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{"created":"2022-01-31T14:22:35.796395+00:00","id":"lit32018","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Stigler, Robert","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 39: 327-331","fulltext":[{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus dem Physiologischen Institute der k. k. Universit\u00e4t Wien.)\nBeitr\u00e4ge zur Kenntnis von der entoptisehen Wahrnehmung der Netzhautgef\u00e4fse.\nVon\nDr. Robert Stigleb,\nz. Z. Operationsz\u00f6gling an der 2. Augenklinik in Wien.\nI.\nEinfacher als die bisher in der einschl\u00e4gigen Literatur beschriebenen Methoden zur entoptisehen Wahrnehmung der Netzhautgef\u00e4fse scheint mir folgende zu sein.\nIch schliefse beide Augen und wende sie sodann gegen eine Lichtquelle, sei es gegen eine nat\u00fcrliche oder eine k\u00fcnstliche. Dann wende ich die Augen unter den geschlossenen Lidern nach oben und ziehe das untere Lid eines Auges mit der Fingerkuppe ein wenig nach abw\u00e4rts, soweit, dafs durch das hierdurch frei gewordene unterste Segment der Pupille Licht inB Auge f\u00e4llt. Man kann, um gewifs jeden Druck aufs Auge auszusohalten, das untere Lid dadurch herabziehen, dafs man mit dem Finger die Haut \u00fcber der Maxilla nach unten schiebt. Sofort erscheint mir mit gr\u00f6fster Deutlichkeit das Schattenbild meiner Netzhautgef\u00e4fse auf dem durch das Licht, welches durch das freie Segment und durch das obere Lid (falls dieses nicht eigens mit einem Schirm bedeckt wird) einfiel, erhellten Hintergr\u00fcnde. Dieses Bild verschwindet in sehr kurzer Zeit wie jede subjektive Gesichtserscheinung, die ihren Ort auf der Netzhaut nicht \u00e4ndert.1\nLasse ich nun das untere Lid wieder los und schliefse das Auge wieder oder verdunkele ich, was dasselbe bewirkt, das\n1 Vgl. S. Extras \u201eDas Verschwinden der Nachbilder bei Augenbewegungen\u201c. Zeitschr. f. Psych, u. Phys. d. Sinnesorgane. 1.","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"3\u201828\nRobert Stigler.\nGesichtsfeld durch Vorhalten der anderen Hand vor das ganze Auge, so erscheint nach einer sehr kurzen Zeit v\u00f6lliger Dunkelheit ein gelblich leuchtendes Bild der Aderfigur auf dunkelem Grunde.\nDieses negative Bild erscheint auch dann, wenn ich das Gesichtsfeld erst zu einer Zeit verdunkele, da ich die Gef\u00e4\u00fcs-schattenfigur, welche ja, wie erw\u00e4hnt, nur kurze Zeit sichtbar ist, schon l\u00e4ngst nicht mehr wahmehme, ja sie erscheint bis zu einer gewissen Grenze um so heller und dauerhafter, je l\u00e4nger ich das Licht durch das freie Segment der Pupille einfallen lieft. Es scheint mir wahrscheinlich, dafs man es hier mit einem rasch vor\u00fcbergehenden negativen Nachbild der erst gesehenen und eventuell in den Sekunden und Minuten nicht mehr wahrgenommenen dunkelen Aderfigur auf hellem Grunde zu tun hat.\nH.\nDie erste Erw\u00e4hnung der Aderfigur findet sich, nach einer Angabe Zehendees 1 bei Sauvages.* * Dieser bemerkte sie an einer weifsen, beleuchteten Wand synchron mit dem Puls auftretend und verschwindend, ohne dar\u00fcber N\u00e4heres anzugeben, also anscheinend zuf\u00e4llig einmal.\nIch kann die Aderfigur jederzeit willk\u00fcrlich erzeugen, wenn ich, w\u00e4hrend das eine Auge geschlossen ist, das andere offene gegen den hellen Himmel wende und zugleich darauf im \u00e4ufseren oder inneren Augenwinkel einen m\u00e4fsigen anhaltenden Druck aus\u00fcbe. Es tritt hierbei, eventuell nach einer kurz dauernden Verdunkelung des Gesichtsfeldes, gleichzeitig mit jeder Systole des Herzens (welche auch als Drucksteigerung im Auge empfunden wird) das Schattenbild der Netzhautgef\u00e4fse auf, um w\u00e4hrend der Diastole wieder zu verschwinden, und zwar ohne ein Nachbild zu hinterlassen.\nDiese Erscheinung erkl\u00e4rt sich offenbar als Druckpuls der Netzhautarterien, deren Schatten w\u00e4hrend ihrer Erweiterung wahrgenommen wird. Leber * sagt \u00fcber denselben : \u201eDer Arterien-\n1 Zehbndkr. Klin. Monatsbi\u00e4tter f. Augenhlk. XXXIII. Jahrg.\n*\tFran\u00e7ois Lacroix Boissikr db Sauvages in : Sova acta phys. med. Acad. Caes. Leopold. Carol, naturae curiosonim. Tom. I, S. 135. 175\". Ferner; idem in: jYosol. method. Amgterdam. Tom. Ill, S. 242. 1763.\n*\tTh. Leber. Die Zirbnlations- und Ernahrunge Verh\u00e4ltnisse des Anges. Graepe-S\u00e4kisch, Handbuch. 2. Aufl. I. T. XI. Kap. S. 121.","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Kenntnis von der entoptischen Wahrnehmung etc. 329\npuls der Netzhaut l\u00e4fst sich in der Regel beim normalen Auge durch einen nur m\u00e4fsigen Druck auf das Auge hervorrufen. Die Blutleere beginnt zur Zeit der Diastole des Herzens am zentralen Ende der Arterie und verbreitet sich rasch in die gr\u00f6fseren \u00c4ste auf der Papillen und dar\u00fcber hinaus, um bei der folgenden Herzsystole durch einen neuen stofsweise erfolgenden Blutzuflufs abgel\u00f6st zu werden. Die Blutleere nimmt nach Donders etwa */\u00bb> die F\u00fcllung */* d0S ganzen Rhythmus ein. Wird der Druck weiter gesteigert, so nimmt die Dauer der blutleeren Phase zu, die des Blutzuflusses ab; zuletzt wird die Arterie dauernd blutleer. Im gleichen Augenblick tritt eine Verdunkelung des Gesichtsfeldes ein ; es ist dann r\u00e4tlich, den Versuch sofort zu unterbrechen. Nur ausnahmsweise bleibt bei manchen Individuen die Pulsation aus, und es kommt gleich zu dauernder Verengerung der Arterie von der Eintrittsstelle her. W\u00e4hrend dessen bleiben die stark verengerten Venen im allgemeinen kontinuierlich gef\u00fcllt. Nur ihre Austrittsstelle zeigt zuweilen gleichzeitig einen Venenpuls.\u201c Dieser ophthalmoskopische Befund stimmt ganz genau mit meinem Ph\u00e4nomen \u00fcberein, indem derselbe auch w\u00e4hrend der Herzsystole auftritt und sich \u00fcber die Pupille hinaus in die Peripherie verbreitet.\nHingegen tritt bei meinem entoptisch Ph\u00e4nomen gleich anfangs eine vor\u00fcbergehende Druckblindheit ein. Die von Lebeh gef\u00fcrchtete Druckblindheit aber tritt auch bei mir nach l\u00e4nger gesteigertem Druck ein ; sie ist aber nicht so gef\u00e4hrlich ; ich habe oft mehrere Minuten lang ihre Phasen an mir studiert, ohne jemals Schaden davon zu leiden. Der Venenpuls kann f\u00fcr das erw\u00e4hnte Ph\u00e4nomen nicht verantwortlich gemacht werden, 1. weil die F\u00fcllung der Venen w\u00e4hrend der Herzdiastole auftritt, und 2. weil sich die vorhergehende Blutleere nicht \u00fcber die Papille hinaus erstreckt. Bez\u00fcglich der M\u00f6glichkeiten einer Blutstauung in den peripheren Venen w\u00e4hrend der Herzsystole (also w\u00e4hrend der Verengung des zentralen Venenstumpfes), welche dem Ph\u00e4nomen zugrunde l\u00e4ge, zitiere ich Leber (S. 125):\n\u201e\u00dcber die Frage, ob w\u00e4hrend der Zeit des Kollapses die Venen peripher von der verengerten Stelle eine Stauungserweiterung erfahren, lauten die Angaben verschieden, und es darf wohl angenommen werden, dafs das Verhalten nicht immer dasselbe ist. Weiter in die Netzhaut hinein erscheinen die Venen jedenfalls nicht merklich ver\u00e4ndert, und auch an dem unmittel-","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nRobert Stigler\nbar angrenzenden Venenst\u00fcck ist gew\u00f6hnlich keine deutliche R\u00fcckstauung zu bemerken.\u201c\nEin progressiver peripherer Netzhautvenenpuls, welcher dem Radialpuls etwas nachschleppt und nach Leber wahrscheinlich dadurch zustande kommt, dafs die Pulswelle sich abnorm weit nach der Peripherie verbreitet und durch die Kapillaren hindurch bis auf die Venen \u00fcbergeht, kommt nur in pathologischen F\u00e4llen, namentlich bei Aorteninsufficienz, vor.\nMit diesen Erw\u00e4gungen scheint somit die zuerst ausgesprochene Erkl\u00e4rung des Ph\u00e4nomens als Arterienpuls gefestigt.\nEine \u201egl\u00e4nzend weifse\u201c pulsatorisch bei Druck aufs Auge auftretende Figur der Netzhautgef\u00e4fse auf hellem Grunde, welche ich nur sehr selten statt der Schattenfigur bemerkte, hat schon Pope 1 beobachtet. Diese erkl\u00e4rt sich offenbar durch mechanische Reizung bei gleichzeitiger Einwirkung von Licht. Ich mufs annehmen, dafs eben hierbei die Wirkung des gesteigerten Blutdruckes jene der Beschattung \u00fcberwiegt, ohne angeben zu k\u00f6nnen, weshalb dies der Fall ist. In den \u00e4ufseren Umst\u00e4nden habe ich keine Verschiedenheit gegen\u00fcber den bei meiner ersten Beobachtung obwaltenden feststellen k\u00f6nne.\nAuch Aubert 2 erw\u00e4hnt, dafs ihm bei andauerndem Drucke auf das gegen eine helle Fl\u00e4che blickende Auge \u201egelbe Strahlen\u201c erschienen seien, welche von der Eintrittsstelle des Sehnerven ausgingen und zugleich mit der Systole auftraten, mit der Diastole verschwanden ; eine Deutung dieser fragmentarischen Beobachtung findet sich an zitierter Stelle nicht.\nIII.\nIch schliefse beide Augen und wende sie gegen eine nat\u00fcrliche oder k\u00fcnstliche Lichtquelle, so dafs das Licht durch die Lider f\u00e4llt. Ich verdecke dann das eine Auge mit der Hand und \u00fcbe auf das andere im \u00e4ufseren Winkel einen leichten konstanten Fingerdruck aus. Es erscheint mir dann nach kurzer Zeit ein gelbes Ge\u00e4ste auf schwarzem Grunde, aus welchem sich in r\u00f6tlich gelber Farbe ein sehr deutliches Bild der die Fovea im Bogen umgreifenden, vielfach verzweigte Retinalgef\u00e4fse entwickelt.\n1 Popk. Beitr\u00e4ge zur physiologischen Optik. Arch. f. Augenheilkunde. 1 12). S. 199. 1870.\n1 A\u00fcbeht. Physiologie der Netzhaut. Breslau 1865.","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Beitr\u00e4ge zur Kenntnis von der entoptischen Wahrnehmung etc. 331\nBedecke ich hierauf das gleiche Auge ebenfalls, so verwandelt sich augenblicklich alles ins Negative: die Gef\u00e4fse erscheinen tief schwarz auf dem von dem Eigenlicht der Netzhaut matt erhellten Grunde. Beseitige ich dann wieder die Bedeckung, so dafs Licht durch die Lider dringt, so entsteht wieder ein leuchtend gelbes Bild der Netzhautgef\u00e4fse. Aufser den gr\u00f6beren \u00c4sten der Retinalgef\u00e4fse bemerke ich bei diesem Ph\u00e4nomen noch um die Fovea herum ein gleichfalls gelbes Muster (feines Maschenwerk), welches wahrscheinlich den feinsten Verzweigungen der Retinalgef\u00e4fse um die Fovea entspricht.\nWenn ich w\u00e4hrend des Bestehens der gelben Gef\u00e4fsfigur den Druck unterbreche und gegen den weifsen Plafond blicke, so leuchtet momentan die ganze Aderfigur sehr hell auf, verschwindet aber sehr rasch, und an ihre Stelle tritt, indem ich den Blick weiter auf den Plafond hefte, ein schwarzes negatives Nachbild der letzteren Gef\u00e4fsfigur, welches einige Sekunden lang beharrt.\n\u00d6ffnet man aber das Auge w\u00e4hrend des Bestehens der hellen Gef\u00e4fsfigur gegen eine helle Fl\u00e4che (z. B. den Himmel), so ist alles verschwommen, und die Gef\u00e4fsfigur ist gar nicht zu bemerken.\nEs wird sich hier, wie ich glaube, darum handeln, dafs durch die gestauten Gef\u00e4fse ein mechanischer Reiz gesetzt wird, welcher aber aus mir noch unbekannten Gr\u00fcnden erst unter Mitwirkung eines ad\u00e4quaten Reizes eine Gesichtsempfindung ausl\u00f6st.\nDafs das Licht dabei ged\u00e4mpft werden mufs, indem es durch die Lider f\u00e4llt, erkl\u00e4rt sich wohl daraus, dafs sonst die Retina in toto durch das Licht zusehr beeinflufst w\u00fcrde, um f\u00fcr diese subjektive Erscheinung empfindlich zu sein; \u00fcbrigens ist fast f\u00fcr alle subjektive Gesichtserscheinungen starkes \u00e4ufseres Licht nachteilig. Die helle Gef\u00e4fsfigur erblicke ich auch dann, wenn ich mit offenem Auge gegen die matt beleuchtete Zimmerdecke schaue, auf das Auge dr\u00fccke und zugleich oft blinzle; jedoch ist sie hierbei nie best\u00e4ndig.\n(Eingegangen am 3. M\u00e4rz 1905.)","page":331}],"identifier":"lit32018","issued":"1905","language":"de","pages":"327-331","startpages":"327","title":"Beitr\u00e4ge zur Kenntnis von der entoptischen Wahrnehmung der Netzhautgef\u00e4\u00dfe","type":"Journal Article","volume":"39"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T14:22:35.796400+00:00"}