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{"created":"2022-01-31T15:56:06.471473+00:00","id":"lit32050","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Weinmann, Fritz","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 35: 340-379, 401-453","fulltext":[{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nZur Struktur der Melodie.\nVon\nFritz Weidmann.\nWesen der Melodie. Allgemeine Voraussetzungen.\nDie Melodie ist eine Einheit \u2014 ein Ganzes, keine blofse Folge von T\u00f6nen.\nUnd sie ist eine \u00e4sthetische Einheit \u2014 ein Einheitliches, welches sich differenziert, eine Vielheit, die zusammen-gefafst ist in einem Gemeinsamen, einem \u00dcbergeordneten, Dominierenden, dem sich die einzelnen Elemente mit gr\u00f6fserer oder geringerer Selbst\u00e4ndigkeit unterordnen.\nDieses \u201emonarchisch\u201c \u00fcbergeordnete Hauptelement der Melodie ist die Tonika. Auf sie erscheinen die \u00fcbrigen T\u00f6ne bezogen \u2014 jedoch nicht einfach in der Weise, dafs jeder Ton f\u00fcr sich zur Tonika in ein bestimmtes Verh\u00e4ltnis tritt; sondern die einzelnen T\u00f6ne verbinden sich wieder untereinander zu Gruppen, welche zur Tonika sowohl wie gegenseitig unter sich in Verwandtschaft oder Gegens\u00e4tzlichkeit stehen. So erst ergibt sich f\u00fcr den Grundton, die Tonika, jene dominierende Stellung innerhalb eines gegliederten, abgestuften Ganzen und dadurch wieder f\u00fcr dieses selbst die Einheit. Das Bild eines Gegeneinanderwirkens von Kr\u00e4ften, von Spannung, Konflikt, L\u00f6sung entsteht auf diese Weise, vergleichbar dem Drama. Die Melodie ist ein Organismus.\nWas dieser organischen Einheitlichkeit und Gegens\u00e4tzlichkeit zugrunde liegt, ist Rhythmus.\nDie Melodie ist ein rhythmisches System. Es baut sich auf \u00fcber einem Grundrhythmus als herrschendem Einheitspunkt, auf welchen die \u00fcbrigen Rhythmen bezogen erscheinen. Dieser \u201eGrundrhythmus\u201c ist in der Tonika, die ihm freundlich","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n341\noder feindlich gegen\u00fcbertretenden Rhythmen sind in den \u00fcbrigen T\u00f6nen der Melodie gegeben.\nTerminologisch ist folgendes einzuschalten: Unter \u201eRhythmus\u201c ist hier1 nicht der Rhythmus im \u00fcblichen Sinn zu verstehen, d. i. die Weise, in der zeitlich ayfeinanderfolgende akustische Eindr\u00fccke aufgefafst, ordnend zusammengefafst werden, sondern jene \u201eMikro-Rhythmik\u201c, die wir in den Schwingungen der physikalischen T\u00f6ne finden und analog in den Tonempfindungen und Tonempfindungsvorg\u00e4ngen als Weise der psychischen Bewegung gegeben annehmen m\u00fcssen.*2\nUm die Melodie als System von Tonrhythmen zu erkennen, ist nun zweierlei zu ber\u00fccksichtigen :\nErstlich: Unter der Voraussetzung, dafs Tonempfindungsvorg\u00e4nge gedacht werden m\u00fcssen als ein Wechsel von Zust\u00e4nden, der in seiner Rhythmik dem Wechsel von Zust\u00e4nden entspricht, als der sich der objektive Ton in seinen Schwingungen darstelltrt, dafs demzufolge, wie in zwei T\u00f6nen mit gemeinsamem Grundrhythmus analog ein Gemeinsames sich finde auch in den Tonempfindungsvorg\u00e4ngen, dafs also auch diese \u201erhythmisch verwandt\u201c sind \u2014 gilt der Satz : T\u00f6ne mit einem gemeinsamen Grundrhythmus sind um so mehr konsonant, je weniger der betreffende Grundrhythmus in ihnen beiden differenziert er* scheint, je mehr er sich mit den Tonrhythmen selbst deckt. Diese Forderung ist identisch mit der eines m\u00f6glichst einfachen rhythmischen Verh\u00e4ltnisses.\nNehmen wir als Beispiel 2 T\u00f6ne, c und g, und setzen wir der Einfachheit halber f\u00fcr c 100 Schwingungen in der Sekunde, dann ergeben sich dem Schwingungsverh\u00e4ltnisse der Quint \u2014 % zufolge f\u00fcr g 150 Schwingungen. Der gemeinsame Grundrhythmus der beiden T\u00f6ne ist dann 50, er ist in c als Folge von 50 zweifach, in g als Folge von 50 dreifach gegliederten, \u201edifferenzierten\u201c Einheiten enthalten. Ein gemeinsames Element, bezeichnet durch den Rhythmus 50, verbindet die Tonrhythmen 100 und 150; die Rhythmen der beiden T\u00f6ne ordnen sich in\n1\tDies gilt f\u00fcr die ganze Arbeit, soweit es nicht ausdr\u00fccklich anders hervorgehoben wird.\n2\tVgl. Lipps: Zur Theorie der Melodie, Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27, S. 228.\n8 Vgl. auch Lipps: Psychol. Studien, das Wesen der musikal. Harmonie und Disharmonie.","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342\nFritz Weinmann.\neinfacher Weise ineinander ein, sie stehen in einfachem Schwingungsverh\u00e4ltnisse \u2014 2:3 \u2014 zueinander, sie sind konsonant. Zwei Elemente sind durch ein Gemeinsames in ihrer Verschiedenheit aneinander gebunden: es liegt eine \u201e\u00e4sthetische Differenzierung\u201c, meine Vermannigfaltigung eines Einheitlichen vor, die sich kundgibt im Gef\u00fchl der Konsonanz. Hinzuzuf\u00fcgen ist, dafs wir \u2014 eben gem\u00e4fs dem Gesetz der \u00e4sthetischen Differenzierung als der Ursache \u00e4sthetischer Lust \u2014 den relativ einfachen Verh\u00e4ltnissen, in welchen das \u201eMannigfaltige\u201c mehr zur Geltung kommt, den Vorzug geben vor den einfachsten,\ndie sich der absoluten \u201eEinheit\u201c n\u00e4hern.1 2\n\u2022\u2022\n\u00fcbertragen vom einfachen Zusammenklang zweier T\u00f6ne auf die einfache Folge von T\u00f6nen, gilt gleichfalls bez\u00fcglich der Stellung der T\u00f6ne untereinander, dafs sie gem\u00e4fs der angef\u00fchrten Regel konsonieren oder dissonieren.*\nUnd \u00fcbertragen weiter von der blofsen Folge von T\u00f6nen auf den einheitlichen Zusammenhang, als der die Melodie sich erweist, gilt die gleiche Regel. Nur wird das Bild hier ein komplizierteres, da es sich eben nicht mehr blofs handelt um Konsonanz bzw. Dissonanz zwischen einzelnen T\u00f6nen, sondern um T\u00f6ne, die einem Zusammenhang angeh\u00f6ren, innerhalb dessen sie unterschiedlichen Wert gewinnen, eine bestimmte, wohlabgewogene Stellung einnehmen. Konsonanz- und Dissonanzbegriff erfahren so eine reiche Differenzierung aus subtilen Wertunterschieden heraus.\nWie solche Wertunterschiede, solche Wirkungen und Gegenwirkungen entstehen, diese Frage f\u00fchrt zum zweiten Punkt, der einer speziellen Untersuchung der Struktur der Melodie vorauszuschicken ist.\nZweitens: Der zweiteilige Rhythmus ist der urspr\u00fcngliche.\nRegelm\u00e4fsig aufeinanderfolgende Eindr\u00fccke gliedern wir einem nat\u00fcrlichen Bed\u00fcrfnis zufolge, und wir gliedern zun\u00e4chst durch einfachen Intensit\u00e4tswechsel, indem wir auf die Betonung\n1\tZu bemerken ist, dafs psychologisch die Grenze zwischen Konsonanz und Dissonanz keine feststehende ist. Beide gehen allm\u00e4hlich ineinander \u00fcber. Auch f\u00fcr das \u00e4sthetische Gef\u00fchl verschiebt sich, wie die geschichtliche Entwicklung der Musik zeigt, die Grenze fortw\u00e4hrend.\n2\tDie Unterscheidung \u201eTon\u201c \u2014 \u201eKlang\u201c ist hier ignoriert, da sie kein wesentliches Moment hinzubringt. Vgl. Lipps: das Wesen der musikalischen Harmonie und Disharmonie S. 103.","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n343\nUnbetontheit, auf die Spannung L\u00f6sung, auf die Hebung Senkung folgen lassen.1 Auf diesem Gegensatz zweier Betontheiten, einer st\u00e4rkeren und einer schw\u00e4cheren, einem Hoch- und einem Tiefton, beruht aller Rhythmus. Die Zweigliederung, die Zusammenfassung von je 2 Elementen zu einer Einheit, und weiter die potenzierte Zweigliederung, die Zusammenfassung von zwei solchen Einheiten zu einer h\u00f6heren Einheit u. s. f., ist also die nat\u00fcrlichste, die prim\u00e4re. Ihr steht gegen\u00fcber als sekund\u00e4re die Gliederung nach der Dreizahl (die sich ergibt aus einer Erweiterung der Senkung) und weiterhin die F\u00fcnf-, Siebengliederung usw. Demnach ist der \u00dcbergang zur Zweigliederung die einfachere, die nat\u00fcrlichste rhythmische Leistung. Die Gliederung nach der Zweizahl, kann man allgemein sagen, erzeugt den Eindruck des Geschlossenen, der Ruhe oder des wieder zur Ruhe Gekommenen, des Gleichgewichts, die Drei-, F\u00fcnf-, Siebengliederung dagegen mutet ihr gegen\u00fcber eigent\u00fcmlich fortstrebend, bewegt, unruhig an.\nAngewandt auf die Tonrhythmen, w\u00fcrde dies lauten: Von zwei T\u00f6nen, deren Schwingungszahlen im Verh\u00e4ltnis von 3, 5, 7, 9 etc. zu 2 oder einer Potenz von 2, 2\u00ab, stehen, repr\u00e4sentiert letzterer die Gleichgewichtslage. Es besteht demnach die Tendenz, zu ihm zur\u00fcckzukehren ; die Bewegung strebt zu ihm hin, sucht in ihm wieder zur Ruhe zu kommen : Der Ton 2\u00bb ist f\u00fcr die T\u00f6ne 3, 5, 7, usw. der Zielton.2\nIn zweiter Linie besteht ein solches Hinzielen dann auch bei rhythmischen Verh\u00e4ltnissen, deren eines Element im Gegensatz zum anderen die Zweigliederung zwar nicht repr\u00e4sentiert, aber in sich schliefst, bei Verh\u00e4ltnissen also, deren eine Gr\u00f6fse eine geradzahlige im Gegensatz zu einer anderen, ungeradzahligen ist, wie es z. B. bei dem der kleinen Terz entsprechenden Verh\u00e4ltnis 5:6 der Fall ist. Hier befafst das 6 die Zwei- und Dreigliederung in sich. Der auf der einen\n1 Diese Tatsache ist wohl zur\u00fcckzuf\u00fchren auf den Wechsel unserer Aufmerksamkeit, die nicht dauernd mit gleichmftfsiger Kraft etwas festzuhalten vermag. Vgl. Me\u00fcmann: Untersuchungen zur Psychologie und \u00c4sthetik des Rhythmus, Wctndt: Philos. Studien 10, wo hierf\u00fcr der Ausdruck \u201eungleiche Energieverteilung der Aufmerksamkeit\u201c aufgestellt wird (S. 304). \u2014 Vgl. auch Wundt: Physiol Psychologie, 4. Auf!., 2, S. 83ff. FernerLipps: Grundlegung der \u00c4sthetik S. 293 ff.\n8 Vgl. hierzu wie zu dem Folgenden \u00fcberhaupt: Lipps: Grundlegung der \u00c4sthetik 8. 450 ff.","page":343},{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"344\nFritz Weinmann.\nSeite in 5 Einheiten gegliederte Grundrhythmus kehrt auf der anderen Seite wieder als in zweimal drei Einheiten oder in zwei Einheiten von je drei Elementen gegliedert, als gleichzeitig nach dem Prinzip der Dreizahl und der Zweizahl differenziert.\nFreilich ist in einem solchen Fall das Hinstreben des einen Tones zum anderen nicht in dem Mafse ein ausgesprochenes, wie bei zwei T\u00f6nen, in deren rhythmischem Verh\u00e4ltnis der eine die Zweiglieder\u00fcng selbst und nur sie repr\u00e4sentiert. Aber in gewissem Sinne wiederholt sich hier, wenn auch abgeschw\u00e4cht, die gleiche Erscheinung, wie angesichts der rhythmischen Verh\u00e4ltnisse 2*: 3 bzw. 5, 7 etc.: Das Moment der Zweigliederung ftufsert auch hier seine \u00fcberlegene Wirkung gegen\u00fcber der Drei-, F\u00fcnf-, Siebengliederung.\nDiese Tatsache nun verbindet sich mit der ersten, dafs Konsonanz und Dissonanz auf gr\u00f6fsere oder geringere Einfachheit der Schwingungsverh\u00e4ltnisse gegr\u00fcndet sind, in der Art, dafs \u2014 kurz gesagt \u2014 der Hinweis auf den durch die Schwingungszahl 2n repr\u00e4sentierten Ton um so entschiedener ist, je einfacher das Verh\u00e4ltnis, dessen eines Element er bildet, je gr\u00f6fser also die Konsonanz zwischen den beiden T\u00f6nen ist.1\nDabei sind beide T\u00f6ne doch insofern gleichwertig, als auch der \u201eStrebeton\u201c gewissermafsen selbst\u00e4ndig, wenngleich nur sozusagen im Spannungswiderstand, dem Zielton gegen\u00fcber tritt Bei zunehmender Dissonanz des Verh\u00e4ltnisses, bei loserer Verbindung verliert dann der Strebeton erst mehr und mehr an dieser Selbst\u00e4ndigkeit, und schliefslich erscheinen beide T\u00f6ne gleichwertig in dem Sinne, dafs keiner von ihnen Ruheton f\u00fcr den anderen sein kann, sondern beide vereint einem dritten als Ziel zustreben.2\nDarauf nun, wie dieses Heraustreten aus der Ruhelage in die Bewegung und die R\u00fcckkehr, das \u201eWieder zur Ruhe kommen\u201c, verl\u00e4uft; auf welchen Umwegen, mit welchen Verz\u00f6gerungen; ob rasch und entschieden oder allm\u00e4hlich und unmerklich \u2014 darauf beruht das Wesen der Melodie.\n1\tVgl. Lipps: Zur Theorie der Melodie S. 227 u. 230.\n2\tVersucht man, die einschl\u00e4gigen Grenzen zu ziehen, so w\u00fcrden etwa Quint und Quart die eine Gruppe bilden, gr. Sext, Sept, Tritonusjetc. die andere, w\u00e4hrend die Terzen und die kl. Sert der \u00dcbergangsgruppe angeh\u00f6ren d\u00fcrften.","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n345\nUnd letzten Endes: Das Wesen der Musik \u00fcberhaupt beruht darauf, beruht auf dieser \u201eMikro\u201c-Rhythmik und den in ihr wirkenden Prinzipien der Zwei- und Drei- (bzw. F\u00fcnf-, Sieben- etc.) Zahl. Der einzelne Ton, der uns durch seine H\u00f6he oder Tiefe ein eigent\u00fcmliches Leben auszudr\u00fccken scheint; der aus T\u00f6nen sich zusammensetzende Klang, der seinen individuellen Charakter f\u00fcr uns hat; die aus der Mischung der Kl\u00e4nge resultierende Klangfarbe, mit der unterschiedliche Stimmungen verkn\u00fcpft sind; die Harmonie und die Melodie endlich \u2014 sie alle sind nichts anderes, als rhythmische Systeme, zu einem umfassenden ,.makro\u201c-rhythmischen System geformt im musikalischen Kunstwerk.\nWir sind an dem Punkte angelangt, von dem aus eine spezielle Betrachtung der Melodie hinsichtlich ihrer Struktur m\u00f6glich ist.\nErster Teil.\nDie Struktur der Melodie in ihren allgemeinen\nBestandteilen.\n1. Verh\u00e4ltnisse der Dur-Leiter.\nAusgangspunkt der Untersuchungen sei die diatonische Dur-Tonleiter :\nSie stellt sich hinsichtlich der sie konstituierenden rhythmischen Verh\u00e4ltnisse folgendermafsen dar:\nGrundton \u2014 Sekunde = 8:9 ..\t\u2014\tgr. Terz\t=4:5\n\u201e\t\u2014\tQuart\t=3:4\n\u201e\t\u2014\tQuint\t=2:3\n\u201e\t\u2014\tgr. Sext\t= 3 : 5\nv \u2014 gr. Sept = 8 : 15 \u2014 Oktave =1:2.\nNimmt man der \u00dcbersichtlichkeit halber einen Grundton c von 200 Schwingungen an, so ergibt sich:","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\nFritz Weinmann.\nGrundton c = 200 Sekunde d \u2014 225 (200 \u2022 9,8) Terz\te = 250 (200 \u2022 5/4)\nQuint g = 300 (200 \u2022 3,2 )\nSept h = 375 (200-15 8)\nOktave c = 400 (200 \u2022 2),\nAlle diese T\u00f6ne sind durch einen gemeinsamen Grundrhythmus \u2014 25 \u2014 verbunden. Dieser selbst liegt zwar aufser-halb der Reihe, geht aber in die einzelnen Rhythmen ein, findet sich in jedem von ihnen vor. Am einfachsten, unmittelbarsten geschieht dies nun beim Rhythmus 200 = 25-8. Hier erscheint der Grundrhythmus, weil nach dem Prinzip der Zweizahl gegliedert, nicht im eigentlichen Sinne \u201edifferenziert\u201c; er ist sozusagen unver\u00e4ndert in ihm enthalten, beide sind gewissermafsen identisch, insofern eben die Differenzierung, die Gliederung nach dem Prinzip der Zweizahl nur eine Modifikation der urspr\u00fcnglichen Rhythmik bedeutet, nichts im eigentlichen Sinne Fremdes, Gegens\u00e4tzliches in ihn hineinbringt Der Rhythmus 200 vermag daher den Grundrhythmus zu vertreten, er wird in stellvertretender Weise \u201eTonika\u201c, \u201eGr und ton\u201c.1\nAngenommen, das c = 200 sei das c\", so w\u00fcrde es als Tonika vertreten das um 3 Oktaven tiefere c, welchem die Schwingungszahl 25, der Grundrh}Tthmus, entsprechen w\u00fcrde. Die relative Identit\u00e4t beider T\u00f6ne, die eine gegenseitige Vertretung m\u00f6glich macht, ist darin ausgedr\u00fcckt, dafs wir beide in gleicher Weise, eben als c, bezeichnen.\nWenden wir uns jetzt zu der obigen Aufstellung zur\u00fcck, so zeigt sich zweierlei.\nEinerseits f\u00e4llt auf: Quart und Sexte f\u00fcgen sich nicht in die Reihe dieser s\u00e4mtlich zum Grundton 200 in naher Beziehung stehender, mit ihm durch einen gemeinsamen Rhythmus, den durch ihn vertretenen Grundrhythmus 25 verbundener T\u00f6ne.\nAndererseits sind innerhalb dieser Reihe wieder nicht s\u00e4mtliche T\u00f6ne blofs in dieser Weise, sondern aulserdem einzelne in verschiedentlich noch engerer Form mit der Tonika verkn\u00fcpft. Es findet sich in ihnen auf der einen und der Tonika auf der\n1 Vgl. Lipps: Zur Theorie der Melodie S. 237 ff.","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Stmktur der Melodie.\n347\nanderen Seite ein Gemeinsames, welches vollst\u00e4ndiger in sie eingeht, ein Grundrhythmus, nicht nur = 25, sondern = einem Vielfachen von 25.\nEs sind verbunden durch den Grundrhythmus allein : Grundton (200) und Sekunde (225), Septe (375);\nDagegen durch einen Grundrhythmus = 2 \u2022 25 = 50 : Grundton (200) und Terz (250);\ndurch den Grundrhythmus 100 (4 \u2022 25) :\nGrundton (200) und Quint (300); und\ndurch den Grundrhythmus 200 (8 \u2022 25) :\nGrundton (200) und Oktave (400) \u2014 Grundton und Grundrhythmus fallen hier zusammen.\nAm nat\u00fcrlichsten f\u00fcgen sich ineinander, am engsten verbunden erscheinen demzufolge Grundton und Oktave; es folgen Grundton-Quint, Grundton-Terz, Grundton-Sekunde, Grundton-Septe. Entsprechend ist der Grad der Konsonanz.\nZugleich repr\u00e4sentiert f\u00fcr sie alle der Grundton den Rhythmus 2, ist also nach dem fr\u00fcher Gesagten f\u00fcr sie alle der Zielton, auf den sie mehr oder minder entschieden hinweisen.\nAm schw\u00e4chsten ist dieses Hinzielen auf den Grundton bei der Septe (15 : 8), mehr und mehr ausgepr\u00e4gt bei der Sekunde (9 : 8), der Terz (5 : 4), der Quint (3 : 2). Es tritt jedoch auch zutage bei der Oktave (2 : 1). Scheinbar besteht hier angesichts des rhythmischen Verh\u00e4ltnisses eine Ausnahme. In Wahrheit aber verh\u00e4lt sich ihre relative Schwingungszahl (2) zu der des Grundtons (1) gewissermafsen wie die 3, 5, 7 etc. zu 2 oder 2\": Der \u00dcbergang zum Rhythmus des Grundtons ist auch hier der\ni*\n\u00dcbergang zum Einfacheren; es ist der \u00dcbergang zur Einheit, denn der Grundton ist hier zugleich der Grundrhythmus, welcher im Rhythmus der Oktave unver\u00e4ndert enthalten, nur verdoppelt ist.1 Der Schritt zur unteren Oktave erh\u00e4lt dadurch seinen eigent\u00fcmlichen Charakter des \u201eIn sich selbst zur Ruhe kommens\u201c. \u2014 Im Unterschied davon kommt bei den Schritten von der Quint und Terz zum Grundton ein relativer Gegensatz zur Ruhe, eine Entzweiung ins Gleichgewicht. Insofern ist hier das Moment des Abzielens, des Strebens am ausgesprochensten, ausgesprochener als bei der Oktave. Namentlich ist dies der Fall\n1 Ygl. oben S. 346.","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348\nFritz Weinmann.\nbei der Quint, wo sich Drei- und Zweigliederung am einfachsten gegen\u00fcberstehen \u2014 Verh\u00e4ltnis 3 : 2.1\nSekunde und Septe weisen, entsprechend der geringeren Einfachheit der Schwingungsverh\u00e4ltnisse, nur entfernter auf den Grundton hin. Jedoch kommt hier als den Hinweis wiederum verst\u00e4rkend die Nachbarschaft der beiden T\u00f6ne zum Grundton in Betracht, welche zwischen c und d besteht und ebenso aus der relativen Identit\u00e4t von c und seiner h\u00f6heren Oktave2 f\u00fcr h und c (h : c = 15 : 16) sich ergibt. Verm\u00f6ge derselben treten d und h in ein Leitton Verh\u00e4ltnis zu c, d. h. sie sind besonders bef\u00e4higt, die melodische Bewegung nach c hinzuleiten.\nDagegen nehmen nun die Quart f und die Sexte a eine Sonderstellung ein. Das Verh\u00e4ltnis von c zu f ist = 3:4, das von c zu a = 3 :5. Von den beiden T\u00f6nen f und c ist also f der Zielton f\u00fcr c; f ist c gegen\u00fcber der dominierende Ton, c geht durch den Eintritt der Quart f seiner Funktion als Tonika zeitweise verlustig, es wird seiner Herrschaft entsetzt. Die Tonika wird jetzt selbst Strebeton und zwar Strebeton im ausgesprochensten Sinn, n\u00e4mlich Quint \u2014 Quint der Quart. Damit ist die Quart selbst ihrerseits Tonika, Tonika einer Quint. Das Verh\u00e4ltnis ist also umgest\u00fcrzt worden.\nDesgleichen bringt die Sext a Zwiespalt in die Geschlossenheit des Systems der Durtonleiter : sie weist nicht mehr auf den Grundton hin, noch umgekehrt dieser auf sie, es besteht Indifferenz der Bewegung, des \u201eGerichtet seins\u201c in der Gegen\u00fcberstellung n\u2014a. Andererseits weist die Sext als Terz der Quart f auf diese hin (o : f = 5 : 4), verst\u00e4rkt also die von f ausgehende Wirkung gegen c. Das f selbst macht seinerseits Anspr\u00fcche auf e als engeren und g als weiteren Leitton (f : e = 16 :15 ; f \\ g = 8:9); c ist zudem auch als Strebeton an a gekn\u00fcpft {e : a = 3 :4). c und g lassen somit nicht mehr ausschliefslich ihre unterst\u00fctzende Wirkung dem c zugute kommen.\nEs ist also innerhalb der Durtonleiter eine Gruppe f\u2014a der Gruppe, die in c ihren Mittel- oder Richtungspunkt hat, gegen\u00fcberzustellen. Zwischen c und f besteht ein Antagonismus, dessen Schlichtung durch eindeutiges Hinlenken der Bewegung nach c\n1\tVgl. S. 342\u2014344 d. A.\n2\tVgl. oben S. 346 d. A.\n8 Vgl. oben 6. 347 u. 348.","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"Zar Struktur der Melodie.\n349\nim Wesen einer in C Dur gehenden Melodie als einer Einheit mit dem Mittelpunkt c gefordert erscheint.\nDazu kommt, dafs die Hauptgruppe um c ihrerseits sich wieder in 2 Gruppen teilt, n\u00e4mlich in die Gruppe c \u2014 e \u2014 g und g \u2014 h \u2014 d mit den beiden dominierenden T\u00f6nen c bzw. gy die dadurch gleichfalls in einen gewissen Antagonismus treten.\nEs ergibt sich demnach folgendes Bild:\nAuf c als Grundton weisen hin g und e. Durch h und d jedoch, die erst in zweiter Linie auf c abzielen, zun\u00e4chst aber als Terz und Quint von y dieses zum Rang einer Tonika erheben, entsteht der relative Widerstreit des c und g respektive der beiden Gruppen c \u2014 e\u2014g und g \u2014 h \u2014 d. Zu diesen beiden in Gegensatz tritt als dritte \u201eDominante\u201c die Quart f, mit ihr eine dritte Gruppe f\u2014a \u2014 c. Es stehen sich also gegen\u00fcber die Gruppen c \u2014 e\u2014g und g \u2014 h \u2014 d einerseits und f\u2014a \u2014 c andererseits :\nc \u2014 e\u2014g\tg \u2014 h \u2014 d <-\u25ba f\u2014a \u2014 c\n4:5:6\t4:5:6\t4:5:6\nNun besteht zwischen f\u2014a \u2014 c und g \u2014 h \u2014 d eine scharfe Gegens\u00e4tzlichkeit, einmal dadurch schon, dafs g\u2014h \u2014 d sich nn Grunde auf dem zu f antagonistischen c aufbaut, dann aber durch Dissonanz untereinander. Denn es verhalten sich:\nf : h = 32 : 45 1\ta : h = 8 : 9\nf:d \u2014 3:b\ta : d = 20 : 27 2\nf und a schw\u00e4chen so das selbst\u00e4ndige Abzielen des h und d auf g als ihren Grundton ab. Dieser geht seiner relativ dominierenden Stellung als Tonika f\u00fcr h und d verlustig und beh\u00e4lt lediglich seine auf c hinweisende Wirkung, f, welches eigentlich Zielton f\u00fcr c ist (c : f \u2014 3 : 4), und a werden ihrerseits durch die Dissonanz mit h und d in ihrer dominierenden bzw. entgegen wirkenden Stellung dem c gegen\u00fcber ersch\u00fcttert. Indem beide Gruppen sich untereinander bek\u00e4mpfen, wirken sie auf das \u00dcberwiegen, den Sieg der dritten Gruppe c\u2014e\u2014g hin. Dem allgemeinen psychologischen Gesetz: Jede Dissonanz tendiert nach Aufl\u00f6sung \u2014 wird durch Fortgang zu dem zwei","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350\nFritz Weinmann.\ndissonierenden T\u00f6nen gemeinsam und zwar m\u00f6glichst nahe verwandten Ton Gen\u00fcge getan, hier, in c-Dur, dem c. Dieses lenkt die Bewegung auf sich, tritt als eigentlicher Grundton schliefs-lich entschieden hervor.\nBeispiele m\u00f6gen dies dartun.\nAngenommen, die melodische Folge lautet:\ng \u2014 h \u2014 cT\u2014# = 4:5:6:4-\n(3) (2)\nDie Bewegung kommt in g befriedigend zur Ruhe; aber ebensogut noch ein c darauf folgen, also:\nes k\u00f6nnte\ng \u2014 h \u2014 d'\u2014g \u2014 c' = 4 : 5 : 6 : 4\n3:4\nAuch so entsteht ein Gef\u00fchl vollkommenen Abschlusses. Lautet dagegen die Reihe:\nso ist ein solches nicht mehr vorhanden, wir fordern ein nachfolgendes c.\nDie Schwingungsverh\u00e4ltnisse liegen jetzt folgendermafsen : f:a=4i:h\nf : g \u2014 8 : 9 \u2014- also : f dominiert.\nWeiter aber:\ng :h:d' ~ 4 : 5 : 6\nd' \\ g \u2014 3:2 \u2014 also : Hinweis auf g.\nNun wirkt aber f einerseits unmittelbar auf g, dessen Tonikawirkung es beeintr\u00e4chtigt, andererseits auf h und d\\ deren Wirkung auf g geschm\u00e4lert wird durch eine mehr oder minder starke Dissonanz:\nf:h = 32 : 451\u2014 schwache Betonung des /; Dissonanz; f : d- \u201416 : 27 2 \u2014 desgleichen ; geringe Konsonanz.\n1 f:h = 4/s : 15/8 = 32 : 45.\nV:d' = V V2==V9/4=","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n351\ng ist also nicht mehr gen\u00fcgend gest\u00fctzt, um als Abschlufs zu wirken, es bleibt ein Streben fortzugehen bestehen, welches f\u00fchren mufs nach c, sei es zu c als Quart von y (g : c' = 3:4), oder, wenn der Abschlufs noch ausgesprochener sein soll, zu c als Unterquint von g (g : c \u2014 3 :2). Erst jetzt, in c, hat die Melodie ihr Ende gefunden.\nDie gleiche Wirkung des beim Zusammentreffen mit anderen T\u00f6nen die Bewegung entscheidend nach c als Ruhepunkt zu lenken, zeigt sich dem d und /\u00bb, \u2022 weiterhin dem e gegen\u00fcber, ohne dafs ein g in der melodischen Folge vorkommt.\nMan vergleiche etwa die Phrase:\nDie letztere f\u00fchrt zwar v\u00f6llig logisch nach c, jedoch nicht in einer Weise, dafs ein Fortgang, der c gar nicht ber\u00fchrt, etwa nach g und von da weiter f\u00fchrt, unm\u00f6glich erscheint, noch dafs, wenn c eintritt, es notwendig als Ruhe- und Endpunkt wirkt; vielmehr ist deutlich die M\u00f6glichkeit zu f\u00fchlen, von c aus erst weiterzugehen. Die T\u00f6ne d \u2014 h \u2014 c k\u00f6nnen ebensowohl einleitend als abschliefsend aufgefafst werden. \u2014 Nicht so bei der ersteren Folge: Hier ist ein entschiedener Abschlufscharakter vorhanden und ein c unter allen Umst\u00e4nden (wenn auch etwa durch g verz\u00f6gert) gefordert.\nOder die melodische Folge laute einmal:\n\ndas andere Mal:\nZu den Verh\u00e4ltnissen\nl\ne : d \u2014 10 : 91 d : c = 9 : 8\ne : c = 5 : 4 \u2014 im ersten Fall \u2014 kommen /\u25a0 : e = 16 :15 f:d = 32: 272\nf : c = 4: 3 \u2014 im anderen Fall.\nAuch in diesen melodischen Folgen ist die sich \u00e4ufsernde Wirkung, dafs nur in der zweiten mit dem Eintritt des c das\n1 c ; d = ft/4 : % = 10/\u201e, der \u201ekleine Ganzton\u201c.\n*/.:\u2022/* = S!/2,.","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"352\nFritz Weinmann.\nGef\u00fchl des Abschliefsens hervorgerufen wird, zur\u00fcckzuf\u00fchren auf die relative Dissonanz zwischen f einerseits und \\ d andererseits. Durch sie wird ein \u201esich Unterordnen*4 der antagonistischen Dominante f und der anderen T\u00f6ne unter c als Tonika, ein entschiedener Hinweis auf dieses herbeigef\u00fchrt.\nIn geringerem Mafs ist diese Wirkung der Dissonanz oder der geringeren Konsonanz auch bei dem Verh\u00e4ltnis zwischen Tonika, Terz und Quint zu beobachten.\nMan vergleiche miteinander die Folgen:\nund <4- -F |P r\nDie erste hat entschieden einen geschlosseneren Charakter als die zweite. Auf e\u2014g erwarten wir in st\u00e4rkerem Mafse ein c zu h\u00f6ren als auf d \u2014 </, erweckt also c im h\u00f6heren Grade das Gef\u00fchl der Befriedigung. Grund davon ist die geringere Konsonanz oder relative Dissonanz der kleinen Terz e\u2014g (\u2014 5 : 6) gegen\u00fcber der Konsonanz d\u2014g (=3:4). Zugleich ist der beide Male vorhandene Hinweis auf g ira zweiten Fall der gr\u00f6sseren Konsonanz halber entschiedener, g wird also selbst\u00e4ndiger. Dazu kommt noch, dafs die Terz e auch unmittelbar ausdr\u00fccklicher nach c dr\u00e4ngt (e : c = 5 : 4) als die Sekunde d (d : c = 9 : 8). \u2014\nEndlich sei die Funktion der Sext a noch an Beispielen erl\u00e4utert.\nDieselbe nimmt der Tonika c gegen\u00fcber wohl eine unabh\u00e4ngige, gegens\u00e4tzliche, nicht aber selbst\u00e4ndige Stellung wie f ein. a erscheint nur von c losgel\u00f6st, tritt ihm jedoch nicht irgendwie dominierend gegen\u00fcber. Es kann daher f\u00fcr sich allein nicht eine Abwendung der melodischen Bewegung von c hervor-rufen, sondern lediglich, wo eine solche durch f stattgefunden hat, dieselbe durch Unterst\u00fctzung des f zu einer unzweideutigen, endg\u00fcltigen machen.\nHierzu vergleiche man folgende 2 Beispiele:\nf\u00fcr das eine lauten die rhythmischen Verh\u00e4ltnisse:\n1 Hier, bei der Abw\u00e4rtsbewegung fehlt der L e i t toncharakter, tritt die Dissonanz hervor.","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n353\nc:e = 4:5\tf: c \u2014 4 : 3\nf ; e = 16 :15 c:^f=*3:3\tf- 9 = 8 : 9\nf\u00fcr das andere:\nc : e = 4 : 5\t/\u2018:c= 4: 3\tf:a = 4:5\ta:e = 4:3\ne : gr = 2 : 3\t/':e = l\u00f6:15\t/\u2019:^ = 8:9\ta:c = 5:3\nDemnach kommt im zweiten Fall durch die Sext a hinzu eine weitere Betonung des /*, eine Hinwendung des e auch auf a, welches im ersten Fall \u00fcberwiegend nach c tendierte, und endlich eine Lockerung des auf c sich aufbauenden Gef\u00fcges, dargestellt durch das Verh\u00e4ltnis von a : c = 5 : 3.\nF\u00fcr unser Gef\u00fchl, \u00e4sthetisch, macht sich dieser Tatbestand in der Weise geltend, dafs in der ersten Melodie ein Hinlenken der Bewegung von g sowohl nach f als nach c, ein Abschlufs auf f wie auf c m\u00f6glich ist, in der zweiten hingegen nur f ab-schliefsend wird.\nSoll eine eindeutige, befriedigende Wendung nach c in diesem zweiten Fall erzielt werden, so mufs ein A, dessen Gegenwirkung gegen f wir bereits oben kennen gelernt haben, in die Tonreihe eingef\u00fchrt werden, also:\nEin wesentlich von den bisher Vorgefundenen Verh\u00e4ltnissen verschiedenes Bild bietet\n2. Die Moll-Leiter.\nIhre eine Form, die \u201emelodische\u201c Leiter weist folgende Verh\u00e4ltnisse auf: a) aufsteigend :\nj. J M J * nj\u00cbjg\u2014E-\nGrundton \u2014\tSekunde\t= 8: 9\n\u201e\t\u2014\tkl. Terz\t=5:6\n\u201e\t\u2014\tQuart\t=3:4\n\u201e\t\u2014\tQuint\t=2:3\n\u201e\t\u2014\tgr. Sext\t=3:5\n\u201e\t\u2014\tgr. Sept\t=8:15\n\u201e\t\u2014\tOktav\u00a9\t=1:2\n-Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 86.\n23","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nFritz Weinmann.\nb) absteigend :\n?\t^\t\u00bb U- 1-\t\t\n\tS\tv*Qi\t* <\t\nSi\tf\t\t\t:\t\t\t\u25a0\u20149*\t\u25a0\t\t\tj ^\nGrundton \u2014\tOktave = 1:2\n\u201e\t\u2014\tkl. Septe = 5 : 9 1\n\u201e\t\u2014\tkl. Sexte = 5 : 8\n\u201e\t\u2014\tQuint =2:3\n\u201e\t\u2014\tQuart =3:4\n\u201e\t\u2014\tkl. Terz =5:6\n,,\t\u2014\tSekunde = 8:9\nIn der \u201eharmonischen\u201c Moll-Leiter\n%\ts,j La\t\t-\nSk\t\u00a5\u25a0\t-\u00b1\t\u00e8 S*\t*\t\t\t\t 1\t\u00bb \u2022 \u25a0\t\t\nverhalten sich\nGrundton\n\u00bb?\n\u00bb?\n\u00bb?\n\u00bb?\n\u00bb?\nSekunde kl. Terz Quart Quint kl. Sext gr. Sept\u00e7 Oktave\n8: 9 5: 6\n3\n2\n\u00f6\n4 3 8\n5:18 1: 2\nOrdnet man die Tonstufen nach dem Grad der Konsonanz und der damit verbundenen St\u00e4rke des Hinweisens, sowie ihrer Richtung untereinander, so ist die Reihenfolge a) in der aufsteigenden melodischen Leiter:\nGrundton\n\u00bb?\n??\n\u00bb?\n\u00bb?\n\u00bb?\n\u2014\tQuint = 2 : 3\n\u2014\tSekunde =8:9\n\u2014\tgr. Septe = 8 :15\n\u2014\tQuart = 3 : 4\n\u2014\tkl. Terz = 5: 6\n\u2014\tgr. Sext = 3: 5\nb) in der absteigenden melodischen Leiter:\n1 b als kl. Terz % von g = ** \u2022 % = %.","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n355\nGrundton \u2014\tQuint\t=2:3\n\u201e\t\u2014\tSekunde\t=8:9\n\u201e\t\u2014\tQuart\t=3:4\n\u201e\t\u2014\tkl. Sext\t=5:8\n\u201e\t\u2014\tkl. Terz\t=5:6\n\u201e\t\u2014\tkl. Septe\t= 5:9\nc) Die harmonische Leiter, welche als die eigentlich mafs-gebende Form f\u00fcr die Verh\u00e4ltnisse in Moll gilt, vereinigt, da die auf- und absteigende melodische Leiter aus ihr urspr\u00fcnglich abgeleitet sind, in gewissem Sinne beide:\nGrundton \u2014\tQuint\t=2:3\n\u201e\t\u2014\tSekunde\t=8:9\n\u201e\t\u2014\tSepte\t= 8 :15\n\u201e\t\u2014\tQuart\t=3:4\n\u201e\t\u2014\tkl. Sext\t=5:8\n\u201e\t\u2014\tkl. Terz\t=5:6\nSetzt man, wie oben bei Dur, f\u00fcr c die Schwingungszahl 200, so ergibt sich:\nGrundton c = 200 Sekunde d = 225 (200 \u2022 9 8) kl. Terz es = 240 (200 \u2022 6/5)\nQuint g = 300 (200 - 3/2) kl. Sext as = 320 (200 \u2022 8/5) gr. Sept h = 375 (200 \u2022 15/8)\nOktave c = 400 (200 \u2022 2)\nWie in Dur nimmt auch hier in Moll die Quart f ihre Sonderstellung ein. Dagegen tritt die \u2014 kleine \u2014 Sext zu den eng durch einen gemeinsamen Grundrhythmus mit der Tonika verbundenen T\u00f6nen. Zugleich f\u00fcgt doch auch sie sich nicht vollkommen in die Reihe der durch einen Grundrhythmus verkn\u00fcpften T\u00f6ne: Sie ist auf andere Weise mit der Tonika verbunden, auf eine Weise, die aufserdem die Tonika nicht als Ziel-, sondern als Strebeton ihr gegen\u00fcber erscheinen l\u00e4fst. Es findet also eine \u00e4hnliche Umkehrung des Verh\u00e4ltnisses wie bei der Quart statt.\n23*","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"356\nFritz Weinmann.\nDasselbe ist bei der Terz der Fall.1 Beide bilden zusammen eine besondere Gruppe gegen\u00fcber den \u00fcbrigen T\u00f6nen der Leiter.\nW\u00e4hrend diese durch den gemeinsamen Grundrhythmus 25 verbunden sind, und zwar durch ihn allein\nGrundton (200), Sekunde (225) und Septe (375), durch den Grundrhythmus 4 \u2022 25 = 100 Grundton (200) und Quint (300),\nund durch den Grundrhvthmus 8 - 25 = 200 Grundton (200) und Oktav (400), \u2014 wie in Dur \u2014, sind durch einen Grundrhythmus 40 verbunden der Grundton (200) und die Terz (240), sowie der Grundton (200) und die Sext (320). \u2014\nEs hat sich also das Bild in bedeutsamer Weise hinsichtlich der Beziehungen der T\u00f6ne zueinander ge\u00e4ndert.\nDie Tonika c nimmt in Moll nicht die ausgesprochen dominierende Position ein, wie in Dur. Sie ist gest\u00fctzt lediglich durch g als auf sie hinweisenden Ton, weiterhin durch die Leitt\u00f6ne d und A, nicht jedoch durch die Terz, wie es in Dur der Fall ist Vielmehr tendiert sie selbst nach der kl Sext as (5 : 8), weiterhin, wie in Dur, nach der Quart f, und endlich in gewissem Sinne auch nach der kl. Terz es (c: es = 5: 6), insofern n\u00e4mlich in dem rhythmischen Verh\u00e4ltnisse 5 :6 das letztere Element gegen\u00fcber dem ersteren die Zweigliederung in sich schliefst.2\nDaraus ergibt sich:\n1. c wird Strebeton \u2014 in dem betonten eingeschr\u00e4nkten Sinn \u2014 nach es hin. Ausgesprochen nach es tendiert gleichzeitig g {g \\es \u2014 5:4) und \u2014 als engerer Leitton \u2014 d (d : es \u2014 15 :16). Sowohl die Wirkung des g wie die des d, die in Dur aus-schliefslich dem c zugute kommt, ist hier geteilt zwischen c und es. Letzteres erlangt hierdurch gleichfalls die Stellung einer Dominante, die um so bedeutungsvoller ist, als sie innerhalb der Tonika-Gruppe, innerhalb des Moll-Dreiklangs selbst also, gilt\nDieser gipfelt somit nicht, wie der Dur-Dreiklang c \u2014 e \u2014 g,\n1\tVgl. S. 343, 344 d. A, Siehe folg. Seiten.\n2\tVgl. S. 343, 344 d. A. Wenn im folgenden der K\u00fcrze halber meist einfach von Ziel- oder Strebeton gesprochen wird, so ist doch diese Unter-acheidung von absoluten und relativen \u201eTendenzen** immer vorausgesetzt.","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n357\nin der Tonika (Verh.: 4:5:6), sondern in Tonika und Terz (Verh. : c \u2014 es \u2014 g \u2014 5:6 und 4:5, c : g = 2:3).\n2.\tW\u00e4hrend in Dur die Beziehung zwischen Tonika und Sext (c \u2014 a) nur eine lose ist (Verh. : 3:5), die Sext aufserdem noch durch Hinneigen zur Quart als deren grofse Terz (a : /* = 5 : 4) eine selbst\u00e4ndige Wirkung nicht auszu\u00fcben vermag, findet sich in Moll die kleine Sext as als Ziel ton einmal in gewissem Sinne der Quart f (f: as \u2014 5 : 6), dann aber vor allem der Tonika selbst (c:as = 5:8). Dazu beansprucht as von g die Dienste eines engeren Leittones (g : as = 1h : 16) und st\u00fctzt sich schliefslich auch auf es \u2014 welches selbst eine ausgezeichnete Stellung als Dominante einnimmt \u2014 als dessen Quart (es: as = 3:4)- as ist also gleichfalls ein dominierender Ton innerhalb des Systems der Moll-Leiter, und es ist dies in noch h\u00f6herem Grade als es und auch als die Quart f.\n3.\tDenn diese beh\u00e4lt zwar ihre Eigenschaft als Zielton der Tonika wie in Dur, b\u00fcfst aber an Macht dadurch ein, dafs \u2014 wie schon gesagt \u2014 die Unterst\u00fctzung durch die Sext (a in Dur) wegf\u00e4llt, und stattdessen das f selbst sich der Sexte as bis zu einem gewissen Grade unterst\u00fctzend unterordnet, und dafs es ferner das e als Leitton v\u00f6llig, das g, welches enger Leitton zu as wird, zum Teil als solchen verliert.\nW\u00e4hrend also in Dur 3 Dominanten bestehen, c als Haupt-, g und f als Nebentoniken. sind es in Moll durch das Hinzukommen von cs und as ihrer f\u00fcnf. Und da ferner die Dominanten es und as in weit h\u00f6herem Grade der Tonika c gleichwertig sind, als das in Dur bei einer der beiden Dominanten der Fall, und der Antagonismus zwischen f und c, aus dem erst das entschiedene \u00dcberragen des c entspringt, hier geschw\u00e4cht erscheint, so fehlt dem Moll-System, der Melodie in Moll, die straffe Geschlossenheit, die Eindeutigkeit des Dur.\nVergleicht man etwa die Folge\n\nin Moll, so tritt der Unterschied schon deutlich hervor. Wir haben oben 1 der Folge e \u2014 d \u2014 c nur eine bedingte Eindringlichkeit der ihr innewohnenden, nach c hinlenkenden Bewegung zu-\n1 S. 351, 352 d. A.","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"358\nFritz Weinmann.\ngestehen k\u00f6nnen (im Vergleich zu f \u2014 e \u2014 can jener Stelle); gegen\u00fcber dem unentschiedenen, schwankenden Charakter der Moll-Folge es \u2014 d \u2014 c aber wirkt jene Folge geradezu bestimmt. Den Verh\u00e4ltnissen\ne \u2014 c = 5:4 e \u2014 d = 9:8 d \u2014 c = 9:8 dort\nentspricht hier:\nes \u2014 c = 6:5 es \u2014d =16:15 d \u2014 c = 9:8\nDort weisen innere und \u00e4ufsere Bewegung nach unten und direkt wie indirekt nach c, hier nach oben und unten und zwar ungef\u00e4hr gleich stark, sich gegenseitig die Wage haltend, nach c und es.\nErweitert man die Folge zu\nund vergleicht man sie mit\n-0- \u00bb\t-\tr \u2022\t\nr\ti\t|\nm\t\u2014b\u2014\t\nso erwartet man nicht wie in dieser letzteren als unumg\u00e4nglich ein Hinlenken nach c, sondern es bestehen drei M\u00f6glichkeiten, die alle einen mehr oder minder befriedigenden Fortgang bedeuten.\nN\u00e4mlich : einmal gleichfalls f \u2014 es \u2014 d \u2014 c \u2014 g \u2014 c; dann aber auch auf f \u2014 es \u2014 d \u2014 c \u2014 g \u2014 es und f \u2014 es \u2014 d \u2014 c \u2014 g \u2014 as. Im ersten Falle betonen die herrschenden rhythmischen Verh\u00e4ltnisse das es vor allen anderen T\u00f6nen\nc : es \u2014 5:6 d\\es =15:16 g \\es = 5:4 f:es = 9:8*\n1 f \u2014 % von g fgl. f : es = 9/6 : 8/6 \u2014 vgl. hierzu S. 363 d. A.","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n359\nIm zweiten Falle wird der Tendenz des g nach as (g : as \u2014 15:16) nachgegeben, welches durch den in /\", es und c liegenden Hinweis auf as (f : as = 5 : 6 ; es : as = 3:4; c : as \u2014 5 : 8) vorbereitet ist.\nDafs trotzdem auch der Abschlufs auf dem im Vergleich zu es und as wenig gest\u00fctzten c als vollkommen wirkt, ist darauf zur\u00fcckzuf\u00fchren, dafs dem letzten Ton einer solchen melodischen Folge, d. h. dem Ton, welcher durch eine entsprechende dissonante Konstellation Tr\u00e4ger der Tendenz des Fortganges, der Aufl\u00f6sung, des Abschlusses wird, eine besondere Energie, eine bestimmende Kraft bez\u00fcglich des zu erfolgenden Schritts innewohnt, da sich psychologisch in ihm die Spannung, die Erwartung konzentriert. Demzufolge bildet er f\u00fcr sich gewisser-mafsen ein Gegengewicht gegen alle vorher auftretenden Betonungsstr\u00f6mungen, die seine \u00fcberlegene Tendenz nur durch ausgesprochenen Gegensatz in bestimmter Richtung beeinflussen, in allen anderen F\u00e4llen aber h\u00f6chstens durch Erm\u00f6glichung mehrerer Schritte vor eine freie Wahl stellen k\u00f6nnen. Die eigentlichste Fortgangstendenz ist nun die des Schrittes von der Quint zum Grundton oder auch zu dessen Oktave gem\u00e4fs dem einfachsten Verh\u00e4ltnis, welches einen Gegensatz ausdr\u00fcckt, 2 : 3 bzw. 3 : 4. Diesem kann und wird daher stattgegeben werden, auch wenn vorangegangene Einfl\u00fcsse den Fortgang entsprechend den Verh\u00e4ltnissen 5:4, 5:8, 15:16, 9:8, (5:6) bevorzugt erscheinen lassen.\nZu voller Wirksamkeit gelangt dieser Faktor erst in Moll, welches wir im Vergleich zu Dur als ein g\u00e4nzlich anderes System von Bewegungen, als ein weit komplizierteres Netz von verwandtschaftlichen Beziehungen kennen gelernt haben.\nIst die Melodie an sich ein Ganzes, welches sich in mehrfachen Stufen der Unterordnung auf baut \u2014 gegeben durch die \u201edominierenden\u201c T\u00f6ne und die durch sie verursachte Gegen\u00fcberstellung von Ton-Gruppen \u2014 so unterscheiden sich Dur- und Moll-Melodie voneinander durch die in ihnen vorherrschenden Arten der Unterordnung.\nDur bietet uns das Bild eines Ganzen, dessen Elemente wiederum einzelnen bevorzugten Elementen aus ihrer Mitte als herrschenden einmal in \u201efreier\u201c, dann in \u201edespotischer Unterordnung\u201c dienen. \u201eFrei\u201c ordnen sich die T\u00f6ne der Melodie in Dur der Tonika unter, der sie alle \u2014 direkt oder indirekt \u2014","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360\nFritz Weinmann.\nzustreben; \u201edespotisch\u201c \u00fcbt die Quart, in geringerem Mafse auch die Quint einen Zwang in entgegengesetzter, von der Tonika abziehender Richtung aus.\nIn Moll dagegen treten, wie wir gesehen haben, dem \u201efrei\u201c herrschenden H\u00f6hepunkte der Tonika noch zwei weitere Dominanten \u2014 Terz und Sext \u2014 gegen\u00fcber, die in \u201edespotischer\u201c Herrschaft der Tonika beinahe alle Macht entziehen und untereinander selbst mit ihren Anspr\u00fcchen in Gegensatz geraten.\nHatten wir in Dur einen H\u00f6hepunkt und einen Gegenh\u00f6hepunkt, die Tonika und die Quart, und dazwischen, vermittelnd gleichsam, als Verbindungspunkt die Quint, so bilden diese in Moll wieder f\u00fcr sich eine Gruppe, denen Sext und kl. Terz als Gegenh\u00f6hepunkte, als Gegengruppe gegen\u00fcberstehen.\nDer daraus sich ergebende Mangel an Gleichgewicht, die Unentschiedenheit der Unterordnung, die M\u00f6glichkeit einer nur unvollkommenen, relativen Unterordnung des Ganzen unter ein Einziges \u2014 die Tonika \u2014 im Gegensatz zu der vollkommenen, absoluten Unterordnung, die in Dur endg\u00fcltig doch zustande kommt : Dies \u00e4ufsert sich eben in dem eigent\u00fcmlichen Charakter des Moll gegen\u00fcber dem Dur, wie es ja auch den beiden Tonsystemen ihre Namen \u2014 \u201eDur\u201c und \u201eMoll\u201c \u2014 gegeben hat.\nIm Gegensatz zu Dur und dessen eindringlicher Bestimmtheit und Straffheit, wie es oben bereits bezeichnet wurde, besteht in Moll ein Zustand des Schwabens, eine Art von Zwiesp\u00e4ltigkeit, von Zweifel, nach welcher Seite die Bewegung fortschreiten soll. Glauben wir in Dur klare Entschiedenheit, freudige Kraft herausf\u00fchlen zu k\u00f6nnen, so scheint uns auf dem Moll eine schwerm\u00fctige Unentschlossenheit, ein schmerzlicher Druck zu lasten. Was dem zugrunde liegt, dafs wir uns so verschieden angemutet f\u00fchlen, als das hat sich letzten Endes der Rhythmus, die Art der rhythmischen Verh\u00e4ltnisse erwiesen. \u2014\n3. Die Tatsache der Angleichung.\nBisher wurden bei unseren Er\u00f6rterungen und Beispielen die T\u00f6ne hinsichtlich ihrer Stellung innerhalb des Systems, dem sie durch ihre verwandtschaftliche Beziehung zu einem gemeinsamen Grundton angeh\u00f6ren, als eindeutig aufgefafst. Der Umstand, dafs T\u00f6ne eines Systems eine mehrfache Bedeutung in demselben haben k\u00f6nnen, wurde ignoriert. Inwiefern und ob mit Recht dies geschehen ist, soll jetzt klargelegt w-erden.","page":360},{"file":"p0361.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der 'Melodie.\n361\nDie T\u00f6ne, welche hier in Betracht kommen, sind die Quart f und die gr. Sext a. Beide haben eine Doppelbedeutung. Vorz\u00fcglich ist in dieser Beziehung das f wichtig.\nDer Ton f nimmt innerhalb der Leiter, die sich auf c aufbaut, einmal die Stelle der Quart ein; nur als solche wurde er auch bisher aufgefafst. Zugleich ist er jedoch auch die Septe der Dominante g ; er ist die Dominantsepte von c, wie die Musiktheorie es bezeichnet. Fafst man ihn aber so auf, so lautet das Verh\u00e4ltnis nicht mehr : c:f = 3:4, sondern \u2014 da g : f71 \u2014 4 : 7, ist f1 = (g - 7/4) : 2 = (3/2 - 7/4) : 2 = 21/16 oder c:f< = 16 : 21. Es ist also einerseits die Konsonanz geringer, andererseits tendiert die Bewegung jetzt von f nach c.\nDemgegen\u00fcber gilt nun folgendes:\nDie Intonirung des f als Dominantsepte geschieht in der Musik in der Weise, dafs nicht das f, welches zu g im Verh\u00e4ltnis von 7 : 4 steht, genommen wird, sondern dasjenige, welches sich zu g verh\u00e4lt = 16 : 9.2 3 * * Dieses f ist aber gewonnen als Quart der Quart c = 4/3 -43=169. Die Quart f und die Dominantsepte f von c sind demnach identisch (f = 3,2 - 16/9 : 2 \u2014 3/4 \u2022 16/9 = 4 3).\nDer psychologische Grund, weshalb das musikalische Ohr das fq (f als Quart) dem f7 vorzieht, ist, dafs es den entschieden dissonanten Charakter des Intervalls g \u2014 f, der in der Fassung g \u2014 f~ betr\u00e4chtlich gemildert erscheint, gewahrt haben will; denn eben dadurch kommt das Hindr\u00e4ngen nach c als Aufl\u00f6sung zur Geltung, worauf die \u00e4sthetische Bedeutung des Intervalls in melodischer wie harmonischer Hinsicht beruht.\nEin solches Abweichen von der physikalisch richtigen Intonation ist auch anderweitig zu beobachten, bei Oktave, Quint, gr. und kl. Terz. Auch hier verzichten wir auf die Reinheit des Intervalls zugunsten des charakteristischen \u201eAusdrucks\u201c, der \u201evollen Auspr\u00e4gung\u201c des f\u00fcr uns in jeder Form, in der betr. musikalischen hier, enthaltenen, besser gesagt, in sie eingef\u00fchlten eigenartigen \u201eLebens\u201c.:J\nDafs dies m\u00f6glich ist, d. h. dafs zwei eigentlich voneinander\n1\tDer Ton f1, welcher als 7. Teilton des Klanges c auftritt, wird in der Akustik auch als /\u2018\u00ab' bezeichnet.\n2\tVgl. Stumpf: Konsonanz und Dissonanz S. 75 Anm.\n3\tVgl. Stumpf-Meyer: \u201eMafsbestimmungen \u00fcber die Keinheit kon-\nsonanter Intervalle; Beitr\u00fcge zur Akustik und Musikwissenschaft. 2. Heft,\nbes. S. loDff. Ferner: Lipps: Zur Theorie der Melodie S. 254ff.","page":361},{"file":"p0362.txt","language":"de","ocr_de":"362\nFritz Weinmann.\nverschiedene T\u00f6ne uns als identisch gelten k\u00f6nnen, ohne dafs die dadurch entstehende Unreinheit als solche wahrgenommen wird, uns zu Bewufstsein kommt, daf\u00fcr ist der Grund gegeben in der allgemeinen psychologischen Tatsache: Unterschiede m\u00fcssen eine gewisse Gr\u00f6fse besitzen, um ins Bewufstsein zu gelangen. Sie ergibt, speziell auf unseren Fall angewandt, die Regel: T\u00f6ne, die von den harmonisch geforderten um relativ wenige Schwingungen abweichen, k\u00f6nnen f\u00fcr diese eintreten. Oder: Verstimmte Intervalle wirken innerhalb gewisser, in den einzelnen F\u00e4llen variabler Grenzen als reine, k\u00f6nnen und m\u00fcssen also hinsichtlich ihrer Wirkung als reine betrachtet werden.1\nDaraus erkl\u00e4rt sich dann auch, dafs in umgekehrten F\u00e4llen, wo \u2014 um bei unserem Beispiel zu bleiben \u2014 tats\u00e4chlich das f als P gefordert sein sollte, es dennoch durch p vertreten werden k\u00f6nnte. Und auch das in einer melodischen Folge vorkommende P \u00fcbernimmt in der Erinnerung die Funktion des p und wirkt als solches auf die folgenden T\u00f6ne nach. Die Folge laute beispielsweise;\ndann adaptieren wir das p als p (p \u2014 P \u2022 64/633) dem folgenden c, zwischen f und c vollzieht sich eine \u201eAngleichung\u201c.\nDasselbe geschieht, wenn etwa in einer Moll-Melodie das p = der Septe 9/5 von g intoniert wird.4 Das p \u201egleicht\u201c sich als p (p \u2014p \u2022 81/80) 5 einem folgenden c \u201ean\u201c.\nAnalog verh\u00e4lt es sich hinsichtlich des Verh\u00e4ltnisses der Septe 9/5 und der Septe 7/4, was ihre Vertauschungsm\u00f6glichkeit, ihre F\u00e4higkeit f\u00fcr einander einzutreten anlangt: p \u2014f7- 36/35.\u00ae Auch dieser Unterschied ist minimal genug, um ignoriert und durch Angleichung paralysiert zu werden.\nDer \u00dcbersichtlichkeit halber seien die Beziehungen der drei\n1 Lipps: Zur Theorie der Melodie S. 256\u2014257. \u2014 Tonverwandtschaft\nund Tonverschmelzung S. 32 ff.\n64\u2019\n2 Lipps: Zur Theorie der Melodie S. 260ff.\nS fl . fq __ 7/\t. 16' . fq _ fl . 16/\t. 7'\t__ f 7\t16/\t4/\t__ fl . __\nf \u2022 / H \u2014 U \u2022 19 \u00bb / 2 \u2014 T i9 \u2022 I4 /\t10 h \u2014 /\t163*\n* Vgl. das auf S. 358 d. A. er\u00f6rterte Beispiel.\n16'\t___ fq . 9:\t.\nI\u00bb -- / *\t/16\n\u2022/\u25a0\u2022:/\u25a0\u00ab = % ' '% : /\u25a0*=/\u2022*\u2022 */.\n= ft\n81'\n8 Vso \u2014 synt. Komma.\np-.p = % : V*; f\u00b0 = P\n. \u2022/.\n7 !\nI . fo ___ fl 0!\t4/ . f ____ f 7\n/4t T \u2014 / /a h \u00bb / o \u2014 /\n,\u25a0\u00bb0\n3\u00ab/","page":362},{"file":"p0363.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n363\nm\u00f6glichen Arten von Septen zur grofsen und kleinen Sext, wohin ihre abw\u00e4rtsgehende Bewegung gerichtet zu sein scheint, im folgenden verglichen:\n1.\tp = 3/2 \u2022 16/9 : 2 = 3/4 \u2022 16 9 = 4/3 p\u2014e = 4 3 : 5/4 \u2014 16 :15\np \u2014 es = 4/3 : 6/5 = 10 : 9 1\n2.\tp = 3/2.7/4: 2 = 3/4 \u2022 7,4 = 21/16 p \u2014 e = 21/16 : 5/4 = 21 : *201\np \u2014 es = 21/16 : 6/5 = 35 : 32\n3.\tp = 3 2 \u2022 9/5 : 2 = 3/4 \u2022 9/5 = 27/20 p\u2014 6 = 27/20:5/4 = 27:25\nf\u00b0 \u2014 es = 27/20 : 6/5 = 9 : 8\nEs zeigt sich, dafs das P sowohl nach der Dur-, wie Moll-' Terz strebt, also am entschiedensten die Funktion der Dominant-septe versieht. Bei der statt dessen gebr\u00e4uchlichen Form p liegt der rhythmische Nachdruck nicht auf den T\u00f6nen, zu denen f gef\u00fchrt wird d. i. e und es, sondern auf f selbst. Die dritte Form endlich zeigt sich hinsichtlich des Schrittes f\u2014es, der sich in der Moll-Leiter auf y findet, beiden anderen \u00fcberlegen, so dafs die Frage aufgeworfen werden k\u00f6nnte, ob nicht in Moll die so gewonnene Septe am wirkungsvollsten w\u00e4re. Beides, die Dissonanz zu g, A, d- und der Hinweis auf die kl. Terz es ist hier vereinigt. \u2014\nWas in allen diesen F\u00e4llen f\u00fcr den Ton f gilt, von dem ausgegangen wurde, das gilt in gleicher Weise auch f\u00fcr den Ton a, insofern derselbe eine doppelte Auffassung, einmal als Sext des Grundtons, zum andern als Sekunde der Quint zul\u00e4fst. Die letztere Form, die sogen, \u201epythagoreische Sext\u201c \u2014 27/163 ist um das syntonische Komma 81/80 gr\u00f6fser als die Sext 5/34, ein Unterschied, der, wie wir oben bei dem Verh\u00e4ltnis des f\u00b0 zu p gesehen haben, nicht in Betracht kommt, der Tatsache der Angleichung unterhegt.\nDafs solche Unterschiede vielleicht bei den alten Hellenen\n1 Vgl. S. 343\u2014344 d. A.\n% fo \u25a0 g \u2014 g . Q. fo ; }l =\t27/\u201e0 \u2022 lS\u2019\u00f6\n.91\t_ 27/\t.8/\t-- \u2022 \u00f6\n\u2022IS \u2014\t/20\t/\u00bb -- D.O.\ns n \u2014 8 . 8/ \u2014? rr.\n27\n/so\nVir \u2014 18 : 25; f\u00b0\\d \u2014\n27/\nh\n20","page":363},{"file":"p0364.txt","language":"de","ocr_de":"364\nFritz Weinmann.\noder sonst praktisch aufrecht gehalten wurden, kann bei unseren Untersuchungen nicht in die Wagschale fallen. Wir d\u00fcrfen es ignorieren, gest\u00fctzt eben auf die Tatsache, dafs f\u00fcr unsere gegenw\u00e4rtige Psyche \u00e4sthetisch diese Unterschiede nicht bestimmend wirken und, soweit sie beachtet werden, der psychischen Tatsache der Angleichung zufolge ausges\u00f6hnt erscheinen. Und die Melodie ist letzten Grundes eine psychische Leistung, ein psychisches Produkt, erm\u00f6glicht durch die eigent\u00fcmliche 'Auf-fassungs-, Apperzeptionsweise der Psyche, entstehend durch deren Bet\u00e4tigung.\n4. Verh\u00e4ltnis der vertretenen Theorie zur modernen\ntemperierten Stimmung.\nDie Frage nach der Geltung der vertretenen Theorie der Melodie innerhalb der verschiedenen musikalischen Stimmungssysteme, namentlich innerhalb der jetzt gebr\u00e4uchlichen gleichschwebenden 12stufigen Temperatur erledigt sich durch die Tatsache der Angleichung: Die geringen Unterschiede werden belanglos. Die Tatsache der charakteristischen an Stelle der reinen Intonation und die damit in Verbindung tretende F\u00e4higkeit der Angleichung rechtfertigen zugleich unsere temperierte Stimmung als das musikalischeste System, welches durch Aufstellung mittlerer Intervalle dem Bed\u00fcrfnis der Psyche, an Stelle der physikalisch reinen die charakteristischere Intonation zu vollziehen, entgegenkommt, und, indem sie so einen Spielraum schafft, die Angleichung erleichtert.\nIn einzelnen F\u00e4llen stimmt das Prinzip der temperierten Stimmung mit den Intonationsbestrebungen, wenigstens der Richtung nach, tats\u00e4chlich \u00fcberein.\nDies ist der Fall bei der grofsen und kleinen Terz.\nDie grofse Terz pflegt weiter intoniert zu werden, die kleine enger als es den Verh\u00e4ltnissen 5/4 und 6/5 entspricht:1 Beides geschieht auch in der temperierten Stimmung.\nFerner wird dem oben erw\u00e4hnten Umstand gen\u00fcgt, dafs als Quart, f in der c-Leiter, und als Dominantsepte, f von c, ein und derselbe Ton fungiert, und zwar nicht das mit c weniger dissonierende f1 \u2014 Septe 7/4 von y, sondern das als Quart zu\n1 Vgl. Stumpf -Meyer: \u201eMafsbestinmmngen \u00fcber die Reinheit konsonanter Intervalle** in den Beitr\u00e4gen zur Akustik und Musikwissenschaft, Heft 2.","page":364},{"file":"p0365.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n365\nc in dem er\u00f6rterten \u00e4sthetisch wichtigen Gegensatz stehende /'*, und dafs, wenn f7 intoniert wurde, das P in der Erinnerung sich dem c als f* angleicht.\nDes weiteren ist der Halbtonschritt anzuf(ihren.\nDieser pflegt in der praktischen Musik kleiner genommen zu werden, als es das Verh\u00e4ltnis 16/15 ausdr\u00fcckt, indem der betr. Ton nach der Richtung, in der er sich aufl\u00f6st, forciert wird. Die temperierte Stimmung entspricht dieser Tendenz : Der temperierte Halbton ist kleiner als das Intervall 16/15, er steht zwischen ihm und dem pythagoreischen Halbton 256/243, dem als Leittonschritt charakteristischen, in der Mitte.\nEndlich gewinnen die einzelnen T\u00f6ne in der temperierten Stimmung eine Vieldeutigkeit, die harmonisch - modulatorisch und somit auch melodisch die wertvollste Bereicherung ausmacht. Die Angleichung ist hier objektiv vorweggenommen.\nEs ergibt sich so als wichtiges Resultat : Temperierte Stimmung und Angleichung beweisen, rechtfertigen sich gegenseitig. \u2014 Historisch betrachtet zeigt sich das temperierte System als das dem Entwicklungsgang der k\u00fcnstlerisch sich bet\u00e4tigenden Psyche-entsprechend h\u00f6her stehende; es deckt sich mit den Bed\u00fcrfnissen der musizierenden Psyche, es schliefst reichere Ausdrucksm\u00f6glichkeiten ein.\n5. Die chromatische Leiter.\nVon den Verh\u00e4ltnissen, welche die diatonische Dur- und Moll - Leiter beherrschen, wenden wir uns schliefslich zu den zwischen T\u00f6nen, die der Leiter angeh\u00f6ren, und solchen, die aufser-halb derselben stehen, wirksamen Beziehungen, zur chromatischen Leiter. Dabei ziehen wir aus dem in den beiden vorangehenden Abschnitten Gesagten die Berechtigung, ohne R\u00fccksicht auf Stimmungsunterschiede unseren Untersuchungen die Form der chromatischen Leiter zugrunde zu legen, welche aufw\u00e4rts durch einfache Erh\u00f6hung, abw\u00e4rts durch einfache Erniedrigung der Stufen der diatonischen Dur-Leiter um einen Halbton gewonnen wird, dabei jedoch bei enharmonischer Verwechslung eines Tones ohne weiteres in das entsprechende neue rhythmische Verh\u00e4ltnis \u00fcberzugehen oder gleich von vornherein zwei T\u00f6ne zu identifizieren, d. h. die beiden der betr. enharmonischen Verwechslung entsprechenden rhythmischen Verh\u00e4ltnisse beliebig anzuwenden.\nDie vollst\u00e4ndige \u00dcbersicht \u00fcber die innerhalb der chro-","page":365},{"file":"p0366.txt","language":"de","ocr_de":"366\nFritz TVeinmann.\nmatischen Leiter herrschenden Beziehungen gewinnen wir aus der folgenden Aufstellung, bei welcher f\u00fcr die Ableitung der einzelnen Intervalle die Verwandtschaft zur Tonika mafsgebend war. Zur Erkl\u00e4rung der Ableitung diene, dafs Q = Quint, q = Quart, T = grofse Terz, t = kleine Terz, S = grofse Sexte, s = kleine Sexte, Sek. = Sekunde, H = grofser Halbton (16/15), h = kleiner Halbton (25/24).1\n\tAbleitung\ti\t\tAbleitung\n. cis \u2014 24 : 25\tT : t (= h)\t\tas = 5: 8\ts od. Q \u2022 H\nI des \u2014 15 :16\tq : T (= H)\t\ta = 3: 5\tS\n|\td = 8:9\tQ: q\t\tais = 128 : 225\tQ \u25a0 Sek. - h oder\n1 dis = 64 : 75\tT-T:qod.Sek.-h\t1\t\tSepte : H\nes =5:6\tt od. Sek. \u25a0 H\t\tbb = 75:128\tq * H \u2022 t\n! e \u2014 4 : 5\tT\tc:\tb =\t9: 16\tq-q od. S-H\neia = 96:125\tTT:t od. T h\t\th = 8 : 15\tQ-T\n' fes \u2014 25:32\ts : T\tt\this = 64 :125\tTTT\nf = 3:4\tq\t!\tces =25: 48\t8 -1\nfis \u2014 18 : 25\tS : t od. q \u25a0 h\t\tc = 1:2\tOktave\n, fis \u2014 32 : 45 1\tQ T:q od. Q H\t\t\t\n1 ges = 45 : 64\tq-H\t\t1 Der sogenannte Tritonus, die\t\n9 = 2:3\tQ\tUmkehrung der verminderten Quint\t\t\n, gis = 16:25\tT \u25a0 T od. Q \u2022 h\tc\t\u2014 ges = 64/45.\t\nAls neu f\u00fcr uns hinzugekommen, ist zu besprechen zun\u00e4chst :\nDer \u201echromatische\u201c Halb ton.\nBetrachtet man den sogen, \u201echromatischen\u201c Halbton 25,24 etwa in der Folge c \u2014 cis \u2014 d {= 24 : 25 : 27), so f\u00e4llt auf, dafs c und cis ebenso wie cis und d rhythmisch nur sehr lose verbunden sind; daf\u00fcr verbindet sie die Nachbarschaft in der Tonh\u00f6he in \u00e4hnlicher Weise, wie wir es fr\u00fcher bei dem Leittonschritt 15:16 gefunden haben.2 Das cis in der Tonfolge c \u2014 cis \u2014 d hat dem komplizierten rhythmischen Verh\u00e4ltnisse gem\u00e4fs keine besonders eindringliche Beziehung zur Tonika oder zum folgenden Ton (Z,\n1\tDer Aufstellung und ihrer Ableitung liegen im wesentlichen die \u201eTontabellen\u201c von C. Stumpf und K. L. Schaefer und ihre Ableitung zugrunde.\n2\tVgl. hierzu auch Helmholtz: Die Lehre von den Tonempfindungen,. 5. Aufl., S. 563.","page":366},{"file":"p0367.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n367\nes hat also auch melodisch keine selbst\u00e4ndige Bedeutung, sondern stellt lediglich eine stufenweise Verbindung des c mit d her, ohne doch \u2014 dank der engen Nachbarschaft, in der es zu c und d steht, \u2014 als fremdartig und unerwartet aufzufallen. Im Gegenteil, eben dadurch, dafs es, ohne sich selbst\u00e4ndig hervorzudr\u00e4ngen, durch sein Dazwischentreten den Ganzton-Schritt verdeckt oder gleichsam verlangsamt und so die relative Entschiedenheit desselben verringert, bedeutet dieser Schritt und\nweiterhin der chromatische Gang \u00fcberhaupt einen unmerklichen \u2022\u2022 _\n\u00dcbergang, ein \u201eIneinander\u00fcbergleiten\u201c der einzelnen Tonstufen.\nEine Melodie, die sich in chromatischen Tonfolgen bewegt, wird demgem\u00e4fs als Ganzes nicht den Eindruck entschiedener Geschlossenheit, kraftvollen Fortschreitens machen wie eine rein diatonische, sondern uns gr\u00fcbelnd, verzweifelnd, klagend oder \u2014 je nach dem \u00e4ufseren Rhythmus der Bewegung \u2014 wild und ruhelos dahinjagend anmuten.\nNebenbei sei hier auf die innere \u00dcbereinstimmung hingewiesen, die in der modernen Kunst zwischen den einzelnen K\u00fcnsten, wie in jeder Kunstperiode, herrscht In der modernen Musik ist die Chromatik ein Charakteristikum. Demselben \u201e\u00dcbergleiten\u201c, demselben Verwischen der Grenzen, welches die \u00e4sthetische Bedeutung der Chromatik ausmacht, begegnen wir in der modernen Linie, allgemein\u2018in der modernen Raumkunst, ferner in der modernen Malerei in bezug auf die Farben, das Licht; dieselbe \u201eUngeschlossenheit, Unentschiedenheit\u201c tritt uns in den freien Rhythmen der modernen Lyrik, in dem unmerklichen Wechsel der Stimmungen und den Formen der Dichtung und Musik \u00fcberhaupt entgegen.\nWir kehren zur\u00fcck zu der uns besch\u00e4ftigenden chromatischen Leiter und den in ihr waltenden Beziehungen.\nEs ist klar, dafs durch die chromatischen \u201eDurchgangs\u201c-T\u00f6ne der Melodie reichere M\u00f6glichkeiten offenstehen, als wenn sie auf die diatonische Dur- oder Moll-Tonleiter angewiesen bliebe. Sie gewinnt die F\u00e4higkeit der breiteren Ausgestaltung, der Umschreibung ihrer Linien in ornamentaler Weise. Dies wird weiter unten noch des n\u00e4heren zu behandeln sein; vorher wenden wir uns noch den \u00fcbrigen Momenten der chromatischen Leiter zu, aus denen der Melodie neue Lebensm\u00f6glichkeiten erwachsen.\nDrei Tonschritte sind es da, die besonders bedeutungs-, weil besonders ausdrucksvoll, sind :","page":367},{"file":"p0368.txt","language":"de","ocr_de":"368\nFritz We in matin.\nTritonus, verminderte Quint und verminderte\nS e p t e.\nDem sogen. Tritonus oder der \u00fcberm\u00e4fsigen Quart c \u2014 fis entspricht das . rhythmische Verh\u00e4ltnis 82 : 45 ;1 er ist die Umkehrung der verminderten Quint e \u2014 ges = 45 : 64.1 Die fraglichen Verh\u00e4ltnisse repr\u00e4sentieren eine entschiedene Dissonanz: Der vorhandene Hinweis auf c bzw. ges ist sehr schwach, so gut wie null, ohne durch Nachbarschaft in der Tonh\u00f6he, die in anderen F\u00e4llen solche dem rhythmischen Verh\u00e4ltnisse nach lose verbundene T\u00f6ne verkn\u00fcpft, unterst\u00fctzt zu werden. Schon \u00e4ufserlich stellen die beiden T\u00f6ne sich als gleich weit vom Anfangs- und Endpunkt der Skala, als Mitte der Oktave dar:\nc \u2014 fis \u2014 c und ges \u2014 c \u2014 ges = 32 : 45 : 64,\nalso ann\u00e4hernd = 5:7, 5:7.\nHieraus erkl\u00e4rt sich der den Schritten c \u2014 fis und c \u2014 ges und ihren Umkehrungen eigene Charakter des Unbestimmten, des \u00d6den, Leeren; ein ungewisses, zielloses Sehnen, ein verzweifelndes \u201eSichaufb\u00e4umen\u201c ebenso wie ein ratloses \u201eIn sich zusammen sinken\u201c scheinen sie auszudr\u00fccken, im Gegensatz zum Oktavenschritt und dessen eigent\u00fcmlich entschlossenem \u201eAus sich heraus gehen\u201c oder \u201eIn sich zur\u00fcck kehren\u201c.2\nNoch h\u00e4ufiger begegnen wir in der Musik dem verminderten Quintenschritt 64/45 vereinigt mit der kleinen Terz 6/5 im verminderten Dreiklang und der verminderten Septe 128/75 im verminderten Septakkord, folgender rhythmischer Verbindung also :\nc : es = 5:6\tes : ges =\t27 : 82\nc : ges = 45 : 64\tges : bb =\t5:6\nc : bb == 75 :128\tes : bb \u2014\t45 : 64\n1\tSiehe oben Tabelle. In der temperierten Stimmung sind beide Intervalle identisch.\n2\tAls Beispiel seien angef\u00fchrt: Die Einleitung zum 2. Akt von Bbkt-hovbss Fidelio, wo die Paukenschlftge a \u2022es die \u00d6de und Verlassenheit des Kerkers eindringlich veranschaulichen. Ferner: Der 3. und 4.-letzte Takt der Adagioeinleitung von Mozarts Es -dur -Sinfonie. Oder: der Anfangstakt der D\u2019ALBERT\u00dfchen Oper Kain. \u2014 In der modernen Musik namentlich spielen diese Intervalle eine grofse Bolle, woran man \u00e4hnliche Betrachtungen kn\u00fcpfen k\u00f6nnte, wie es oben bei der Chromatik im eigentlichen Sinn angedeutet wurde.","page":368},{"file":"p0369.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n369\nDie verminderte Septe 128/76 unterscheidet sich nur wenig von der grofsen Sexte 5/3, mit welcher sie auch in der temperierten Stimmung identisch ist. Die Unbestimmtheit ist beiden Intervallen gemein.\nDie Terz es \u2014 ges, die sogen, pythagoreische Terz 32/27, ist um wenig enger als die kl Terz 6/5. In der temperierten Stimmung f\u00e4llt sie gleichfalls weg. Da in dieser der verminderte Dreiklang und weiter der verminderte Septakkord erst zu voller Bedeutung und Entfaltung ihrer Eigent\u00fcmlichkeit gelangen konnten, so nehmen wir mit der, wie oben nachgewiesen, uns zu Gebote stehenden Freiheit den verminderten Dreiklang wie den verminderten Septakkord als aus 2 bzw. 3 kleinen Terzen gleichm\u00e4fsig sich zusammensetzend an. Demnach g\u00e4lte\nc: es : ges = 5:6\n5:6\nund\tc : es : ges : bb = 5 : 6\n6:6\n6:6\nDas numerische Bild zeigt bereits die Eigent\u00fcmlichkeit dieser Tonverbindungen, in deren Wesen es liegt, dafs kein Ton dominiert, den Ruhe- oder Mittelpunkt des Ganzen bildet, sondern jeder nach dem n\u00e4chsth\u00f6heren \u2014 wenn auch nicht im vollen Sinn \u2014 weiterweist1 und so ein unendliches Fortschreiten m\u00f6glich erscheinen l\u00e4fst. Darin besteht ihr wesentlicher Unterschied vom Dur- und Moll-Dreiklang. Diese sind geschlossene Systeme mit einer Basis, auf die sich die T\u00f6ne beziehen: c in Dur \u2014 in ihm sind Terz und Quint zusammengefafst; es in Moll \u2014 in ihm haben c und g ihren Schwerpunkt, wobei in Dur g, in Moll c eine Nebenbetonung erfahren. \u2014 Im Vergleich damit sind die Verbindungen c \u2014 es \u2014 ges und c \u2014 es \u2014 ges \u2014bb etwas Grundverschiedenes. Aus den T\u00f6nen verminderter Dreikl\u00e4nge und Septakkorde lassen sich keine abgeschlossenen Melodien bilden, wie dies, so primitiv es auch sein mag, bei Dur- und Moll-Dreiklang m\u00f6glich ist. Nur Tonfolgen ergeben sich, welche als mehr oder minder hervortretende Bestandteile in Melodien eingehen, sie zusammensetzen k\u00f6nnen. Eine derartige Folge oder Melodie hat dann den Charakter des Unklaren, Geheimnisvollen,\n1 Vgl. S. 343, 344 u. 356 d. A.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 35.\t24","page":369},{"file":"p0370.txt","language":"de","ocr_de":"m\nFritz Weinmann.\nder unaufh\u00f6rlich vorbeiziehenden, dahinrollenden, entschwindenden Bewegung, oder auch des keinen Ausweg zeigenden Furchtbaren.1 2 * Bei Abw\u00e4rtsf\u00fchrung kommt dazu \u2014 da jeder Ton aufw\u00e4rts weist % \u2014 der Eindruck des Stockenden. \u2014\nDiesen neugewonnenen Tonschritten reihen sich weitere drei besonders ausdrucksvolle an:\nDie \u00fcberm\u00e4fsige Sekunde, die \u00fcberm\u00e4fsige Sexte und die \u00fcberm\u00e4fsige Quint.\n1. Das Intervall der \u00fcberm\u00e4fsigen Sekunde ist zun\u00e4chst gekennzeichnet durch das rhythmische Verh\u00e4ltnis 75/64. Die musikalische Intonation fafst es indessen in einer Weise, welche das Charakteristische dieses Schrittes als eines den Eintritt der grofsen Terz vorbereitenden, verz\u00f6gernden Zwischenglieds deutlicher hervortreten l\u00e4fst: Es wird gr\u00f6fser genommen, dem e sich n\u00e4hernd. Dementsprechend sei hier das Intervall der \u00fcberm\u00e4fsigen Sekunde mit dem der kl. Terz identifiziert, wie dies auch in der temperierten Stimmung von vornherein geschieht Es ergibt sich also f\u00fcr die \u00fcberm\u00e4fsige Sekunde die relative Schwingungszahl 6/5s, d. i. die der kleinen Terz.\nBetrachtet man jetzt beispielsweise die melodische Folge\nso lauten die entsprechenden Schwingungsverh\u00e4ltnisse:\nc : dis = 5:6 dis : e \u2014 24 : 25 (e : e = 5:4)\nDer Schritt dis \u2014 e in dieser Folge entspricht jedoch mehr dem pr\u00e4ziseren, dem grofsen Halbton zugeh\u00f6rigen Verh\u00e4ltnisse 16/15, welcher das dis deutlich als Leitton, das e ausgesprochen\n1\tMan denke an das Motiv, welches in Wagners Parsifal bei der Beschw\u00f6rung Kundrys ert\u00f6nt, an die melodische Folge, welche Alberichs Bing charakterisieren soll; an die Harfenglissandi in Liszts Dante-Sinfonie beim Erscheinen Paolos und Francescas; oder insofern ja Harmonie, Zusammenklang nicht wesentlich von Melodie unterschieden, gewissermafsen zusammengezogene Melodie ist: an die wuchtigen Schl\u00e4ge des Orchesters in Mozarts Don Giovanni beim Erscheinen des steinernen Gastes, an die vermind. Akkorde in Wagners \u201eFlieg. Holl\u00e4nder\u201c.\n2\tVgl. S. 343 u. 344 d. A.\n* Gewonnen: Tjh \u2014 5/4 : *\u00ae/tt = 8/6, statt: Sec. \u25a0 h = \u00ae/8 \u25a0 26/!4 = 7&/,4.","page":370},{"file":"p0371.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n371\nals Zielton kennzeichnet Er w\u00fcrde gegeben sein, wenn das dis als das Intervall 75/64 intoniert w\u00e4re,1 was, wie gesagt, nicht der Fall ist Hier tritt nun die Tatsache der \u201eAngleichung\u201c in ihr Recht. Das als es intonierte, gegen e hin verschobene dis gleicht sich in der Erinnerung dem tats\u00e4chlichen dis an, verschiebt sich mit dem Eintritt des e, wo es in der Vorstellung noch nachwirkt, wieder und zwar von e weg, und der Fortschritt von dis zu e kann in seinem charakteristischen Wesen zur Geltung kommen.\nDemnach m\u00fcssen wir mit folgenden Rhythmen rechnen :\nc : dis \u2014 5:6 dis : e == 15 :16 (e : c = 5:4)\nDie Bewegung stockt auf dis, welches c gegen\u00fcber als Zielton erscheint; c ist f\u00fcr einen Augenblick als Basis aufser Wirkung gesetzt. Mit dem Schritt dis \u2014 e f\u00e4llt der melodische Strom eindeutig nach e hinab und fliefst, da e auf c weist, dieses also dadurch wieder in seinem vollen Recht anerkannt ist, in das alte Bett zur\u00fcck.\nDieser und \u00e4hnliche Eindr\u00fccke, wie derjenige der neugewonnenen Ruhe, des \u201eSich ausbreitens\u201c nach einem \u201eEingeengt werden\u201c, der Erl\u00f6sung, des pl\u00f6tzlich hereinbrechenden Lichtes ist dem melodischen Schritt von der \u00fcberm\u00e4fsigen Sekunde oder \u00fcber dieselbe zur grofsen Terz stets eigent\u00fcmlich. Sie geh\u00f6ren ebenso der auf die Mollterz oder \u00fcberhaupt in Moll eintretenden Durterz an, als einer damit ja identischen Fortschreitung. Ich erinnere an die Wirkung des Schlusses in Dur, den man in der \u00e4lteren Musik einem in Moll gehenden St\u00fccke zu geben pflegte, an die Wirkung der grofsen Terz, welche auf die \u00fcberm\u00e4fsige Sekunde etwa des \u00fcberm\u00e4fsigen Terzquintsextakkordes folgt* *\n2. Ganz \u00e4hnlich ist die \u00e4sthetische Bedeutung der \u00fcberm\u00e4fsigen Sext.\nDas rhythmische Verh\u00e4ltnis f\u00fcr sie lautet streng genommen 225/128. Indessen gilt hier das gleiche wie bei der \u00fcberm\u00e4fsigen\nI 5; . 75/\t- 15/\n/* \u2022 /#* - /!\u00bb\u2022\n\u2022 Als Beispiele seien erw\u00e4hnt: Die in Dur schliefsende Melodie des \u201eNie sollst du mich befragen\u201c in Lohengrin, ferner die Stelle in Mozabts Don Giovanni, II. Akt, Sept. Nr. 20, wo Don Ottavio mit Fackeltragenden pl\u00f6tzlich in den dunklen Garten tritt \u2014 Eintritt der gr. Terz auf die \u00fcber-m&Mge Sekunde hin.\n24*","page":371},{"file":"p0372.txt","language":"de","ocr_de":"372\nFritz Weinmann.\nSekunde: Da die \u00fcberm\u00e4fsige Sext die Vorstufe zur grofsen Septe 15/8 bildet, so wird sie in der Richtung nach dieser hin vergr\u00f6fsert Sie wird zu dem Intervall 9/5.1\nEs ergibt sich f\u00fcr die melodische Folge\nt j ^ f\u2014 :\nc : ais ==. 5:9 ais : h = 24 : 25 (\u00c4 : c \u2014 15 : 8)\nWiederum setzen wir statt ais \u2014 h \u2014 24 : 25 denjenigen Schritt, der die von c losgel\u00f6ste Bewegung eindeutig weiterf\u00fchrt, n\u00e4mlich\nais.h = 15:16.\nDerselbe w\u00fcrde vorliegen, wenn c \u2014 ais \u2014 128 :225 genommen w\u00e4re.2 Wiederum vollzieht sich mit ais die Angleichung in dem Sinne, dafs ais Leitton f\u00fcr h wird. Also:\nMit dem Eintritt des dissonierenden ais ist jede Beziehung zu c abgebrochen; es findet weder eine eindeutige Hinlenkung der Bewegung nach ais, noch ein Zur\u00fcckweisen des^ ais nach c statt Der Boden des c ist verlassen. Nur insoweit wirkt c als Ausgangspunkt noch nach, als es das ais infolge seiner Dissonanz als einen vor\u00fcbergehenden Durchgangspunkt, einen weiter-dr\u00e4ngenden \u00dcbergangston erscheinen l\u00e4fst, nicht als selbst\u00e4ndig und f\u00e4hig, die Bewegung in sich festzuhalten und vorl\u00e4ufig zum Abschlufs zu bringen.* 8 *\nNun tr\u00e4gt ein Ton, der frei einsetzt, der von jeder Beziehung losgel\u00f6st ist, die ihn mit einer Tonika verbindet oder selbst als Tonika charakterisiert, in sich entweder die M\u00f6glichkeit zu beharren, oder, wenn er weitergef\u00fchrt wird, um einen Halbtonschritt 16/15 aufw\u00e4rts nach seinem Nachbarton zu gehen.\nDiese blofse Verwandtschaft durch Nachbarschaft n\u00e4mlich kann jederzeit entweder in Anspruch genommen oder als nicht vorhanden betrachtet werden, w\u00e4hrend die Verwandtschaft mit oder auf Grund einer Tonika sich nicht ignorieren l\u00e4fst.\n1 Gewonnen Septe : h = 15/8 : 85/24 = \u00ae/\u201e, statt Q. \u2022 Sec. \u2022 h = % \u2022 \u00ae/9 \u2022 *5/,*\n8 16/s : 8M/i\u00ab8 = w/iB.\n* Vgl. oben S. 349 u. 350 d. A.","page":372},{"file":"p0373.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n373\nHier in unserem Fall heilst dies, dafs ais, welches so gut wie nicht durch eine Tonika gebunden ist, zugleich aber auch nicht frei einsetzt, sondern durch Vorangehen des mit ihm dissonierenden c als weiterdr\u00e4ngend auftritt, dafs dieses ais notwendigerweise um den Schritt 16/15 zu seinem Nachbarton h aufsteigt\nDie melodische Folge c \u2014 ais \u2014 h macht demnach den Eindruck einer ganz neu eingeschlagenen Richtung, einer unvorhergesehenen Wendung, Abweichung. Simultan erklingend, zur Harmonie zuBammengezogen, ist die \u00fcberm\u00e4fsige Sext wie vorher die \u00fcberm\u00e4fsige Sekunde und ausgesprochener als diese das wesentliche Intervall des \u00fcberm\u00e4fsigen Terzquintsextakkords. Der \u00e4sthetische Charakter dieses in der modernen Musik vielgebrauchten Akkords ist ein analoger.1\n3. Vorzugsweise der neueren Musik geh\u00f6rt das dritte Intervall an, die \u00fcberm\u00e4fsige Quint.\nDas rhythmische Verh\u00e4ltnis, welchem sie entspricht, ist 25/16. Verbunden mit der grofsen Terz ist die \u00fcberm\u00e4fsige Quint als grundlegendes Intervall des \u00fcberm\u00e4fsigen Dreiklangs wichtig. Sie n\u00e4hert sich der kleinen Sexte 8/5, mit der sie in der temperierten Stimmung identisch ist\nBetrachten wir die Folge c\u2014e\u2014gis (= as) \u2014c, so ergibt sich, indem wir gis = as setzen, eine Folge von grofsen Terzen, also\nc : e : gis : c' = 4 :5\n4:5\n4:5\nWir haben also ein Gegenst\u00fcck zu dem fr\u00fcher behandelten verminderten Septakkord, der aus fortlaufend aneinander gereihten kleinen Terzen besteht, nur dafs hier die Bewegung in ihrer unendlichen Fortsetzbarkeit abw\u00e4rts weist (c \u2014 gis \u2014 e \u2014 c \u00ab5:4\n5:4 etc.), w\u00e4hrend den kleinen Terzen des ver-5:4\n1 Vgl. das zuvor schon angef\u00fchrte Beispiel aus Mozabts Don Giovanni oder den \u00dcbergang zum sog. Fr\u00fchlingslied Sibok\u00fcnds in Wagners Walk\u00fcre (wo die Schreibart zwar abweicht, der Sinn jedoch der gleiche ist). \u2014 Dafs wir uns mit den letzteren Untersuchungen mehr und mehr dem harmonischen Gebiete n\u00e4hern, hat seinen Grund in der geringen Zusammengefafst-heit und Selbst\u00e4ndigkeit der behandelten Intervalle, die mehr oder minder einer harmonischen Unterlage zu eindeutiger Bestimmtheit bed\u00fcrfen.","page":373},{"file":"p0374.txt","language":"de","ocr_de":"374\nFritz Weinmann.\nminderten Septakkords die Richtung nach aufw\u00e4rts eigen ist Auch hier gilt, dafs kein Ton dominiert oder einen Ruhe-, einen Endpunkt bezeichnet, sondern jeder immer nur auf den n\u00e4chsten, um eine grofse Terz tieferen weist, jedoch \u2014 infolge der gr\u00f6&eren Einfachheit des rhythmischen Verh\u00e4ltnisses1 2 * * * * \u2014 in mehr ausgesprochener und ruhigerer Weise als beim verminderten Sept-akkord. Demgem\u00e4is macht eine in den T\u00f6nen des \u00fcberm\u00e4\u00dfigen Dreiklangs sich wesentlich bewegende Melodie den Eindruck des Unbegrenzten, Offenen, des sich Ausweitenden und Verlierenden, der starrenden, \u00f6den Leere, wie des pl\u00f6tzlich Entfesselten, des schrankenlosen Ausbruches, sei es der Freude, der Lustigkeit oder des Zorns, des Entsetzens. Im Gegensatz zum verminderten Septakkord und Dreiklang hat hier die Aufw\u00e4rts be wegung etwas Stockendes, Ruckweises an sich. Entsprechend finden wir diese Intervalle melodisch (und harmonisch) in der Musik verwendet9\n6. Tonumschreibung.\nDen betrachteten einzelnen Grundbestandteilen der Melodie, wie sie in den Tonschritten gegeben sind, gliedert sich endlich die Tonumschreibung an. Unter Tonumschreibung ist verstanden der \u201ePraller\u201c, der \u201eMordent\u201c und der \u201eDoppelschlag\u201c der Musiktheorie, die Formen also, welche sich aus der sog. \u201eWechselnote\u201c ergeben. W\u00e4hrend diese selbst ebenso wie der mit ihr in gewisser Beziehung identische \u201eVorhalt\u201c, ganz erst in der harmonisierten Melodie Sinn und Bedeutung gewinnen, besitzt die Tonumschreibung resp. die Form des Prallers, Mordents, Doppelschlags, unabh\u00e4ngig von einer harmonischen Unterlage, ihre charakteristische melodische Qualit\u00e4t.\nWenn sie hier gewissermafsen als feststehendes Element der Melodie \u00fcberhaupt angesehen wird, so rechtfertigt dies der Umstand, dafs solche Tonumschreibungen, wo sie auftreten, nicht integrierende Bestandteile der betreffenden Melodie, sondern blofs in gewissem Grade stereotype \u201eVermannigfaltigungen\u201c eines\n1\tVgl. 8. 343\u2014344 d. A.\n2\tAls Beispiele m\u00f6gen dienen: Die Rufe der Walk\u00fcren, das Vorspiel\ndes 2. Aufsugs der \u201eWalk\u00fcre\u201c, die wildlustigen Ch\u00f6re der Mannen in der\n\u201eG\u00f6tterd\u00e4mmerung\u201c bei Wagner ; der Anfang der Faust-Sinfonie von Liszt;\ndie musikalische Schilderung des \u201egreisen\u00bb freien Lachens\u201c in \u201eAlso sprach\nZarathustra\u201c von Richard Strausb.","page":374},{"file":"p0375.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n976\neinzelnen Tons der Melodie, eben \u201eTonumschreibungen\u201c sind.1\nAls umschreibende T\u00f6ne, als \u201eWechselnoten*, fungieren grofse und kleine Ober- und Untersekunde eines Tons oder, wie wir bisher es ausgedr\u00fcckt haben, der weitere und engere Leit-ton, hier in doppelter Richtung, auf- und abw\u00e4rts gefafst Es ergeben sich demnach die folgenden Formen, wenn c als zu umschreibender Ton angenommen wird:\n1.\tc\u2014d\u2014c )\n2.\tc \u2014 des\u2014c j\n3.\tc\u2014h\u2014c\t1\n4.\tc \u2014 b\u2014 c\tI\ndie Form des \u201ePrallers\u201c, die Form des \u201eMordents\u201c.\nVerschmolzen erscheinen Praller und Mordent im \u201eDoppelschlag\u201c :\nfr \u2014e\u2014d \u2022\u2014 c\nj\ti.\tfr\u2014c\u2014 des \u2014 c\noder umgekehrt:\nb \u2014 c\u2014des\u2014c b \u2014 c\u2014d \u2014c\n1.\td\t\u2014c\u2014h\u2014c\n2.\tdes\u2014c\u2014h\u2014c\n3.\tdes\u2014c \u2014 b \u2014 c\n4.\td \u2014c \u2014 b\u2014c\nAus den rhythmischen Verh\u00e4ltnissen ergibt sich folgendes:\n1.\tc \u2014 d\u2014c \u2014 8:9:8\n2.\tc \u2014 des\u2014c = 15:16:15\nBei 1. liegt der Nachdruck \u00e4ufserlich wie innerlich auf c. Bei 2. erh\u00e4lt c zwar gleichfalls eine \u00e4ufsere definitive Betonung, indem es am Anfang und Ende steht; die Wechselnote dagegen weist nicht nach ihm hin, sondern steht ihm selbst\u00e4ndig mit der F\u00e4higkeit, die Bewegung bei sich zur\u00fcckzuhalten, auf sich zu ziehen, gegen\u00fcber. Nur widerstrebend beruhigt sich letztere endg\u00fcltig auf c ; eine leise Unruhe, eine Sehnsucht gleichsam zittert nach.\n3.\tc\u2014h \u2014 c \u2014 16 :15 :16\n4.\tc \u2014 b \u2014 c = 9: 8: 9\nDagegen l\u00e4fst die Form 3. am entschiedensten von allen c als Hauptton hervortreten. Die Phrase macht infolge des zugrunde liegenden Leitton Verh\u00e4ltnisses 16/15 den Eindruck einer\n1 Vgl. Lippb: Grundlegung der \u00c4sthetik S. 476.","page":375},{"file":"p0376.txt","language":"de","ocr_de":"376\nFritz Weinmann.\nausdr\u00fccklichen Bejahung. Die Form 4. endlich n\u00e4hert sich in ihrem Wesen der Form 2. ; nur ist hier das Gef\u00fcge, dessen Grund in c, dessen Gewicht jedoch in b liegt, noch ein loseres als dort. Die 4 Formen des Doppelschlages unterscheiden sich analog durch den mehr oder minder vorhandenen Widerstreit zwischen der \u00e4ufseren Anordnung, die das c zum Hauptton stempelt, und der andersgerichteten inneren Bewegung, womit sich die Enge oder Lockerheit der Umspielung gem\u00e4fs der Verwendung des kleinen oder grofsen Leittons oder beider zugleich, kombiniert, \u2014 verbindet.\nAm geschlossensten ist der Doppelschlag d\u2014 c \u2014 h \u2014 c, gem\u00e4fs den rhythmischen Verh\u00e4ltnissen\n18 :16:15 :16\n(9: 8)\nDemgegen\u00fcber eignet der Form des\u2014c\u2014h\u2014c ein Schweben zwischen c und des ; denn des : c = 16 :15 ; c\u2014h\u2014c \u00ab=16:15 :16. Die sekund\u00e4r wirksame Beziehung des h und des verleiht zwar dem des einen weiteren, allerdings kaum in Betracht kommenden Nachdruck (h : des\u2014225 : 2561 = vermind. Terz), tendiert jedoch indirekt infolge der relativen Dissonanz h\u2014des wiederum nach dem gemeinsam verwandten c. In der 3. Form hat des ausgesprochen die innere Betonung:\ndes \u2014 c \u2014 16 :15 c \u2014\t5= 9: 8\nb \u2014 des = 6 : 5 (kl. Terz).\nIn der 4. Form d\u2014c\u2014b\u2014c zielt die innere Richtung nach b:\nd:c = 9: 8 c :b \u2014 9 : 8\nd : b \u2014 81: 64 (pythag. Terz) oder (ca.)\n= 5:4 (gr. Terz).\nZu dieser verschiedenartigen inneren Betonung tritt noch als weiterer, den \u00e4sthetischen Charakter bestimmender Faktor hinzu, das eventuelle Zusammenfallen von Richtungs- und Anfangston der Phrase, von innerer und Initialbetonung. In dieser Hinsicht ergeben die oben angef\u00fchrten Umkehrungen\n1 Vgl. 8. 344 d. A.","page":376},{"file":"p0377.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n377\nneue Verschiedenheiten. Die Bewegung scheint sich je nachdem um den Hauptton mehr zusammenzuziehen oder mehr zu entfalten, st\u00e4rker nach oben oder nach unten von ihm fortzudr\u00e4ngen, erst williger, leichter, dann widerstrebender, z\u00f6gernder oder umgekehrt sich nach ihm hin zu senken. \u2014\nLiegt nun eine Umschreibung nicht der Tonika selbst, sondern irgendeines anderen Tons der Leiter vor, so tritt naturgem\u00e4fs zu der Beziehung zwischen Ton und Wechselnote noch diejenige zwischen der Tonika und der eingef\u00fchrten Wechselnote hinzu. Es ergibt sich ein doppeltes System von Wirkungen. Hierbei zeigt sich jedoch das Verh\u00e4ltnis zwischen dem Ton und seiner oder seinen Wechselnoten als das st\u00e4rkere, demgegen\u00fcber der Ein-flufs der Tonika zur\u00fccktritt. Nur insofeme macht sich dieser geltend, als \u2014 je nach der zwischen Wechselnote und Tonika wirksamen \"Beziehung \u2014 der die Umschreibung erfahrende Ton gleichsam in seinem Bestehen befestigt oder ersch\u00fcttert wird, einen Nachdruck erf\u00e4hrt oder ins Wanken ger\u00e4t.\nEin Beispiel m\u00f6ge dies klar machen. Es seien verglichen die Umschreibungen\ny~r> m\ty-Trte\nunter Zugrundelegung des c als Tonika. Die rhythmischen Verh\u00e4ltnisse lauten f\u00fcr (c\u2014) e dis e, wenn wir die in der temperierten Leiter angenommene Identit\u00e4t von dis und es hier voraussetzen:\ne : dis : e = 16 :15 :16 c : e =4:5 c : dis (es) \u2014 5:6\nDie Wirkung ist nach dem zuvor Gesagten die, dafs e, welches zun\u00e4chst nach c tendiert, diesem gegen\u00fcber selbst\u00e4ndiger wird, da durch dis = es sozusagen eine Losl\u00f6sung, Befreiung von c (c : es \u2014 5:6) stattfindet. Durch die Umschreibung e \u2014 dis \u2014 e = 16 :15 :16 ist nat\u00fcrlich e ohnehin schon affirmativ hervorgehoben. Beide Wirkungen verbinden sich.\nDagegen liegen in der Tonfolge (c\u2014) f\u2014e\u2014f die Verh\u00e4ltnisse so, dafs hier umgekehrt durch die Wechselnote \u2014e\u2014 das f ins Wanken ger\u00e4t und c eine anziehende Kraft gewinnt Denn : '","page":377},{"file":"p0378.txt","language":"de","ocr_de":"378\nFritz Weinmann.\n/*: ff :/*= 16 :15 :16\nc:f= 3: 4 c : e \u2014 4 : 5\nHier durchkreuzen sich die affirmative Wirkung des e f\u00fcr f, welch letzteres auch von c aus den Nachdruck hat, und der nach c hinneigende Charakter des e, so dafs die Selbst\u00e4ndigkeit des f gegen\u00fcber c geschw\u00e4cht wird.\nEine dritte M\u00f6glichkeit ist ausgedr\u00fcckt durch das Beispiel\n(C\u2014) g\u2014fig \u2014 g.\ng : fis: g = 16 :15 : 1\u00d6 c : g = 2 : 3 c : fis = 32:45\nDer bestehende Hinweis des g auf c wird hier; zwar nicht direkt bek\u00e4mpft durch die zwischen c und fis herrschende Beziehung, immerhin aber durch das Mitspielen des unausgesprochenen, so gut wie gleichschwebenden Verh\u00e4ltnisses 32:45 einigermafsen verwischt, so dafs ein gewisser Spannungswiderstand des g gegen c erzeugt wird.\nEs geh\u00f6ren weiter noch hierher der Triller, als eine l\u00e4nger ausgedehnte Tonumschreibung, der einfache \u201ekurze Vorschlag\u201c, bei dem eine der angef\u00fchrten Stufen (seltener eine weiter entfernte) dem Hauptton vorangeschickt, durch die K\u00fcrze der ihr zugestandenen Zeitdauer jedoch als blofses Beiwerk charakterisiert wird, und die Wechselnote in der Form des chromatischen Durchgangstones.1 F\u00fcr sie gilt entsprechend, was f\u00fcr die n\u00e4her er\u00f6rterten, bedeutenderen Arten der Tonumschreibung gesagt wurde : Im Wesen gleich, ist ihre Wirkung ann\u00e4hernd ebenso bestimmend und in derselben Weise das Resultat der sich kreuzenden gegenseitigen Beziehungen zwischen Hauptton, Wechselnote und Tonika.\nWenn wir das letzte Beispiel in entsprechend hier g\u00fcltige verwandeln, so ergibt sich\n\u2014 der Triller,\n\u2014 der \u201ekurze Vor-\nschlag\u201c, und\n1 Die nicht - chromatische, die diatonische Wechselnote, bedarf, wie weiter oben schon angedentet, der harmonischen Unterlage, um als \u201eWechselnote\u201c charakterisiert zu sein.","page":378},{"file":"p0379.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n379\ndie chromatische Wechselnote (fis zu g in c-Dur). \u2014\nDie allgemeinen, die Melodie konstituierenden Bestandteile sind hiermit gegeben.\nIn welcher Weise dieselben in den Aufbau der Melodie ein-gehen, soll im folgenden Abschnitte untersucht werden. \u2014\n(Schlafs folgt im n\u00e4chsten Heft)","page":379},{"file":"p0401.txt","language":"de","ocr_de":"401\nZur Struktur der Melodie,\nVon\nFritz Wecnmann.\n(Schlafs.)\nZweiter Teil.\nDie Struktur der Melodie nach den verschiedenen\nArten ihres Aufbaues.\nDadurch, dafs die einzelnen, verschiedenen Tonschritte zu einem Ganzen zusammentreten, entsteht die Melodie. Hierbei bestimmt sich aus dem inneren Richtungsgehalt und -Wert des einzelnen Elements, wie er sich auf Grund der mikrorhythmischen Verh\u00e4ltnisse ergeben hat, seine Stelle im Melodieganzen. Dieses selbst, als \u201eGanzes\u201c, kommt seinerseits eben erst durch solche innere Verschiedenheit der Elemente zustande, deren eines \u00fcbergeordnet, die anderen zum \u201eGanzen\u201c zusammenfassend sein mufs. Jede Melodie hat demnach eine Tonika. Dagegen ergeben sich je nach den Elementen, welche sonst verwendet, mit der Tonika vereinigt werden, und der allgemeinen Weise, in welcher die Anordnung der so verbundenen Elemente sich darstellt, spezifische Unterschiede:\nMelodien lassen sich hinsichtlich ihres Aufbaues unter einem doppelten Gesichtspunkt betrachten, deren jeder wiederum eine dreifache Unterscheidung nahelegt\nErstlich: Sie bewegen sich entweder lediglich in den T\u00f6nen des Dreiklangs, oder in den Intervallen der Dur- und Moll-Leiter, oder modulierend innerhalb mehrerer Tonarten.\n(In beiden letzteren F\u00e4llen k\u00f6nnen chromatische Wendungen und\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie Si.\t26","page":401},{"file":"p0402.txt","language":"de","ocr_de":"402\nFritz Weinmann.\nFortschreitungen in dem zuletzt \u2014 S. 374 ff. \u2014 und fr\u00fcher \u2014 S. 366\u2014367 1 er\u00f6rterten Sinn enthalten sein.)\nZweitens: Sie sind charakteristisch verschieden\ndurch die Art des Anfangs,\ndes Schlusses, der Gliederung.\nGenauer gesagt: Melodien unterscheiden sich darin, wie sie beginnen und schliefsen d. h. von welcher Stufe sie ausgehen, auf welcher sie endigen, und. wie der Fortgang bzw. die Hinwendung verl\u00e4uft; und sie unterscheiden sich darin, ob und wo in ihrem Verlauf Ruhepunkte auftreten, ob und wo solche Ruhepunkte den Charakter relativen Abschlusses tragen, und in welcher Weise der Fortgang von dort aus sich bewerkstelligt.2 * * * * * Beide Gegens\u00e4tze greifen ineinander \u00fcber.\n1. Die aas den T\u00f6nen des Dreiklangs gebildete Melodie.\nDie Melodie ist eine differenzierte Einheit \u2014 wurde eingangs dieser Arbeit gesagt.\nDemnach stellen bereits einfachste Zusammenf\u00fcgungen\nwie\nrhythm.\nVerh.\nu. dgl. \u201eMelodien\u201c, wenn auch d\u00fcrftige, dar. Denn in ihnen tritt ein Gegens\u00e4tzliches aus einer Einheit heraus und kehrt wieder zu ihr als Basis zur\u00fcck \u2014 die zweigliedrige Rhythmik (gegeben in der Tonika) geht in die dreigliedrige (gegeben in der Quint) \u00fcber und diese wieder in die erstere zur\u00fcck.8\nWie aber \u00e4sthetische Bedeutsamkeit von vornherein die differenzierte Einheitlichkeit fordert, die blofse Einheit ausschliefst, so setzt sie weiter eine relativ reiche Differenzierung\nvoraus. Die Gegens\u00e4tzlichkeit mufs innerhalb gewisser Grenzen \u2022\n1 Die \u00fcbrigen bei der \u201echromatischen Leiter\u201c behandelten Intervalle\ngeh\u00f6ren (insofern sie ja in Dur- und Moll-Leiter s\u00e4mtlich enthalten sind)\ngleichfalls zur nichtmodulierenden Melodie, wenn sie auf ihren ent-\nsprechenden Stufen ruhen; dagegen bedeuten sie eine Modulation, sowie\nsie auf einer anderen Stufe auftreten.\n* Vgl. Lipps: Grundlegung der \u00c4sthetik S. 475.\n\u00bb Vgl, S. 341 ff. d. A.","page":402},{"file":"p0403.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n403\nselbst\u00e4ndig wirksam und \u2014 zu diesem Zweck\u2014 abgestuft, die Einheitlichkeit dadurch, in r\u00fcckwirkender Weise, eine ausgesprochene, mit einer gewissen Kraft erzwungene Zusammenfassung sein, soll eine \u00e4sthetische Wirkung entstehen. Denn der Begriff \u201e\u00e4sthetisch\u201c verlangt wirkendes Leben, also Streben, Widerstand und \u00dcberwindung. Je reicher daher die Vermannig-faltigung einer Einheit, desto h\u00f6her ist der \u00e4sthetische Wert der betreffenden Form.\nDemzufolge bedeutet uns eines der oben angef\u00fchrten Beispiele wohl das Schema einer Melodie, doch sind wir kaum geneigt, es als eine solche selbst im vollen Sinn anzuerkennen.\nExtrem primitive Melodien, die nur aus Grundton und Quint in verschiedenartiger Wiederkehr bestehen, finden sich denn auch selten. Meist vollzieht sich der Aufbau zum mindesten aus Grundton, Quint und Terz, also aus den T\u00f6nen des Dreiklangs, der \u00e4sthetischen Grundform in der Musik. Das Gef\u00fcge des (Dur-) Dreiklangs zeigt in lapidarer Art innere Zusammenfassung einer deutlichen Gegens\u00e4tzlichkeit:\nZu der gegens\u00e4tzlich der Tonika gegen\u00fcbertretenden Quint (rhythm. Verh. : Quint : Tonika ==3:2) gesellt sich die Terz. Entsprechend dem rhythmischen Verh\u00e4ltnisse 5:4 weist sie auf die Tonika hin, wenn auch minder dr\u00e4ngend als die Quint. Zugleich strebt sie aber auch zu dieser letzteren, verst\u00e4rkt deren Wirkung (Terz : Quint = 5:6).1 Sie vermittelt also gleichsam bei der Entzweiung von Tonika und Quint. Die Zusammenfassung geschieht wie mit sanfterer Gewalt, nachdem andererseits die Differenzierung eine reichere geworden ist.* * 8\nDa nun aber auch Melodien, die nur aus den T\u00f6nen des Dreiklangs 8 bestehen, noch eine denkbar einfache Form der Melodie \u00fcberhaupt darstellen, so treten sie mehr als Bestandteile, als \u201eMotive\u201c einer gr\u00f6fseren Melodie, seltener selbst\u00e4ndig auf. Dies sind sie als Fanfaren, signalartige Phrasen oder als pr\u00e4gnante Themen, wo um einer bestimmten Charakterisierung willen oder in symbolisierender Weise diese urspr\u00fcngliche Einfachheit absichtlich gew\u00e4hlt ist.\n1 Vgl. S. 343-344 d. A.\n8 \u00dcber den Moll-Dreiklang im Gegensatz dazu vgl. S. 356\u2014357 d. A.\n8 Es ist hier zun\u00e4chst stets der Dur-Dreiklang gemeint.\n26*","page":403},{"file":"p0404.txt","language":"de","ocr_de":"404\nFrite Weinmann.\nZur Frage des inneren Aufbaues ist bez\u00fcglich der Melodie \u00fcberhaupt folgendes vorauszuschicken:\n1. Insofern jede Melodie ein \u2014 mehr oder minder sich entfaltendes rhythmisches System auf einer einheitlichen Basis, der Tonika, darstellt, geht sie von dieser Tonika aus und kehrt \u2014 auf wechselnden Umwegen \u2014 zu ihr zur\u00fcck. Der nat\u00fcrliche Anfangs-, wie Endton ist demnach die Tonika (oder deren h\u00f6here und tiefere Oktave1 * *).\nEs verm\u00f6gen indes auch die Quint und die Terz zu beginnen oder den Abschlufs zu vollziehen, wenngleich \u2014 namentlich dies letztere \u2014 in weniger vollkommener bzw. nur bedingter Weise. Dies versteht sich daraus, dafs ja auch die Quint und die Terz mit der Tonika noch eng verbunden sind, auf sie hin-weisen und sie gewissermafsen \u201ein sich schliefsen\u201c.8 N\u00e4mlich: Den rhythmischen Verh\u00e4ltnissen 5/4 und 3/2 zur Folge entsprechen einer Tonika von z. B. 200 Schwingungen eine Terz von 250, eine Quint von 300 Schwingungen. In einem Fall ist es ein gemeinschaftlicher Grundrhythmufe von 50, im anderen ein solcher von 100 Schwingungen, der die beiden T\u00f6ne verbindet, in beiden enthalten ist Insofern nun dieser Grundrhythmus 50 bzw. 100 mit der Tonika 200, deren tiefere Oktaven er bedeutet, relativ identisch ist,8 l\u00e4fst sich sagen, dafs Terz und Quint auch diese selbst, die Tonika, in gewissem Sinn in sich enthalten, mit ihr identisch sind. \u00c4hnlich wie die Oktave, nur nicht in so vollg\u00fcltiger Weise, sind also auch Quint und Terz bef\u00e4higt, den Grundton beim Melodie-Anfang und Abschlufs zu vertreten.\nVerschiedene Gr\u00fcnde erkl\u00e4ren und rechtfertigen nun die Wahl der Quint oder Terz als Ausgangs- und Schlufston.\nEinmal ist die Melodie nicht etwas f\u00fcr sich Existierendes, sondern das Glied eines gr\u00f6fseren Ganzen, des musikalischen Kunstwerkes, sei dies auch nur ein kleines Lied. Sie f\u00fcgt sich also an andere Melodien an oder geht, umgekehrt, anderen voraus. Der Eindruck der vollkommenen Begrenztheit, Abgeschlossenheit nach einer oder beiden Seiten ist also nicht notwendig, er w\u00e4re vielleicht sogar st\u00f6rend.\n1 Vgl. S. 346 d. A.\n* Vgl. Lipps: Zur Theorie der Melodie S. 239.\n\u00bb Vgl. S. 346 d. A.","page":404},{"file":"p0405.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n405\nZum zweiten kommt man von da aus dazu, auch ohne dafs eine Angliederung geschieht, die Melodie, statt ihr mit der Tonika einen pr\u00e4gnanten Anfang, einen ausgesprochenen Abschlufs zu geben, mit Terz und Quint zu schliefsen oder zu begingen. Man will \u2014 bewufst oder unbewufst \u2014 den Eindruck des relativ Unfertigen oder unvorbereitet Anhebenden, des Herausgerissenen.\nWas den Anfang betrifft, so besteht endlich zwischen den ^beiden M\u00f6glichkeiten, mit der Tonika oder mit der Terz und Quint1 2 zu beginnen, der Mittelweg, den Melodieanfang zwar durch die Quint oder (seltener) die Terz zu vollziehen, diesen aber durch k\u00fcrzere Dauer die Bedeutung des Initialelements wieder zu nehmen und dieselbe durch den metrischen Akzent oder Wert der darauffolgenden Tonika gleichwohl de facto zu \u00fcbertragen.\u00ae Dies gilt f\u00fcr alle Melodien, deren Anfang allgemein\n2. Die Frage nach den Ruhepunkten innerhalb der Melodie geht, wie schon angedeutet, dahin: Es ergeben sich aus den innerlichen Bewegungsrichtungen der zur Melodie zusammengef\u00fcgten T\u00f6ne (in Verbindung mit der \u00e4ufseren Taktrhythmik \u2014 s. Anmerkung 2) Haltepunkte. Je nachdem, ob ein solches innehalten auf einem der Tonikagruppe angeh\u00f6rigen Ton \u2014 eventuell auch auf der Tonika selbst \u2014 geschieht, ob auf einer der Dominanten oder einem in deren Bereich liegenden T\u00f6ne, und je nachdem die Vorbereitung eines solchen Ruhepunktes durch die hinleitenden T\u00f6ne vor sich geht, entstehen\n1\tOder einem der \u00fcbrigen T\u00f6ne der Skala, wovon sp\u00e4ter die Bede sein wird.\n2\tOber die Verbindung des \u201ezeitmessenden\u201c Rhythmus\u2019 mit dem \u201eakzentuierenden\u201c, d. i. der Rhythmik der \u201eTakteinheiten\u201c mit der \u201eGliederung der Tonfolgen\u201c (oder \u00fcber die Verbindung der durch \u201eZeit- und Intensit\u00e4tsunterschiede bedingten\u201c Rhythmik mit der \u201edurch den inneren Zusammenhang der T\u00f6ne veranlagten Gruppenbildung\u201c \u2014 Me\u00fcmann, a. a. O. S. 306 ff.), vgl. Lipp\u00f6 : Grundlegung der \u00c4sthetik S. 487 ff. \u2014 Beide Arten werden im allgemeinen zun\u00e4chst zusammenfallen. Eine fortschreitende Differenzierung wirkt jedoch auch auf diesem Gebiete in der Weise ver-mannigfaltigend, dafs sie inneren und metrischen Akzent gegeneinander zu verschieben trachtet. \u2014 (NB.: Es braucht wohl nicht besonders betont werden, dafs hier \u201eRhythmik\u201c im gew\u00f6hnlichen Sinn = \u00e4ufsere Gliederung zu verstehen ist.)","page":405},{"file":"p0406.txt","language":"de","ocr_de":"406\nFritz Weinmann.\nentweder blofse Durchgangs- oder relative Abschlufs-punkte von unterschiedlicher einschneidender oder scheidender Kraft.\nHier\u00fcber wird weiter unten eingehender zu sprechen sein.1\nIn der blofsen Dreiklangsmelodie, zu der wir nunmehr zur\u00fcckkehren, ist eine derartige Gliederung von innen heraus nur in untergeordnetem Mafse m\u00f6glich. Es stehen einer solchen eben nur 3 T\u00f6ne zur Verf\u00fcgung, die zudem der gleichen Gruppe angeh\u00f6ren: Einer von ihnen ist Zielton der beiden anderen, zu dem diese \u2014 direkt oder indirekt \u2014 hinstreben (rhythm. Verh. 4:5:6).\nDer Weg, auf den diese Melodien angewiesen sind, ist daher ein so gerader und eindeutig vorgezeichneter, dafs die Freiheit von Bewegung und Gegenbewegung eine \u00e4ufserst begrenzte ist Man k\u00f6nnte gleichnisweise sagen: Die aus den T\u00f6nen des Dreiklangs gebildete Melodie besitzt eine Ausdehnung nur in einer einzigen Dimension, nach der H\u00f6he, die M\u00f6glichkeit, in die Breite sich zu erstrecken* * * 8, fehlt ihr.\nQuint und Terz erscheinen als Ruhepunkte nur mit Durchgangscharakter, da sie, als Strebet\u00f6ne, einerseits unf\u00e4hig sind, von sich aus einen selbst\u00e4ndigen Gegensatz zu begr\u00fcnden, andererseits eine durch andere T\u00f6ne geschehende Wendung, die in ihnen einen Abschlufs f\u00e4nde, eben unm\u00f6glich ist Lediglich die Tonika selbst kann einen solchen bedeuten. Alsdann fehlt aber ein deutliches Merkmal, welches diesen Abschlufs als blofs relativen, als einen Abschlufs innerhalb der Melodie auffassen l\u00e4fst ; die letztere selbst k\u00f6nnte jederzeit und sofort dabei endigen. Denn es ist ja von vornherein f\u00fcr beide Arten, f\u00fcr den relativen wie definitiven Abschlufs, nur ein und dieselbe Weise der Einf\u00fchrung, die Hinwendung von Terz und Quint aus, m\u00f6glich. Letzten Endes ist also die Dreiklangsmelodie auf die Gliederung rein von aufsen her, durch den metrischen Akzent, angewiesen.\nWas den Anfang und Abschlufs betrifft, so fordern solche Melodien an diesen Punkten ausgesprochen die Tonika. Denn diejenigen T\u00f6ne, welche anderw\u00e4rts als Gruppent\u00f6ne der Tonika diese gewissermafsen vertreten, Terz und Quint8, sind\n1 Auf S. 422ff. d. A.\n8 Wie eie, um bei dem Vergleich mit R\u00e4umlichem zu bleiben, am aus-\ngesprochensten durch die Quart gegeben w\u00e4re.\n8 Vgl. 8. 404 d. A.","page":406},{"file":"p0407.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n407\nhier die einzigen gegens\u00e4tzlichen, differenzierenden Elemente, so dafs eine eindeutige Geschlossenheit dieser Melodien die volle Ausn\u00fctzung jedes Tons nach seiner eigentlichen Bedeutung zur Voraussetzung hat.\nEs \u00fcberwiegt denn auch, wenn man Beispiele daraufhin herausgreift, die Tonika als Anfangs-, wie als Schlufston.\nWenn als solche Terz oder Quint auftreten, so erkl\u00e4rt sich dies aus der vorherrschenden Unselbst\u00e4ndigkeit solcher Melodien, die sich, wie oben hervorgehoben, haupts\u00e4chlich finden als Glieder eines Zusammenhangs, oder als darauf angelegt, in wechselnde Zusammenh\u00e4nge eingef\u00fcgt zu werden.\nZugleich tritt auch jene oben angef\u00fchrte kombinierte Form des Anfangs mit einer k\u00fcrzeren Auftaktnote (meist die Quint) vor der Tonika auf.1\nAls Beispiele seien angef\u00fchrt:\nDie WAGNEBschen Leitmotive des Rheins, des Schwertes, des Rheingolds aus der Ring-Tetralogie\ng '\nrhythm. Yerh.\n\n\u00b1 Tz\nI\nS\nV\n3\nI\n4\n(2)\nIII\n5\nY\n6\n(3)\nI\n8\n(2)\nIII\n12\n(3)\n\tiT\u201c\t\t\t*2\n\tj\u00ab\t!j\t: t\tm\t,\nim\tJ\t\t's\tj.\tr\t1\nW\t=-]\t-4=\u2014\t\u2014\t\nV I I III V I III rhythm. Verh. 3 : 4 : (2)\t(3)\t(4)\t(5)\n(2)\t4 :\t5 : 6 : 8 : 10\nrhythm. Verh.\nferner das Trompetensignal in Beethovens \u201eFidelio\u201c; die Fanfaren etwa in \u201eLohengrin\u201c, \u201eDie Meistersinger\u201c; das folgende Thema aus der SchillinGsschen Oper \u201eDer Pfeifertag\u201c:\n1 Eine eingehendere Behandlung werden diese Punkte weiter unten \u2014 auf S. 409 ff. \u2014 finden.","page":407},{"file":"p0408.txt","language":"de","ocr_de":"408\nFritz Weinmann.\n\tt \t.\n\ter I\tm \u25a0 r 1\t11\t\t\t . \u2014\u00e4\tj\n\t\u25a0 i\tr LU\u00bb\tM\tm* m v 1\n\t1\t*\tV 1\t1\t1\tL>!T .. fM?r J\n1\t*\u25a0 \u25a0 1\u2014\trep t\u2014\t\u2014*\t\nI\tin\tIV\tIII mi\tIII\tV\nrhythm. 4\t.5\t.\t4-6\t4 : 8 : 4\t: 5:8\t10\t12\nVert,'(2)\t(2) (3)\t(2) (2)\t(2)\t2\u00bb\t(5)\t(3)\nDae folgende Thema des Scherzos in Anton Bruckners 7. Symphonie:\nSL \u2022 1 \u25a0\u2022=pr\u2014 -j1 -\t=r=\\unif\tf\u2014Fl\t=F\nV\tV\tI\tV\trg*-\u2014\u2014\u2014*\u20141\u2014 I\tI\tV\t\u00bb\t&\u2022 I\nrhythm. 3\t. \u00df .\t4\t3\t2:4:3\t:\t2\nVerL\t(3)\t(2)\t\t(2)\t\nDer Anfang zum Thema des 1. Satzes derselben Symphonie :\n\t\t\u2014\u00bb\u2014\t=f=\t-f-\t\tf'-,; \"\n=f=\tr- \u2022 g I V\ty= 1\tV\tI\tm\t\u00a3=fc= V\nrhythm. Verh.\t4:3:\t4\t6\t8\t: 10 :\t12\n\t(2)\t(2) '\t(3)\t(2*4)\t(5)\t(3)\nDas Leitmotiv aus Richard Strauss\u2019 \u201eAlso sprach Zarathustra\u201c :\nI v i\nrhythm. Verh. 2:3:4\n(2)\nwelches das Urgesetz der Natur symbolysieren soll; endlich der Anfang, das Hauptmotiv des 1. Themas von Beethovens \u201eEroica\u201c :\n1 13\t\n'\tU \t\u00c6\tL .\tK*\t1\t*\t\u2022\t!\tIl^\u00bb\n/ Vf\ty\t1\tl j r\t1\t,\nT-yy 4 . \u2014LJ\t\nI m I\tv I hi V\tI\nrhythm. Verh. 4:5:\t4: 3:4: 5:\t6:4\n(2)\t(2)\t(2)\t(3) (2)\nGem\u00e4fs den sie konstituierenden rhythmischen Verh\u00e4ltnissen haben diese Melodien etwas ungeheuer Bestimmtes, Gefestigtes, zugleich aber in gewisser Weise Unbelebtes, Unpers\u00f6nliches, Seelenloses.","page":408},{"file":"p0409.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n409\nWas den Aufbau von Melodien aus den T\u00f6nen des Moll-Dreiklangs betrifft, wovon bisher nicht die Rede war, so kommen hier Gebilde zustande, die nicht mit dem guten Recht der Dur-Dreiklangsmelodie sich \u201eMelodien\u201c nennen k\u00f6nnen. Denn das zwar primitive, aber ausgesprochene Vorhandensein von Einheit und Differenzierendem des Dur-Dreiklangs fehlt beim Moll-Dreiklang. Statt des dominierenden Grundtons auf der einen, der gegens\u00e4tzlichen, aber untergeordneten Terz und Quint auf der anderen Seite stehen sich hier Grundton und Quint (Verh. : 2 : 3), Grundton und Terz (Verh. : 5 : 6), Terz und Quint (Verh.: 4:5) gegen\u00fcber.1 Eine Melodie, die sich aus diesen T\u00f6nen auf baut, kann ihre Tonika nicht in der Weise wie in Dur zur Geltung bringen; es macht sich der Mangel anderweitiger st\u00fctzender T\u00f6ne bemerkbar. Insofern wurde oben gesagt, dafs man hier nicht im eigentlichsten Sinn von \u201eMelodien\u201c reden kann, die ihrem Wesen nach auf deutlicher Einheitlichkeit eines Gegens\u00e4tzlichen beruhen.\n\u201eMelodien\u201c aus den T\u00f6nen des Moll-Dreiklangs spielen denn auch nicht die Rolle, wie solche, die aus den T\u00f6nen des Dur-Dreiklangs bestehen ; sie sind ihrer Natur nach nicht f\u00e4hig, selbst\u00e4ndig zu wirken, sondern darauf angewiesen, Bestandteile gr\u00f6fserer eigentlicher Melodien zu bilden. Es mag daher gen\u00fcgen, auf das im ersten Teil dieser Arbeit \u00fcber die Verh\u00e4ltnisse in Moll Gesagte zu verweisen, ohne hier weiter darauf einzugehen.\n2. Die innerhalb der Dar- oder Moll-Leiter sich bewegende\nMelodie.\nDie Stufe eines vollkommenen Organismus erreicht die Melodie, wenn sie die Intervalle der diatonischen Dur- oder Moll-Leiter als auf bauende Zellen in sich begreift Und nach Mafsgabe dessen, welche dieser einzelnen, verschiedene Funktionen aus\u00fcbenden Elemente im ganzen einer Melodie als gliedernde Zentren auftreten, gewinnt letztere auch individuelles Leben.\na) Die Dur-Melodie.\nDer Anfang.\nAls Anfangst\u00f6ne fungieren hier neben Quint und Terz, von der Tonika selbst vorerst ganz abgesehen, auch die Sexte und\n1 Vgl. S. 356 u. ff. d. A.","page":409},{"file":"p0410.txt","language":"de","ocr_de":"410\nFritz Weinmann.\ndie Dominantsepte = Quart, also die beiden T\u00f6ne, welche als Sondergruppe den \u00fcbrigen T\u00f6nen der Dur-Leiter gegen\u00fcberzustellen sind.1 Nicht in ihrer Eigenschaft als relativ selbst\u00e4ndige und unabh\u00e4ngige Gegenpole jedoch erscheinen sie hier, sondern als eben durch ihren Antagonismus in Form von Spannungserzeugern doppelt zwingend auf die Tonika hin wirkend.1 Da eine derartige, gewissermafsen gewaltsame Hinwendung auf die Tonika nun hier bei Beginn einer Melodie stattfindet, wo ein solchermafsen zu \u00fcberwindender Gegensatz nicht tats\u00e4chlich vorangeht, so entsteht der Eindruck des Unvermittelten, des spontanen Ausbruchs, des \u201ein m\u00e9dias res Springens\u201c.\nAls Beispiele k\u00f6nnen dienen:\nDie Melodie der singenden Rheint\u00f6chter bei Wagner\nrhythm. VI--------------1\nVerh. 5\t:\t3\ndie sich unvermerkt aus\ndem wogenden Tutti des Orchestervorspiels zu \u201eRheingold\u201c losl\u00f6st, gleichsam \u2014 vorher nicht geh\u00f6rt \u2014 jetzt pl\u00f6tzlich vernommen wird, ebenso wie sp\u00e4ter am Schlufs der \u201eG\u00f6tterd\u00e4mmerung\u201c, wo sie sich aus dem herabst\u00fcrzenden Wirrsal der Tonfluten heraus erhebt.\nFerner die Melodie der Rheint\u00f6chter\n... \u00ab1 .\tL J\ny\t-\t5\t\t\t;\t\t\n\t\nfm r\tr\t1\t\nw\u2014t\t\t~\u00b1-l\t1\t\nvi\u2014v vi\u2014v\nRhein-gold! Rhein-gold\nmit der sie pl\u00f6tzlich in ihr jauchzendes\nLob des Goldes ausbrechen.\nMit der Dominantsepte = Quart beginnt \u2014 um ein Beispiel anzuf\u00fchren \u2014 die folgende Melodie bei' Brahms in dessen \u201eDeutschem Requiem\u201c:\nDas Eigent\u00fcmliche einer Gef\u00fchlsgrundlage, welche darin besteht, dafs ein vorhandenes, nach Ausdruck ringendes Gef\u00fchl endlich\n1 Vgl. 8. 348 ff d. A.","page":410},{"file":"p0411.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie,\n411\noder pl\u00f6tzlich in interjektionsm\u00e4fsiger Form \u00fcberquillt, losbricht, ist in solcher Art unvermittelten Anf\u00e4ngen ad\u00e4quat gegeben. \u2014 Auch die WAGNEBsche Melodie\nrfrrft\u2014\t\t\t\t\t\u2022 \u2014\t\t\t\t\u20141\u2014\t\t\n/L.\t- -- - -\t-\t\tm\ti\t1\tm\t\tr\t**\t\t\t\u25a0*\tJ\nL#i * .... ^\t0 ^ \u25a0\t\t\t ..\t\ta-\tF\t\u00aby\t^\t\t\nKK\u2014 \u2014\u25a0\t\u25a0 \u25a0\u25a0\u25a0 \u25a0 -V-1\t\t\t\t\t\tV\t\t\nIV-------------------------------------(I)--------------------------------------------------III\nwelche Br\u00fcnnhildens Liebe charakterisieren soll, geh\u00f6rt hierher.\nSolche Melodien wenden sich, wie die Beispiele auch zeigen, alsbald der Tonika oder jedenfalls T\u00f6nen zu, die im unmittelbaren Bereich derselben liegen (Quint, Terz). Nur so tritt die Tonika erst ins Bewufstsein, wodurch r\u00fcckwirkend der Anfangston eindeutig in Beziehung auf diese Tonika bestimmt wird. Dadurch erst gelangt derselbe zu seiner eigent\u00fcmlichen Geltung, zu seiner \u00e4sthetischen Bedeutsamkeit1\nNeben diesen T\u00f6nen kommt weiter auch die Septe als Anfangston vor. Sie wirkt jedoch, insofern sie Leitton ist, dessen Beruf einzig in der Einf\u00fchrung der Tonika besteht (rhythm. Verh. = 15:16)2, eben nur als Vorbereitung dieser letzteren, nicht als relativ selbst\u00e4ndiger Ausgangspunkt einer Melodie.\nDie Terz als Anfangston8 fordert alsbald eine folgende Quint oder Tonika, damit die Tonart, der Boden, auf dem die Melodie sich erhebt, kenntlich werde.4 Die Terz vermag, als in dem schon relativ lockeren rhythmischen Verh\u00e4ltnisse von 5:4 zur Tonika stehend, nicht zun\u00e4chst selbst\u00e4ndig5 einen Melodieabschnitt auf sich zu gr\u00fcnden, in diesem Sinne anfangsbildend zu wirken.\nDemgem\u00e4fs hat der Terzanfang etwas Unbestimmtes, Nachgebendes, Weiches \u2014 im Gegensatz zu dem auf Tonika und Quint.\nDiese, die Quint, findet sich gleich h\u00e4ufig wie die Tonika als Anfangston. Sie ist in Hinsicht auf die Tonika der Strebeton nca \u00e9goxrjv. Und diese ihre innere F\u00e4higkeit, geradewegs auf die\n1 Auch geh\u00f6ren diese Anf\u00e4nge vor allem der harmonisierten Melodie\nan, wo ein Bafs den Sinn der speziellen Melodiet\u00f6ne gewissermafsen erl\u00e4utert. Vgl. hierzu weiter unten die Anmerkung auf S. 421 d. A.\n* Vgl. S. 348 d. A.\t3 Vgl. 8. 404 d. A.\n4\tDer Terzanfang verlangt eigentlich schon eine harmonische Unterlage. In reinen unharmonisierten Melodien ist er denn auch selten zu finden.\n5\tVgl. S. 344 d. A.","page":411},{"file":"p0412.txt","language":"de","ocr_de":"412\nFritz Weinmann.\nTonika hinzuweisen, diese als sicheres Ziel erscheinen zu lassen \\ zugleich aber doch vorerst selbst\u00e4ndig die Bewegung bei sich zur\u00fcckzuhalten, wie es in dem rhythmischen Verh\u00e4ltnis 3 : 2 ausgesprochen liegt* *, macht sie der Tonika als Ausgangspunkt in gewissem Sinn fast \u00fcberlegen.\nDenn ein Streben, welches zur Ruhe kommen will, ist mit ihr unmittelbar gegeben. Nicht Entstehen, Geschehen und Enden einer inneren Bewegung ist demnach der psychologische Tatbestand, der solchen mit der Quint beginnenden (mit der Tonika schliefsenden) Melodien entspricht, sondern: Ein bestehendes, schon vorhandenes Streben, Abzielen wirkt sich aus, gelangt zur Befriedigung.\nEin Beispiel, wie die Quint imstande ist, eine l\u00e4ngere Melodie auszusenden und sie bis zum Schlufs zu beherrschen, um erst mit dem letzten Ton sie an die Tonika abzugeben, bietet die folgende Melodie aus Mozaets \u201eDon Giovanni\u201c:\n\niE\n\n\n(i) a)\nV III\nDie Musik versinnbildlicht, wie Zerlinchen den grollenden Masetto mit klugen Worten bes\u00e4nftigt. Und in der Tat: Wie ein induktives Beweisverfahren gibt sich diese Melodie. Etwas \u201eInduktives\u201c liegt sozusagen \u00fcberhaupt im Quintanfang.\nAuf andere Weise wird diese auf die Tonika hinweisende Kraft der Quint ausgen\u00fctzt in der kombinierten \u2014 namentlich im Volkslied h\u00e4ufigen \u2014 Form des Anfangs, welche die \u201eQuint als Auftakt\u201c der Tonika vorausschickt.8\nWie der Impuls zu einer Bewegung oder die Innervation einer solchen, wie ein Sich - Anschicken, wirkt dieser Melodieanfang durch Quint-Tonika, und dies vor allem in der aufsteigenden Form\nQuint \u2014 Oktave der Tonika4\nrhythm. Verh. : 3 : 4\nEr bildet das Gegenst\u00fcck zu der sp\u00e4ter zu besprechenden Art des Abschlusses durch den absteigenden Schritt Quint-Tonika. In gl\u00fccklicher Weise vereinigt er eine von vornherein herrschende\n1 Vgl. S. 347\u2014348 d. A.\n* Vgl. S. 344 d. A. \u00bb Vgl. S. 405 d. A.\n4 Vgl. S. 346 d. A.","page":412},{"file":"p0413.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n413\nklare Bestimmtheit der Basis, auf der sich die anhebende Melodie erheben wird, mit dem Eindruck einer beginnenden, auf ein Ziel erst zustrebenden, nicht geradezu von demselben Punkt aus- und zirkelm\u00e4fsig wieder zu ihm zur\u00fcckgehenden Bewegung. Das Ziel wird sozusagen nur erst bezeichnet, ehe sein Erreichen in Angriff genommen wird.\nIn dieser Weise erscheint die Quint dann auch mit der Terz verbunden.\nDer Terzanfang erh\u00e4lt durch diese Modifikation eine gr\u00f6fsere Bestimmtheit, als er f\u00fcr sich besitzt, und doch zugleich, insofern auf die Quint eben nicht die \u2014 als Zielton \u2014 erwartete Tonika, sondern vielmehr ein Strebeton, die Terz, folgt (rhythm. Verh. von Quint : Terz = 0:5) etwas eigent\u00fcmlich Zur\u00fcckhaltendes. Als Beispiel k\u00f6nnte dienen die folgende Melodie aus Schillings\u2019 Oper \u201eDer Pfeifertag\u201c:\n\"irr\t \u2022 i \u2014\t\n\t\u00df\t\u2014 ; a a\nImr f\t\n\t1~\" HZ '~T T*.-.sy\t~\nV III V I\nrhythm. Verh.\t6\t5:6:4\n(3)\t(3)\t(2)\nOft vereinigen sich in dieser Weise auch Quint und Tonika als einf\u00fchrende Stufe der Terz, die den eigentlichen Anfang\nbezeichnet, nach dem Schema:1\nV I III\nDie eigent\u00fcmliche Sch\u00f6nheit des Terzanfangs erscheint dann ohne den Nachteil auf der anderen Seite, dafs die Tonart unaufgekl\u00e4rt bleibt. Die vorteilhafte Wirkung von Quint und Terz wird herangezogen, dabei aber doch der Terz untergeordnet.2\nEin Beispiel f\u00fcr diese Weise zu beginnen w\u00e4re in der Melodie des Andante con moto aus Beethovens 5. Symphonie gegeben :\nv I m\n1 Wie die Identit\u00e4t des Grundtons mit seinen Oktaven (s. S. 346 d. A.), so besteht nat\u00fcrlich allgemein eine (relative) Identit\u00e4t eines jeden Tons und seiner Oktaven.\n* Durch die metrische Bewertung.","page":413},{"file":"p0414.txt","language":"de","ocr_de":"414\nFritz Weinmann.\nErscheint die Terz als Auftakt, und zwar entweder der Quint oder \u2014 was verh\u00e4ltnism\u00e4fsig selten der Fall ist \u2014 der Tonika, so sch\u00f6pfen aus dieser Verbindung der Quint- und Tonikaanfang1 eine Bereicherung: Die Knappheit und Geschlossenheit jener Anfangsarten erscheint sozusagen gemildert, gelockert, indem das Eintreten des Haupttons in der Form\n(rhythm. Verh. 5 : 4)\n$\n3\n(rhythm. V erh. 5:6)\nvorbereitet wird.\nUmgekehrt geht dann zuweilen auch der Terz die Tonika\nin\nii I s Auftakt voran\nrhythm. Verh.\n, wodurch die Unklarheit\nund Unselbst\u00e4ndigkeit des Terzanfangs von vornherein behoben erscheint, und dieser erst recht seine eigent\u00fcmlichen Vorz\u00fcge entfalten kann.\nDie Tonika als Auftakt der Quint findet sich selten.\nDem rhythmischen Verh\u00e4ltnisse zufolge\nrhythm. Verh. 2 :\t3\neignet sich diese Verbindung auch wenig zur Einleitung einer Melodie : Denn die Wirkung der Quint, ein Streben zu inaugurieren, erscheint durch die vorangehende Tonika gleichsam gel\u00e4hmt, gefesselt. Bei der gleichartigen Verbindung von Tonika und Terz, die vorher erw\u00e4hnt wurde, macht sich dies infolge des relativ losen Verh\u00e4ltnisses (4:5) weit weniger geltend. \u2014\nAlle diese kombinierten Arten des Melodieanfangs k\u00f6nnen nun noch Modifikationen erfahren, indem die Zwischenstufen mit herangezogen werden.\nSo wird, statt von der Quint direkt zur Tonika zu springen, abw\u00e4rts die Terz mit hereingenommen, aufw\u00e4rts die Septe oder Sexte, dann beide Zwischenstufen, Sexte und Septe, zusammen.\nEs ergeben sich Anf\u00e4nge wie\n1 \u00dcber diesen s. weiter unten!","page":414},{"file":"p0415.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n415\nV III I rhythm. Verh. 6:5:4\n-y -\t\t\t\n\tJ\t\t\nfrfl i\t9\t\t\n\t\t\t\nY VII I 12 : 15 :10\n(3)\t(4)\n(4)\t(5)\nV VI I 9 : 10 : 12\n(3) :\t(4)\n(5) : (6)\n\t\n\t! : r\t\n/\t1 1 J\t. \" Br:\ni\u00e4* J m 9\t\nibw-\t\nrhythm. Verh. V VI vil I\n12 : 15:16\nAnalog wird aus einem Anfang wie\nrhythm.\tV III\nVerh.\t6 : 5\nder folgende\nir~n i\ti \u25a0\ngg;:\u2014d\t\u2014\u00ab\u2014\nv IV 18 : 16 od. 21\nIII 15 201\nDie dem Anfangston y orangeschickten, ihm untergeordneten Stufen werden dann weiter untereinander in der Weise unterschieden, dafs ein Element wieder als \u00fcbergeordnet, das andere oder die anderen als untergeordnet, als nur eingeschoben erscheinen, indem sie metrisch verschieden bewertet werden. So entstehen etwa die\nFormen\noder\nund\nusw.\nAnaloge Variationen treffen den Anfang mit der Terz als Auftakt.2 Aus Formen wie\nrhythm.\nVerh. 5:6\t5:4\n15 : 10 : 18\nbzw.\nund\nrhythm.\nVerh. 10:9 : 8\n1 Vgl. S. 363 d. A.\n2 Vgl. oben S. 414.","page":415},{"file":"p0416.txt","language":"de","ocr_de":"416\nFritz Weinmann.\nDie Art des Anfangs endlich, welche die Tonika als Auf-\ntakt der Terz voranschickt1\nrhythm. Verh.\nwird\nrhythm. Verh. 8:9 : 10\nDie Wirkung nun ist in allen diesen F\u00e4llen einerseits zwar eine abschw\u00e4chende, indem die Klarheit des Anfangs mehr oder minder verwischt, andererseits aber eine wiederum verst\u00e4rkende, indem der Anfang sorgf\u00e4ltiger und vielseitiger vorbereitet wird. Die Heranziehung relativ gegens\u00e4tzlicher Elemente wie Quart und Sext, die den rhythmischen Verh\u00e4ltnissen zufolge retardierend wirken, eine entgegengesetzte innere Bewegungsrichtung vertreten, und die hiermit gegebene M\u00f6glichkeit, erst als \u00dcberwinder relativer Dissonanzen den Grundton einsetzen zu lassen, bedeutet zugleich eine Bereicherung. \u2014\nDiese verschiedenen und so variierten Arten des Melodie-Anfangs sind nun in Wirklichkeit alle gewissermafsen nur Variierungen zweier zugrunde liegender Hauptarten, des Anfangs mit der Tonika und mit der Quint. Denn \u00fcberall, wo andere T\u00f6ne die Melodie er\u00f6ffnen, liegt doch eine jener beiden Stufen verborgen zugrunde, was bei der harmonisierten Melodie denn auch im Bafs zum Ausdruck kommt. Es spricht sich in anderer, hier in Betracht kommender Weise darin aus, dafs sich solche Melodien selbst alsbald nach der Quint oder Tonika wenden und dadurch erst bestimmten Aufschlufs gleichsam \u00fcber ihre Pers\u00f6nlichkeit geben und zu geben imstande sind. Dies gilt f\u00fcr die Sext und Quart, wie f\u00fcr die Sept und Terz als Anfangst\u00f6ne. Die Quint selbst fanden wir, wo sie als Auftakt erscheint, unmittelbar oder mittelbar (durch die Terz) auf die Tonika hinweisend, also in diesem Sinn unselbst\u00e4ndig, nur den Tonika-Anfang variierend. Letzten Endes ist aber auch der vollkommene Anfang mit der Quint allein dem innersten Sinn nach auf den mit der Tonika zur\u00fcckzuf\u00fchren, insofern ja die Quint von vornherein nur als Differenzierung der Tonika,\n1 Vgl. oben S. 414.","page":416},{"file":"p0417.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n417\nals ihre Vertreterin1, auftritt. Die harmonisierte Melodie deckt auch diesen verborgenen Sachverhalt auf, wenn sie, wie es die Regel ist, die Tonika im Bafs als Anfangston einsetzen Mit, Immerhin aber l\u00e4fst sich die Quint mit R\u00fccksicht auf ihre oben er\u00f6rterte relative Selbst\u00e4ndigkeit und F\u00e4higkeit, den Eintritt der Tonika zu verz\u00f6gern, die Wirksamkeit derselben bis zu einem gewissen Grade aufzuheben, hintanzuhalten, zu verschleiern, als der Tonika gleichwertig betrachten.\nIm Anfang mit der Tonika nun ist aber jedenfalls die Grundform des Melodie-Anfangs gegeben.\nEine Melodie, die mit der Tonika beginnt, beginnt in der eigentlichsten Bedeutung des Begriffs. Ein Ausgangspunkt ist da: Von ihm geht eine Bewegung aus, um zu ihm wieder zu-r\u00fcckzukehren. Gegeben ist nicht ein schon in Bewegung Befindliches und auf ein Ziel Zustrebendes. Sondern die Bewegung mufs erst beginnen, ein Einheitliches erst aus sich heraustreten, sieh entfalten. \u201eAue sich\u201c heraus, von sich selbst aus, selbstt\u00e4tig und \u201ewillensfrei\u201c im vollen Sinn, sich selbst Ziel und Richtung bestimmend \u2014 ist die Melodie, die beginnt mit der Tonika und mit ihr schliefst.\nDer Abschlufs.\nHatten sich neben der Tonika als Anfangst\u00f6ne auch andere berechtigt erwiesen -\u2014 vor allem die Quint, \u2014 den Abschlufs zu bilden vermag nur die Tonika. Tritt sie nicht als Schlufston der Melodie selbst auf, so ist ein Bafs gefordert, der sie bringt In diesem Fall, in der harmonisierten Melodie also, k\u00f6nnen dann auch die Quint und die Terz die Tonika vertreten und ab-schliefsend wirken.1\nDagegen ist es ausgeschlossen, dafs die Quart und Sexte oder die Sekunde und Septe als Abschlufs erscheinen. Die rhythmischen Verh\u00e4ltnisse dieser T\u00f6ne zur Tonika machen es unm\u00f6glich, denen zufolge die Tonika entweder statt Zielton umgekehrt Strebeton ist (bei der Quart), oder, im anderen und in jedem Fall, die Verbindung durch den gemeinsamen Grundrhythmus eine so lose ist (Verh\u00e4ltnisse: 5/3, 9/8, 15/8), dafs eine Vertretung auf Grund relativer Identit\u00e4t ausgeschlossen bleibt Die Differenzierung ist \u00fcberall hier eine zu weitgehende.\n1 Vgl. S. 404 d. A.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 35.\n27","page":417},{"file":"p0418.txt","language":"de","ocr_de":"41\u00bb\nFritz Weinmann.\n\u201eAbschliefsen\u201c bedeutet aber f\u00fcr die Melodie, die ihrem Wesen nach die Entfaltung, Differenzierung eines Einheitlichen ist, wieder zur Einheit werden, zur\u00fcckkehren in die Gleichgewichtslage, zur Ruhe kommen in der Basis, von der ausgegangen wurde.1 Es liegt also in der Natur der Sache, dafs der Abschiufs nicht die Freiheiten gestattet, wie der Anfang. Die Melodie ist zielstrebig, d. h. insofern sie Melodie ist, hat sie ein Ziel und erreicht es. Ihr Ende findet sie einzig und allein in diesem bestimmten Ziel, der Tonika. Bei ihrem Beginn dagegen kann dieses Ziel mit gutem Sinn mehr oder minder noch verborgen, unkenntlich sein, um erst im Verlaufe der Bewegung klar und eindeutig erkannt zu werden.\nMag also immerhin eine Melodie wie von ungef\u00e4hr, von der Quart oder der Sext usw. aus, beginnen, \u2014 enden mufs sie in der Tonika. Dafs diese durch Quint oder Terz vertreten werden kann, wurde bereits angedeutet, ebenso aber auch, dafs dies der harmonisierten Melodie Vorbehalten bleibt oder bleiben sollte. Hier \u00fcbernimmt der Bafs die Fundamentierung des Schlusses durch die Tonika, \u00fcber der die Melodie auf Terz oder Quint schwebend verklingen kann. Der Eindruck, der so entsteht, ist bei der Quint eine Art von Unbefriedigtsein, von Sehnsucht, Entr\u00fccktheit, insofern mit ihr ein starkes Streben* * nach der Tonika gegeben (rhythm. Verh.: 3:2), aber nicht erf\u00fcllt wird. Der Abschlufs mit der Terz hat etwas von nachzitternder Bewegung, von nachhaltender Erregung, insofern die Tonika nicht so fast erstrebt\u00ae wird, als gleichsam vorschwebt, aber nicht erfafst wird, die Entzweiung (Tonika : Terz = 4:5) noch nicht ganz zur Einheit zu werden vermag. Dazu kommt in beiden F\u00e4llen als die Wirkung mitbestimmender Faktor, dafo durch den trotzdem, im Bafs n\u00e4mlich, stattfindenden Tonika-Abschlufs \u00e4ufserlich, im Grunde, das Ganze schon zur Ruhe gekommen ist.\nFehlt bei einer Melodie, die auf der Terz oder Quint endet, der harmonische Bafs und in ihm die Tonika, so fehlt eben auch, wie gesagt, das Gef\u00fchl des Abschlusses. Unendlich scheint\n1 Oder in einer neuen Basis, die im Verlauf der Bewegung erst gewonnen werden mufs und an die Stelle der fr\u00fcheren tritt. Dies ist der Fall bei der modulierenden Melodie, die sp\u00e4ter zu behandeln sein wird.\n* Vgl. S. 344 und 347\u2014348 d. A.","page":418},{"file":"p0419.txt","language":"de","ocr_de":"Zw Struktw der Melodie.\n419\ndie Wiederholungsf\u00e4higkeit und -bed\u00fcrftigkeit einer derartigen Melodie, wie sie in Volksliedern zu finden ist Solche enden hin und wieder mit der Terz. Dagegen d\u00fcrfte f\u00fcr den Schlufs mit der Quint schwerlich eine blofse, d. i. unharmonisch gedachte Melodie als Beispiel zu finden sein. Der Grund ist nach dem oben Gesagten leicht einzusehen: In der Quint liegt ein Streben nach der Tonika ausgesprochen, welches irgendwie befriedigt werden mufs; zugleich ist die Quint relativ selbst\u00e4ndig. In der Terz dagegen fehlt ein derartig ausgesprochenes Hindr\u00e4ngen; der Hinweis ist weniger stark, verborgener, die Selbst\u00e4ndigkeit geringer, das Moment des blofsen Vertretens tritt mehr in den Vordergrund. Daneben mufs allerdings eine entsprechende Hinwendung als Unterst\u00fctzung notwendig vorhanden\nsein, wie zum Beispiel\nDie vorangehende Quint im Verein mit der in bekannter Weise wirksamen Quart stellen hier das Ganze so ausgesprochen auf die Basis c (die Tonika), dafs* eine Vertretung derselben durch die Terz relativ ertr\u00e4glich wird.\nIst so die Hinwendung zur Tonika (abgesehen von den erw\u00e4hnten Einschr\u00e4nkungen) unumg\u00e4nglich notwendig, wenn anders nicht der Charakter des Abschlusses verloren gehen soll, so mufs dieselbe weiter aber auch in einer Weise vor sich gehen, dafs der Abschlufs als endg\u00fcltiger wirkt. Die Tonika mufs in gewisser Weise vorbereitet sein, sie mufs als das l\u00f6sende Moment einer Spannung auftreten. Der Abschlufs wird um so vollkommener sein, je zwingender ein vorangehender Gegensatz in der Tonika sich aufhebt und nur in ihr sich aufhebt.\nDemnach vermag eine Wendung, welche dem Grundton die Quint und Terz oder die Quint und einen der beiden Leit-T\u00f6ne vorangehen l\u00e4fst, wohl abschliefsend zu wirken:\nEndg\u00fcltig beruhigend aber wird der Abschlufs erst, wenn vorher zu diesen T\u00f6nen die Quart oder Sext in Gegensatz getreten ist, wenn \u2014 allgemein gesagt \u2014 der Weg abschliefsend von der Quartgruppe \u00fcber die Quintgruppe zur Tonika f\u00fchrt, zum Beispiel:\n27*","page":419},{"file":"p0420.txt","language":"de","ocr_de":"420\nFritz Weinmann.\nI> 11 Jrl^ll\"PH\nm\n1\nDie Gr\u00fcnde, aus denen sich die ausgesprochen abschliefsende Wirkung hier ergibt, wurden im ersten Teil dieser Arbeit eingehend er\u00f6rtert.1\nEs lassen sich nun, was den Schlufs unmittelbar selbst betrifft, folgende Sebemata aufstellen:\n\tt=== \t1\nCj>\t1 UUd |\tP=^j=^\nrhythm. Verh. 8:2\t5:4\n$\n1\nrhythm. Verh. 15\nfr-r I m\n10\n8\nDiese k\u00f6nnen dann in mannigfachen Kombinationen vereinigt werden, wie\n-y\u2014\t\t\t\t1\n\t\t\t\t]\n\t\t\t\t1\n\u25a0YY \t\u00ab<\t\t\t\t1\nr ijn\n\u25a0&-\n\nund\nrhythm. Verh. (3)\n4\n(2)\n12 : 15 : 16\n(4)\t(5)\n(3)\t(4)\nff 'I\t\nSFg 1\t\tJ\n0:9:8 rhythm. Verh. (2)\t(3)\n(3)\t(4;\n] oder l\u00ef\n49-\n(9) (8)\n15 : 18 : 16\n(5) (6)\nj i r M-\u00fcJ\noder\njr I TU\nusw.\n9 : 8\nrhythm.Verh. 15 : 10\n3\t4\n15\n4\n9 : 8 10\nEs bedeuten aber solche kombinierte Formen bereits eine Abschw\u00e4chung der Kraft eines Abschlusses, \u00e4hnlich und mehr noch, als es bei den analogen Gestaltungen des Anfangs konstatiert werden mufste.* * Im Grunde ist der Schritt von der Quint zur Tonika = dem rhythmischen Fortgang 3 : 2\n1 S. 348 ff.\n* S. 414-416 d. A.","page":420},{"file":"p0421.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n421\ndie eigentlichste Schlufswendung, der gegen\u00fcber schon die Abschl\u00fcsse durch Terz-Tonika und Leitton-Tonika der Eindringlichkeit und Eindeutigkeit ermangeln: Sie sind Verbindungeil, die mehr oder minder gut auch einleitend auftreten k\u00f6nnen, wie an fr\u00fcherer Stelle gezeigt wurde. Der als Haupt-Anfangsform dort1 * 3 * * * * hervorgehobenen Verbindung von Quint mit Tonika in\naufw\u00e4rtsgeriohteter Bewegung jp\njfc\u2014n ~\t:\u2014\n\t=\u00b1=\nstellen wir jetzt\nrh. V. 3\ngegen\u00fcber den Schritt von der Quint zur Tonika nach abw\u00e4rts\n] als ausgesprochene Schlufsphrase. w\u00e4hrend die\nrh. V. 3\t2\ns\u00e4mtlichen \u00fcbrigen Verbindungen als relativ zweideutig bezeichnet werden m\u00fcssen. Und wie beim Anfang, und mehr als dort, w\u00fcrden hier weitem Zwischenstufen entsprechend immer mehr den Eindruck des AbBchliefsens zerst\u00f6ren. Dieselben wirken an sich, wo sie eingeschoben werden, verdeckend, verwischend * auf den melodischen Kontur; bei Abschl\u00fcssen, wo die Linie selbst klar hervortreten soll, sind sie ausgesprochen nachteilig.\nAnders nat\u00fcrlich wieder in der harmonisierten Melodie, wo im Baf8 der eigentliche Abschlufs vor sich geht, und zwar, in der Abschlufsform xcrr\u2019e^oxrjv \u2014 Quint-Tonika (= 3 : 2).\nAuf eine harmonische Grundlage st\u00fctzen sich, wie bereits erw\u00e4hnt, auch die Schl\u00fcsse auf Quint und Terz. Hier erscheint die melodische Linie dann sozusagen in zwei gespalten.8\n1 S. 411\u2014412.\n* Wenngleich auch wiederum bereichernd, wie oben (S. 414, 415, 416) betont wurde.\n3 Die Harmonisierung einer Melodie und ihr Verh\u00e4ltnis zur Melodie selbst ist im psychologischen Sinn so zu verstehen, dafs, wie es\noben ansgedrftckt wurde, die Grundmelodie gleichsam in zwei und mehrere\nLinien sich spaltet, aufl\u00f6st, von denen die BaTsmelodie die Vertretung der\nurspr\u00fcnglichen Melodierichtung erh\u00e4lt. Die \u00fcbrigen entstehenden Linien,\nnamentlich die eigentliche \u201eMelodie\u201c \u2014 heutigentags der Diskant, seltener der Tenor oder ein \u201ePseudo\u201c-Bafs \u2014 stellen gewissermaTsen eine Ver-\nmannigfaltigung, eine Variation dieser Bafsmelodie dar.","page":421},{"file":"p0422.txt","language":"de","ocr_de":"422\nFritz Weintnann.\nW\u00e4hrend die\n\u00df l\u00fcl\neine der Bafs \u00fcbernimmt, eben in der Form erreicht die andere entweder die Quint auf\nWegen wie\n\t\tr\t\u00ab\t\n\t\t\nM\t1 1\t\n\tl\t\n\t\t\nrhythm. (8) : 9\t:\t12\n\\erh. (g)\t(4)\nund rfl\"\u2014j5*' direkt\n(2:) 3\n1 oder die Terz\nin der Weise\nrhythm. Verh.\nEine rein harmonische Form des Schlusses, der sog. \u201ePlagal-Schlufs\u201c, auf den hier kurz hingewiesen werden mag, ist so zu verstehen, dafs die Tonika bereits \u2014 im Bafs \u2014 erreicht ist, w\u00e4hrend in einer sich abspaltenden Linie die Melodie noch eine entsprechende Nachbewegung ausf\u00fchrt.1 * * 4\nDie Gliederung.\nMelodien streben einem Ziel zu ; dieses Ziel ist die Tonika \u2014 wurde oben gesagt.\nDer Weg dahin ist nun aber nicht immer gleich eben; und er ist nicht immer ein gerader. Je nach den Tonstufen, \u00fcber die er f\u00fchrt, sind bald mehr, bald weniger Hemmnisse zu \u00fcberwinden : Die Gegens\u00e4tzlichkeit ist bald eine gr\u00f6fsere, bald eine geringere.\nEs ist ein anderes, ob eine Melodie nur die Quint, die Terz und die Leitt\u00f6ne, oder ob sie auch die Quart und Sext ber\u00fchrt\nDazu kommt noch ein zweites Moment Die \u00e4ufsere Rhythmik ergibt einzelne hervorragende Punkte im Verlauf der Melodie, durch welche die letztere in Abschnitte, in \u201ePerioden\u201c, \u201eVor-\u201c\n1 Das g hat hier harmonisch eine doppelte Bedeutung, wird in diesem Sinn zu zwei verschiedenen T\u00f6nen innerhalb der Melodie.\n9 Der Sekundenschritt 9 : 10, der \u201ekleine Ganzton\u201c, verst\u00e4rkt hier noch die abschliersende Wirkung der Terz als Vertreterin der Tonika, indem er sie als Zielton eines Nachbar- oder Leittonverh\u00e4ltnisses erscheinen l\u00e4fst. (Vgl. S. 343\u2014344 d. A.)\n8 Die \u201eDominantsepte\u201c. Vgl. S. 360 ff. d. A.\n4 \u00c4hnlich beim sog. \u201eOrgelpunkt\u201c.","page":422},{"file":"p0423.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n428\nund \u201eNachs\u00e4tze\u201c, \u201eMotive\u201c geschieden wird. Je nachdem nun diese \u00e4ufseren, metrischen Akzente mit einer inneren Betonung zusammenfallen, auf T\u00f6ne treffen, die durch die innerrhythmischen Verh\u00e4ltnisse die eine oder andere Bedeutung haben, je nachdem gewinnt die Melodie ein bestimmtes, eigenartiges Leben.1 * *\nAls dritter Faktor kommt dann noch hinzu die relative H\u00f6he eines solchen metrisch und \u201erhythmisch\u201c bevorzugten Tones, welche ihn eventuell eindrucksf\u00e4higer macht, ihm in diesem Sinn einen weiteren Akzent verleiht\nWas nun die gliedernde Wirkung betrifft, welche die T\u00f6ne selbst auf Grund ihres inneren Werts aus\u00fcben, so gilt folgendes :\nWir lernten innerhalb des Systems der Leiter Gegenpunkte kennen, T\u00f6ne, welche zu der Tonika in Antagonismus stehen. Sie schaffen eben durch ihn die Unterordnung unter die Tonika : So ergibt sich erst der vollkommene Abschlufs der Melodie.8 Durch ihren Widerstand vollbringen sie dies, sozusagen, indem sie das Gegenteil wollen.8 Und sie bleiben doch auch relativ selbst\u00e4ndig in dieser ihrer Gegens\u00e4tzlichkeit: Daraus ergibt sich die Gliederung. Und da die Gegenpunkte, die Dominanten, unter sich verschieden sind, hinsichtlich der St\u00e4rke ihres Antagonismus der Tonika gegen\u00fcber, so ist auch die Gliederung eine verschieden einschneidende. Bald sind es nur Durchgangspunkte, die \u201eAbschnitte\u201c schaffen, bald Punkte eines relativen Abschlusses, die einen \u201eEinschnitt\u201c4 bedeuten. Zugleich findet doch eine gewisse Nivellierung dieser Unterschiede statt, indem ein Ton auch durch die blofse Art der Einf\u00fchrung in h\u00f6herem oder geringerem Mafse solch relativ abschliefsende Kraft erhalten kann.\nIn der aus den Intervallen der Dur-Tonleiter sich aufbauenden Melodie nun kommen hier als f\u00e4hig, gliedernd in die Bewegung einzugreifen, in Betracht, die Tonika selbst und die beiden Dominanten, die Quint und die Quart5\n1 Vgl. S. 40d\u2014406 d. A.\n*\tVgl. S. 348ff., 8. 419 d. A.\n*\tSie Bind eine \u201eKraft, die stets das B\u00f6se will und stets das Gute schafft\u201c.\n4 Lipps: Grundlegung des \u00c4sthetik S. 475.\na Vgl. S. 349 ff. d. A.","page":423},{"file":"p0424.txt","language":"de","ocr_de":"424\nFritz Weinmann.\nEs k\u00f6nnen aber diese T\u00f6ne auch vertreten sein durch einen ihrer Gruppe angeh\u00f6rigen Ton, durch ihre Terzen und Quinten.1 * In zweiter Reihe sind also auch die Terz der Tonika, die Sexte als Terz der Quart sowie die Septe und Sekunde als Terz bzw. Quint der Quint imstande, in Opposition zur Tonika zu treten, gliedernd zu wirken.\nHierbei ist \u2014 eine entsprechende metrische Gliederung hier und f\u00fcr alles Folgende immer vorausgesetzt \u2014 zun\u00e4chst die Bildung von Abschlufspunkten als Dom\u00e4ne der Tonika und der Dominanten selbst, die Schaffung blofser Durchgangspunkte als die nat\u00fcrliche Bet\u00e4tigung der \u00fcbrigen T\u00f6ne anzusehen. Weiterhin aber bef\u00e4higt dann die besondere Art der Einf\u00fchrung bis zu einem gewissen Grad auch die letzteren, relativ abschliefsend zu wirken (worauf oben hingewiesen wurde). Immerhin jedoch macht sich in diesem Fall das metrische Moment mehr als ausschlaggebender Faktor f\u00fcr die Gliederung geltend. \u2014 Umgekehrt bedarf es auch einer besonderen Art der Einf\u00fchrung, sollen Tonika oder Dominanten nicht als Abschlufs-, sondern blofs als Durchgangspunkte wirken. Das Mittel, um in diesem Fall eine Tendenz des Fortgangs zu erzeugen, ist die Verbindung mit dissonanten T\u00f6nen, deren Wirkung eben jene Tendenz nach Aufl\u00f6sung ist.3\nDie einfachste Form der Melodie ist demnach die, in welcher nur die Tonika selbst wieder im Verlauf der Bewegung als Gliederungspunkt erscheint. Naturgem\u00e4fs entsteht durch die Tonika selbst ein relativer Abschlufs, nicht ein blofser Durchgangspunkt. Die Melodie entfernt sich in diesem Fall im Grunde nicht von der Tonika, sie sucht jedenfalls die F\u00fchlung mit ihr nicht merklich zu verlieren.\nDer Fortgang von der in diesem Sinn ber\u00fchrten Tonika, der zu einer weiteren, jetzt abschliefsenden Wendung nach ihr werden mufs, geschieht dann, indem man sich unmittelbar auf den Boden entweder der Quint oder der Quart stellt Im letzteren Fall springt die Melodie nach der Quart selbst oder der Sext, um von da aus zur\u00fcck zur Tonika zu streben; im andern Fall setzt sie mit der Quint selbst, h\u00e4ufiger mit der Sekunde oder Septe (= Quint oder Terz der Quint) wieder ein, verl\u00e4fst also\n1 Vgl. S. 404 d. A.\n* Vgl. 8. 349-350 d. A.","page":424},{"file":"p0425.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n426\nim Grunde den Boden der Tonika gar nicht \\ sondern vollzieht nur eine Art Verschiebung, die alsbald wieder ins Gleichgewicht \u00fcbergeht\nEtwas Ruckweises haftet allen diesen Fortbewegungen an. Es ist die nat\u00fcrliche Folge eben des Umstandes, dafs eine Entfernung von der Tonika nicht und nicht allm\u00e4hlich stattgefunden hat, eine solche aber zur Gewinnung eines innerlich begr\u00fcndeten Abschlusses unumg\u00e4nglich notwendig ist.\nDie n\u00e4chst einfache Form w\u00e4re die, dafs eine Melodie von der Tonika \u00fcber die Terz als Gliederungspunkt zur Tonika zur\u00fcckkehrt (Rhythm. Linie 4:5:4). Ein Sich - Entfernen von der Tonika findet auch hier nicht statt; die melodische Linie erhebt sich nur ein Geringes \u00fcber den Boden des Grundtons. Die Terz ist f\u00e4hig, auch einen relativen Abschlufspunkt zu bezeichnen, wenn die Art der Einf\u00fchrung ihre (die Tonika vertretende) Kraft unterst\u00fctzt. Dies kann geschehen etwa durch eine Umschreibung.2\nEin Beispiel bildet in dieser Beziehung die nachfolgende Melodie aus Cornelius\u2019 \u201eBarbier von Bagdad\u201c:\nrMn-a-t\t\t\t\t\t\tr ---rT-1\t\u00ab n\u00bb f-1-f 1\u00bb -fr 1\t\nTT\" H\t!\u2014=\u2014\t\u00bb\tpc-* *-\tf \u00df m rj TP\t\u2014nT'\t\ni mw\t\tr 9 i \u2022\t\u00ab p\t\nb-\t\t\t\nI\tHI\tIII\nNB\nDurchgangs-\npunkt\nrelativer\nAbsehlufs\nDer Fortgang wird bei der Terz in gleicherweise wie oben bei der Tonika gewonnen.\nAn solcher Art aufgebaute Melodien schliefsen sich diejenigen an, welche nach der Quint oder in deren Bereich aus weichen.\nDie entschiedenste Form ist hierbei die Ausweichung nach der Quint selbst. Denn eine solche nach der Terz oder Quint der Quint n\u00e4hert sich auf der anderen Seite wieder der Tonika, insofern Terz und Quint der Quint zugleich Septe und Sekunde der Tonika, die Leitt\u00f6ne derselben, sind. Abgesehen davon\n1 Insofern n\u00e4mlich die Quint selbst sich auf dem Boden der Tonika erhebt. Vgl. S. 349 d. A.\n* Vgl. S. 374 ff. d. A.","page":425},{"file":"p0426.txt","language":"de","ocr_de":"426\nFritz Weinmann.\njedoch ist diese Gattung des Aufbaues die nat\u00fcrlichste. Es liegt einem solchen Melodieverlauf das allgemeine, das Wesen der\nMelodie ganz enthaltende Schema1\nzugrunde.\nrhythm. Verh. 2:3:2\nHeraustreten aus der Einheit und R\u00fcckkehr zu derselben, welche das Wesen der Melodie ausmachen, finden darin voll und ganz ihren Ausdruck.\nDie Quint bildet leicht, fast von selbst2 *, einen relativen Abschlufspunkt ; sie bedarf nur einer geringen Unterst\u00fctzung durch die Art der Einf\u00fchrung. Eine solche kommt in einfacher Weise zustande, wenn ihre Quint oder ihre Terz irgendwie zu ihr hinf\u00fchren. Dann erscheint sie vor\u00fcbergehend, in Beziehung auf diese T\u00f6ne, selbst als Tonika, als Grundton eines auf ihr sich aufbauenden Dreiklangs, als Basis eines rhythmischen Systems 4:5:6.\nDer Fortgang zur eigentlichen Tonika zur\u00fcck gestaltet sich von selbst zu einem Abschlufs, da er an sich in der Quint der Tendenz nach enthalten liegt (rhythm. Verh. 3 : 2). Er geschieht, indem entweder die Doppelbedeutung der ihr untergeordneten T\u00f6ne ausgen\u00fctzt, d. h., was eben Terz (5/4) und Quint (3/2) eines Grundtons (der Quint) war, jetzt wieder als engerer und weiterer Leitton (15/16 bzw. 9/8) des eigentlichen Grundtons angesehen wird, oder, indem die Quint selbst, die eben noch Grund ton einer Terz und Quint, also selbstherrlich war, durch die folgende Terz der Grundtonika, oder durch diese selbst, wieder als abh\u00e4ngige \u201eQuint\u201c in ein anderes Licht ger\u00fcckt wird.\nWas die der Quint als Terz und Quint untergeordneten T\u00f6ne, welche sie eventuell vertreten k\u00f6nnen, die Sept (15/8 bzw. 15/16) und die Sekunde (9/8), betrifft, so bilden dieselben mehr blofse Durchgangspunkte und gewinnen, infolge ihrer Nachbarschaft zur Tonika und der dadurch bedingten Unselbst\u00e4ndigkeit, nur bei besonderer Unterst\u00fctzung durch die Einf\u00fchrung8 Ab-schlulscharakter.\nDer Fortgang erledigt sich einfach entsprechend ihrer erw\u00e4hnten Doppelbedeutung. \u2014\n1\tVgl. S. 402 d. A.\n2\tVgl. 8. 344 d. A.\n* Haupts\u00e4chlich durch Mitwirkung metrischer Faktoren.","page":426},{"file":"p0427.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n427\nAm ausgepr\u00e4gtesten endlich ist die Wegwendung von der Tonika in der Form: Tonika-Qu art-Tonika (rhythm. Linie 3:4:3).\nInnerhalb dieser Art ist dann wieder zu unterscheiden, ob die Quart selbst oder, sie vertretend1, die Sext auftritt Im letzteren Fall ist, den rhythmischen Beziehungen (3:5) entsprechend, die Deutlichkeit des inneren Gegensatzes etwas verwischt Daf\u00fcr entsteht der Eindruck freieren Ausholens und Ausstr\u00f6mens.8\nVon allen Gliederungsweisen ist nun diejenige, welche unmittelbar in der Quart selbst zentriert ist, die einschneidendste. Die Quart ruft am ausgesprochensten, mehr noch als die Quint einen relativen Abschlufs hervor. Der Grund, weshalb sie solcher Wirkung f\u00e4hig ist, liegt in den bekannten rhythmischen Verh\u00e4ltnissen (Tonika-Quart = 3:4), durch die sie innerhalb der Leiter eine bevorzugte Stellung einnimmt Als Zielton f\u00fcr die Tonika, als Tonika f\u00fcr diese, die ihr gegen\u00fcber selbst zur Quint wird 8, ist sie imstande, die Bewegung auf sich zu ziehen, d. h. von sich aus einen gewissen Abschlufs zu bilden. Hierbei unterst\u00fctzen sie zudem noch die Terz und Quint als Leitt\u00f6ne (15/16 und 9/8).8\nDie Fortbewegung wird hier erreicht, indem man die Quint oder ihre Gruppent\u00f6ne, Sept und Sekunde, absteigend auch die Terz, die so nicht als Leitton wirkt4, folgen l\u00e4fst, also durch Herbeif\u00fchrung einer dissonanten Konstellation, die r\u00fcckwirkend, den relativen Abschlufs wieder zunichte macht und eine Tendenz des Fortgangs erzeugt Durch die entstehende Gegens\u00e4tzlichkeit verliert, wie fr\u00fcher dargetan wurde B, die Quart ihre selbst\u00e4ndige Stellung, ihren Basischarakter, gewinnt als gemeinsam verwandtes Element, in dem sich die Dissonanz l\u00f6sen kann, die Tonika ihre urspr\u00fcngliche Zielbedeutung wieder. Gegen\u00fcber dem relativen Abschlufs auf der Quart begr\u00fcndet sie den definitiven Abschlufs.6\nIn der gleichen Weise mufs, wenn die Quart von vornherein lediglich als Durchgangs punkt wirken soll, die Dissonanz vorangehen.\n1 als ihre Terz.\t* * Vgl. S. 343/344 und 348 d. A.\n*\tVgl. 8. 348 d. A.\t* Vgl. S. 362.\t* Vgl. S. 349/350 d. A.\n\u2022\tVgl. 8. 419 d. A.","page":427},{"file":"p0428.txt","language":"de","ocr_de":"428\nFritz Weinmann.\nMelodien gliedern sich nun aber nicht nur in der einen oder anderen dieser Weisen, d. h. entweder durch Durchgangsoder durch relative Absehlufspunkte und hier wieder nur ein einziges Mal; sie bilden vielmehr als abgestufte Einheiten ein System von ineinander greifenden Gliederungen, von umfassenderen Abschnitten, die wiederum selbst in Unterordnungen sich scheiden. Die angef\u00fchrten verschiedenen Arten von Haltepunkten treten vereint auf, derart kombiniert, dafs die selbst\u00e4ndigeren T\u00f6ne, die relativ abschliefsenden, Hauptabschnitte abgrenzen, die weniger wirkungsf\u00e4higen, die Durchgangspunkte innerhalb dieser Abschnitte, wieder Unterteilungen verursachen.\nVollzieht sich also eine erstmalige Gliederung etwa durch Quart und Quint, so k\u00f6nnen die solchermafsen entstehenden \u201ePerioden\u201c wiederum \u2014 sekund\u00e4r \u2014 in \u201eVor\u201c- und \u201eNachs\u00e4tze\u201c durch Tonika oder Terz, Sekunde oder Septe und Sexte in ihrer Vieldeutigkeit, geschieden werden.1\n1 Ankn\u00fcpfend hieran sei bemerkt, dafs es eine Melodie, die nur Melodie ist und nicht zugleich auch Harmonie, ein Tonganzes, welches nur melodisch und nicht zugleich auch harmonisch aufgefafst wird, nicht gibt. In der Melodie ist bereits die Harmonie enthalten, insofern die Melodie eine Tonika hat. Und indem wir die einzelnen T\u00f6ne einer Melodie aufeinander und auf eine Tonika beziehen \u2014 wir m\u00fcssen dies, wenn wir T\u00f6ne als Melodie, als einheitliches Ganzes auffassen, nicht nur zusammenhanglose Tonempfindungen haben sollen \u2014 indem wir also ordnen und unterordnen, wird diese Harmonie wirksam, vollziehen wir eine Harmonisierung. (Dafs von dieser eine tats\u00e4chliche, objektiv gegebene Harmonisierung dann in der Weise abweichen kann, dafs sie sozusagen eine Variation jener implicite gegebenen, innerlich geforderten darstellt, ist eine Frage f\u00fcr sieh.) Zur Tonika treten nun noch die Gliederungspunkte, als den anderen \u00fcbergeordnete T\u00f6ne, auf welche wiederum einzelne Partien des melodischen Tonganzen bezogen werden. Jene unmittelbar gegebene und auch psychologisch wirksame Harmonisierung gr\u00fcndet (abgesehen von der Tonika! eben auf diesen Gliederungspunkten, ist gewissermafsen identisch mit der Gliederung, ist deren latente Wirkung. Denn wenn wir etwa sagen, eine Melodie wendet sich von der Tonika nach der Quint, wo ein relativer Ab-schlufs stattfindet, um wieder nach der Tonika zur\u00fcckzukehren, so heifst dies nichts anderes, als: Die Melodie beginnt auf dem Boden der Tonika; dieser wird verlassen, und die Quint wird Basis; worauf dann wieder der Boden der Tonika erreicht wird \u2014 was einem Harmoniebafs\n\nentspricht. (Vgl. hierzu auch die Anm. 1 auf S. 422 d. A.)","page":428},{"file":"p0429.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n429\nZur Verdeutlichung seien einige Beispiele 1 angef\u00fchrt :\n1. Die Choral-Melodie \u201eEin\u2019 feste Burg ist unser Gott\u201c bei\nBach :\njim\nr+-\n\n\nrhythm.\nVerb.\nI\n4\nV\n-3\nI\n.2\ni\ni\ni J \u00a7j|.j j Jir\n/r\u00bb\n\nV 3 :\nI\n4 :\nV\n3\n6:\nft J J fl jfcr r fi J\nIII\n& :\n(VI IV III II)\n1\n2\n4\nDie Melodie geht aus von der Tonika: sie erreicht einen ersten Punkt relativen Abschlusses auf der Quint ; einen zweiten, diesmal vollkommenen Abschlufs bildet die Tonika in Takt 5 infolge der Art der Hinwendung zu ihr \u00fcber Seiet und Quart*, wozu auch noch die Wirkung des Schrittes von der Oktav zum\n1 Bei der Auswahl derselben sollte und konnte es sich hier wie \u00fcberhaupt in dieserArbeit nicht darum handeln, eine systematische \u00dcbersicht \u00fcber die (der vorgetragenen Theorie nach) verschiedenen Arten von Melodien an der Hand der Musikgeschichte zn geben. Lediglich die praktische Anwendung bzw. Best\u00e4tigung unserer Grunds\u00e4tze sollte \u2014 und dies speziell im folgenden \u2014 an einigen Beispielen gezeigt werden. Verschiedener Charakter der einzelnen Melodien war bei der getroffenen Auswahl mafisgebend, w\u00e4hrend die Zugeh\u00f6rigkeit zu bestimmten Autoren und Epochen, also \u201eVollst\u00e4ndigkeit\u201c, nicht in Betracht kam. \u2014 Auf das Volkslied, welches am leichtesten, aber auch am reichsten die Anwendung der in dieser Arbeit aufgestellten S\u00e4tze gestattet, sei \u2014 eben wegen dieser Leichtigkeit und dieses Reichtums verschiedenartiger F\u00e4lle \u2014 hiermit nur allgemein hingewiesen.\n* Vgl. S. 419 d. A.","page":429},{"file":"p0430.txt","language":"de","ocr_de":"430\nFritz Weinmann.\nGrundton kommt1, dessen Ausgestaltung diese Phrase ist. Jetzt beginnt die Melodie quasi von neuem; sie f\u00fchrt zu einem Abschluss auf der Quint, der durch die Einf\u00fchrung des gis, des Leittons desselben und durch die doppelschlagm\u00e4isige Umschreibung 8 als ein in sich vollkommener erscheint. Demzufolge stellt sich die Weiterf\u00fchrung der Melodie auch hier wieder als ein neuer Ansatz der Bewegung dar, die \u2014 der inneren Rhythmik nach \u2014 geendigt hatte. Die Melodie erhebt sich neuerdings erst zur Oktave der Tonika; von dort f\u00fchrt sie \u00fcber die Quint, wo wieder ein relativer Abschlufs entsteht, zu einem vorl\u00e4ufigen Abschlufs auf der Terz8, um endlich, nochmals von der Oktave des Grundtons aus1, in diesem mit einer ausgesprochenen ab-schliefsenden Wendung* \u2014 \u00fcber Sext, Quart und Terz-Sekunde \u2014 zu endigen.\n2. Das folgende Thema von Mozart (Ouverture zu Figaros Hochzeit) :\n16\n(IV)\tVII(VVIVII) I\n: ------4\n________________________________ 15 :----16\nDie Melodie beginnt mit der Tonika, die hervorgehoben wird durch eine trillerartige Umschreibung.8 Das gleiche geschieht bei der im 3. Takt als relativer AbschluSspunkt erreichten Quint. Von der Quint aus vollzieht sich die innerlich geforderte R\u00fcckkehr zur Tonika, verz\u00f6gert durch Sext und Q\u00fcart, die unter Mitwirkung der sie betonenden metrischen Einteilung und hervorgehoben durch ihre zwischen geschobenen Leitt\u00f6ne (ais/), als Durchgangspunkt hervortreten. Durch Sept in Verbindung\n1 Vgl. S. 347 d. A.\t8 Vgl. 8. 374 ff. d. A.\n5 Vgl. S. 404/405 u. 418/419 d. A.\t4 5 Vgl. S. 419 d. A.","page":430},{"file":"p0431.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n431\nmit der Phrase Quint-Sext-Sept erfolgt dann der Sehlufs auf der Tonika.3\n3. Die Hauptmelodie des Schlufssatzes von Beethovens 5. Symphonie:\n-e\t\u00ab\t\u2014i\t\t\t\u20141\u2014 -j-z\t\t13\t\n\t\n\u00easl>\u20141 1 J* * -J\u2014i\u20141\u2014i\u2014-4\u2014i\u2014t\u20144-1\u2014j\u20141~4 1 J\u2014J -t i jH\t\nvr\t\tw # * 1\t(V) 2\t: - (3) fl\t\u25a0=\u2014\ti \u25a0!\"\u25a0! ',L -i\t\tm\tc#*\t\u2022\u2022\u2022 4 ^^\t9\t* 9 I\t(II)\t(HI) : 2 U8W.\n-JC.\t1\tj J- j- U d J\t-R\tr'T I 1 i 1 J -\t-i\t\\\nlay\u2014-j\u2014t-j jl-# g\ti\u2014i\t-\trr\tt\u201ci\u2014t\u20141\n\t3=**-^\t\u25a0 11\u2014\nIV\t(VI)\tI\t(IV) (VI)\tI\n l/t B. A m m\t\u00c6k\t\t\t\t\n\t\t\t~ m s\t\nr/TK r F\tr IM\tr\u201cr m\t\t\tM\tI \u201c\tv '\u25a0\n\t1\t***-*~\\\t\t\t\t\n(VII)\t(VII)\nDie Melodie geht aus von der Tonika; auf der Quint entsteht alsbald ein Innehalten, welches hier den Charakter des blofsen Durchgangs hat8, da die Wirksamkeit der Tonika noch ungeschw\u00e4cht ist Auf dieser kommt es alsbald wieder zu einem Abschiufs. Der Fortgang von hier, der innerlich nicht gefordert erscheint, geschieht wie in einem neuen Anheben ; er f\u00fchrt \u00fcber Sekunde, Terz, Quart und Sext zu einem zweiten \u2014 relativen \u2014 Abschlufs auf der Tonika (bzw. ihrer Oktave). Tonumschreibungen heben auch hier einzelne T\u00f6ne (die Quart und Sext, sp\u00e4ter auch die Tonika) besonders hervor. Von der Tonika nimmt die Melodie einen neuen Anlauf, der jetzt \u00fcber Quart, Sext und Tonika als Durchgangspunkte zur Terz als relativen Abschlufs f\u00fchrt Von hier aus beginnt die R\u00fcckwendung zur Tonika,\n1 Vgl. auch 8. 414, 415, 416 bzw. S. 420 d. A. \u2014 Hier, wo die Ton-Umschreibung eine charakteristische Rolle im Melodiebau spielt, zeigt sich besonders einleuchtend, wie die Melodie eine Vermannigfaltigung der durch die Hauptpunkte bezeichneten Linie ist.\n\u2022 * Vgl. S. 425/426 d. A.","page":431},{"file":"p0432.txt","language":"de","ocr_de":"432\nFritz Weinmann,\nwelche alsbald \u2014 durch die Sept \u2014 als Ziel bezeichnet wird. Mit diesem Ziel wird im folgenden dann noch gleichsam ein Spiel getrieben, ehe es wirklich erreicht wird.\n4. Das 2. Thema des 1. Satzes von Schuberts /i-Moll-Symphonie :\nP\n\ti--\u00bbi\trrr-i i i-\u25a0\t.i \t\t^ i-r-\t\t\njQ\ti ,4t L-J-dz J--u-l J *1' 1 * I\t\t\n\t\u25a0\t\nW.\u2014Ir\t\t<\u2022 -<r\t\tJ\u2014J\u2014J-l\t\n(III)\tII VI (II V VI VU) I\n-5\t15 :___10\t3:2\n.10 :-------9\t15 : 10\nDie Melodie beginnt mit der Tonika, zu der sie sich, nachdem die Sekunde als Durchgangspunkt hervorgehoben worden ist, alsbald wieder zur\u00fcckwendet ; doch entsteht kein vollkommener Abschlufs (der sich aus der Art der R\u00fcckwendung eigentlich ergeben w\u00fcrde \u2014 V, VI, VII, I), da durch die Metrik die Tonika sogleich von der weiterweisenden Quint verdr\u00e4ngt wird. Die Bewegung geht nun noch einmal von der Tonika aus, wobei jedoch durch die Einf\u00fchrung des chromatischen gis sofort eine Tendenz zur Sekunde, deren Leitton gis ist, geschaffen wird; diese wird auf dem Weg \u00fcber die Terz h der Tonika (= Sekunde des neu aufgetauchten Pr\u00e4tendenten a) erreicht, womit eigentlich ein relativer Abschlufs geschaffen w\u00e4re. Auch hier wird durch das gleiche metrische Mittel wie vorher der Eindruck eines Abschlusses sogleich aufgehoben: Die Sext der Tonika ruft uns diese und damit das Bestehen eines noch nicht befriedigend gel\u00f6sten Strebens wieder ins Ged\u00e4chtnis : Der Konflikt wird gel\u00f6st durch die eindeutige Schlufswendung Quint-Sext-Sept-Tonika.\n5. Das WAONERsche Thema der Meistersinger:\nQ\t\tpf=n\t\u25a0 \t, \u25a0-\tr\t\u00bb\u2014f \u00bb.\t-\t\u2014t\u2014T\n\t\u20144 M . 1.- \t\t\nft) fJ' \u00abL-\tP \t1\t\t-\u2014-\t4\t\u25a0 -\nI\t(V)\t(IV)\t(II)\ni j j jijs J- m\n\n\n-Z7-\nV\n6\n3)\nI\n8:\n(II)\n- 9:\nI\n-8\n(4\nI\n4\n8","page":432},{"file":"p0433.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n433\n\t\tP m i -\t- \u25a0\u2014\u00bb A-z-i\t\nm\"m. m '9 \" 't\"w~\t\t:\tS\tr r f (\n\t\u2014) \u25a0 r \u25a0 \u2014 \u25a0: ; \t\t\nyH\t\t - i\ti\ti\ti\t\t\ni_____\t- i_________i\ti________i\nI\t(V)\t(IV)\nWie beim vorigen Beispiel entsteht ein Haltepunkt mit Durchgangscharakter auf der Quint Einen zweiten bildet sodann die Quart, wobei der Durchgangscharakter Wirkung der metrischen Anordnung ist und erst nachtr\u00e4glich, durch die folgenden dissonierenden T\u00f6ne e und d \\ auch innerlich motiviert erscheint. \u00dcber die Sekunde als weiteren Durchgangspunkt wird die Tonika als Abschlufs erreicht Von ihr aus beginnt die Bewegung von neuem. Quint, Quart erscheinen als Gliederungs-punkte mit Durchgangscharakter im Verlauf des Folgenden, wobei die Tonika, von der ausdr\u00fccklich (Tonumschreibung 1) ausgegangen wurde, als Ziel vorschwebt, \u2014 Quint, unmittelbar darauf die Quart (weiterhin dann Terz, Sept etc.) als Dmchgangspunkte. Der Schlufs wendet sich dann allerdings nach der Quart: Die Melodie' moduliert.\n6. Das Thema des 1. Satzes der 4. Symphonie von Gustav Mahleb :\nn #\t.\t\u00df\t==S\tu\tm \t\t\n\t; \u25a0 i ....\tJfa. a* Fi ^\t\u20141\t\nM \"\t\u2014 \u00abfr\tT\tm\tm *\t\u00ab\tJ I -\t* ^\t!\tCZl\twnm~\t1\nt&V\t7 j -U^F\tL\u00bb *\tw m m\tr l^r I\tW\t\nW\u2014\u2014r (V VI VII) I (III)\tX X VI\t\nDer Anfang zeigt die durch Zwischenstufen ausgestaltete Form: Quint (als Auftakt)-Tonika.1 2 * Auf diese folgt unmittelbar die Terz als gliedernder Punkt mit relativem Abschlufseharakter. Von ihr aus beginnt unter deutlicher nochmaliger Betonung durch die Umschreibung erst eigentlich die Bewegung, die ohne weiteres zur Sext f\u00fchrt; diese wird durch den zwischengeschobenen Leitton hervorgehoben. Die Fortf\u00fchrung von diesem zweiten Punkt relativen Abschlusses8 durch die mit der Sext\n1 Vgl. S. 427/428 d. A.\t* Vgl. S. 415 d. A.\n* Vgl. S. 427 d. A.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 35.\n28","page":433},{"file":"p0434.txt","language":"de","ocr_de":"434\nFritz Weinmann.\ndissonierende Septe (Leitton zur Tonika I) und Quint dr\u00e4ngt eindeutig nach der Tonika, welche jedoch zuvor als Durchgangspunkt erscheint, um dann erst in einer ausgesprochenen Schlufs-wendung \u00fcber die Quint (Tonumschreibung!) mit Heranziehung von Zwischenstufen (Quart, Sekunde) gleichsam bejaht zu werden. Hierbei wird die Quart durch zwiefache Umschreibung wieder besonders hervorgehoben. Dies und \u00fcberhaupt das Hervorstechen der Quartgruppe, vorher durch das baldige Auftreten der Sext, gibt der Melodie ihre besondere (innere) Beweglichkeit.\nb) Die Moll-Melodie.\nNach den gleichen Gesichtspunkten baut sich die Moll-Melodie auf. Doch treten hier, entsprechend dem anders gearteten rhythmischen System, welches die Moll-Leiter darstellt, andere T\u00f6ne teils zu den bisher mafsgebenden hinzu, teils an ihre Stelle.\nDer Anfang.\nF\u00fcr die Bildung des Anfangs kommen als eine Ver\u00e4nderung bedeutend in Betracht die kleine Terz und die klein\u00a9 Sexte. Beide lernten wir als Dominanten innerhalb des Mollsystems kennen, denen gegen\u00fcber sogar die Tonika schweren Stand hat, sich zu behaupten.1\nDie kleine Terz ist \u2014 gem\u00e4fs ihrem rhythmischen Verh\u00e4ltnis zur Tonika (Tonika-Terz = 5:6) \u2014 in h\u00f6herem Mafse als die grofse, die Dur-Terz (5/4) bef\u00e4higt, die Tonika beim Anfang zu vertreten. Denn zudem, dafs hier wie in Dur die Terz die Tonika in bestimmtem Sinn in sich schliefst2, ist sie zugleich auch bis zu einem gewissen Grade Zielton f\u00fcr die Tonika.1 Als Anfangston ist sie demnach ein ziemlich vollg\u00fcltiger Ersatz der Tonika. Jedenfalls ist der Terzanfang in Moll weit bestimmter als in Dur. Doch bleibt auch hier, wenngleich in geringerem Mafse, die Notwendigkeit einer baldigen Wendung zur Tonika und zwar zur Tonika selbst, nicht nur zur Quint, bestehen, soll die Tonart, der Boden der Melodie aufser Zweifel gestellt sein. Denn infolge ihres rhythmischen Verh\u00e4ltnisses zur Quint (= 4 : 5) stellt die Mollterz in zweideutiger Weise auch sich als Tonika, die\n1 Vgl. S. 356\u2014S57 d. A. 8 Vgl. S. 404 d. A.","page":434},{"file":"p0435.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n435\nQuint als ihre grofse (Dur-) Terz dar, solange nicht die richtige Tonika selbst sie als kleine Terz entlarvt.\nAndererseits gilt infolgedessen f\u00fcr den Anfang mit der Quint in Moll, der im \u00fcbrigen dieselbe Bedeutung wie in Dur besitzt, dafs durch den Fortgang die Quint als solche bestimmt ist, wenn die Tonika entweder unmittelbar selbst eingef\u00fchrt wird oder mittelbar durch einen sie kenntlich machenden Ton gegeben ist. Wendet sich dagegen die Melodie zun\u00e4chst nur nach der Terz und bleibt sie im Bereich dieser, so erscheint die Quint eben als grofse Terz der Terz, im Gegensatz zu Dur, wo mit der Einf\u00fchrung der Terz bereits die Tonika und somit die Quint als solche bezeichnet ist\nAls Beispiel, welches diesen Unterschied klar machen soll, seien einander gegen\u00fcbergestellt die beiden melodischen Phrasen\nJ- J J.| J (Dur)undJ J , j\n\n\nMoll\nv vi y in y\nv VI v in v\nIm zweiten Fall ist unklar, ob die Tonart c - Moll oder es-Dur ist, d. h. ob die Tonika der Melodie c oder es ist, w\u00e4Jhrend im ersten Beispiel alsbald ein c als Tonika aufgefafst wird.1 Die Fortf\u00fchrung des zweiten Beispiels mufs dann, soll die Tonika klar gestellt werden, dem oben Gesagten zufolge entweder diese selbst bringen oder einen sie offenbarenden Ton. Letzteres gesch\u00e4he etwa in dieser Weise:\nNB\nI\u00e9\u00fc j | j j i Hg\n(NB.:\nV VI V III V VII V\nDer Leitton zur Tonika c.)\nErst auf solche Weise wird ein derartiges Mifsverst\u00e4ndnis unm\u00f6glich.\nDer Anfang der c-Moll-Symphonie von Beethoven ist hierf\u00fcr ein Beispiel. Die Phrase:\n1 und zun\u00e4chst nicht ein e; angesichts der hier vorliegenden Zweideutigkeit verf\u00e4llt unser Streben nach klarer Auffassung bezeichnenderweise zuerst auf das klare Dur (Tonika c), nicht auf das ja auch m\u00f6gliche Moll (Tonika e).\n28*","page":435},{"file":"p0436.txt","language":"de","ocr_de":"436\nFritz Weinmann.\nl\u00e4fst vollkommen im Unklaren dar\u00fcber, ob das g Terz, das es Tonika, die Tonart also es-Dur, oder ob g Quint, es Terz, die Tonart also c-Moll sei. Auch die n\u00e4chstfolgenden Takte bringen keine Aufkl\u00e4rung. Erst das c im neunten Takt1 l\u00f6st den Zweifel.\nNaturgem\u00e4fs ergeben sich dann auch bei Verbindungen von Terz und Tonika wie von Terz und Quint zu Anfangsformen, welche den in Dur vermittels Auftakt gebildeten entsprechen, neue, gegen\u00fcber Dur verschiedene Wirkungen infolge der ge\u00e4nderten Richtung der T\u00f6ne zueinander, infolge ihres ver\u00e4nderten Werts.\nAnf\u00e4ngen wie\nrhythm. Verh. 6:5\t4:5\neignet etwas Widerstrebendes im Gegensatz zu den entsprechenden Formen in Dur infolge des Umstands, dafs hier der (metrisch) untergeordnete Ton (es) Zielton f\u00fcr den betreffenden Hauptton ist, der als eigentlicher Anfangston die melodische Bewegung beginnen l\u00e4fst, aussendet. Ein Moment der Unruhe kommt so in den Anfang und damit auch in die betreffende Melodie hinein.\nEbenso \u00e4ndert sich auch die \u00e4sthetische Qualit\u00e4t der Anf\u00e4nge, in denen umgekehrt der Terz als Hauptton die Tonika oder die Quint in Auftakt-Weise vorangehen:\nrhythm. Verh. 5:6\t5:4\nEinerseits bewirken auch hier, wie entsprechend in Dur, die Tonika bzw. die Quint ein klares Hervortreten der Tonika, die sonst unter Umst\u00e4nden, d. h. was die Terz f\u00fcr sich, abgesehen von den etwa folgenden T\u00f6nen, betrifft, fehlen w\u00fcrde. Andererseits hingegen erh\u00e4lt dadurch der Anfang als Ganzes nicht wie in Dur eine mildere und hiermit in gewissem\n1 Abgesehen hier von der harmonischen Begleitung, die ein aufkl\u00e4rendes c schon im 7. Takt bringt.","page":436},{"file":"p0437.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n437\nSinn abgeschw\u00e4chte Fassung, er wird vielmehr bestimmter, energischer \u2014 entsprechend den anders gearteten rhythmischen Verh\u00e4ltnissen und der daraus resultierenden anders gewandten Tendenz der T\u00f6ne zueinander, die hier innere Betonung, itichtungsaceent, und \u00e4ufsere Betonung, metrischen Accent, zusammenfallen macht.1 Fr n\u00e4hert sich hinsichtlich der charakteristischen Wirkung einigermafsen der Anfangsform Quint-Tonika.\nAnalog erfahren durch die Moll-Terz auch jene Anfangsformen eine Wert\u00e4nderung, in denen die Terz mit herangezogenen Zwischenstufen zusammentrifft oder selbst als Zwischenstufe erscheint* * Die ver\u00e4nderten rhythmischen Beziehungen haben eine Verschiebung des inneren Schwerpunkts in solchen Verbindungen zur Folge, die selbstverst\u00e4ndlich auch eine Ver\u00e4nderung ihres \u00e4sthetischen Gehalts bedeutet Es geh\u00f6ren hierher die Anfangsformen :\nTTP\t\t\n\u25a0fir* r\u00bb\t: i\t\u2014t\u2014\n\t\u2014\ntf\ti *\u2014\u25a0\t\tTW '\nrhythm. 5\t6\nVerh. 8 : 9\n15 : 1\u00ab\npro ix\n5\t4\n9 : 8\n\u2019 10: 9 od. 9 : 8 3\n\t\t\t\t\nfli\t\u25a0sP-p\u2014\ti\u2014\t\u00c6.\t\nV-\t\t\u2014\u00e2\u2014\t\t\n4\t5\n9 : 10 od. 8 : 9\n8 : 9\nrhythm. Verh. 6\t:\t5\n16 : 15\n9 : 8\n3\t:\t2\n5 : 4\n6\t:\t5\nAuf diese Weise macht sich die kleine Terz auch f\u00fcr den Quint- und Tonikaanfang bemerkbar, f\u00fcr welche beiden im \u00fcbrigen nat\u00fcrlich dasselbe gilt wie in Dur.\nEntsprechende Ver\u00e4nderungen bringt nun auch die kleine Sexte (8/5) mit sich, die in Moll an Stelle der grofsen Sexte (5/3) tritt.\nGem\u00e4fs dem rhythmischen Verh\u00e4ltnisse, in dem sie zur Tonika steht (Sext-Tonika = 8:5) und im Unterschied von der\n1 Vgl. 8. 405 Anm. 2 d. A.\n* Vgl. 8. 414ff. d. A.\n3 Vgl. S. 363 d. A.","page":437},{"file":"p0438.txt","language":"de","ocr_de":"438\nFritz Weinmann.\nDurs ext und deren rhythmischer Verkn\u00fcpfung mit der Tonika (gr. Sext : Tonika = 5:3), bedeutet zwar auch die kleine Sext in Moll einen Gegensatz zur Tonika, insofern sie Zielton- f\u00fcr diese ist; andererseits aber ist sie eben dadurch auch wieder enger mit der Tonika verbunden als die grofse Sext 5/3, welche gleichsam von ihr sich loszul\u00f6sen scheint und nur indirekt durch die Quart mit der Tonika zusammengehalten ist Dem Anfang mit der kleinen Sext haftet somit nicht diese Unbestimmtheit an, wie sie dem Sextanfang in Dur eigent\u00fcmlich ist, jedoch ruft auch er den Eindruck des Pl\u00f6tzlich-, dabei aber Bestimmt-Anhebenden hervor. Und an und f\u00fcr sich eignet dem Anfang mit der kl. Sext \u2014 entsprechend eben dem rhythmischen Verh\u00e4ltnis, in welchem zugleich Gegens\u00e4tzlichkeit der Tonika gegen\u00fcber und relativ enge Verkn\u00fcpfung mit ihr liegt1 * \u2014 etwas Widerstrebendes, Geprefstes.\nEin Beispiel bietet der Anfang der <7-Moll Symphonie von Mozart:\n\n?\n\u00ceE\u00c9E\u00c8\n\nVI v.\nallerdings ist hier kein Melodieanfang mit der Sext im strengsten Sinn gegeben, insofern eine harmonische Begleitung mit der Tonika g im Bafs vorher einsetzt8\nEntsprechend erfahren durch das Auftreten der kleinen Sext jene kombinierten Anfangsformen eine Ver\u00e4nderung, welche in Dur sich der grofsen Sext als Zwischenstufe bedienten8, wie\nmnrrrf\nrhythm. Verh. 3\t4\n4 : 5 15 : 16\noder 15 : 16 : 20\noder\ngg j*\n3\t:\t4\n64 : 75\n15:16\t15 : 16\n4\t5\n4\t5\noder 60:64 : 75 : 80\nIn \u00e4hnlicher Weise wie bei jenen Dur-Melodieanf\u00e4ngen er-\n1 Vgl. S. 356, 357 d. A.\ns Vgl. 8. 414/415 d. A.\n* Vgl. S. 422, Anm. 1 d. A.","page":438},{"file":"p0439.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n439\nf\u00e4hrt der Anfang auch hier sowohl eine feinere Nuancierung durch die vielfachen, gegeneinander wirkenden Rhythmen, als auch andererseits, aus demselben Grunde, leicht eine Herabminderung seiner Klarheit und ruhigen Bestimmtheit.\nDer Vollst\u00e4ndigkeit halber sei endlich noch die Anfangsm\u00f6glichkeit mit der kleinen Septe 9/5 1 erw\u00e4hnt. Dieser Anfang ist seinem Wesen nach etwa dem Anfang mit der grofsen Sext in Dur an die Seite zu stellen. Unbestimmt wie dieser8 erfordert auch er eine alsbaldige Hinwendung zum Tonikabereich, wie \u00fcber die Sext zur Quint oder dgl.\nDer Schlufs in der Moll-Melodie.\nF\u00fcr die Schlufsbildung in der Moll-Melodie kommt gegen\u00fcber der Dur-Melodie als verschieden nur die kleine Terz in Betracht. Im \u00fcbrigen gelten hier wie dort dieselben Erw\u00e4gungen, bleibt die Bedeutung der Tonika und Quint, sowie ihrer Verbindungen hinsichtlich des Schlusses bestehen.\nDie zuvor erw\u00e4hnte Verschiedenheit nun von Dur- und Moll: terz, der zufolge die letztere als Dominante eine ausgesprochene Selbst\u00e4ndigkeit besitzt, wird f\u00fcr die Schlufsbildung noch bedeutungsvoller als f\u00fcr den Anfang. Denn diesem wurde eine gr\u00f6fsere Freiheit in der Wahl des (Anfangs-)Tons zugestanden: auch relativ gegens\u00e4tzliche T\u00f6ne wie Quart und Sext erwiesen sich als f\u00e4hig, eine Melodie einzuleiten. Der Schlufs dagegen kann \u2014 in Dur \u2014 nur vollzogen werden durch die Tonika zun\u00e4chst, in zweiter Linie \u2014 vertretungsweise \u2014 dann durch deren Gruppent\u00f6ne, Terz und Quint In diesen F\u00e4llen tritt jedoch immer deutlich das Moment des Vertretens hervor. Es wurde darauf hingewiesen, wie die Schl\u00fcsse auf Terz oder Quint mehr oder minder der harmonischen Unterlage bed\u00fcrfen. Dies erkl\u00e4rt sich aus der relativen Unselbst\u00e4ndigkeit dieser T\u00f6ne der Tonika gegen\u00fcber.8\nAnders nun in Moll bei der kleinen Terz. Schon an fr\u00fcherer Stelle wurde hervorgehoben4, dafs innerhalb der Tonikagruppe in Moll, innerhalb des Dreiklangs, Hauptton nicht die Tonika allein, sondern daneben auch die Terz sei. In ihr ebenso wie im Grundton, fafst sich der Moll-Dreiklang innerlich zusammen.\n1 Vgl. S. 354 d. A.\t2 Vgl. S. 409, 410 d. A.\n* Vgl. S. 418 d. A.\t* * Vgl. S. 356/357 d. A.","page":439},{"file":"p0440.txt","language":"de","ocr_de":"440\nFritz Weinmann.\nDenn die kleine Terz bildet den Zielton f\u00fcr Quint, wie auch in gewisser Weise f\u00fcr die Tonika. Dieser Tatbestand \u00e4ufsert sich nun in hervorragender Weise beim Abschlufs der Moll-Melodie: Die Terz bedeutet hier nicht nur eine Vertretung der Tonika, sondern sie ist dieser als Abschlufston geradezu gleichwertig, eben auf Grund der rhythmischen Verh\u00e4ltnisse, die sie zum Zielton der Quint und der Tonika (Quint : Terz = 5 ? 4 ; Ton. : Terz = 5:6) machen. Es bedarf demnach hier auch keineswegs einer harmonischen Grundlage, welche, wie beim Abschlufs auf der (grofsen) Terz in Dur, die Tonika im Bafs br\u00e4chte.\nAls Beispiel sei angef\u00fchrt das Thema der c-Moll-Fuge aus Bachs wohltemperiertem Klavier (I. Teil):\n\u00ffjL\u00c0\u2014fc MJ\u00cf+. M\t\u2022 \" m* U\t\t\t\u25a0 1 \u00e9 im\u2014prf\t\u25a0\t\"RS '\t\n\u00fc L,\tr-iy ^ i\t\t\t1 \t#\t\nill\nDer Konflikt zwischen der (kl) Terz und der Tonika in Moll, der eben auch darin sich \u00e4ufsert, dafs beide abschlufs-f\u00e4hig sind, die Tonika aber doch als \u201eTonika\u201c, als Grundton, das gr\u00f6fsere Recht dazu besitzt, fand seinen Ausdruck auch in der Gepflogenheit der \u00e4lteren Musik, bei harmonischen Schl\u00fcssen entweder die Moll-Terz wegzulassen und nur mit Tonika-Quint abzubrechen oder ein Moll-St\u00fcck mit dem Dur-Dreiklang zu schliefsen. Auf diese Weise suchte man den gef\u00fchlten Widerstreit zwischen Tonika und kleiner Terz zu vermeiden, der in den rhythmischen Verh\u00e4ltnissen seinen Grund hat\nF\u00fcr den Tonika-Abschlufs in Moll, bez. dessen, wie gesagt, an und f\u00fcr sich das gleiche gilt wie in Dur, \u00e4ufsert sich die Wirkung dieser Gleichwertigkeit der kleinen Terz in der Weise, dafs hier eine abschliefsende Hinwendung zum Grundton noch sorgf\u00e4ltiger vorbereitet werden mufs, als in Dur. Das will sagen: Weit unumg\u00e4nglicher als in Dur fordern wir hier eine vorangehende dissonante Konstellation, die sich in der Tonika entspannt, auf l\u00f6st. Eine Wendung, wie\n\t\t\t\tI\nft\t\t\t\t1\n\t\u25a0V\t\t\t\ti\n\t7\t^\t\t\ti\n\t-\tsr-\t\t\t\nrhythm. Verh. 6:5:4","page":440},{"file":"p0441.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n441\nder immerhin bis zu einem gewissen Grad abschliefsende Kraft innewohnt, bildet in der Moll-Fassung\n\t\t1\nfer\t\u2014(\u2014J\n\t\nrhythm. Verh. 5 : 4\t\n6\t: 5\n3\t:\t2\nim Vergleich einen nur wenig beruhigenden Schlufs.1\nGliederung der Moll-Melodie.\nF\u00fcr die Gliederung der Moll-Melodie endlich kommen wieder die beiden spezifischen Moll-T\u00f6ne, kleine Terz und kleine Sext in Betracht. Beide sind Dominanten und zwar besonders m\u00e4chtige Dominanten: Sie nehmen in Moll die Stellung ein, welche in Dur der Quart zukommt, und \u00fcbertreffen diese selbst, insofern sie in Moll gleichfalls mit in Betracht kommt, hinsichtlich der St\u00e4rke des Antagonismus gegen\u00fcber der Tonika.2\nHiermit ist zugleich gesagt, das kl. Terz und kl. Sext in der Moll-Melodie von sich aus berufen sind, relative Abschlufs-punkte zu bezeichnen.* 8 Denn in ihrer Eigenschaft als Zielt\u00f6ne auch der Tonika (Tonika : Terz = 5:6, Tonika : Sext = 5:8) m\u00fcssen sie notwendig die melodische Bewegung auf sich lenken, also \u2014 relativ \u2014 ihrem Ende zuf\u00fchren, wie es in Dur durch die Quart geschieht. Und wie die Quart (und die Quint) in Dur, so sind auch kl. Terz und kl. Sext innerhalb des Moll-Systems Basen von (Dur-)Dreikl\u00e4ngen, wozu noch kommt, dafs beide auch durch einen engeren und weiteren Leitton gest\u00fctzt werden.2 In gleicher Weise wie dort bedarf es dann auch hier einer dissonanten Konstellation, wenn kl. Terz oder Sext nicht als Abschlufs, sondern wom\u00f6glich von vornherein nur als D u r c h -gangs punkte erscheinen sollen.8 F\u00fcr die kl. Sext wird eine solche gebildet durch ein nachbarliches Zusammentreffen mit Quart, Sekunde oder Sept (rhythmische Verh\u00e4ltnisse: Sext : Quart = 6:5, Sext : Sekunde = 64 : 45, Sext : Sept = 64 : 75), f\u00fcr die kl. Terz \u2014 in weniger vollkommener Weise \u2014 durch Begegnung\n1 Abgesehen nat\u00fcrlich hier von einer harmonischen Unterst\u00fctzung.\n8 Vgl. S. 356, 357 d. A.\t8 Vgl. S. 423/424 d. A.","page":441},{"file":"p0442.txt","language":"de","ocr_de":"442\nFritz Weinmann.\nmit Sekunde, Quart oder Sept (Verh. : Terz : Sekunde = 16:15, Terz : Quart = 9 : 10, Terz : Septe = 16 : 25).\nAls Beispiel sei betrachtet die bereits angef\u00fchrte \u00dfACHsche Melodie :\nHier kehrt die Sext zweimal als Gliederungspunkt wieder, jedoch nur das erstemal als relativer Abschlufs, das zweitemal dagegen mit ausgesprochenem Durchgangscharakter, infolge der dissonanten Einf\u00fchrung auf dem Wege d \u2014 f(\u2014g). Einen zweiten Abschlufspunkt bildet die Quint g, deren diesbez\u00fcgliche F\u00e4higkeit wie in Dur, so auch in Moll zur Geltung kommt.\nAls Beispiel einer Moll-Melodie, die in der Terz einen relativen Abschlufs findet, diene die folgende Melodie bei Richard Wagner :\nrtn\t:\t\tm\u2014f9 \u25a0\t\u2014h\ta r*~\tP\u00bb\t1\tf*1\n\u2022 i\u00bb, ij\tn\t1 !\u2022 r I\tr\u00bb i )\tr 1 J\t\n-T-\u00e0~-p\u2014ha\u2014!\t1\u2014i J. \u00e4\tri 1 r\t1 F g s \u00e4l. g~\u00b0JTT \u2014\n\u2014-gi-a\t' 7*\u2014r\tg\u2019 \" m\t1\t\u201c\t'\tL!\u2014p\t9\t\u20144\t-\nI\tIII\t(III) II\tVI\nDafs beim zweitenmal die Terz nur als Durchgangspunkt erscheint, ist hier allerdings ebenso auch auf Rechnung der metrischen Einteilung zu setzen als aus der r\u00fcckwirkenden Dissonanz der Sekunde1 zu erkl\u00e4ren. Sp\u00e4ter findet dann auch hier ein relativer Abschlufs auf der Sext statt\nEin Beispiel, welches die kl. Sext und Terz als relative Ab-schlufspunkte zeigt, w\u00e4re ferner das WAGNERsche Thema:\ni\n*\nBE\n\n\nXE\nX\n(IV)\nDer Fortgang wird hier gewonnen das eine Mal durch Zur\u00fcckspringen von der Sext auf die Tonika, wodurch f\u00fcr die folgenden T\u00f6ne diese wieder als Ausgangspunkt mafsgebend wird2, das andere Mal, von der Terz aus,\n1\tVgl. S. 3\u00f62 Anm. 1.\n2\tIn anziehender Weise wird die Eigenschaft der Sext als relativer Abschlufspunkt und die Gewinnung des Fortgangs von da klar, wenn man","page":442},{"file":"p0443.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n443\ndurch die Einf\u00fchrung der als Dissonanz auf jene zur\u00fcckwirkenden Quart Ein dritter \u2014 auch \u201erelativer\u201c 1 \u2014 Abschlufs wird erreicht auf der Quint.\nIm \u00fcbrigen gilt f\u00fcr die Gliederung der Moll-Melodie das gleiche wie f\u00fcr die Dur-Melodie : Auch hier finden sich die Tonika selbst, die Quint und die Quart als Gliederungspunkte mit dem Charakter relativen Abschlusses (vgl. zum Teil die Beispiele vorher), erscheinen Sekunde und Sept als Durchgangspunkte oder \u2014 bei besonderer Art der Einf\u00fchrung \u2014 wie in Dur als vor\u00fcbergehende Abschl\u00fcsse. Und wie in Dur regelt sich auch hier die Gewinnung des Fortgangs, nur dafs hier mit kleiner Terz und kleiner Sext zu rechnen ist.\n3. Die modulierende Melodie.\nIm Vorangehenden war die Rede von der Melodie, welche sich aufbaut auf einer einzigen Basis, der Tonika, von der sie ausgeht \u2014 jedenfalls dem Sinne nach ausgeht2 \u2014 und zu der sie zur\u00fcckkehrt. Es zeigte sich aber zugleich, dafs die melodische Bewegung sich scheinbar von dieser ihrer Basis emanzipiert, dafs sie etwa nach der Quart ausweicht, auf dieser einen (relativen) Abschlufs erreicht. Dies heifst aber nichts anderes, als die Melodie hat eine andere Basis bekommen. Insofern liefse sich auch von einer solchen Melodie sagen, sie \u201emoduliert\u201c.\nDies ist nun aber hier nicht gemeint Sondern unter \u201emodulierender\u201c Melodie ist hier verstanden die Melodie, welche entweder in eine neue Basis ausm\u00fcndet oder zu der urspr\u00fcnglichen sich zwar zur\u00fcck wendet, in ihrem Verlauf jedoch einen Ruhepunkt auf einem Ton gewinnt, der nicht dem Bereich* der eigentlichen Tonika angeh\u00f6rt, sondern aufserhalb des betreffenden Systems liegt.\nDie Musiktheorie hat hierf\u00fcr die Unterscheidung \u201eleitereigener\u201c und \u201eleiterfremder\u201c T\u00f6ne.\n\u201eModuliert\u201c hat also z. B. eine Melodie, welche von c als\ndie Melodie in der Form betrachtet, in der sie Wagneb im 2. Akt des Siegfried gleichsam entstehen l\u00e4fst. Dort lautet sie erst:\n\th\t\t\u2014V\t\t\nwrr\\v\u201e\t\tp\t\t\n\tr\tS\tL-Ji\tJ\u2014^\t\u2022\t9\tr-U\tJ\nVI\tVI\n1 Vgl. 8. 404/405 d. A.\n* Vgl. S. 416/417 d. A.\ns Im weiteren Sinn, also \u2014 Leiter.","page":443},{"file":"p0444.txt","language":"de","ocr_de":"444\nFritz Weinmann.\nTonika ausgeht, auf a als Tonika endigt ; oder eine (Dur-)Melodie, welche in c zwar ihre Ausgangs- und End-Tonika hat, in ihrem Verlauf aber etwa nach as aus weicht.\nEs kommen demnach hier die chromatischen T\u00f6ne in Betracht, soweit sie nicht lediglich als verbindende Zwischenstufen1 auftreten.\n\u201eModulierend\u201c mag endlich auch eine Melodie genannt werden, welche \u2014 bei gleich bleibender Basis, Tonika \u2014 in Moll beginnt, in Dur endet, und umgekehrt, oder welche \u00fcberhaupt zwischen Moll und Dur wechselt.\nDemzufolge sind es die Fragen nach dem Schlufs und nach der Gliederung der Melodie, auf welche sich das Folgende bezieht.\nWenden wir uns zuerst der letztgenannten Art der modulierenden Melodie als der einfachsten zu, so gilt hier in erweiterter Form dasselbe, was bereits an fr\u00fcherer Stelle, gelegentlich der Besprechung des \u00dcbergangs von der \u00fcberm\u00e4fsigen Sekunde (= kleinen Terz) zur grofsen Terz gesagt wurde.* Durch die Wendung von Moll nach Dur, die eben durch die grofse Terz (5/4) bewerkstelligt wird, kommt die Tonika im Gegensatz zu vorher erst zu voller, unbeschr\u00e4nkter Wirkung. Sie wird, indem sie Zielton der grofsen Terz wird, gleichsam erst als Basis anerkannt, w\u00e4hrend sie zuvor, solange durch die kleine Terz das Moll herrschte, in ihrer freien Machtentfaltung beengt war (als Strebeton \u2014 in der des \u00f6fteren betonten Weise \u2014 der Terz gegen\u00fcber \u2014 Verh. : 5:6).\nUmgekehrt bedeutet der \u00dcbergang von Dur nach Moll entsprechend eine Einengung des freien, alles einheitlich durchdringenden Waltens der Tonika.\n. Diese Wirkung \u00e4ufsert sich, mag nun der Wechsel von Dur und Moll im Verlauf der Melodie stattfinden oder an den beiden Endpunkten, am Anfang und Schlufs hervortreten. Am eindringlichsten ist sie im letzteren Fall, da alsdann die innere Ver\u00e4nderung als Resultat des lebendigen Gegeneinander von Kr\u00e4ften, welches die Melodie als System von Rhythmen darstellt, erscheint.\nEin charakteristisches Beispiel ist die an anderer Stelle *\n1 Vgl. S. 36fr\u2014367 d. A.\ns 8. 371 Anm. 2 d. A.\n8 Vgl. S. 370 ff., bee. S. 371 d. A.","page":444},{"file":"p0445.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n445\nbereits angef\u00fchrte WAGNERsche Melodie des \u201eNie sollst\nDu mich befragen\u201c aus Lohengrin\t\u25a0 \u00ab\n-n\u2014in.\t r\u2019i i -i\tr\tj 4 \u2014\u2014 \u2022\t-\u2022\t. j\t\nM V V\tA ! I ll \u00e4\tA. j iJ\u00ca \u00e4t.11 k'\t\nIM' 3\tI\tJ \u2022\u2022\ti\tim*\t\u2022\tJ\tl J -\nV4J\t1\t1\u00bb|S\tL\tM 9\t-J\u2014\u2014\u00ab\u2014\u2014i\u2014\nY (III)\tI\t(III)\n1 0 | b h\tf \t N\tm\t\t\t\t\u2014\t.4 \u25a0 \u25a0\t\n-k1\t9\tr:\t\tGL M^\tm\t\tr*1\u2014\t\n\ti\tm\tw .\tu\t\t\t\t\u2014gr\u00bb\n\t\t\t\t1\tC\u2014j \t\u2014J\t\u2014\t\t\nNB.\n(III)\t(V)\t(III) (V) (II) III\nrhythm. Yerh. 12\t:\t9\t:\t10\n(%) (*/.) (B/*)\nTritt der Wechsel des Dur und Moll an den bevorzugten Punkten innerhalb der Melodie auf, also an Punkten relativen Abschlusses oder nur vor\u00fcbergehender Ruhe, so entsteht je nachdem der Eindruck bald eines innerlichen K\u00e4mpfens, bald mehr blofsen Schwankens.\nEin Beispiel ist die Einleitung der Richard Strauss-sehen Tondichtung \u201eAlso sprach Zarathustra\u201c :\n-fl\t\t\tw~~\t\t\t\tE/V\tm\t-v ..\t\n\tm.j\t\u2014\t\tS\u2014 \u25a0\u25a0\t4^\t\tz&\u00ee\u00ef-jnzzz\t\t\n\t \t1\u2014\tl Lj\u00ab\t\tJ JL\tL\u2014\u00c62 .\t\tr \u25a0?\tJ 1 *\u25a0\t\nW\t\t^\u00caT .\t\t\t\t\\\t\u2014\u2022 \u00ab0-\t\t\tV\t\ngr. III kl.\tkl. III gr.\nrhythm. 2:3:4:\t5\t2:3:4\t:\t5\nYerh.\t5:6\t5:6\nHier treten kleine Terz, dann grofse Terz als relative Abschlufspunkte auf.\nDafs und wie grofse und kleine Terz teils von sich aus, teils durch die Art der Einf\u00fchrung, immer auf Grund der rhythmischen Verh\u00e4ltnisse, sowohl anfang-, wie schlufsbildend auftreten, sowohl als relative Abschl\u00fcsse, wie als Durchgangspunkte wirken k\u00f6nnen, ist in den vorangehenden Abschnitten des n\u00e4heren er\u00f6rtert worden.1\nIm allgemeinen findet sich der Wechsel von Dur und Moll nur bei harmonischer Unterlage, wo er besser imstande ist, seine ausdrucksvolle Eigent\u00fcmlichkeit zu entfalten.\nMehr oder minder der harmonischen Musik geh\u00f6ren auch modulierende Melodien an, welche in ihrem Verlauf dem Tonika-\n1 Vgl. S. 411 ff., 418 ff., 425 ff., 434 ff., 439 ff., 441 ff.","page":445},{"file":"p0446.txt","language":"de","ocr_de":"446\nFritz Weinmann.\nbereich nicht Angeh\u00f6rige T\u00f6ne ber\u00fchren1, sei es, dafs sie dortselbst einen relativen Abschlufs erreichen oder nur einen Durchgangspunkt finden. Es ist demnach die Melodie-G lied e-rung, auf welche diese Frage wieder hinweist.\nWie bei der nichtmodulierenden Melodie die Gegens\u00e4tzlichkeit zur Tonika auf Grund der rhythmischen Verh\u00e4ltnisse manche T\u00f6ne mehr zu Abschlufs-, andere zu Durchgangspunkten pr\u00e4destiniert, so eignen sich die hier in Betracht kommenden chromatischen T\u00f6ne auf Grund der rhythmischen Verh\u00e4ltnisse*, die diesmal das Fremdartige der betreffenden T\u00f6ne ausmachen, zu solchen Gliederungspunkten der einen oder anderen Art. Denn eben die \u201eFremdheit\u201c verleiht ihnen eine besondere innere Betonung, hebt sie besonders hervor.\nEs lassen sich hierbei verschiedene Gruppen von T\u00f6nen zusammenfassen, nach Mafsgabe der gr\u00f6fseren oder geringeren Entfernung von der Tonika, welche sie f\u00fcr die Melodie bedeuten.\nNimmt man als Basis c an, so w\u00fcrden eine erste Gruppe bilden etwa : as und es in Dur-Melodien, a und e in Moll-Melodien.* Beide in beiden F\u00e4llen sind mit der urspr\u00fcnglichen Tonika c noch mehr verwandt, as als grofse Unterterz (= kl. Sext 8/5) zu c rhythm. Verh. : c : as = 5 : 4), es als kleine Terz 6/5 oder auch als grofse Unterterz der Quint g (g : es \u2014 5 : 4), bzw. a als kleine Unterterz (= grofse Sext 5/3) von c (rhythm. Verh. : a : c = 5 : 6), e als grofse Terz 5/4.\nAs und es verm\u00f6gen infolge des Umstandes, dafs beide Zielton-Bedeutung gegen\u00fcber c haben, leicht Abschlufspunkte zu bilden; a und e bed\u00fcrfen mehr einer Unterst\u00fctzung zu demselben Zweck.* 3 4\nAls eine zweite Gruppe k\u00f6nnte man dann bezeichnen b als Nachbarton des c (in Moll \u2014 c : b = 9 : 86), sowie des (= cis) als Zielton des engeren Leittonschritts c \u2014 des (= 15 : 16). Beide sind aufserdem indirekt mit der Tonika verwandt, durch T\u00f6ne, die mit dieser in enger Beziehung stehen, so b als Quart der Quart f (rhythm. Verh. : f : b \u2014 3:4) oder kleine Terz der Quint g (Verh. : g : b \u2014 5 : 6), des als grofse Unterterz der Quart f (Verh. : f : des = 5:4) oder als Quart 4 3 des as.\n1 Vgl. S. 443 d. A.\t* Vgl. S. 366 d. A.\n3\tBez. es und e siehe oben S. 444\u2014445.\n4\tVgl. S. 425, 427, 441 ff. d. A.\n6 Vgl. S. 360 ff. d. A.","page":446},{"file":"p0447.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n447\nDiese T\u00f6ne eignen sich zun\u00e4chst mehr zur Bildung von Durchgangspunkten, soweit ihnen nicht die indirekte Art der Einf\u00fchrung den Charakter relativen Abschlusses verleiht. Diese best\u00e4nde eben darin, dais etwa b sich als Quart der Quart f in der melodischen Entwicklung darstellt\nEine dritte Gruppe endlich w\u00fcrde umfassen fis (= ges) und die \u00fcbrigen T\u00f6ne der chromatischen Leiter.1 Eine auch nur lose direkte Verwandtschaft mit der Tonika besteht hier so gut wie nicht mehr, wo die rhythmischen Verh\u00e4ltnisse sich zu Formen wie 32:45 (c \u2014 fis) u. dgl. komplizieren. Sollen solche T\u00f6ne relativ abschliefsend wirken, so ist eine Unterst\u00fctzung durch n\u00e4here Verwandte der Tonika, eine Vorbereitung durch solche T\u00f6ne, in weitestem Mafse notwendig. Dagegen wirken sie gerade durch ihren inneren Abstand von der Tonika, ihre \u201eFremdheit\u201c \u2014 wie oben schon gesagt \u2014 fast von selbst als Durch* gangspunkte gliedernd. \u2014\nZugleich macht sich bei den in dieser Weise zu drei Gruppen geordneten T\u00f6nen, insoferne sie als Gliederungspunkte gedacht sind, fortschreitend das Bed\u00fcrfnis emer harmonischen Unterlage st\u00e4rker geltend. Eine solche vermag dann auch wohl \u2014 als zusammengezogene, simultan gewordene Melodie gleichsam \u2014 die mehr oder minder umst\u00e4ndliche melodische Einf\u00fchrung zu ersetzen. \u2014\nMelodien, welche nach einem oder mehreren der genannten T\u00f6ne ausweichen, modulieren, dr\u00fccken also ein Sichentfernen, ein Sichwegwenden von der Basis, der Tonika aus, und zwar ist dieser Eindruck in dem Mafse st\u00e4rker, als die rhythmischen Beziehungen zwischen der Tonika und dem betreffenden, die Ausweichung bedeutenden Ton an Einfachheit verlieren, als \u2014 was das gleiche ist2 \u2014 die Konsonanz, die enge Verbindung der betr. T\u00f6ne mit der Tonika abnimmt. Insofern aber die Melodie als Vermannigfaltigung einer einfachen, zugrunde liegenden Linie, bezeichnet durch Tonika3, Gliederungspunkte und wieder Tonika4 *, aufgefafst werden kann \u2014 und mufs6, so ergibt sich eine genauere Charakterisierung der verschiedenen Modulationsformen , eine psychologische Unterscheidung der verschieden\n1 Vgl. S. 366 d. A.\t2 Vgl. S. 341, 342 d. A.\n\u00bb Vgl. S. 416, 417 d. A.\t* Vgl. S. 417, 418 d. A.\n6 Vgl. S. 402, 422 ff., 426, sowie die Anmerkungen auf S. 422 u. 429","page":447},{"file":"p0448.txt","language":"de","ocr_de":"448\nFritz Weinmann.\nmodulierenden Melodien hinsichtlich der \u00e4sthetischen Bedeutung einfach durch Anwendung des fr\u00fcher \u2014 bei der Untersuchung \u00fcber die einzelnen Tonschritte der chromatischen Leiter \u2014 Gesagten 1 auf die dem betreffenden primitiven Tonschritt entsprechende ausgestaltete Melodie. Es mag gen\u00fcgen, darauf hier zu verweisen.\nWenden wir uns schliefslieh der Melodie zu, welche moduliert, indem sie in einer neuen Basis endigt, so gilt im wesentlichen das gleiche wie f\u00fcr die Gliederung modulierender Melodien, nur dafs eben hier die neue Basis eine endg\u00fcltige ist, den Abschluss bedeutet. Dabei l\u00e4fst sich unterscheiden, ob diese neue Tonika dem Bereich der fr\u00fcheren angeh\u00f6rt oder nicht, ob sie ein \u201eleitereigener\u201c Ton ist, ob ein \u201eleiterfremder.\u201c5\nIm ersten Sinn modulieren Dur-Melodien nach der Quint, Quart oder einem der \u00fcbrigen T\u00f6ne der Leiter. Da es sich nun aber hier um den Abschlufs handelt, also um ein befriedigendes, eindeutig bestimmtes Hinlenken nach dem betreffenden Ton, so kommen im strengsten Sinn eigentlich nur Quint und Quart, die beiden Dominanten, hier in Betracht Denn nur nach diesen ist eine endg\u00fcltige, abschliefsende Hinwendung mit Hilfe blofs leitereigener T\u00f6ne m\u00f6glich. Nur Quint und Quart finden ihre grofse Terz und ihre Quint zum Aufbau des sie zur Basis stempelnden (Dur-) Dreiklangs unter den T\u00f6nen der Leiter selbst ; der Quart dient aufserdem auch noch die Terz der Tonika als Leitton (z. B. in der c - Leiter : e : f \u2014 15 :16). Alle \u00fcbrigen T\u00f6ne dagegen verm\u00f6gen sich nur auf Moll-Dreikl\u00e4nge, die Sept nicht einmal auf einen solchen, zu st\u00fctzen. Ihre grofsen Terzen, vollends ihre Leitt\u00f6ne liegen aufserhalb der Leiter. Da aber ein Moll - Dreiklang seinen Grundton nicht in der Weise zur selbst\u00e4ndigen Tonika erhebt, wie ein Dur-Dreiklang 8, und auch Leitt\u00f6ne als eventueller Ersatz fehlen, so sind die hier in Betracht kommenden T\u00f6ne \u2014 Sekunde, Terz, Sext und Septe \u2014 nur in bedingter Weise f\u00e4hig, einen Abschlufs zu bilden. Es kann auf ihnen eine Melodie nur im Halb- oder Trugschlufs enden.* * 4\nIn der Moll-Melodie tritt \u2014 aus gleichen Gr\u00fcnden \u2014 an\n1 Vgl. S. 366 ff. d. A.\t* Vgl. S. 443/444 d. A.\ns Vgl. S. 356/357 und 439 ff., sowie S. 349 und 403 d. A.\n4 Ein Beispiel, welches hierher geh\u00f6rt, ist die S 432\u2014433 zitierte\nWAQNERsche Meistersingermelodie.","page":448},{"file":"p0449.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n449\ndie Stelle der Quart die Sext. Dazu kommt als nahezu gleichwertig die kleine Terz, welche \u2014 in der absteigenden melodischen Leiter n\u00e4mlich1 \u2014 ihre Quint (in c - Moll : b), jedenfalls aber ihre grofse Terz 5/4 und den Leitton 16/15 (in c- Moll : d) im Bereich der Leiter selbst findet.\nMit R\u00fccksicht gleichfalls auf die absteigende melodische Form der Moll-Leiter kann dann auch die kleine Sept Tonika 'eines Dur-Dreiklangs werden (in c-Moll:\u00e8 (95) mit d als Terz und f als Quint2 \u2014 rhythmisches Verh\u00e4ltnis : b : d : f \u2014 4 :5 : 6). Es bleiben also \u00fcbrig: Die Quart als Grundton eines Moll-Drei-klangs, die Sekunde und \u2014 in der harmonischen Leiter \u2014 die grofse Septe als Grundt\u00f6ne verminderter Dreikl\u00e4nge. Sie verm\u00f6gen einen vollkommenen Abschlufs nicht zu begr\u00fcnden.\nNun l\u00e4fst sich allerdings auch von der Quint und Quart in Dur, von der Sext in Moll, sagen, dafs der Abschlufs einer in dieser Weise modulierenden Melodie auf ihnen kein im aller-strengsten Sinn definitiver sein kann. Denn zu einem solchen ist, wie fr\u00fcher betont, auch noch eine besondere Art der Hinwendung, n\u00e4mlich auf dem Wege \u00fcber die dissonierende Quart-Gruppe erforderlich.8 Dies ist jedoch hier, wo eine Modulation als nur mit Hilfe von T\u00f6nen der Leiter vor sich gehend vorausgesetzt ist, nicht oder doch nur bedingt m\u00f6glich.\nDenn, angenommen etwa, es moduliere eine Melodie in jC-Dur abschliefsend nach /* *, so w\u00fcrde ein ganz vollkommener Abschlufs ein diesem f vorangehendes b als Quart verlangen; \u2022dieses findet sich jedoch nicht in der c-Leiter. Nur die \u00e4hnlich wirkende4 Sext steht in Gestalt des d einer Abschlufswendung nach f zur Verf\u00fcgung (rhythmisches Verh\u00e4ltnis :/*: 6 = 3:4; b:d:f= 4:5:6; f\\d = 3:5).\nEbenso steht es f\u00fcr eine abschliefsende Modulation in Moll nach der Sext. Die Quart fehlt auch hier; nur die Sext kann xu ihrem Ersatz herangezogen werden (in c-Moll:/*, w\u00e4hrend des, welches die Quart der Sext as w\u00e4re, aufserhalb der Leiter liegt).\nDagegen fehlt bei der Quint in Dur jede M\u00f6glichkeit, dem Abschlufs den Charakter des endg\u00fcltigen oder auch nur relativ\n1 Vgl. S. 353/354 d. A.\n*\tVgl. hierzu S. 360 ff. d. A. \u201eDie Angleichung\u201c.\n*\tVgl. S. 419 und S. 349 ff. d. A.\n*\tVgl. S. 348 ff. d. A.\n.Zeitschrift f\u00fcr Psychologie 35.\n29","page":449},{"file":"p0450.txt","language":"de","ocr_de":"450\nFritz Weinmann.\nendg\u00fcltigen durch eine vorangehende Quart und Sext bzw. Sext allein zu verleihen. Hier liegt zwar die betreffende Quartgruppeinnerhalb der Leiter ; sie ist jedoch identisch mit der Tonikagruppe, von der ausgegangen wurde, die verlassen werden solL F\u00fcr eine in c beginnende Melodie z. B., welche auf der Quint g endet, bilden die gegens\u00e4tzliche Quartgruppe des g die T\u00f6ne c\u2014e \u2014 g (g:c~ 3:4), also eben die Tonika mit ihrer Terz und Quint, welche unwirksam gemacht werden soll. Wird nun diese Gruppe oder einer ihrer T\u00f6ne gebracht, so wirken sie immer wieder eben als Tonikagruppe, nicht als Quartgruppe der Quintr vereiteln also eine definitiv abschliefsende Modulation nach dieser letzteren.\nEine besondere Stellung nimmt demgegen\u00fcber wieder die-kleine Terz in Moll ein. F\u00fcr diese liegt die vollst\u00e4ndige Quart-gruppe (z. B. in c-Moll f\u00fcr es: die T\u00f6ne as\u2014c\u2014es \u2014 rhythm. Verh. : es : as ==3:4; as : c : es = 4 : 5 : 6) innerhalb der Leiter. Die Leichtigkeit einer Modulation nach der Moll-Terz, welche zugleich einen definitiven Abschlufs bedeutet, erkl\u00e4rt sich hieraus.\nDie relative Unvollkommenheit des Abschlusses, welche sich, mit Ausnahme eben der nach der kleinen Terz modulierenden Moll - Melodie, \u00fcberall mehr oder minder geltend macht, verliert nun insoferne an Tragweite, als solche mit einer neuen Tonika abschliefsende Melodien nicht selbst\u00e4ndig auftreten.1 Eben weil sie einem Zusammenhang angeh\u00f6ren, weil sie einen Anschlu\u00df an das Folgende suchen, modulieren sie. Und deshalb ist es in gewissem Sinn, mit R\u00fccksicht auf die Gewinnung des Zusammenhangs, von Vorteil, dafs der Abschlufs kein vollst\u00e4ndiges Zur-Ruhe-Kommen bedeutet.\nAnders nun, wenn die abschliefsende Modulation einer Melodie die Schranken der Leiter von sich weist und ihr Ziel in einem Ton der chromatischen Leiter erreicht.2 Hier kann dann, da die Reihe der zur Verf\u00fcgung stehenden T\u00f6ne-nicht beschr\u00e4nkt ist, dem Abschlufs der Charakter des Definitiven durch Heranziehung der Quartgruppe wie der Leitt\u00f6ne gegeben, werden.\nIm \u00fcbrigen gelten hier entsprechend die oben f\u00fcr die nach.\n1\tY gl. hierzu S. 418 Anm. 1 und S. 404, 405 d. A.\n2\tVgl. S. 448 d. A.","page":450},{"file":"p0451.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n451\nchromatischen T\u00f6nen modulierende, zur Tonika zur\u00fcckkehrende Melodie angestellten Erw\u00e4gungen.1\nDer psychologische Sinn endlich, der den nach einer neuen Basis als Abschlufs modulierenden Melodien innewohnt, gr\u00fcndet auch hier2 auf dem rhythmischen Verh\u00e4ltnis, als welches das' einfache, der ausgestalteten, von einem Ton zu einem anderen f\u00fchrenden Melodie entsprechende Intervall sich darstellt. Auf die betreffenden Abschnitte des ersten Teiles dieser Arbeit sei also diesbez\u00fcglich verwiesen.\nEs er\u00fcbrigt noch, einige Worte allgemein \u00fcber die verschiedene psychologische und \u00e4sthetische Bedeutung zu sagen, welche einer Melodie zukommt, je nachdem sie aus den T\u00f6nen der diatonischen oder chromatischen Leiter sich aufbaut, je nachdem sie moduliert oder nicht moduliert, so, wie es vorangehend nach den einzelnen M\u00f6glichkeiten betrachtet wurde. Genauer gesagt: es ist noch auf das Verh\u00e4ltnis zwischen Struktur der Melodie einerseits und ihrer psychischen Quantit\u00e4t, sowie ihrem \u00e4sthetischen Gehalt andererseits hinzuweisen.\nWas die psychische Quantit\u00e4t oder die quantitative Energie einer Melodie anlangt, so gilt hier wie angesichts aller \u00e4sthetischen Formen \u00fcberhaupt, die allgemeine Kegel : Je gr\u00f6fser die Mannigfaltigkeit bei gleichzeitig deutlich durchgehender Einheitlichkeit, desto gr\u00f6fser die Eindringlichkeit, die Quantit\u00e4t des Ganzen.3 Speziell auf das Ganze der Melodie angewandt, bedeutet dies, dafs die Melodie um so eindrucksvoller wird, je mehr und je fremdere und gegens\u00e4tzlichere T\u00f6ne sie als Bestandteile in sich aufnimmt. Dabei n\u00e4hert sie sich aber zugleich immer mehr einer Grenze, jenseits welcher das Gleichgewicht zwischen Einheitlichkeit und Gegens\u00e4tzlichkeit, das \u201eGleichgewicht in der Unterordnung\u201c verloren geht, die Unterordnung einem beziehungslosen Nacheinander weicht.4 Das Maximum der psychischen Quantit\u00e4t stellt sich ein bei einem Optimum an Einheitlichkeit und Differenzierung.\n1 Vgl. S. 445/446 ff. d. A.\t2 Vgl. S. 447/448 d. A.\n3\tVgl. Lipps: \u201eDie Quantit\u00e4t in psych. Gesamtvorg\u00e4ngen\u201c, in den\nSitzungsber. der bayer. Akad. d. Wiss. 1899, Bd. I, S. 391 ff.\n4\tVgl. die Einleitung der Arbeit.\n29*","page":451},{"file":"p0452.txt","language":"de","ocr_de":"452\nFritz Weinmann.\nKonkret ausgedr\u00fcekt w\u00fcrde dies heifsen: Diejenige Melodie steht \u2014 streng genommen \u2014 am h\u00f6chsten, welche die T\u00f6ne der diatonischen Dur- oder Moll-Leiter, und zwar diese alle, umfafst und ihren verschiedenen Funktionen gem\u00e4fs ausn\u00fctzt. Mit der fortschreitenden Heranziehung chromatischer T\u00f6ne1 dagegen beginnt langsam auch die Abschw\u00e4chung der Eindringlichkeit einer Melodie, wenngleich dieselbe sich andererseits dadurch reicher zu entfalten vermag.\nDamit geht nun Hand in Hand auch der \u00e4sthetische Gehalt von Melodien.\nJe mehr eine Melodie auch die der Tonika gegens\u00e4tzlichen T\u00f6ne der diatonischen Leiter in ihr Bereich zieht, desto mehr Leben scheint sie zu haben. Hemmung und \u00dcberwindung, Streit und Sieg, bald heftigerer, bald leichterer Art, glauben wir in ihr ausgedr\u00fcckt zu finden, \u201ef\u00fchlen\u201c wir in sie \u201eein\u201c.2 Und der Zwiespalt w\u00e4chst, das innere Leben der Melodie wird reicher, umfassender, zugleich aber auch nimmt die Geschlossenheit ab, die Unruhe und Unbestimmtheit zu, je mehr chromatische T\u00f6ne hereinkommen und eine Rolle zu spielen anfangen.\nIn beiden F\u00e4llen, sowohl was die psychische Quantit\u00e4t einer Melodie als ihren \u00e4sthetischen Wert betrifft, decken sich die h\u00f6chsten Anspr\u00fcche mit der Forderung klarer, weder zu primitiver, noch zu komplizierter rhythmischer Verh\u00e4ltnisse. Der verbindende Grundrhythmus soll erkennbar alle sich ergebenden Beziehungen beherrschen und den Widerstreit der Rhythmen logisch l\u00f6sen, \u2014 der \u201everbindende Grundrhythmus\u201c, von dem ausgegangen wurde als der Bedingung aller Melodie, als der Bedingung aller \u201eMusik\u201c \u00fcberhaupt.\nDer Kreis dieser Betrachtungen ist hiermit durchlaufen.\nDer Verfasser hatte sich zur Aufgabe gestellt, ankn\u00fcpfend an die alte, von Theodor Lipps wieder aufgenommene und psychologisch begr\u00fcndete Theorie, wonach die Beziehungen von T\u00f6nen auf ihren Schwingungsverh\u00e4ltnissen beruhen, ankn\u00fcpfend an diese Theorie die einzelnen Tonschritte der Ton-\n1\tDie in einer Tonnmschreibung gegebenen chrom\u00e2t. T\u00f6ne sind nicht \u201echromatische T\u00f6ne\u201c in diesem Sinne wie hier, weshalb eben die \u201eTonumschreibungen\u201c als ein Kapitel f\u00fcr sich in dieser Arbeit von der \u201echromatischen Leiter\u201c getrennt wurden. Vgl. S. 374/375 d. A.\n2\tVgl. Lipps: \u201eVon der Form der \u00e4sthet. Apperzeption\u201c S. 387/388.","page":452},{"file":"p0453.txt","language":"de","ocr_de":"Zur Struktur der Melodie.\n453\nleiter und weiter den eigentlichen Aufbau der Melodie einer Untersuchung zu unterziehen.\nHierbei mufste, um den Ausgangspunkt zu gewinnen, zum Teil von Lipps schon Gesagtes wiederholt werden. Die Weiterf\u00fchrung der vertretenen Ansichten mufste sich dann vor allem dem Moll-System, fernerhin der chromatischen Leiter zuwenden. Mit einer Er\u00f6rterung \u00fcber gewissermafsen feststehende, f\u00fcr sich abgeschlossene Formen, \u00fcber die ornamentartigen Tonumschreibungen schlofs der erste Teil der Arbeit. Im zweiten wurde dann versucht zu zeigen, wie sich aus jenen Elementen die Melodie selbst aufbaut, genauer gesagt, wie die einzelnen Tonstufen gem\u00e4fs den rhythmischen Beziehungen untereinander im Melodieganzen unterschiedliche Bedeutung gewinnen.\nZur Belebung und Erl\u00e4uterung des Vorgetragenen wurden teilweise ad hoc konstruierte, zum Teil aus der musikalischen Literatur entnommene Beispiele herangezogen.\n(Eingegangen am 3. April 1904.)","page":453}],"identifier":"lit32050","issued":"1904","language":"de","pages":"340-379, 401-453","startpages":"340","title":"Zur Struktur der Melodie [In zwei Teilen]","type":"Journal Article","volume":"35"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T15:56:06.471478+00:00"}