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Zur Verständigung über die geometrisch-optischen Täuschungen

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{"created":"2022-01-31T16:33:49.357564+00:00","id":"lit32031","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Lipps, Theodor","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 38: 241-258","fulltext":[{"file":"p0241.txt","language":"de","ocr_de":"241\nZur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen\nT\u00e4uschungen.\nVon\nTheodor Lipps.\nStatt die neueren Widerlegungen meiner Theorie der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen im einzelnen zu widerlegen, ziehe ich es vor, kurz die Auffassung, welche meine Gegner von dieser Theorie zu haben scheinen, zu korrigieren. Gleich von vornherein bekenne ich dabei, dafs ich zu allererst des Mifsverst\u00e4ndnisses meiner Theorie mich schuldig gemacht habe. Und zweifellos habe ich dadurch die falschen Auffassungen anderer hervorgerufen. Insofern bin ich allein der Schuldige. Die Meinung meiner Theorie war freilich von vornherein die gleiche. Aber es ist mir nicht von vornherein gelungen, diese Meinung mir und demnach auch anderen v\u00f6llig klar zu machen. Ich bemerke besonders, dafs ich jetzt mit Wundt den Grundfehler der ersten Darstellung meiner Theorie \u2014 die ich in dieser Zeitschrift gegeben habe \u2014 in der Hereinziehung des \u201eUnbewufsten\u201c sehe, und dafs Schumann einen Punkt, wo ich mit mir selbst in Widerspruch geraten bin, deutlich gesehen und auf gedeckt hat. Ich stehe keinen Moment an, dies hier ausdr\u00fccklich zuzugestehen, und das Recht der kritischen Bemerkungen Wundts und Schumanns anzuerkennen. Indem ich im folgenden das Bild meiner Theorie richtig stelle, hoffe ich zur Verst\u00e4ndigung \u00fcber den Grund der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen etwas bei-zntragen.\nWenn ich sage, die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen seien Urteilst\u00e4uschungen, so sage ich zun\u00e4chst damit Selbstverst\u00e4ndliches. Indem ich etwa objektiv gleiche Gr\u00f6fsen f\u00fcr ungleich halte, f\u00e4lle ich ein Urteil, n\u00e4mlich ein Vergleichsurteil; und in\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 38.\t*\t16","page":241},{"file":"p0242.txt","language":"de","ocr_de":"242\nTheodor Lippe.\ndiesem Urteile unterliege ich einer T\u00e4uschung. Der Voraussetzung nach sind ja die Gr\u00f6fsen objektiv gleich.\nJetzt aber lautet die Frage: Worauf beruht diese Urteilst\u00e4uschung? Die eine M\u00f6glichkeit scheint die: die Gesichts-bilder der beiden gleichen Gr\u00f6fsen sind verschieden, w\u00e4hrend sie in der Tat, da die Gr\u00f6fsen objektiv gleich sind, einander gleich sein m\u00fcfsten. Aber auf die Gesichtsbilder kommt es hier zun\u00e4chst nicht an. M\u00f6gen die Gesichtsbilder sein, welche sie wollen, in jedem Falle werden bei den Vergleichen, aus welchen die optischen T\u00e4uschungen sich ergeben, nicht diese Gesichts -bilder, sondern es werden die in den Gesichtsbildem gedachten Gegenst\u00e4nde verglichen. Ich vergleiche etwa zwei Linien\u00bb und sage, sie seien ungleich. Dann spreche ich doch eben von den Linien, und nicht von meinen Gesichtsbildem dieser Linien, oder allgemeiner gesagt, ich spreche nicht von meinen Wahrnehmungsbildem der verglichenen Gegenst\u00e4nde, sondern ich spreche von diesen Gegenst\u00e4nden selbst. Ich spreche in unserem Falle von den Linien, die fortfahren zu existieren, auch wenn ich meinen Blick abwende. Tue ich dies aber, so sind die Wahmehmungsbilder verschwunden.\nUnd nun fragt es sich weiter, worin besteht das Bewufstsein der Gr\u00f6fse eines Gegenstandes? Dabei unterscheiden wir die gemessene Gr\u00f6fse oder die Gr\u00f6fse, die gleichbedeutend ist mit einer Menge oder Anzahl von Teilen, in welche der Gegenstand zerlegt wird, einerseits, und die f\u00fcr den unmittelbaren Eindruck bestehende Gr\u00f6fse eines ungeteilten Ganzen andererseits.\nHier nun ist nur die Rede von der letzteren Gr\u00f6fse. Dem Messen halten ja die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen nicht stand. Eben deswegen nennen wir sie T\u00e4uschungen. Unsere Frage lautet also genauer: Worin besteht die Gr\u00f6fse eines Ganzen f\u00fcr den unmittelbaren Eindruck? Statt dessen k\u00f6nnen wir auch sagen: Worin besteht der unmittelbare Eindruck der Gr\u00f6fse eines Gegenstandes, wenn dieser Gegenstand als Ganzes betrachtet wird?\nDarauf nun k\u00f6nnte ich sofort die allgemeine Antwort geben : Die f\u00fcr den unmittelbaren Eindruck bestehende Gr\u00f6fse eines Gegenstandes, das kann nur die Gr\u00f6fse sein, die im unmittelbaren Eindruck sich ausspricht oder in ihm zum Ausdruck kommt. Sie kann m. a. W. nichts sein, als die unmittelbare Eindrucksf\u00e4higkeit oder die Gr\u00f6fse, d. h. die Intensit\u00e4t oder der","page":242},{"file":"p0243.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. 243\nUmfang, in welchem der Gegenstand mich oder meine Auffassungs-tfttigkeit in Anspruch nimmt. Gr\u00f6fser f\u00fcr den unmittelbaren Eindruck ist dasjenige, was seiner Natur zufolge mich oder meine Auffassungst\u00e4tigkeit in h\u00f6herem Grade, d. h. je nachdem intensiver, heftiger, konzentrierter, oder in gr\u00f6fserem Umfang, beansprucht oder zu beanspruchen geeignet ist.\nErsetzen wir indessen den Begriff der Gr\u00f6fse durch den allgemeiner klingenden: Quantit\u00e4t. Dann werden wir zun\u00e4chst daran erinnert, dais gewisse Empfindungsqualit\u00e4ten, z. B. die Lautheit eines Tones, auch als Quantit\u00e4ten bezeichnet werden. Hier nun ist kein Zweifel, diese Qualit\u00e4t heifst Quantit\u00e4t, weil in ihr der Anspruch liegt auf eine bestimmte Gr\u00f6fse der Auffassungst\u00e4tigkeit. Der lautere Ton oder die Lautheit desselben beansprucht eine Auffassungst\u00e4tigkeit oder eine innere Zuwendung der \u201eAufmerksamkeit\u201c von besonderer Heftigkeit, Intensit\u00e4t, Konzentriertheit. Das Erlebnis dieser Heftigkeit, Intensit\u00e4t, Konzentriertheit ist eine Art des Gr\u00f6fseneindruckB ; es ist allgemeiner gesagt ein bestimmt geartetes Quantit\u00e4tserlebnis. Dies Quantit\u00e4tserlebnis nun macht den Sinn der \u201eQuantit\u00e4t\u201c des Tones aus, oder ist das, was wir meinen, wenn wir die Lautheit des Tones als Quantit\u00e4t bezeichnen.\nDies heifst doch nicht etwa : die Quantit\u00e4t des lauten Tones ist nichts anderes als diese Quantit\u00e4t meiner Auffassungst\u00e4tigkeit. Sondern jene Quantit\u00e4t ist, was sie ist, d. h. sie ist die Quantit\u00e4t des lauten Tones. Sie ist durchaus Sache dieses Tones. Aber jene Heftigkeit, Intensit\u00e4t, Konzentriertheit ist eben auch nicht meine Sache, sondern Sache des Tones. Sie liegt in der Natur des Tones. Die Quantit\u00e4t des Tones ist dies, dafs der Ton verm\u00f6ge seiner Lautheit meine Auffassungst\u00e4tigkeit in solcher Weise bestimmt; sie ist die in seiner Lautheit eingeschlossene Eigent\u00fcmlichkeit, in solcher Weise die Auffassungst\u00e4tigkeit zu beanspruchen. Kurz sie ist die dem Ton verm\u00f6ge seiner Lautheit eigene Eindrucksf\u00e4higkeit.\nGewifs g\u00e4be es eine solche f\u00fcr mich nicht, wenn ich nicht den Eindruck versp\u00fcren k\u00f6nnte, wenn es also die Auffassungst\u00e4tigkeit nicht g\u00e4be, die von dem Tone oder durch seine Lautheit affiziert werden kann. Aber es g\u00e4be dieselbe ebensowenig ohne die Beschaffenheit des Tones, die diese T\u00e4tigkeit, oder mich in derselben, affiziert. Einen Ton, der nicht f\u00fcr mich da ist, oder nicht von mir aufgefafst ist, gibt es eben f\u00fcr\n16*","page":243},{"file":"p0244.txt","language":"de","ocr_de":"244\nTheodor Lippe.\nmich nicht. Kein Wunder, wenn in jedem Ton f\u00fcr mich, als ein unabtrennbares Moment desselben, jedesmal die Weise liegt, wie er meine Auffassungst\u00e4tigkeit in Anspruch nimmt, oder wie er mich in derselben affiziert.\nDer Intensit\u00e4t nun oder der intensiven Gr\u00f6fse steht gegen\u00fcber die extensive Gr\u00f6fse. Auch was extensive \u201eGr\u00f6fse\u201c hat, beansprucht eine bestimmte Auffassungsst\u00e4tigkeit, die notwendig diese oder jene quantitative Bestimmtheit in sich tr\u00e4gt. Auch das extensiv Gr\u00f6fse gibt notwendig meiner Auffassungst\u00e4tigkeit eine quantitative Bestimmtheit. Diese quantitative Bestimmtheit ist aber hier nicht Intensit\u00e4t, sondern Weite. Das extensiv Gr\u00f6fse tr\u00e4gt in sich die Eigent\u00fcmlichkeit oder Bestimmtheit, eine Auffassungst\u00e4tigkeit von einer bestimmten Weite zu beanspruchen.\nDamit ist zugleich gesagt, dafs auch die \u201eAuffassungst\u00e4tigkeit\u201c, um die es sich hier handelt, besonderer Art ist. Sie ist nicht mehr die T\u00e4tigkeit der einfachen \u201eAuffassung\u201c, sondern sie ist eine weitergehende \u201eapperzeptive\u201c T\u00e4tigkeit, n\u00e4mlich die T\u00e4tigkeit der apperzeptiven Zusammenfassung des Aufgefafsten, die T\u00e4tigkeit der apperzeptiven Befassung eines Mannigfaltigen in eine Einheit, wodurch f\u00fcr mich nicht nur \u00fcberhaupt ein Gegenstand, sondern ein Ganzes entsteht. Und die Inanspruchnahme, die hier in Rede steht, ist jedesmal Inanspruchnahme einer solchen apperzeptiven T\u00e4tigkeit von bestimmter Gr\u00f6fse, d. h. von bestimmter \u201eSpannweite\u201c. In dieser Gr\u00f6fse besteht die Gr\u00f6fse, die einem Ganzen der r\u00e4umlichen Ausdehnung als Ganzem eignet, oder die Gr\u00f6fse, welche dies Ganze f\u00fcr den \u201eunmittelbaren Eindruck\u201c, ohne alle teilende Messung, hat.\nAuch diese Gr\u00f6fse ist durchaus Gr\u00f6fse der Ausdehnung \u201eselbst\u201c, n\u00e4mlich Gr\u00f6fse des Ganzen der Ausdehnung, d. h. eben Gr\u00f6fse der von mir aufgefafsten und zugleich umf&fsten oder umspannten oder in ein Ganzes zusammengefafsten Ausdehnung. Sie ist Gr\u00f6fse der Ausdehnung selbst, d. h. auch diese Gr\u00f6fse ist nicht meine Sache, sondern Sache der Ausdehnung, sofern ja eben die Spannweite des Aktes der Apperzeption nicht meine Sache, sondern Sache der Ausdehnung ist. Das im unmittelbaren Eindruck gegebene Bewufstsein der gesamten Gr\u00f6fse einer r\u00e4umlichen oder zeitlichen Ausdehnung ist das Bewufstsein der in der betrachteten Ausdehnung liegenden","page":244},{"file":"p0245.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. 245\nEigent\u00fcmlichkeit, einen Akt der zusammenfassenden T\u00e4tigkeit von bestimmter Spannung oder Spannweite zu beanspruchen ; die fragliche Gr\u00f6fse selbst ist diese Ausdehnung, sofern sie meiner zusammenfassenden T\u00e4tigkeit diese bestimmte Spannung gibt oder dieselbe von mir beansprucht. Wiederum mufs gesagt werden: Da es f\u00fcr mich ein Ganzes der Ausdehnung, das nicht von mir durch einen Akt der zusammenfassenden T\u00e4tigkeit zum Ganzen gemacht w\u00e4re, nicht gibt, so geh\u00f6rt zu jedem solchen Ganzen, das \u00fcberhaupt f\u00fcr mich existiert, als ein unabtrennbares Moment, als eine \u201eKomponente\u201c desselben, eine bestimmte Gr\u00f6fse, d. h. Weite meiner apperzeptiven T\u00e4tigkeit; oder: dieselbe liegt darin als ein integrierender Bestandteil notwendig mitenthalten. Und nichts anderes als diese Gr\u00f6fse ist die Gr\u00f6fse, die dem Ausgedehnten als Ganzem f\u00fcr den unmittelbaren Eindruck eignet. Wie man sieht, ist dies im Grunde weiter nichts als eine Tautologie.\nUnd nun zu meiner Theorie der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. Dieselbe besagt: Was sich ausdehnt, ausweitet, begrenzt, einengt usw. erscheint im unmittelbaren Eindruck ausgedehnter, ausgeweiteter, begrenzter, eingeengter als dasjenige, was sich in minderem Grade oder \u00fcberhaupt nicht ausdehnt, ausweitet, begrenzt, einengt. Dies Sichausdehnen, ausweiten usw. ist eine T\u00e4tigkeit. Diese T\u00e4tigkeit ist zweifellos meine T\u00e4tigkeit. T\u00e4tigkeit kann ich nicht sehen, sondern nur in mir erleben. In jeder T\u00e4tigkeit erlebe ich mich als t\u00e4tig. Von einer anderen T\u00e4tigkeit zu reden, hat keinen Sinn.\nUnd die \u201eT\u00e4tigkeit\u201c, die hier in Frage steht, ist genauer gesagt \u201eapperzeptive\u201c T\u00e4tigkeit. Ich vollziehe best\u00e4ndig Akte der apperzeptiven T\u00e4tigkeit in der Auffassung r\u00e4umlicher Gebilde. Ich vollziehe in der Auffassung ausgedehnter r\u00e4umlicher Gebilde zun\u00e4chst Akte der zusammenfassenden T\u00e4tigkeit. Ich fasse etwa eine Linie als Ganzes oder als Einheit. Dies heifst, ich umspanne sie mit einem Blick. Dazu mufs ich meinen \u201eBlick\u201c ausweiten, so weit bis er die ganze Linie umspannt. Dabei ist unter dem \u201eBlick\u201c der Blick des geistigen Auges verstanden. Die T\u00e4tigkeit des \u201egeistigen Auges\u201c ist die apperzeptive T\u00e4tigkeit, ein \u201eBlick\u201c desselben ist ein einzelner Akt der apperzeptiven T\u00e4tigkeit.\nDie apperzeptive T\u00e4tigkeit weitet sich aber in der Auffassung 4er Linie nicht nur aus. Ich fasse die Linie nicht nur als","page":245},{"file":"p0246.txt","language":"de","ocr_de":"24ij\nTheodor Lippe.\nGanzes auf, sondern ich fasse zugleich dies Ganze f\u00fcr sich auf. D. h. ich beschr\u00e4nke mich oder ich beschr\u00e4nke meine Auffassungst\u00e4tigkeit, ich begrenze sie, enge sie ein. Auch darin liegt eine besondere Leistung. Die in der Ausweitung begriffene apperzeptive T\u00e4tigkeit kann weiter und weiter gehen; der eine Blick des geistigen Auges kann weiter und weiter sich ausdehnen. Und es ist \u201enat\u00fcrlich\u201c, dafs er dies tue. Nicht nur besteht dazu jederzeit ein Anlafs, sofern ja jenseits des in sich abgeschlossenen r\u00e4umlichen Gebildes auch noch Baum ist, sondern es liegt auch in der apperzeptiven T\u00e4tigkeit, die einmal begonnen hat, oder im Begriffe ist sich auszuweiten, eine nat\u00fcrliche Tendenz, weiter und weiter sich auszudehnen.\nDiese doppelte apperzeptive T\u00e4tigkeit vollbringe ich aber, so gewifs ich sie vollbringe, doch nicht willk\u00fcrlich, sondern ich \u00fcbe sie auf das Geheifs der Linien, um deren Auffassung es sich handelt. In den Linien liegt die Aufforderung dazu. Indem ich die Linien auffasse, oder indem ich die Auffassungst\u00e4tigkeit \u00fcbe, deren Gegenstand die Linien sind, finde ich beide apperzeptiven T\u00e4tigkeiten an die Linien gebunden. Sie sind etwas zur Linie Geh\u00f6riges. Wiederum mufs ich sagen \u2014 ich bitte ufn Entschuldigung f\u00fcr die Wiederholung der Selbstverst\u00e4ndlichkeit \u2014 : da es das \u201eGanze\u201c einer Linie und eine \u201eabgeschlossene\u201c Linie f\u00fcr mich nicht gibt und nicht geben kann ohne meine T\u00e4tigkeit der Ausweitung des Blickes des geistigen Auges, und andererseits ohne meine zusammenfassende, abgrenzende, abschliefsende T\u00e4tigkeit, so sind in jedem abgeschlossenen Ganzen einer Linie, das es f\u00fcr mich gibt, diese T\u00e4tigkeiten als Komponenten oder integrierende Bestandteile notwendig mit enthalten. Und diese \u201eKomponenten\u201c sind, wenn die Linie tats\u00e4chlich oder \u201eobjektiv\u201c als ein abgeschlossenes Ganze sich darstellt, nicht von mir in die Linie \u201ehineingetragen\u201c, d. h. dafs sie darin sind, ist nicht meine \u201eSache\u201c, sondern sie sind darin verm\u00f6ge der Natur der Linie. Die Linie tr\u00e4gt dieselben an sich als etwas zu ihrem Wesen oder ihrer Eigenart Geh\u00f6riges. Dafs die Linie \u201eobjektiv\u201c oder \u201etats\u00e4chlich\u201c ein \u201eabgeschlossenes Ganzes\u201c ist, dies besagt eben, dafs die Spannweite und das sich Abschliefsen der apperzeptiven T\u00e4tigkeit zu ihr geh\u00f6rt.\nNoch ein Zusatz ist aber hier erforderlich. Sofern die \u201eapperzeptive\u201c T\u00e4tigkeit an die Linie gebunden ist, zu ihr oder ihrem","page":246},{"file":"p0247.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verst\u00e4ndigung \u00dcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. 247\nWesen geh\u00f6rt, ist sie gar nicht T\u00e4tigkeit meiner \u201eApperzeption der Linie\u201c. Sondern als solche bezeichne ich sie erst in der nachtr\u00e4glichen Reflexion. Ich kann sie als solche bezeichnen, nur wenn ich die T\u00e4tigkeit als meine T\u00e4tigkeit erkenne, und dieser meiner T\u00e4tigkeit die Linie, abgesehen von \u25a0dieser T\u00e4tigkeit, bewufst gegen\u00fcberstelle und beides zueinander denkend in Beziehung setze. Erst dann ist f\u00fcr mich die T\u00e4tigkeit meine \u201ean\u201c der Linie oder ihr \u201egegen\u00fcber\u201c ge\u00fcbte T\u00e4tigkeit. Dann also ist sie erst f\u00fcr mich \u201eapperzeptive\u201c T\u00e4tigkeit. An sich dagegen ist die T\u00e4tigkeit einfach T\u00e4tigkeit, n\u00e4mlich ausweitende T\u00e4tigkeit einerseits, zusammenfassende und abschliefsende T\u00e4tigkeit andererseits. Und sie wird als solche T\u00e4tigkeit von mir erlebt in der Linie, n\u00e4mlich immer dann, wenn dieselbe f\u00fcr mich eine einheitliche und abgeschlossene ist. Erst wenn ich dies \u201ein\u201c aufhebe, d. h. das, was im unmittelbaren Erleben ineinander ist, reflektierend scheide, entsteht f\u00fcr mich jenes \u201eGegen\u00fcber\u201c und gewinnt die \u201eapperzeptive\u201c T\u00e4tigkeit, in der ja doch offenbar eine erkannte Beziehung zwischen mir und einem mir \u201egegen\u00fcber\u201c Stehenden liegt, f\u00fcr mich ihren Sinn.\nDies m\u00fcssen wir verallgemeinern. Wie die Linie, so ist jeder \u201eGegenstand\u201c ein Ineinander eines Gegebenen und der T\u00e4tigkeit, durch welche der Gegenstand f\u00fcr mich zu diesem Gegenst\u00e4nde wird. Dann aber kommt die Reflexion und scheidet. Es treten f\u00fcr das reflektierende Ich die T\u00e4tigkeit und der Gegenstand derselben auseinander und sich gegen\u00fcber. Und nun bezeichne ich die T\u00e4tigkeit mit dem Namen \u201eT\u00e4tigkeit der Apperzeption\u201c, die ich \u201ean\u201c einem Objekte oder ihm \u201egegen\u00fcber\u201c \u00fcbe. Damit charakterisiere ich nicht die T\u00e4tigkeit selbst, d. h. ich schreibe ihr damit nicht eine neue qualitative Bestimmtheit zu, sondern ich anerkenne nur jenes in meiner Scheidung f\u00fcr mich entstandene \u201eGegen\u00fcber\u201c.\nNun handelt es sich uns hier einzig darum, wie die \u201eapperzeptive\u201c T\u00e4tigkeit unmittelbar erlebt wird, nicht darum, als was eie sich f\u00fcr die nachfolgende Reflexion darstellt. Dann m\u00fcssen wir sagen: Erlebt wird die in der Linie liegende \u201eapperzeptive\u201c T\u00e4tigkeit einfach als ausweitende und begrenzende T\u00e4tigkeit. Und diese T\u00e4tigkeit wird erlebt in der als abgeschlossenes Ganze aufgefafsten Linie. Und dabei sind wir uns zugleich klar, dafs der Satz : Ich erlebe die ausweitende und","page":247},{"file":"p0248.txt","language":"de","ocr_de":"248\nTheodor Lippe.\nabsehliefsende T\u00e4tigkeit in der als \u201eGanzes\u201c und als \u201eabgeschlossenes\u201c Ganze aufgefafsten Linie nichts weiter ist als eine Tautologie. Eben in der Wechselwirkung dieser meiner T\u00e4tigkeiten wird ja f\u00fcr mich die Linie einerseits zu dem ausgedehnten, also ein Mannigfaches in sich vereinigenden Ganzen oder wird sie zur Einheit einer Linie und wird sie andererseits zum in sich abgeschlossenen Ganzen.\nIndem ich aber die ausweitende und begrenzende T\u00e4tigkeit in der Linie erlebe, erlebe ich zugleich die Gr\u00f6fse dieser T\u00e4tigkeit in der Linie. Ich erlebe ein Sich-Ausspannen der Linie zu gr\u00f6fserer oder geringerer Spannweite und erlebe das Sich-Begrenzen derselben, ich erlebe ihr freies Fortgehen und ihr Sich-Einengen, und erlebe eine gewisse Gr\u00f6fse oder \u201eKraft\u201c desselben. Ich erlebe alles dies als zum Gegenst\u00e4nde, der Linie, geh\u00f6rig, oder als in ihr liegend.\nStatt zu sagen, dafs in der Linie und ebenso in allen r\u00e4umlichen Formen solche T\u00e4tigkeiten \u201eliegen\u201c, kann ich aber auch sagen, die fraglichen T\u00e4tigkeiten sind in die r\u00e4umlichen Formen \u201eeingef\u00fchlt\u201c. Denn der Tatbestand, den ich hier beschreibe, ist der Tatbestand der Einf\u00fchlung, wie sie gegen\u00fcber den r\u00e4umlichen Formen, von denen hier die Rede ist, stattfindet. Im \u00fcbrigen hat die Einf\u00fchlung hier denselben allgemeinen Sinn, den sie \u00fcberall hat. In die r\u00e4umlichen Formen sind T\u00e4tigkeiten eingef\u00fchlt so, wie in ein Wort ein Akt des Denkens, in einen Satz ein Urteilsakt, in die Geberde des Zornes der Zorn \u201eeingef\u00fchlt\u201c ist. Oder: jene r\u00e4umlichen T\u00e4tigkeiten liegen in den r\u00e4umlichen Formen in dem Sinne, in welchem diese Akte bzw. affektiven Zust\u00e4nde in den Worten, S\u00e4tzen, Geberden usw. liegen.\nDiese Einf\u00fchlung iBt nicht Assoziation. Sie ist am allerwenigsten Assoziation zwischen den r\u00e4umlichen Formen und der Vorstellung von Kr\u00e4ften oder T\u00e4tigkeiten, sondern sie ist das ganz Eigenartige, das den Namen Einf\u00fchlung tr\u00e4gt.\nZugleich ist doch die Einf\u00fchlung, von welcher hier die Rede ist, auch wiederum eigener Art. Sie ist die Einf\u00fchlung, die ich in der \u201eGrundlegung der \u00c4sthetik\u201c als \u201eapperzeptive Einf\u00fchlung\u201c bezeichnet habe. Im \u00fcbrigen iBt das Recht dieses Namens aus dem Obigen vollkommen einleuchtend.\nDie apperzeptive Einf\u00fchlung ist aber wiederum \u201eallgemeine apperzeptive Einf\u00fchlung!1 oder sie ist \u201eNatureinf\u00fchlung\u201c. Auch diese letztere ist doch, wie an jener Stelle gezeigt wurde, apper-","page":248},{"file":"p0249.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. 249\nzeptive Einf\u00fchlung, d. h. auch die in die Naturdinge eingef\u00fchlten T\u00e4tigkeiten sind meine apperzeptiven T\u00e4tigkeiten, die aber gleichfalls, eben weil und soferne sie eingef\u00fchlt sind, nicht als \u201eapper-zeptive\u201c T\u00e4tigkeiten unmittelbar erlebt werden, sondern einfach als T\u00e4tigkeiten in den Dingen, als an die Dinge gebunden, ihnen zugeh\u00f6rig, als ihre Daseinsweise.\nUnd nun kehre ich wiederum zur\u00fcck zur Frage der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. Ich spreche noch einmal die oben ausgesprochene Tautologie aus : das \u201eabgeschlossene Ganze\u201c einer Linie, das ist die Linie, in welcher, oder sofern in ihr jene apperzeptiven T\u00e4tigkeiten liegen. Daraus folgt ohne weiteres der Satz, der demnach ebenso tautologisch ist: Die Gr\u00f6fse des abgeschlossenen Ganzen der Linie, das ist die Gr\u00f6fse der Linie, sofern in ihr jene T\u00e4tigkeiten liegen, oder sie ist die Gr\u00f6fse dieser T\u00e4tigkeiten.\nUnd jetzt lautet die Frage der geometrisch optischen T\u00e4uschungen: Wodurch ist das Bewufstsein der Gr\u00f6fse jener r\u00e4umlichen T\u00e4tigkeiten bestimmt?\nDie Antwort hierauf nun ist zweifellos zun\u00e4chst die: Dies Bewufstsein ist bestimmt durch das sinnlich Gegebene, in welches die T\u00e4tigkeiten eingef\u00fchlt sind, oder durch das Gesichtsbild von dem r\u00e4umlichen Gegenst\u00e4nde, in welchem jene T\u00e4tigkeiten \u201eliegen\u201c.\nJenes Gr\u00f6fsenbewufstsein ist aber aufserdem auch bestimmt durch den Ort der r\u00e4umlichen Gebilde im Raume, ihre Richtung, und den Zusammenhang, dem sie angeh\u00f6ren.\nGesetzt nun, diese beiden Momente wirken gegeneinander, insbesondere die Wirkung des ersteren, oder der Anteil, den das Gesichtsbild an dem Gr\u00f6fseneindruck hat, wird durch den zweiten Faktor modifiziert, so treten notwendig T\u00e4uschungen \u00fcber die Gr\u00f6fse ein. Die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen besagen eben nichts anderes, als dafs der Gr\u00f6fseneindruck ein anderer ist, als das Gesichtsbild erwarten l\u00e4fst.\nln solcherWeise entsteht z. B. die T\u00e4uschung in der M\u00fcluer-LvERschen Figur. Ich erfasse die Hauptlinien dieser Figur als Ganzes. Dies heifst zun\u00e4chst : Es liegt in ihnen eine ausweitende T\u00e4tigkeit von bestimmter Gr\u00f6fse, die urspr\u00fcnglich nichts ist als meine apperzeptive T\u00e4tigkeit, wodurch das Ganze f\u00fcr mich als Ganzes da ist. Zugleich sind die Linien begrenzt, d. h. meine ausweitende T\u00e4tigkeit begrenzt Bich. Die Linien also weiten sich","page":249},{"file":"p0250.txt","language":"de","ocr_de":"250\nTheodor Lipp/t.\naus und begrenzen sich verm\u00f6ge meiner in ihnen liegenden T\u00e4tigkeit.\nNun sind aber an den Enden der Hauptlinien die schr\u00e4gen Linien angesetzt. Gehen diese nach aufsen, so fordern sie mich auf zu einer \u00fcber die Grenzen der Hauptlinien hinausgehenden Ausweitung des Aktes der apperzeptiven T\u00e4tigkeit. Gehen sie nach innen, so n\u00f6tigen sie mich zu einer apperzeptiven T\u00e4tigkeit, die in entgegengesetzter Richtung geht und demgem\u00e4fs im Vergleich zu jener ausweitenden T\u00e4tigkeit eine \u201eGegent\u00e4tigkeit\u201c, also eine einengende T\u00e4tigkeit ist. Dort also wird meine, zugleich der Linie eigene, T\u00e4tigkeit ausgeweitet; hier erf\u00e4hrt sie eine Einengung oder Einschr\u00e4nkung. Dort wird sie gesteigert, hier vermindert.\nGewifs ist ja die aus weitende T\u00e4tigkeit, die in den Hauptlinien und nur in diesen Hauptlinien oder in diesen Linien f\u00fcr sich liegt, da begrenzt, wo die Hauptlinien zu Ende sind, und die weitergehende Ausweitung der apperzeptiven T\u00e4tigkeit gilt nur den schr\u00e4gen Linien, oder, was dasselbe sagt, die weitergehende T\u00e4tigkeit, die in den schr\u00e4gen Linien hegt, findet nur in diesen statt. Aber die Hauptlinien einerseits, die schr\u00e4gen Linien andererseits sind eben nicht Dinge, die irgendwo in der Welt f\u00fcr sich Vorkommen und sich nichts angehen, sondern sie bilden die Einheit eines einzigen Liniensystems. Und soweit nun dies der Fall ist, ist von mir nicht eine an den Grenzen der Hauptlinien Halt machende, sondern eine durchgehende apperzeptive T\u00e4tigkeit, d. h. eine weitergehende oder gr\u00f6fsere Ausweitungst\u00e4tigkeit gefordert, als diejenige, welche ich zun\u00e4chst in den Hauptlinien vollziehe. Und in dem Mafse, als diese Forderung besteht und in mir zur Wirkung kommt, d. h. in dem Mafse, als das Liniensystem sich mir als ein einheitliches dar-stellt, erlebe ich meine apperzeptive, d. h. meine in der Linie liegende ausweitende T\u00e4tigkeit tats\u00e4chlich als eine weitergehende. Ich mache freilich an den Endpunkten der Linie Halt, n\u00e4mlich sofern sie als Endpunkte sich mir darstellen. Andererseits aber, in einer \u201eUnterstr\u00f6mung\u201c sozusagen, gehe ich weiter. Ich tue dies sofern die Endpunkte doch auch wiederum nicht Endpunkte, d. h. nicht endg\u00fcltige Endpunkte sind, sondern ein Weitergehen in gleicher Richtung objektiv stattfindet. Dafs ein solches \u201eWeitergehen\u201c, \u00fcber die Endpunkte der Hauptlinien \u201ehinaus\u201c, \u201eobjektiv\u201c stattfindet, dies sagt gar nichts anderes, als dafs","page":250},{"file":"p0251.txt","language":"de","ocr_de":"2jw Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. 251\nich, oder dafs meine apperzeptive T\u00e4tigkeit in dem Liniensystem und um des Liniensystemes willen weitergeht, d. h. eine gr\u00f6fsere Weite gewinnt. Die \u201eEinheit\u201c des Liniensystems ist lediglich ein anderes Wort daf\u00fcr, dafs in dem Liniensystem eine \u00fcber die Grenzen der Hauptlinien hinausgehende, und in einem Zuge weiter und weiter sich spannende \u201eapperzeptive\u201c T\u00e4tigkeit liegt, sowie die \u201eBegrenztheit\u201c der Hauptlinien besagt, dafs relativ das Gegenteil der Fall ist, d. h. dafs diese T\u00e4tigkeit in den Grenz-puukten dieser Hauptlinien relativ, aber eben doch nur relativ lur\u00fcckgehalten wird.\nEbenso ist bei der Figur mit einw\u00e4rtsgehenden schr\u00e4gen Linien meine ausweitende T\u00e4tigkeit oder die ausweitende T\u00e4tigkeit, soweit sie in den Hauptlinien stattfindet oder liegt, mit den Grenzen dieser Hauptlinien abgeschlossen. Aber wiederum ist die Gesamtfigur eine einheitliche; jmd als solche fordert sie einen dies Ganze als Ganzes erfassenden, also wiederum einen ununterbrochen weitergehenden Apperzeptionsakt. Dies heifst aber in diesem Falle : In der Auffassung der Hauptlinien, oder in der Ausspannung meines Blickes \u00fcber dieselben, liegt zugleich, sofern ich das Liniensystem als Ganzes fasse, also bei der Auffassung der Hauptlinien zugleich die Nebenlinien im \u201eAuge\u201c habe, eine N\u00f6tigung zur\u00fcckzukehren. So weit aber diese R\u00fcckkehr wirkliche R\u00fcckkehr ist, ist sie eine Einengung der Spannweite der in der Hauptlinie liegenden T\u00e4tigkeit. Der Sachverhalt ist analog demjenigen, der vorliegt, wenn ich auf einen Punkt zugehe mit dem Bewufstsein, dafs ich, in diesem Punkte angekommen, unmittelbar, ohne irgend welchen Anh\u00e4lt, also in einem einzigen Zug meiner Bewegung, einen Schritt nach r\u00fcckw\u00e4rts, sei es auch in schr\u00e4ger Richtung, machen mufs ; oder wie er vorliegt, wenn ich meine H\u00e4nde ausweite in dem Bewufstsein, dafs ich, bei einer gewissen Weite angekommen, unmittelbar wiederum in eine Bewegung der Ann\u00e4herung der H\u00e4nde \u00fcbergehen soll. Darin liegt jedesmal eine Hemmung der Vorw\u00e4rtsbewegung bzw. der T\u00e4tigkeit der Ausweitung. Dagegen steigert sich die Vorw\u00e4rtsbewegung oder die Kraft der ausweitenden T\u00e4tigkeit, wenn die Bewegung, nachdem sie an einem Punkt angelangt ist, weitergehen oder in eine gleichgerichteten Bewegung sich fortsetzen soll.\nMit dem Vorstehenden nun ist die M\u00dcLLEB-LYEBsche T\u00e4uschung ohne weiteres gegeben, nicht in ihren Besonderheiten, aber doch","page":251},{"file":"p0252.txt","language":"de","ocr_de":"252\nTheodor J.ippx\nin ihrem Grundzug. Die in den vorw\u00e4rts oder nach ausw\u00e4rts \u201egehenden\u201c schr\u00e4gen Linien hegende N\u00f6tigung zur fortgehenden Ausweitung des Aktes der Auffassungst\u00e4tigkeit oder zur Ver-gr\u00f6fserung ihrer Spannweite, wird zu einer Steigerung derselben oder einer relativen Aufhebung ihrer Begrenztheit, und diese ist gleichbedeutend mit einer entsprechenden Steigerung des Gr\u00f6fsen-eindruckes, den wir von den Hauptlinien haben. Und die in den schr\u00e4g nach einw\u00e4rts gehenden Linien hegende N\u00f6tigung zur entgegengesetzten Bewegung, also zur Zusammenfassung oder Einengung der Auffassungst\u00e4tigkeit bewirkt eine Hemmung oder Minderung derselben; und diese ist gleichbedeutend mit einer entsprechenden Minderung des Gr\u00f6fseneindruckes, den wir von den Hauptlinien haben. Die Haupthnie macht jedesmal den Eindruck einer gr\u00f6fseren, bzw. geringeren Gr\u00f6fse der Ausdehnung, weil die ausdehnende T\u00e4tigkeit, die in die Haupthnie eingef\u00fchlt ist, oder die Weite der apperzeptiven T\u00e4tigkeit, die ich in ihr vollbringe, im Ganzen der apperzeptiven T\u00e4tigkeit, die ich im ganzen Liniensystem vollbringe, eine Ausweitung bzw. Einengung erf\u00e4hrt. Jene apperzeptive T\u00e4tigkeit ist in dieser als ein relativ selbst\u00e4ndiger Teil enthalten. Zugleich ist sie doch nur ein Teil derselben, d. h. in ihr ist zugleich der anders geartete, n\u00e4mlich ausweitende oder hemmende Zug der apperzeptiven T\u00e4tigkeit, die im ganzen Liniensystem hegt, enthalten und wirksam. Dies ist der Sinn des Satzes : die Haupthnie werde im ganzen Liniensystem oder werde durch die schr\u00e4gen Linien gedehnt oder eingeengt; sie strebe \u00fcber sich hinaus oder kehre in sich zur\u00fcck usw. Jedesmal ist meine apperzeptive T\u00e4tigkeit dasjenige, dem solches widerf\u00e4hrt. Aber eben damit widerf\u00e4hrt es der von mir apperzipierten Linie.\nDer M\u00dcLLEB-LvEEschen Figur f\u00fcge ich nun nur noch ein einziges weiteres Beispiel hinzu. N\u00e4mlich ein solches, bei welchem zur allgemeinen apperzeptiven Einf\u00fchlung die Natureinf\u00fchlung hinzutritt. Ich wiederhole, dafs auch diese gleichartige, d. h. gleichfalls apperzeptive Einf\u00fchlung ist.\nIch fasse eine vertikale Linie als Ganzes auf. Wiederum weite ich meinen Blick aus und begrenze ihn, oder die Linie weitet ihn und damit sich aus und begrenzt ihn und damit sich. Mit einem Worte, es liegt in der Linie die ausweitende und begrenzende T\u00e4tigkeit.","page":252},{"file":"p0253.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. 253\nAber die erstere T\u00e4tigkeit ist hier besonderer Art. Die Aufw\u00e4rtsbewegung ist eine Bewegung gegen die Schwere.\nWas nun ist Schwere? Die Definition der Schwere lautet: Schwere ist die in den \u201eschweren\u201c Gegenstand eingef\u00fchlte er-fahrungsgem\u00e4fse Tendenz oder N\u00f6tigung, die r\u00e4umliche Distanz zwischen ihm und demjenigen, was unter ihm ist, in Gedanken zu vermindern, also eine Tendenz, die Spannweite des Apperzeptionsaktes, in welchem ich diese Distanz als Ganzes auffasse, herabzusetzen. Sie ist ein andermal die in das vertikal Ausgedehnte eingef\u00fchlte Tendenz des Zusammensinkens, d. h. die eingef\u00fchlte erfahrungsgem\u00e4fse Tendenz, das obere Ende des vertikal Ausgedehnten dem unteren zu n\u00e4hern und damit die Spannweite des Apperzeptionsaktes, in welchem ich das ganze vertikal ausgedehnte Gebilde als ein Ganzes auffasse, zu verringern.\nGegen diese \u201eSchwere\u201c, d. h. gegen dies\u00ab Tendenz nun geht die vertikale T\u00e4tigkeit in der vertikal ausgedehnten Linie, d. h. die T\u00e4tigkeit der Apperzeption, in welcher ich die vertikal ausgedehnte Linie als Ganzes auffasse, an. Die vertikale Linie, so wie ich sie vor mir sehe, fordert von mir, dafs ich, jener Tendenz der Verminderung der Spannweite des inneren Blickes zum Trotz, meiner apperzeptiven T\u00e4tigkeit die der tats\u00e4chlichen L\u00e4nge der Linie entsprechende Spannweite gebe. Indem ich dieser Forderung gen\u00fcge, also die Linie, so wie sie ist, auffasse, und als Ganzes auffasse, vollbringe ich diese apperzeptive T\u00e4tigkeit und gebe ihr die bestimmte Spannweite im Gegensatz zu jener er-fahrungsgem\u00e4fsen Tendenz oder in \u00dcberwindung derselben. Ich vollbringe diese \u00dcberwindung in der Linie, oder die Linie vollbringt sie. Sie gewinnt die Ausdehnungsgr\u00f6fse, die sie hat, oder gibt sich dieselbe, in solcher \u00dcberwindung der \u201eSchwere\u201c. Kurz gesagt, die 'Linie richtet sich gegen die Schwere auf.\nJede T\u00e4tigkeit aber, durch welche eine Gegentendenz oder ein Widerstand \u00fcberwunden wird, ist eben damit eine intensivere oder gr\u00f6fsere T\u00e4tigkeit. Und ist die T\u00e4tigkeit eine ausweitende, so ist sie eine intensiver ausweitende T\u00e4tigkeit oder eine ausweitende T\u00e4tigkeit von erheblicherer Gr\u00f6fse. Eine solche also liegt in der vertikalen Linie im Vergleich mit der horizontalen. Und dies heilst ohne weiteres : die vertikale Linie ist als Ganzes f\u00fcr meinen unmittelbaren Eindruck eine gr\u00f6fsere als die ihr tats\u00e4chlich gleiche horizontale.","page":253},{"file":"p0254.txt","language":"de","ocr_de":"254\nTheodor Lipps.\nIndem ich oben den Gedanken abwies, dafB Einf\u00fchlung gleichbedeutend sei mit Vorstellungsassoziation, ist die Widerlegung, die Ebbinghaus meiner Theorie der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen in Giefsen glaubte angedeihen zu lassen, abgewiesen. Nicht minder die Widerlegung durch Vittobio Benussi, die sich insonderheit auch gegen die Assoziation mit unbewufsten Vorstellungen wendet. In der Tat habe ich von solcher Assoziation geredet, d. h. ich habe gemeint, die Einf\u00fchlung als eine Art der Assoziation bezeichnen zu sollen. Dies geht an, wenn das Wort \u201eAssoziation\u201c gleichbedeutend ist mit psychischem Zusammenhang \u00fcberhaupt. Verstehen wir aber unter Assoziation das, was wir sonst darunter zu verstehen pflegen, denken wir dabei insbesondere an die Erfahrungsassoziation oder die Assoziation der \u201eKontiguit\u00e4t\u201c, dann ist Einf\u00fchlung nicht Assoziation. Sie ist am allerwenigsten Assoziation zwischen demjenigen, in welches ich mich einf\u00fchle, einerseits, und irgend welchen unbewufsten Vorstellungen andererseits. Sondern sie ist F\u00fchlen oder Erleben meiner T\u00e4tigkeit in einem sinnlich Wahrgenommenen.\nDagegen darf ich sagen, dafs ich mit der Tendenz der ScH\u00fcMANNschen Ausf\u00fchrungen, wenigstens in ihrem Beginn, einverstanden bin. Schumanns eigener Gedanke deckt sich, soviel ich sehe, mit dem meinigen oder einer Seite desselben. Nur ist notwendig, dafs Schumann die \u201eAufmerksamkeit\u201c, d. h. die apperzeptive T\u00e4tigkeit, mit welcher er bei Erkl\u00e4rung der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen operiert, als eingef\u00fchlt betrachtet. Genau so weit sie dies ist, begr\u00fcndet sie die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen, und steht das, was Schumann von ihr sagt, im Einklang mit den Tatsachen.\n\u00dcber Benussi ist noch ein besonderes Wort zu sagen. Es geht nicht an, dafs man eine alle geometrisch - optischen T\u00e4uschungen umfassende Theorie widerlegt, indem man einen Fall herausgreift, und meint, im \u00fcbrigen k\u00f6nne man sich das weitere Eingehen auf die Theorie ersparen. Die Aufgabe w\u00e4re f\u00fcr Vittobio Benussi die gewesen, meine ganze Theorie durchzudenken.\nWas aber das positive Ergebnis der neusten BENUssischen Untersuchungen1 angeht, so bin ich, wie schon einmal, so auch dies-\n1 In den von Mbinong j\u00fcngst herausgegebenen \u201eUntersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie\u201c.","page":254},{"file":"p0255.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. 255\nmal wiederum in der angenehmen Lage, Benussi f\u00fcr die Best\u00e4tigung meiner Theorie dankbar sein zu d\u00fcrfen. Dafs jede Hervorhebung der Hauptlinien bei der M\u00fclleb - LvEaschen T\u00e4uschung die T\u00e4uschung mindert, ist nach meiner Theorie, f\u00fcr die alles auf die einheitliche Auffassung des Liniensystems ankommt, selbstverst\u00e4ndlich. Die Hauptlinie ist die zun\u00e4chst betrachtete, da ja ihre Gr\u00f6fse beurteilt werden soll. F\u00e4llt sie auf, so isoliert tie sich eben damit. Und dies bedingt notwendig eine Minderung der T\u00e4uschung. Ebenso selbstverst\u00e4ndlich ist, dafs das starke Sich-Aufdr\u00e4ngen der schr\u00e4gen Nebenlinien die T\u00e4uschung steigert. Ebenso, dafs die T\u00e4uschung sich mindert, wenn die Hauptlinie einerseits, die Nebenlinie andererseits in verschiedenen Farben auftreten.\nWenn Benussi schliefslich meint, man k\u00f6nnte annehmen, dafs dunklere Linien eine geringere Kraft in sich schliefsen, und dafs sie demgem\u00e4fs die T\u00e4uschung mindern, so erlaube ich mir zu bemerken, dafs ich diesen seltsamen Einfall nicht gehabt habe, dafs, dergleichen bei mir voraussetzen, nichts anderes heifst, als den Sinn meiner Theorie vollst\u00e4ndig verkennen.\nEndlich scheint mir vor allem die Verst\u00e4ndigung mit Wundt eine leichte Sache, da eine grunds\u00e4tzliche Differenz der Anschauung hier nicht besteht, so gewifs sie allerdings zu bestehen scheint. Vorausgesetzt ist nur, dafs ich Wundt so verstehen darf, wie ich ihn allein verstehen kann.\nWundt legt Gewicht auf Augenbewegungen. Aber es ist f\u00fcr ihn nicht entscheidend, dafs die fraglichen Augenbewegungen wirklich vollzogen werden, d. h. dafs die f\u00fcr die T\u00e4uschungen in Betracht kommenden Linien genau und stetig, ohne Zucken, Schwanken und Ablenkungen und von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende mit dem Blick \u2014 des sinnlichen Auges \u2014 durchlaufen werden. Wundt ist weit davon entfernt diese unm\u00f6gliche Forderung zu stellen. Sondern Wundt ist mit jedermann darin einig, dafs wir \u00fcberhaupt niemals bei Betrachtung r\u00e4umlicher Gebilde solche den betrachteten Linien streng nachgehende Augenbewegungen vollziehen, und dafs in jedem Falle die geometrischoptischen T\u00e4uschungen ein solches strenges Durchlaufen der Linien mit dem Blick nicht erfordern. Sondern es gen\u00fcgen nach Wundt die Impulse zu solchen Augenbewegungen.\nIch frage nun: was f\u00fcr Impulse oder deutsch: was f\u00fcr Antriebe sind dies, d. h. wozu finde ich mich in denselben be-","page":255},{"file":"p0256.txt","language":"de","ocr_de":"256\nTheodor l.ijipt\nwufsterweise getrieben? Denn nicht mit \u201e unbewufsten \u201c Impulsen, sondern mit solchen, die ich bewufsterweise erlebe, operiert Wundt.\nWundt nennt die Impulse Impulse zu Augenbewegungen. Und dies werden sie ja wohl sein. Aber nicht darum handelt es sich, was sie sind, sondern als was ich sie f\u00fchle, oder wie ich schon sagte, als was ich sie bewufsterweise erlebe. Die Frage lautet: Worauf ziele ich in diesen Impulsen bewufsterweise? Was eigentlich will ich dabei?\nDarauf nun lautet die Antwort: ich will diese oder jene Linie als Ganzes auffassen. Dazu sollen die Augenbewegungen dienen. Auch soweit sie zustande kommen, sind sie doch nicht um ihrer selbst willen vollzogen, sondern um der Auffassung der Linie willen, die durch solche Augenbewegungen erm\u00f6glicht werden soll. Ich ziele bewufster Weise darauf und einzig darauf, die Linien in meinem geistigen Besitze zu haben. Also sind die Impulse f\u00fcr mein Be wufstsein Impulse zur Auffassung der Linien. Sie sind ein Streben darnach.\nBei diesem Streben bleibt es aber nicht, sondern dasselbe geht in die entsprechenden T\u00e4tigkeiten, d. h. in die apper-zeptiven T\u00e4tigkeiten \u00fcber. Impulse zu solchen apperzeptiven T\u00e4tigkeiten sind in Wahrheit die Impulse der \u201eAugenbewegungen\u201c. Und so gewifs die fraglichen Augenbewegungen der Hauptsache nach nicht zustande kommen, und jedenfalls f\u00fcr das Zustandekommen der geometrisch-optischen T\u00e4uchungen gleichg\u00fcltig sind, so gewifs kommen dieapperzeptivenT\u00e4tig-keiten zustande.\nAndererseits sind die Impulse auch f\u00fcr Wundt nicht willk\u00fcrliche Impulse, sondern sie sind solche, die durch die Linien gegeben sind. Sie sind nichts anderes als die in den Linien liegenden Aufforderungen zu \u201eAugenbewegungen\u201c, d. h. zu apperzeptiven T\u00e4tigkeiten. Diese Aufforderungen aber verwirklichen sich in den entsprechenden apperzeptiven T\u00e4tigkeiten.\nNun genau darauf beruhen meiner Theorie zufolge die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. Mit anderen Worten: f\u00fcr Wundt genau so wie f\u00fcr mich beruhen diese auf Auffassungst\u00e4tigkeiten, die in den Linien liegen oder an sie gebunden sind. Und f\u00fcr W\u00fcndt wie f\u00fcr mich sind diese T\u00e4tigkeiten r\u00e4umliche Auffassungst\u00e4tigkeiten, d. h. solche Auffassungst\u00e4tigkeiten, durch welche R\u00e4umliches durchmessen wird. R\u00e4umliche Auffassungs-","page":256},{"file":"p0257.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen. 257\nt\u00e4tigkeiten, die in der Form der r\u00e4umlichen Gebilde begr\u00fcndet liegen, sind f\u00fcr ihn, wie f\u00fcr mich, der Grund der geometrischoptischen T\u00e4uschungen. Der Unterschied ist einzig der: W\u00fcndt legt Gewicht darauf, dafs die Antriebe zu diesen r\u00e4umlichen Auffassungst\u00e4tigkeiten zugleich Impulse zu Augenbewegungen in sich schliefsen. Ich dagegen lege Gewicht darauf, dafs sie r\u00e4umliche Auffassungst\u00e4tigkeiten sind. Beide Theorien decken sich also in der Grundanschauung. Wundt f\u00fcgt nur ein Moment hinzu, das, so viel ich sehe, an der Richtigkeit der Grundanschauung und ihrer F\u00e4higkeit die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen zu erkl\u00e4ren nichts \u00e4ndert.\nWas ich hiermit in bezug auf Wundt sage, gilt nun aber ebensowohl mit Bezug auf Schumann, soweit auch Schumann Augenbewegungen in die Diskussion hereinzieht. Auch Schumann ist sich dabei zweifellos aufs deutlichste bewufst, dais die Augenbewegungen tats\u00e4chlich nicht vollzogen zu werden brauchen. Fallen sie aber weg, so bleibt noch dasjenige \u00fcbrig, womit ich operiere, d. h. die Auffassungst\u00e4tigkeiten.\nUnd diese Auffassungst\u00e4tigkeiten haben nach Schuhmann auch da, wo die intendierten Augenbewegungen tats\u00e4chlich fehlen, zugestandenermafsen die Wirkung, die wir unter dem Namen der geometrisch-optischen T\u00e4uschungen zusammenfassen. Den Auffassungst\u00e4tigkeiten also schreibt Schumann diese Wirkung zu.\nDer Sachverhalt ist offenkundig der: wo Schumann von Augenbewegungen redet, da sind diese Augenbewegungen gar nichts anderes und k\u00f6nnen nichts anderes sein als ein anderer Ausdruck f\u00fcr die Auffassungst\u00e4tigkeiten, mit denen der Impuls zu den Augenbewegungen verbunden ist. Oder anders ausgedr\u00fcckt : gemeint sind von Schuhmann gar nicht die Bewegungen des sinnlichen Auges, oder des in den Augenh\u00f6hlen ruhenden Augapfels, sondern gemeint sind die Bewegungen des geistigen Auges, des inneren Blickes oder Blickpunktes, kurz der apperzeptiven T\u00e4tigkeit. Und gemeint sind diejenigen Bewegungen des geistigen Auges, die an die r\u00e4umlichen Gebilde unmittelbar gebunden sind, oder, in meiner Ausdrucksweise, die Akte der apperzeptiven T\u00e4tigkeit, die in die r\u00e4umlichen Gebilde eingef\u00fchlt und damit zugleich in T\u00e4tigkeiten dieser r\u00e4umlichen Gebilde verwandelt sind.\nVor allem dankenswert finde ich endlich unter den neueren Untersuchungen \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen die Zeitschrift fiir Psychologie 88.\t17","page":257},{"file":"p0258.txt","language":"de","ocr_de":"258\nThro'icn' Lipf>*\nEntdeckung Peabces, dafs den geometrisch-optisch en T\u00e4uschungen analoge T\u00e4uschungen auf dem Gebiete des Tastsinnes entsprechen. In der Tat mufs es so sein, wenn meine Theorie recht hat Die Auffassungst\u00e4tigkeit, welche die T\u00e4uschungen auf optischem Gebiete bestimmt, ist ja keine andere als diejenige, die auch auf dem Gebiete der Tastempfindungen stattfindet. Und es ist auch die \u201eGr\u00f6fse\u201c der Auffassungst\u00e4tigkeit dort und hier begrifflich dieselbe Sache. Und die Gr\u00f6lae einer r\u00e4umlichen Ausdehnung, soweit sie f\u00fcr den unmittelbaren Eindruck besteht, ist dort wifr hier die im unmittelbaren Eindruck bestehende, d. h. sie ist die Gr\u00f6fse meiner in der Ausdehnung liegenden, in ihr \u201eobjektivierten\u201c apperzeptiven T\u00e4tigkeit\nDafs im einzelnen die Durchf\u00fchrung meiner Theorie, so wie ich sie in dem Buche \u00fcber \u201eRaum\u00e4sthetik und geometrischoptische T\u00e4uschung\u201c versucht habe, an M\u00e4ngeln leidet, dessen bin ich mir bewufst Ich freue mich jeder Korrektur solcher M\u00e4ngel. Je gr\u00fcndlicher sie vollzogen wird, desto mehr kann die Theorie zu ihrem vollen Rechte kommen.\nDie volle Verst\u00e4ndigung aber \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen, wie \u00fcber so viele andere psychologische Probleme, wird vor allem und im letzten Grunde abh\u00e4ngig sein von der Einsicht, dafs die \u201eGegenst\u00e4nde\u201c, \u00fcber die wir urteilen, nicht etwas einfach Gesehenes oder Geh\u00f6rtes, d. h. von aufsen Empfangenes, sondern dafs sie jederzeit Produkte sind aus den beiden Faktoren, die da heifsen : Ich und das sinnlich Gegebene, oder das sinnlich. Gegebene und meine T\u00e4tigkeit.\nDies sage ich nicht gegen Schumann ; und ganz gewifs nicht gegen die MEiNONGsche Schule, f\u00fcr die es eine \u201eGegenstandstheorie\u201c gibt. Ich sage es schliefslich am allerwenigsten gegen Wundt, der den Begriff der apperzeptiven T\u00e4tigkeit in die Mitte der Psychologie gestellt hat. Aber nachdem dies geschehen ist, m\u00fcssen wir nun mit diesem Begriff Ernst machen und r\u00fccksichtslos gegen das Vorurteil derer vorgehen, die die Psychologie-zur Empfindungspsychologie sterilisieren. Die psychologischen. Tatsachen sind nicht so einfach, wie die Empfindungsgl\u00e4ubigen, vor allem die von der \u201emotorischen\u201c Observanz, sie gerne haben, m\u00f6chten.\n(Eingegangen am 13. Januar 1905.)","page":258}],"identifier":"lit32031","issued":"1905","language":"de","pages":"241-258","startpages":"241","title":"Zur Verst\u00e4ndigung \u00fcber die geometrisch-optischen T\u00e4uschungen","type":"Journal Article","volume":"38"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:33:49.357569+00:00"}

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