Open Access
{"created":"2022-01-31T16:34:31.365842+00:00","id":"lit32014","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stumpf, C.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 269-283","fulltext":[{"file":"p0269.txt","language":"de","ocr_de":"269\nDifferenzt\u00f6ne und Konsonanz.\nVon\nC. Stumpf.\nNachdem die Begr\u00fcndung der Konsonanzlehre auf die Obert\u00f6ne mifslungen und die Unm\u00f6glichkeit des HELMHOLTzschen Standpunktes unter den Psychologen meines Wissens allgemein anerkannt ist, hat neuerdings F. Krueger an Stelle der Obert\u00f6ne die Differenzt\u00f6ne herangezogen. Seinen Ausf\u00fchrungen, die 1903 erschienen* 1 *, fehlt noch der Schlufs. Aber die zweite Abhandlung enth\u00e4lt bereits eine so klar zusammenh\u00e4ngende, insbesondere psychologisch wohlverst\u00e4ndliche Darstellung, dafs ich nicht l\u00e4nger z\u00f6gern m\u00f6chte, die unl\u00f6slichen Bedenken, denen mir doch auch diese Theorie ausgesetzt scheint, kurz vorzutragen. Zuvor jedoch eine \u00dcbersicht der Lehre.\nln ausgedehnten experimentellen Untersuchungen8 glaubt Krueger gefunden zu haben, dafs zwei gleichzeitige einfache T\u00f6ne im allgemeinen f\u00fcnf Differenzt\u00f6ne erzeugen. Rechnerisch erh\u00e4lt man sie durch fortgesetzte Subtraktion der kleinsten von der zweitkleinsten Schwingungszahl. Also z. B. beim Verh\u00e4ltnis 7:12 entstehen die den Verh\u00e4ltniszahlen 5, 2, 3, 1, 1 entsprechenden T\u00f6ne, wovon in diesem Falle die beiden letzten zusammenfallen und sich verst\u00e4rken. Wenn nun zwei von diesen Differenzt\u00f6nen einander nahe genug liegen, ergeben sie Schwebungen und aufserdem nach Krueger einen Zwischenton, der statt ihrer oder (bei etwas gr\u00f6fserer Distanz) neben ihnen wahrgenommen werden k\u00f6nne und einen eigent\u00fcmlich verschwommenen Eindruck mache: \u00e4hnlich wie man dies auch bei\n1 Differenzt\u00f6ne und Konsonanz. Archiv f. d. gesamte Psychologie 1, 205 f. 2, lf.\n1 Beobachtungen Aber Zweikl\u00e4nge. Wundts Philosophische Studien 16,\n307f., 568f. Zur Theorie der Kombinationst\u00f6ne. Daselbst 17, 185f.","page":269},{"file":"p0270.txt","language":"de","ocr_de":"270\nC. Stumpf.\nkleinen Intervallen von Prim\u00e4rt\u00f6nen beobachte. Z. B. beim Intervall 256:315 (zwischen der kleinen und grofsen Terz) erhalten wir rechnerisch die Differenzt\u00f6ne 59, 197, 138, 79, 20. Hiervon liegen aber 59 und 79 einander so nahe, dafs sie nach Keceger einen Zwischenton bilden m\u00fcssen.\nAuf diese beiden Erscheinungen, Schwebungen und Zwischentonbildung der Differenzt\u00f6ne, ist in erster Linie Kbuegebs Lehre gebaut. Ich gebe sie in folgenden Thesen genau nach seiner Fassung und seinem Gedankengang wieder:\n1. Von allen Zusammenkl\u00e4ngen sind die konsonanten allein frei von Differenztonschwebungen (S. 14).1 \u2014 2. Jeder dissonante Zweiklang enth\u00e4lt als tiefsten Teil des Klangganzen eine verstimmte Prime, also Schwebungen und einen Zwischenton (S. 15).\u2014 3. In der Rauhigkeit dieser Differenztonschwebungen und in dem eigenartigen (unbestimmten, breiten, verschwommenen, zwiesp\u00e4ltigen, in sich selbst unreinen) Charakter des resultierenden Zwischendifferenztones liegt das erste Moment des unerfreulichen Eindruckes der Dissonanz (S. 25 \u201434). W\u00e4hrend also Helmholtz die Rauhigkeit der Schwebungen als das entscheidende Merkmal betrachtet, legt Kb\u00fcegeb das gr\u00f6fsere Gewicht auf die unreinliche Qualit\u00e4t des damit verbundenen Zwischentones. \u2014 4. Eine Folge der unter 1\u20143 angegebenen Unterschiede ist die Klarheit und Einfachheit der Konsonanzen gegen\u00fcber der durch die Zwischent\u00f6ne bedingten Verschwommenheit und Ungleichartigkeit der Dissonanzen. Denn die Eigenschaften der Teile eines Klanges \u00fcbertragen sich auf das Ganze, wenn die Teile nicht gesondert bemerkt werden. Aber auch wenn sie gesondert bemerkt werden, erscheinen alle wahrgenommenen Teilt\u00f6ne eines konsonanten Zusammenklanges klar, einfach, qualitativ bestimmt und selbst\u00e4ndig, w\u00e4hrend Dissonanzen mindestens an einem Punkt, in ihrer Grundlage, eine verschwommene, zwiesp\u00e4ltige, rauhe, schwebende Tonmasse enthalten (S. 36 f.). \u2014 ft. Dazu kommt, dafs die Zahl der Differenzt\u00f6ne bei den Konsonanzen durchschnittlich kleiner ist, weil von den f\u00fcnfen immer mindestens zwei zusammenfallen. Daher und wegen der damit zusammenh\u00e4ngenden besonderen St\u00e4rke des tiefsten Differenztones werden Konsonanzen als einheitlich aufgefafst, und um so mehr, je voll-\n1 Die folgenden Seitenzahlen beziehen sich alle auf die zweite Abhandlung im Archiv f. <1. yes. Psych.","page":270},{"file":"p0271.txt","language":"de","ocr_de":"Differenzt\u00f6ne und Konsonanz.\n271\nkommener die Konsonanz ist (S. 38). \u2014 6. Ferner besitzen die Konsonanzen eine gr\u00f6fsere \u00c4hnlichkeit mit dem musikalischen Einzelklang, da die Differenzt\u00f6ne dieselbe Zahlenreihe, also dieselben Intervalle herstellen, welche bei diesem durch die Obert\u00f6ne gegeben sind. Diese \u00c4hnlichkeit mit dem Einzelklang wirkt zwar psychologisch nur in der Form einer Assoziation, tr\u00e4gt aber gleichfalls bei, Konsonanzen relativ einfach oder einheitlich erscheinen zu lassen (S. 42 f.). \u2014 7. Da nun Einzelklunge zu den fr\u00fchesten und vertrautesten Wahrnehmungen des Ohres geh\u00f6ren, so machen infolge der erw\u00e4hnten \u00c4hnlichkeit Konsonanzen den Eindruck der Bekanntheit. Zu demselben Eindruck wirken aber noch die beiden Umst\u00e4nde mit, dafs Konsonanzen unter sich \u00e4hnlicher sind als Dissonanzen unter sich und dafs sie h\u00e4ufiger sind als diese (S. 44 f.). Doch wird der Bekanntheitseindruck von Kbueger nur als sekund\u00e4res Merkmal bezeichnet, da und insofern er die unter 1\u20145 angegebenen prim\u00e4ren Empfindungsmerkmale voraussetzt (S. 47). \u2014 8. Die Dissonanzen werden auf Konsonanzen bezogen, indem sie als Verstimmungen von Konsonanzen und als gegens\u00e4tzlich zu diesen aufgefafst werden, und zwar geschieht dies a) wegen der Bekanntheit der Konsonanzen (da Fremdartiges auf Bekanntes bezogen wird), b) wegen der Einfachheit der Konsonanzen, wodurch sie den Charakter des Normalen, des nat\u00fcrlichen Zieles gleichzeitiger Ton Verbindungen erhalten. (S. 48f.) \u2014\nKrueger ist der Meinung, dafs die von mir und anderen gegen die HELMHOLTzsche Konsonanztheorie gerichteten Einwendungen seine Fassung nicht treffen. In der Tat kann wenigstens einer der Haupteinw\u00e4nde gegen Helmholtz , dafs n\u00e4mlich der Unterschied von Konsonanz und Dissonanz auch bei einfachen T\u00f6nen bestehen bleibe, nicht ohne weiteres gegen diese neue Lehre angef\u00fchrt werden. Denn einfache T\u00f6ne haben keine Obert\u00f6ne, aber sie liefern Differenzt\u00f6ne. Allerdings wird man zu pr\u00fcfen haben, ob die Zahl und Lage der Differenzt\u00f6ne und ob die durch dieselben verursachten Erscheinungen, namentlich bez\u00fcglich der Zwischent\u00f6ne, mit Kruegers Angabe \u00fcbereinstimmen. Aber zum mindesten widerspricht die Konsonanz einfacher T\u00f6ne nicht von vornherein dem Prinzip der Theorie.\nAuch der von mir angegebene dissonante F\u00fcnfklang1, der\n1 M. Beitr\u00e4ge z. Akustik u. Musikwissenschaft I, S. 6.","page":271},{"file":"p0272.txt","language":"de","ocr_de":"272\nC. Stumpf.\nvon Obertonschwebungen frei ist, kann hiergegen nicht mehr ins Feld gef\u00fchrt werden. Krueger hat richtig nachgewiesen, dals schon die unzweifelhaft vorhandenen ersten und zweiten Differenzt\u00f6ne dieses Zusammenklanges untereinander Schwebungen geben m\u00fcssen (S. 7). Ich finde zwar die Schwebungen auch jetzt so gut wie unmerklich, wenn man die Stimmgabeln nur entsprechend leise angibt. Auch die Herren Dr. Abraham und Dr. v. Hornbostel haben unter diesen Umst\u00e4nden, als wir den F\u00fcnfklang wieder herstellten, nichts von Schwebungen, weder \u00fcber noch unter den Prim\u00e4rt\u00f6nen, wahrgenommen (w\u00e4hrend allerdings bei starkem Anschlag, namentlich der tiefen Gabeln, solche zum Vorschein kommen). Ich gebe aber zu, dafs Helmholtz wenigstens theoretisch von den Obert\u00f6nen auf die Differenzt\u00f6ne h\u00e4tte rekurrieren k\u00f6nnen, um das Schwebungsprinzip zu retten, und dafs ich in der Konstruktion des Beispiels auch darauf h\u00e4tte R\u00fccksicht nehmen m\u00fcssen. Dafs es jedoch zum mindesten bei Zwei- und Dreikl\u00e4ngen m\u00f6glich ist, auch Differenztonschwebungen auszuschliefsen, werden wir bald sehen.\nIch beabsichtige nun in keiner Weise hier auf die tats\u00e4chlichen Grundlagen der Lehre in bezug auf die h\u00f6rbaren Differenzt\u00f6ne und ihre Zwischent\u00f6ne einzugehen. Diese Fragen m\u00f6gen einer sp\u00e4teren Gelegenheit Vorbehalten bleiben. Ausdr\u00fccklich also setze ich in allein folgenden Kb\u00fcegers Thesen \u00fcber Differenzt\u00f6ne und deren Zwischent\u00f6ne als uneingeschr\u00e4nkt richtig voraus. Angenommen, dafs sie den akustischen Tatsachen entsprechen, so fragen wir nur : deckt sich seine Konsonanzlehre in all ihren Konsequenzen mit den Tatsachen des musikalischen Geh\u00f6rs? Sind unter allen Umst\u00e4nden, wo wir mit Sicherheit Konsonanzen und Dissonanzen unterscheiden, die von ihm angegebenen Voraussetzungen vorhanden, und decken sich die F\u00e4lle, die nach allgemeinem Urteil als Konsonanzen und die als Dissonanzen bezeichnet werden, mit denen, die nach seinen Kriterien so zu bezeichnen w\u00e4ren?\n1. Dafs dies nicht der Fall ist, zeigt schon ein einfaches Beispiel. Das Intervall 8:11 geh\u00f6rt zweifellos zu den Dissonanzen. Es liegt zwischen der Quarte und der Quinte. Die f\u00fcnf Differenzt\u00f6ne Kruegers haben hier die Verh\u00e4ltniszahlen 3, 5, 2, 1, 1 Nehmen wir nun Prim\u00e4rt\u00f6ne von der absoluten H\u00f6he 800:1100 (800 = gis '-), so verstehe ich nicht, wieso die Differenzt\u00f6ne 100, 200, 300, 500 untereinander oder mit den Prim\u00e4rt\u00f6nen nach","page":272},{"file":"p0273.txt","language":"de","ocr_de":"Differenzt\u00f6ne und Konsonanz.\n273\nKbueger noch st\u00f6rende Schwebungen oder Zwischent\u00f6ne bilden sollen. Die Oktave 100:200 und die Quinte 200:300 m\u00f6gen noch Spuren von Rauhigkeit aufweisen, wenn man sie mit einem einzelnen einfachen Ton vergleicht : aber dergleichen verschwindende Reste d\u00fcrfte Krueger selbst nicht f\u00fcr die Dissonanz verantwortlich machen. Zwischent\u00f6ne treten nach seiner eigenen Angabe nur in Verbindung mit Schwebungen auf, und er hat sie zwischen Prim\u00e4rt\u00f6nen mittlerer Region nur bis zur kleinen Terz beobachten k\u00f6nnen; w\u00e4hrend die s\u00e4mtlichen Differenzt\u00f6ne, die in unserem Fall entstehen und die gleichfalls der mittleren Region angeh\u00f6ren, miteinander und mit den Prim\u00e4rt\u00f6nen Intervalle bilden, deren kleinstes eine Quinte ist. \u00dcbrigens kann man das Ganze auch noch eine Oktave h\u00f6her legen; dann erh\u00e4lt man eben 200, 400, 600, 1000 als Differenzt\u00f6ne, wo von Schwebungen, also auch von Zwischent\u00f6nen, vollends keine Rede sein kann.\nEine ausgesprochene Dissonanz w\u00fcrde also nach Kruegers Definition zu den vollkommenen Konsonanzen geh\u00f6ren.\nDies ist nun aber nicht etwa ein einzelner Fall. Die Sache liegt ebenso bei 11:15, 13:18, 5:7, 12:17, 7:10, 9:13, die s\u00e4mtlich zwischen Quarte und Quinte liegen, bei 9:14, 7:11, 12:19, 8:13, 11:18, die zwischen Quint und grofser Sexte liegen, bei 11:14, 7:9, 10:13, 13:17 zwischen grofser Terz und Quarte, bei 9:11, 13:16 zwischen kleiner und grofser Terz, bei 10:17, 7:12, 11:19 zwischen grofser Sexte und nat\u00fcrlicher Septime, bei der kleinen Septime 5:9 usw. Die f\u00fcnf Differenzt\u00f6ne liegen in allen diesen F\u00e4llen, wenn als Einheit 100 oder eine noch h\u00f6here Zahl gew\u00e4hlt wird, zu weit auseinander, um noch Schwebungen oder Zwischent\u00f6ne zu liefern. Das kleinste Intervall der Differenzt\u00f6ne untereinander und mit den Prim\u00e4rt\u00f6nen ist in allen diesen F\u00e4llen die grofse Terz. Alle resultierenden Intervalle \u00fcberschreiten also die Grenze m\u00f6glicher Zwischent\u00f6ne.\nNoch unz\u00e4hlige andere Kombinationen, f\u00fcr die das n\u00e4mliche gilt, ergeben sich bei Intervallen, die \u00fcber die Oktave hinausgehen, wie 3:7, 4:9, 4 : 11, 5 : 14 usw., wobei ein oder mehrere Differenzt\u00f6ne zwischen die Prim\u00e4rt\u00f6ne fallen, s\u00e4mtliche T\u00f6ne aber weit voneinander abstehen.\nMan kann sogar Dreikl\u00e4nge herstellen, bei denen alle drei T\u00f6ne untereinander zweifellos dissonieren, ohne dafs die nach den KRUEGEBschen Regeln entstehenden Differenzt\u00f6ne im geringsten Schwebungen oder Zwischent\u00f6ne liefern k\u00f6nnen. In\nZeitschrift fUr Psychologie 39.\t18","page":273},{"file":"p0274.txt","language":"de","ocr_de":"274\nC. Stumpf.\nden folgenden Reihen, in denen durch Summierung zweier Glieder immer das n\u00e4chstfolgende entsteht und die man nach diesem Gesetz auch noch weiter f\u00fchren kann, lassen sich nach Belieben je drei unmittelbar aufeinanderfolgende Glieder zu einem Dreiklang solcher Art vereinigen :\n3\t: 7 : 10 : 17 : 27 . . .\n4\t: 9 : 13 : 22 : 35 .. .\n5\t: 9 : 14 : 23 : 37 .. .\n5 : 13 : 18 : 31 : 49 .. .\n7\t: 9 : 16 : 25 : 41 .. .\n8\t: 11 : 19 : 30 : 49 .. .\n8 : 13 : 21 : 34 : 55 .. .\nUnd so kann man auch noch eine Menge anderer Reihen konstruieren und in T\u00f6ne \u00fcbersetzen, 11 : 24 : 35 usf. Man muis nur immer die absolute Tonh\u00f6he so w\u00e4hlen, dafs die drei Prim\u00e4r-t\u00f6ne noch in der mittleren, musikalisch brauchbaren Tonregion liegen (denn sonst h\u00f6rt freilich auch der Unterschied von Konsonanz und Dissonanz auf). Und ferner mufs der Koeffizient, mit dem die Verh\u00e4ltniszahlen multipliziert werden, um die absoluten Schwingungszahlen zu erhalten, grofs genug sein, damit die zwischen den Differenzt\u00f6nen entstehenden Abst\u00e4nde mindestens 100 Schwingungen betragen.\nDie hier angef\u00fchrten Dreikl\u00e4nge habe ich in Wirklichkeit hergestellt, wenigstens den ersten Dreiklang jeder Reihe, gelegentlich auch den zweiten. Mit Hilfe der auf die Grundzahlen 50 und 100 und ihre Multipla abgestimmten Gabeln des Berliner psychologischen Instituts sowie eines STEnxschen Tonvariatore mit sechs Flaschen ist dies mit Leichtigkeit auszuf\u00fchren. Wenn die Verh\u00e4ltnisse rein hergestellt sind, bringt die Hinzuf\u00fcgung des h\u00f6chsten Tones zu den zwei tieferen nichts mehr an Differenzt\u00f6nen zum Vorschein als was schon durch die beiden tieferen T\u00f6ne allein gegeben war, wie dies auch der Rechnung entspricht.\nDie Gef\u00fchlswirkung dieser Dreikl\u00e4nge ist eine verschiedene. Nicht immer wird man den Zusammenklang geradezu unangenehm oder widerw\u00e4rtig nennen. So z. B. k\u00f6nnte man sich mit den Dreikl\u00e4ngen der letzten Reihe (bei denen das Intervall je zweier benachbarter T\u00f6ne ann\u00e4hernd eine kleine Sexte ist)","page":274},{"file":"p0275.txt","language":"de","ocr_de":"Differenzt\u00f6ne und Konsonanz.\n275\nvom Gef\u00fchlsstandpunkt vielleicht abfinden. Aber dafs auch solche nicht gerade unangenehme Zusammenstellungen doch dissonant sind, kann ein Kundiger nicht bezweifeln. Und wenn ein minder Ge\u00fcbter, doch nicht Unmusikalischer, im Zweifel ist, braucht man nur einen wirklich konsonanten Dreiklang dagegenzustellen, um richtigen Bescheid zu erhalten, welcher von beiden konsonant und welcher dissonant ist. Man sieht eben wieder, dafs Dissonanz nicht so viel ist wie Unannehmlichkeit.\nIn vielen F\u00e4llen aber, wie z. B. bei 4 : 9 : 13, 5 : 9 : 14, 5:13 : 18, 8 : 11 : 19 ist auch die Gef\u00fchlswirkung f\u00fcr das musikalische Ohr eine abscheuliche. Dazu mufs man noch in Betracht ziehen, dafs bei diesen Dreikl\u00e4ngen die entstehenden Differenzt\u00f6ne alle mehrfach vertreten sind und sich gegenseitig verst\u00e4rken m\u00fcssen, dafs sie ferner auch teilweise mit den Prim\u00e4rt\u00f6nen zusammenfallen und diese wieder verst\u00e4rken, so dafs also die Bedingungen des Konsonierens nach Kruegeb sogar im h\u00f6chsten Mafse gegeben sein m\u00fcfsten. Z. B. bei 3 : 7 : 10 erhalten wir von allen drei Tonpaaren nur die Differenzt\u00f6ne 1, 2, 3, 4, 7, so zwar, dafs der Ton 1 f\u00fcnfmal, die T\u00f6ne 2, 3 und 4 je dreimal vertreten sind und der Ton 7 mit dem Prim\u00e4rton 7 zusammenf\u00e4llt. Der wundervollste Zusammenklang m\u00fcfste so resultieren. Nnn \u2014 wer weifs ob nicht die Zukunft eine neue Harmonielehre gerade auf diesem Grund erbaut. Aber wir haben es vorl\u00e4ufig mit der durch die vergangenen Jahrhunderte ausgebildeten Akkordlehre zu tun, und, was die konsonanten und dissonanten Intervalle selbst betrifft, auch mit Feststellungen von Jahrtausenden. Diese gilt es unter ein psychologisch durchsichtiges Prinzip zu bringen. Das Prinzip ist denn auch durchsichtig: aber sie fallen nicht darunter.\nNur einen Weg k\u00f6nnte ich mir allenfalls denken, um diese Widerspr\u00fcche mit den Tatsachen des musikalischen Geh\u00f6rs zu l\u00f6sen. Man m\u00fcfste annehmen, dafs Differenzt\u00f6ne noch in erheblich gr\u00f6fseren Abst\u00e4nden unter sich und mit Prim\u00e4rt\u00f6nen Schwebungen und Zwischent\u00f6ne g\u00e4ben, als Prim\u00e4rt\u00f6ne untereinander, dafs also hier selbst im Zwischenraum einer Terz, einer Quarte, einer Quinte noch Unreinlichkeiten des Zusammenklanges entst\u00e4nden. Unter dieser Voraussetzung w\u00fcrden nun aber umgekehrt anerkannte Konsonanzen zu Dissonanzen. So die Terz 4:5, da ihre Differenzt\u00f6ne 2 und 3 eine Quinte, ferner 3 mit dem Prim\u00e4rton 4 eine Quarte bildet. Es blieben dann \u00fcber-\n18*","page":275},{"file":"p0276.txt","language":"de","ocr_de":"276\nC. Stumpf.\nhaupt nur noch die Oktave und die Quinte als Konsonanzen \u00fcbrig.\nUnd schliefslich : wo bleibt denn in allen angef\u00fchrten F\u00e4llen jene verstimmte Prime, die die Klangbasis jedes dissonanten Intervalls sein soll? Die zwei untersten Differenzt\u00f6ne verhalten sich hier wie 1:2, auch gelegentlich wie 1: 3, wie 3:5, 2:5. Kann man Oktaven, Sexten, Dezimen, Duodezimen noch als verstimmte Primen bezeichnen? \u2014\nBringt die noch ausstehende Fortf\u00fchrung der Theorie eine befriedigende L\u00f6sung dieser anscheinend unl\u00f6slichen inneren Widerspr\u00fcche, so will ich mich gern als voreiligen N\u00f6rgler bekennen. Aber vielleicht r\u00e4umt mir der hochgesch\u00e4tzte junge Forscher wenigstens ein, dafs auch schon der bisherige Teil seines Geb\u00e4udes wesentliche L\u00fccken hat, zu deren Ausf\u00fcllung besondere Feststellungen notwendig sind. Und dann wird sich zeigen, ob die Fundamente unge\u00e4ndert bleiben k\u00f6nnen.\n2. Inzwischen kommen aber noch folgende Bedenken hinzu.\na) Kombinationst\u00f6ne lassen sich bekanntlich, ebenso wie Schwebungen, ganz oder nahezu dadurch zum Verschwinden bringen, dafs man zwei Gabeln an die beiden Ohren verteilt.1 Es ist zwar nicht richtig, dafs sie dadurch in allen F\u00e4llen und unter allen Umst\u00e4nden verschw\u00e4nden, wie fr\u00fcher behauptet wurde. Den Einschr\u00e4nkungen, die K. L. Schaefer angegeben hat, m\u00fcssen wohl noch weitere beigef\u00fcgt werden.2 Die Luft- und die Kuochen-leitung m\u00fcssen eben so reduziert sein, dafs keine merkliche \u00dcbertragung von einem zum anderen Ohr stattfindet. Aber so viel ist gewifs, dafs es m\u00f6glich ist, Kombinationst\u00f6ne unter\n1 Nach dem Vorschlag meines Kollegen Dibls m\u00f6chte ich dies als dichotisches H\u00f6ren bezeichnen gegen\u00fcber dem di o tisch en, bei welchem beide Ohren dieselben T\u00f6ne h\u00f6ren, und dem monotischen, bei welchem nur ein Ohr beteiligt ist.\n* Schaefer erhielt noch Differenzt\u00f6ne, wenn er eine Gabel leise, die andere laut angab; und zwar in dem Ohr, dem die leise Gabel geboten wurde, weil hier der andere Ton eben auch nur leise, also mit etwa gleicher St\u00e4rke, herilberkam (Zeitgehr. f. Psych. 1, 93 f.). Auch L. Herrmaxk fand nur unter ganz speziellen Versuchseinrichtungen Differenzt\u00f6ne bei dichoti-schein H\u00f6ren (Pfl\u00fcgers Arch. f. d. gcs. Physiol. 49, 513). Neuerdings hat P. Rostosky Schwebungen \u2014 von Differenzt\u00f6nen spricht er nicht \u2014 selbst bei beiderseits leisester Tongebung noch erhalten, als die Beobachtungen Nachts von 12\u20142 Uhr angestellt wurden (Wundts Phil. Stud. 19, 568, 572).","page":276},{"file":"p0277.txt","language":"de","ocr_de":"Differenzt\u00f6ne und Konsonanz.\n277\nbestimmten Umst\u00e4nden auf solche Weise selbst f\u00fcr sehr ge\u00fcbte Ohren v\u00f6llig unwahmehmbar zu machen.\nW\u00e4hlt man nun in solchen F\u00e4llen dissonante T\u00f6ne, so bleibt gleichwohl ihre Dissonanz erhalten. Keiner, der \u00fcberhaupt Dissonanzen und Konsonanzen unterscheiden kann, wird in Verlegenheit kommen, zu sagen, was er vor sich hat. Es ist in d i e s e r Beziehung schlechterdings kein Unterschied zwischen dichotischem, diotischem und monotischem H\u00f6ren, wenn auch das Rollen oder die Rauhigkeit beim dichotischen wegf\u00e4llt. Dieses Argument trifft also die neue Lehre ebenso wie die HELMHOLTZsche ; ja es trifft sie noch st\u00e4rker, denn Differenzt\u00f6ne und ihre Folgeerscheinungen sind auf diesem Wege noch leichter und vollst\u00e4ndiger zum Verschwinden zu bringen wie Schwebungen der Prim\u00e4rt\u00f6ne.1\nNun l\u00e4fst sich freilich immer sagen : \u201edie Differenzt\u00f6ne samt\n1 Krukof.k erw\u00e4hnt gelegentlich (S. 63) einen Versuch Max Meyebs, der eben dieses Mittel des dichotischen H\u00f6rens zum Ausschlufs von Differenzt\u00f6nen benutzte, f\u00fcgt aber bei: \u201enat\u00fcrlich ohne Erfolg. Es gibt nur ein Mittel, Differenzt\u00f6ne aus Zusammenklangen wirklich auszuschliefsen : Verk\u00fcrzung der Klangdauer auf den Bruchteil einer Sekunde.\u201c Dieses \u201enat\u00fcrlich\u201c verstehe ich nicht. Dafs der Erfolg bei Meyek nicht vollst\u00e4ndig war, kam von einer besonderen Versuchseinrichtung, die er aus anderen Gr\u00fcnden nicht entbehren wollte. Wenn man lose Stimmgabeln von mittlerer H\u00f6he, nicht zu stark angeschlagen, rechts und links verteilt, ist der Erfolg f\u00fcr meine Ohren vollst\u00e4ndig. Und selbst wenn Spuren noch erkennbar sein sollten, k\u00f6nnen doch solche mit der gr\u00f6fsten M\u00fche in stiller Mitternacht noch etwa erkennbare Reste den so kr\u00e4ftig ausgesprochenen und gerade bei geringer St\u00e4rke vollkommen deutlichen Unterschied in Hinsicht der Konsonanz nicht begreiflich machen.\nEs gibt sogar noch einen Weg, die h\u00f6rbaren DiSerenzt\u00f6ne wenigstens \u00e4ufierst einzuschr\u00e4nken: die Darbietung sehr schwacher T\u00f6ne, auch wenn sie einunddemselben Ohr gegeben werden. In diesem Fall erscheinen h\u00f6chstens diejenigen Differenzt\u00f6ne, die im Falle mittlerer St\u00e4rke der Prim\u00e4rt\u00f6ne sehr kr\u00e4ftig vorhanden sind. Dagegen macht f\u00fcr den Unterschied eines Intervalls als eines konsonanten oder dissonanten die St\u00e4rke \u00fcberhaupt keinen Unterschied.\nBei \u00e4ufserst kurzen T\u00f6nen allerdings ist es anders: da werden Konsonanzen und Dissonanzen in einer merkw\u00fcrdigen Weise verwechselt, wie ich in einer fr\u00fcheren Abhandlung gezeigt habe. Dafs dies aber an dem Wegfalle der Differenzt\u00f6ne liege, w\u00fcrde man nur dann vermuten k\u00f6nnen, wenn dieser Wegfall auch beim dichotischen H\u00f6ren denselben Einflufs h\u00e4tte. Da er hier aber keinen Einflufs hat, k\u00f6nnen Differenzt\u00f6ne nicht unbedingt erforderlich sein.","page":277},{"file":"p0278.txt","language":"de","ocr_de":"278\nC. Stumpf.\nihren Zwischent\u00f6nen sind da, auch wenn sie bei h\u00f6chster Aufmerksamkeit nicht wahrgenommen werden, und es k\u00f6nnen auch solche Empfindungsreste unterhalb der Schwelle unser Gef\u00fchl noch beeinflussen.\u201c Immerhin wird es nicht leicht zu beweisen sein, dafs sie noch da sind, und aufserdem w\u00e4re doch wohl zu schliefsen, dafs in solchen F\u00e4llen die Unannehmlichkeit, wenn nicht ganz verschwunden, doch auf ein Minimum herabgemindert, folglich das darauf gebaute Urteil \u201edissonant-konsonant\u201c wankend gemacht w\u00fcrde.\nb)\tWeiter sei darauf hingewiesen, dafs unter den Obert\u00f6nen eines Einzelklanges, die mit steigender Ordnungszahl einander immer n\u00e4her r\u00fccken, mit den Schwebungen zugleich auch Zwischent\u00f6ne entstehen m\u00fcssen, wenn anders auch unter schwachen T\u00f6nen bei gen\u00fcgender Kleinheit ihres Intervalls Zwischent\u00f6ne zustande kommen. Also z. B. zwischen dem 7. und 8. oder noch h\u00f6heren Obert\u00f6nen, die in Zungenkl\u00e4ngen sogar noch recht kr\u00e4ftig vorhanden sind. Ist nun die Beimischung von Rauhigkeiten und Zwischent\u00f6nen das Charakteristische der Dissonanz, so wird die \u00c4hnlichkeit der Konsonanzen mit den obertonhaltigen Einzelkl\u00e4ngen, auf die Krueger in der Durchf\u00fchrung seiner Lehre Gewicht legt (\u2019s. o. Nr. 6), schwer begreiflich. Vielmehr gerade Dissonanzen m\u00fcssen dann eine au.-fallende \u00c4hnlichkeit mit solchen Einzelkl\u00e4ngen besitzen.\nc)\tFerner kann man die zur Dissonanz geforderten Bedingungen leicht auf k\u00fcnstlichem Wege auch bei vollkommenen Konsonanzen herstellen. Ich habe z. B. eine Oktave oder Quinte oder Terz oder einen reinen Dreiklang (400 : 500 : 600) mit einfachen T\u00f6nen angegeben und dazu gleichzeitig aus der Entfernung die beiden Resonanzgabeln 120 und 125 oder 100 und 120 oder 125 und 150 erklingen lassen, die untereinander immer Schwebungen und einen Zwischenton ergeben m\u00fcssen, wie sie Krueger verlangt. Ich habe aber nicht finden k\u00f6nnen, dafs dadurch der Charakter der Intervalle als einer Oktave usw. oder des Dreiklangs irgendwie alteriert oder unkenntlich gemacht w\u00fcrde. Man empfindet nat\u00fcrlich die Beimischung der schwebenden tiefen T\u00f6ne als eine Modifikation des Gesamtklanges, aber sobald man die Aufmerksamkeit auf den Fragepunkt: \u201eKonsonanz- und Intervallcharakter der beiden Hauptt\u00f6ne\u201c konzentriert, so wird man nicht mehr in seinem Urteil dadurch beeinflufst werden ; so wenig wie durch eine summende M\u00fccke, durch das Strafsenger\u00e4usch oder","page":278},{"file":"p0279.txt","language":"de","ocr_de":"Differenzt\u00f6ne und Konsonanz.\n279\nfernen Trommelwirbel. Es scheint mir einleuchtend, dafs \u00fcberhaupt dergleichen Beimischungen, m\u00f6gen sie nun mehr oder weniger regelm\u00e4fsig vorhanden sein, mit dem musikalischen Unterschied von Konsonanz und Dissonanz und dem darauf in erster Linie ruhenden Intervallbewufstsein nicht das geringste zu tun haben. Nicht einmal die angenehme Gef\u00fchlswirkung schien mir und meinen Mitarbeitern beeintr\u00e4chtigt, wenn nur die tiefen T\u00f6ne selbst so gew\u00e4hlt wurden, dafs sie in Konsonanzverh\u00e4ltnissen zu den h\u00f6heren standen. Dann wurde die leise Rauhigkeit eher als eine angenehme W\u00fcrze empfunden.\nWollte man hierauf erwidern, dafs eben durch die Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Prim\u00e4rt\u00f6ne die \u00dcbertragung der Eigenschaften der beigemischten Eindr\u00fccke auf das Klangganze, auf die hier alles ankomme, verhindert werde: so m\u00fcfste man auch die Konsequenz anerkennen, dafs bei einer ausgesprochenen Dissonanz mit Zwischendifferenzt\u00f6nen usf. durch Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Prim\u00e4rt\u00f6ne der Dissonanzcharakter ebenso verschwinden m\u00fcfste, dafs also in allen F\u00e4llen, wo wir die Aufmerksamkeit auf die Prim\u00e4rt\u00f6ne konzentrieren (was doch im musikalischen Gebrauch \u00fcberhaupt durchg\u00e4ngig der Fall ist) der ganze Unterschied von Konsonanz und Dissonanz verschw\u00e4nde. Ist dies nicht ein geradezu absurdes Ergebnis? Kann man deutlicher dartun, dafs die Merkmale der Konsonanz und Dissonanz den T\u00f6nen selbst zukommen m\u00fcssen, die wir als konsonant oder dissonant bezeichnen, und nicht irgend welchen anderen Klangelementen?\nH\u00e4tten wirklich dergleichen minimale Beimischungen eine Bedeutung f\u00fcr das musikalische Grundph\u00e4nomen, wie sollte dann ein reiner Durdreiklang mittlerer Tonlage uns noch konsonant erscheinen, wenn wir ihn mit Zungen oder auch nur auf dem Klavier angeben, wo er doch eine Menge unter sich kollidierender Obert\u00f6ne enth\u00e4lt? Wenn nun diese Kollisionen oberhalb der Prim\u00e4rt\u00f6ne nichts an ihrer Konsonanz \u00e4ndern, wie sollen sie solchen Einflufs erlangen, sobald sie nach unten verlegt werden ? Ich sollte meinen, dafs man nur an ein solches Beispiel zu denken brauchte, um unmittelbar die Unm\u00f6glichkeit aller Theorien zu erkennen, die das Ph\u00e4nomen der Konsonanz in erster Linie auf dergleichen Beimischungen zur\u00fcckf\u00fchren wollen.\nNoch einen Ausweg aber m\u00f6chte ich ber\u00fchren, den man nicht blofs dem letzten sondern allen meinen Ein w\u00e4nden gegen-","page":279},{"file":"p0280.txt","language":"de","ocr_de":"280\nC. Stumpf.\n\u00fcber ergreifen k\u00f6nnte. Man k\u00f6nnte erwidern, dafs bei Wegfall der prim\u00e4ren Kriterien doch die sekund\u00e4ren \u00fcbrig bleiben, die Krueger hinzugef\u00fcgt hat, namentlich die \u201eBekanntheit\u201c der Konsonanzen.\nAuch dieser Ausweg ist illusorisch. Denn wodurch k\u00f6nnte ein gegebenes Intervall den Eindruck des Bekannten oder des Einfachen usw. machen, wenn die Eigenschaften, durch die es sonst bekannt, einfach usf. erscheint, augenblicklich eben weggefallen sind oder gegenteiligen Eigenschaften Platz gemacht haben? Und wodurch k\u00f6nnte ein Intervall als weniger bekannt, als zusammengesetzt usw. erscheinen, wenn die prim\u00e4ren Eigenschaften fehlen, die sonst an einem solchen Eindruck Schuld sind? Kr\u00fceger selbst hebt es hervor (S. 47): \u201eDie prim\u00e4r gegebenen Tatsachen der Empfindung wirken \u00fcberall in die aufgezeigten Erfahrungszusammenh\u00e4nge hinein und bilden deren notwendige Voraussetzung.\u201c\nEndlich : auch der Rekurs auf die Erinnerung kann nicht helfen. Ebenso wie Helmholtz\u2019 Theorie nicht dadurch zu retten ist, dafs man sagt: \u201eBei einfachen T\u00f6nen erinnern wir uns des Eindrucks, den das n\u00e4mliche Intervall bei obertonreichen Kl\u00e4ngen machte\u201c 1 \u2014, ebensowenig darf man sich hier damit beruhigen, dafs etwa die dichotisch geh\u00f6rten Intervalle uns an die monotisch geh\u00f6rten erinnern. Wodurch sollten sie uns denn an bestimmte andere Intervalle erinnern? \u2014 Und so kann man auch gegen\u00fcber unserem ersten und st\u00e4rksten Einwand nicht etwa erwidern, dafs das Intervall 8:11 und s\u00e4mtliche obenerw\u00e4hnte Verh\u00e4ltnisse, bei denen selbst monotisch keine Schwebungen und keine Zwischent\u00f6ne auftreten k\u00f6nnen, an Intervalle mit Schwebungen und Zwischent\u00f6nen erinnern. Einem Psychologen wie Krueger brauche ich die Haltlosigkeit dieser Ausflucht nicht weiter zu verdeutlichen.\nNach wiederholtem Studium der KRUEGERschen Abhandlung glaube ich auch die Wurzel seines Irrtums erkannt zu haben: seine ganze Theorie ist auf die Verstimmungen der Konsonanzen zugeschnitten, d. h. auf die sehr kleinen Abweichungen von den einfachsten Zahlenverh\u00e4ltnissen. Allent-\n1 8. m. Beitr\u00e4ge zur Akustik I, S. 16. Zustimmend Kbcbgbb Arch. f. d. ges. Psych. 1, 213.","page":280},{"file":"p0281.txt","language":"de","ocr_de":"Differenzt\u00f6ne und Konsonanz.\n281\nhalben wo er Beispiele und Beweise bringt, sind sie diesem Gebiet entnommen.1 Er hat nicht oder nicht hinreichend auf die h\u00f6chst zahlreichen F\u00e4lle geachtet, wie wir sie oben anf\u00fchrten, wo Verh\u00e4ltniszahlen zwischen etwa 6 und 20 vorliegen; ich m\u00f6chte sagen: auf die ehrlichen Dissonanzen. Diese Richtung seiner theoretischen Betrachtung wurzelt aber wieder in der Einrichtung seiner experimentellen Untersuchung \u00fcber Differenzt\u00f6ne, da unter den von ihm untersuchten Intervallen nur ver-h\u00e4ltnism\u00e4fsig sehr wenige von diesen ehrlichen Dissonanzen Vorkommen.\nBei den Verstimmungen der vollkommenen Konsonanzen, wenigstens der Oktave und der Quinte, spielen nun wirklich die Differenzt\u00f6ne eine Rolle. Jedenfalls sind hier Differenztonschwebungen vorhanden und k\u00f6nnen als Kriterium benutzt werden. Wenn man Kl\u00e4nge mit Obert\u00f6nen hat, machen sie sich auch bei den Verstimmungen der Quarten, Terzen und Sexten noch geltend. Dies ist freilich nichts Neues, vielmehr von Helmholtz bereits ausf\u00fchrlich erl\u00e4utert. Der ganze elfte Abschnitt seines Werkes handelt davon. Auch hat Helmholtz in dem\n1 Man vergleiche besonders die grundlegenden Deduktionen S. 9f. Wenn es S. 15 unten heilst: \u201eEs wurde nachgewiesen, dafs jeder dissonante Zweiklang als tiefsten Teil des Klangganzen eine verstimmte Prime enth\u00e4lt \u25a0*, so sucht man vergeblich nach der Stelle, wo dieses nachgewiesen w\u00e4re. S. 9 heifst es nur: \u201e\u00dcberall ergab sich schliefslich (bei den Experimenten) als Tr\u00e4ger der Schwebungen der verstimmte Einklang, der bei jeder Verstimmung einer Konsonanz als tiefster Bestandteil des Klangganzen auftritt\u201c.\nNun behauptet allerdings Kruegeb (S. 48), dafs eben alle Dissonanzen, and zwar die musikalisch ungebr\u00e4uchlichen am zwingendsten, als verstimmte Konsonanzen aufgefafst werden. Hier\u00fcber will ich augenblicklich nicht streiten. Aber es sei so: was w\u00fcrde denn die blofse Auffassung von 8 : 13 als einer verstimmten grofsen oder kleinen Sexte helfen, wenn doch tats\u00e4chlich keine Schwebungen und Zwischent\u00f6ne dabei auftreten k\u00f6nnen? Die sinnliche Grundlage, die den Konsonanzverstimmungen nach Kboeger eigen ist, sie von den Konsonanzen selbst unterscheidet und zu Dissonanzen stempelt, fehlt eben hier. Der Erfahrene kann wohl auf Grund eines gewissen inneren Experimentierens sich sagen: wenn ich dieses Intervall noch ein wenig vergr\u00f6fsere, wird eine grofse Sexte daraus, wenn ich es verkleinere, eine kleine. Aber dadurch wachsen dem geh\u00f6rten Klang die Eigenschaften nicht zu, die das Wesen der Dissonanz ausmachen sollen. Man m\u00fcfste vielmehr erwarten, dafs diese s\u00e4mtlichen Zwischenintervalle l\u00e4ngst als vollkommene Konsonanzen h\u00e4tten erkannt werden m\u00fcssen.","page":281},{"file":"p0282.txt","language":"de","ocr_de":"282\nC. Stumpf.\ndarauffolgenden Abschnitt den Einflufs von Differenztonschwebungen auf den Gef\u00fchlseindruck ganzer Akkorde, namentlich des Mollakkords, hervorgehoben. Ich wies gleichfalls gelegentlich auf derartige Einfl\u00fcsse hin1, glaube aber nicht, dafs zu Helmholtz\u2019 Er\u00f6rterungen in dieser Eichtling noch etwas Wesentliches hinzuzuf\u00fcgen w\u00e4re.\nAuch den positiven Beitrag, den schwebungsfreie Differenzt\u00f6ne zur wohltuenden Wirkung reiner konsonanter Intervalle und Akkorde liefern, m\u00f6chte ich keineswegs verkennen. Jedes konsonante Intervall aufser der Oktave erg\u00e4nzt sich infolge seiner Differenzt\u00f6ne zu einem konsonanten Mehrklang, und zwar treten stets vollkommenere Konsonanzen dazu. Wenn man nun eine angenehme Wirkung von Konsonanzen als gegeben voraussetzt, so versteht man die doppelt angenehme Wirkung dieser Vervollst\u00e4ndigung. Aber immer mufs das Wesen und die Wirkung der Konsonanz dann schon auf irgendwelche andere Merkmale gegr\u00fcndet sein.\nKann ich somit die Grundidee Kruegebs nicht als eine gl\u00fcckliche ansehen, so m\u00f6chte ich doch schliefslich mit um so st\u00e4rkerer Betonung meine Zustimmung zu vielen Einzelheiten in dem, was er \u00fcber die Bekanntheit und andere Eigenschaften der Konsonanzen feinsinnig ausf\u00fchrt, zum Ausdruck bringen.\nAuf eine Diskussion der in Wundts Philos. Stud. 16, S. 624\u2014663 von Kkuegek mitgeteilten sehr ausf\u00fchrlichen Tabellen m\u00f6chte ich hier nicht eingehen, da ich nicht sehe, wie die Beweiskraft der vorstehenden \u00dcberlegungen dadurch irgend abgeschw\u00e4cht werden k\u00f6nnte. Die Existenz von 5 Differenzt\u00f6nen, die in erster Linie daraus erschlossen werden sollte, haben wir ja f\u00fcr diese \u00dcberlegungen ohne weiteres vorausgesetzt. Man k\u00f6nnte nun etwa noch die zwei Rubriken \u201eSchwebungen\u201c und \u201eGesamteindruck\u201c daraufhin vergleichen, ob die Versuchspersonen jedesmal, wo der Gesamteindruck als dissonant bzw. als unangenehm bezeichnet wurde, auch Schwebungen oder Rauhigkeiten angaben und umgekehrt, ob ferner \u201ekonsonant\u201c und \u201eangenehm\u201c mit dem Mangel von Schwebungen sich decken usf. Aber beweisend w\u00fcrden Koinzidenzen, wenn auch mehr davon Vorkommen als man dem Zufall zuschreiben kann, immer noch nicht sein, weil bei unmusikalischen oder nicht ausgesprochen musikalischen Personen, wie sie unter den Versuchspersonen die Mehrheit bildeten, in der Tat das Urteil leicht von Schwebungen beeinflufst wird, wie sie denn auch f\u00fcr diese Nebenerscheinungen ein besonders feines Ohr haben, und weil bei Musikalischen wenigstens die Annehmlichkeit des Zusammenklanges davon beeinflufst werden kann (m. Beitr\u00e4ge z. Akustik I, S. 13 f.).\n1 Zeitschr. f. Psych. 6, S. 37; ferner Beitr. z. Akustik I, S. 13f.","page":282},{"file":"p0283.txt","language":"de","ocr_de":"Differenzt\u00f6ne und Konsonanz.\n283\nGleichwohl vergleiche man nur beispielsweise den Fall 512 : 732 bei Krukqkk 1. c. S. 643. Das Verh\u00e4ltnis f\u00e4llt fast genau mit 7 :10 zusammen (7 :10 = 512 : 731,4). Keine der vier Versuchspersonen gibt hier Schwebungen an. Man sollte also erwarten, dafs das Intervall mit Entschiedenheit als konsonant bzw. als angenehm bezeichnet w\u00fcrde. Und doch bezeichnen drei Personen den Eindruck als dissonant (dies ergibt sich aus den \u00c4ufse-rungen \u201edissonanter\u201c, \u201eim wesentlichen unver\u00e4ndert\u201c, \u201e\u00e4hnlich\u201c, wenn man die Vergleichsintervalle nachschl\u00e4gt). Die vierte enth\u00e4lt sich der Aufserung. Einen Beweis gegen Khukgek entnehme ich nicht daraus; k\u00f6nnte man aber etwas folgern, so w\u00e4re es doch nur dies, dafs Dissonanz ohne Schwebungen m\u00f6glich ist.\n(Eingegangen am 19. Mai 1905.)","page":283}],"identifier":"lit32014","issued":"1905","language":"de","pages":"269-283","startpages":"269","title":"Differenzt\u00f6ne und Konsonanz","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:34:31.365847+00:00"}