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{"created":"2022-01-31T13:52:15.524172+00:00","id":"lit32012","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Kiesow","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 216-222","fulltext":[{"file":"p0216.txt","language":"de","ocr_de":"216\nLiteraturbericht.\nW. Wundt. \u00dcber sapMwbe ud metaphysische P*ych*l*gte. Eine kritische Betrachtung. Are-hiv f\u00fcr die gez. Piychologie 2 (4), 333\u2014361. 1904.\nDie vorliegende Schrift ist gegen die Kritik gerichtet, welche Mzumura in einer, wie Wuhdt bemerkt, im \u00dcbrigen klaren und einsichtigen Besprechung der \u00f6. Auflage seiner \u201ePhysiologischen Psychologie\u201c Ober den Schlufsabschnitt eben dieser Auflage, der unter dem Titel \u201eNaturwissenschaft und Psychologie\u201c auch gesondert erschienen ist, ver\u00f6ffentlicht h\u00bbt \u2014 Der Verf. hebt im Eingang hervor, dafs ihm bei der Ausarbeitung dieses Abschnitts das Ziel vorgeschwebt habe: \u201erein empirisch, nur auf Grund der Tatsachen der Erfahrung, wie sie einer v\u00f6llig unbefangenen Betrachtung sich darbieten, einerseits die Voraussetzungen zu entwickeln, auf die sieh die psychologische wie jede wissenschaftliche Untersuchung st\u00fctzt, und andererseits die Prinzipien zu formulieren, die sich aus dem Zusammenhang der von der Psychologie untersuchten Tatsachen ergeben, in beiden Fallen aber jede Anlehnung an irgendeine Art von Metaphysik oder jeden \u00dcbergang in eine solche auf das strengste zu vermeiden.\u201c Auf Grund dieser \u00dcberzeugung sucht er die Auflassung Mzukanhs zur\u00fcckzuweisen, nach welcher sich in seinen Gedanken \u201eeine Tendenz zu einer immer zunehmenden spiritualistischen Metaphysik und idealistischen Erkenntnistheorie\u201c verrate. Wundt glaubt kein \u00fcberfl\u00fcssiges Werk zu tun, wenn er die behandelten Punkte nochmals einer gewissenhaften Kritik unterziehe. Er r\u00e4umt ein, dafs es mit R\u00fccksicht auf den vielbesch\u00e4ftigten Leser besser gewesen w\u00e4re, wenn er nicht zu sehr auf die Kenntnis seiner ausf\u00fchrlicheren Darstellungen (System der Philosophie, Logik) vertraut und sich weniger kurz gefafst h\u00e4tte, aber er h\u00e4lt auch andererseits daf\u00fcr, dafs M besser getan h\u00e4tte, seine Worte auf ihren wirklichen Sinn hin zu pr\u00fcfen und sich zu \u00fcberlegen, ob die ihm zugetrauten metaphysischen Velleit\u00e4ten nicht in einem Mifsverst\u00e4ndnis einzelner Ausdr\u00fccke und Wendungen oder gar in einem geringen Bodensatz eigener metaphysischer Vorurteile zn suchen seien. W. sucht zu zeigen, dafs die von M. zur Begr\u00fcndung seiner Behauptung angef\u00fchrten Stellen, richtig verstanden, das Gegenteil beweisen. Der Bemerkung seines Gegners, das Recht einer mehr realistischen Auffassung der Erfahrung vertreten zu wollen, h\u00e4lt W. entgegen, dafs er, wo es sich um eine streng empirische Wissenschaft wie die Psychologie handle, nur eine einzige Erfahrung kenne. Er schreibt: \u201eSie ist weder idealistisch noch realistisch oder materialistisch, sondern sie ist eben empirisch, das","page":216},{"file":"p0217.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n217\nheilst, sie besteht darin, dafs man die Erfahrung so nimmt, wie sie ist, ihr weder Ideen noch Realit\u00e4ten unterschiebt, die nicht selbst in ihr unmittelbar enthalten sind.\u201c W. h\u00e4lt M. weiter entgegen, dale man eigentlich nur von einer idealistischen oder realistischen Metaphysik sprechen k\u00f6nne, dafs aber, wenn durchaus derartige Ausdr\u00fccke auf die Erkenntnistheorie Anwendung finden sollten, er in seinem Bestreben, bei der Analyse der Erkenntnisfunktionen von der objektiv gegebenen Wirklichkeit aussugehen, eher geneigt sein w\u00fcrde, die seinige als eine realistische au beseichnen. Die von M. als idealistisch hingestellten \u00dcberlegungen sind nach W. erkenntnistheoretische Vorbegriffe, die sur Abgrenzung der Psychologie von anderen Gebieten notwendig seien. Bei der Festlegung der Grenzlinien zwischen Psychologie und Naturwissenschaft ist nach W. \u201evon der urspr\u00fcnglichen, unmittelbaren Erfahrung selbst und von den in ihr liegenden Motiven der Gebietsscheidung wissenschaftlicher Arbeit\u201c auszugehen. Die Erfahrung selbst ergibt sich so als \u201eein grofses, \u00fcberall zusammenh\u00e4ngendes Ganzes gegebener Tatsachen\u201c und die Motive der Gebietsscheidung, deren W. zwei anerkennt, k\u00f6nnen nach ihm in der Verschiedenheit der Erfahrungsinhalte, sowie in derjenigen der f\u00fcr die Betrachtung der an sich einheitlichen Erfahrungsinhalte sich ergebenden Gesichtspunkte gelegen sein. Die urspr\u00fcngliche Gebietsscheidung zwischen Psychologie und Naturwissenschaft ist nach W. nach dem zweiten dieser Motive zu beurteilen. Er schreibt: \u201eEs gibt keine K\u00f6rper und Geister oder Seelen, die sich etwa \u00e4hnlich wie Pflanzen und Tiere als verschiedene Wesen gegen\u00fcbertreten ; und es gibt auch keine sogenannte \u201einnere Erfahrung\u201c, die sich jemals von dem, was man die \u00e4ufsere Erfahrung nennt, unabh\u00e4ngig betrachten liefse.\u201c W. findet es verwunderlich, dafs M. die von ihm behandelte erkenntnistheoretische Frage f\u00fcr identisch h\u00e4lt mit der anderen nach den Gesichtspunkten, die den Physiker und Psychologen von heute leiten. Er sieht die Quelle dieses Irrtums in der Mehrdeutigkeit des Wortes Objekt, das von ihm selbst in zwei Bedeutungen gebraucht worden sei; hierbei habe er deren Verschiedenheit im Vertrauen darauf, dafs sie sich aus dem Zusammenh\u00e4nge ergeben w\u00fcrde, nicht in jedem Fall auseinandergesetzt. W. spricht einmal von dem \u201eVorstellungsobjekt\u201c der noch nicht durch sekund\u00e4re Begriffsscheidungen ver\u00e4nderten Erfahrung und versteht hierunter \u201eden in der Anschauung gegebenen Gegenstand, der unmittelbar so, wie er erscheint, als ein wirklicher, an einem bestimmten Ort existierender aufgefalst wird, ohne dafs dabei das \u201evorstellende Ich\u201c an sich selbst zu denken, dieses Objekt also von dem wahrnehmenden Subjekt zu unterscheiden braucht\u201c. Von diesem Objektbegriff in der weiteren Bedeutung will W. sodann einen engeren unterschieden wissen, den er \u00fcberall da an wende, wo die Selbstunterscheidung des Objekts von jenen Vorstellungsobjekten in Frage komme und der Naturwissenschaft der objektive, der Psychologie der subjektive Inhalt der urspr\u00fcnglichen Erfahrung zugewiesen werde. \u201eNun werden die Vorstellungsobjekte aufgefalst einerseits als Objekte im engeren Sinne des Wortes, als Gegenst\u00e4nde, die dem 8ubjekt in unabh\u00e4ngiger Wirklichkeit gegen\u00fcberstehen, und es entsteht daher die Frage, wie eine solche von dem Subjekt unabh\u00e4ngige Wirklichkeit derselben zu denken sei: dies ist","page":217},{"file":"p0218.txt","language":"de","ocr_de":"218\nLiteraturberich t.\ndie Frage der Naturwissenschaft. Sie werden aber auch andererseits auf-gefafst als Vorstellungen, das heifst als eine bestimmte Form subjektiver Erlebnisse, bei denen wir Gegenst\u00e4nde als \u201eWahrnehmungsinhalte\u201c des Subjekts uns gegen\u00fcberstellen, und es entsteht so die zweite Frage, wie sich solche Wahrnehmungsinhalte bilden und mit anderen Erlebnissen des Subjektes in Verbindung stehen: das ist die Frage der Psychologie.\u201c W. weist endlich noch auf eine im Sprachgebrauch des gew\u00f6hnlichen Lebens vorkommende dritte Bedeutung des Wortes Objekt hin, insofern man von den Objekten einer Wissenschaft spr\u00e4che als von den Themata, die in ihr behandelt werden. Er h\u00e4lt diese Bedeutung f\u00fcr unberechtigt und betont, dafs er sie selbst vermieden habe, wirft aber M. vor, dafs dieser nicht nur alle drei Bedeutungen miteinander vermengt, sondern auch die beiden ersten Objektbegriffe in den letzteren umgedeutet habe.\nWusdt geht dann weiter auf die von M. erhobene Frage ein, \u201ewie die Naturwissenschaft dazu komme, jenen von ihr gebildeten reinen Objektbegriff zu entwickeln und widerspruchslos zu gestalten.\u201c Er sucht auch durch diese Ausfahrungen zu zeigen, dafs die Quelle der Meinungsverschiedenheit in dem von M. mifsverstandenen Objektbegriff liege, er wendet sich weiter auch hier gegen die idealistischen und dualistischen Erkenntnistheorien, nach welchen die Objekte als urspr\u00fcnglich subjektive Vorstellungen anzusehen sind, verweist auf Galilei und die tats\u00e4chliche Entwicklung der Naturwissenschaften und verwahrt sich gegen die, wie er hervorhebt, aus seinen Schriften nicht resultierende Auffassung, nach welcher der Psychologie keine andere Aufgabe zufalle, als die, den Rest aufzuarbeiten, der ihr von der Naturwissenschaft \u00fcbrig gelassen wurde. Wundt schreibt: \u201eIn dieser Weise habe ich nie und nirgends die Aufgabe der Psychologie bestimmt, vielmehr ausdr\u00fccklich hervorgehoben, dafs jene als subjektiv erkannten Elemente der Naturerscheinungen nur einen der Anl\u00e4sse bilden, aus denen nunmehr der die Naturforschung erg\u00e4nzende Standpunkt der psychologischen Betrachtung in dem Sinne Platz greift, dafs sich diese Erfahrung in ihrer unmittelbaren Beschaffenheit und in ihrem ganzen Umfange, zugleich aber, wozu eben die Zur\u00fccknahme der von der Naturwissenschaft dem Subjekt zuerteilten Erfahrungselemente herausfordert, mit R\u00fccksicht auf ihre Entstehungsweise in dem Subjekt zur Aufgabe stellt.\u201c\nWundt weist weiter auf die psychologische Beweisf\u00fchrung hin, die er f\u00fcr die realistische Grundlegung seiner Erkenntnistheorie im Gegensatz zu jener falschen Vulg\u00e4rpsychologie entwickelt habe, welche letztere in Umbiegungen und Ausl\u00e4ufern mancherlei Art namentlich bei Naturforschern zu finden sei und die auf philosophischer Seite ihre charakteristische Auspr\u00e4gung durch Scuopbnhaueb erhalten habe. Wie die hier vertretene Theorie der angeborenen Kausalfunktion verwirft W. die von Helmholtz im Anschlufs daran entwickelte Theorie der Zeichen, die auch M. vertritt. Die Kausaltheorie findet nach ihm in der psychologischen Betrachtung der Dinge keinen Halt. \u201eWo immer wir uns den Zustand unseres Bewufstseins in den Augenblicken des Denkens und Handelns vergegenw\u00e4rtigen, in denen wir uns nicht reflektierend, sondern naiv anschauend verhalten, verschwinden alle diese k\u00fcnstlichen Konstruktionen.","page":218},{"file":"p0219.txt","language":"de","ocr_de":"Literatur bericht.\n219\nDenn nun sind immer und \u00fcberall, f\u00fcr das Kind und den gew\u00f6hnlichen Menschen gerade so wie f\u00fcr den seine Reflexionen vergessenden Physiologen und Psychologen, die Vorstellungen wiederum selbst die Objekte, und sie sind das unmittelbar, ohne dafs von Schlufsfolgerungen oder von einer Subsumtion unter das Kausalprinzip geredet werden kann.\u201c Im weiteren Verlauf der Durchf\u00fchrung geht W. auf das Mifsverst\u00e4ndnis ein, dafs durch die abweichende Interpretation des Ausdrucks \u201epraktische Lebensanschauung\u201c erwachsen sei, als welche er selbst eben jene Auf fassung der unmittelbaren Einheit von Objekt und Vorstellung und die ihr parallel gehende von Leib und Seele verstehe, w\u00e4hrend M. dabei gerade umgekehrt die des reflektierenden Praktikers vor Augen habe. M. verwechselt, wie W. meint, \u00fcberdies das naive Bewufstsein mit dem Denken des Ungebildeten, nur so habe es einen Sinn, wenn er annehme, dafs der naive Mensch zu erfahren glaube, der Wille wirke auf den Arm und die Dinge wirkten durch die Sinne auf die Seele. Diese Begriffe seien metaphysische Rudimente, die mit dem wirklich naiven Verhalten des Bewufst-seins nichts zu tun h\u00e4tten. Was das Bed\u00fcrfnis nach einer letzten Einheit der Erkenntnisobjekte und von Leib und Seele angeht, so sucht W. nochmals zu zeigen, dafs dieses nicht auf metaphysischem Gebiete liegen k\u00f6nne, und dafs jenes Einheitsstreben des menschlichen Erkenntnisbed\u00fcrfnisses so lange eine leere Phrase bleibe, als man darauf verzichte, den Ursprung dieses Bed\u00fcrfnisses nachzuweisen. W. f\u00e4hrt fort: \u201eIch habe versucht, darzutun, indem ich als das treibende Motiv des wissenschaftlichen Denkens das direkt aus dem Prinzip des Erkenntnisgrundes abzuleitende Prinzip der widerspruchslosen Verkn\u00fcpfung der Erfahrungsinhalte an der Hand der Wissenschaftsgeschichte, namentlich der Geschichte der Naturwissenschaften als dasjenige darzustellen suchte, das hier wenigstens f\u00fcr die Erkenntnistheorie allein als logischer Rechtsgrund f\u00fcr jenes Bed\u00fcrfnis angesehen werden kann.\u201c W. schreibt, dafs wie sich schon hier in der Behauptung seines Gegners die Tendenz verrate, die erkenntnistheoretischen und psychologischen Fragen auf das metaphysische Gebiet hin\u00fcberzuspielen, so zeige sich dies auch bei den beiden letzten Punkten, auf die er in der vorliegenden Abhandlung noch eingeht, bei der Frage der Kausalit\u00e4t und des psychophysischen Parallelismus.\nWas den ersten Punkt betrifft, so h\u00e4lt der Verf. M. entgegen, dafs er in der Kausalit\u00e4t ein auf alle Erfahrungsinhalte anwendbares Prinzip kausaler Erkl\u00e4rung, aber kein Gesetz sehe, wie, dafs ihm durch den besonderen Zweck, den seine Darstellung verfolgte, insofern Beschr\u00e4nkung auferlegt war, als es nicht seine Aufgabe sein konnte, den letzten erkenntnis-theoretischen Ursprung dieses Prinzips aufzudecken, sondern vielmehr seine methodische Bedeutung und seine Anwendung auf die einzelnen empirischen Gebiete bei unserem Denken klarzustellen. Der Verf. verweist auf die von ihm formulierten Denkgesetze, geht dann n\u00e4her auf die Ausf\u00fchrungen Maumiras \u00fcber Erkenntnisgrund und Ursache und so auf die psychische Kausalit\u00e4t ein und sucht den Nachweis zu f\u00fchren, dafs der Versuch Mau-*imss bei der Interpretation der psychischen Kausalbeziehungen diesen ihre physischen Korrelate zu substituieren, eben wieder Metaphysik, aber nicht Erkenntnistheorie sei. W. erinnert an die Entstehung einer Zeit-","page":219},{"file":"p0220.txt","language":"de","ocr_de":"220\nLitemturbcrieht.\nVorstellung und sucht begreiflich zu machen, dale als kausale Momente hierf\u00fcr ihre Bestandteile zu betrachten seien, da mit der \u00c4nderung eintt jeden von ihnen auch die resultierende Vorstellung eine Ver\u00e4nderung erfahre. Das in letzterer gegebene Produkt trete uns als ein Neues entgegen, das aus den kausal wirkenden Elementen selbst nicht ohne vorherige Kenntnis vorausgesagt werden k\u00f6nne. So sei es bei jedem auf \u00c4hnliche Weise erzeugten komplexen Produkt. Das hier zur Geltung kommende Prinzip, das der \u201esch\u00f6pferischen Resultanten\u201c, verhalte sich daher zu den Erscheinungen, die unter ihm zusammengefafst werden, wie etwa das der Konstanz der Energie sich zu den einzelnen Wandlungen der Energie verhalte. \u201eEs ist, wie dieses, keine Ursache, aus der man einzelne Erscheinungen ableiten kann, aber es ist, wie dieses, ein allgemeiner Ausdruck, in den sich eine F\u00fclle einzelner kausaler Beziehungen zusammenfassen l\u00e4fst.\u201c W. versichert, dafs er auch die \u00fcbrigen Prinzipien (das der \u201ebeziehenden Relationen\u201c, der \u201eHeterogonie der Zwecke\u201c usw.) ebenso aus den Tatsachen des psychischen Geschehens selbst abzuleiten bestrebt gewesen und betont mehrfach, dafs die Stellung, welche M. diesen Prinzipien gegen\u00fcber einn\u00e4hme,aus einem metaphysischen Vorurteile entspringe; psychische Ph\u00e4nomene, als welche M. diese Prinzipien erkl\u00e4rt, seien doch konkrete Erfahrnngsinhalte, die man sehen, h\u00f6ren, greifen oder sonstwie wahrnehmen k\u00f6nne, nicht aber wie diese S\u00e4tze von abstraktem, begrifflichem Charakter. W. f\u00fcgt hinzu, dafs das wohl nicht M.s eigentliche Meinung sei, vielmehr habe er sagen wollen, \u201edie S\u00e4tze seien Generalisationen aus einer groben Zahl einzelner Ph\u00e4nomene\u201c, \u2014 aber gerade das treffe ja nach den Regain der Begriffsbildung f\u00fcr alle sogenannten Prinzipien, und auch f\u00fcr das der Erhaltung der Energie zu. Im letzten Grunde sieht W. die Nichtanerkennung dieser S\u00e4tze als Prinzipien darin, dafs der metaphysische Standpunkt seines Gegners diesem die Annahme der psychischen Kausalit\u00e4t verbiete. Man komme in dieses Dilemma, f\u00fchrt W. aus, wenn man die in Rede stehende Gebietsscheidung nicht auf die Anerkennung eines verschiedenen Standpunktes der Betrachtung, sondern auf die Vorstellung getrennter Objekte zu gr\u00fcnden und nachtr\u00e4glich den Verlegenheiten des CARTBSiAsischen Dualismus durch einen metaphysischen Monimus zu entgehen suche. W. schliefst diesen Abschnitt: \u201eWer sich den Gedanken zu eigen gemacht hat, dafs die Wertgr\u00f6fsen der Psychologie und die Gr\u00f6fsenwerte der Physik in letzter Instanz nicht absolut verschiedenen Reichen der Erfahrung angeh\u00f6ren, sondern dafs sie Mafse sind, die beide nebeneinander gelten, weil \u00dfie sich in der durch all\u00e9 wissenschaftliche Arbeitsteilung nicht zu zerst\u00f6renden Einheit der Erfahrungswelt erg\u00e4nzen, der braucht nicht erst die Werte der Psychologie zu zerst\u00f6ren, um das ersehnte Ziel einer solchen monistischen Weltanschauung zu erreichen.\u201c\nDie Frage des \u201epsychophysischen Parallelismus\u201c l\u00f6st W. so, dafs er ihn als ein \u201eheuristisches Prinzip\u201c der psychologischen Forschung hinstellt, ihm aber weder in der Form, die er durch Fechnbr erhalten, noch in der des psychophysischen Materialismus einen Wert beilegt. W. schreibt: \u201eHur da kann eine partielle Substitution von Gliedern der einen Kausalreihe f\u00fcr solche der anderen als erlaubt und praktisch als unerl\u00e4fslich gelten, wo etwa diese Glieder entweder innerhalb der physischen Kausalreihe unserer Be-","page":220},{"file":"p0221.txt","language":"de","ocr_de":"Literaturbericht.\n221\nobachtung entgehen, w\u00e4hrend aie ala psychische Erfahrungsinhalte gegeben lind, oder wo umgekehrt innerhalb der psychischen Kausalverkn\u00fcpfung Glieder fehlen, f\u00fcr die wir \u201ephysische Korrelatvorg\u00e4nge\u201c nachweisen k\u00f6nnen.\u201c W. erinnert daran, wie so die Physiologie der Sinne und des Zentralnervensystems sich vorl\u00e4ufig immer noch gezwungen sehe, psychische Hilfselemente in die physiologische Interpretation der Vorg\u00e4nge einzuf\u00fcgen, und wie ebenso die Psychologie zu Tatsachen greifen m\u00fcsse, die dem naturwissenschaftlichen Gebiete angeh\u00f6ren, um die L\u00fccken auszuf\u00fcllen, auf die sie bei der Verfolgung der inneren Kausalit\u00e4t des psychischen Lebens stofse. \u201eAber darin,\u201c f\u00e4hrt der Verf. fort, \u201eist selbstverst\u00e4ndlich nicht im allermindesten eingeschlossen, dafs nun auch die psychische Kausalerkl\u00e4rung selbst, soweit sie sich auf den Aufbau der psychischen Vorg\u00e4nge aus diesen Elementen bezieht, im psychologischen Sinn erst dann zureichend erforscht sei, wenn sie ebenfalls auf ihre \u201ephysischen Korrelatvorg\u00e4nge\u201c zur\u00fcckgef\u00fchrt ist.\u201c Dieser vom psychophysischen Materialismus vertretenen Auffassung h\u00e4lt W. weiter entgegen, dafs die Gehirnphysiologie die ihr auf solche Weise von der Psychologie \u00fcbertragenen Aufgaben weder jetzt noch in absehbarer Zeit erf\u00fcllen k\u00f6nne, und dafs, wenn wirklich eine solche imagin\u00e4re Gehirnmechanik vorhanden w\u00e4re, damit f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis des psychischen Lebens selbst noch nichts geleistet sei. Der Verf. sucht dies an Beispielen zu illustrieren und f\u00e4hrt fort: \u201eMkujlann ist hier, wie es scheint, dem Mi\u00dfverst\u00e4ndnis verfallen, anzunehmen, ich statuierte die M\u00f6glichkeit eines \u201epsychophysischen Parallelismus\u201c \u00fcberhaupt nur f\u00fcr die Elemente des Seelenlebens, und ich leugnete, dafs den psychischen Verbindungen nicht auch physische Verbindungen entsprechen k\u00f6nnten. Ich leugne nur, dafs die physiologische Analyse dieser Verbindungen eine Aufgabe der Psychologie ist, oder dafs sie \u00fcberhaupt einen psychologischen Wert hat. In diesem Sinne behaupte ich, dafs das Prinzip als \u201eheuristisches\u201c von allgemeiner Bedeutung nur f\u00fcr die Elemente als die Ausgangspunkte der komplexen psychischen Vorg\u00e4nge sei, und dafs es im \u00fcbrigen blofs in gewissen Ausnahmef\u00e4llen eine brauchbare, immer aber sekund\u00e4re Rolle spiele: so z. B. bei der Veranschaulichung des Mechanismus der Assoziationen durch die Vorg\u00e4nge der physiologischen \u00dcbung.\u201c W. kommt endlich nochmals auf den oben besprochenen ObjektbegrifT sowie auf die von ihm geforderte Arbeitsteilung zwischen Psychologie und Naturwissenschaft zur\u00fcck und h\u00e4lt M. nochmals entgegen, dafs, wenn er in Wundts Auffassung des Parallelismusprinzips eine Inkonsequenz sehe, er wohl vom Standpunkt des einem metaphysischen Parallelismus huldigenden Metaphysikers aus Recht habe, aber nicht von dem des empirischen Psychologen aus. Der Verf. schliefst die Abhandlung: \u201eOb \u00fcbrigens der metaphysische Parallelismus im Sinne Spinozas oder Fschnebs heute noch metaphysisch brauchbar ist, sofern man unter Metaphysik eine dem wissenschaftlichen Gesamtbewufstsein der Zeit entsprechende Weltanschauung versteht, ist eine andere Frage. Ich verneine diese Frage. Ich halte den metaphysischen Parallelismus f\u00fcr genau ebenso unhaltbar und willk\u00fcrlich, wie den CAETESiANischen Dualismus oder den BiEKBLETschen Idealismus. Aber diese Frage steht auf einem anderen Blatt,","page":221},{"file":"p0222.txt","language":"de","ocr_de":"222\nLitera turberich t.\ndas ich hier, wo es sich nur um die Angelegenheiten der Psychologie Jiandelt, nicht aufrollen m\u00f6chte.\u201c\nHiermit d\u00fcrften die Hauptgedanken dieser Schrift, die f\u00fcr das Verst\u00e4ndnis der Lehre Wundts f\u00fcr immer ein wertvolles Dokument bleiben wird, wiedergegeben sein. Der Ref. hat, um Mifsverst\u00e4ndnisse zu verh\u00fcten, so viel als m\u00f6glich des Verf. eigene Worte gebraucht. Die Schrift Mm-manns stand ihm bei der Niederschrift nicht zur Verf\u00fcgung.\nKiesow (Turin).\nTh. Ribot. Snr la valeur dei iieatlouairei en psychologie. Journal de psychologie normale et pathologique 1 (1), 1\u201410. 1904.\nDer Verf. unterscheidet die indirekte Massenpr\u00fcfung (unter Benutzung von Zeitschriften, Fragebogen etc.) von der direkten, m\u00fcndlichen. Eine kritische Betrachtung der ersteren f\u00fchrt ihn zu dem Schlufs, dafs diese Fragemethode den Hoffnungen, die auf sie gesetzt wurden, nicht entsprochen habe. R. verkennt nicht, was die Methode in der Hand Galtons und anderer Forscher, bei denen es sich um die L\u00f6sung einfacher und bestimmter Fragen handelte, geleistet habe, r\u00fcgt aber andererseits die M\u00e4ngel, die ihr anhaften, und weist auf die Kindereien hin, zu denen sie zum Teil f\u00fchrte und die sogar ver\u00f6ffentlicht wurden. Die M\u00e4ngel k\u00f6nnen nach R. schon durch die Natur des Gegenstandes gegeben sein, den man untersuchen will. 1st dieser kompliziert, so dafs er in Einzelfragen zerlegt werden mufs, so vermehren sich nach R. auch die Schwierigkeiten, Fehlerquellen auszuschliefsen. Sodann aber sucht der Verf. zu zeigen, dafs auch schon infolge der Unzuverl\u00e4ssigkeit des Publikums, an das man sich vielfach wende, f\u00fcr die Exaktheit der erhaltenen Angaben gar keine Gew\u00e4hr geleistet sei. Als einigermafsen zuverl\u00e4ssig und f\u00fcr die psychologische Forschung nutzbringend erscheint dem Verf. viel mehr die direkte, m\u00fcndliche Fragemethode; doch will er sie nur auf eine geringere Anzahl von dem Experimentator hinreichend bekannten Personen angewandt wissen und empfiehlt aufserdem, Sorge zu tragen, dafs die Versuchspersonen nicht durch zu vieles Fragen suggestiv oder sonstwie st\u00f6rend beeinflufst werden, sowie, dafs der Bildungsgrad derselben in jedem Falle mit in Rechnung gezogen werde. Der Verf. schliefst die interessante Abhandlung mit der Bemerkung, dafs die Massenpr\u00fcfung erst dann ein wichtiges Hilfsmittel in der Hand der Psychologen werden k\u00f6nne, wenn der Kritik die wichtige Rolle einger\u00e4umt werde, die ihr zukomme und dafs jene sowohl an die Verfahrungsweise, als auch an die erhaltenen Antworten anzulegen sei.\nKiesow (Turin).\nM. w kbTHEiMEK und J. Klein. Psychologische Tltbest&ndsdlaglOltik. Archiv f\u00fcr Krim.-Anthropol. u. Kriminalistik 15, 72\u2014113. 1904.\nVerff. stellen die Frage: Ist es nicht m\u00f6glich, die Seele eines Menschen auf allgemeine psychische Folgen eines Tatbestandes hin zu durchforschen, ohne sich auf seine Behauptungen zu st\u00fctzen ? Ist es nicht m\u00f6glich, in diesem Sinne \u00c4ufserungen psychischer Ph\u00e4nomene methodisch hervorzurufen, ohne dafs eine, die Resultate v\u00f6llig verhindernde Ingerenz des Unter suchten statthaben k\u00f6nnte und so zu diagnostizieren, dafs die psychischen Folgen in dem Untersuchten A vorhanden sind, in B nicht?\u201c \u2014 Verff. gehen","page":222}],"identifier":"lit32012","issued":"1905","language":"de","pages":"216-222","startpages":"216","title":"W. Wundt: \u00dcber empirische und metaphysische Psychologie. Eine kritische Betrachtung. Archiv f\u00fcr die ges. Psychologie 2 (4), 333-361. 1904","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T13:52:15.524177+00:00"}