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{"created":"2022-01-31T16:30:22.948212+00:00","id":"lit32069","links":{},"metadata":{"alternative":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane","contributors":[{"name":"Uhthoff, W.","role":"author"}],"detailsRefDisplay":"Zeitschrift f\u00fcr Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane 27: 344-360","fulltext":[{"file":"p0344.txt","language":"de","ocr_de":"(Aus der Breslauer UniversitAts-Augenklinik.)\nr\tEin weiterer Beitrag\nzur angeborenen totalen Farbenblindheit.\nVon\nProf. W. Uhthoff in Breslau.\n(Mit. 3 Fig.)\nDie folgenden Mittheilungen schliefsen sich an meine fr\u00fcheren \u00fcber einen Fall von congenitaler totaler Farbenblindheit (diese Zeitschr. 20, 1899) an und berichten kurz \u00fcber 3 weitere F\u00e4lle, welche im letzten Jahr in unserer Klinik zur Beobachtung kamen und die einerseits eine willkommene Gelegenheit boten, fr\u00fcher gemachte Erfahrungen nachzupr\u00fcfen und zu best\u00e4tigen, auf der anderen Seite aber auch einige neue Daten zu Tage f\u00f6rderten, die bei der Discussion der ganzen Frage nicht ohne Interesse sein d\u00fcrften.\nIch werde die einzelnen F\u00e4lle nur kurz besprechen, zumal da, wo sie mit den fr\u00fcheren in Uebereinstimmung stehen, die wichtigeren Punkte aber, soweit sie Neues bieten, sollen etwas eingehender beschrieben werden.\nFall I.\nAm 7. October 1901 stellte sich der 41 j\u00e4hrige Lehrer F. K. aus Z. in der Klinik vor mit der Klage \u00fcber schlechtes Sehen im Allgemeinen und besonders bei greller Beleuchtung. Bei herabgesetzter Beleuchtung sehe er entschieden besser, dagegen sinke seine Sehsch\u00e4rfe bei directer Sonnenbeleuchtung, er bekomme dabei ein l\u00e4stiges Gef\u00fchl von Lichtscheu, ja sogar ein Thr\u00e4nen der Augen. Die Farben habe er von jeher schlecht unterscheiden k\u00f6nnen. Schlechter sei sein Sehen im Laufe der Zeit nicht geworden und, wenn auch mit M\u00fche, so sei er doch","page":344},{"file":"p0345.txt","language":"de","ocr_de":"Ein weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit. 345\n\"bisher in der Lage gewesen, seinem Berufe als Lehrer nachzugehen. Er tr\u00e4gt eine m\u00e4fsig dunkle, rauchgraue Brille, von der er behauptet, dafs sie ihm nicht nur wegen seiner Lichtscheu angenehm sei, sondern dafs sie sogar direct bei heller Beleuchtung seine Sehsch\u00e4rfe verbessere.\nPatient ist verheirathet, er hat 3 lebende Kinder, welche angeblich gut sehen, 3 seiner Kinder sind im zarten Alter gestorben. Er hat 6 Geschwister, von denen nur 1 Schwester angeblich nicht gut sieht, \u00e4hnlich wie er selber, sie sei wohl \u201ekurzsichtig\u201c und k\u00f6nne die Farben nicht gut unterscheiden,; die Uebrigen sehen gut. Keine Blutsverwandtschaft der Eltern. Das Kind dieser schwachsichtigen Schwester soll gut sehen.\nDie objective Untersuchung ergiebt:\nDie Sehsch\u00e4rfe betr\u00e4gt bei m\u00f6glichster Correction mit \u2014 1,5 D und rauchgrauen Gl\u00e4sern nur 1{10 der normalen. Rechts bei der objectiven Refractionsbestimmung Myopie 1,5, links Myopie 1 D mit 1 D Astigmatismus nach der Regel, jedoch verbessert eine Cylindercombination die Sehsch\u00e4rfe nicht weiter. Bei sehr heller Beleuchtung der Sehproben ist die Sehsch\u00e4rfe beiderseits noch etwas geringer.\nDas Gesichtsfeld ist f\u00fcr ein weifses Object im Wesentlichen frei, die peripheren Grenzen sind nach aufsen und innen eine Spur enger als normal (um ca. 10\u00b0). Die Lage des blinden Fleckes ist keine ganz normale, sondern derselbe zeigt sich beiderseits um 5\u00b0 nach innen verschoben. Nach innen vom Fixirpunkt ist beiderseits ein kleines centrales absolutes Scotom sicher nachweisbar, in dessen Bereich ein weifses Quadrat von 5 mm Seite vollkommen verschwindet.\nXEI\tXU\nLinkes Auge.\tFig. 1.\tRechtes Auge.","page":345},{"file":"p0346.txt","language":"de","ocr_de":"346\n\u2022 V\n\u2022t'O '\u25a0.\nW.\u00dcktyoff.\nDer sichere Nachweis dieses kleinen* absoluten\u00bb o\u00e9ntwfl\u00e9ii Scot\u00f6ms gelang erst nach\u00bb vielen vergeblichen Bemtihimgen am Vierten Untersuchungstage, obwohl der intelligente . Patient * mit grofsem Interesse und viel gutem Willen sich diesen wiederholten eingehenden Untersuchungen unterzog.\t.\t:\nEs handelte sich auch bei ihm um jenen eig\u00ebnth\u00fcmlichen Nyst\u00e4gmus von kleinen Excursionen, wie ich ihn in meinem fr\u00fcheren Falle fand , und wie > er durchweg in einschl\u00e4gigen F\u00e4llen beschrieben worden ist. Forderte man ihn auf, einen bet stimmten Punkt ruhig zu fixiren, so war es ihm nur mit grofe\u00e8r M\u00fche m\u00f6glich, die Augen in der fixirenden Stellung eine Zeit ganz ruhig zu halten, es bestand fortw\u00e4hrend die Neigung kleine seitliche ruckweise Bewegungen auszuf\u00fchren und so abwechselnd mit Verschiedenen Netzhautstellen zu fixiren. ;\nWar es dem Untersuchten schon beim direeten Fixiren nur mit M\u00fche Und vor\u00fcbergehend m\u00f6glich die Augen ganz unbeweglich z\u00fc halten, so wuchsen diese Schwierigkeiten noch bedeutend, wenn man mit einem kleinen Object (weifs auf dunklem Grunde^ oder schwarz auf hellem Grunde) den Patienten in den der fixirenden Netzhautstelle benachbarten Partien gleichzeitig pr\u00fcfte Schon die ErUirung der Lage des blinden Fleckes war aus diesem Grunde schwierig, gelang jedoch bald mit aller Sicherheit, zumal wenn man das Pr\u00fcfungsobject nur ganz momentan durch schnelles Umdrehen auf tauchen liefs, und hatte man erst die blinde Stelle aufgefunden, so dafs das weifse Object am schwarzen d\u00fcnnen Draht gar nicht gesehen wurde, so liefs sich auch die Gr\u00f6fse des blinden Fleckes in normaler Ausdehnung nachweisen und hielt Patient das Auge wenigstens eine kurze Zeit lang absolut ruhig. Suchte man dagegen den blinden Fleck so zu bestimmen, dafs man das kleine Object von den sehenden Netzhautpartien in den nicht sehenden Theil des Sehnerveneintritts \u00fcberf\u00fchrte, so konnte Patient leichte nystagmusartige Seitw\u00e4rtsbewegungen absolut nicht unterdr\u00fccken und vereitelte dadurch die Abgrenzung des blinden Fleckes. Er hatte offenbar die gr\u00f6fsten Schwierigkeiten das Auge auch nur ganz vor\u00fcbergehend still zu halten, sobald seine Aufmerksamkeit durch ein gleichzeitig neben dem fixirten Punkt auftauchendes Object in Anspruch genommen wurde.\nWaren diese Schwierigkeiten f\u00fcr die Bestimmung des blinden Fleckes schon erhebliche, so kamen sie erst recht zum Ausdruck","page":346},{"file":"p0347.txt","language":"de","ocr_de":"Ein iveiterer Beitrag zur angeborenen- totalen Farbenblindheit. 347\nbei dem Aufsuchen des centralen Scotoms, auch bei Anwendung \u2022eines ringf\u00f6rmigen Fixirzeichens wollte es nicht gelingen.\nErst am vierten Tage der Untersuchungen wurde es sicher aufgefunden, auf dem linken Auge im horizontalen Meridian, liegend oval in einer Ausdehnung von 3\u20148\u00b0 \u25a0 (also 5\u00b0 Durchmesser) nach innen vom Fixirpunkt und auf dem rechten Auge \u2022ebenfalls nach innen vom fixirten Punkte in einer Ausdehnung von 3\u00b0 Durchmesser und ziemlich gleichm\u00e4fsig kreisf\u00f6rmiger \"Gestalt, (s. Fig. 1):\nAbgesehen von diesem eben erw\u00e4hnten leichten Nystagmus, waren die Augenbewegungen frei.\t:\nWas den Lichtsinn des Patienten anlangt, so wurde schon Eingangs auf die ausgesprochene Lichtscheu und die Herabsetzung seiner Sehsch\u00e4rfe durch grelle Beleuchtung verwiesen* ganz wie in meiner fr\u00fcheren Beobachtung und in den anderen mitgetheilten F\u00e4llen.\nDagegen war bei diesem Untersuchten die Adaptation in der Dunkelheit in keiner Weise eine schnellere wie beim normalen Auge, und ebenso ist er in Bezug auf die Unterscheidung von Helligkeitsdifferenzen bei verschiedener objectiver Beleuchtungsintensit\u00e4t in keiner Weise dem normalen Auge \u00fcberlegen, sondern bleibt noch etwas hinter demselben zur\u00fcck, wie Versuche am Foerster\u2019sehen Photometer und an der Masson\u2019sehen Scheibe lehren. In dieser Hinsicht weicht der Fall von meiner fr\u00fcheren Beobachtung ab, wo gerade ein\u00e9 abnorm schnelle Dunkeladaptation und ein hervorragendes Helligkeitsun'terscheidungsverm\u00f6gen con-statirt werden konnte. Dementsprechend macht auch unser Patient durchaus nicht die Erfahrung, dafs er sich in der D\u00e4mmerung besser orientiren k\u00f6nne wie ein normaler Mensch; eine Angabe, die unser erster Fall mit grofser Sicherheit machte und die auch durch die objective Untersuchung best\u00e4tigt wTerden konnte.\nIn Bezug auf den Farbensinn des Patienten will ich mich kurz fassen, weil die verschiedenen Proben ganz wie in meinen \u00fcbrigen F\u00e4llen ein v\u00f6lliges Fehlen des Farbensinnes ergeben. Alle Farben lassen sich am Farbenkreisel aus Weifs und Schwarz f\u00fcr ihn mischen.\nSchwarz Weifs\n360 Roth\t= 350 + 10\n\u201e Orange\t\u2014 323 + 37","page":347},{"file":"p0348.txt","language":"de","ocr_de":"348\nW. Uhthoff,\nSchw\u00e4r* Weife\n360\tGelb\t-\t140\t+\t220\nn\tHellgr\u00fcn\t=\t185\t+\t175\n\u201e\tDunkelgr\u00fcn =\t255\t+\t105\nn\tBlau\t=\t280\t+\t80\n(von Dr. Dkp\u00e9wk aufgenoramen).\nDie f\u00fcr meine erste Beobachtung hergestellte Farbentafel mit H\u00fclfe der HEEiNc/schen grauen Papiere nach dem Vorgehen von Hippel\u2019s (cf. \u201eUeber totale angeborene Farbenblindheit44. Festschr. z. 200 j\u00e4hrigen Jubelfeier der Universit\u00e4t Halle) erkennt auch dieser Patient mit kleinen Abweichungen als ganz f\u00fcr ihn zutreffend an. Im Spectrum hat er analog wie der fr\u00fcher\u00a9 Fall das Helligkeitsmaximum im Gr\u00fcn. Das rothe Ende des Spectra ms erscheint ihm ausgesprochen verk\u00fcrzt dem normalen Auge gegen\u00fcber, eine geringe Verk\u00fcrzung ist auch am violetten Ende nachweisbar. Kurz gesagt, die Analogie im Verhalten des Farbensinnes ist mit meinen fr\u00fcheren und meinen folgenden Beobachtungen eine so weitgehende, dafs ich glaube, auf detaillirtere Mittheilungen in dieser Hinsicht verzichten zu k\u00f6nnen.\nSehr bemerkenswerth erscheint mir nun in diesem Falle das ophthalmoskopische V erb alten der Gegend der M ac u 1 a lutea und specie! 1 der Fovea centralis. Nach k\u00fcnstlicher Erweiterung der Pupillen ergiebt sich auf beiden Augen bei Untersuchung im aufrechten und im umgekehrten","page":348},{"file":"p0349.txt","language":"de","ocr_de":"Ein weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit. 349\nBilde folgendes: Die Papillen zeigen beiderseits eine etwas aufrecht ovale Gestalt, aber sonst normale F\u00e4rbung und scharfe Begrenzung. Congenital anomal erscheint der Verlauf der Retinalgef\u00e4fse, dieselben entspringen etwas st\u00e4rker excentrisch nach innen auf den Papillen und verlaufen Anfangs nicht gerade in verticaler Richtung, sondern abnorm nach innen, um dann mit einer etwas winkligen Knickung mehr in die \u00e4ufsere Netz-hauttheile \u00fcberzubiegen. Es ist das jene Verlaufsanomalie, wie wir sie nicht selten bei dem sogen. Conus nach unten an der Papille (dieser ausgesprochenen congenitalen Anomalie) sehen. Wenn ich diesem Befunde auch keine besondere Bedeutung beilegen m\u00f6chte, so zeigt er meines Erachtens doch ein gewisses eongenital anomales Verhalten des Sehnerveneintritts und der Netzhautgef\u00e4fse.\nWichtiger nun aber ist der Befund in der Gegend der Fovea eentralis, der beiderseits gleichartig ist, und den ich ebenfalls als einen congenital anomalen ansehen m\u00f6chte, zumal nach der bestimmten Angabe des Patienten sich das Sehen im Verlaufe \u25a0des Lebens nicht verschlechtert hat.\nDie ganze Gegend der fovea centralis und ihrer n\u00e4chsten Umgebung stellt sich dar als ein ausgesprochen hellgelbr\u00f6thlicher, ziemlich scharf begrenzter Fleck von ca. J/2 Papillengr\u00f6fse. (s. Fig. 2). Im aufrechten Bild bei st\u00e4rkerer Vergr\u00f6fserung zeigt dieses Terrain ein fein chagrinirtes Aussehen in Folge von Pigmentatrophie in Form von zahlreichen kleinen hellen Herden, die wieder untermischt sind mit vielen kleinen schw\u00e4rzlichen Pigmentpunkten und zwischen diesen eingestreut eine Anzahl kleiner hellgl\u00e4nzender Herde. Die Ver\u00e4nderung ist so ausgesprochen, dafs sie im umgekehrten Bilde sich schon als auffallender gelblich r\u00f6thlicher Herd von oben beschriebener Gr\u00f6fse und in ziemlich scharf abgegrenzter Weise repr\u00e4sentirt Der Befund ist ein zweifellos pathologischer und etwa mit einer physiologischen Variet\u00e4t im Aussehen der Fovealgegend gar nicht zu verwechseln. Auf dem linken Auge ist der Befund analog wie auf dem rechten, nur von etwas geringerem Umfang.\nWenn man die Lage dieser Stelle gerade in der Gegend der Fovea und ihre Lage zum Sehnerveneintritt in Betracht zieht, so entsprechen meines Erachtens die centralen kleinen Scotome diesen pathologisch ver\u00e4nderten Netzhautstellen.","page":349},{"file":"p0350.txt","language":"de","ocr_de":"350\nW. Uhthoff,\nFall II.\nBertha F., 15 Jahre alt, aus Breslau stellt sich zum ersten Mal am 29. Januar 1901 in der Klinik yor mit der Klage \u00fcber schlechtes Sehen, welches von jeher bestanden habe, und besonders auch \u00fcber grofse Empfindlichkeit gegen grelle Beleuchtung, wodurch ihre Sehsch\u00e4rfe noch mehr vermindert werde. Sie w\u00fcnscht eine Brille zur Verbesserung der Sehkraft Sie macht sonst einen gesunden Eindruck, ist normal k\u00f6rperlich und geistig entwickelt und zeigt keine anderweitigen congenitalen Anomalien. Die Eltern sollen ebenfalls gesund sein und auch in jeder Hinsicht gut sehen. Keine Blutsverwandt schaft der Eltern. Patientin hat 3 Geschwister, von denen das J\u00fcngste, jetzt 5 Jahre alt, angeblich gut sieht, w\u00e4hrend die beiden anderen, Fritz und Margarethe, 8 und 6 Jahre alt, an derselben Sehst\u00f6rung leiden wie Patientin. Diese letzteren beiden Geschwister, sonst normal entwickelte Kinder, welche ebenfalls wiederholt genau in der Klinik untersucht wurden, zeigen dasselbe Verhalten, wie die \u00e4ltere Schwester und sind wie diese typische F\u00e4lle von congenitaler totaler Farbenblindheit Ich will auf diese beiden j\u00fcngeren Geschwister hier nicht n\u00e4her eingehen, weil ihre Angaben noch in vielen Beziehungen unzureichend waren und ihr Verhalten ein dem der Schwester analoges ist\nWas nun die 15j\u00e4hrige Bertha F. anbetrifft, so hat sie auf dem rechten Auge einen einfach myopischen Astigmatismus von 3 D und links einen solchen von 4 Z> nach der Regel.\nDie Sehsch\u00e4rfe betr\u00e4gt mit entsprechender Cylinder-correction =\t* Sn. 0,5 wird in 12 cm m\u00fchsam gelesen.\nEs besteht eine ausgesprochene Lichtscheu der Patientin und durch intensive Beleuchtung wird ihre Sehsch\u00e4rfe nachweisbar verschlechtert, sie tr\u00e4gt deshalb eine rauchgraue Schutzbrille.\nFerner findet sich ein m\u00e4l'siger concomitirender Strabismus divergens alternans. Die Augenbewegungen sind sonst frei, auff\u00e4llig aber ist aubh bei ihr ein Nystagmus, wenn sie einen Gegenstand genau fixirt. Sieht sie mit beiden Augen ruhig in die Ferne, so verschwindet zeitweise dieser Nystagmus, wird sie aber aufgefordert, scharf einen Gegenstand f\u00fcr die N\u00e4he zu fixiren, namentlich beim Sehen mit einem Auge, so stellen sich auch sofort, diese ruckweisen kleinen nystagmusartigen Bewegungen in seitlicher Richtung ein, die Patientin trotz aller M\u00fchwaltung nur ganz vor\u00fcbergehend zu vermeiden vermag.","page":350},{"file":"p0351.txt","language":"de","ocr_de":"Ein weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit. 351\nIn Bezug auf ihren Lichtsinn macht sie die Angabe, dafs sie sich bei stark herabgesetzter Beleuchtung schneller zu orientiren verm\u00f6ge, wie ihre normal sehenden Familienangeh\u00f6rigen. Eine Untersuchung im Dunkelzimmer und die Pr\u00fcfung mit dem Foeiistek sehen Photometer best\u00e4tigen diese Angaben sowohl f\u00fcr sie als auch f\u00fcr ihren 8 j\u00e4hrigen Bruder Fritz, der gleichzeitig mit untersucht wird. Es besteht bei beiden . eine schnellere Adaptation als f\u00fcr das normale Auge.\nDie Gesichtsfelder sind f\u00fcr ein weifses Object im Wesentlichen frei. Bei der monocul\u00e4ren Pr\u00fcfung desselben am Perimeter bekommt man ganz deutlich den Eindruck, dafs Patientin etwas excentrisch fixirt. Nach der Bestimmung am Perimeter betr\u00e4gt der 2$ y zwischen Visirlinie und Hornhautmittellinie rechts ca. 10\u00b0, links ca. 7\u00b0 in positivem Sinne. Patientin fixirt offenbar mit einer etwas excentrisch nach aufsen von der Fovea gelegenen Stelle. Nach l\u00e4ngerem Bem\u00fchen gelingt es auch die Lage des blinden Fleckes mit Sicherheit festzustellen. Derselbe liegt rechts ungef\u00e4hr horizontal um 5\u00b0 zu weit nach aufsen der normalen Lage des blinden Fleckes gegen\u00fcber, auf dem. linken Auge ebenso nur etwas unterhalb der Horizontalen (s. Fig. 3). Diese Feststellungen sind durch den oben erw\u00e4hnten\nLinkes Auge.\tRechtes Auge,\nxu\txn\nFig. 3.\nNystagmus ganz aufs er ordentlich erschwert, und die Patientin ist durchweg nicht im Stande bei der monocul\u00e4ren Pr\u00fcfung, wenn ihre Aufmerksamkeit neben der centralen Fixation gleichzeitig auf ein excentrisch gehaltenes Object gelenkt wird, die wechselnden","page":351},{"file":"p0352.txt","language":"de","ocr_de":"352\nW. UhthofjT.\nnystagmusartigen Bewegungen des Auges auch nur f\u00fcr kurze Zeit zu unterlassen.\nEs ist uns auch bisher bei dieser Untersuchten nicht gelungen trotz eingehender Bem\u00fchungen, ein centrales Scotora entsprechend der Fovea centralis nachzu weisen. Jedenfalls m\u00f6chte ich glauben, dafs ein absolutes Scotom, wie im vorigen Falle, hier wohl nicht existirt ; ein relatives sicher auszuschliefsen, m\u00f6chte ich nicht wagen bei der grofsen Schwierigkeit der Unten Buchung und bei der Unm\u00f6glichkeit f\u00fcr die Patientin, auch nur vor\u00fcbergehend bei der Untersuchung die nystagmusartigen Hin-und Herbewegungen des Auges zu unterdr\u00fccken.\nIn Bezug auf den Farbensinn kann ich auch hier nur das f\u00fcr die fr\u00fcheren F\u00e4lle Gesagte wiederholen. Absolute Unm\u00f6glichkeit f\u00fcr die Patientin Farben zu differenziren, wie sich bei den verschiedenen Versuchen ergiebt (Wahlproben, Farbenkreisel u. s. w.). Auch l\u00e4fst sich jede Farbe aus Weifs und Schwarz mischen. Die Patientin erkennt die f\u00fcr meinen ersten Fall entworfene Farben-Tafel mit den HEEiNo\u2019schen grauen resp. schwarzen Papieren auch f\u00fcr sich als durchweg zutreffend an. Die hellste Stelle im Spectrum liegt ebenfalls bei ihr im Gr\u00fcn, das rothe Ende des Spectrums ist deutlich verk\u00fcrzt u. s. w. Mit einem Worte es \u00e4hnelt der Fall in dieser Hinsicht so absolut den fr\u00fcheren, dafs ich lediglich darauf verweisen kann.\nDie ophthalmoskopische Untersuchung ergiebt im Uebrigen normale Verh\u00e4ltnisse, doch zeigen sich in der Gegend der Fovea centralis auch hier, wenn auch geringf\u00fcgige, so doch, meines Erachtens, sicher pathologische Ver\u00e4nderungen. Auf beiden Augen findet sich in der Gegend der Fovea (links etwas mehr als rechts) ein deutlich marmorirtes Aussehen, d. h. zahlreiche kleinere hellere Fleckchen abwechselnd mit kleinen dunklen Pigmentpunkten, die Ver\u00e4nderungen setzen sich gegen die sonst normale periphere Partie der Macula lutea ziemlich scharf ab. Wenn ich diese Ver\u00e4nderungen bei unserer Patientin doch als pathologisch in Anspruch nehme, so bin ich mir dabei wohl bewulst, dafs auch die physiologische Fovea centralis, namentlich im sp\u00e4teren Leben leichte Unregelm\u00e4fsigkeiten in der Pigmen-tirung zeigen kann, doch nicht in dem Maafse, wie hier in unserem Falle. Die Patientin wurde wiederholt bei Mydriasis auch im aufrechten Bilde von mir und von verschiedenen ge\u00fcbten","page":352},{"file":"p0353.txt","language":"de","ocr_de":"Ein weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit. 353\nOphthalmoskopikem untersucht und ebenso der Befund mit normalen F\u00e4llen verglichen.\nFall III.\nEs handelt sich um den jetzt 25j\u00e4hrigen Stud. H., der sich Anfang Januar 1901 zu wiederholten eingehenden Untersuchungen vorstellte und ebenfalls den Symptomencomplex der typischen congenitalen Farbenblindheit bietet wie mein erster Patient Ich will hier auf die ganzen \u00fcbrigen Erscheinungen nicht n\u00e4her ein-gehen, da Stud. H. seiner Zeit schon von Herrn Collegen A. von Hippel eingehend untersucht wurde. Ueber die Ergebnisse dieser Untersuchungen hat derselbe damals auf dem Heidelberger ophthalmologischen Congrefs 1889 (s. den Congrefsbericht) in genauer \"Weise berichtet.\nWenn ich mir erlaube, \u00fcber diesen Fall noch einige Beobachtungen kurz zu erw\u00e4hnen, so \u00bbgeschieht es mit g\u00fctiger Zustimmung des Herrn Collegen von Hippel, dem gegen\u00fcber ich m\u00fcndlich dieser Beobachtungen Erw\u00e4hnung that Ich glaube auch, dafs es sich hier weniger um neue von mir \u2018gefundene Thatsachen handelt, als vielleicht um eine etwas andere Deutung der gemachten Beobachtungen.\nMit R\u00fccksicht auf meine erste Beobachtung interessirte mich besonders der Punkt, ob auch bei diesem Patienten centrale Scotome nachweisbar w\u00e4ren.\nIch habe mich auch in diesem Falle zun\u00e4chst des ringf\u00f6rmigen Fixirzeichens um den Mittelpunkt des Perimeterbogens bedient und damit nach l\u00e4ngerem Bem\u00fchen mit aller Sicherheit ein centrales relatives Scotom an der Stelle des Fixirpunktes nachweisen k\u00f6nnen. Die Form des Scotoms ist auf beiden Augen etwas liegend oval und hat einen Durchmesser von ca. 3 \u00b0. Ein schwarzer runder Fleck von 2,5 mm im Durchmesser auf weifsem Grund verschwand im Bereich des Scotoms zwar nicht vollkommen , wurde aber viel undeutlicher daselbst gesehen als aufserhalb desselben. F\u00fcr diese Pr\u00fcfung am Perimeter in 33 cm Entfernung wurde eine m\u00e4fsig herabgesetzte Beleuchtung gew\u00e4hlt, das Optimum der Beleuchtung f\u00fcr die Sehsch\u00e4rfe des Untersuchten, so dafs er gar kein Gef\u00fchl von Blendung empfand. Die Beleuchtungsintensit\u00e4t betrug ca. 50 Meterkerzen, wie mit dem Weber\u2019sehen Photometer festgestellt wurde. Bei voller\n2S\nZeitschrift f\u00fcr Psychologie 27.","page":353},{"file":"p0354.txt","language":"de","ocr_de":"354\nW. \u00fchthoff.\nTagesbeleuchtung litt die Genauigkeit dieser Feststellung, da dann die Sehsch\u00e4rfe \u00fcberhaupt schon beeintr\u00e4chtigt wurde.\nDie Versuche wurden sodann in mannigfacher Weise modi-ficirt, es wurde auch ein weifeer Punkt auf dunklem Grunde und ebenso ein System von dunklen Punkten auf hellem Grunde und von hellen Punkten auf dunklem Grunde verwendet, sowohl bei momentaner als bei l\u00e4ngerer seeundenlanger Beleuchtung der Probe\u00f6bjecte und bei verschiedener objectiver allgemeiner Beleuchtungsintensit\u00e4t\nIch m\u00f6chte bemerken, dafs Stud. H. in Folge der fr\u00fcheren und der jetzigen eingehenden Untersuchungen allm\u00e4hlich sehr genau zu beobachten gelernt hatte und seine Angaben mit grofser Pr\u00e4cision und voller Ueberzeugung machte. Ich habe ihn deshalb auch wiederholt gebeten seine Wahrnehmungen selbst schriftlich niederzulegen.\nUeber die Versuche mit \u2022einem System dunkler Punkte auf hellem Grunde und einem solchen heller Punkte auf dunklem Grunde berichtet er selbst Folgendes.\n\u201eDie Beobachtung war nur bis zu einer Entfernung von ca. 23 cm m\u00f6glich, bei gr\u00f6fserer Entfernung erschien das Bild \u00fcberhaupt verschwommen (diese Versuche wurden nicht am Perimeterbogen angestellt).\nBei der angegebenen Entfernung erschien auf der Scheibe mit den Punkten ein Raum von nicht ganz 1 qcm unklarer als die Umgebung, wofern dieser Raum fixirt wurde, es konnte daher nicht constatirt wTerden, ob die in oben bezeiehneten Raum fallenden Punkte rund oder eckig waren, w\u00e4hrend die weiter vom Fixirpunkt entfernt liegenden Punkte ihrer Gestalt nach genau erkannt werden konnten.\nDie Beobachtung blieb die gleiche bei Moment- und Zeitbeleuchtung, desgleichen bei Object 1 und 2, wenn auch bei Object 2 (d. h. helle Punkte auf dunklem Grunde) die Wahrnehmung leichter zu machen war. Verschiedene Beleuchtungsst\u00e4rken der Objecte gaben gleichfalls keine Ver\u00e4nderung. Es blieb die Beobachtung eben die gleiche bei verschiedener Beleuchtungsintensit\u00e4t bis zu der f\u00fcr die Beobachtungen am Perimeter festgestellten Maximalgrenze\u201c (also ca. 50 Meterkerzen).\nErschwerend bei all diesen Untersuchungen auf das Vorhandensein des centralen Scotoms wirkte nat\u00fcrlich auch in diesem Falle der vorhandene typische Nystagmus namentlich","page":354},{"file":"p0355.txt","language":"de","ocr_de":"Ein weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit. 355\nbei monocul\u00e4rer Fixation, aber gerade das grofse Interesse an der Sache von Seiten des Patienten und seine Intelligenz liefsen diese Hindernisse relativ leicht \u00fcberwinden.\nAlle diese Versuche bei diesem Patienten sowie auch in den fr\u00fcheren F\u00e4llen sind stets unter Mitwirkung und Zeugenschaft mehrerer Herren (DDr. Heine, Seydel, D\u00e9p\u00eane u. A.) ausgef\u00fchrt, die mich versicherten ebenso wie die Patienten selbst, dafs sie von den oben mitgetheilten Versuchsergebnissen \u00fcberzeugt seien.\nDie Sehsch\u00e4rfe betrug 1/&, es bestand mittlere Myopie mit 3 D Astigmatismus nach der Regel auf beiden Augen.\nDie Dunkeladaption des Patienten am FoERSTEa\u2019schen Photometer erfolgte erheblich schneller wie am normalen Auge.\nDer Nystagmus war, beim Fixiren mit beiden Augen gleichzeitig, relativ wenig wahrnehmbar, beim Verdecken Eines Auges tritt er sehr deutlich ein, auch beim binocul\u00e4ren Sehen wird der Nystagmus deutlicher bei intensiverer Beleuchtung.\nDie Pupillen sind relativ eng (2,5 mm), auch bei stark herabgesetzter Beleuchtung erweitern sie sich wenig, w\u00e4hrend ihre Reaction auf Licht und Convergenz sonst gut erhalten ist.\nIn Bezug auf die n\u00e4here Analyse des Farbensinnes gestatte ich mir, auf die genauen von HiPPEi/schen fr\u00fcheren Angaben zu verweisen und m\u00f6chte nur erw\u00e4hnen, dafs die Farbensinnanomalie mit der unserer anderen Beobachtungen die weitgehendsten Analogien bietet\nF\u00fcr das dunkeladaptirte Auge des Patienten beschreibt auch Herr College von Hippel (S. 154) die centrale Undeutlichkeit im Gesichtsfeld den peripheren Netzhautpartien gegen\u00fcber, indem der Untersuchte bei einem kreuzf\u00f6rmigen Punktsystem, den gerade fixirten schw\u00e4cher und st\u00e4rker beleuchteten Punkt undeutlicher sieht als die \u00fcbrigen, w\u00e4hrend eine solche centrale Undeutlichkeit bei hellerer Beleuchtung mit kreuzf\u00f6rmig angeordneten weifsen Scheiben auf schwarzem Grunde nicht nachgewiesen werden konnte. A. von Hippel fafst demnach die bei dem dunkeladaptirten Auge nachgewiesene centrale Undeutlichkeit lediglich als ein Adaptationsph\u00e4nomen auf, indem die Fovea des Patienten, analog wie bei dem normalen Auge sich langsamer adaptire und dadurch die centrale Undeutlichkeit entstehe.\nBei meinen Untersuchungen aber gab der Patient auch f\u00fcr das hell adaptirte Auge diese centrale Undeutlichkeit in derselben Weise an.\n23*","page":355},{"file":"p0356.txt","language":"de","ocr_de":"356\nW. \u00fchthoff.\nStud. H. ist nun ferner schon fr\u00fcher von Prof. E. Dorn (Halle) in Bezug auf das Sehen von R\u00f6ntgenstrahlen eingehend untersucht worden und sind die interessanten Resultate \u00fcber diese Versuche in Wiedemann\u2019s Annalen f. Physik 66, S. 1171, 1898, niedergelegt worden. Wir nahmen Veranlassung auch in dieser Hinsicht noch eine theilweise Nachpr\u00fcfung vorzunehmen, welche die DoRN\u2019schen Resultate durchaus best\u00e4tigte. Wurde der Untersuchte vor einem R\u00f6ntgenapparat in die Richtung der reflectirten Strahlen gebracht, so hatte er, wenn auch Kopf und Augen mit einem achtfach liegenden schwarzen Tuch verdeckt waren, eine allgemeine Helligkeitserscheinung, jedoch ohne eine bestimmte Form der Erscheinung angeben zu k\u00f6nnen. Durch zeitweiliges Vorschieben eines Stanniolschirmes ohne Kenntniis des Untersuchten wurde die Thats\u00e4chlichkeit der Erscheinung gepr\u00fcft. Wurde der Schirm von unten nach oben vor das Auge geschoben, so erschien die Verdunkelung von oben nach unten fortschreitend und umgekehrt. Ein in der Stanniolplatte befind-licher Spalt gab am Auge vor\u00fcber bewegt eine Lichterscheinung, die, je weiter von der Mitte des Auges entfernt, einen um so st\u00e4rker gekr\u00fcmmten Bogen bis zum geschlossenen Kreise darstellte, in der Mitte des Auges dagegen als gerade Linie wahrgenommen wurde. Die Erscheinung war bei horizontaler und verticaler Lage des Spaltes die gleiche und bewegte sich in umgekehrter Richtung als der Spalt des Stanniolschirmes bewegt wurde. Ein in den Schirm eingeschnittenes Kreuz ergab die zu erwartende Combination der vorher bei horizontalem und verti-calem Spalt wahrgenommenen Erscheinungen. Die Beobachtungen wurden mehrfach mit dem gleichen Erfolg wiederholt, strengten jedoch die Augen, nach Aussage des Untersuchten, verh\u00e4ltnifs-m\u00e4fsig stark an.\nVergleichsversuche mit unseren normalen Augen fielen im Wesentlichen negativ aus. Ebenso gaben analoge Versuche mit meinem zuerst untersuchten total Farbenblinden keine sicheren Resultate, was aber wohl mit der schlechteren Beobachtungsgabe dieses Patienten in Zusammenhang stehen mag.\nIch m\u00f6chte nicht unterlassen auf die weiteren interessanten Ausf\u00fchrungen und Versuche von Prof. Dorn in betreff unseres Patienten an dieser Stelle noch besonders hinzuweisen, speciell auch in betreff der relativen Empfindlichkeit der St\u00e4bchen und Zapfen gegen R\u00f6ntgenstrahlen u. s. w.","page":356},{"file":"p0357.txt","language":"de","ocr_de":"j\u00dfin weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit. 357\nDer ophthalmoskopische Befund bei Stud. H. ergab keine direct pathologischen Ver\u00e4nderungen, doch will ich bemerken, dafs ich in diesem Falle keine genaue Untersuchung der Macula lutea im aufrechten Bild bei erweiterter Pupille vorgenommen habe und m\u00f6chte mir eine solche noch Vorbehalten, wenn Patient sp\u00e4ter nach Breslau zur\u00fcckkehrt.\nIm Hinblick auf die vorstehenden Beobachtungen erscheint mir Folgendes hervorzuheben:\n1. Zun\u00e4chst finden sich bei eingehender ophthalmoskopischer Untersuchung im aufrechten Bilde und bei erweiterter Pupille in zwei F\u00e4llen pathologische Ver\u00e4nderungen in der Gegend der Fovea centralis, welche sehr wohl eine ausgesprochene Functionsst\u00f6rung an der Stelle des deutlichsten Sehnes erkl\u00e4ren. Namentlich in Fall I mit den absoluten centralen Scotomen waren diese Erscheinungen sehr ausgesprochen (8. Fig. 2). Dieselben zeigen den Charakter \u00e4lterer atrophischer Ver\u00e4nderungen und keine Zeichen frischer Entz\u00fcndung. Da die Sehsch\u00e4rfe der Patienten nach ihren bestimmten Angaben, so weit sie zur\u00fcckdenken k\u00f6nnen, sich im Laufe des Lebens nicht verschlechtert hat, so liegt jedenfalls die Annahme am n\u00e4chsten, dafs es sich um schon angeborene abnorme Fovealver\u00e4nderungen handelt; zumal in Fall I auch das Verhalten der Papillen und der Retinalgef\u00e4sse als ein congenital etwas abnormes bezeichnet werden mufs.\nWenn somit auch nat\u00fcrlich in diesen relativ geringf\u00fcgigen und r\u00e4umlich beschr\u00e4nkten pathologischen, schon mit dem Augenspiegel nachweisbaren Retinalver\u00e4nderungen noch keine Erkl\u00e4rung f\u00fcr die Form der Sehst\u00f6rung bei der congenitalen totalen Farbenblindheit gegeben ist, so liegt doch immer in diesen Beobachtungen der Hinweis, dafs in einem Theil der F\u00e4lle doch auch greifbare pathologische Netzhautver\u00e4nderungen nachweisbar sind und zwar ebenfalls congenitale, wie ich glaube. Wir k\u00f6nnen uns sehr wohl vorstellen, dafs eine sehr ausgedehnte abnorme Beschaffenheit der Retina und ihrer Elemente vorhanden sein kann, die sich der Feststellung mit dem Augenspiegel intra vitam vollkommen entzieht. Gerade die positiven Befunde geben uns einen Hinweis auf ein anatomisch abnormes Verhalten der Netzhaut.\nEs erscheint mir bemerkenswerth, dafs auch Nagel in seiner letzten Mittheilung (\u201eEinige Beobachtungen an einem Falle von","page":357},{"file":"p0358.txt","language":"de","ocr_de":"B58\nW. \u00fchthoff.\ntotaler Farbenblindheit\u201c, Arch. f. Augenhk. 44 (2), S. 153; 1901) \u00fcber abnorme Ver\u00e4nderungen in der Fovealgegend sowohl in seiner jetzigen als in der fr\u00fcheren Freiburger Beobachtung berichtet.\nBei unserem Fall II war auch zuerst der ophthalmoskopische Befund nicht als pathologisch gerechnet worden, erst die letzte Untersuchung im aufrechten Bilde bei erweiterter Pupille und unter gleichzeitiger Correction des Astigmatismus wies diese pathologischen Ver\u00e4nderungen nach, w\u00e4hrend ich bei dem j\u00fcngeren, ebenfalls total farbenblinden Bruder der Patientin, der allerdings erheblich st\u00e4rkeren Nystagmus zeigte, derartige Ver\u00e4nderungen nicht auffinden konnte. Auch bei meiner ersten Beobachtung und bei Fall III (Stud. H.) ist kein pathologisch ophthalmoskopischer Befund notirt, aber auch in beiden F\u00e4llen wurde die Untersuchung nicht bei erweiterter Pupille vorgenommen, ich m\u00f6chte mir eine nachtr\u00e4gliche Contr\u00f4le in dieser Hinsicht noch Vorbehalten. Ob nicht doch noch \u00f6fter bei eingehender ophthalmoskopischer Untersuchung pathologische Ver\u00e4nderungen der Fovea centralis gefunden werden, als man bisher angenommen ?\n2. In zweiter Linie hat sich die Zahl der F\u00e4lle, welche ein centrales Scotom aufwiesen, durch meine neuen Beobachtungen um zwei vermehrt und zwar waren die Scotome in dem Fall I absolut, d. h. es wurde ein weifses Quadrat von 5 mm Seite \u00fcberhaupt nicht wahrgenommen ; es coincidirte diese intensive Functionsst\u00f6rung mit sehr ausgesprochenen pathologischen Ver\u00e4nderungen in der fovea centralis. In Fall III m\u00f6chte ich die Scotome auch heute als relativ bezeichnen, da bei den angewendeten relativ kleinen Pr\u00fcfungsobjecten kein vollst\u00e4ndiges Verschwinden, sondern lediglich ein Undeutlicherwerden eintrat. Es ist wohl anzunehmen, dafs bei hinreichend weiterer Verkleinerung des Pr\u00fcfungsobjectes und somit Verminderung des Reizes f\u00fcr die Netzhaut, schliefslich das centrale Scotom ein absolutes geworden w\u00e4re, doch glaubte ich, die Gr\u00f6fse der Pr\u00fcfungsobjecte gerade mit R\u00fccksicht auf die relativ geringe Sehsch\u00e4rfe \u00fcberhaupt nicht weiter vermindern zu d\u00fcrfen und mufs somit die Scotome in Fall III als nur relative bezeichnen. In Fall II gelang der Nachweis circumscripter Scotome nicht; wohl konnte sicher erwiesen werden, dafs Patientin nicht central, sondern mit einer Stelle nach aufsen neben der Fovea centralis","page":358},{"file":"p0359.txt","language":"de","ocr_de":"Ein weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit. 359\nhaupts\u00e4chlich fixirte. Hierf\u00fcr sprach auch die ermittelte Lage des blinden Fleckes, der im Gesichtsfeld ca. 5\u00b0 zu weit nach aufsen gefunden wurde dem normalen Auge gegen\u00fcber und dementsprechend der abnorm grofse positive Winkel y. Es zeigte dieses Factum jedenfalls auch, dafs die Sehsch\u00e4rfe in der Fovea centralis eine geringere sein mufste, als in den benachbarten Partien der Netzhaut, wenn auch diese Undeutlichkeit nicht in Form eines circumscripten Scotoms abgegrenzt werden konnte. Gerade dieser Fall lehrte uns wieder, wie enorm schwierig die Beurtheilung dieser Dinge f\u00fcr den Patienten sein kann, wenn er die leichten nystagmusartigen Zuckungen gar nicht zu unterdr\u00fccken im Stande ist, sobald neben dem Fixirpunkt seine Aufmerksamkeit gleichzeitig f\u00fcr ein excentrisch gehaltenes Object in Anspruch genommen wird.\nAuch in Fall I war die Feststellung des blinden Fleckes an einer falschen Stelle zu weit nach innen dasjenige, was uns den Fingerzeig gab, wo das centrale Scotom zu suchen sei, und wo es dann auch in absolut sicherer Weise nachgewiesen werden konnte. Koenig\u2019s erster Nachweis des centralen Scotoms bei congenitaler totaler Farbenblindheit hat somit auch wieder durch zwei unserer neuen Beobachtungen Best\u00e4tigung gefunden.\nAber auch schon die Auffindung des doch absolut sicher vorhandenen blinden Fleckes macht bei den congenital total Farbenblinden gelegentlich grofse Schwierigkeiten, eben wegen der nystagmusartigen Bewegungen, die sofort eintreten, wenn vom Untersuchten die Beachtung zweier Punkte (des Fixir-objectes und des excentrisch gehaltenen Zeichens) gleichzeitig gefordert wird. Man versteht schon unter diesen Umst\u00e4nden, dafs noch vielmehr die Auffindung kleiner centraler absoluter oder relativer Scotome Schwierigkeiten machen mufs, ja bei weniger intelligenten Beobachtern zur Unm\u00f6glichkeit werden kann.\n3. In diesen drei neuen Beobachtungen habe ich die m\u00fchevollen und aufserordentlich zeitraubenden Untersuchungen \u00fcber die zahlenm\u00e4fsige Abnahme der excentrischen Sehsch\u00e4rfe je nach dem Grade der Excentricit\u00e4t nicht in der Weise wiederholt, wie in Fall I; glaube jedoch sicher sagen zu k\u00f6nnen, auf Grund der Pr\u00fcfungen, dafs auch bei ihnen die periphere Sehsch\u00e4rfe mit dem Grade der Excentricit\u00e4t stetig abnahm, analog wie in meinem fr\u00fcheren Falle. Ich glaube auch, dafs","page":359},{"file":"p0360.txt","language":"de","ocr_de":"360\niv: uhthoff.\ndieses Moment noch nicht gegen die Theorie des \u201eSt\u00e4bchensehens\u201c direct zu verwerthen ist\n4.\tEs erscheint mir bei unserem Fall I bemerkenswert!], dafs derselbe wohl ganz analog wie die sonstigen F\u00e4lle von einem l\u00e4stigen Blendungsgef\u00fchl geplagt wurde und durch grelle Beleuchtung eine directe Verschlechterung seiner Sehsch\u00e4rfe erfuhr, dagegen in keiner Weise f\u00fcr die Dunkelheit schneller adaptirte als das normale Auge, auch war seine Wahrnehmung f\u00fcr Helligkeitsuntersehiede in keiner Weise eine bessere als die des normalen Auges. Schnellere Adaptation aber, als beim normalen Auge trat in allen unseren anderen Beobachtungen deutlich zu Tage.\n5.\tDie Sichtbarkeit der R\u00f6ntgenstrahlen war in unserem Fall III eine sehr exquisite und konnten die eingehenden Angaben von Dorn \u00fcber diesen Untersuchten nur best\u00e4tigt werden. In meiner fr\u00fcheren Beobachtung konnte bei einer nachtr\u00e4glichen Untersuchung daraufhin diese Th\u00e4tsache nicht sicher festgestellt werden. Es scheint demnach wohl, dafs dieselbe keine constante bei allen congenital total Farbenblinden ist. Dieser Punkt bedarf jedenfalls noch der weiteren Untersuchung.\nIn Bezug auf das Literaturverzeichnifs sei auf meine fr\u00fchere Mittheilung verwiesen.\n(Eingegangen am 17. November 1901.)","page":360}],"identifier":"lit32069","issued":"1902","language":"de","pages":"344-360","startpages":"344","title":"Ein weiterer Beitrag zur angeborenen totalen Farbenblindheit","type":"Journal Article","volume":"27"},"revision":0,"updated":"2022-01-31T16:30:22.948217+00:00"}