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{"created":"2022-01-31T16:28:45.958842+00:00","id":"lit32068","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Ziehen, Th.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 305-343","fulltext":[{"file":"p0305.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnif8theoretische Auseinandersetzungen.\nVon\nProf. Th. Ziehen in Utrecht.\nIn den folgenden Abhandlungen werde ich meine erkenntnifs-theoretischen S\u00e4tze, wie ich sie k\u00fcrzlich systematisch entwickelt habe *, mit solchen \u00e4lteren und neueren erkenntnifstheoretischen Lehren vergleichen, welche dank ihrer Begr\u00fcndung Beachtung verdienen. Ich werde dabei mannigfach Gelegenheit finden, meine eigenen erkenntnifstheoretischen S\u00e4tze bis in speciellere Konsequenzen zu verfolgen. Die Thatsache, dafs diese Erkenntnistheorie \u2014 wenigstens nach meiner Absicht und nach meiner Ansicht \u2014 ausschhefslich auf psychophysiologischen That-Sachen aufgebaut ist, mag den folgenden Auseinandersetzungen als Pafs f\u00fcr diese psychophysiologische Zeitschrift dienen. Es -wird sich n\u00e4mlich allenthalben darum handeln, zu welchen allgemeinsten Vorstellungen die Gesammtheit unserer Empfindungen f\u00fchrt, und dies ist meines Erachtens schliefslich noch Psychophysiologie. Um eine Erkenntniskritik oder Erkenntnistheorie im alten Sinne, um eine Feststellung der Kriterien einer Gewifsheit, Selbstevidenz etc. handelt es sich hier nicht Der Erkenntnifstheoretiker, der eine solche herausklaubt, kommt mir vor wie ein Beamter, der sich selbst Vollmachten ausstellt Die Bezeichnung ..Erkenntnistheorie\u201c ist f\u00fcr das Folgende sonach nur insofern gerechtfertigt, als der Ausgangspunkt stets das Urspr\u00fcnglich-Gegebene und da\u00bb Ziel die Feststellung der aus dem Urspr\u00fcnglich-Gegebenen hervorgehenden Vorstellungen ist: der Gang dieser Vorstellungsentwickelung, wie er sich vollziehen mufs, wenn wir die Gesammtheit des Urspr\u00fcnglich-\n1 Psychophysiologische Hrkenntnifntheorie. Jena, G. Fischer, 1HU8. Im Folgenden citire ich Met\u00bb: I'm. Krk.th.\nZeitschrift f\u00fcr Pcyc-bologi* S*.\t^","page":305},{"file":"p0306.txt","language":"de","ocr_de":"306\nTh. Ziehen.\nGegebenen ohne Znthaten zn allgemeinen Vorstellungen verarbeiten, wird dargelegt Eine solche Erkenntnistheorie mois daher mehr sein als eine Erkenntniskritik : allenthalben mu6 sie auch zn positiven S\u00e4tzen in allgemeiner Form fuhren. Dabei st\u00f6fst sie allenthalben auf andere Erkenntnistheorien, welche denselben Anspruch erheben, und ist daher verpflichtet, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dieser Verpflichtung komme ich jetzt nach. Die Reihenfolge dieser Auseinandersetzungen mag zun\u00e4chst als willk\u00fcrlich gelten. Der Verlauf wird ergeben, dais sie f\u00fcr den Aufbau des Ganzen nicht gleichg\u00fcltig ist\n1. Avexabics. Die Kritik der reinen Erfahrung1 und der Empiriokriticismus.\nDas System von Avexabius setze ich als bekannt voraus. Auf die Versuche seiner Sch\u00fcler, dies System weiter zu verbreiten und auszubilden, gehe ich nur gelegentlich kurz ein/ Ich erhebe daher sofort die f\u00fcr die Kritik in erster Linie maals-gebende Frage: welches ist f\u00fcr Avexabius der erkenntnils-theoretische Fundamentalbestand? Sein Hauptwerk giebt darauf eine unzweideutige Antwort in dem ersten \u201eempiriokritischen Axiom\u201c, dem \u201eAxiom der Erkenntnifsinhalte\u201c. Dasselbe lautet: \u201eJedes menschliche Individuum nimmt urspr\u00fcnglich sich gegen\u00fcber eine Umgebung mit mannigfaltigen Bestandteilen, andere menschliche Individuen mit mannigfaltigen Aussagen und das Ausgesagte in irgendwelcher Abh\u00e4ngigkeit von der Umgebung an : alle Erkenntnifs-Inhalte der philosophischen Weltanschauungen \u2014 kritischer oder nicht-kritischer \u2014 sind Ab\u00e4nderungen jener\n1 Der erste Band ist 1888, der zweite 1890 erschienen. Anf eine fr\u00fchere Schrift von Avenartus \u201ePhilosophie als Denken der Welt nach dem Princip des kleinsten Kraftmaafses. Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung. 1876M gehe ich nicht ein ; sie ist f\u00fcr die Entwiche]angsgeschichte des AvE.NARius\u2019schen Systems sehr interessant, aber ihre Haupts\u00e4tze sind von Avkxarius in seinen sp\u00e4teren Werken fast geflissentlich unerw\u00e4hnt geblieben und stehen auch in der That zu seinem sp\u00e4teren System z. Th. in Widerspruch.\n* Oefters werde ich auf die kritische Bsprechung des Empiriokriticismus durch Wundt (Philosoph. Studien 13 (1); 1896) hin weisen. Die wesent liehe Verschiedenheit meiner Besprechung von der WuNDT\u2019schen ergiebt sich aus der absoluten Verschiedenheit des erkenntnifstheoretischen Standpunktes.","page":306},{"file":"p0307.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n307\nurspr\u00fcnglichen Annahme.\u201c1 Schon hier scheiden sich die Wege. Avenarius geht nicht von dem urspr\u00fcnglich-gegebenen That-bestand aus, sondern von einer allerdings weit-verbreiteten Annahme, welche an den urspr\u00fcnglichen Thatbestand angekn\u00fcpft wird. Urspr\u00fcnglich gegeben sind uns zun\u00e4chst nur zahllose Empfindungen und zahllose an sie angekn\u00fcpfte Vorstellungen. Er greift aus den letzteren willk\u00fcrlich eine einzelne Vorstellung (\u201eAnnahme\u201c) heraus. Der alte Gegensatz von Subject (Individuum) und Object (Umgebung) schleicht sich hier sofort unter einer neuen Maske wieder ein. Das Willk\u00fcrliche verr\u00e4th sich schon in der Ausdrucksweise, ein Umgebungsbestandtheil sei \u201egesetzt\u201c.2 Mit diesem \u201egesetzt\u201c l\u00e4fst sich gar keine Vorstellung verbinden. Das alte \u201eesse\u201c erscheint hier doch wieder. F\u00fcr den erkenntnifstheoretischen Fundamentalbestand existirt nur \u201eempfunden\u201c oder \u201evorgestellt\u201c und auch dies nicht im Sinne eines Passivs oder einer Th\u00e4tigkeit, sondern schlechthin als Erlebnifs. Von einem Dritten wissen wir noch gar nichts. Alles Folgende ergiebt, dafs Avenarius schon hier dem Umgebungsbestandtheil ein geheimnifsvolles, erkl\u00e4rungsbed\u00fcrftiges, aber nicht-erkl\u00e4rtes Esse zuschreibt, was von Empfindung und Vorstellung verschieden ist. W\u00e4hrend uns in Wirklichkeit \u2014 aufser den Vorstellungen \u2014 nur Empfindungen und unter den letzteren Geh\u00f6rsempfindungen der Aussagen unserer Mitmenschen gegeben sind, zweigt A. von den Empfindungen hypothetische Umgebungs-bestandtheile (i?-Werthe) ab, und setzt an die Stelle der Geh\u00f6rsempfindungen der Aussagen meiner Mitmenschen Werthe, welche der Aussage eines Individuums als Ausgesagtes zugeordnet werden (J5-Werthe). Die sch\u00f6nen Auseinandersetzungen S. 21/22 erwecken allerdings nochmals die Hoffnung, dafs Avenarius unter den Rs nur die Empfindungen und unter den \u00c6'-Werthen nur die Aussage-Empfindungen (sit venia verbo) versteht, aber die folgenden Auseinandersetzungen zerst\u00f6ren diese Hoffnung sehr bald. Dadurch, dafs A. die Ich\u2019s anderer Individuen statt seines eigenen einschiebts, wird die Entt\u00e4uschung nur etwas l\u00e4nger hingehalten. Es bleibt n\u00e4mlich bei der Grundvoraussetzung von Avenarius\n1\tKr. d. r. Erf. Bd. I, S. VII.\n2\tEbda. 8. 3.\n* Eine ausreichende Kritik dieser Einschiebung selbst hat Wundt a. a. O. S. 53 fl. gegeben.\n20*","page":307},{"file":"p0308.txt","language":"de","ocr_de":"308\nTh. Ziehen.\nzun\u00e4chst noch immer die Auffassungsm\u00f6glichkeit offen, dafs die ganze Ver\u00e4nderungsreihe R\u2014 C\u2014E lediglich sich darstelle als -die Reihe der Empfindungs\u00e4nderungen, welche ich selbst erlebe, wenn \u2014 um mit dem gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauch zu reden \u2014 ein Object R auf die Hirnrinde C eines Mitmenschen wirkt und .diesen zu Aeufserungen E veranlafst Man sollte erwarten, dals Avenarius alsbald auf diese dringende erkenntnifstheoretische Frage einginge. Statt dessen erfolgt jene weitausholende metaphysisch-biologische Speculation \u00fcber die Selbsterhaltung, Vitaldifferenz u. s. w. des Systems C.1 F\u00fcr die Erkenntnistheorie sind diese Er\u00f6rterungen belanglos.\nWeder hat Avenarius den erkenntnifstheoretischen Fundamentalthatbestand selbst richtig dargestellt noch, wie es wohl eigentlich in der Absicht der Kritik der reinen Erfahrung lag. die Aussagen der Mitmenschen \u00fcber den erkenntnifstheoretischen Fundamentalthatbestand richtig wiedergegeben. Das Individuum sagt : ich sehe einen Baum oder das ist ein Baum. Damit ist ein Erlebnifs gegeben, welches ich als Empfindung bezeichnet habe (warum, wird sich sp\u00e4ter zeigen), welches man aber nat\u00fcrlich ebensogut als \u201eUmgebungsbestandtheil\u201c bezeichnen kann; -es kommt nur darauf an, dafs man bei dem Wort \u201eEmpfindung\u201c und bei dem Wort \u201eUmgebungsbestandtheil\u201c nichts insgeheim hinzudenkt, sondern bei dem Erlebnifs selbst stehen bleibt* *\nAufser dem Erlebnifs \u201eBaum\u201c ist nur die Aussage des Individuums und auch diese nur als Erlebnifs gegeben. H\u00e4tte Avenarius das erstere als i?-Werth, die letztere alsl\u00a3-Werth bezeichnet, so w\u00e4re nichts einzuwenden gewesen. Die weitere Analyse h\u00e4tte dann ergeben, dafs bei der Beschr\u00e4nkung der Betrachtung auf die eigene Person die E-Werthe \u00fcberfl\u00fcssig werden und die Erlebnisse selbst, meine Empfindungen, die i?-Werthe von Avenarius (wie er sie h\u00e4tte formuliren m\u00fcssen) allein \u00fcbrig bleiben. Statt dessen schiebt nun Avenarius den Aussagen (den JE^Werthen, wie er sie h\u00e4tte formuliren m\u00fcssen) Aussageinhalte (Ausgesagtes) unter (Nr. 27), identificirt diese Aussageinhalte mehr und mehr mit den Erlebnissen selbst und \u00fcbersieht, dafs diese Aussageinhalte nichts\n1 Ich darf bez\u00fcgl. dieser Er\u00f6rterungen auf die Kritik Wundt\u2019s a. a 0. S. 49, 165 etc. und die Antikritik von Cabstanjen Vierteljahrsschr. f. ifi# Philos. 22, S. 76 verweisen.\n* Auch Bewufstseinsinhalt hat man dies Erlebnifs oft genannt, nur verbindet man damit erst recht Nebenvorstellungen.","page":308},{"file":"p0309.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische A useinandersetzuvgen.\n309\nanderes sind als die schon mit einem Namen bedachten Umgebungsbestandtheile. Damit ist der Dualismus gegeben. Unvermerkt verwandeln sich jetzt die Umgebungsbestandtheile, die eigentlich mit den Erlebnissen identisch waren und auch vom gew\u00f6hnlichen Menschen mit diesen vollkommen identificirt werden (Ps. Erkth. S. 105), in die materiellen Objecte oder Reize der Naturwissenschaft, und so wird der Dualismus unheilbar.\nBez\u00fcglich der biologischen Speculationen l\u00e4fst sich leicht nach-weisen, dafs es sich um scheinbar rein logische Constructionen handelt, welche nur soweit zutreffen, als sie insgeheim durch physiologische Erfahrungsthatsachen beeinflufst, also nicht rein logisch sind.1 Ebenso sind auch die Er\u00f6rterungen2 * \u00fcber Systeme C h\u00f6herer Ordnung f\u00fcr die Erkenntnistheorie gleichg\u00fcltig ; sociologische Erfahrungsthatsachen haben hier den Mentor f\u00fcr die logische Analyse \u2014 allerdings in der Tarnkappe \u2014 gespielt. Der Werth aller dieser Er\u00f6rterungen liegt nur in der consequenten Durchf\u00fchrung einer Darstellung der \u201eAenderungen des Menschen*4 \u201eohne Hinzuziehung der weiteren Annahme eines Bewufstseins\u201c. Die Erkenntnistheorie kommt dabei insofern zu kurz, als Avenarius vergifst, dafs alle diese Vitalreihen nur als Bewufstseinsthatsachen gegeben sind.\nDer 2. Band ist der Untersuchung der abh\u00e4ngigen Vitalreihe gewidmet. '' Die Er\u00f6rterungen \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der Schwankungsform und -gr\u00f6fse liegen wiederum der allgemeinen Erkenntnistheorie fern. Nur der in Nr. 481 eingef\u00fchrte Begriff des \u201eExistentials\u201c k\u00f6nnte wieder eine Perspective in allgemein-erkenntnifstheoretisches Gebiet er\u00f6ffnen. Das Existential soll eine Componente des \u201eFidentials\u201c darstellen. Eine scharfe Definition wird nicht gegeben; der Hinweis auf das \u201eSeiende\u201c, die \u201eWirklichkeit\u201c ist nur eine Umschreibung. Zusammengestellt wird das Existential mit dem Notal und Secural,\n1\tEs kann daher auch nicht zugegeben werden, dafs sich der Empirio-kriticismus mit diesen Ausf\u00fchrungen, wie Carstakjen sagt (Yicrteljahrsschr. f. tcisa. Philos. 22, 84; 1898), \u201e\u00fcber die Naturwissenschaft erhebt und ihren Resultaten durch allgemein-logische Aufstellungen vorgreifty.\n2\tI, S. 153ff. Vgl. die vollkommen zutreffende Kritik Wundt\u2019s a. a. O. S. 66.\n8 Nebenbei sei bemerkt, dais die Deduction Bd. II, S. 4 ff. auch insofern\nl\u00fcckenhaft ist, als nicht nachgewiesen wird, dafs ohne Vitaldifferenz E-Aub-sagen nicht Vorkommen; ebenso wird nicht nachgewiesen, sondern ohne Nachweis vorausgesetzt, dafs speciell die sich ausgleichenden Vitaldifferenzen zu ^-Aussagen Anlafs geben.","page":309},{"file":"p0310.txt","language":"de","ocr_de":"310\nTh. Ziehen.\nobwohl die Beziehung zu den beiden letzteren nur eine h\u00e4ufige, keine durchg\u00e4ngige ist. Allerdings sind wir oft geneigt das uns Unbekannte und Unheimliche als scheinhaft, als nicht-seiend, als nicht-wirklich zu betrachten, aber nicht selten erscheint uns auch das Unbekannte und Unheimliche als durchaus wirklich A. scheint dies auch selbst anzuerkennen (vgl. Nr. 482), bringt aber trotzdem keine zureichenden Gr\u00fcnde f\u00fcr die Zusammenfassung der drei Fidentiale bei.1 Man kann sogar noch weiter gehen und gegen die Ausf\u00fchrungen von Aven\u00e4bius einwenden, dafs das Existential durchaus nicht immer ein Fidential ist: denn nicht selten erscheint uns etwas als wirklich, was durchaus keinen relativ grofsen Uebungswerth hat. Ich weifs wohl, dafs Avenaeics sich \u2014 wenigstens Nr. 473 \u2014 gegen eine directe logische Rubricirung seiner Begriffe verwahrt, aber er selbst giebt \u2014 wenigstens scheinbar \u2014 bei der Darstellung des Exi-stentials diesem Begriff allenthalben durchaus das logische Gepr\u00e4ge, statt den eigenartigen, an einzelnen Beispielen von ihm so ausgezeichnet geschilderten psychologischen Zustand des Exi-stentials auch psychologisch zu analysiren. Eine solche Analyse h\u00e4tte ihn eben gelehrt, dafs das Existential durchaus nicht stets mit einem relativ hohen Uebungswerth zusammenh\u00e4ngt, sondern an ein eigenartiges Merkmal gebunden ist, welches man in Ueber-einstimmung mit den Aussagen der Umgebungspersonen als sinnliche Lebhaftigkeit bezeichnen kann und der sp\u00e4ter zu er-w\u00e4hnenden \u201eSachhaftigkeit\u201c sehr nahe steht.\nIn den Er\u00f6rterungen Nr. 509 ff., welche die Aussage von \u201eSachen\u201c behandeln, wird die erkenntnifstheoretische Frage nicht ber\u00fchrt. Die von Aven\u00e4bius Nr. 533 aufgestellte Reihe der Satzungsformen \u201eSache, Nachbild, Gedanke, Nachgedanke\u201c ist nicht zutreffend. In der Regel setzen die Individuen die Nr. 510 gemeinten ausgezeichneten 22-Werthe gar nicht als Sachen (Nr. 511), sondern als i^-Werth tritt die Aussage von Sachen auf. Den AAVerthen selbst kommt die Sachhaftigkeit ebensowenig zu wie die gr\u00fcne Farbe. Wenn man aber selbst direct f\u00fcr die Aussage den zu Grunde liegenden psychischen Zustand setzt, so rn\u00fcfste A. von Anfang an ber\u00fccksichtigen, dafs die Aussagen eine doppelte Reihe bilden, welche beispielsweise\n1 Die in Nr. 492 behauptete Gemeinsamkeit der Grundbedingung ihrer Entwickelung trifft, wie oben erw\u00e4hnt, nicht zu.","page":310},{"file":"p0311.txt","language":"de","ocr_de":"Erkmntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n311\nso auszudr\u00fccken w\u00e4re: hier ist ein gr\u00fcner Baum und hier sehe ich einen gr\u00fcnen Baum. \u201eDie Sache besitzt nicht ihr Positional in der Wahrnehmung\u201c (Nr. 538), sondern die Analyse der Aussagen der Individuen ergiebt als erstes Glied der obigen Reihe die Empfindung bezw. nach Avenabius terminologischem Vorschlag (Nr. 536) eine Wahrnehmung, die sich vor der Vorstellung durch die sinnliche Lebhaftigkeit auszeichnet, und erst die Empfindung oder Wahrnehmung empf\u00e4ngt sehr oft den positionalen Charakter, welchen A. als Sachhaftigkeit bezeichnet. Davon ist nun aber wieder das Verh\u00e4ltnifs zu unterscheiden, in welchem sich der Aussagende zu dem betreffenden E-Werth findet. Nach Avenabius (Nr. 538) soll der Aussagende \u201edie Sache wahrnehmen\u201c und \u201eden Gedanken vorstellen\u201c. Das entspricht weder den Aussagen schlechthin noch ihrer Analyse. Avenabius verwechselt das afficirte und das efficirte Object Die Aussage schlechthin lautet: ich nehme die Sache z. B. den Baum wahr und stelle auch die Sache z. B. den Baum vor. Der Unterschied des positionalen Charakters in beiden F\u00e4llen ist die sinnliche Lebhaftigkeit, wie sie die Individuen bald mit diesem bald mit jenem Wort beschreiben. Die Einf\u00fchrung des Terminus Sache in die Reihe der Setzungsformen ist also vom erkenntnifs-theoretischen Standpunkt zum Wenigsten \u00e4ufserst gef\u00e4hrlich. Gerade, weil Avenabius sonst mit Bezeichnungen, welche durch den seitherigen Gebrauch pr\u00e4judieiren k\u00f6nnten, so vorsichtig ist, ist die Unvorsichtigkeit an dieser Stelle doppelt auff\u00e4llig. Endlich ist wenigstens anzumerken, dafs A. die Frage, wieso der Aussagende sich in einem Verh\u00e4ltnifs zu den i\u00a3-Werthen finden kann, gar nicht ber\u00fchrt A. verl\u00e4fst mit der Annahme eines solchen Verh\u00e4ltnisses den erkenntnifstheoretischen Fundamentalthatbestand und damit den reinen empiriokritischen Standpunkt vollst\u00e4ndig: dieser kennt nur R, C und i\u00a3-Werthe, aber keinen Aussagenden als Werth aufserhalb der R, C und 2\u00a3-Werthe. Das Ich-Bezeichnete seiner sp\u00e4teren Lehren wirft hier bereits seine Schatten voraus.\nDieser Mangel an Unterscheidungssch\u00e4rfe tritt denn in der That auch in Avenabius\u2019 eigenen Beispielen sehr deutlich hervor. Der in Nr. 518 angef\u00fchrte Fremde, welcher in Rom weilt, wird wahrscheinlich nicht stets sagen: Vor mir habe ich Rom und denke an seine Gr\u00fcndung, sondern ebenso oft: \u201eVor mir sehe ich Rom und denke an seine Gr\u00fcndung.\u201c Jedenfalls meint er","page":311},{"file":"p0312.txt","language":"de","ocr_de":"312\nTh. Ziehen.\nauch mit dem \u201ehaben\u201c im Wesentlichen das \u201eSehen\u201c. Der Inhalt seiner Aussage \u2014 und dieser macht den \u00c6-Werth aus (vgl. Nr. 27 u. 29) \u2014 ist also in den meisten F\u00e4llen gar nicht schlechthin: \u201eRom \u2014 Sache\u201c, wie Avenabius annimmt, sondern erheblich complicirter : der Fremde sagt in erster Linie eine Empfindung aus. Hier r\u00e4cht es sich, dafs Avenabius die E-Werthe nicht eindeutig definirt hat. \u201eInhalt einer Aussage\u201c ist vieldeutig. Aus dem Inhalt wird hier ein hypothetisches Empfindungsobject. Avenabius behandelt daher auch die beiden Aussagen: \u201eich sehe Rom\u201c und \u201eich denke an Rom\u201c in ganz ungerechtfertigter Weise verschieden. Bei der ersteren Aussage soll die Sache Rom den E-Werth darstellen (statt der Gesichtsempfindung), bei der zweiten Aussage hingegen soll das Denken Roms, der \u201eGedanke Rom\u201c den 2\u00a3-Werth darstellen. Im ersteren Fall wird das Verbum ignorirt, im letzteren nicht. Nur durch diesen Fehler gelangt A. zu der merkw\u00fcrdigen oben angef\u00fchrten Reihe, in welcher auf die \u201eSache\u201c sofort das \u201eNachbild\u201c folgt\nA. hat wohl selbst gef\u00fchlt, dafs seine Er\u00f6rterung nicht gen\u00fcgend sei, aber seine in Nr. 534\u2014539 folgenden Erg\u00e4nzungen machen den Fehler nicht wieder gut. Die Thatsache, dafs Rom, zugleich als ein Gesehenes charakterisirt ist, ist nicht ein Ad-ditament, sondern ist ein wesentlicher Inhaltsbestandtheil der Aussage.\nRichtig gestellt m\u00fcfste die AvENARius\u2019sche Deduction folgender-maafsen lauten. Bei gegebenem \u00c6-Werth (im Sinne von Avenabius) treten vier verschiedene A'-Werthe auf, die, um nichts zu pr\u00e4ju-diciren, Su S2, <S3 und Si heifsen m\u00f6gen. Sj unterscheidet sich von (d. h. in der incorrecten Terminologie von Avenabius die Sache von dem Gedanken) durch ein nicht-definirbares, aber aus den Aussagen der Umgebungspersonen durchweg zu entnehmendes Merkmal, welches man z. B. als sinnliche Lebhaftigkeit oder auch durch einen beliebigen Buchstaben bezeichnen kann. Als afficirtes bezw. recipirtes Object wird f\u00fcr Sj eine hypothetische Sache, f\u00fcr S9 dieselbe Sache oder oft auch <Sj ausgesagt. Als efficirtes Object der Th\u00e4tigkeit der Person wird f\u00fcr \u00bbSj Empfindung bezw. Wahrnehmung, f\u00fcr S3 Gedanke bezw. Vorstellung ausgesagt. Endlich als Subject sowohl des Afficirens bezw. Recipirens als auch des Efficirens wird ein Jch ausgesagt. So und nicht anders h\u00e4tte die Deduction von dem eigenen Standpunkt A.\u2019s lauten m\u00fcssen. Die weitere Analyse h\u00e4tte alsdann","page":312},{"file":"p0313.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Ameinandersetzungen.\n313\nbald ergeben, dafs alle diese Aussagen aus dem einen That-bestand, welchen die Person selbst zum efficirten Object umdeutete, also aus der Empfindungs- und Vorstellungsreibe hervorgegangen sind. Zugleich w\u00e4ren dabei die i?-Werthe entlarvt worden als eigenartig umgearbeitete Vorstellungen, also als S8\u2019s, welche wir den s substituiren. Die R-Werthe, welche A. urspr\u00fcnglich vorfindet, h\u00e4tten sich im Sinne von Avenarius als eine Setzungsform entpuppt DieReihe derl\u00a3-Werthe w\u00e4re allein\u00fcbrig geblieben. Damit ist man aber zu dem erkenntnifstheoretischen Fundamentalbestand gelangt, welchen ich meinen Er\u00f6rterungen zu Grunde gelegt habe.1\nEs ist nat\u00fcrlich, dafs Avenarius f\u00fcr die Wahrnehmung (Empfindung vgl. Nr. 536) keinen Raum beh\u00e4lt Sie wird zum \u201epositionalen Charakter\u201c der \u201eSache\u201c (Nr. 536\u2014538). Auf Grund hinzukommender \u201euneigentlicher Gef\u00fchle\u201c werden die als Sachen gesetzten Elemente oder Charaktere zugleich als \u201eWahrgenommenes\u201c charakterisirt, und \u201edie Aufl\u00f6sung des Wahrgenommenen als Bestand in die fliefsenden Werthe des Actes er-giebt dann die Wahrnehmung\u201c.- Avenarius scheint unter jenen uneigentlichen Gef\u00fchlen besondere Organempfindungen zu verstehen. Diese spielen jedoch thats\u00e4chlich eine \u00e4ufserst geringe Rolle. In der That beruht vielmehr z. B. die \u201eCharakteri-sirung\u201c eines Lichts (einer Lichtempfindung) als \u201egesehener\u201c (als optischer Empfindung) erstens auf der speciellen optischen Empfindungsmodalit\u00e4t (im Sinne von Helmholtz), zweitens auf der durch andere Sinnesorgane controlirten Erfahrung, dafs bei Augen-\n1 Bei dieser Polemik gegen Avenarius m\u00f6chte ich nur kurz hervorheben, dafs ich andererseits die kurzen Ausf\u00fchrungen Nr. 532 und 533 f\u00fcr sehr bedeutsam halte; mit dem oben er\u00f6rterten Streitpunkt stehen sie in keiner Verbindung.\n9 Die Erl\u00e4uterung, welche Carstanjen f\u00fcr den AvENARius'schen Wahrnehmungsbegriff giebt a. a. O. S.273, deckt sich vielleicht mit den Intentionen von Avenarius, jedenfalls aber nicht ganz mit dem Wortlaut und Sinn seines Werkes, wie es vorliegt. Nach Carstanjen handelt es sich bei der Sache um die peripherisch bedingte Abh\u00e4ngigkeit von einem Umgebungs-bestandtheil R, bei der Wahrnehmung um die peripherisch bedingte Abh\u00e4ngigkeit vom Individuum. Da nach A. jeder E-Werth von 1^ und vom Individuum abh\u00e4ngig ist, so ist in jedem Fall die Unterscheidung von Sache und Wahrnehmung erst das Ergebnifs besonderer Reflexionen, deren Untersuchung nicht h\u00e4tte unterlassen werden d\u00fcrfen.","page":313},{"file":"p0314.txt","language":"de","ocr_de":"314\nTh. Ziehen.\nschlufs die Lichtempfindung verschwindet u. AehnL Die modale Bestimmtheit als Charakterisirung zu bezeichnen, ist \u00fcberfl\u00fcssig, sie ist kein Additament, sondern wesentlich f\u00fcr das Erlebnifs; die Erfahrungen \u00fcber die Unerl\u00e4fslichkeit eines bestimmten Sinnesorgans als Charakterisirung zu bezeichnen, ist geradezu gef\u00e4hrlich, weil diese Bezeichung dazu verf\u00fchrt, zu \u00fcbersehen, welch ein immerhin nicht ganz einfacher, jedenfalls untersuchungsbed\u00fcrftiger Vorstellungsprocefs hier im Spiele ist. Gerade, wenn Avenakius, wie er selbst und seine Sch\u00fcler behaupten, in der Kritik der reinen Erfahrung nur schildern will, wie die Individuen thats\u00e4chlich ihre Erfahrungen beschreiben, ohne entscheiden zu wollen, ob ihre Beschreibung zutreffend ist, h\u00e4tte es einer exacteren Darstellung dieser \u201ePositionalcharaktere\u201c bedurft Der eben hervorgehobene Irrthum der AvENAKius\u2019schen Darstellung r\u00e4cht sich bei der Feststellung des \u201eanalytischen Begriffs der reinen Erfahrung\u201c. Dieser leidet \u00fcberhaupt im Gegen-satz zu dem synthetischen Begriff der reinen Erfahrung, wonach diese ein Ausgesagtes ist, welches in allen seinen Componenten nur Umgebungsbestandtheile zu seiner Voraussetzung hat, an einer bemerkenswerthen Unklarheit. Nr. 5 wurde er definirt als Begriff einer Erfahrung1, welcher nichts beigemischt ist, was nicht selbst wieder Erfahrung w\u00e4re \u2014 welche mithin in sich selbst nichts anderes als Erfahrung ist. Damit scheint A. vorauszusetzen, dafs es noch etwas giebt, was nicht Erfahrung ist. Um festzustellen, was dies sein k\u00f6nnte, m\u00fcssen wir h\u00f6ren, was A.2 unter Erfahrung versteht bezw. was die Individuen selbst als Erfahrung aussagen. Nr. 932 ff. versucht hierauf eine Antwort zu geben. Diese Antwort f\u00e4llt nun sehr unpr\u00e4cis aus, wie das bei einem so schwankenden Wortbegriff vorauszusehen war. Aus den von ihm angef\u00fchrten Beispielen glaubt A. zun\u00e4chst schliefsen zu k\u00f6nnen, dafs nicht jedwede Erfahrung qua 2\u00a3-Werth als von einer Complement\u00e4rbedingung der Gattung R abh\u00e4ngig angenommen werden darf. Dieser Satz ist nur richtig, wenn\n1 Nachtr\u00e4glich hat Avenarius, wie Krebs mittheilt (Vierteljahrsschr. f. wis8. Philos. 20) diese Definition folgendermaafsen abge\u00e4ndert: \u201eals eines Ausgesagten, welchem nichts beigemischt ist\u201c u. 8. f. F\u00fcr die obige Er\u00f6rterung ist diese Correctur belanglos.\n* Ob Avenarius mit der Erweiterung des Begriffs \u201eErfahrung\u201c, welche sich bei Willy findet {Vierteljahrsschr. f. miss. Philos. 20, 1896, S. 62), einverstanden w\u00e4re, ist mir sehr zweifelhaft.","page":314},{"file":"p0315.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n315\nman statt \u201eComplement\u00e4rbedingung\u201c gegenw\u00e4rtige \u201eComplement\u00e4rbedingung\u201c einsetzt Ebenso sind die drei positiven Merkmale, welche A. f\u00fcr die Erfahrung angiebt, nicht stichhaltig. \u201eGemeiniglich\u201c, sagt Avenarius (Nr. 936), wird in den F\u00e4llen, in denen jE-Werthe als Erfahrung bezeichnet werden, ausgesagt\n1.\tein Seiendes bezw. Gewesen-Seiendes ;\n2.\teine Kenntnifsnahme seiner Existenz oder irgend eines existirenden Bestandtheils bezw. Zusammenhangs u. s. w. desselben ;\n3.\teine blofse Kenntnifsnahme, eine Kenntnifsnahme schlecht weg.\nA. selbst kommt denn auch bald zu dem Ergebnifs, dafs zu \u201evermuthen\u201c bleibe, dafs, wenn \u00fcberhaupt Erfahrung ein eigent\u00fcmliches Merkmal besitzt, dasselbe nur mit der dritten der eben aufgez\u00e4hlten analytischen Bestimmungen \u201ezusammenfallen\u201c oder \u201ewenigstens darin irgendwie stecken m\u00f6chte\u201c (Nr. 938). Also die \u201eblofse Kenntnifsnahme\u201c (im Sinne von Nr. 489 u. 490) bleibt \u00fcbrig. Diese Kenntnifsnahme ergiebt aber bei genauerer Analyse wieder nur eine negative Bestimmung (als das \u201eNicht-Erfundene\u201c u. s. w.). Daraus w\u00e4re nun meines Ermessens der Schlufs zu ziehen, dafs eine positive Charakteristik des hypothetisch von Avenarius aufgestellten analytischen Begriffes der reinen Erfahrung nicht m\u00f6glich ist, dafs man entweder alle Aussagen als Erfahrung bezeichnen oder im Sinne des synthetischen Erfahrungsbegriffes die Beziehung auf i?-Werthe fordern mufs. Statt dessen schl\u00e4gt Avenarius, um zu einer positiven Bestimmung zu gelangen, den bedenklichen Weg ein, \u201ezun\u00e4chst nur auf solche F\u00e4lle ausgesagter Erfahrung zu reflectiren, in welchen das Seiende zugleich als Sache eharakterisirt ist\u201c (Nr. 939). Bedenklich ist dieser Weg schon wegen der damit gegebenen Restriction, noch viel bedenklicher aber, weil nunmehr der oben ber\u00fchrte Irrthum zu vollem Einflufs gelangt. Statt die Erfahrung in diesem beschr\u00e4nkten Sinne (\u201edie Erfahrung xar3 \u00e8\u00c7oxijv Nr. 959 u. 965) einfach als Empfindung bezw. Wahrnehmung zu fassen, wie es Avenarius Nr. 942 zun\u00e4chst auch thut, fluthen nun zahlreiche Hyothesen herein, die gegen die sonstige Methode des Werks grell abstechen: Aende-rungen der n\u00e4chsten Umgebung des Systems C, die Functionen und Reactionen der mit sensiblen Nerven versehenen Organe bedingen den Ich- E-Werth, durch Miterregung der Sinnesorgan-","page":315},{"file":"p0316.txt","language":"de","ocr_de":"316\nTh. Ziehen.\nnerven wird mit jeder Wahrnehmung das Individuum mitgesetzt, Sache und Individuum treten sich gegen\u00fcber, erstere wird zum Activ-Seienden, letzteres zum Passiv-Seienden u. s. f. Ich weife nat\u00fcrlich sehr wohl, dafs A. hiermit nur den Gang der Aussagen darstellen will, aber ich behaupte gerade, dafs er eben diesen falsch darstellt. Die physiologischen Annahmen schweben in der Luft, die thats\u00e4chliche Entwickelung der Aussagen ist eine ganz andere. Die so allgemeine und erkenntnifstheoretisch so ver-h\u00e4ngnifsvolle Gegen\u00fcberstellung von Sachen und Ich entwickelt sich auf einem ganz anderen Weg und in einem anderen Sinne: maafsgebend f\u00fcr diese Scheidung von Sachen und Ich war vielmehr Folgendes. Anfangs lautet der Gegensatz nur : eigener Leib und fremde Gegenst\u00e4nde, und ersterer sowohl wie letztere haben reinen Empfindungscharakter. Die Sachen des Kindes sind seine Empfindungen. Sprachlich werden dann von den Empfindungen die Vorstellungen1 unterschieden. Zun\u00e4chst nehmen nur letztere eine Sonderstellung ein. Man denke z. B. an ein zweij\u00e4hriges Kind, das einen abwesenden Gegenstand verlangt. Eine analoge Bedeutung gewinnen die Gef\u00fchlst\u00f6ne und Affecte, insofern sie die Anwesenheit des urs\u00e4chlichen Gegenstandes oft \u00fcberdauern. Weiter werden nun aber die Bewegungen des eigenen K\u00f6rpers mit den Bewegungen anderer K\u00f6rper verglichen. F\u00fcr die ersteren wird nach Analogie der letzteren eine Ursache und zwar im eigenen K\u00f6rper gesucht. Diese Ursache, dies Ich, ist zun\u00e4chst bei dem Kind noch rein k\u00f6rperlich. Bald stellt sich jedoch heraus, dafs kein einzelner K\u00f6rpertheil speciell und allein diese Ursache darstellt, und dafs unsere Vorstellungen dabei betheiligt sind. Damit ist der erste Schritt zur Sonderung des Ichs vom K\u00f6rper geschehen. Dazu kommt nun, dafs die Empfindungen wechseln, je nachdem ich die Augen schliefse, den Kopf drehe, die Hand wegziehe u. s. f., kurzum, dafs die prim\u00e4ren Empfindungssachen von meinem K\u00f6rper (speciell von meinen Sinnesorganen) abh\u00e4ngig sind. Ebenso aber beobachten wir, dafs diese prim\u00e4ren Empfindungssachen sich auch unabh\u00e4ngig von unserem K\u00f6rper \u00e4ndern. Nur wird der von unserem K\u00f6rper und unseren Vorstellungen abh\u00e4ngige Bestandtheil der Empfindungssachen als\n1 Vgl. hierzu und zum Folgenden namentlich auch die \u00f6. Auflage meines Leitfadens der physiologischen Psychologie S. 143 und die Besprechung der \u201eReflexionsbegriffe*\u201c Schuppe\u2019s in der zweiten dieser Abhandlungen.","page":316},{"file":"p0317.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n317\nEmpfindungen zu den Vorstellungen und zum Ich geschlagen, also secund\u00e4r in das Psychische einbezogen, w\u00e4hrend der unabh\u00e4ngige Bestandteil als Sachen den Empfindungen gegen\u00fcbergestellt wird.\nDer tats\u00e4chliche Verlauf der Entwickelung des dualistischen Erfahrungsbegriffes \u201eSache\u201c und \u201eIch\u201c ist also ein ganz anderer, als ihn Avenari\u00fcs darstellt. An diesem entscheidenden Punkt hat ihn seine geniale Construction der Erfahrung aus \u00c4-, C- und Werten im Stich gelassen. Die Positionale sind andere, als er annimmt. Die specifische Modification des Positional-charakters \u201eWahrnehmung\u201c, welche die Erfahrung darstellen soll (Nr. 911 und Nr. 957), ist \u00fcberhaupt nicht pr\u00e4cisirt worden (auch nicht durch eine Bedingungsdefinition).\nDie tats\u00e4chliche Entwickelung, wie ich sie oben abgek\u00fcrzt gegeben habe, w\u00e4re nunmehr auf ihre Richtigkeit oder Berechtigung zu pr\u00fcfen gewesen. Einer solchen enth\u00e4lt sich Avenari\u00fcs, dem Plan (nicht aber dem Titel) seines Werkes entsprechend, durchaus. Ich bemerke daher nur kurz, dafs eine solche Pr\u00fcfung ergiebt, dafs die popul\u00e4re eben dargestellte Sonderung berechtigt ist, insofern sie sehr allgemeine Eigenschaften der Empfindungsthatsachen richtig unterscheidet, und nur in der Terminologie aus praktischen Gr\u00fcnden mifsverst\u00e4nd-liche Bezeichnungen gew\u00e4hlt hat; speciell ist in der Terminologie der einheitliche Ursprung der Empfindungen und Sachen verloren gegangen. Praktisch war der Unterschied viel wichtiger, so dafs das Gemeinsame unbezeiclinet blieb. Bei dem gewaltigen Einflufs der Sprache auf die Begriffsbildung hat sich von Geschlecht zu Geschlecht diese Auffassung mehr und mehr fixirt. Der terminologische Fehler wird zum logischen. Der Gegensatz wurde immer sch\u00e4rfer. Die Philosophie trug zur Versch\u00e4rfung wesentlich bei. So traten die Sachen schliefslich als Materie den psychischen Empfindungen und Vorstellungen gegen\u00fcber. Die Erkenntnistheorie hat die Aufgabe, diese Entwickelung nachzupr\u00fcfen und, unbeirrt durch praktische Gesichtspunkte, terminologisch und logisch die popul\u00e4re Auffassung zu corrigiren.\nDer letzte Theil des AvENARius\u2019schen Hauptwerks behandelt \u201edie abh\u00e4ngige Multiponible denkbar h\u00f6chster Ordnung\u201c und damit die Frage, in welchem Sinne und Umfang der synthetische und der analytische Begriff reiner Er-","page":317},{"file":"p0318.txt","language":"de","ocr_de":"318\nTh. Ziehen.\nfahrung auseinanderfallen und ihr Zusammenfallen angenommen werden kann. Diese Fragestellung, ganz abgesehen davon, dafe beide Begriffe den nicht-legitimirten Begriff der Umgebungs-bestandtheile enthalten, ist nach den vorausgegangenen Er\u00f6rterungen unklar. Die Feststellung eines analytischen Begriffes reiner Erfahrung ist nicht gelungen. Ueber eine rein tauto-logische Definition ist A. nicht hinausgelangt. Eine positive Charakteristik ist vergeblich versucht worden. Die Fragestellung k\u00f6nnte also nur folgendermaafsen lauten: giebt es \u00fcberhaupt reine1 Erfahrungen, deren Unabh\u00e4ngige (d. h. deren zugeh\u00f6rige Beschaffenheiten des Systems C) nicht durch die Umgebung complement\u00e4r bedingt sind? Diese Fragestellung h\u00e4tte weiter sofort dazu gef\u00fchrt zu untersuchen, welcher Antheil bei dem Zustandekommen der einzelnen Erfahrungsaussagen der Umgebung und welcher Antheil den im System C gelegenen Vorbedingungen zukommt. Damit sind wir wieder bei dem alten Problem der prim\u00e4ren und secund\u00e4ren Qualit\u00e4ten angelangt, bei der Binomie, wie ich sie in meiner erkenntnifstheoretischen Schrift zu begr\u00fcnden versucht habe.\nTrotz der Unklarheit der Fragestellung ist im Einzelnen gerade dieser letzte Theil auch reich an richtigen und wichtigen erkenntnifstheoretischen Ergebnissen. Dabei hat die Darstellung, so seltsam es klingen mag, etwas Ergreifendes: sie wendet sich auch an das Gef\u00fchl und findet bei diesem wohl einen milderen Richter als bei dem kritischen Verstand. Aber auch der letztere wird vor Allem ein Hauptergebnis anerkennen m\u00fcssen, welches ich von meinem Standpunkt so ausdr\u00fccken m\u00f6chte: unter dem fortgesetzten Einflufs der Umgebungsbestandtheile kommen Beschaffenheiten des Systems C und dementsprechende Gedanken bezw. Aussagen (popul\u00e4re Anschauungen, philosophische Systeme) zu Stande, welche sich nicht nur auf diesen oder jenen Um-gebungsbestandtheil, sondern auf jeden beliebigen Umgebungs-bestandtheil beziehen. Dies eben ist die Multiponibilit\u00e4t h\u00f6chster Ordnung.2 So entsteht der \u201e Weltbegriff Er deckt sich etwa mit dem, was ich (S. 97) als \u201eallgemeinste Vorstellungen der\n1\tIch will dabei f\u00fcr \u201erein\u201c die von Carstanjen (a. a. O. S. 59) gegebene Erkl\u00e4rung gelten lassen.\n2\tVgl. auch W\u00fcndt (a. a. 0. S. 83), welcher sich namentlich gegen die pr\u00e4sumptive Einfachheit des Weltbegriffs wendet, w\u00e4hrend mir seine Allgemeinheit wesentlicher scheint.","page":318},{"file":"p0319.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenn inifstheoretisch t Auseinandersetzungen.\n319\nEmpfindungen und Empfindungsbeziehungen\u201c bezeichnet habe. A. dr\u00fcckt dasselbe aus, wenn er von Aenderungsformen des Systems C spricht, welche von den denkbar meist sich wiederholenden Beschaffenheiten der Systeme C und der Umgebungs-bestandtheile abh\u00e4ngig sind. Die Entwickelung eines solchen Weltbegriffes vollzieht sich im Individuum (ontogenetisch), aber auch in der Geschichte des ganzen Menschengeschlechtes1 (phylogenetisch).\nA. versucht auch (Nr. 1002 ff.) die historische Entwickelung des Weltbegriffes in drei Entwickelungsstufen (Nr. 1024 ff.) zu skizziren. Die Erkenntnistheorie hat hieran kein unmittelbares Interesse. Wohl aber mufs sie Einspruch erheben, wenn A. die definitive L\u00f6sung des Weltr\u00e4thsels nur von einem Weltbegriffe erwartet, \u201ewelcher vollst\u00e4ndig dem synthetischen und dem analytischen Begriffe reiner Erfahrung entspricht\u201c (Nr. 1033). Welchem analytischen Begriff reiner Erfahrung soll der hypothetische Weltbegriff entsprechen? Etwa dem unklaren, den A. Nr. 931 ff. (siehe oben) vergeblich zu charakterisiren versucht hat? Die Unklarheit wird dadurch noch gr\u00f6fser, dafs A. jetzt nochmals einen Versuch macht, den analytischen Begriff reiner Erfahrung zu charakterisiren. Hierbei habe ich die Schlufss\u00e4tze von Nr. 1031 im Auge, deren w\u00f6rtliche Anf\u00fchrung unerl\u00e4fslich ist: \u201eDiese Bedingungen gen\u00fcgen indefs auch dem analytischen Begriffe reiner Erfahrung ; denn, da der Erfahrungs-Charakter (doch wohl der analytische ?!) von System\u00e4nderungen abh\u00e4ngt, welche ihrerseits in Aenderungen peripherischer Sinnesorgane die n\u00e4chste Bedingung ihrer Setzung haben, diese Bedingung aber durch das gewahrte Abh\u00e4ngigkeitsverh\u00e4ltnifs zu den Umgebungsbestandtheilen durchgehends erf\u00fcllt bleibt, so bleibt auch den Componenten jener abh\u00e4ngigen E-Werthe durchgehends die Charakteristik als Erfahrung gewahrt\u201c Ist das wirklich derselbe analytische Begriff reiner Erfahrung, der Nr. 931 ff. u. Nr. 5 aufgestellt wurde? oder nicht vielmehr der synthetische in etwas anderem Umhang 1? Die Berufung auf Nr. 509f. u. Nr. 535ff. ist ganz unstatthaft; denn die Abh\u00e4ngigkeit von System\u00e4nderungen, welche ihrerseits in Aenderungen peripherischer Sinnesorgane die n\u00e4chste Bedingung ihrer Setzung haben, kann doch keineswegs als allgemeines Merkmal des ana-\n1 Vielleicht ist auch das noch zu anthropistisch ausgedr\u00fcckt.","page":319},{"file":"p0320.txt","language":"de","ocr_de":"320\nTh. Ziehen.\nlytischen Erfahrungsbegriffes gelten; denn es erwies sich nur f\u00fcr einen Theil der Erfahrung im analytischen Sinne als zutreffend. Die Lehre vom Zusammenfallen des synthetischen und des analytischen Begriffes reiner Erfahrung im Universalbegriff giebt nach meinem Daf\u00fcrhalten dem Buch einen architectonischen Abschlufs auf Kosten der Klarheit, ja sogar der Universalbegriff selbst wird dabei verschoben. Es ist nicht richtig, dafs die Weltbegriffe (Nr. 1032) in dem Maafse, als sie, von beliebigen Anfangswerthen aus, sich dem Universalbegriffe ann\u00e4hem, auch dem synthetischen und dem analytischen Begriffe reiner Erfahrung entsprechen. Die h\u00f6chste Multiponibilit\u00e4t, welche f\u00fcr den Universalbegriff charakteristisch ist (Nr. 973), l\u00e4uft der aus-schliefslichen Abh\u00e4ngigkeit von \u201eUmgebungsbestandtheilen\u201c, welche f\u00fcr den synthetischen Erfahrungsbegriff charakteristisch ist und schliefslich auch f\u00fcr seinen unklaren Doppelg\u00e4nger, den analytischen Erfahrungsbegriff charakteristisch sein soll, keineswegs einfach parallel. Der Universal begriff ist nicht nur von den meist sich wiederholenden Beschaffenheiten der Umgebung\u00bb-bestandtheile abh\u00e4ngig, sondern auch von den meist sich wiederholenden systematischen Vorbedingungen des Systems C.1 Es liegt durchaus nicht im Interesse des Universalbegriffes, diese letzteren wegzulassen oder wenigstens in den Hintergrund zu stellen. Nach meinen Daf\u00fcrhalten f\u00fchrt dies nur zu einer k\u00fcnstlichen Ignorirung der factisch vorhandenen Binomie.\nEs bleibt also der Universalbegriff in zwei Beziehungen unhaltbar: erstens wird ihm eine Abh\u00e4ngigkeit von ganz hypothetischen Umgebungsbestandtheilen zugemuthet, welche als solche gewifs nicht zu dem Sich-Meist-Wiederholenden geh\u00f6ren, sondern hypothetische Vorstellungen darstellen, und zweitens wird zu Gunsten dieser Abh\u00e4ngigkeit sogar die Multiponibilit\u00e4t h\u00f6chster Ordnung eingeschr\u00e4nkt. Dazu kommt die Unklarheit der Rolle des Systems C und des Nr. 863 ff. aufgetauchten Ichs. Ersteres ist uns in Wirklichkeit ebenso wie der Baum auch nur als i^Werth gegeben, letzteres ist nur eine sehr vieldeutige Vorstellung. Was bedeuten beide?\n1 Dafs Avkkarius hier nicht etwa \u00dcberall \u2014 wie Carstanjen a. a. 0.272 Anm. auf Grund von Nr. 62 behaupten zu k\u00f6nnen glaubt \u2014 das System (' in den Umgebungsbestandtheilen eingeschlossen denkt, geht, wie mir scheint, aus der Fassung z. \"B. \\on","page":320},{"file":"p0321.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnif8theoreti8che Auseinandersetzungen.\n321\nVollst\u00e4ndiger wird das Bild der Erkenntnistheorie von Avenari\u00fcs erst durch die Betrachtung seines zweiten Hauptwerkes \u201eDer menschliche Weltbegriff\u201c, welches 1891, 3 Jahre nach dem ersten Band und 1 Jahr nach dem zweiten Band der Kritik erschien, jedoch nach dem Zeugnis Carstanjen\u2019s in manchen Theilen \u00e4lter als die Kritik ist. A. besch\u00e4ftigt sich hier nochmals mit dem Weltr\u00e4thsel, mit dem philosophischen Weltbegriff. Er will angeben, was aller Anschauung der Ge-sammtheit des Vorgefundenen gemeinsam ist. In der That aber ist das Buch gr\u00f6fstentheils einer viel specielleren Aufgabe gewidmet, n\u00e4mlich der erkenntnistheoretischen Bewerthung der Aussagen der Mitmenschen. Gegen\u00fcber dem vorwiegend formalen Charakter der Kritik versucht A. hier eine materiale L\u00f6sung der erkenntnifstheoretischen Probleme.\nAus der Beweisf\u00fchrung im Einzelnen ist Folgendes hervorzuheben. Ayenari\u00fcs geht auch hier bei der Darstellung des nat\u00fcrlichen Weltbegriffs von der Stufenleiter \u201eSache \u2014 Nachbild \u2014 Gedanke\u201c aus, deren Bedenklichkeit oben er\u00f6rtert wurde. Auch hier wird ohne Weiteres vorausgesetzt, dafs Subjecte (ich, Mitmenschen) Umgebungsbestandtheile \u201evorfinden\u201c, ohne dafs dies Vorfinden n\u00e4her pr\u00e4cisirt wird. Das Hauptproblem der Erke nntnifstheorie wird gar nicht discutirt, sondern eine bestimmte L\u00f6sung von Anfang an vorausgesetzt. Der erkenntnifstheoretische Fundamentalbestand ist nicht der, dafs ein oder gar mehrere Subjecte Sachen und Gedanken vorfinden, sondern ausschliefs-lich der, dafs Empfindungs- und Vorstellungsreihen gegeben sind. Jede Erkenntnifstheorie, welche nicht von diesem Funda-mentalbestand ausgeht, geht am Hauptproblem der Erkenntnifstheorie vor\u00fcber. Aber, wdrd man ein wenden, Avenari\u00fcs will gar nicht den erkenntnifstheoretischen Fundamentalbestand, sondern nur den \u201enat\u00fcrlichen Weltbegriff\u201c darstellen. Damit k\u00f6nnte man sich zufrieden geben, wenn nicht dieser nat\u00fcrliche Weltbegriff so sehr hypothetisch w\u00e4re. Was der \u201enat\u00fcrliche\u201c Mensch meint, wenn er sagt: \u201ehier ist ein Baum\u201c, ist noch sehr strittig. Es m\u00fcfste doch erst noch untersucht werden, ob er damit etwas anderes meint als: ich sehe, f\u00fchle etc. hier einen Baum und kann ihn unter bestimmten Bedingungen noch \u00d6fters \"wieder sehen, f\u00fchlen etc.\nDie Variation des nat\u00fcrlichen Weltbegriffs, welche A. nunmehr specie] J untersucht, ist die von ihm BOgeuamite\t*\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 27.\t*\u00cfY","page":321},{"file":"p0322.txt","language":"de","ocr_de":"322\nTh. Ziehen.\njection\u201c, durch welche \u201edie nat\u00fcrliche Einheit der empirischen Welt nach zwei Richtungen gespalten wird: in eine Aufeenwelt und in eine Innenwelt, in das Object und das Subject\u201c (Nr. 47). Diese Spaltung, diese Introjection soll dadurch zu Stande kommen, dafs das eine Individuum (M) in das andere (T) Wahrnehmungen, Denken, Gef\u00fchl und Wille \u201ehineinlegt\u201c. Diese Tbatsache ist zweifelsohne zuzugeben, nur vergifst A.\\ dafs seine empiriokritische Voraussetzung die Abspaltung transpsychischer Objecte in Gestalt der E-Werthe, welche dem vorfindenden Ich gegegen\u00fcber gestellt werden, bereits involvirt; die Introjection ist also nicht die alleinige S\u00fcnderin. Dadurch, dafs Mnun, wie Avenarius es darstellt, den Standpunkt der Introjection verwechselt und auch sich selbst Wahrnehmungen etc. einlegt und Objecte gegen\u00fcberstellt, f\u00fcgt M zu der empiriokritischen Voraussetzung, wie sie die Kritik der reinen Erfahrung darstellt, kaum etwas hinzu: die R-Werthe werden auch bei Avenaeius als Object vorausgesetzt und in einen principiellen Gegensatz zu dem vorfindenden Individuum und den E-Werthen gestellt. Nur die grobe r\u00e4umliche Trennung, die Introjection im w\u00f6rtlichen Sinn hebt Avenabi\u00fcs auf, und hierin sehe ich allerdings ein unsterbliches Verdienst.\nDie ausgezeichnete Darstellung der concreten Formen, in welchen sich die Introjection thats\u00e4chlich verwirklicht hat und noch verwirklicht (Nr. 55 ff.), ist erkenntnifstheoretisch belanglos. Um so wichtiger ist die Kritik der Introjection (Nr. 118 ff), auf welche ich ausf\u00fchrlich eingehen will.\nA. findet keinen Anlafs zu Bedenken, solange die Annahme der J?-Werthe auch f\u00fcr M nichts weiter besagt, als dafs Bewegungen des Mitmenschen T im Sinne seiner eigenen Erfahrung in Beziehung zu Sachen und Gedanken stehen und mithin eine \u201emehr als nur mechanische Bedeutung\u201c haben (Nr. 120). Die Annahme von R-Werthen wird f\u00fcr M \u201eerst bedenklich\u201c, wenn der Inhalt dieser Annahme zu etwas prificipiell Anderem wird als der Inhalt seiner eigenen Erfahrung,' bezogen auf ein zweites menschliches Individuum, und letzteres tritt unvermeidlich ein, wenn M die -E-Werthe schlechthin in den Mitmenschen T hineinversetzi und damit behauptet, dafs das System C des Mitmenschen T die .E-Werthe \u201ehabe\u201c (Nr. 121). Zweifelsohne hat A. damit einen Krebsschaden vieler Erkenntnistheorien, den Introjectionsfehler\n1 Nr. 111 er\u2018\\Tvn^T\\. et svcta. Net^eet^eetA \u2018Beziehung.","page":322},{"file":"p0323.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n323\nrichtig aufgedeckt, w\u00e4hrend er den anderen Krebsschaden, die Projectionshypothese in vielen Punkten bestehen l\u00e4fst. Zur Beseitigung des Introjectionsfehlers untersucht A., \u201ewas denn eigentlich das Haben der i?-Werthe bedeute.\u201c Das negative Ergebnifs dieser Untersuchung ist zweifellos richtig: das Gehirn \u201ehat\u201c die Gedanken nicht Um so zweifelhafter ist, was A. an die Stelle setzt: die \u201eempiriokritische Principialcoordination\u201c. A. versteht hierunter die principielle Coordination (gleichwerthige Zuordnung) des Ich-Bezeichneten und eines Umgebungsbestandtheils.1 Dieser \u201eempiriokritische\u201c Befund ist jedoch unklar. A. sagt uns nicht, was er mit dem Ich-Bezeichneten und mit den Umgebungs-bestandtheilen meint Offenbar denkt er bei den letzteren an die \u201e22-Werthe\u201c der Kritik. Diese \u201eE-Werthe\u201c aber werden gar nicht vorgefunden, sondern nur Empfindungen und Vorstellungen, welche wir auf 12-Werthe beziehen, oder \u2014 im Sinn von Avenakius Aussagen und Aussageinhalte, d. h. .&Werthe. Ich finde nicht den Umgebungsbestandtheil Baum vor, sondern meine nach Gr\u00f6fse etc. sehr variable Empfindung \u201eBaum\u201c und die zugeh\u00f6rige Vorstellung \u201eBaum\u201c. Ebenso wird nicht ein \u201eIch-Bezeichnetes\u201c schlechthin vorgefunden, sondern die Empfindung \u201emein K\u00f6rper\u201c und die Vorstellung \u201emein K\u00f6rper.\u201c Dazu kommen weitere Vorstellungen wie Ich-Vorstellung, Gott-Vorstellung, Kraft-Vorstellung etc., welche allenthalben sich einstellen. Die Analyse ergiebt, dafs alle diese Vorstellungen secund\u00e4r aus den Empfindungen entstehen, hier und heute diese, dort und morgen jene. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie kann nur eine Kritik aller dieser Vorstellungen (Sach-Vorstellung, Ich-Vorstellung2, Gott-Vorstellung, Kraft-Vorstellung etc.) sein. Der einzige Ausgangspunkt sind die gegebenen Empfindungen. F\u00fcr die Auswahl unter den aus den Empfindungen gezogenen Vorstellungen giebt es nur ein Kriterium: die bez. Vorstellungen m\u00fcssen aus dem Gesammtbestand der Empfindungen ent-\n1 Man beachte auch die nicht ganz unwesentliche Differenz gegen\u00fcber 2fr. Iff. der Kritik.\n* Nr. 143 setzt Avenabius sehr sch\u00f6n auseinander, dafs das \u201eIch-Be-xeichnete\u201c ganz im selben Sinn ein Gegebenes ist wie das als Baum Be-zeichnete. Er h\u00e4tte nur noch richtiger sich ausgedr\u00fcckt, wenn er \u201edas Ich-\"Bezeichnete\u201c als Vorstellung charakterisirt h\u00e4tte und nicht als \u201eElementen-complex\u201c (Nr. 140), zu dem auch Erinnerungsbilder der Umgebung geh\u00f6ren tNr. 141).","page":323},{"file":"p0324.txt","language":"de","ocr_de":"324\nTh. Ziehen.\nwickelt werden, sie m\u00fcssen \u2014 in diesem Sinne \u2014 die allgemeinsten sein (vgl. Ps. Erkenntnistheorie S. 92). Avenabius kommt daher denn auch in der That von seinem Standpunkt doch nicht \u00fcber die Introjection und erst recht nicht \u00fcber die Selbstintrojection hinaus. Die Introjection wird nur scheinbar beseitigt.\nDazu kommt eine weitere L\u00fccke. A. f\u00fchrt mit Recht aus, dafs das Gehirn die Empfindungen und die Gedanken nicht \u201ehat\u201c. Hingegen bleibt er uns eine Aufkl\u00e4rung schuldig \u00fcber die besondere Rolle, welche das Gehirn bezw. das System C \u2014 auch nach Avenabius\u2019 Darstellung \u2014 nun eben doch einmal mit Bezug auf unsere Empfindungen und Vorstellungen spielt. Gerade durch die Ausschaltung der Introjection wird diese Frage brennend. Leider aber hat A. sich den Weg zu dieser Frage und ihrer L\u00f6sung verbaut. Indem er n\u00e4mlich den Empfmdungs-charakter der Umgebungsbestandtheile \u00fcbersah, ignorirte er ihre Variabilit\u00e4t, wie wir sie allenthalben unter dem Einflufs unseres Nervensystems beobachten. Ein gr\u00fcnes Glas vor meinem Auge, eine Chorioiditis in meinem Auge etc. \u00e4ndert die Empfindungen. Zu der von A. Nr. 157 ganz richtig er\u00f6rterten Einwirkung auf das System C kommt eine merkw\u00fcrdige, den Dualismus immer wieder fordernde R\u00fcckwirkung des Systems C auf die Empfindungen. Nat\u00fcrlich ist A. diese R\u00fcckwirkung, d. h. diese Abh\u00e4ngigkeit der Empfindungen vom System C, nicht unbekannt, gelegentlich erw\u00e4hnt er sie ausdr\u00fccklich, aber an der entscheidenden Stelle, im wichtigsten Zusammenhang \u00fcbersieht er sie. Daher die Entt\u00e4uschung, welche wohl aufmerksame Leser bei Nr. 160 stets erfahren werden. Alle vorher besprochenen Fehler und Unklarheiten wirken hier zusammen. Da ist vor Allem der Umgebungsbestandtheil R. R ist z. B. f\u00fcr 3f, der einen Baum durch ein rothes Glas betrachtet, roth. Sieht auch T den Baum, so gen\u00fcgt es nicht f\u00fcr T die bez. Aenderung seines Systems CT durch R einzusetzen, sondern erst mufs B selbst substituirt oder, wie ich es genannt habe, reducirt werden, d. h. der Einflufs des Nervensystems von M bezw. des rothen Glases vor Ms Auge, die rothe Farbe mufs eliminirt werden. Diese Reduction ist von entscheidender Bedeutung. A. hat sie nur deshalb \u00fcbersehen, weil sein Umgebungsbestandtheil R ein Zwitter zwischen dem hypothetischen extrapsychischen Object und der R-Empfindung ist. Avenabius sagt uns wohl, dafs die","page":324},{"file":"p0325.txt","language":"de","ocr_de":"Erkmntnif8theoreti8che Auseinandersetzungen.\n325\nK-Werthe des Mitmenschen T nicht von R, sondern von den durch R hervorgerufenen Schwankungen des Systems CT unmittelbar abh\u00e4ngig sind, aber er sagt uns nicht, dafs das R, welches die Schwankungen des Systems CT hervorruft, ein reducirtes R ist, eine Reductionsvorstellung aus Empfindungen von M. Am n\u00e4chsten kommt A. dem Problem in Nr. 162. Er erkl\u00e4rt hier selbst, dafs wohl im Allgemeinen die Annahme zul\u00e4ssig sei, dafs in den beiden Principialcoordinationen [m\nund (T R) das Gegenglied R der Zahl nach eines sei, dafs aber darum \u201efreilich noch nicht sofort die weitergehende Annahme zul\u00e4ssig sei, dafs das Gegenglied R in beiden Principialcoordinationen der Beschaffenheit nach dasselbe sei.\u201c Auf eine Kritik dieser weitergehenden Annahme geht er nicht ein. Das ist ja eben gerade das Problem: wir sehen uns gedr\u00e4ngt durch Eliminationen ein nicht nur numerisch identisches, sondern auch qualitativ identisches R vorzustellen; welche Eliminationen vollziehen wir dabei und was ist diese reducirte R-Vorstellung? Das sind zugleich die Fragen, welche ich zum Ausgangspunkt meiner Untersuchungen gew\u00e4hlt habe. Die Antwort ergab sich dahin, dafs die individuellen Empfindungen (Erlebnisse, das sinnlich lebhafte Vorgefundene) nach 2 Gesetzen reducirt werden, nach dem Gesetz der Causalformel und dem Gesetz der Parallelformel. Die Causalformel giebt an, wie das reducirte R auf das Nervensystem wirkt, die Parallelformel, wie dieses auf jenes im Sinn der specifischen Energie (im weitesten Sinn) zur\u00fcckwirkt. Die individuel len i?-Empfindungen sind die Resultanten dieses doppelten Processes und sind daher, wie auch Avenarius sagt, nicht in unserem Gehirn. Die R's haben durch die Reduction nicht etwa ihren psychischen Charakter verloren, sondern nur die Ab\u00e4nderung durch die individuellen R\u00fcckwirkungen der einzelnen individuellen C-Systeme (d. i. Nervensysteme). Die Vorstellung redueirter R\u2019s ist also nicht die Vorstellung einer nicht-psychischen (materiellen, extrapsychischen) Realit\u00e4t, sondern nur die Vorstellung einer von bestimmten individuellen Beziehungen befreiten Realit\u00e4t. Der Naturforscher substituirt aus heuristischen Gr\u00fcnden, der gew\u00f6hnliche Mensch um der Einfachheit des Ausdrucks willen eine neue \u201ematerielle\u201c Realit\u00e4t, die Erkenntnistheorie mufs diese ablehnen.1\n1 Heymavb (diese Zeitschr. 22, 222) versteht nicht, wieso sieh. $ve feoal-","page":325},{"file":"p0326.txt","language":"de","ocr_de":"326\nTh. Ziehen.\nVielleicht hat Avenabius selbst gef\u00fchlt, dafs seine bis jetzt allein ber\u00fccksichtigten beiden Hauptwerke \u00fcber die Stellung der R und \u00fcber das Verh\u00e4ltnis der Schwankungen des Systems C zu den 2\u00a3-Werthen und \u00fcber die Natur der letzteren und auch \u00fcber das Verh\u00e4ltnis der \u201evorfindenden Individuen\u201c noch keine gen\u00fcgende Auskunft geben und hat diese L\u00fccke durch seine \u201eBemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie\u201c1 auszuf\u00fcllen versucht. Auch in diesen Abhandlungen h\u00e4lt Avenarius fest, dafs sich die \u201eMannigfaltigkeit von thats\u00e4chlich Vorgefundenem\u201c in zwei Haupttheile scheidet, das Ich-Bezeichnete und die Umgebungsbestandtheile. Die Analyse des Ich-Bezeichneten soll ferner \u201eein Mehreres als einen reinen Mechanismus und mithin f\u00fcr meine Bewegungen eine mehr-als -mechanische Bedeutung ergeben\u201c, welche Avenabius auch\nfassung der reducirten Empfindungen als blofser Abstractionen aus den concreten Wahrnehmungen mit dem Zusammenwirken von reducirten Object-und \u00bb'\u2022Empfindungen vor der concreten Wahrnehmung vereinbaren lasse. Darauf mufs ich einfach erwiedern, dafs alle unsere metaphysischen, er-kenntnifstheoretischen, religi\u00f6sen Vorstellungen nur Abstractionen aus den concreten Empfindungen, also Vorstellungen sind. Auch die von mir vertretene Vorstellung, dafs in den concreten Empfindungen reducirte, allgemeine (d. h. von den individuellen R\u00fcckwirkungen der individuellen Nervensysteme befreite) Empfindungen (d. h. psychische Realit\u00e4ten) enthalten sind, ist und bleibt nur eine Vorstellung, aber selbstverst\u00e4ndlich stelle ich mir nicht vor, dafs diese reducirten Empfindungen etwa wieder als Vorstellungen oder Abstractionen in meinen concreten Empfindungen enthalten sind, sondern als reducirte Empfindungen. Ich wollte nur dem skeptischen Standpunkt treu bleiben, dafs auch meine Reductionen wie alle anderen Speculationen nur Vorstellungen sind, die wir aus den Empfindungen abstrahiren: ich wollte ihre ihnen wie allen erkenntnifstheoretischen etc. Vorstellungen allezeit anhaftende Entstehungsweise betonen. Wenn ich mir vorstelle, dafs morgen ein Blitz irgendwo z\u00fcndet oder gestern gez\u00fcndet hat, so will ich damit nicht sagen, dafs der Blitz nur als Vorstellung gez\u00fcndet hat oder z\u00fcnden wird. Oder: wenn ich mir vorstelle, dafs die Erde vor Jahrmillionen eine gl\u00fchende Kugel war oder nach Jahrmillionen v\u00f6llig erkaltet sein wird, so will ich damit nicht sagen, dafs die Erde als Vorstellung beides erlebt, sondern nur, dafs die entsprechende Empfindung mir fehlt. Dasselbe gilt auch von meinen reducirten Empfindungen: ab\u00bb solche werden sie nie erlebt, meine concreten Empfindungen sind immer von ihnen verschieden. Ich kann und \u2014 wie ich glaube \u2014 mufs mir nur die Vorstellungen solcher reducirter Empfindungen bilden.\n1 Vicrteljahrsschr. f. u'iss. Philos. 18, S. 187 und 400 (1894) sowie 19, S. 1 und 129 (1895).","page":326},{"file":"p0327.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n327\nals \u201eamechanisch\u201c bezeichnet. Wenn auch Avenarius bei allen -diesen Aufstellungen zun\u00e4chst nur \u201eseinen nat\u00fcrlichen Weltbegriff\u201c zu schildern angiebt und es dem Leser \u201e\u00fcberl\u00e4fst, ob und inwieweit er das, was er (Avenasius) von sich aussagt, als auch f\u00fcr sich (den Leser) g\u00fcltig anerkennt\u201c, so geht doch aus \u2022dem Zusammenhang hervor, dafs Avenarius diesen Aufstellungen \u25a0eine allgemeinere G\u00fcltigkeit vindicirt. Nun kann man wohl zugeben, dafs der thats\u00e4chliche und allgemeing\u00fcltige erkenntnifs-theoretische Fundamentalthatbestand, wie ich ihn dargestellt habe, also die Gesammtreihe der Empfindungen und Vorstellungen (mitsainmt ihren Gef\u00fchlst\u00f6nen) von vielen Individuen in ein Ich-Bezeichnetes und in eine Umgebung zerlegt wird, dem ist aber sofort zuzuf\u00fcgen, dafs diese Zerlegung sehr schwankt, dafs die Grenze zwischen dem Ich-Bezeichneten und der Umgebung bald hier bald dort gezogen wird, und dafs von vielen Individuen aufser dem Ich-Bezeichneten und der Umgebung noch anderes als coordinirt unterschieden wird (z. B. Gott) -und dafs wir sehr h\u00e4ufig bei unserem Empfinden und Denken unser Ich nicht hinzudenken.1 Es ist also eine kritische Pr\u00fcfung einer solchen Unterscheidung ganz unerl\u00e4fslich. Diese Unterscheidung mufs scharf, f\u00fcr alle Menschen verst\u00e4ndlich und durchf\u00fchrbar sein; ferner mufs ein die beiden Classen unterscheidendes Merkmal angebbar sein; sonst beh\u00e4lt die Unterscheidung, wenn sie auch noch so verbreitet ist, nur Interesse als h\u00e4ufig auftretende Unterschiedsvorstellung innerhalb der Reihe, d. h. also wegen ihres Vorkommens; aber nicht als ver-werthbare Classification wegen ihrer ersch\u00f6pfenden und allgemeinen Beziehung zu allen Gliedern der Gesammtreihe. Diese Anforderungen erf\u00fcllt die Unterscheidung der Gesammtreihe in Empfindungen und Vorstellungen, nicht aber die Unterscheidung in Ich-Bezeichnetes und Umgebungsbestandtheile. Avenarius wird hiergegen einwenden, dafs diese letztere Unterscheidung \u2022doch wenigstens f\u00fcr einige Menschen, z. B. ihn selbst zu Recht besteht und also trotz ihrer Unzweckm\u00e4fsigkeit doch, da sie nicht geradezu falsch ist, auch als Ausgangspunkt in Betracht gezogen werden kann. In der That kann man auch von dieser AvENARius\u2019schen \u201eempiriokritischen Principialcoordination\u201c aus-\n1 Diesen Punkt hat auch Wundt in seiner Kritik des Empiriokriticis-mus hervorgehoben, Philos. Stud. 13, 43.","page":327},{"file":"p0328.txt","language":"de","ocr_de":"328\nTh. Ziehen.\ngehen, nur mufs man dann wegen der Unbestimmtheit und Un-zweckm\u00e4fsigkeit des Ausgangspunktes bei den weiteren Schritten doppelt vorsichtig sein, zumal auch die Namen \u201eIch-Bezeichnetes\u201c und \u201eUmgebungsbestandtheile\u201c leicht zu falschen Folgerungen verf\u00fchren. Diese Vorsicht aber hat Avenabius in einem Hauptpunkt vers\u00e4umt, n\u00e4mlich, wenn er weiterhin bei der Analyse des Ich-Bezeiehneten ein Amechanisches d. h. \u201eein Mehreres als einen reinen Mechanismus\u201c zu finden behauptet \u2014 Was versteht Avenabius unter \u201eMechanismus\u201c und \u201emechanisch\u201c ? Man wird in den beiden Hauptwerken 1 vergeblich nach einer genaueren Erkl\u00e4rung suchen, dagegen giebt Avenabius eine solche in Nr. 30 ff.2 seiner Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie. Meine Bewegungen, sagt Avenabius, haben eine mechanische Bedeutung, insofern die Bewegungen meiner Glieder wieder die Bewegungen anderer Sachen im Sinn des Gesetzes der Erhaltung der Energie zur Folge haben, dagegen eine amechanische Bedeutung 3, sofern sie zugleich z. B. eben ein \u201eGef\u00fchltes\u201c sind, mit welcher Bestimmung nicht eo ipso diejenige einer mechanischen Arbeitsleistung verbunden ist Diese S\u00e4tze enthalten eine F\u00fclle von Hypothesen, deren sich gerade die Erkenntnistheorie enthalten soll. Vor Allem ist im Auge zu behalten, dafs das Ich-Bezeichnete und die Umgebungsbestandtheile nur \u201eErlebnisse\u201c sind. Von einem Ich, das erlebt, und von einem Baum, der erlebt wird oder gar auch existirt, wenn er nicht erlebt (z. B. gesehen) wird, wissen wir noch garnichts. In dem Fundamentalthatbestand sind u. A. noch alle die sog. T\u00e4uschungen enthalten, welche wir erst nachtr\u00e4glich corrigiren: der Baum wird kleiner, wenn wir uns entfernen, der Stein ist\n1\tVgl. der menschliche Weltbegriff Nr. 12 und 120.\n2\tVgl. auch Nr. 157 und 148.\n3\tCarstanjen behauptet in seiner Antikritik ( Vierteljahrssehr. f. iciss. Philos. 22, 1898 ; 69) unter Berufung auf Nr. 27 der Bemerkungen z. Begr. d. Gegenst. d. Psych., dafs Avenarius gesagt habe, thats\u00e4chlich komme den mitmenschlichen Bewegungen nur eine mechanische Bedeutung zu, die amechanische legten wir ihnen erst bei. Mit dem Wortlaut von Nr. 27 stimmt dies doch wohl nicht \u00fcberein, da Avenarius den mitmenschlichen Bewegungen die amechanische Bedeutung insofern abspricht, als sie \u201enur von meinem \u00f6rtlichen Standpunkt aus als Vorgefundenes betrachtet werden.\u201c Sow\u2019ohl die mechanische als die amechanische Bedeutung der menschlichen Mitbewegungen ergiebt sich also jeweils nach dem Standpunkt der Betrachtung.","page":328},{"file":"p0329.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifsthcoretische Auseinandersetzungen.\n329\nw\u00e4rmer, wenn unsere eigene Hand kalt ist, die Umgebung ist gelb, wenn wir eine Santonindosis verschluckt haben u. g. f. Gerade die Anwesenheit solcher \u201eT\u00e4uschungen\u201c ist f\u00fcr den Fundamentalthatbestand charakteristisch. F\u00fcr diesen unreducirten Fundamentalthatbestand nun existirt kein Gesetz der Erhaltung der Energie, weder f\u00fcr denjenigen Theil, den A. als Umgebungs-bestandtheil bezeichnet, noch innerhalb des Ich - Bezeichneten. Avenarius \u00fcbersieht an dieser Stelle wiederum ganz, dafs erst complicirte Reductionen erforderlich sind, bevor das Gesetz der Erhaltung der Energie nachgewiesen werden kann. Ohne diese Reductionen ausgef\u00fchrt zu haben, kann man weder bei den Umgebungsbestandtheilen noch bei dem Ich-Bezeichneten von mechanisch oder amechanisch sprechen. F\u00fchrt man aber diese Reductionen aus, so ergiebt sich auch bei den Umgebungsbestandtheilen eine amechanische Bedeutung neben der mechanischen. Solange ich dem Baum-Erlebnifs seine gr\u00fcne Farbe belasse und das Gr\u00fcn nicht durch mechanische Vorg\u00e4nge ersetze d. h. eben die Baumempfindung reducire, kann ich das Gesetz der Erhaltung der Energie nicht nach weisen. Es ist also mit den Umgebungsbestandtheilen nicht anders als mit dem Ich-Bezeichneten. Wohl aber ergiebt sich bei Ber\u00fccksichtigung dieser Reductionen eine Sonderstellung f\u00fcr unsere Erinnerungsbilder oder Vorstellungen, insofern diese Tr\u00e4ger der Reductionen sind, aber selbst als solche keiner weiteren Reductionen (im passiven Sinn) f\u00e4hig sind.1 Man gelangt also auch vom Standpunkt der \u201eempiriokritischen Principialcoordination\u201c von Avenarius aus zu der von mir an die Spitze der Analyse des Fundamentalthatbestands gestellten Unterscheidung von Empfindungen und Vorstellungen und zu Reductionsvorstellungen der ersteren, d. h. Zerlegung der Empfindungen und zwar aller Empfindungen in zwei Componenten entsprechend der Causal- und der Parallelformel.\nAvenarius behauptet zun\u00e4chst, wie sich aus Nr. 26 ergiebt,\n1 Wir m\u00fcssen an Stelle der Vorstellungen die Empfindungen setzen, und auf die letzteren beziehen sich unsere Reductionen. Thats\u00e4chlich ausf\u00fchrbar ist diese Umwandlung der Vorstellungen in Empfindungen nicht. Es ist der inverse Procefs der Abstraction und kann als Sensiflcation bezeichnet werden. Ein pathologisches Beispiel bietet die Hallucination. Durch technische oder k\u00fcnstlerische Darstellung wird sie auf Umwegen erreicht.\ni\n\u00bb","page":329},{"file":"p0330.txt","language":"de","ocr_de":"330\nTh. Ziehen.\ndafs das ganze Ich-Bezeichnete ein Mehreres als einen reinen Mechanismus darstellt; f\u00fcr seine weitere Untersuchung kommt es ihm aber haupts\u00e4chlich auf die amechanisehe Bedeutung eines Theils des Ich-Bezeichneten, n\u00e4mlich \u201emeiner Bewegungen\u201c an. Zu Gunsten der amechanischen (d.h. also nicht-nur-mechanischen) Bedeutung der letzteren f\u00fchrt er in erster Linie an, dafs meine Bewegungen nicht nur Arbeit leisten, sondern auch gef\u00fchlt werden. Dabei erfahren wir jedoch nicht, was dies \u201egef\u00fchlt werden\u201c bedeutet. Alle prim\u00e4ren Erlebnisse \u201ewerden gef\u00fchlt\u201c, d. h. von diesem oder jenem Sinnesorgan vermittelt. In diesem Sinn wird auch die Arbeitsleistung meiner Bewegungen \u201egef\u00fchlt\u201c, und das Gesetz von der Erhaltung der Energie beruht nur auf solchen \u201egef\u00fchlten\u201c Wahrnehmungen. Die soeben besprochene Vernachl\u00e4ssigung unserer Reductionen r\u00e4cht sich hier wiederum. Weiter beruft sich A. zu Gunsten der amechanischen Bedeutung meiner Bewegungen auch auf ihre Beziehungen zu Lust-Unlust, Gedanken, Bed\u00fcrfnissen etc. (Nr. 31), die keine mechanische, unter dem Gesetz der Erhaltung der Energie stehende Arbeit leisten, so wie dies meine Bewegungen thun (Nr. 32). Hiergegen ist nur anzuf\u00fchren, dafs eine Beziehung eines Vorgangs a zu amechanischen Vorg\u00e4ngen doch wohl noch nicht eine amechanisehe Bedeutung des Vorgangs a beweist Gerade die Bewegungen meines K\u00f6rpers stehen erkenntnifstheoretisch den Umgebungs-bestandtheilen viel n\u00e4her als den Erinnerungsbildern oder Vorstellungen, deren Sonderstellung wir anerkannt haben.\nDie folgenden Argumentationen von Avenabius gegen die Introjection (Nr. 35\u201463) sind vollst\u00e4ndig correct Nur wenn er glaubt, mit der Introjection auch den Gegensatz zwischen Subject und Object aufgehoben zu haben, irrt er. Dieser Gegensatz wird nur etwas verdeckt Centralglied und Gegenglied sind schliefslich doch nur andere Namen f\u00fcr Subject und Object Ich kann durchaus nicht finden, dafs, wie Avenabius Nr. 55 Anin. annimmt, die Introjection f\u00fcr diese Gegen\u00fcberstellung wesentlich ist Ich glaube vielmehr, dafs erst durch meine Einf\u00fchrung der v-Empfindungen diese Gegen\u00fcberstellung, so we it sie unzutreffend ist, wirklich beseitigt worden ist.\nAvenabius f\u00fchrt sein Ich-Subject1 durch ganz \u00e4hnliche\n1 Wundt, Philosophische Studien 12, 1896; 319 hat, wie mir scheint, die allgemeine Grundanschauung der immanenten Philosophie nicht richtig","page":330},{"file":"p0331.txt","language":"de","ocr_de":"Ei'kenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n331\nHinterth\u00fcren ein wie so viele Metaphysiker. Die verd\u00e4chtige Hinterth\u00fcr ist bei Avenabius die \u201evolle Erfahrung\u201c. Avenabius bemerkt wohl, dafs in zahlreichen Erfahrungen \u2014 als Erfahrung wird Nr. 66 viel pr\u00e4ciser als in den Hauptwerken einfach das \u201eVorgefundene\u201c bezeichnet \u2014 das Ich-Bezeichnete fehlt. Darum scheidet er solche Erfahrungen einfach aus, indem er Nr. 72 den ganz k\u00fcnstlichen Begriff einer \u201eim vollen Sinne concreten\u201c oder \u201evollen\u201c Erfahrung construirt. Um als \u201evoll\u201c gelten zu k\u00f6nnen, mufs die Erfahrung nach Avenabius zwei Bedingungen erf\u00fcllen. Sie mufs erstens ein Individualbegriff sein, und zweitens mufs der Inhalt der Erfahrung \u201eohne Abstractionen auch in dem Sinn gesetzt sein, dafs darin nicht von analytisch bestimmbaren Inhalten, welche in ihr eingeschlossen sind, abstrahirt worden ist\u201c. Gerade gegen die zweite Bedingung erheben sich schwere Bedenken. Diese volle Erfahrung enth\u00e4lt, wie Avenabius selbst sagt, \u201eauch alles das, was an ihr wohl unterschieden werden kann, was aber nicht geschieden vorkommt; was in ihr wohl \u00fcbersehen werden kann, aber nie ganz fehlt\u201c. Warum l\u00e4fst Avenabius die Erfahrung, den empiriokritischen Befund nicht so, wie er ist? Warum unterscheidet er gewissermaafsen eine Erfahrung erster Classe, die volle Erfahrung, und eine Erfahrung zweiter Classe, die partielle Erfahrung? Wer soll entscheiden, ob eine thats\u00e4chliche Erfahrung dieser oder jener Classe angeh\u00f6rt, ob an ihr noch etwas und was an ihr fehlt? Aus der weiteren Darstellung (Nr. 73 ff.)1 ergiebt sich, dafs nach Avenabius die Erfahrungen des gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauchs gr\u00f6fstentheils wegen dieser oder jener Abstractionen als partiell gelten m\u00fcfsten. Die Erfahrung \u201eder Zucker schmeckt s\u00fcfs\u201c soll partiell sein, weil sie vom menschlichen Individuum, das den Zucker geniefst, und von der Lust oder Unlust beim Geschmack des S\u00fcfsen absieht. Man darf doch hier Avenabius fragen, warum einer Erfahrung, die beispielsweise allein im S\u00fcfsgeschmack\nwiedergegeben, wenn er den Gegensatz zwischen dem denkenden Ich und dem Empfindungsinhalt als einen wesentlichen Bestandteil der immanenten Lehre betrachtet. Wesentlich ist nur f\u00fcr die letztere, dafs aufser dem gegebenen Bewufstseinsinhalt keine andere qualitativ verschiedene Realit\u00e4t angenommen wird.\n.\t1 Ich vermuthe \u00fcbrigens am Schlufs des 1. Absatzes von Nr. 78 einen\nDruck- oder Schreibfehler. Der Sinn wird durch die geh\u00e4uften Negationen entstellt.","page":331},{"file":"p0332.txt","language":"de","ocr_de":"332\nTh. Ziehen.\nbesteht, gewaltsam noch solche Erg\u00e4nzungen aufgen\u00f6thigt werden sollen, und wo die Grenze f\u00fcr solche Erg\u00e4nzungen gegeben ist Was meint ferner Avenarius mit den Abstractionen, welche die Erfahrungen des gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauchs \u201eenthalten* sollen ? Meint er Abstractionen, die thats\u00e4chlich einmal bei dem Erfahrenden stattgefunden haben, dann mufs ich sagen, dafs in dem angef\u00fchrten Beispiel die Vorstellung des den Zucker ge-niefsenden menschlichen Individuums nicht nachtr\u00e4glich weggelassen, sondern vielmehr nachtr\u00e4glich zugef\u00fcgt worden ist; denn der erste S\u00fcfsgeschmack des Kindes war gewifs nicht von der Vorstellung eines den Zucker geniefsenden Individuums be-gleitet. Oder meint Avenarius Abstractionen von Nebenempfindungen1 oder Neben Vorstellungen, die bei entsprechender Aufmerksamkeit und Ausdehnung der Beobachtung stets neben der ausgesagten Empfindung (\u201eder Zucker schmeckt s\u00fcfs\u201c) nachgewiesen werden k\u00f6nnen und deshalb mitgedacht werden m\u00fcssen? Dann aber w\u00fcrden zu diesen Abstractionen auch die Geschmackspapillen und ihre feinsten mikroskopischen Structuren geh\u00f6ren, und die volle Erfahrung w\u00fcrde niemals gegeben sein. Ich frage daher nochmals: wo ist die Grenze? und wer sch\u00fctzt uns davor, dafs das Fehlen dieser oder jener hypothetischen Vorstellung, welche wir z. B. gewohnheitsm\u00e4fsig oft fr\u00fcher an die ausgesagte Empfindung gekn\u00fcpft haben, es sei nun die Annahme eines empfindenden Ich oder in bestimmter Weise zusammengesetzter Zuckermolek\u00fcle, als eine Abstraction gedeutet wird, die wir schleunigst revociren m\u00fcssen, und dafs uns schliefslich als \u201evolle* Erfahrung nun eine mit Hypothesen versetzte Erfahrung be-scheert wird.\nIn der That bewahrheitet sich diese Bef\u00fcrchtung bei Avenarius durchaus. Nr. 77 wird unter dem Deckmantel der vollen Erfahrung das Ich-Subject und die Umgebung eingef\u00fchrt. Jede volle Erfahrung gliedert sich, heifst es da, in zwei Hauptbestandteile, das Ich-Bezeichnete und die Umgebuug. Es wird also vorausgesetzt, dafs das Ich-Bezeichnete zu den Inhalten geh\u00f6rt, von welchen bei den partiellen Erfahrungen des gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauchs oft abstrahirt wird. W\u00fcrde Avenarius uns\n1 I)as Vorwort \u201eNeben \u201c soll hier keine Unterordnung ausdr\u00fccken, sondern nur das Auftreten neben, d. h. zugleich mit der ausgesagten Empfindung (\u201eder Zucker schmeckt s\u00fcfs\u201c).","page":332},{"file":"p0333.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntni\u00dfiheoretische Auseinandersetzungen.\n333\nsagen: ich will eine Erfahrung, welche in diese beiden Glieder zerf\u00e4llt, als volle Erfahrung bezeichnen, so k\u00f6nnte man sich, wie jede Terminologie, so auch diese schliefslich trotz der Gefahr arger Mifsdeutungen noch gefallen lassen. Aber Avenabius will, wie der Zusammenhang und der Wortlaut ergiebt, mehr sagen, n\u00e4mlich dafs auch in den Erfahrungen, welche das Ich-Bezeichnete nicht enthalten, dieses Ich - Bezeichnete nur in Folge einer Abstraction fehlt und zu erg\u00e4nzen ist Ausdr\u00fccklich sagt Avenabius (Nr. 78), eine Erfahrung \u201eUmgebung** komme nicht vor, ohne dafs in dieser Erfahrung das Ich-Bezeichnete \u201eeingeschlossen** w\u00e4re. Das w\u00e4re aber doch erst noch nachzuweisen. Die Berufung auf Nr. 21 (in Nr. 77) ist nicht stichhaltig. In Nr. 21 hat A. behauptet1, dafs der thats\u00e4chlich Vorgefundene Bestandtheil seines nat\u00fcrlichen Weltbegriffes in Ich-Bezeichnetes und Umgebung zerf\u00e4llt, jetzt will er in Nr. 21 nachgewiesen haben2, dafs jede volle Erfahrung eine zun\u00e4chst zweifach bestimmte Mannigfaltigkeit sein mufs, welche sich in Ich-Bezeichnetes und Umgebung gliedert. Da hat sich doch zwischen den Seiten der harmlose Satz des \u00a7 21 in sehr bedenklicher Weise umgestaltet. An keiner Stelle hat Avenabius ein klar unterscheidendes Merkmal oder eine scharfe Grenzbestimmung zwischen dem Ich-Bezeichneten und der Umgebung gegeben, an keiner Stelle die Triftigkeit dieser Gliederung begr\u00fcndet. In dieser Beziehung tritt er fast ebenso dogmatisch auf, wie irgend ein Systembildner, der den Gegensatz \u201eSubject \u2014 Object\u201c oder \u201ePsychisch \u2014 Materiell\u201c ohne Weiteres als gegeben ansieht Er kehrt damit auch in dieser neuesten Abhandlung auf den principiellen Anfangsstandpunkt zur\u00fcck, den er in der Kritik der reinen Erfahrung und namentlich im Weltbegriff eingenommen hatte.\nEs verlohnt sich noch etwas n\u00e4her zu verfolgen, wie A. die Abgrenzung des Ich-Bezeichneten gegen die Umgebung versucht hat. Gemeinsam im logischen Sinn soll dem Ich-Bezeichneten und den Umgebungsbestandtheilen in gewissem Umfang die allgemeine Bestimmung als \u201eSache\u201c oder \u201eSachhaftes\u201c sein (Nr. 80). Ich vermag diesen Satz nicht mit Nr. 509 ff. der\n1 Der gesperrte Druck in diesem Satz stammt von mir. \u2022 Im Text heifst es: wir \u201ewissen** nun schon.","page":333},{"file":"p0334.txt","language":"de","ocr_de":"334\nTh. Ziehen.\nKritik der reinen Erfahrung in Uebereinstimmung zu bringen. Dort (Kr. d. r. Erf. Nr. 509) sind es die Abh\u00e4ngigen der peripherisch bedingten Aenderungen des Systems C, welche als Sachen gesetzt sind, mithin nach dem gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauch die Empfindungen oder Wahrnehmungen. Die Erinnerungsbilder oder Vorstellungen sind jedenfalls nach der dort gegebenen Definition von der Sachhaftigkeit ausgeschlossen. Jetzt (Nr. 80) wird die Sachhaftigkeit auch dem Ich-Bezeichneten ganz allgemein zugesprochen; zu diesem Ich-Bezeichneten geh\u00f6ren aber auch die Gedanken (Nr. 22 u. 81); also w\u00e4ren diese nun auch sachhaft?! Doch man wird den Satz des Avenari\u00fcs vor diesem Widerspruch vielleicht dadurch bewahren wollen, dafs man seine Worte \u201ein gewissem Umfang\u201c als eine Einschr\u00e4nkung auffafst Avenari\u00fcs k\u00f6nnte gemeint haben, dafs nur einem Th eil des Ich-Bezeichneten die Sachhaftigkeit mit den Umgebungsbestandtheilen gemeinsam ist. Dann kann jedoch erstens von einer logischen Gemeinsamkeit nicht mehr gesprochen werden, und zweitens wird damit zugegeben, dafs die nat\u00fcrliche Grenze nicht zwischen dem Ich-Bezeichneten und den Umgebungsbestandtheilen, sondern zwischen dem Sachhaften, als Sache Gesetzten und den Gedanken oder \u2014 nach meiner Bezeichnungsweise \u2014 zwischen Empfindungen und Vorstellungen verl\u00e4uft, dafs sie also mitten durch das Ich-Bezeichnete hindurchgeht.\nAufserdem ist es h\u00f6chst befremdlich, dafs die Bestimmung als Sache oder Sachhaftes nun den i?-Werthen zugeschrieben wird, w\u00e4hrend sie in der Kritik den 1\u00a3-Werthen zukam.\nAuch scheint mir unzweifelhaft, dafs A. noch in einer anderen Beziehung seinen Standpunkt bez\u00fcglich des Ich-Bezeichneten etwas verschoben hat. In der Kritik der reinen Erfahrung wird der menschliche Leib und speciell auch das System C nicht so schlechthin zum Ich-Bezeichneten gerechnet wie in den Bemerkungen zum Begriffe des Gegenstandes der Psychologie. Vgl. z. B. Kritik Nr. 62 und Cabstanjen L c. S. 272 Anm. In der Kritik der reinen Erfahrung schimmert die richtige Grenzlinie noch \u00f6fter durch, Avenari\u00fcs bleibt sich noch theil-weise bewufst, dafs der Leib 'einschliefslich des Systems C uns zun\u00e4chst durchaus in derselben oder sehr \u00e4hnlichen Weise gegeben ist wie die Umgebungsbestandtheile, n\u00e4mlich in Gestalt von sinnlich lebhaften Empfindungscomplexen. In den Be-","page":334},{"file":"p0335.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnif8theordi8che Auseinandersetzungen.\n335\nmerkungen tritt diese Erkenntnifs schon ganz in den Hintergrund.\nWenn nach diesen Ausf\u00fchrungen das gemeinsame Merkmal, welches A. f\u00fcr das Ich-\u00dfezeichnete und die Umgebungsbestand-theile angiebt, schon h\u00f6chst zweifelhaft ist, so gilt dies noch mehr von dem Unterschied, welchen er zwischen beiden aufstellt (Nr. 81). Dieser Unterschied l\u00e4uft n\u00e4mlich darauf hinaus, dafs in der Erfahrung \u201eIch\u201c weit mehr Erfahrungen eingeschlossen seien als in der Erfahrung \u201eBaum\u201c, \u201eStein\u201c u. s. f. Also der einzige Unterschied, den A. f\u00fcr seine principielle Hauptgliederung angiebt, ist ein quantitativer. Und wie schwach begr\u00fcndet ist noch dazu dieser quantitative Unterschied 1 Dadurch, dafs Avenari\u00fcs das gesammte Ich-Bezeichnete einem einzelnen Umgebungsbestandtheil, wie Baum oder Stein gegen\u00fcberstellt, wird einen Augenblick ein solcher quantitativer Unterschied vorget\u00e4uscht Sobald ich mir aber die Gesammtheit meiner Sachempfindungen, d. h. der Umgebungsbestandtheile vergegenw\u00e4rtige und ihr die karge Zahl meiner Vorstellungen, Gef\u00fchle u. s. f. gegen\u00fcberstelle, so wird das Resultat des Vergleichs schon sehr zweifelhaft. Und ein solch zweifelhafter quantitativer Unterschied soll eine principielle Zweitheilung des erkenntnifstheoretischen Fundamentalthatbestandes begr\u00fcnden k\u00f6nnen ? ! Gerade aus diesem verungl\u00fcckten Versuch einer Unterschiedsbegr\u00fcndung mufs man schliefsen, dafs die Avenarius\u2019-sche Zweitheilung nicht richtig ist, d. h. vor Allem nicht im Stande ist, erkenntnifstheoretisch weiter zu f\u00fchren.\nDie AvENABius\u2019sche Prineipialcoordination \u201eIch-Bezeichnetes und Umgebungsbestandtheile\u201c kann daher nicht als \u201edie allgemeinste formale Bestimmung der vollen Erfahrung ihrer allgemeinen Form nach\u201c (Nr. 90) anerkannt werden, wenn man unter der vollen Erfahrung nicht geradezu eben ausschliefslich die Erfahrung versteht, wo gelegentlich einmal \u2014 z. B. bei Avenari\u00fcs selbst \u2014 diese Gegen\u00fcberstellung von einem Menschen gedacht wird. Unter keiner Bedingung aber darf man die Erfahrungen des gew\u00f6hnlichen Sprachgebrauchs s\u00e4mmtlich als die \u201ematerialen Bestimmungen\u201c dieser vollen Erfahrung (Nr. 91) bezeichnen. Der Nachweis, dafs in diesem Sinne die gew\u00f6hnlichen Erfahrungen alle der AvENARius\u2019schen Prineipialcoordination subsumirt werden k\u00f6nnen, ist nicht gef\u00fchrt.\nDie weitere Ausf\u00fchrung der Lehre von den partiellen Er-","page":335},{"file":"p0336.txt","language":"de","ocr_de":"336\nTh. Ziehen.\nfahrungen verwickelt Avenabius in neue Schwierigkeiten. Er theilt die partiellen Erfahrungen ein in Elemente bezw. Elementen-complexe und Charaktere. Ich will hier mich nur gegen die Avenabuts'sehe Besprechung der ersteren wenden, weil sie f\u00fcr die Erkenntnistheorie unmittelbar bedeutsam ist. Die Elemente theilt Avenabius n\u00e4mlich, je nachdem sie sachhaft oder gedankenhaft sind, in die \u201ek\u00f6rperlichen Dinge\u201c und die \u201enichtk\u00f6rperlichen Dingerinnerungen und -phantasien\u201c (Nr. 93). Hier erhebt sich nun die Frage, was A. unter den k\u00f6rperlichen Dingen versteht: die Empfindungserlebnisse selbst mit allen ihren sogenannten Bubjectiven Zuthaten und T\u00e4uschungen (also die Empfindungen meiner Erkenntnistheorie) oder Dinge, die von diesen Empfindungen verschieden sind? Im letzteren Fall hat Avenabius ganz vergessen uns zu erl\u00e4utern, wieso er zu diesen \u201eDingen\u201c kommt. Die Reductionen und Eliminationen werden \u00fcbergangen. Man wird vielleicht im Hinblick auf die Kritik der reinen Erfahrung die Meinung von Avenabius dahin erl\u00e4utern wollen, dafs wir die Empfindungserlebnisse \u201eals Sachen setzen\u201c. Aber auch damit ist nichts gebessert. In der Kritik der reinen Erfahrung werden die Sachen nur charakterisirt durch ihre Abh\u00e4ngigkeit von direct peripherisch beanspruchten Partialsystemen (Nr. 509). Sie sind noch ganz mit unseren uncorrigirten Empfindungserlebnissen identisch. Das \u201esetzen\u201c wird gar nicht n\u00e4her erl\u00e4utert. Man wird sich also wohl doch zu der anderen Alternative entschliefsen m\u00fcssen, dafs A. mit den k\u00f6rperlichen Dingen unsere uncorrigirten Empfindungserlebnisse meint. Dann aber ist ganz unverst\u00e4ndlich, mit welchem Recht er dieselben ausschliefslich den Naturwissenschaften zmveist und vom Gegenstand der Psychologie ausschliefst. Warum sollte die Empfindungslehre ganz der Psychologie entzogen werden? Nach meiner Auffassung ergiebt die Analyse der Empfindungserlebnisse zwei Bestandteile: einen dem Causalgesetz unterworfenen Reductions-bestandtheil, mit dem sich die Naturwissenschaften besch\u00e4ftigen, und einen dem Parallelgesetz folgenden subjectiven d. h. von individuellen v-Empfindungen abh\u00e4ngigen Bestandtheil, mit dem sich die Psychologie besch\u00e4ftigt. Avenabius begn\u00fcgt sich nicht vom Gegenstand der Psychologie Abh\u00e4ngigkeit vom aussagenden Individuum zu fordern (Nr. 101), sondern er verlangt auch Gedankenhaftigkeit. Offenbar kam A. zu dieser Forderung, weil er die Erfahrung der Pendelschwingungen, der Fallgesetze","page":336},{"file":"p0337.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\t33?\nund anderer Empfindungsthatsaehen mit Recht aus der Psychologie fernhalten wollte. Aber dabei hat er vergessen, dafs in den Empfindungserlebnissen (ebenso wie in den Erinnerungen) auch ein vom aussagenden Individuum abh\u00e4ngiger Factor steckt, von dem die Naturwissenschaft bei ihren Gesetzen geradezu absieht. Unbemerkt haben sich f\u00fcr Avenarius die Empfindungserlebnisse doch in rein materielle Dinge verwandelt Die weiteren Ausf\u00fchrungen Nr. 103\u2014106 ber\u00fchren darum so seltsam, weil die Gedankenhaftigkeit, die kurz vorher (Nr. 101) noch von dem Gegenstand der Psychologie als Bedingung gefordert wurde, nun pl\u00f6tzlich weggelassen wird. In der Kritik der reinen Erfahrung wird man solche Inconsequenzen nicht finden.1 Die Definition des Gegenstandes der empirischen Psychologie, wie sie Nr. 111 und 113 gegeben wird, erw\u00e4hnt ebenfalls die Gedankenhaftigkeit nicht und beschr\u00e4nkt sich mit Recht auf die individuelle Abh\u00e4ngigkeit bezw. die Abh\u00e4ngigkeit vom System C. Man kann nur zweifeln, ob es n\u00fctzlich ist die letztere Abh\u00e4ngigkeit an die Stelle der ersteren zu setzen.\nA. glaubt freilich mit diesen Er\u00f6rterungen seinen Weltbegriff vom metaphysischen Dualismus befreit zu haben. \u201eDer absolute Gegensatz von Leib und Seele, Materie und Geist, kurz von Physischem und Psychischem\u201c soll nunmehr ausgeschaltet sein. In der That ist jedoch die Ausschaltung dieses Gegensatzes Avknabi\u00fcs nicht gelungen. Etwas verschleiert kehrt derselbe Gegensatz wieder in der Unterscheidung des Ich-Bezeichneten und der Umgebungsbestandtheile, in der Unterscheidung der R-Werthe und der E-Werthe, in der Unterscheidung des Amechanischen und des Nur - mechanischen und in der Unterscheidung der Sachen und der Gedanken. Wir haben gegen den einen Gegensatz des Materiellen und Psychischen vier noch dazu nicht klar von einander geschiedene Gegens\u00e4tze eingetauscht\nA. gr\u00fcndet seinen Anspruch den Gegensatz zwischen Psychischem und Physischem ausgeschaltet zu haben auf ein seltsames Argument (Nr. 119). \u201eInnerhalb der gel\u00e4uterten vollen Erfahrung giebt es, sagt Avenabius, Psycbisches-Materie im metaphysischen absoluten Begriff nicht, weil die Materie in\n1 Dabei ist zuzugeben, dafs A. durch das W\u00f6rtchen \u201escheint\u201c in Nr. 94 eich einen R\u00fcckzug offen gehalten hat.\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 27.\t22","page":337},{"file":"p0338.txt","language":"de","ocr_de":"33S\nTh. Ziehen.\njenem Begriff nur ein Abstractum ist : sie w\u00e4re die Ges&mmtheit der Gegenglieder unter Abstraction von jedem Centralglied\u201c Die volle Erfahrung, jetzt sogar die \u201egel\u00e4uterte\u201c volle Erfahrung war ein gek\u00fcnstelter, anfechtbarer Begriff. Weil nun hypothetisch jede partielle Erfahrung zu einer solchen vollen erg\u00e4nzt werden kann, versichert A., wo eine partielle Erfahrung wie Materie vorhege, habe eine Abstraction stattgefunden, und nennt deshalb eine solche Materie im metaphysischen absoluten Begriff ein Unding. In dem Ergebnifs stimme ich v\u00f6llig \u00fcberein, die Gr\u00fcnde aber, welche Avenabi\u00fcs hier vorbringt, sind nicht stichhaltig.\nDafs in seinem System der Gegensatz \u201eE-Werthe und R-Werthe\u201c und der Gegensatz \u201eIch-Bezeichnetes und Umgebungs-bestandtheile\u201c in den meisten Punkten dem vermeintlich ausgeschalteten Gegensatz \u201ePsychisches und Physisches\u201c entspricht, scheint Avenakius entgangen zu sein. Wohl aber f\u00fchlt er selbst, dafs der von ihm acceptirte Gegensatz \u201eSachhaftes und Gedankenhaftes\u201c (zwischen dem Baum als k\u00f6rperlichen Ding und dem Baum als nicht-k\u00f6rperlichen Gedanken) den alten Gegensatz zwischen Physischen und Psychischen doch wieder ins Leben zu rufen scheint (Nr. 121 ff.), und versucht darum ausdr\u00fccklich nachzuweisen, dafs dieser Unterschied durchaus nicht derjenige ist, welcher Physisches und Psychisches absolut scheidet. In der That hat auch dieser Unterschied zwischen dem Sachhaften \u201eBaum\u201c und dem Gedankenhaften \u201eBaum\u201c mit dem Unterschied zwischen Physischem und Psychischem gar nichts zu thun, solange man den Empfindungscharakter des Sachhaften \u201eBaum\u201c durchaus wahrt, also unter dem Sachhaften \u201eBaum\u201c nur das Empfindungserlebnifs mit den charakteristischen sogenannten subjectiven Zuthaten, T\u00e4uschungen bezw. Modificationen, kurz das Empfindungserlebnifs so wie es ist versteht. Aber schon die Bezeichnung, \u201ek\u00f6rperliches Ding\u201c welche A. diesem Empfindungserlebnifs giebt, f\u00fchrt irre, und erst recht lehrt die oben gegebene genauere Verfolgung seiner Lehre, dafs er diesen Erlebnifs-charakter in keiner Weise wahrt.\nAuch wenn Avenakius (Nr. 123) sich dagegen verwahrt, dafs sein Begriff des Mehr-als-Meehanisehen etwa versteckt den Begriff des Psychischen wieder einf\u00fchre, kann er sich nur auf die oben hervorgehobene Unklarheit dieses Begriffes berufen.\nEndlich legt sich A. (Nr.. 124 ff.) noch die Frage vor, wie","page":338},{"file":"p0339.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n339\nmich seiner Lehre sich das Ich, das einen Nadelstich empfindet, Unterscheidet von einem leblosen Umgebungsbestandtheil, welchem man ein Empfinden des Nadelstichs abspricht? . Damit ist in der That das Problem bis zu einem gewissen Grade richtig wiedergegeben. A. forraulirt diese Frage des Weiteren dahin: wie unterscheidet sich ein Centralglied von einem Gegenglied, welches nur als solches d. h. nicht auch als Centralglied einer zweiten Principialcoordination angenommen ward? Avenabius glaubt nun, dafs ein solcher Unterschied bez\u00fcglich Gr\u00f6fse, Schwere, Form, Farbe etc. nicht in Betracht kommt. Einen anderweitigen Unterschied k\u00f6nnte er sich nur denken mit Bezug auf die Hypothese, welche den mitmenschlichen Bewegungen eine mehr-als-mechanische Bedeutung zuspricht (Nr. 27) und somit das Gegenglied der ersten Principialconstruction als Central-glied einer zweiten auffasst Ein Vergleich in dieser Richtung ist aber nach Avenarius logisch ausgeschlossen, da ja die Abwesenheit einer zweiten Principialcoordination vorausgesetzt wird. Ich kann diese genaueren Ausf\u00fchrungen in Nr. 130 und 131 nur als sehr gek\u00fcnstelt bezeichnen und mufs ihr Ergebnifs bestreiten. Weshalb ist es \u201esofort klar\u201c, dafs ein Unterschied in Gr\u00f6fse, Schwere etc. nicht in Betracht kommt f\u00fcr den Unterschied zwischen mir und einem leblosen Umgebungsbestandtheil z. B. einem Stein? Gerade die nat\u00fcrliche Auffassung giebt die einfache Antwort: ich habe ein Centralnervensystem und der Stein nicht An die Anwesenheit des ersteren, bezw. bestimmter Theile des ersteren ist das Empfinden des Nadelstichs gekn\u00fcpft. Dies Centralnervensystem geh\u00f6rt doch wohl zum \u201ethats\u00e4chlieh Vorgefundenen\u201c. Avenarius erkennt auch sonst seine Rolle allenthalben an 1 ; warum wird es hier \u00fcbergangen ?\nVom Standpunkt meiner Erkenntnifstheorie erledigt sich die Frage von Avenarius sehr einfach. Meine Empfindungserlebnisse zerlegen sich in Componenten, welche nach den Gesetzen der mechanischen Causalit\u00e4t aufeinander wirken, und in Componenten, welche dem Parallelgesetze folgen. Durch Reduction der Empfindungserlebnisse bezw. durch Elimination der zweiten Componenten erhalte ich die ersten Componenten, die Reductions-bestandtheile. Die Anwesenheit der Paralleleomponenten ist an\n1 So tritt in Nr. 141 ff. und 167 ff. seine Bedeutung schon wieder hervor.\n22*","page":339},{"file":"p0340.txt","language":"de","ocr_de":"340\nTh. Ziehen.\ndie Anwesenheit eines Nervensystems1 gekn\u00fcpft und kann als eine \u201eR\u00fcckwirkung\u201c eines solchen Nervensystems aufgefafet werden. Der Stein hat kein Nervensystem und bedingt daher keine R\u00fcckwirkungen. Insofern hat der popul\u00e4re Ausspruch recht, wenn er dem Stein Empfinden abspricht Irrth\u00fcmlich ist nur die mit diesem Ausspruch meist verkn\u00fcpfte Ansicht, d&fe ich meine Empfindungen in mir trage und dafs diese Empfindungen zum Stein in dem Gegensatz von \u201epsychisch\u201c und \u201emateriell\u201c stehen. Alles ist Empfindungserlebnifs und insofern psychisch. Indem ich die Reductionsbestandtheile herausl\u00f6se, eliminiere ich nicht das Psychische, sondern nur die individuellen R\u00fcckwirkungen. Nur diese letzteren unterscheiden den Reductions-bestandtheil meines Centralnervensystems von dem Reductions-bestandtheil des Steins.\nAm n\u00e4chsten kommt Avenarius dieser Auffassung in den Ausf\u00fchrungen Nr. 143\u2014146. Was er hier als logische Abh\u00e4ngigkeit2 3 der partiellen Erfahrung \u201eschmerzhafter Stich\u201c von der anderen partiellen Erfahrung \u201eSystem C\u201c bezeichnet, deckt sich im Wesentlichen mit dem, was ich Parallelgesetz genannt habe. * Die Bezeichung \u201elogische Abh\u00e4ngigkeit\u201c ist hier jedenfalls irref\u00fchrend; A. ersetzt sie selbst sp\u00e4ter (Nr. 155) durch die Bezeichnung \u201epsychologische Abh\u00e4ngigkeit\u201c. Vor Allem aber hat Avenarius auch an dieser Stelle den, wie mir scheint, entscheidenden Punkt \u00fcbersehen, n\u00e4mlich die Thatsache, dafs unsere Object Vorstellungen durch fortschreitende Elimination indivi-\n1 Dieses zerf\u00e4llt nat\u00fcrlich, wie ich dies ausf\u00fchrlich er\u00f6rtert habe, auch selbst in einen Reductionsbestandtheil und eine Parallelcomponente.\n* Wundt (a. a. O. z. B. S. 62) scheint mir in diesem Punkte AvKNARirs nicht ganz gerecht zu werden. W. behauptet n\u00e4mlich, Avenarius \u201enehme von vornherein eine Abh\u00e4ngigkeit aller psychischen Werthe von den Aenderungen des Systems C an\u201c. Thats\u00e4chlich behauptet dies Avenarius nicht von allen psychischen Werthen, sondern von allen \u00c6-Werthen; schwerlich w\u00fcrde er sich die Einsetzung des Terminus \u201ealler psychischen Werthe\u201c f\u00fcr alle 2\u00a3-Werthe gefallen lassen. In der urspr\u00fcnglichen Avknarit* sehen Form ist der Satz empirisch, wde mir scheint, v\u00f6llig gen\u00fcgend begr\u00fcndet. Auch der Wundt\u2019sehen Kritik S. 88 und 89 verm\u00f6chte ich nicht beizupflichten.\n3 Nur wird in meinem Gegensatz: Causalgesetz-Parallelgesetz zugleich ein anderer Gegensatz von Avenarius mit eingeschlossen, n\u00e4mlich derjenige zwischen Complement\u00e4rbedingung und systematischen Vorbedingungen. Vgl. Krit. d. r. Erf. Nr. 485, 456 und 29.","page":340},{"file":"p0341.txt","language":"de","ocr_de":"Krkenntnifstheoreti\u00eache Aus\u00e8inandersctzungen.\n341\ndueller dem Pafallelgoeetz folgender R\u00fcckwirkungen entstehen; Er hat nicht erkannt, dafs die .&Werthe\u201c ( \u201e Aussage in h alte \u201c, \u201eErfahrungen\u201c) nichts Anderes sind als Componenten der \u201eUm-gebungsbestandtheile\u201c (\u00dc-Werthe\u201c), dafs sie losgel\u00f6st von den letzteren gar nicht existiren, dafs sie nur die \u201eR\u00fcckwirkungen\u201c des Reductionsbestandtheiles unserer Centralnervensysteme auf die Reductionsbestandtheile anderer Empfindungserlebnisse sind, womit denn auch der Gegensatz Centralglied und Gegenglied eine ganz andere Bedeutung bekommt. So kommt es auch, dafs Avenabi\u00fcs schliefslich (Nr. 148 u. 149) nicht nur den Dualist mus nicht definitiv \u00fcberwunden hat, sondern auch zwei Formen des Parallelismus \u00fcbrig beh\u00e4lt, den Parallelismus zwischen der mechanischen und der amechanischen Bedeutung der menschlichen Bewegungen und den Parallelismus zwischen bestimmten Aenderungen des Systems C und ihren \u201elogischen Abh\u00e4ngigen\u201c (im Sinne der oben erw\u00e4hnten logischen Abh\u00e4ngig* keit). Er glaubt diese Parallelismen gewissermaafsen dadurch entschuldigen zu k\u00f6nnen, dafs er sie empirische Parallelismen nennt und den \u201egew\u00f6hnlich angenommenen\u201c Parallelismus als metaphysisch bezeichnet, doch vermisse ich eine klare Bestimmung und Rechtfertigung dieser beiden Attribute ganz und gar; ich w\u00fcfste nicht, inwiefern beispielsweise der Parallelismus der mechanischen und amechanischen Bedeutung der menschlichen Bewegungen weniger metaphysisch w\u00e4re als der gew\u00f6hnliche Parallelismus.1\nAvenabi\u00fcs versteht urspr\u00fcnglich unter den \u00a3-Werthen die Aussagen. Allm\u00e4hlich aber schieben sich den Aussagen die Aussageinhalte unter, und letztere werden ganz mit den Bewufst-seinsinhalten identificirt. Wenn Avenabi\u00fcs die letztere Bezeichnung perhorrescirt, so ist sein Motiv die Furcht vor introjectio-nisti8chen Mifeverst\u00e4ndnissen. H\u00fctet man sich vor diesen, so ist, wie auch Cabstanjen ausdr\u00fccklich sagt2, \u201egar nichts dagegen\n1 Ich gehe in dieser vorwiegend erkenntnifstheoretischen Fragen gewidmeten Arbeit nicht n\u00e4her auf die positive Bezeichnung des Gegenstandes der Psychologie bei Avenabi\u00fcs (Nr. 161 ff.) ein und hebe nur beil\u00e4ufig hervor, dafs seine Definition der Psychologie zu eng ist, wenn er die Psychologie auf die Betrachtung der Erfahrungen unter dem besonderen Gesichtspunkt ihrer Abh\u00e4ngigkeit vom Individuum (vom System C) beschr\u00e4nkt.\n* A. a. 0.\n192 Anm. 1.","page":341},{"file":"p0342.txt","language":"de","ocr_de":"342\nTh. Ziehen.\neinzuwenden\u201c dafs m\u00e4n von Bewufstseins\u00fcnlMdten' statt ivoh\n,&Werthep\u2018 spricht. Wohl muis mau dann i. aber 'fragen:: : mit welchem Recht darf A vena buts behaupten; dafs, wir iS-Werthe und Umgebungsbestandtheile vorfindeh1 ? Letztere sind doch in den ersteren enthalten oder werden, wenn man ;^nter den R-Werthen die Reducti\u00f6nsbes tan dth eile versteht/ erat aus deh ersteren durch Reduction abgeleitet. Ein ' Hauptmangel, der AvENABius\u2019schen Lehre liegt auf erkenntnifstheoretischem \u2022 Gebiet eben in der Annahme von Umgebungsbestandtheilen (R-Werthen) neben den i\u00a3Werthen und in der Unbestimmtheit dieser Umt gebungsbestandtheile. Anfangs konnte man glaub\u00e8h, dafe Avenabius als R-Werthe. unsere Empfindungen bezeichnet so wie sie sind, aber seine sp\u00e4teren Ausf\u00fchrungen zeigen zweifellos (vgl. z. B. die Er\u00f6rterungen \u00fcber die Abh\u00e4ngigkeit der.; akusti? sehen Aussagewerthe von den physikalischen Schwingungen), dafs er die von der Naturwissenschaft substituirten Reductions* bestandtheile als R-Werthe bezeichnet. Hier h\u00e4tte es doch jedenfalls einer Kritik und Bedeutungserkl\u00e4rung dieser Reductionen und Substitutionen bedurft.\nDie Frage, welche Avenarius im letzten Abschnitt behandelt, lautet in ihrer definitiven Fassung (Nr. 164): Welche Bedingung mufs durch die Gegenglieder erf\u00fcllt sein, um dieselben \u2014 von meinem \u00f6rtlichen Standpunkt aus betrachtet \u2014 zugleich als Centralglieder annehmen zu d\u00fcrfen? Von meinem Standpunkt aus w\u00fcrde dieselbe Frage lauten : welche Reductionsbestandtheile \u00fcben R\u00fcckwirkungen im Sinne des Parallelgesetzes aus? Die Antwort von Avenarius ist ungen\u00fcgend. Er behauptet, dafs ein Gegenglied nur dann auch zugleich als Centralglied anzunehmen ist, wenn ihm der Wert \u201ebestimmte Aenderung des Systems Cu substituirt werden kann. Diese Antwort ist jedoch ohne jeden Werth, da wir gar nicht wissen, was das System C ist Es ist nur definirt werden auf Grund seiner Rolle in der Principial-coordination. Die Antwort von Avenarius l\u00e4uft also auf eine Diallele hinaus. Wohl hat er gelegenlich als Beispiel f\u00fcr das System C das Centralnervensystem angef\u00fchrt, nirgends aber bestimmt gesagt, geschweige denn bewiesen, dafs nur dieses im Stande ist die bez. Rolle in der Principialcoordination zu spielen. Auch der Erg\u00e4nzungsversuch (Nr. 176 ff.) ist nicht gelungen.\nV\n$\n1 Vgl. aufser der Krit. d. r. Erf. selbst auch Carstan\na. O. S. 190.","page":342},{"file":"p0343.txt","language":"de","ocr_de":"Erkenntnifstheoretische Auseinandersetzungen.\n343\nMan kann ihn kurz so resumiren: das System C ist bei dem wachenden erwachsenen Menschen das Centralnervensystem : hier ist es actuelles Centralglied. Bei Ablenkung der Aufmerksamkeit (Nr. 177), im Schlaf (Nr. 182), vor der Geburt (Nr. 183) ist es potentielles Centralglied, desgleichen d\u00fcrfen beliebige Umgebungs-bestandtheile, auch anorganische, sofern sie als bef\u00e4higt angenommen werden m\u00fcssen zu Systemen <7 werden 'zu k\u00f6nnen, in Bezug auf eine k\u00fcnftige individuelle Umgebung als potentielle \u25a0Centralglieder angenommen werden. Auch diese Antwort ist \u25a0durchaus unbefriedigend wir wollen wisset, welche Beschaffenheit, Zusammensetzung u. s. f die Umgebungsbestandtheile haben m\u00fcssen, um als Centralglied gelten zu k\u00f6nnen. Ist z. B. das Nervensystem der Medusen schon als Centralglied zu betrachten \u25a0oder gar schon die Neuromuskelzellen der Polypen oder etwa auch das contractile Protoplasma der Am\u00f6ben und die reizleitenden Gewebesysteme mancher Pflanzen oder endlich (mit Haeckel) jedes organische und anorganische Molek\u00fcl und Atom ? Die rein formale Antwort von Avenarius, f\u00fchrt uns dem Problem keinen JSchritt n\u00e4her, da das System C nur bez\u00fcglich seiner Function in der Principialcoordination definirt und im Uebrigen nur durch Beispiele erl\u00e4utert worden ist. Durch die Zuh\u00fclfenahme der Entwickelungshypothese (Nr. 188) wird die Inhaltlosigkeit der .Antwort nur oberfl\u00e4chlich verschleiert.\nLeider ist es Avenarius nicht verg\u00f6nnt gewesen, in einem vierten Werk sein System zu vollenden. Es ist ein Torso geblieben. Die gewaltige, vorher kaum jemals versuchte Inventaraufnahme der menschlichen Aussagen und die Bek\u00e4mpfung der Introjection sind die beiden unsterblichen Verdienste von Avenarius um die Erkenntnifstheorie. Die positive Grundlegung der letzteren ist ihm hingegen mifslungen. Schon den erkenntnifstheoretischen Fundamentalbestand hat er nicht klar und auch thats\u00e4chlich nicht richtig wiedergegeben.\n(Eingegangen am 13. November 1901.)","page":343}],"identifier":"lit32068","issued":"1902","language":"de","pages":"305-343","startpages":"305","title":"Erkenntni\u00dftheoretische Auseinandersetzungen: 1. Avenarius. Die Kritik der reinen Erfahrung und der Empiriokriticismus","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:28:45.958848+00:00"}