: das Erhaltenbleiben der \u201eEigenleistungen\u201c. Ich habe auf diese Erscheinungen gerade bei einem Falle transkortikaler motorischer Aphasie aufmerksam gemacht ; neuerdings hat Webnicke1 die F\u00e4higkeit zum Reihenaufsagen als eines der Charakteristika dieser Form bezeichnet. Die \u00dcbereinstimmung h\u00f6rt allerdings auf, wenn man entsprechend dem erhaltenen Nachsprechen auch die erhaltene F\u00e4higkeit verlangt, vorgemachte Bewegungen nachzumachen. Gerade diese F\u00e4higkeit ist ja bei Liepmanns Kranken besonders gest\u00f6rt. Ich glaube, man wird diese Inkongruenz bei n\u00e4herem Zusehen sehr leicht erkl\u00e4rbar, vielleicht selbstverst\u00e4ndlich finden. Die beiden Aufgaben sind nur \u00e4ufserlich und scheinbar gleichzusetzen : das Nachsprechen stellt eine sehr einfache, leichte und eindeutig bestimmte Aufgabe dar; im Gegens\u00e4tze dazu ist (vgl. Liepmann S. 49) die Aufgabe, eine gesehene Bewegung nachzuahmen, relativ kompliziert. Dem Nachsprechen analog zu setzen w\u00e4re auf dem Gebiete der Extremit\u00e4tenbewegungen die Nachahmung der Bewegung eines Armes mit dem anderen und sie m\u00fcfste, vorausgesetzt, dafs die Aufgabe verst\u00e4ndlich gemacht werden kann, auch erfolgen k\u00f6nnen, wenn die Verbindung der beiderseitigen Extremit\u00e4tenzentren intakt w\u00e4re. (In diesem Falle w\u00fcrde\n'Wernicke: Der aphasische Symptomenkomplex. Deutsche Klinik 6, S. 507.","page":180},{"file":"p0181.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n181\nvoraussichtlich auch wenigstens bei gel\u00e4ufigen zweih\u00e4ndigen Manipulationen die gesch\u00e4digte Hand noch zu Leistungen f\u00e4hig sein, die sie allein ohne die gesunde nicht vollbringen k\u00f6nnte. In Liepmanns Falle war auch diese Verbindung zum mindesten auf der H\u00f6he des Zustandes [vgl. dagegen S. 65] aufser Funktion gesetzt.)\nMan kann die Differenz zwischen Nachsprechen und Nachahmen von Bewegungen ohne Schwierigkeit aus anatomischen Gr\u00fcnden verst\u00e4ndlich machen; man kann sich aber auch auf die Tatsache berufen, dafs das Sprechen auf dem Wege des Nachsprechens erlernt wird, w\u00e4hrend f\u00fcr das Erlernen der Willk\u00fcrbewegungen der Extremit\u00e4ten ganz andere Bedingungen gegeben sind und das Nachmachen von gesehenen Bewegungen jedenfalls erst in einem viel sp\u00e4teren Zeitpunkt bedeutsam wird. Dem entspricht es, dafs bei aphasischen Kranken, wie bei Psychosen, die Echolalie eine recht h\u00e4ufige Erscheinung darstellt, w\u00e4hrend die Echopraxie schon bei Psychosen viel seltener ist und bei organischen Erkrankungen des Gehirns, wenn \u00fcberhaupt, jedenfalls nur ausnahmsweise Vorkommen wird.\nEine Differenz besteht allerdings zwischen den Eigenleistungen des motorischen Sprachzentrums und der Extremit\u00e4tenregionen. Wenigstens f\u00fcr die Produktion einer gerade verlangten sprachlichen Reihe wird noch irgend eine Verbindung mit sensorischen Abschnitten n\u00f6tig sein, die den entsprechenden Reiz aufnehmen ; das Sensomotorium der Extremit\u00e4ten aber wird bei der engen anatomischen Verbindung sensibler und motorischer Elemente seine spezifischen Eigenleistungen auch ohne jede Verbindung mit anderen Zentren entfalten k\u00f6nnen. Darum w\u00fcrde sich auch eine ganz reine LiEPMANNsche Form von Apraxie mit absoluter Absperrung des Sensomotoriums noch klinisch diagnostizieren lassen, w\u00e4hrend eine absolute Abschneidung des motorischen Sprachzentrums ebensowohl Nachsprechen wie Reihenleistungen aufheben und damit zu einem klinischen Bilde f\u00fchren m\u00fcfste, das sieh nicht mehr von dem sonst als kortikale motorische Aphasie bezeichneten unterscheiden w\u00fcrde; die Diagnose der transkortikalen Genese liefse sich also jedenfalls aus den aphasischen Erscheinungen selbst nicht unmittelbar stellen. Mit der M\u00f6glichkeit eines solchermafsen entstehenden Ausfalls der motorischen Sprachfunktion rechnet auch Ltepmaxn : er erkl\u00e4rt (S. 59) die Sprachst\u00f6rung seines Patienten mit der Annahme, dafs die","page":181},{"file":"p0182.txt","language":"de","ocr_de":"182\nKarl MeilbroMer-\n\u201eSprachbewegungs Vorstellungen\u201c (die \u201ematerielle Assoziation der kin\u00e4sthetischen Elemente, welche das wiederholte Aussprechen eines Wortes hinterl\u00e4fst\u201c nach seiner eigenen Definition) selbst erhalten sind und nur nicht geweckt werden k\u00f6nnen. Es ist hier nicht der Ort, darauf einzugehen, ob die Annahme in dem speziellen Falle zu Recht besteht und auch Liepmann hat davon abgesehen, der Frage, die mit den schwierigsten Problemen der Aphasiefrage verkn\u00fcpft sei, n\u00e4her zu treten. Ganz kurz aber darf die Frage gestreift werden, ob sich vielleicht die von Liepmann f\u00fcr den speziellen Fall gemachte Annahme generell auf die Auffassung des gel\u00e4ufigen Bildes der motorischen Aphasie \u00fcberhaupt \u00fcbertragen l\u00e4fst. Ich gestehe n\u00e4mlich, dafs ich, je mehr ich mich mit dem Detailstudium der motorischen Aphasie besch\u00e4ftigt habe, immer h\u00e4ufiger bei mir selbst eine derartige Auffassung diskutiert habe, die zweifellos geeignet w\u00e4re, eine Reihe von Schwierigkeiten in der Beurteilung des Krankheits-bildes zu eliminieren; bis jetzt aber bin ich immer wieder zu dem Resultate gekommen, dafs sich die grofse Mehrzahl der Symptome (vor allem die R\u00fcckbildungserscheinungen und Abortivformen) damit erst recht nicht vereinigen liefsen. Ich glaube zun\u00e4chst noch, dafs wir nicht berechtigt sind, generell eine Erkl\u00e4rung der motorischen Aphasie aufzustellen, die mit der von Bboca, Meynebt und Webnicke begr\u00fcndeten, damit aber auch mit einer grofsen Reihe all der Vorstellungen brechen w\u00fcrde, die wir gerade daraus uns \u00fcber das Geschehen in der Hirnrinde gebildet haben.\nTats\u00e4chlich besteht auch, wenn meine fr\u00fcheren \u00dcberlegungen richtig sind, ein Analogon zur corticalen motorischen Aphasie in den jenigen Formen der Apraxie, indenen auch die Eigenleistungen des Sensomotoriums gest\u00f6rtsind. Gerade die F\u00e4lle unvollst\u00e4ndiger motorischer Aphasie liefern auf sprachlichem Gebiete das Pendant zu den apraktischen Bewegungsst\u00f6rungen im engsten Sinne; bezeichnenderweise beobachtet man auch hier bei Sprechversuchen so h\u00e4ufig das Grimassieren, das Analogon der vertrackten Bewegungen, die bei Liepmanns Kranken nur bei den Leistungen auftreten, welche von nicht sensomotorischen Regionen aus beeinflufst und dadurch gest\u00f6rt werden (vgl. auch Pick S. 119), in den der kortikalen Aphasie entsprechenden F\u00e4llen von Apraxie aber gerade auch bei den Eigenleistungen auftreten; man k\u00f6nnte sie","page":182},{"file":"p0183.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n183\nals Grimassen der Extremit\u00e4ten bezeichnen; es er\u00fcbrigt sich, hier nochmals auf alle Analogien einzugehen, welche die beiden Erscheinungen die unvollst\u00e4ndige kortikale motorische Aphasie und die hier gemeinte \u201ekortikale\u201c Apraxie zeigen. Ich m\u00f6chte auch nicht tiefer in die Frage eingehen, ob praktisch auch eine der totalen motorischen Aphasie analoge Form der Apraxie erwartet werden kann; theoretisch w\u00e4re sie konstruierbar und h\u00e4tte dann in einem totalen Ausfall aller komplizierteren, erlernten Bewegungskomplexe zu bestehen; aus anatomischen Erw\u00e4gungen glaube ich, dafs sie wenigstens auf Grund organischer L\u00e4sionen kaum Vorkommen wird. Warum ein derartiger Totalausfall der Sprachbewegungsvorstellungen bei L\u00e4sion einer zirkumskripten Stelle gleichwohl relativ h\u00e4ufig eintritt, warum die Sprachbewegungen eine derartige Sonderstellung einnehmen, warum sie insbesondere (von verschwindenden Ausnahmef\u00e4llen abgesehen) nicht wieder erlernt werden k\u00f6nnen, entzieht sich noch unserer Kenntnis; die Frage h\u00e4ngt enge mit der oben gestreiften zusammen, wie die Funktion der Bbocasehen Stelle oder des vielleicht noch etwas dar\u00fcber hinausreichenden motorischen Sprachzentrums im Verh\u00e4ltnis zu den motorischen Zentren f\u00fcr die sonstigen Bewegungen der beim Sprechakte t\u00e4tigen Muskulatur aufzufassen ist. In irgend einerWeise wird man zun\u00e4chst wohl zur Erkl\u00e4rung immer wieder auf die jetzt wohl hinreichend erh\u00e4rtete Tatsache verweisen m\u00fcssen, dafs die nichtsprachlichen Bewegungen der Lippen, Zunge usw. in weitgehendem Mafse doppelseitig auch von einer Hemisph\u00e4re aus innerviert werden k\u00f6nnen, w\u00e4hrend dem Sprachakt nur eine bestimmte Region der linken Hemisph\u00e4re vorsteht. \u25a0 Aus der doppelseitigen Vertretung der Mund- etc. Muskulatur m\u00fcssen wir es ja auch erkl\u00e4ren, dafs die Sprache trotz einer rechtsseitigen zerebralen Affektion \u2014 wenigstens nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne \u2014 ganz oder fast ganz ungesch\u00e4digt sein kann. Diese \u00dcberlegungen f\u00fchren aber noch zu einer weiteren, die vielleicht auf die hier vertretene Auffassung noch einiges Licht wirft, zur Frage, wo wir auf sprachlichem Gebiete das Analogon der kortikalen paretisch-ataktischen St\u00f6rungen der Extremit\u00e4tenmuskulatur zu suchen haben: konstant und einwandfrei meiner Auffassung nach in den artikulatorischen St\u00f6rungen, die man bei doppelseitigen St\u00f6rungen der entsprechenden Rindenterritorien beobachtet. Erst","page":183},{"file":"p0184.txt","language":"de","ocr_de":"184\nKarl He\u00fcbronncr.\ndiese bedingen eine tats\u00e4chlich paretische Sprachbehinderung.1 Auf anderem Wege gelangen wir hier wieder zu gewissen Beziehungen der hier zur Er\u00f6rterung stehenden Erscheinungen zu den pseudobulb\u00e4rparalytischen. Auf die Anhaltspunkte f\u00fcr die \u2014 oft recht schwierige \u2014 Differentialdiagnose einzugehen, ist hier nicht der Ort.\nDie Leitungsasymbolien lassen sich unschwer mit denjenigen verschiedenen Formen von Aphasien analogi\u00dfieren, die man als transkortikale bezeichnet. Die LiEPMAUNsche Form stellt davon, wie oben ausgef\u00fchrt, eine besonders gut charakterisierte Unterart dar; wie ich fr\u00fcher f\u00fcr einen von mir beobachteten Fall von transkortikaler motorischer Aphasie angenommen, dafe er \u201edas Maximum der ohne Mitbeteiligung der BaocAschen Stelle erkl\u00e4rbaren St\u00f6rung des expressiven Teiles der Sprachfunktion darstelle\u201c, wird man wohl auch von Liepmanns Fall annehmen d\u00fcrfen, dafs er das Maximum der ohne Sch\u00e4digung des Senso-.motoriums selbst denkbaren St\u00f6rung der Willk\u00fcrbewegung zeigt. Sie ist \u00fcbrigens, wie beil\u00e4ufig bemerkt sei, die einzige von all den denkbaren Leitungsasymbolien, die ein derart streng umschriebenes Bild zu liefern vermag; ein striktes Analogon der transkortikalen sensorischen Aphasie, eine reine transkortikale Agnosie ist aus anatomischen Gr\u00fcnden kaum denkbar; sie w\u00fcrde eine allgemeine Trennung aller Sinnesfl\u00e4chen aus ihrem gegenseitigen Verb\u00e4nde voraussetzen und dabei m\u00fcfsten, ganz abgesehen von den L\u00e4sionen zentripetaler und zentrifugaler Pro-jektionsfasem notwendig auch sensorisch-motorische Verbindungen zerst\u00f6rt werden. Aus dem gleichen Grunde kann auch ein\n1 F\u00fcr die Beurteilung der hier behandelten Verh\u00e4ltnisse w\u00e4re es wichtig, genauer darauf zu achten, wieweit bei diesen verschiedenen St\u00f6rungen individuelle, der Handschrift gleichzusetzende Eigent\u00fcmlichkeiten erhalten sind. Bei den meisten Aphasischen bleiben nicht nur die dialektischen, sondern anscheinend auch die individuellen Eigent\u00fcmlichkeiten der Sprechweise erhalten; gewisse \u201emotorische Komplexe\u201c scheinen also immer noch zu persistieren, wie man ja auch aus dem unverst\u00e4ndlichsten literalparaphasischen Kauderwelsch noch die Landessprache heraus erkennt, was mir schon fr\u00fcher gelegentlich aus Picks Mitteilungen \u00fcber czechische Kranke hervorzugehen schien und jetzt aus eigener Erfahrung an zahlreichen holl\u00e4ndisch sprechenden Aphasischen unzweifelhaft geworden ist. Diese individuellen Eigent\u00fcmlichkeiten scheinen dagegen durch Sprachst\u00f6rung infolge Parese besonders stark beeintr\u00e4chtigt zu werden. Auch die analogen Verh\u00e4ltnisse der Handschrift verdienen Beachtung.","page":184},{"file":"p0185.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n185\nAnalogon der reinen Leitungsaphasie auf dem Gebiete der Apraxie nicht einmal theoretisch angenommen werden; die Lei-tungsasvinbolie, die ich annehme, stellt im Verh\u00e4ltnis zur Leitungsaphasie einen viel umfassenderen Komplex von St\u00f6rungen dar.\nIm allgemeinen l\u00e4fst sich auch bez\u00fcglich der asymbolischen St\u00f6rungen eine Erfahrung best\u00e4tigen, die man bei den verschiedenen Formen der Aphasie zu machen Gelegenheit hat ; je n\u00e4her die St\u00f6rung den motorischen Gegenden r\u00fcckt, desto 'mehr \u00fcberwiegt \u2014 einigermafsen gleiche Intensit\u00e4t der Sch\u00e4digung vorausgesetzt, \u2014 die St\u00f6rung im Gef\u00fcge des motorischen Effektes, bis -dieser zuletzt auch in seinen Elementen gesch\u00e4digt wird, je weiter die Sch\u00e4digung an das sensorische Ende r\u00fcckt, desto mehr \u00fcberwiegt gegen\u00fcber der eigentlichen Bewegung sSch\u00e4digung die BewegungsVerwechslung. Eine leichte L\u00e4sion in der Gegend der BaocAschen Stelle kann f\u00fcr die Spontansprache zu literaler Paraphasie f\u00fchren, zu einem Kauderwelsch, wie es die L\u00e4sion der WERMCKEschen Stelle nur bei sehr schwerer Affektion und vielleicht nur bei Mitbeteiligung der Insel, also Ausbreitung der L\u00e4sion gegen die motorische Seite zu st\u00e4nde kommen l\u00e4fst; dagegen kommt die verbale Paraphasie, die Wortverwechslung als Ausdruck einer frontal-wftrts gelegenen L\u00e4sion \u2014 wenn \u00fcberhaupt? \u2014 nur ganz ausnahmsweise vor, sie ist typisch f\u00fcr die \u00dfestitutionsperioden der sensorischen Aphasie, noch mehr f\u00fcr die hinter der Wernicke-schen Stelle gelegenen L\u00e4sionen, welch letztere kaum zu literaler Paraphasie f\u00fchren. Dem Sensomotorium kommt auf die Auswahl der auszuf\u00fchrenden Bewegung ebensowenig ein Einflufs zu als dem BKOCAschen Zentrum auf die Wortwahl.\nEine unschwer verst\u00e4ndliche Ausnahme von der allgemeinen Regel bilden die Eigenleistungen, sofern sie im Einzelfalle tats\u00e4chlich als solche ablaufen; sie werden erst dann gest\u00f6rt, wenn das Sensomotorium selbst affiziert wird; dagegen werden sie in demselben Mafse wie alle anderen gest\u00f6rt werden, wenn sie abschnittweise auf gewissermafsen exogene Erregungen hin ablaufen sollen. Das typischste, t\u00e4glich zu beobachtende Beispiel bildet der Aphasische, der tadellos die Zahlenreihe auf-","page":185},{"file":"p0186.txt","language":"de","ocr_de":"186\nKarl HeillroiMter.\nsagt, und schon bei der \u201eleichten\u201c Aufgabe, eine der eben gesagten Zahlen nachzusprechen, geschweige denn, sie assoziativ zu produzieren, scheitert. Auf dem Gebiete der Apraiie liefert namentlich der Kranke Liepmanns zahlreiche analoge Beispiele; auf Geheifs, d. h. vom Sprachzentrum aus, gelingen sie meist \u00fcberhaupt nicht.\nDie Frage, welche Form der St\u00f6rung am h\u00e4ufigsten zu wirklichem Bewegungsausfall (Akinese im Gegensatz zur Apraxie) f\u00fchrt, bedarf bez\u00fcglich der asymbolischen St\u00f6rungen weiterer Untersuchung. Bez\u00fcglich der Aphasischen ist der Unterschied zwischen Kranken mit mehr sensorischen und mehr motorischen Formen auch nach Abzug der \u00fcberhaupt nicht mehr sprechenden oder auf Wortreste Beschr\u00e4nkten \u201eAphemischen\u201c so in die Augen fallend, dafs bekanntlich Pick 1 das akustische Sprachzentrum als Hemmungsorgan des Sprachmechanismus bezeichnet hat. Bez\u00fcglich der Apraxie scheint ein so einfaches Verh\u00e4ltnis nicht zu bestehen. Die unter Umst\u00e4nden bis zur Flexibilit\u00e9s gesteigerten Ausfallserscheinungen, insbesondere auch das Verharren in selbst eingenommenen Stellungen sind jedenfalls nicht nur bei den Apraktischen mit vorwiegend motorischen St\u00f6rungen zu beobachten ; ich habe sie beide bei meinem ersten Kranken beschrieben ; andererseits ist der rechtsseitig Apraktische Liepmanns, \u201eerstaunlicherweise\u201c wie L. selbst bemerkt, trotzdem Rechtsh\u00e4nder geblieben. Einen gewissen Bewegungsausfall beobachtet man allerdings nach einer Richtung ganz gew\u00f6hnlich: die Eigent\u00fcmlichkeit, dafs die Kranken, auch wenn sie mit den Gegenst\u00e4nden absolut nichts anzufangen wissen, sie meist nicht weglegen (NB. nicht etwa: nicht weglegen k\u00f6nnen). Dafs letzteres f\u00fcr viele F\u00e4lle jedenfalls nicht zutrifft, ergibt sich daraus, dafs sie auf Auffordern, Entgegenhalten der Hand oder dgl. sich prompt ihrer Last entledigen; dafs nicht eine im engsten Sinne apraktische Bewegungsst\u00f6rung vorliegt, beweist die leicht nachzupr\u00fcfende Beobachtung, dafs die Kranken sich unter dem Manipulieren oft noch die allerverschiedensten Gegenst\u00e4nde in die Hand stopfen lassen und sie mit einer fast raffinierten Geschicklichkeit festzuhalten wissen. Was fehlt, ist die Initiative. Die Erscheinung einfach auf Benommenheit, Bewufstseinstr\u00fcbung zur\u00fcckzuf\u00fchren, w\u00fcrde nat\u00fcrlich keine Er-\n1 Wiener klin. Wochenschrift 1899, Nr. 37.","page":186},{"file":"p0187.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n187\nkl\u00e4rung bedeuten; ich besch\u00e4ftige mich zudem jetzt seit Monaten mit einem sehr lebhaften, nicht im entferntesten benommenen Kranken, der die Erscheinung geradezu klassisch zeigt. Sie ist so h\u00e4ufig, dafB es mir einen geradezu fremdartigen Eindruck machte, als neuerdings eine andere Kranke Gegenst\u00e4nde, mit denen sie nichts anzufangen wufste, regelm\u00e4fsig sorgf\u00e4ltig und stets an derselben Stelle vor sich niederlegte. Auch bei ihr fehlt ein Analogon \u00fcbrigens nicht: steckt man ihr n\u00e4mlich mehrere Perkussionsh\u00e4mmer in den Kragen ihrer Jacke, so dafs die Stiele an ihr Kinn stofsen, so macht sie keinen Versuch, sie zu entfernen, trotzdem sie ihr sichtlich unbequem und l\u00e4stig sind: sie hebt eben den Kopf soweit, dafs er der Ber\u00fchrung mit den Stielen ausweicht.\nNoch auf ein Moment, das gerade bei der Entscheidung der Frage nach der motorischen Natur apraktischer St\u00f6rungen Beachtung verdient, m\u00f6chte ich kurz eingehen: das Verhalten des Kranken aufserhalb des eigentlichen Examens. Man wird nicht vergessen d\u00fcrfen, dafs das Krankenexamen immerhin besondere Verh\u00e4ltnisse schafft, und dafs es daher kaum, so wenig wie irgend ein anderes Examen, geeignet ist, jeweils das Maximum vorhandenen K\u00f6nnens in die Erscheinung treten zu lassen. Derartige Beobachtungen sind auch sonst gel\u00e4ufig: dem Kranken (eventuell auch Gesunden), der \u201eim Laufe des Gespr\u00e4chs\u201c anstandslos ein Wort gebraucht, das sich verlangt und gesucht absolut nicht einstellen wollte, entspricht der Asym-boliker, der geordnet am gemeinsamen Mittagstisch mit ifst, w\u00e4hrend er beim Examen mit dem L\u00f6ffel im Gem\u00fcse Schreibversuche macht. Man wird nun im allgemeinen wohl mit der Annahme nicht fehlgehen, dafs auch diese Besserung der Resultate unter gel\u00e4ufigen Verh\u00e4ltnissen sich um so deutlicher markieren wird, je weiter die (nat\u00fcrlich auch hier nicht einer totalen Funktionsaufhebung gleichkommende) L\u00e4sion nach der sensorischen Seite r\u00fcckt; dagegen m\u00f6chte ich eine Annahme nicht mehr voll aufrechterhalten, die ich fr\u00fcher1 ge\u00e4ufsert, dafs die gr\u00f6fsere Zahl von Partialreizen in gewohnter Zusammenstellung die Reaktion einseitig nur durch den g\u00fcnstigen Einflufs auf das Wiedererkennen verbessere. Die diesbez\u00fcglichen Beobachtungen Liepmanns haben mich \u00fcberzeugt, dafs dieser\n1 Demenz und Aphasie. Archiv f. Psychiatr. S3, 2. H.","page":187},{"file":"p0188.txt","language":"de","ocr_de":"188\nKarl Hellbrauner.\ng\u00fcnstige Einflufs auch da eintreten kann, wo eine St\u00f6rung des Erkennens \u00fcberhaupt nicht vorliegt. Man wird ihn nach dem Befunde an Liepmanns Kranken nicht nur bei den F\u00e4llen von Leitungsasymbolie, sondern gelegentlich auch noch bei der Leep-MANNschen Form erwarten d\u00fcrfen \u2014 nicht mehr bei der kortikalen motorischen Apraxie (wieder entsprechend den Verh\u00e4ltnissen bei der Aphasie).\nGanz analoge Erw\u00e4gungen wie bez\u00fcglich der Apraxie im allgemeinen lassen sich bez\u00fcglich der instrumentalen Amusie anstellen, die ja als Sonderfall der Apraxie \u00fcberhaupt aufgefafst werden kann. Als Eigenleistung des Sensomotoriums stellt sich hier das Auswendigspielen eines St\u00fcckes dar, das der Spieler \u201ein den Fingern hat\u201c und das ich schon fr\u00fcher als Paradigma derartiger Eigenleistungen angef\u00fchrt. St\u00f6rung innerhalb des Sensomotoriums m\u00fcfste diese F\u00e4higkeit auf-heben. Verschieden lokalisierte Unterbrechung der Verbindungsbahnen mit der \u00fcbrigen Hirnrinde k\u00f6nnte theoretisch zu einer Reihe verschieden gestalteter Unterformen Veranlassung geben (analog wie bei den mannigfachen theoretisch m\u00f6glichen Formen der transkortikalen Aphasie), auch wenn man von jeder selbst\u00e4ndigen Sch\u00e4digung dieser anderweitigen Hirnprovinzen absieht : es k\u00f6nnte isoliert gesch\u00e4digt sein die F\u00e4higkeit nach Noten zu spielen, eine geh\u00f6rte Melodie nachzuspielen, eine \u00dcbung nachzumachen, die dem Patienten beispielsweise auf dem \u201estummen Klavier\u201c oder mit fettem Bogen vorgemacht wurde etc.; die weitere Ausf\u00fchrung erscheint \u00fcberfl\u00fcssig, da reine F\u00e4lle der einen oder anderen Form nur bedingt durch Leitungsunterbrechung kaum zu erwarten sind (anders bei St\u00f6rungen in akustischen, optischen etc. Gebieten). Eine einigermafsen totale, wieder in der Umgebung des Sensomotoriums zu suchende L\u00e4sion w\u00fcrde all diese F\u00e4higkeiten aufheben, sie m\u00fcfste aber das mechanische Auswendigspielen fortbestehen lassen. Es ist nun sicher eine bemerkenswerte, auch von Pick (S. 127) hervorgehobene Erscheinung, dafs Liepmanns Kranker, wenn auch fehlerhaft, doch immerhin Melodien spielen konnte, w\u00e4hrend die beiden instrumental amusischen Kranken Picks, trotzdem sie die Geige erkannten und einigermafsen richtig ansetzten, zum Spielen aufser st\u00e4nde waren. Ob Liepmanns Kranker von Noten spielen konnte, ist leider nicht angegeben ; die nach allen \u00fcbrigen Beobachtungen nur zu vermutende Unf\u00e4higkeit dazu","page":188},{"file":"p0189.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n189\nxn\u00fcfste besonders festgestellt sein, um die Annahme einer (gleichfalls transkortikalen) Amusie berechtigt erscheinen zu lassen. Jedenfalls ist die Tatsache allein schon wichtig genug, dafs ein Kranker, der seine Hand noch nicht dazu gebrauchen kann, um die Nase zu zeigen, und statt dessen nur mit der Hand \u201eunter fortw\u00e4hrendem Spreizen der Finger in der Luft umherfuchtelt\u201c, mit derselben Hand auf dem Klaviere erkennbare Melodien produziert.\nAn die Beziehungen der Apraxie zur Schreibf\u00e4higkeit, die in Liepmanks Falle bezeichnenderweise als solche gleichfalls erhalten war, m\u00f6chte ich hier nur ganz kurz erinnern ; zu einigen hier einschl\u00e4gigen Erw\u00e4gungen hat mir schon fr\u00fcher1 die Besprechung der transkortikalen motorischen Aphasie Anlafs gegeben.\nNach all dem oben Ausgef\u00fchrten w\u00fcrden sich, wenn man die Gesamtheit der in Betracht kommenden Erscheinungen als asymboli8che bezeichnet, schematisch die folgenden Symptomengruppen aufstellen lassen:\nI.\tKortikale Apraxie (= kortikale motorische Asymbolie); sie ist charakterisiert durch die Sch\u00e4digung der Eigenleistungen des Sensomotoriums und das \u00dcberwiegen der parakinetischen Erscheinungen bei allen Bewegungsformen.\nSie d\u00fcrfte der theoretisch konzipierten motorischen Asymbolie Meynebts entsprechen.\nII.\tTranskortikale Apraxie (transkortikale motorische Asymbolie); sie ist charakterisiert durch die Intaktheit der Eigenleistungen des Sensomotoriums ; komplizierte Willk\u00fcrbewegungen gelingen \u00fcberhaupt nicht, statt dieser erfolgen vertrackte Bewegungen (Parakinesen).\nSie wird repr\u00e4sentiert durch den LiEPMANNschen Kranken.\nI und II k\u00f6nnen einseitig und auch eventuell durch L\u00e4sion einer Hemisph\u00e4re (bei II -f- Balkenl\u00e4sion) bedingt Vorkommen.\nIU. Leitungsasymbolien. Sie bieten die variabelsten Bilder. Charakteristisch sind die zahlreichen geordneten Bewegungsverwechslungen, h\u00e4ufig im Sinne des Haftenbleibeus. Para-kinetische Erscheinungen sind sp\u00e4rlich oder fehlen ganz.\nHierher geh\u00f6rt die \u00fcbergrofse Mehrzahl aller bisher beschriebenen F\u00e4lle.\n1 1. c. S. A. S. 68.","page":189},{"file":"p0190.txt","language":"de","ocr_de":"190\nKarl Hi-ilbrountr.\nIV. Agnosie (=sensorischeAs y mbolie), die Summe von Seelenblindheit, Seeleutaubheit usw. ; die Bewegungsst\u00f6rungen (Verwechslungen) k\u00f6nnen als sekund\u00e4r betrachtet werden.\nIII und IV setzen doppelseitige Sch\u00e4digungen voraus.\nEs bedarf nach allem fr\u00fcher Ausgef\u00fchrten wohl nicht noch maliger Betonung, dafs diese Gruppierung nicht abgeschlossene und different!aldiagnostisch voneinander zu scheidende Krank-heitsbilder im Auge hat. Im Gegenteil machen psychologische und anatomische Erw\u00e4gungen das Vorwiegen von \u00dcbergangsund Mischformen geradezu zu einem Postulat:\nDafs transkortikale Apraxie und Leitungsapraxie auch schematisch nicht streng getrennt werden k\u00f6nnen, ist schon oben erw\u00e4hnt; ein Fall von der relativen Reinheit des LraPMAKsschen wird schon eine grofse Ausnahme darstellen ; die Leitungs-asymbolie wird sich nach Malsgabe der anatomischen Verh\u00e4ltnisse sehr h\u00e4ufig mit agnostisehen Elementen verbinden; die Agnosie wird sich aus dem gleichen Grunde kaum ohne Erscheinungen von Leitungsasymbolie entwickeln k\u00f6nnen. Am ehesten w\u00e4re eventuell rein noch eine zirkumskripte (z. B. auf eine Hand beschr\u00e4nkte) kortikale Apraxie denkbar, aber auch dieser w\u00e4re dann voraussichtlich schon wieder ein fremdes Element (Tast* l\u00e4hmung) beigemengt, w\u00e4hrend andererseits eine totale sensorische Asymbolie (inklusive Tastl\u00e4hmung 1) kaum ohne gleichzeitige kortikal-apraktische St\u00f6rungen denkbar ist. Das eigent\u00fcmliche Verh\u00e4ltnis der sensiblen zu den motorischen Vertretungen der Extremit\u00e4ten (gleichviel, ob man sie promiscue oder nur in enger Nachbarschaft zueinander geschehen l\u00e4fst) schafft gerade die komplizierten Verh\u00e4ltnisse; ich weise hier nur nochmal darauf hin, dafs jede Leitungsasymbolie, also auch die transkortikale motorische Form, auch bei Fehlen anderweitiger agnosti-Bcher St\u00f6rungen die Tasterinnerungen aus dem Konnex mit den \u00fcbrigen sensorischen Feldern l\u00f6sen mufs.\nDiese schematischen Aufstellungen haben, wenn sie auch nicht zu bestimmten Krankheitsbildem f\u00fchren, einen gewissen Wert doch insofern, als sie uns bei den eventuell f\u00fcr jede Einzelreaktion anzustellenden Erw\u00e4gungen zu leiten haben, welche Territorien auf Grund des Ergebnisses als gesch\u00e4digt xu erachten sind, noch mehr welche Verbindungen zum mindesten noch erhalten sein m\u00fcssen, um ihr Zustande-","page":190},{"file":"p0191.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n191\nkommen \u2014 gleichviel ob sie richtig oder falsch war \u2014 zu erm\u00f6glichen.\nIch habe mich bem\u00fcht, soweit es irgend anging, meiner Darstellung nur das objektiv zu beobachtende Verh\u00e4ltnis von Reiz und Reaktion zugrunde zu legen, also von der Frage auszugehen, was der Kranke tut, wenn ihn auf einem resp. mehreren Sinnesgebieten der von Objekten ausgehende Reiz trifft; diese Erscheinungen habe ich mit den einfachsten Folgerungen aus den hirnphysiologischen Erfahrungen in Beziehung zu bringen versucht, die Liepmann (S. 50) berechtigterweise als Tatsachen in folgender Weise formuliert: \u201edafs die sensorischen und sensiblen1 Nerven bestimmt lokalisierte Endst\u00e4tten in der Rinde haben, ebenso die motorischen Nerven eine anderw\u00e4rts lokalisierte Ursprungsst\u00e4tte; dafs gewisse Verrichtungen des Menschen jedenfalls eine Kommunikation der motorischen mit den sensorischen und sensiblen Rindenfeldem erfordern.\u201c Ich habe ferner bei den Auseinandersetzungen wesentlich eine Besonderheit ber\u00fccksichtigt, die ich fr\u00fcher vermutet, die aber erst Liepmann, wie er mit Recht betont, erwiesen (S. 45), dafs gewisse oben ausf\u00fchrlich besprochene Verrichtungen unter Umst\u00e4nden ohne die interzerebrale Miterregung anderer Zentren rein als Eigenleistungen der wahrscheinlich zusammenfallenden zum mindesten in unmittelbarer gegenseitiger Nachbarschaft gelegenen Zentren der sensiblen und motorischen Fasern zu st\u00e4nde kommen k\u00f6nnen.\nIch bin, soweit m\u00f6glich, der Frage aus dem Wege gegangen, ob der Kranke im einzelnen Fall den Gegenstand, mit dem er hantieren soll, erkannt hat, ob er allgemein jeweils eine objektiv zweckgem\u00e4fse Bewegung bei seiner Aktion beabsichtigt hat, ob eine fehlerhafte Bewegung, die er gemacht, wenigstens subjektiv zweckentsprechend war und welche Gedanken ihn etwa bejahendenfalls, zur Verfolgung dieser objektiv un-zweckm\u00e4lsigen Bewegung veranlafst haben k\u00f6nnen. Ich glaube auch tats\u00e4chlich, dafs derartige Bem\u00fchungen nach Lage der Verh\u00e4ltnisse nicht weit f\u00fchren werden: Liepmann sagt mit Recht von seinem Falle (S. 39), und dasselbe l\u00e4fst sich auf alle analogen \u00fcbertragen, dafs man \u201esich nicht von dem einheitlichen ,Ich\u2018 der\n1 Sensorisch: = den sogen, h\u00f6heren Sinnen dienend, sensibel: = dem Haut- and sogen. Muskelsinn dienend (Liepmann).","page":191},{"file":"p0192.txt","language":"de","ocr_de":"192\nEarl Ht\u00fcbronncr.\nnormalen Psychologie, als dem Subjekt aller Bewufstseinserschei-nungen, alB einem vermeintlichen Punkt, in dem alle sensiblen Erregungen zusammenlaufen, von dem alle motorischen ausgehen, beirren lassen darf\u201c. Einen der lehrreichsten Beweise f\u00fcr die Berechtigung dieser Warnung gibt L. selbst sp\u00e4ter (S. 59 Anm. 1). \u201eBei dem Kranken bestimmt eine Vorstellung die Innervation, bleibt also in motorischer Richtung sieghaft, die in anderer Richtung, in dem Kampfe der Vorstellungen, aus dem der Glaube an die Realit\u00e4t hervorgeht, unterliegt.1\nLiepmann hat zur Veranschaulichung der Vorg\u00e4nge bei der Apraxie schon auf gewisse Vorkommnisse in der Zerstreutheit aufmerksam gemacht, Pick hat diese Analogien durch eine Reihe jedenfalls nahe verwandter Zust\u00e4nde vermehrt. Ein Behr sch\u00f6nes hierhergeh\u00f6riges Beispiel w\u00fcrde der bekannte Professor liefern, der am Sumpfrande, die Ohr in der Hand, die Pulsschl\u00e4ge eines Frosches gez\u00e4hlt hat und nach Beendigung seiner Untersuchung die Uhr in den Sumpf wirft, den Frosch aber in die Westentasche steckt. Ich glaube, es w\u00e4re ganz m\u00fcfsig, zu tragen, ob er den Frosch mit der Uhr, die Westentasche mit dem Sumpf, die rechte mit der linken Hand oder die Bewegung des Einsteckens mit der des Wegwerfens verwechselt hat. Jeder einzelne wird sich analoger, wenn auch minder drastischer eigener Erlebnisse erinnern; aber auch der beste Beobachter wird dann nicht angeben k\u00f6nnen, ob und was er dabei gedacht; man tut derartige Dinge eben \u201egedankenlos\u201c; das hypothetische \u201eIch\u201c ist daran imbeteiligt und es kann deshalb nachtr\u00e4glich keine Auskunft geben, was es dabei empfunden, gedacht oder gewollt hat. Viel h\u00e4ufiger wird es nachtr\u00e4glich gelingen, deu Bedingungen nachzugehen, die auf die Fehlreaktion von Ein-flufs gewesen sein k\u00f6nnen, aber dabei betrachten wir unser eigenes Handeln dann ebenso \u201eunpers\u00f6nlich\u201c, wie die Reaktionen des untersuchten Kranken und sind dabei denselben Irrt\u00fcmem in der Deutung ausgesetzt.\nMan wird deshalb auch nur ganz ausnahmsweise in der\n1 Ich kann nicht umhin, hier wenigstens ganz kurz darauf hinzuweisen, wie hier eine grobe dabei nicht einmal sehr ausgebreitete St\u00f6rung im Assoziationssystem das schafft, was Wernicke seiner Sejunktion zuschreibt. Sie schafft ein \u201egewissermafsen in Bruchst\u00fccke zerfallenes Bewufstsein' einen Zustand des \u201eZerfalls der Individualit\u00e4t\u201c (vgl. Wernicke: Grundrils der Psychiatrie, S. 89 u. 113).","page":192},{"file":"p0193.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n193\nLage sein, festzustellen, ob es sich bei einer eintretenden Falschreaktion nur um ein Vorbeihandeln oder um ein Vorbeidenken gehandelt hat; unpr\u00e4judizierlich k\u00f6nnte man allenfalls auch hiervon einem \u201eDanebenassoziieren\u201c sprechen, trotzdem ich nat\u00fcrlich Liepmann 1 nicht Unrecht geben kann, wenn er gegen diesen Ausdruck einwendet, dafs er uns nichts \u00fcber den wirklich stattfindenden Vorgang sagt.\nAus dem gleichen Grunde erscheint es mir auch aufser-ordentlich schwer, \u00fcber die Beziehungen der asymbolischen Erscheinungen zu den St\u00f6rungen der Aufmerksamkeit ins Klare zu kommen. Auch Pick, der sich eingehend mit diesen Beziehungen besch\u00e4ftigt und der Bedeutung der Aufmerksamkeit in der \u00c4tiologie der motorischen Apraxie ein besonderes Kapitel widmet, macht (S. 92) darauf aufmerksam, dafs die Aufmerksamkeit einer Teilung und partiellen Herabsetzung unterliegt. Ich habe ganz neuerdings auf die schon aus der normalen Psychologie gel\u00e4ufige Tatsache hinzuweisen Gelegenheit gehabt, wie auch unter pathologischen Verh\u00e4ltnissen die \u201eAufmerksamkeit\u201c unmittelbar beeinflufst erscheint durch die Schwierigkeit der gestellten Aufgabe und die M\u00f6glichkeit, ihr mit dem eben disponiblen Vorrat von Assoziationen zu gen\u00fcgen; was dar\u00fcber hinausgeht, scheint zun\u00e4chst die Aufmerksamkeit \u00fcberhaupt nicht zu erregen. Ich m\u00f6chte auch f\u00fcr den Asym-boliker annehmen, dafs das, was bei ihm als mangelnde Aufmerksamkeit (auf die eben zu vollziehende und normalerweise zu erwartende) Aktion imponiert, zum mindesten mit demselben Rechte als Teil- resp. Folgeerscheinung der bestehenden Leistungsunf\u00e4higkeit wie als ihre Ursache angesehen werden darf.\nDas, was die Vulg\u00e4rpsychologie als Aufmerksamkeit schlechthin bezeichnet, der Eifer, mit dem der Kranke mit seinen Gegenst\u00e4nden \u201earbeitet\u201c, ist wenigstens in der Mehrzahl der F\u00e4lle selbst bei Paralytikern, wie Abraham - zutreffend hervorhebt, und auch bei Kranken, die sich aufserhalb der Untersuchungen kaum durch irgendwelche Anteilnahme an ihrer Umgebung be-merklich machen, auffallend gut, so gut, dafs ich mich oft ge-\n1 Liepmann: \u00dcber Ideenflucht. Halle 1904. S. 78.\n\u2019 Abbaham: \u00dcber einige seltene Zustandsbilder bei progressiver Paralyse. Zeitschr. f. Psychiatrie 81, S. 523.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie S9.\n13","page":193},{"file":"p0194.txt","language":"de","ocr_de":"194\nKarl Hcilhronncr.\nfragt habe, was diese Asymbolischen (ebenso \u00fcbrigens auch viele Aphasische) veranlassen mag, sich so bereitwillig zu Experimenten herzugeben, die beim Gesunden doch mindestens eine vorherige Motivierung verlangten und deren Zweck, geschweige denn Nutzen dem Kranken doch kaum verst\u00e4ndlich sein kann, Dsb Gef\u00fchl der Dankbarkeit, dafs mau sich \u00fcberhaupt ihrer annimmt, das bei vielen Aphasischen deutlich ist und sich in den sicher nicht ganz zuf\u00e4llig so h\u00e4ufigen Dankesworten dokumentiert, spielt beim Asymbolischen jedenfalls eine viel geringere Rolle; die Selbstwahmehmung der Funktionsst\u00f6rung1 * fehlt zwar dem Asymbolischen (zum mindesten bei akuter Entstehung des Zustandes und im Beginn) nicht, sie ist aber jedenfalls mangelhafter als bei den meisten Aphasischen, und F\u00e4lle, in denen Asymbolische, wie es Aphasische oft tun, die Untersuchungen als eine Art n\u00fctzlichen Unterrichts aufgefafst haben, sind mir noch nicht vorgekommen. Auch die Aussicht auf die bei den Untersuchungen gelegentlich abfallenden Zigarren und Butterbrote kann (so wertvolle Dienste sie bei der Untersuchung leisten) die Bereitwilligkeit nat\u00fcrlich nicht erkl\u00e4ren. Ich glaube, man wird auch hier nicht feblgehen in der Annahme, dafs an den Examensaufgaben (anders begreiflicherweise in den F\u00e4llen, in denen der Asymbolische eigene W\u00fcnsche und Bed\u00fcrfnisse zu befriedigen sucht) das \u201eGesamt-Ich\u201c kaum Anteil hat.\nEine weitere Komplikation bei der Entscheidung der Frage, was der Kranke bei der einzelnen Reaktion sich gedacht hat, wird nun noch durch die M\u00f6glichkeit gegeben, dafs eine \u201eBewegungsreihe, in die der Kranke geraten, ihn in der Vorstellung von dem Gegenst\u00e4nde beirrt, wodurch ein Circulus vitiosus zu st\u00e4nde k\u00e4me\u201c (Liefmann S, 50 Anm.). Auch PiCtc rechnet mit einer derartigen M\u00f6glichkeit (S. 69). An dieser Stelle w\u00e4re vielleicht auch darauf hinzuweisen, dafs derartige Vorg\u00e4nge in eingehendster Weise von Wernicke studiert worden sind \u2014 allerdings zun\u00e4chst an Motilit\u00e4tspsychosen, deren enge Beziehungen speziell zu den motorischen Asymbolien eben immer wieder und unter immer neuen Gesichtspunkten in die Augen fallen. Das typischste Beispiel derart ist es wohl3, wenn \u201eein Kranker, den man in die Knie sinken l\u00e4fst, Kopf und Augen nach aufw\u00e4rts\n1 Vgl. Anton : \u00dcber die Be\u00eebst Wahrnehmung der Herd Erkrankungen\ndes Gehirns. Arch, f. Psychiatric 32 g.\n* Grundrifs 8. 454","page":194},{"file":"p0195.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n195\nwendet und die H\u00e4nde zum Gebet faltet\u201c. Dafs derartige Vorg\u00e4nge auch beim ABymbolischen, nicht einmal allzuselten, eine Rolle spielen, ist mir unzweifelhaft; dagegen ist 66 mir gerade auf Grund der LiEPMANNschen Ausf\u00fchrungen \u00fcber den Anteil des \u201eIch\u201c an derartigen Vorg\u00e4ngen fraglich, ob dem kortikalen Prozesse, der diesen Vorg\u00e4ngen zugrunde liegt, auch Vorstellungen entsprechen, ob es also zu einer Verkennung des Gegenstandes im Sinne der unrichtigen Hantierung kommt oder wenigstens in jedem Falle kommen mufs. Ich m\u00f6chte sogar weitergehen: ich glaube nicht einmal, dafs der richtige Gebrauch eines einfachen Gegenstandes jedesmal beweist, dafs er richtig erkannt ist; ich habe seinerzeit (S. 58) schon darauf hingewiesen, dafs man \u201eaus der blofsen Tatsache, dafs ein Kranker etwa Brot zum Munde f\u00fchre, nicht schliefsen d\u00fcrfe, dafs er das Brot als solches erkannt hat\u201c. Ich m\u00f6chte, ohne diese Frage hier nochmals eingehender zu er\u00f6rtern, hier nur noch an das eingangs erw\u00e4hnte Beispiel des Kn\u00f6pfens erinnern : Liepmanns Kranker kann bei geschlossenen Augen, sogar spontan einen Knopf auf- und zukn\u00f6pfen, wenn der Finger erst einmal am Knopf ist. Ich glaube nicht, dafs \u201eder Kranke\u201c im Sinne der Normalpsychologie bei diesem Kn\u00f6pfen bei geschlossenen Augen (anders nat\u00fcrlich in diesem Falle, wenn pr ihn sieht) den Knopf erkennt, ja ich glaube nicht einmal, dafs sein Ich \u201eweifs\u201c, dafs er kn\u00f6pft, noch viel weniger, dafs ihm diese Bewegung etwa zur Vorstellung des Knopfes verhilft.\nUnter dem gleichen Gesichtspunkte verdient endlich auch die Frage betrachtet zu werden, warum der Asymboliker verh\u00e4ltnism\u00e4fsig selten zu korrigieren versucht; (dafs der Korrekturversuch eventuell ebenso schlecht ausf\u00e4llt, wie die erste Aktion, bedarf ja keiner Erkl\u00e4rung). Auch hier wird man darauf verweisen d\u00fcrfen, dafs gewissermafsen eine wenigstens partielle Sejunktion zwischen Objekteindruck und Bewegungen erfolgt ist, welche den Eindruck der Inkongruenz, des Milslingens im objektiven Sinne bei den meisten Kranken nicht zu st\u00e4nde kommen l\u00e4fst. In Liepmanns Falle, wo der Kranke sich sehend von dem unrichtigen Ausfall der Wahlreaktion \u00fcberzeugen konnte, m\u00fcssen andere Verh\u00e4ltnisse zur Erkl\u00e4rung herangezogen werden (vgl. Liepmann S. 58, Pick S. 36). Ich habe \u00fcbrigens \u2014 sei es, weil ich besonders darauf geachtet, sei es, weil hier tats\u00e4chlich etwas andere Verh\u00e4ltnisse vorliegen \u2014\n13*","page":195},{"file":"p0196.txt","language":"de","ocr_de":"196\nKarl Hcilbronner.\nbei den funktionellen F\u00e4llen von Asymbolie, mit denen ich mich in letzter Zeit vorwiegend zu besch\u00e4ftigen Gelegenheit hatte. Versuche zur Korrektur, zum mindesten Zeichen der Unzufriedenheit mit dem Geleisteten doch nicht so ganz selten beobachtet. Die Umst\u00e4nde, unter denen diese Unzufriedenheit bemerkbar wird, entsprechen nun sehr wohl der eben ge\u00e4ufserten Annahme. Dies geschieht nicht, wenn ein sinngemfifses Resultat ausbleibt, sondern wenn sich der Ausf\u00fchrung der Aktion an sich ein Hindernis entgegenstellt, wenn der Kranke in seinem Hantieren selbst Schwierigkeiten findet: ein Kranker \u201eraucht\u201c z. B. unbeschadet des fehlenden Effektes eine (NB, nie benutzte) leere Pfeife, einen durchbohrten H\u00f6rrohrstiel, alles was \u201ezieht\u201c, aber er wird zuletzt doch ungeduldig, wenn er sich einige Zeit vergeblich an einem nicht \u201eziehenden\u201c Bleistift gem\u00fcht hat. Der sch\u00f6nste Typus ist mir ein Kranker gewesen, der auf einem Besenstiele Fl\u00f6te zu blasen versucht hatte: er wurde ungeduldig, nicht, weil er keinen Ton herausbrachte, nicht, weil er keine Klappen fand (er exekutierte die Bewegungen ganz gut), sondern erst, nachdem er sich ganz atemlos geblasen hatte: \u201edas Ding m\u00fcsse verstopft sein\u201c. Aus all dem erkl\u00e4rt sich \u00fcbrigens auch die bekannte Erfahrung, dafs \u2014 abgesehen nat\u00fcrlich von einer etwa eintretenden Besserung des Krankheitszustandes \u2014 der Asymboliker nichts \u201elernt\u201c. Er ist nach einer halben Minute bereit, den Versuch wieder zu machen, er macht ihn in gleicher oder anderer Weise, zumeist ebenso schlecht und er pflegt dabei nicht b\u00f6se oder auch nur ungeduldig zu werden und, abgesehen von den F\u00e4llen schweren k\u00f6rperlichen Allgemeinzustandes, nicht einmal sichtlich zu erm\u00fcden.\nLeider ist es nicht m\u00f6glich, auf diese interessanten und weiterer Untersuchung werten Fragen ohne ausf\u00fchrliche Krankengeschichten einzugehen, deren Wiedergabe an diesem Orte ich mir versagen mufs.\nDie obigen, zum grofseu Teil auf den Ergebnissen Lief-manns beruhenden Erw\u00e4gungen geben schon einigen Anhalt f\u00fcr die Beantwortung der Frage, wie weit man bei den Kranken wirklich von erhaltenen Zielvorstellungen sprechen kann. Die Frage erscheint gerade wieder mit R\u00fccksicht auf die Beziehungen zu einigermaisen verwandten St\u00f6rungen bei Geisteskranken so wichtig, dafs ich ihr ausgehend von Likpmanns Fall noch einige Worte widmen m\u00f6chte. Die Verh\u00e4ltnisse lagen hier","page":196},{"file":"p0197.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie/.\n197\nf\u00fcr die unmittelbare Beobachtung scheinbar etwas einfacher als in der \u00fcbergrofsen Mehrzahl der F\u00e4lle: der Kranke konnte, sobald seine rechten Extremit\u00e4ten eliminiert wurden, mit den linken subjektiv und objektiv zweckgem\u00e4fs manipulieren, er mufste also, wie Likpmann ausf\u00fchrt, richtige Zielvorstellungen konzipiert haben; fraglich erscheint es mir nur, ob der Kranke solche Zielvorstellungen auch konzipierte und konzipieren konnte, wenn der Versuch so eingerichtet wurde, dafs er auf den Gebrauch der rechten Extremit\u00e4ten angewiesen war. Die Beantwortung der Frage wird davon abh\u00e4ngen, was man als Ziel-Yorstellung gelten lassen will. Was Ausgangs- und was Zielvorstellung ist, ist a priori nicht zu bestimmen; man wird in der Annahme nicht fehlgehen, dafs an sich jede Vorstellung sowohl Ausgangs- als Zielvorstellung sein kann; beide k\u00f6nnen unter Umst\u00e4nden den Platz tauschen; frage ich: was braucht man zum Schiefsen, so ist Schiefsen die Ausgangsvorstellung, Gewehr die Zielvorstellung, als welche hier die L\u00f6sung einer Aufgabe1 erscheint ; frage ich, wozu dient das Gewehr, so ist Gewehr die Ausgangs-, Schiefsen die Zielvorstellung; anders liegen die Verh\u00e4ltnisse, wenn der Anblick eines Gewehres in mir die Zielvorstellung weckt, selbst damit zu schiefsen. Der Unterschied wird nicht allein dadurch bedingt, dafs jetzt eine besondere Beziehung zur Person dessen hergestellt wird, der das Gewehr sieht, sondern insbesondere dadurch, dafs die letzte Zielvorstellung jedenfalls eine \u2014 ganz allgemein ausgedr\u00fcckt \u2014 motorische Komponente erh\u00e4lt.\nIch stimme nun durchaus mit Likpmann dahin \u00fcberein, dafs seine Beobachtungen nicht einfach mit der Annahme erkl\u00e4rt w\u00fcrden, der Kranke habe die \u201eBewegungsvorstellungen\u201c verloren, auch nicht damit, dafs die (nachweislich ja erhaltenen) Bewegungsvorstellungen im engsten Sinne aus dem Assoziationsmechanismus ausgeschieden seien. Ich glaube aber, dafs diesem Defekte bei der Frage nach dem Zustandekommen der Ziel Vorstellungen Rechnung getragen werden mufs. Ich m\u00f6chte dabei, so sehr ich die Bedenken gegen die Verwertung derartiger psychologischer Selbstbeobachtungen w\u00fcrdige, von einer eigenen Erfahrung ausgehen, die vielleicht musizierende Leser best\u00e4tigen k\u00f6nnen: ich habe bez\u00fcglich einer Reihe von\n1 Wernicke : Grundrifs S. 12.","page":197},{"file":"p0198.txt","language":"de","ocr_de":"198\nSari Heilbrmner.\nTonbildem, namentlich mancher \u201evollgriffiger\u201c Wagnermotive eine sehr deutliche, \u201ein den H\u00e4nden f\u00fchlbare\u201c Vorstellung von den Bewegungen, die zu ihrer Ausf\u00fchrung auf dem Klavier n\u00f6tig sind; sie tauchen schon beim Anh\u00f6ren entsprechender Musik, eventuell beim Lesen des Textes (nicht nur der Noten) auf, noch entschiedener, wenn ich beginnen will zu spielen. Sehr deutlich ist \u2014 bezeichnenderweise nur in der daf\u00fcr allein in Betracht kommenden linken Hand \u2014 die \u201ef\u00fchlbare Vorstellung\u201c der Bewegung, welche zur klavierraftfeigen Nachahmung eines Paukenwirbels n\u00f6tig ist. Ich glaube nun so wenig wie Liepmann, dafs diese Vorstellungen allein auch nur der letzten Zielvorstellung entsprechen; ich glaube aber, dafs sie einen integrierenden Bestandteil derselben ausmachen; man wird analoge Prozesse, wenn auch subjektiv weniger deutlich empfunden, zum mindesten vor jeder Willk\u00fcrbewegung annehmeu d\u00fcrfen, sie stellen einen Teil jener Prozesse dar, die als \u201eErregung materieller Komplexe\u201c, \u201eals Erinnerungen also im materiellen Sinne\u201c nach Liepmann der Willk\u00fcrbewegung vorher-gehen m\u00fcssen. (Wie weit sie etwa durch die Anregung von Vorstellungen vom Gebrauch der Gegenst\u00e4nde schon beim Erkennungsakt eine Rolle spielen, wie weit ihr Fehlen diesen beeintr\u00e4chtigen kann, bleibe dahingestellt.) In Liepmanns Falle sind sie jedenfalls vor der Ausf\u00fchrung von Bewegungen der rechten Hand nicht mit in Aktion getreten ; der Kranke konnte beim Versuch, die Nase mit der rechten Hand zu zeigen, h\u00f6chstens die optische Vorstellung einer, etwa auch seiner Hand vor der Nase bekommen, aber ohne die zugeh\u00f6rige, im engeren Sinne motorische Komponente, die mir eben als ein wesentliche\u00ab Konstituens der letzten Zielvorstellung mit einem auf eine Eigenbewegung gerichteten Inhalt erscheint.1 Ich w\u00fcrde also die Ziel Vorstellungen in diesem Sinne zum mindesten als gesch\u00e4digt erachten; sie als intakt anzusprechen, w\u00fcrde gerade an der Hand der LiEPMANNsehen Auseinandersetzungen und\n1 Vielleicht geben derartige Erw\u00e4gungen den Schl\u00fcssel zur Erkl\u00e4rung der Erfahrung, dafs bei vielen Kranken (Aphasischeu und z. B. auch bei meinem ersten Asymboliker) die auf kein iinfseres Objekt gerichteten intransitiven und speziell die von Liepmann (8. 11} als reflexiv bezeichnet\u2122 Bewegungen auf Auffordem ganz besonders schlecht geraten, warum solche Kranke z. B. Nasen, Augen, Ohren des Arztes, nicht aber die eigenen zeigen k\u00f6nnen.","page":198},{"file":"p0199.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage da- motorischen Asymbolie (Apraxie).\n199\nseines Sektionsbefundes zu der Annahme f\u00fchren, dafs Ziel Vorstellungen auch f\u00fcr Bewegungen ohne jede psychologische und anatomische Beteiligung nicht sensorischer Elemente zu st\u00e4nde kommen k\u00f6nnten. Liepmann selbst nimmt zwar am Schl\u00fcsse an, sein Fall verwirkliche die von Webnicke angedeutete M\u00f6glichkeit, einer Unterbrechung der Bahnen, die der Wille zur Verf\u00fcgung hat, um die motorischen Zentren einer Hemisph\u00e4re zu innervieren, er beruhe auf einer Unterbrechung zwischen Ziel-vorstellung und den zentralen Projektionsfeldem der Motilit\u00e4t, aber er h\u00e4lt doch die Frage nicht f\u00fcr unberechtigt (S. 72), \u201eob der Kranke schon nicht wollen kann, oder nur nicht kann, was er will\u201c. Er hat leider diese \u201eVexierfrage\u201c nicht weiter verfolgt. Ich m\u00f6chte annehmen, dafs der Kranke, der Komplex seines \u00fcbrigen \u201eIch\u201c s. v. v. f\u00fcr seine rechte Extremit\u00e4t schon nicht wollen kann.\nDie vorstehenden Er\u00f6rterungen haben vielleicht schon das Gebiet zul\u00e4ssiger himpathologischer Betrachtung verlassen. Sie sollten auch die Schwierigkeiten, die sich einer psychologischen Auffassung der asymbo\u00fcschen Erscheinungen entgegenstellen und entgegenstellen m\u00fcssen, mehr veranschaulichen als zu beseitigen versuchen.\nEinfacher wird sich die kurz noch anzuschliefsende Er\u00f6rterung gestalten k\u00f6nnen, welchen Nutzen wir aus der Vergleichung des anatomischen und klinischen Befundes in Asymbolief\u00e4llen zurzeit erwarten d\u00fcrfen. Die Annahme, dafs in den grob organisch bedingten F\u00e4llen von Asymbolie \u201edie Ausfallsymptome durch den sichtbaren Ausfall funktionierender Himsubstanz ausschliefsend und ausreichend zu erkl\u00e4ren sind\u201c, m\u00f6chte ich im wesentlichen wenigstens in dem Sinne aufrechterhalten, dafs es der Heranziehung einer Benommenheit, Stumpfheit zur Erkl\u00e4rung nicht bedarf, wenn ich auch den nicht so in die Augen fallenden, darum aber nicht weniger lokalisierten und zirkumskripten Sch\u00e4digungen in der Nachbarschaft der gr\u00f6fseren Herde \u2014 gerade mit R\u00fccksicht auf die neuen PiCKschen Beobachtungen \u2014 gr\u00f6fseren Wert beimessen w\u00fcrde. Mit seltenen Ausnahmen (zu denen vielleicht der Liep-MANNsche Fall geh\u00f6rt) wird man aber auch jetzt noch bez\u00fcglich der Asymbolief\u00e4lle annehmen d\u00fcrfen, dafs sie zur Vornahme detaillierter Untersuchungen \u00fcber Gehimlokalisation nicht geeignet sind; gleicher Ansicht scheint auch Pick zuzuneigen (S. 71).","page":199},{"file":"p0200.txt","language":"de","ocr_de":"200\nKarl 1Ttillronner.\nAls besondere Form anatomisch erh\u00e4rtet ist bis jetzt nur die LiEPMANNsche oben als transkortikal bezeichnete. Alle anderen m\u00fcssen auch anatomisch den Leitungsasymbolien zugerechnet werden mit mehr oder weniger starker Mitbeteiligung sensorischer Bezirke im engeren Sinn ; es handelte sich im wesentlichen immer um mehr weniger ausgebreitete Herde in der Schl\u00e4fe-, Hinterhaupts- und Scheitelregion; die Differenzen scheinen quantitative und wesentlich mitbedingt durch die gr\u00f6fsere oder geringere Beteiligung der Rinde. Ein Vergleich dieser Befunde mit dem LiEPMANNschen ergibt \u00fcbrigens auch anatomisch, dafs die von ihm aufgestellte Form, wie es klinisch zu entwickeln war, auch anatomisch eigentlich eine Sonderform der Leitungsasymbolie darstellt, ausgezeichnet durch vorwiegend einseitige Lokalisation, vor allem aber durch die vorwiegende Affektion zum Sensomotorium leitender Bahnen in der meist betroffenen Hemisph\u00e4re.\nDie Schwierigkeiten, gerade bez\u00fcglich der grofsen Zahl der als Leitungsasymbolien aufzufassenden F\u00e4lle eine detailliertere \u00dcbereinstimmung zwischen anatomischem und klinischem Befunde herzustellen, sind zum Teil in der Kompliziertheit der F\u00e4lle begr\u00fcndet. Anatomisches wie klinisches Bild setzen sieh jeweils aus einer ganzen Reihe von Einzelz\u00fcgen zusammen ; wenn die verschiedenen Einzelf\u00e4lle gleichwohl untereinander \u00e4hnlich erscheinen, so geschieht das aus demselben Grunde, aus dem die durch \u00dcbereinanderphotographieren zu erhaltenden Typenphotographien eines Volksstammes untereinander \u00e4hnlich werden, gleichviel welche Individuen auf die Platte kommen; die generellen Z\u00fcge unterdr\u00fccken dann die speziellen; um die letzteren zu studieren und die Beziehungen zwischen anatomischem und klinischem Befund zu eruieren, werden wir immer noch auf die m\u00f6glichst umschriebenen Ver\u00e4nderungen angewiesen bleiben. Zum anderen sind nicht nur unsere klinischen, sondern noch vielmehr unsere anatomischen Untersuchungsmethoden noch durchaus unzureichend. Bei der hier in Frage stehenden Durchmusterung grofser Hirnschnitte sind w7ir fast v\u00f6llig auf die Feststellung recht grober Ver\u00e4nderungen beschr\u00e4nkt ; wo wir wirklich etwa mit der MARcmschen Methode feinere Ver\u00e4nderungen feststellen k\u00f6nnen, fehlt uns zurzeit noch \u2014 selbst f\u00fcr so \u201eeinfache\u201c Systeme wie die Pyramidenbahn \u2014 jedes Mafs f\u00fcr die funktio* nelle Bewertung der gefundenen anatomischen Ver\u00e4nderungen;","page":200},{"file":"p0201.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n201\nandererseits sind wir nie sicher, ob anatomisch intakt erscheinende benachbarte oder kontralateral symmetrische Teile tats\u00e4chlich voll leistungsf\u00e4hig sind, und doch w\u00e4re gerade diese Kenntnis wegen des eventuellen Eintritts oder Fehlens von Restitutionsvorg\u00e4ngen von so grofser Wichtigkeit ; wdr haben endlich zwar eine, wenn auch noch recht beschr\u00e4nkte, Kenntnis von der verschiedenen funktionellen Bedeutung der einzelnen Ilimprovinzen, aber noch keine klinisch verwertbaren Anhaltspunkte f\u00fcr die Bedeutung der verschiedenen Schichten, Zell-und Fasergattungen innerhalb dieser Provinzen. Am ehesten scheinen die grofsen totalen Destruktionen bei den Asymbolie-f\u00e4llen noch zuweilen der Beantwortung der Frage dienlich werden zu k\u00f6nnen, welche Areale f\u00fcr gewisse Funktionen sicher entbehrt werden k\u00f6nnen; aber auch Schl\u00fcsse nach dieser Richtung werden dann unm\u00f6glich, wenn \u2014 h\u00e4ufig genug \u2014 kurz vor dem Tode noch neue Herde auftreten, deren klinische Folgen nicht mehr festgestellt werden konnten.\nF\u00fcr die F\u00e4lle von sensorischer Asymbolie fehlt es zun\u00e4chst an beweisenden Belegf\u00e4llen mit grobem Befunde g\u00e4nzlich; ich habe gleichfalls fr\u00fcher darauf hingewiesen, dafs so ausgedehnte Herde, wie sie daf\u00fcr zu postulieren w\u00e4ren, nur ganz ausnahmsweise zu erwarten sein werden; am n\u00e4chsten k\u00e4men dem Postulat die \u2014 nat\u00fcrlich wieder der Zirkumskriptheit entbehrenden \u2014 F\u00e4lle hochgradigster seniler, resp. arteriosklerotischer Atrophie.\nAuch anatomische Belegf\u00e4lle f\u00fcr die von Meynekt konzipierte Genese der motorischen Asymbolie sind mir, wie schon eingangs betont, nicht bekannt. Die St\u00f6rungen, die ich als kortikal - asymbolische auffafse, waren jeweils bedingt durch Nachbarschaftssymptome (\u201eindirekte Herdsymptome\u201c) bei ander-weit lokalisierten groben L\u00e4sionen, durch epileptische oder paralytische Ver\u00e4nderungen oder durch Prozesse, die wir trotz allem zun\u00e4chst noch als \u201efunktionelle\u201c zu bezeichnen gen\u00f6tigt sind. Die eingangs schon gestreifte Frage, ob eine L\u00e4sion im Gebiete der motorischen Rindenfelder apraktische St\u00f6rungen machen kann, ist auf Grund derartiger F\u00e4lle nat\u00fcrlich positiv nicht zu entscheiden. Ich glaube aber, dafs die eben erw\u00e4hnte Exklusionsmethode, speziell auf den LiEPMANNschen Fall angewendet, zur Entscheidung der Frage herangezogen werden kann. Hier war tats\u00e4chlich ein fast v\u00f6llig isoliertes Motorium bef\u00e4higt zu","page":201},{"file":"p0202.txt","language":"de","ocr_de":"202\nKarl Hdlbrmner.\neiner Reihe von komplizierten Bewegungen, die durch eine Mitwirkung von anderen Territorien aus nicht etwa gebessert, sondern nur gest\u00f6rt und verschlechtert werden konnten. Man wird also in der Annahme nicht fehlgehen, dafs das \u201eZusammenspiel der Muskeln f\u00fcr Zweckbewegungen\u201c (Liepmann S. 74 Anm. 1), das beim Kn\u00f6pfen, Buchstabenschreiben, Abtasten, Melodienspielen stattfand, tats\u00e4chlich sein anatomisches Substrat auch innerhalb dieses isolierten Komplexes hatte; man wird daraus weiter ohne Zwang den Schlufs ziehen d\u00fcrfen, dafs eine St\u00f6rung dieses Komplexes, dieser \u201eKoordinationen h\u00f6herer Ordnung\u201c auch durch eine L\u00e4sion innerhalb dieses Gebietes bedingt werden kann, und dafs es so infolge dieser L\u00e4sion zu motorischer Apraxie im engsten Sinne kommen kann.\n\u00dcber das eigentliche anatomische Substrat f\u00fcr diese Komplexe wird man sich nat\u00fcrlich nur eine theoretische Meinung bilden k\u00f6nnen ; man wird hier zweckm\u00e4\u00dfig auf die Er\u00f6rterungen zur\u00fcckgreifen, die Wernicke 1 \u00fcber die Tastl\u00e4hmung anstellt, und man w\u00fcrde auch hier wohl von \u201efunktionellen Gruppierungen von durch Nervenfasern untereinander verbundenen Ganglienzellen\u201c sprechen d\u00fcrfen. Die Analogie zwischen der kortikalen Apraxie und ihrem Korrelat auf dem rezeptiven Gebiete, der kortikalen Tastl\u00e4hmung Wernickes w\u00e4re damit auch bez\u00fcglich der feineren anatomischen Auffassung helgestellt. Dagegen entspricht der transkortikalen Apraxie Liepmanns in seinem Falle auch eine transkortikale Tastl\u00e4hmung (vgl. die ausf\u00fchrlichen Er\u00f6rterungen \u00fcber diese S. 54).\nEs darf vielleicht besonders darauf hingewiesen werden, dafs die WEKNiCKEsche Hypothese bez\u00fcglich der Tastl\u00e4hmung von der groben Vorstellung von besonderen Erinnerungszellen oder Zellkomplexen jeweils f\u00fcr bestimmte \u201eTastbilder\u201c absieht ; solche werden hier auch nicht bez\u00fcglich bestimmter Bewegungsbilder angenommen; sie w\u00e4ren, abgesehen von anderen Erw\u00e4gungen, schon deshalb unannehmbar, weil sie sich mit der fr\u00fcher erw\u00e4hnten Tatsache nicht vereinbaren liefsen, dafs nicht spezielle, immer identische Bewegungen, sondern nur allgemein eine gewisse Technik erlernt wird; mit der Annahme \u201efunktio-\n1 Webnicke: Zwei F\u00e4lle von Ri n de nias \u00ef on. Arbeiten aus der psycliiatr. Klinik zu Breslau. Leipzig 1895. S. 50.","page":202},{"file":"p0203.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n203\nneller Gruppierungen\u201c l\u00e4fst sich diese Tatsache dagegen sehr wohl in Einklang bringen.\nWelche Zell- und Faserelemente Tr\u00e4ger dieser funktionellen Gruppierungen sind, ist noch unbekannt ; alle Ganglienzellen der motorischen Rinde, mit Ausnahme der Ursprungszellen der motorischen Bahn k\u00f6nnen daf\u00fcr in Betracht kommen, vor allem diejenigen, welche die anatomische Anordnung mit gr\u00f6fster Wahrscheinlichkeit als Assoziationszellen ansprechen l\u00e4fst. F\u00fcr die Mehrzahl der Fasern wird man einen rein intrakortikalen Verlauf annehmen d\u00fcrfen, vor allem f\u00fcr die Vermittler der Bewegungen, welche sich auf engem Territorium abspielen (Kn\u00fcpfbewegungen u. \u00e4.), bei ausgebreiteteren Bewegungsmecha-nismen werden auch interkortikale Verbindungen heranzuziehen sein: f\u00fcr die musikalische Technik (Klavier, Streichinstrumente) auch Kommissurenfasem zwischen den Zentren der beiden Extremit\u00e4ten, f\u00fcr Blasinstrumente (deren Technik ja, vgl. den von Pick S. 125 zitierten Fall Chabcots, gleichfalls isoliert verloren gehen kann) noch vermehrt um Verbindungen zwischen Mund-nnd Extremit\u00e4tenmuskulatur.\nDie strenge Scheidung zwischen kortikalen und transkortikalen St\u00f6rungen w\u00e4re damit allerdings scheinbar wieder aufgegeben. Sie ist in vollem Umfang \u00fcberhaupt nur durchf\u00fchrbar, \u00bblange man Rinde und Assoziationsbahnen je als unteilbare Einheiten, wie sie sich im Schema darstellen m\u00fcssen, auffafst, nimmt man auf die Struktur auch nur innerhalb eines kleinsten Rindenbezirks R\u00fccksicht, so wird die Scheidung zwischen t r a n s -kortikal und kortikal ebenso schwierig wie, nach Exnebs \u00f6fter zitierter Bemerkung, die bei grober Betrachtung so leicht zu l\u00f6sende Frage nach der Grenze zwischen sensorisch und motorisch.\nUnter diesem Gesichtspunkt kann es schon fraglich sein, ob man die Tastl\u00e4hmung Weenickes als kortikale oder transkortikale St\u00f6rung bezeichnen soll : als kortikale charakterisiert sie ihre durch Webnicke festgestellte anatomische Ursache, als transkortikale ihre Auffassung als St\u00f6rung assoziativer Elemente. Vielleicht w\u00e4re es angezeigt, die Ausdr\u00fccke kortikal und transkortikal f\u00fcr die Bezeichnung der gr\u00f6beren Verh\u00e4ltnisse, besonders mit R\u00fccksicht auf klinische Merkmale, zu reservieren und bei allen subtileren statt derselben die Ausdr\u00fccke \u201eintrakortikal\u201c und","page":203},{"file":"p0204.txt","language":"de","ocr_de":"204\nKarl Heilbrmner.\n\u201einterkortikal\u201c jeweils mit einem pr\u00e4zisierenden Zusatz (intra-kortikal-assoziativ usw.) zu gebrauchen; die Elemente, deren L\u00e4sion \u201ekortikale\u201c Apraxie bedingen kann, h\u00e4tten dann immer noch die Besonderheit, dafs sie intramotorisch (gleichviel ob intra- oder interkortikal) w\u00e4ren.1\nW\u00e4re man tats\u00e4chlich, worauf manche mikroskopische Details hinweisen, zu der Folgerung berechtigt, dafs gerade die der Oberfl\u00e4che n\u00e4her liegenden Schichten der Hirnrinde intrakortikalassoziativen Leistungen vorzustehen haben, so w\u00e4re damit der MEYNERTschen Annahme von der Bedeutung der oberfl\u00e4chlichen Encephalomalacie f\u00fcr die Genese der Apraxie eine exaktere anatomische Unterlage gegeben. Man kann aber auch ganz allgemein auf die von Munk gemachte, auch von Wernicke2 bei Besprechung der Genese der Tastl\u00e4hmung erw\u00e4hnte Erfahrung rekurrieren, dafs die komplizierteren Rindenfunktionen am ehesten verloren gehen. Dafs die Eupraxie (im Gegensatz zur Apraxie) eine kompliziertere Funktion darstellt als die Koordination schlechthin, bedarf keiner Ausf\u00fchrung. Ich m\u00f6chte aber nicht verfehlen, darauf hinzuweisen, dafs sich der letzteren Auffassung doch eine Schwierigkeit entgegenstellt. Bez\u00fcglich der Aphasie l\u00e4fst sich nicht bestreiten, dafs paretische u. \u00e4. Erscheinungen der Sprachmuskulatur, auch wenn sie bei doppelseitigen Herden recht erhebliche sind, die Sprache nicht immer total auflieben, sondern nur im direkten Verh\u00e4ltnis zur Intensit\u00e4t der L\u00e4hmung; die kompliziertere Funktion ist also hier \u2014 virtuell \u2014 erhalten. Ob bei partieller kortikal-motorischer St\u00f6rung (z. B. Monoparese des Armes) die komplizierteren Bewegungsmechanismen (die dem Sprechen analog zu setzen w\u00e4ren) tats\u00e4chlich immer mehr gest\u00f6rt sind, als der Parese und Ataxie entspricht, bedarf noch genauerer Untersuchung; was ich oben \u00fcber die Ungeschicklichkeit der Tastbewegungen erw\u00e4hnt, w\u00fcrde zwar daf\u00fcr sprechen, erlaubt aber nat\u00fcrlich noch keine allgemeinen Schl\u00fcsse.\nDie letzten Er\u00f6rterungen haben wesentlich heuristischen Wert. Es darf nicht vergessen werden, dafs das Interesse an\n1 Darum glaubte ich auch ohne mich eines wirklichen Widerspruches schuldig zu machen, die \u201etranskortikalen\u201c Bewegungsst\u00f6rungen der Motilit\u00e4tspsychosen in die motorischen Rindenfelder lokalisieren zu d\u00fcrfen (vgl. dar\u00fcber: Aphasie u. Geisteskrankheit. Psychiatr. Abhandlgn. herausgeg. von Wernicke, Heft 1, S. 31.\n1 1. c. S. 51 Anm.","page":204},{"file":"p0205.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie).\n205\ndiesen St\u00f6rungen erst vor wenigen Jahren durch Liepmanns Aus- ' f\u00fchrungen erweckt worden ist und dafs demnach reichere Erfahrungen \u00fcber geeignete \u2014 zudem nicht allzuh\u00e4ufige \u2014 Zust\u00e4nde, in denen unter solchen Gesichtspunkten untersucht ist, noch fehlen. Ich halte es mit Liepmann 1 f\u00fcr recht wahrscheinlich, dafs eingehendere Analyse manches von dem, was sonst als kortikale Ataxie bezeichnet wurde, sich als apraktisch (allerdings dann kortikal-, d. h. intramotorisch-apraktisch) erweisen wird.\n1 Neur. Zentralbl. 18, S. 616.\n(Eingegangen am 27. Januar 1905.)","page":205}],"identifier":"lit32010","issued":"1905","language":"de","pages":"161-205","startpages":"161","title":"Zur Frage der motorischen Asymbolie (Apraxie)","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:36:13.562024+00:00"}